Digitalwüste Deutschland - Michael Resch - E-Book

Digitalwüste Deutschland E-Book

Michael Resch

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Beschreibung

Nicht erst seit der Corona-Krise ist klar: Deutschland hinkt in der Digitalisierung hinterher. Die Gesundheitsämter können nur über Faxe kommunizieren, und Schulen sind mit dem digitalen Unterricht heillos überfordert. Doch die Defizite haben sich schon lange aufgestaut – und in vielen Bereichen droht Deutschland den Anschluss zu verlieren.

Prof. Dr. Michael Resch, Direktor des Höchstleistungsrechenzentrums in Stuttgart, beschäftigt sich seit Jahren mit der Digitalisierung in Deutschland. Er macht deutlich, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht und wie Deutschland in der Digitalisierung endlich voran kommen kann: Es braucht nicht nur stabile Netze, rechtliche Sicherheit und digitale Bildung, sondern auch ein Umdenken, denn die Skepsis gegenüber der Digitalisierung ist groß. Resch zeigt, welche Chancen und Möglichkeiten die Digitalisierung bietet, aber auch, welche Risiken es gibt und wie man diese umgehen kann.

Eins ist klar: Eine Zukunft ohne Digitalisierung wird es nicht geben – doch wer die Digitalisierung selbst gestaltet, braucht keine Angst vor ihr zu haben. Wir müssen jetzt handeln und unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen.

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Seitenzahl: 166

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Über dieses Buch:

Eigentlich sind wir Weltspitze in der technologischen Entwicklung, doch spätestens die Corona-Krise hat gezeigt: In der Digitalisierung hinkt Deutschland dramatisch hinterher. Instabile Netze und rechtliche Unsicherheiten stehen einer digitalen Zukunft ebenso im Weg wie weitverbreitete Skepsis und Unwissen. Aber welche Gefahren birgt die Digitalisierung wirklich, und wie können wir sie vermeiden?

Anhand eigener Erfahrungen und zahlreicher irrwitziger Beispiele aus unserem Alltag beschreibt Prof. Dr. Michael Resch, wo wir alle – Politik, Verwaltung und User – uns selbst im Weg stehen, woher die Blockaden kommen, und warum es trotz aller feierlichen Schwüre nicht vorangeht. Sein Appell: Begreifen wir endlich, dass das 20. Jahrhundert vorbei ist. Nutzen wir die Chancen der Digitalisierung – und kontrollieren wir ihre Risiken!

Wenn wir unsere Zukunft nicht verschlafen wollen, dürfen wir weder gedankenlos hoffen noch uns zu Tode fürchten – wir müssen Chancen und Risiken realistisch analysieren. Die Privatsphäre in der digitalen Welt muss geschützt werden, die Rechtssicherheit muss genauso hoch sein wie in der analogen Welt. Und wir müssen in die digitale Bildung investieren, damit sich unsere Kinder in der digitalen Welt zurechtfinden.

Über den Autor:

Prof. Dr. Michael Resch wurde 1964 in Graz, Österreich, geboren und studierte Technische Mathematik an der Technischen Universität Graz. Seit 2003 ist er Direktor des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart, das eines der schnellsten zivilen Computersysteme Europas beheimatet, zudem leitet er das Institut für Höchstleistungsrechnen der Universität Stuttgart. Für seine Arbeiten erhielt Resch zahlreiche Auszeichnungen. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.

Prof. Dr. Michael Resch

Digitalwüste

Deutschland

Kommunikation per Fax, digitale Bildungslücken – Wie die Verweigerung von mehr Digitalisierung die Zukunft unseres Landes bedroht

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe 09/2022

Copyright © 2022 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Evelyn Boos-Körner

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-29128-0V001

www.heyne.de

Für meine Kinder Zoe, Paul, Anna und Jacob,

die in der Welt leben müssen, die wir ihnen hinterlassen

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1 Digitale Infrastruktur

2 Verwaltung

3 Bildung für die Digitalisierung

4 Bildung digital organisieren

5 Industrie oder: Da ist Deutschland richtig gut

6 Datenschutz und Recht

7 Die deutsche Haltung zur Digitalisierung

8 Zusammenfassung

Vorwort

Als Ende Februar 2020 klar wurde, dass auch Deutschland von der Corona-Pandemie erfasst werden würde, begannen die Prozesse der Pandemiebekämpfung langsam und zunächst zögerlich, später wurden sie massiv und mitunter hektisch. Die ersten Fragen waren die nach Schutzmasken und Schutzanzügen. Medizinische Überlegungen standen im Vordergrund. Zwei Monate herrschte die allgemeine Ansicht vor, Deutschland sei gut vorbereitet auf das Virus. Die Realität belehrte uns eines Besseren. Schnell wurde aber auch klar, dass die Pandemie nicht nur die Medizin vor Herausforderungen stellte, sondern unser gesamtes deutsches System einem Stresstest aussetzte, den die Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg so nicht mehr erlebt hatte.

