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Die Politik der Grünen beschränke sich auf ökologisches Reden, von jedem ökonomischen Handeln nehme die Partei Abstand. Wolf Lotter, Gründungsmitglied der Wirtschaftszeitschrift brand eins, nimmt in seinem Beitrag inKursbuch 197 kein Blatt vor den Mund: rückwärtsgewandt, mutlos, im breiigen Einheitsdenken versumpft – so präsentierten sich die Grünen beim genauen Hinschauen. Heilsam wäre einzig der Sprung zu einer neuen Form des ökonomischen Zusammenlebens: Weg vom Industriekapitalismus, hin zu mehr Verantwortung für den Einzelnen und zum Zivilkapitalismus.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Inhalt
Wolf LotterIt’s your economy, stupid!Die Grünen leben in der Ökonomie der Industriegesellschaft
Der Autor
Impressum
Wolf LotterIt’s your economy, stupid!Die Grünen leben in der Ökonomie der Industriegesellschaft
»Damit die Lage der Menschen besser wird, müssen die Menschen selbst besser werden.«
Leo Tolstoi
In welchen Bereich des politischen Spektrums gehört eine politische Bewegung, die den Begriff der Selbstbestimmung in ihrer Geburtsurkunde eintragen hat lassen? Wo würde man Politik verorten, die das Individuum und die Unterschiedlichkeit, das Recht auf maximalen Freiraum und auf Vielfalt in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rückte? Welche Politik fordert die Bürger zur Selbstverantwortung auf? Welche Politik fordert mehr Risikobereitschaft, wenn es um neue Wege geht, persönlich wie gesellschaftlich? Welche politische Kraft entwickelt eine Vorstellung davon, dass Gesellschaft aus Gesellschaftern besteht, aus eigenverantwortlichen Bürgern? Welche politische Kraft steht für die Selbstbestimmung?
Dass man all diese Fragen in Deutschland im Jahr 2019 vornehmlich unter den Begriff »Neoliberalismus« zusammenfassen kann, sagt eigentlich alles über den Zustand der politischen und medialen Eliten aus. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sind geradezu das Gegenstück zum Gesellschaftsmodell all jener, die sich bei den Grünen wiederfinden. Deren Kammerton heißt: mehr Staat, mehr Fürsorge, mehr Regulierung. Der Bürger als lebenslanger Fürsorgefall. Das ist nicht normal, vor allen Dingen nicht kompatibel zu den elementaren Zielen und Motiven jener Bürgerbewegung, die aus dem Geist der 68er entstand. Die Forderung nach einem sich selbst befreienden Individuum, heute verpönt, war einst der Kern aller grünen Ideen. Selbstverantwortung und Selbstbestimmung galten nicht als neoliberale Zumutung, sondern als zentrales Ziel aller grünen Politik.
Das kommt davon, wenn man so lange vom »System« redet, bis man selbst ein Teil davon ist. Und damit das nicht gleich wieder passiert, heißt in diesem Text das nachhaltige, verantwortliche, selbständige, zivilgesellschaftliche Wirtschaften so, dass man es sich merken kann: Zivilkapitalismus.
Ja, natürlich Kapitalismus. Was denn sonst?
Wohlstand als Blackbox
Na ja, wenden jetzt die ein, die gerne »System« und »neoliberal« sagen und beides nicht so genau erklären können, weil Kapitalismus, das sagt man nicht. Man denkt nicht mal dran.
Antikapitalismus ist die Leitkultur der Linken, ihr Evangelium, und das gilt umso mehr, als diese Linke grün ist, also postmateriell fixiert. Der wahre Antikapitalist ist einer, der das Materielle hinter sich lassen kann, weil er es sich einfach leisten kann. Sozialdemokraten und Kommunisten waren und sind immer vom Vorhandensein des Kapitalismus abhängig. Sie sind sozusagen die Kehrseite der Medaille, mal Kopf, mal Zahl. Wer den Klassenfeind umlegt, stirbt mit ihm. Das Problem aller antikapitalistischen Politik ist es, dass man den Feind zwar als Teufel an die Wand malen kann, aber gleichsam von ihm das Weihwasser bezieht. Die Planwirtschafter des Ostens wussten das noch. Die ökonomisch gebildeten Vertreter der Sozialdemokratie ebenfalls, besonders gut sogar.
Sie ließen sich im 19. Jahrhundert auf den historischen Deal mit dem industriekapitalistischen System ein, das damals die Welt in ungeheurem Tempo veränderte. Der Industriekapitalismus ist dabei nur eine von rund 750 Varianten von Marktwirtschaften, die sich heute weltweit verorten lassen.1Den Kapitalismus gibt es nur als Sündenbock und Schreckgespenst, als »System«, an dem man sich reiben kann und in das sich unbeantwortete Fragen aus Gesellschaft und persönlicher Entwicklung so praktisch deponieren lassen. Der Industriekapitalismus ist das, was Karl Marx interessierte und August Bebel, vor allen Dingen aber die Nutznießer dieses neuen Systems. Und das waren die allermeisten, die Massen also. Die armen Teufel der Geschichte.