Das Land musste auf einen »Virusmodus« umgestellt werden, nachdem schnell deutlich geworden war, dass sich das Virus nicht lokal begrenzen lassen würde. Arbeit, Schule, Behörden – das gesamte Leben musste entweder neu organisiert oder eingestellt werden. Digitalisierung wurde plötzlich zur zentralen Forderung, und die Pandemie zeigte innerhalb kürzester Zeit gnadenlos die Defizite der Digitalisierung in Deutschland auf.

Binnen zwei Wochen stattete unser Zentrum – das HLRS der Universität Stuttgart – alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Laptops aus und machte das Zentrum zu beinahe 100 Prozent onlinefähig. Einzig der Betrieb der Gebäude und Rechenanlagen erforderte zeitweise noch Menschen vor Ort. Die Lehre an der Universität Stuttgart wurde binnen sechs Wochen auf online umgestellt, zwar mit Problemen, aber doch einigermaßen erfolgreich und flächendeckend.

Andere Bereiche waren deutlich schlechter auf diese Situation vorbereitet. Die Defizite der letzten Jahre in der Digitalisierung wurden schlagartig sichtbar. Die Digitalisierung des Unterrichts an Schulen stieß rasch an technische und organisatorische Grenzen. Anfang 2022 – nach zwei Jahren Unterricht unter Pandemie-Bedingungen – wurde deutlich, welche Schäden die Pandemie in der Schulbildung angerichtet hatte, weil Schülerinnen und Schüler wochenlang nur eingeschränkt unterrichtet worden waren.

Auch in anderen Bereichen zeigten sich die Defizite in der Digitalisierung. Behördengänge waren unmöglich. Digitalisierte Dienste der Behörden waren kaum vorhanden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden gaben ihr Bestes und scheiterten doch immer wieder an fehlender Digitalisierung, denn Unterschriften hätten erbracht, Ausweise geprüft oder Gespräche geführt werden müssen, die aufgrund von Hygienemaßnahmen nicht oder nur eingeschränkt möglich waren.

Die Mängel in der Digitalisierung gingen aber noch tiefer, als in diesen Beispielen deutlich wird. Digitale Netze waren überlastet. Klare Vorgaben für die Umstellung von persönlichen Services auf digitale Services fehlten. Lehrende an Schulen und Hochschulen waren nicht vorbereitet auf die didaktischen und pädagogischen Herausforderungen. Das Land war schlichtweg in der Digitalisierung hinter den industriellen Standards moderner Staaten zurückgeblieben.

Dieses Buch will nicht versuchen, Schuld zuzuweisen. Das ist nicht das, was das Land braucht. Probleme der Digitalisierung begleiten uns seit längerer Zeit. Wir haben es in vielen Bereichen nicht geschafft, Deutschland digital aufzustellen. Damit haben wir viele Potenziale verschenkt und sind auch in einigen Bereichen im internationalen Wettbewerb in Rückstand geraten. Dieses Buch will versuchen, die schwierige Situation, die uns die Pandemie aufgezeigt hat, zu nutzen, um für die Zukunft besser aufgestellt zu sein. Jetzt ist der Moment, in dem allen klar geworden ist, welche Potenziale in der Digitalisierung stecken und welche Gefahren darin liegen, wenn wir die Digitalisierung in Deutschland nicht sehr zügig umsetzen. In dem Maß, wie die Pandemie nachlässt und wir zur Normalität zurückkehren, besteht die Gefahr, dass wir uns wieder zurückfallen lassen in die Zeit vor der Pandemie. Noch ist allen klar, warum Digitalisierung notwendig ist für dieses Land. In einem Jahr sind wir vielleicht wieder im Normalzustand und schieben die Digitalisierung wieder dorthin, wo sie in den letzten 20 Jahren war – auf die lange Bank. Das darf uns nicht passieren. Fehlende Netzinfrastruktur, fehlende digitale Services, mangelnde digitale Bildung und vor allem mangelndes Verständnis für die Digitalisierung sind zwar nach der Pandemie nicht mehr so augenfällig, aber sie begleiten uns auch weiter und behindern uns in Bildung, Verwaltung und Wirtschaft. Die Pandemie muss als Weckruf verstanden werden, um jetzt die großen Herausforderungen der Digitalisierung in ihrer ganzen Breite anzugehen. Wir müssen die Potenziale der Digitalisierung in allen Bereichen nutzen. Wir müssen uns den Problemen und Risiken der Digitalisierung stellen und Lösungen finden.

Deutschland ist in einigen Bereichen in der Digitalisierung durchaus gut aufgestellt. Die deutsche Forschung positioniert sich im Spitzenfeld der IT-Forschung weltweit. Die deutsche Industrie hat eine Führungsrolle in der Prozess-Digitalisierung übernommen. Davon kann die Gesellschaft als Ganzes lernen und profitieren. Aber es geht dabei nicht um eine gedankenlose Digitalisierung um der Digitalisierung willen. Unterricht wird nicht besser, nur weil ein Text statt mit Kreide an eine Tafel mit einem Stift auf eine digitale Tafel geschrieben wird. Verwaltungsvorgänge werden nicht effizienter, nur weil ein Formular digital statt analog ausgefüllt wird.

Es geht darum, die Digitalisierung zu nutzen, um mehr und bessere Leistungen für alle Menschen in diesem Land zu erreichen. Daher ist das keine Aufgabe nur für die Informatik, sondern vor allem für die Menschen, die diese Leistungen erbringen und für die diese Leistungen erbracht werden. Wir brauchen Lehrkräfte, die sich neue Methoden der Wissensvermittlung überlegen, bei denen Lernende und Lehrende besser, schneller und einfacher miteinander lernen können. Wir brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen, die die Digitalisierung nutzen, um ihre Dienste schneller, einfacher und sicherer allen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land zugänglich zu machen, denn davon profitieren wir alle. 

Dieses Buch ist das Ergebnis langer Diskussionen mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen – aus Schulen, Behörden, mittelständischen Firmen, Großkonzernen, Handwerksbetrieben, Altenheimen, Kindergärten, Krankenhäusern und vielen weiteren Einrichtungen. In all diesen Bereichen wurde sichtbar, dass Digitalisierung helfen kann. Aber in all diesen Diskussionen wurde auch sichtbar, dass es die Menschen in den Einrichtungen selbst sind, die die Digitalisierung vorantreiben müssen. Viel zu oft wird Digitalisierung verstanden als der Kauf von Rechnern und Programmen, die zusammen alle Probleme lösen können. Und viel zu oft scheitern diese Ansätze der Digitalisierung, weil diejenigen, die die Programme entwickeln, nicht wissen, was im echten Leben passiert.

Digitalisierung kann aber nur gelingen, wenn alle Betroffenen und Beteiligten an einem Strang ziehen und sich gemeinsam auf den Weg machen für bessere Lösungen in ihrem Leben, sei es in der Bildung, sei es in der Verwaltung oder sei es in den vielen anderen Bereichen unseres Lebens, in denen Services schneller, besser und manchmal auch billiger geleistet werden könnten. Dafür müssen sie gerüstet sein. Sie müssen verstehen, was Digitalisierung bedeutet und was sie möglich macht. Sie müssen aber auch bereit sein, zu verstehen, welche Risiken mit der Digitalisierung verbunden sind – insbesondere in Bereichen, in denen digitale Systeme schnell und automatisch über unser Leben entscheiden. In diesem Sinn versucht dieses Buch, nicht nur deutlich zu machen, wo die Defizite in Deutschland liegen, sondern auch aufzuzeigen, dass und inwiefern wir unsere Einstellung zur Digitalisierung überdenken müssen. Und wenn ich »wir« schreibe, meine ich tatsächlich uns alle. In diesem Sinn hoffe ich, dass dieses Buch aufrüttelt, als Aufruf zum Nachdenken und Handeln wirken kann und hilft, ein Umdenken einzuleiten, bevor wir international den Anschluss in der Digitalisierung verlieren. Dieses Land hat es verdient, dass wir es digital fit für die Zukunft machen!

Im Lauf der letzten 20 Jahre habe ich mit vielen Menschen diskutiert, und viele ihrer Ideen sind in dieses Buch eingeflossen. Mein Dank gilt daher allen, die bereit waren, mit mir über diese Themen zu diskutieren. Alle klugen Ideen dieser Menschen sind in dieses Buch eingeflossen. Alle Fehler des Buches nehme ich dagegen auf meine Kappe. Ich kann zu meiner Verteidigung nur ins Feld führen, dass ich dieses Buch nicht in der Hoffnung geschrieben habe, zu allem alles sagen zu können, sondern in dem Wissen, mit der Erfahrung von 35 Jahren Digitalisierung einen Weckruf formulieren zu können, der weder perfekt noch umfassend sein kann.

Besonderer Dank gilt denen, die mich bei diesem Buch begleitet haben. C. P. Hutter danke ich für die Ermutigung dazu, dieses Buch überhaupt zu schreiben. Dem Verlag danke ich für die Bereitschaft, mit einem unbekannten Autor das Risiko eines solchen Buches einzugehen. Friederike Achter danke ich für die umsichtige Begleitung bei der Entstehung des Buches und für die vielen klugen Hinweise, die den Text verbessert haben. Frau Evelyn Boos-Körner danke ich für das umsichtige und kluge Lektorat dieses kleinen Buches.

Einleitung

Als Ende Februar 2020 der erste Corona-Fall in Deutschland entdeckt wurde, war schnell offensichtlich, dass die Beschwichtigungen und die Verweise auf die sehr gute Vorbereitung des Landes auf eine Pandemie wohl eher ein Pfeifen im Walde waren. Erst zögerlich und dann hektisch begannen die Prozesse der Pandemiebekämpfung und zeigten nach und nach ihre Wirkung. Das Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichte am 18. März 2020 auf seiner Webseite dazu eine Information für alle Gesundheitsämter, in der es hieß:

Das Robert Koch-Institut schlägt den Gesundheitsämtern und zuständigen Landesbehörden vor, folgendes Faxformular für die Übermittlung gemäß § 12 IfSG zu verwenden.

Das Fax und nicht das Internet mit seinen digitalen Plattformen und Möglichkeiten der direkten und unmittelbaren Kommunikation war also zu Beginn der Pandemie das Mittel der Kommunikation im Kampf gegen ein Virus, das sich binnen weniger Monate über die ganze Welt ausbreitete und bis März 2022 mehr als 6 Millionen registrierte Todesopfer forderte. Während deutschlandweit also – mit Verspätung und oft nur von Montag bis Freitag – über Fax Daten eingesammelt wurden, breitete sich das Virus rund um die Uhr weiter aus und hinterließ in der ersten – wie sich bald zeigen sollte, harmlosen – Welle bereits rund 8.000 Tote. Das Virus agierte schneller und effektiver als unsere Behörden kommunizieren konnten, und das sollte auch einige Zeit so bleiben.

Die Horrorszenarien aus Bergamo blieben Deutschland dank engagierter medizinischer Kräfte und eines – noch – nicht auf absolute Wirtschaftlichkeit getrimmten Krankenhaussystems erspart. Die erste Forderung eines Berichts der Nationalen Akademie der Wissenschaften zum Verhältnis von Ökonomie und Medizin in Deutschland aus dem Jahr 2016, die von vielen als Aufforderung zu weiteren Einsparungen im Krankenhauswesen gedeutet wurde, war glücklicherweise noch nicht umgesetzt worden. Sie lautete: »Es ist daher ethisch geboten, das Gesundheitssystem wirtschaftlich, effektiv und effizient zu gestalten.«1 Auch das Thema der Digitalisierung fand übrigens seinen Platz in diesem Bericht, aber auch hier nicht unter dem Aspekt der besseren medizinischen Versorgung, sondern unter einem rein kostentechnischen Aspekt: »Fehlende Daten und Digitalisierungsinfrastrukturen bedeuten in der Konsequenz fehlendes Wissen, etwa über Abläufe, über mögliche Über- und Unterversorgung oder über den Nutzen von Therapien.«

Wie wenig die Digitalisierung in Deutschland das Denken und Arbeiten und die daran geknüpften Prozesse verändert hatte, sollte sich im Lauf der Pandemie noch sehr viel deutlicher und in vielen verschiedenen Bereichen zeigen. Am schlimmsten betroffen waren Schulen, die weitgehend unvorbereitet plötzlich vor der Aufgabe standen, den Unterricht für Kinder zu organisieren, die gar nicht in der Schule waren – weil sie dort nicht sein durften. Lehrende, Eltern, Schulen, Kinder, Jugendliche und Ministerien waren gleichermaßen überrumpelt von den plötzlichen Anforderungen des Lockdowns und sind es bis heute.

Betroffen waren aber auch Behörden, deren Prozesse nicht oder nur minimal digitalisiert waren und die nun plötzlich Anfragen, Anträge und Bescheide digital bearbeiten und beantworten mussten. Universitäten und Hochschulen waren gezwungen, online mit Studierenden zu kommunizieren, wo bisher das persönliche Auftreten der Professorenschaft das Bild der Lehre geprägt hatte. Und während Länder wie Taiwan, Japan und Südkorea digitale Mittel einsetzten, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, scheiterte die Bundesrepublik daran, eine Corona-App so flächendeckend einzusetzen, dass ein Effekt in der Pandemiebekämpfung möglich gewesen wäre. Auch Anfang 2022 war die Digitalisierung nicht so weit fortgeschritten, dass ein klares Bild der Lage (Zahl der Infizierten, Zahl der Hospitalisierten, Zahl der Intensivpatienten, Zahl der Geimpften) täglich korrekt verfügbar gewesen wäre. Wissenschaft und Politik spekulierten weiterhin darüber, wie viele Erkrankte, Genesene und Geimpfte es wohl in der Bundesrepublik geben könne. Erst als sich Ende 2021 eine mögliche Impfpflicht abzeichnete, kam die Idee auf, durch ein nationales Impfregister zu erfassen, wer denn nun eigentlich – und wenn ja, wie oft – geimpft sei. Dass dieses Impfregister digital sein sollte, war da noch nicht einmal andiskutiert.

Die durch das Corona-Virus ausgelöste Krise machte eine der großen Schwächen der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich mit anderen Industriestaaten auf geradezu dramatische Art und Weise sichtbar. Der Rückstand in der Digitalisierung – der zuvor wortreich in Wahlkämpfen beklagt und dessen Behebung ebenso wortreich angekündigt worden war – machte es unmöglich, auf die Pandemie angemessen zu reagieren, ihre Folgen auf der Basis korrekter Zahlen abzuschätzen und Maßnahmen so schnell und zielgenau zu setzen, wie es notwendig gewesen wäre. Dieser Rückstand ließ sich, trotz der eingesetzten erheblichen finanziellen Mittel, auch nicht so schnell aufholen, dass es für die Bekämpfung der Pandemie noch einen Unterschied hätte machen können. Schonungslos legte die Pandemie täglich die Versäumnisse von Jahrzehnten offen.

Aber die Situation kam nicht überraschend. Das European Center for Digital Competitiveness (ECDC) macht in seinem »Digital Riser«-Report wiederholt darauf aufmerksam, dass Deutschland digital international abgehängt wird. Immer wieder berichteten und berichten Medien darüber, dass Deutschland in einer Reihe digitaler Fragestellungen anderen Ländern in Europa, Amerika und Asien hinterherhinkt. Die fehlende Versorgung des Landes mit Glasfaser – auch das ein Projekt, das seit Jahren im Gespräch ist – ist dabei nur eines von vielen Beispielen.

Dabei steht Deutschland in einigen Bereichen der Digitalisierung durchaus an der Spitze. Die Einführung der Digitalisierung in den Fabriken deutscher Automobilhersteller gilt weltweit als beispielhaft, machte sie es doch möglich, sowohl die Produktivität zu erhöhen als auch – entgegen allen Unkenrufen von Kritikern der Digitalisierung – Arbeitsplätze zu sichern. Unter dem Schlagwort der »Industrie 4.0« setzte und setzt die deutsche Industrie Standards für die Digitalisierung in der Fertigung. Im Banken- und Versicherungswesen gelang in den letzten Jahren der Umstieg auf Online-Angebote. Verbunden mit einem Stellenabbau und nicht immer optimal, aber doch zielgerichtet und mit einer hohen Qualität an Services für die Kundinnen und Kunden.

Deutschland kann also Digitalisierung, ist in manchen Industriebereichen weltweit sogar an der Spitze, und trotzdem wird die Digitalisierung in vielen Bereichen nicht, schlecht oder kaum umgesetzt. Bürgerinnen und Bürger sowie Konsumentinnen und Konsumenten stehen immer wieder vor digitalen Wüsten, wo blühende Landschaften möglich oder sogar notwendig wären. Grundlegende Services sind digital nicht verfügbar, Formulare auf Papier begleiten uns nach wie vor durchs Leben. Die Gründe für diese zwiespältige Entwicklung sind vielfältig. Sie sollen in diesem Buch anhand von Beispielen vorgestellt und diskutiert werden.

Einer der wichtigsten Gründe für die offenbare mentale Distanz zwischen Deutschland und der Digitalisierung dürfte die deutsche Tendenz sein, in den Dingen – anders als etwa Menschen in den USA, Japan oder China – immer zuerst die Probleme und Gefahren zu erkennen. Deshalb will dieses Buch nicht nur aufzeigen, was schiefläuft, sondern auch Wege in eine positive digitale Zukunft darstellen, die es uns erlauben sollen, den Rückstand aufzuholen.

Der Einsatz von Faxgeräten am RKI für die Meldung von COVID-19-Infektionen war nur ein Beispiel dafür, wie die Pandemie in Deutschland verdeutlicht hat, dass Deutschland digital überfordert ist. Gleichzeitig hat die Pandemie aber auch den Druck erhöht, die digitalen Defizite abzubauen. Anfang 2021 gab der damalige Gesundheitsminister Spahn schließlich bekannt, dass man vom Fax nun endgültig auf die digitale Übermittlung von Daten umgestiegen sei. Kein großer Fortschritt, aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

Auch wenn die Pandemie ein negatives Jahrhundertereignis ist, hat sie doch den Blick auf einige wesentliche Bereiche unseres täglichen Lebens gelenkt, sodass die dortigen Probleme deutlich wurden.

Digitale Infrastruktur: Während in anderen europäischen Ländern der Ausbau des Netzes und die Nutzung neuester Standards höchste Priorität hat, ist Deutschland noch immer von einem Satz der ehemaligen deutschen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek geprägt: »5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig.«2 Diese Aussage spiegelt jedoch nur die allgemeine Einstellung zum Thema der Vernetzung und Digitalisierung wider. Randgebiete wie die Schwäbische Alb, aber auch zentrale Wirtschaftsstandorte wie Stuttgart leiden daher im internationalen Vergleich an nicht konkurrenzfähiger Netzinfrastruktur. Der Turnschuhtransfer von Daten – bei dem Mitarbeitende im Taxi oder Dienstwagen Daten auf Festplatte transportieren, weil das schneller geht, als sie per Internet zu schicken – ist noch immer Routine. Fehlende Breitbandnetze sind aber zunehmend ein Standortnachteil. Nicht nur in der innerdeutschen Konkurrenz um die beste Infrastruktur geraten ländliche Gegenden immer mehr ins Abseits. Auch im internationalen Wettbewerb um Firmen und Köpfe wird das Fehlen einer der wichtigsten Infrastrukturen zum gravierenden Nachteil.Behörden und Verwaltungen: Nach wie vor setzt man in deutschen Behörden und Verwaltungen auf das Papierformular. Die meisten Dinge kann man nur direkt im Amt erledigen. Die Möglichkeiten der Digitalisierung, Dinge auch online zu erledigen, werden kaum genutzt. Dabei fällt vor allem auf, dass Digitalisierung mitunter eingesetzt wird, dass aber dabei im Wesentlichen nur die Möglichkeit der einfacheren Speicherung von Daten genutzt wird oder die Möglichkeit, Daten auch digital auszutauschen. Die Möglichkeiten, Prozesse durch Digitalisierung zu vereinfachen, werden dagegen kaum genutzt. Wenn aber eine Kfz-Zulassungsstelle die Zulassungsdaten alle digital speichert, so ist damit noch niemandem geholfen. Erst wenn der Prozess der Fahrzeuganmeldung oder Fahrzeugummeldung von Kundinnen und Kunden digital durchgeführt werden kann – etwa über ein Webportal –, ist Digitalisierung wirklich hilfreich. Die Verwaltung ist hier oft in den bisherigen Prozessen gefangen und sieht das Potenzial gar nicht, sich durch Digitalisierung das Leben zu erleichtern bzw. für die Kundinnen und Kunden auch eine Verbesserung bzw. Beschleunigung von Prozessen zu erzielen. Dass Bürgerinnen und Bürger oft nicht als Kundschaft verstanden werden bzw. dass Ämter und Behörden untereinander nicht im Wettbewerb konkurrieren, spielt sicher auch eine Rolle dabei, wie schnell digitalisiert wird, um den Service zu verbessern. Zentral ist hier die Frage nach der sicheren und zuverlässigen digitalen Identität und dem sicheren und zuverlässigen Zugang zu den Services. Nur wenn diese beiden Probleme auch gelöst werden, können Services entwickelt werden und werden Menschen diese Services auch auf Dauer nutzen.Bildung: