Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Western Helden – Die neue Reihe für echte Western-Fans! Harte Männer, wilde Landschaften und erbarmungslose Duelle – hier entscheidet Mut über Leben und Tod. Ob Revolverhelden, Gesetzlose oder einsame Reiter auf der Suche nach Gerechtigkeit – jede Geschichte steckt voller Spannung, Abenteuer und wilder Freiheit. Erlebe die ungeschönte Wahrheit über den Wilden Westen Roy Kenneth ist Sensationsreporter. Sein Beruf bringt es mit sich, dass er auch mit vielen zwielichtigen Gestalten zusammenkommt und Beziehungen zur Unterwelt pflegen muss, die ihm manchmal schwer im Magen liegen. Aber ein Reporter muss hin und wieder auch Artikel schreiben, ohne die seine Zeitung nun einmal nicht existieren kann. Zum Beispiel für die Klatschspalte. Dass Roy Kenneth an diesem Morgen wieder einmal zu spät in der Redaktion erscheint, hat seine Ursache in der Cocktailparty, die Lady Somerset am Abend zuvor gegeben hat. Es war eine anstrengende Konversations-Schau, und entsprechend elend fühlt sich Roy, nicht zuletzt wegen des Genusses diverser Alkoholsorten, die auf der Party gereicht wurden. Kein Wunder also, dass sein Gesicht zitronensauer wird, als der Portier ihm zuflüstert: »Der Alte hat schon nach Ihnen gefragt, Mister Kenneth. Und ich glaube nicht, dass er die beste Laune hat.« Der »Alte«, das ist John Sloan, Chefredakteur des »Herald«, fünfundfünfzig Jahre alt, Vater von einer Tochter mit hervorragenden schauspielerischen Fähigkeiten und eines Sohnes, dessen Hauptbeschäftigung im Geldausgeben besteht. John Sloan größtes Geheimnis ist seine Fähigkeit, sich trotz seiner Größe von nur ein Meter sechzig bei der scharfen Meute seiner Reporter durchzusetzen. Allerdings wirkt sein Charakterkopf mit der ungebändigten grauen Löwenmähne und den Wieselaugen hinter scharfen Brillengläsern eindrucksvoll. Respekt verschafft er sich vor allem mit seinem donnernden Bass. Roy Kenneth vernimmt das Grollen seiner Stimme schon, ehe er die Tür zum Vorzimmer geschlossen hat. Und es hätte der sanften ironischen Stimme der Sekretärin gar nicht erst bedurft, um ihn den Stimmungsbarometer erkennen zu lassen. »Oh, Mister Kenneth«, säuselte die Schreibtisch-Lady, »man ist schon in Sorge um Ihr Wohlbefinden. Immerhin ist es schon vor einer Viertelstunde …« »Acht Uhr gewesen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Roy Kenneth ist Sensationsreporter. Sein Beruf bringt es mit sich, dass er auch mit vielen zwielichtigen Gestalten zusammenkommt und Beziehungen zur Unterwelt pflegen muss, die ihm manchmal schwer im Magen liegen. Aber ein Reporter muss hin und wieder auch Artikel schreiben, ohne die seine Zeitung nun einmal nicht existieren kann. Zum Beispiel für die Klatschspalte.
Dass Roy Kenneth an diesem Morgen wieder einmal zu spät in der Redaktion erscheint, hat seine Ursache in der Cocktailparty, die Lady Somerset am Abend zuvor gegeben hat. Es war eine anstrengende Konversations-Schau, und entsprechend elend fühlt sich Roy, nicht zuletzt wegen des Genusses diverser Alkoholsorten, die auf der Party gereicht wurden. Kein Wunder also, dass sein Gesicht zitronensauer wird, als der Portier ihm zuflüstert: »Der Alte hat schon nach Ihnen gefragt, Mister Kenneth. Und ich glaube nicht, dass er die beste Laune hat.«
Der »Alte«, das ist John Sloan, Chefredakteur des »Herald«, fünfundfünfzig Jahre alt, Vater von einer Tochter mit hervorragenden schauspielerischen Fähigkeiten und eines Sohnes, dessen Hauptbeschäftigung im Geldausgeben besteht.
John Sloan größtes Geheimnis ist seine Fähigkeit, sich trotz seiner Größe von nur ein Meter sechzig bei der scharfen Meute seiner Reporter durchzusetzen. Allerdings wirkt sein Charakterkopf mit der ungebändigten grauen Löwenmähne und den Wieselaugen hinter scharfen Brillengläsern eindrucksvoll. Respekt verschafft er sich vor allem mit seinem donnernden Bass.
Roy Kenneth vernimmt das Grollen seiner Stimme schon, ehe er die Tür zum Vorzimmer geschlossen hat. Und es hätte der sanften ironischen Stimme der Sekretärin gar nicht erst bedurft, um ihn den Stimmungsbarometer erkennen zu lassen.
»Oh, Mister Kenneth«, säuselte die Schreibtisch-Lady, »man ist schon in Sorge um Ihr Wohlbefinden. Immerhin ist es schon vor einer Viertelstunde …«
»Acht Uhr gewesen. Na und? Hier ist mein Artikel, Geben Sie ihn schon mal in Satz.«
Roy knallt dem späten Mädchen das Produkt seiner nächtlichen Tätigkeit hin und marschiert durch die Polstertür ins Hauptbüro.
Gleichmütig schiebt er seine breiten Schultern in den Halbkreis der Reporter, die schon um den Konferenztisch versammelt sind.
»Dass man Sie auch noch einmal sieht!«, spottet John Sloan. »Ich hoffe, Sie haben wohl geruht, Mister Kenneth.«
»Danke.« Roy grinst. »Es hätte besser sein können.«
John Sloan blickt ihn argwöhnisch an. »Und Ihr Artikel über Mistress Somerset«
»Lady bitte! Die Gnädigste legt Wert auf Titel. Und der Artikel über sie ist vermutlich schon im Satz. Aber lieber will ich in Zukunft einen Sack voll Flöhe hüten, als vor Lady Somerset Kratzfüße zu machen. Mit Verlaub, ich bitte mich, in die Unterwelt zurückzuversetzen, Mister Sloan.«
John Sloan pfeift leise, und ein vergnügtes Lächeln umspielt seine Lippen.
Wenn Roy erwartet hat, einen Schwall voll unfeiner Bemerkungen über sich ausgeschüttet zu sehen, so wird er jetzt angenehm überrascht.
»Mein Junge«, röhrt John Sloans Bass, »wären Sie pünktlich gekommen, so hätten Sie meinen Standpunkt zu dieser speziellen Frage schon gehört. Ich versuche, nämlich gerade Ihren Kollegen klarzumachen, dass das Bild unserer Zeitung sich wandeln muss.«
Er hebt seine Stimme, dass Roy schon die Fensterscheiben klirren hört.
»Wen in aller Welt interessiert es, ob Lady Somersets momentaner Verehrer einen grünen oder blutroten Schlips trägt, ob der Ring an seiner Linken fünftausend oder zwanzigtausend Dollar wert ist? Wer, außer einigen überspannten alten Weibern, hat ein Interesse zu erfahren, ob Lady Somerset ein Engel oder eine Teufelin ist?«
»Und was«, wirft ein schmächtiger junger Mann ein, »sollen wir nun schreiben, Mister Sloan?«
»Das fragen Sie mich?«, brüllt der Chefredakteur. »Wir brauchen Artikelserien, die fesseln, die begeistern! Keine lächerlichen Alltäglichkeiten, sondern Sensationen, Nervenkitzel!«
»Nun, wir können uns doch nichts aus den Fingern saugen, oder sollen wir etwa in den Westen fahren?«
»Warum nicht?«, knurrt Sloan. »Kennen Sie den Westen, wie er wirklich ist? Sie kennen ihn nicht! Kennen Sie die endlose Wüste, das Fauchen des Sturmes über der Prärie, das Stampfen einer tausendköpfigen Herde? Haben Sie schon einmal einen Colt bellen hören? Kennen Sie Greenhorn die Männer aus Stahl und Granit, die von morgens bis abends im Sattel wilder Pferde hängen, die kaum zum Essen absteigen? Nein, Sie alle kennen das nicht. Sie können es nicht kennen. Wenn Sie etwas vom Westen gesehen haben, dann durch das Fenster eines Pullman-Wagens.«
Roy Kenneth hört aufmerksam und sehr interessiert dem grollenden Bass seines Vorgesetzten zu. In seiner Stimme ist irgendetwas, das ihn in seinen Bann zieht, das ihn fortlocken will, hinaus aus den traurigen Häuserschluchten der Stadt.
»Den wahren Westen«, fährt Sloan gedämpfter fort, »kann man nur vom Rücken eines Pferdes aus sehen. Man muss ihn am eigenen Leib gespürt haben. Wenn ich an meine Jugend denke …« Er bricht jäh ab. »Zur Hölle, ich bin es dem Andenken so manches alten Eisenfressers schuldig, dass die Welt von den Taten der Westmänner erfährt.«
»Und wozu das alles?«, erkundigt sich Brewster, der schmalbrüstige politische Redakteur.
»Wozu?«, fährt John Sloan ihn an. »Weil ich Sie davor bewahren möchte, dass Sie eines schönen Tages auf der Straße liegen. Wenn es Sie interessieren sollte: Der ›Herald‹ hat im letzten Halbjahr mehr als fünftausend Abonnenten verloren. Und wenn Ihnen das noch nicht genügt, dann will ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.«
Sloan setzt sich atemschöpfend auf den wuchtigen Schreibtisch. Tiefer Ernst liegt plötzlich auf seinem Gesicht.
»Da war einmal ein junger Gent«, beginnt er und blickt abwesend zu der dunkelgetönten Decke empor, »irgendwo in Texas. Dieser Junge war der zweite Sohn eines großen Ranchers. Er hatte eine Zukunft vor sich, die man wohl als sorgenlos hätte bezeichnen können, wenn er nicht ein schwächliches Bürschchen gewesen wäre. Sein Bruder hingegen, ein Kerl wie ein Baum, mit Muskeln aus Stahl und Eisen, war ganz das, was man sich unter einem Pionier des Westens vorstellt.
Die beiden Brüder verstanden sich gut. Und doch wurde der Jüngere von Neid zerfressen, denn keiner war überflüssiger auf der Ranch als er. Er fing an, zu trinken, was schlimmer war – zu spielen. Niemand ahnte etwas davon. Keiner wusste, dass nach und nach die Rinder, die Pferde und die Ranch zum Teufel gingen, dass Pfandscheine über Tausende von Dollars in den Händen der Spielkumpane waren. Bis eines Tages der Knall kam.
Ed, der ältere Bruder, wurde fast verrückt, als er alles erfuhr. Er kam an dem Abend, bevor die Ranch mit allem Inventar versteigert werden sollte, in die Bar, in der sein betrunkener Bruder hockte und spielte. Ed sagte kein Wort, setzte sich dazu, trank einen doppelten Whisky und mischte mit. Er spielte bis nach Mitternacht, und er spielte mit so hohem Einsatz, dass er alle Schuldscheine zurückgewann – alle, bis auf den über das Ranchhaus. Der Viehhändler, der im Besitz dieses Schuldscheines war, ließ sich nicht zum Spiel bewegen.«
John Sloan hält gedankenvoll inne. Dann gibt er sich einen Ruck.
»Am nächsten Morgen, als die Versteigerung beginnen sollte, stand die Ranch in Flammen. Am unteren Ast der Eiche vor dem Haus hatte sich der jüngere der beiden Brüder erhängt. Von Ed fehlte jede Spur. Erst nach geraumer Zeit hörte man wieder von ihm: Er war ein Revolvermann geworden. Eines seiner Opfer wurde der Viehhändler, als er wieder einmal – wie schon oft – mit gezinkten Karten spielte. Und wissen Sie, Gentlemen, dass das erst vor wenigen Jahren geschehen ist? Ich selbst war Zeuge dieser Vorfälle. Das sind Geschichten, die das Leben schreibt. Geschichten über Menschen aus Fleisch und Blut, Erlebnisse von richtigen Männern – keine Schlafzimmergeschichten. Mein Entschluss steht fest, ich fahre in den Westen. Mister Hynd, Sie übernehmen wie besprochen die Leitung der Redaktion. Sie, Mister Kenneth, haben die Güte, meine Tochter davon in Kenntnis zu setzen, dass ich in der nächsten Zeit abwesend bin. Mein Sohn legt keinen Wert auf diese Mitteilung. Im Übrigen habe ich nichts dagegen, wenn Sie sich auch mit dieser Materie befassen wollen. Allerdings möchte ich Ihnen raten, sich vorher mit der Gebrauchsanweisung von Revolvern zu befassen. Und sollte mein Rat erwünscht sein: Sheriff Bob Booth in Carioca weiß, wo ich zu finden bin.«
John Sloan, dem man plötzlich nichts mehr von der Last seiner Jahre anmerkt, nimmt seine Aktentasche, schwenkt sie unternehmungslustig im Kreis und marschiert hinaus.
Die Reporter blicken sich mehr oder weniger ratlos an. Roy Kenneth ist so in Gedanken versunken, dass er den Spott seiner Kollegen kaum hört.
»Der Alte ist übergeschnappt«, faucht Brewster erbost.
»Total verdreht!«, pflichtet man ihm bei. »Den Wilden Westen suchen! Als ob es in unserer Stadt nicht wild genug zuginge!«
Plötzlich geht die Tür auf. Verblüfft starren die Reporter und Redakteure auf den fremden Mann, der dort lässig im Türrahmen steht. Er trägt eine Reithose und das bunt karierte Hemd der Cowboys, und an einem breiten Waffengurt baumelt am Oberschenkel nicht zu übersehen ein Colt.
Der Cowboy, der ein breitflächiges, ausdrucksloses Gesicht hat, nickt unmerklich mit dem Kopf.
»Ein Schreiben für Mister Sloan«, sagt er in das Schweigen. »Von seinem Bruder.« Er reicht dem ihm am nächsten stehenden Roy Kenneth ein schmales Kuvert und hat das Zimmer verlassen, ehe ihm jemand eine Frage stellen kann.
Eine Weile herrscht verblüfftes Schweigen.
»Wer war das?«, fragt Brewster nervös.
Roy reißt die Tür auf und schreit: »Hallo!«
Doch er erschreckt damit nur die Sekretärin, die sowieso mit dem zweiten Frühstück beschäftigt ist.
Mit drei Schritten rast Roy durch das Vorzimmer, reißt die Korridortür auf und ruft noch einmal: »Hallo!«
Doch der Flur liegt verwaist. Von dem geheimnisvollen Mann mit dem Colt ist nichts mehr zu sehen.
»Komisch«, murmelt Kenneth und kehrt kopfschüttelnd zu seinen Kollegen zurück.
Vergeblich zerbricht er sich den Kopf, wo er dieses Gesicht schon einmal gesehen hat. Es erinnert ihn an jemanden, den er bestimmt einmal gesehen hat.
»Was ist mit dem Brief?«
Roy Kenneth dreht das Kuvert unschlüssig hin und her.
»Mach doch den Brief auf!«, rät einer. »Was soll das schon Wichtiges sein!«
»Hm«, macht Roy. »Hat einer von euch gewusst, dass Sloan einen Bruder hat? Ich nicht!«
Er reißt das Kuvert auf.
Wenige Zeilen nur stehen auf einem zerknitterten Zettel. Worte, von ungelenker Hand geschrieben.
»Lieber John«, liest er halblaut vor, »vielleicht bist Du der Meinung, ich hätte schon einige Schaufeln Sand über mir, aber es stirbt sich doch nicht so schnell – obwohl ich im Augenblick fürchte, dass es bald so weit ist. Komm bald, wenn Du mich noch einmal sehen willst, denn hier stinkt’s mächtig. Jeder Mann kennt Eds Ranch in Isleta, Texas. Kehre bei Mickey Lawton ein, er kann dir alles sagen.
Dein Ed.«
»Ed?«, fragt Brewster.
Jeder der Anwesenden weiß, dass er an den älteren Bruder aus John Sloans Erzählung denkt. Hieß er nicht auch Ed? Roy Kenneth steckt den Brief in die Tasche.
»Ich fürchte«, sagte er, »dass in dieser Story einige Würmer sind. Irgendetwas stimmt nicht mit John Sloan und seinem Bruder …«
»Was stimmt nicht mit meinem Vater?«, ruft eine helle Stimme von der Tür her.
Roy fährt betreten herum.
»Hallo, Miss Madeleine!«
Das Mädchen, nach der neusten Mode gekleidet, wirbelt in einer Parfümwolke vor den jungen Reporter, der sie um Haupteslänge überragt.
»Wovon war hier die Rede?«
Roy rümpft die Nase. So sehr er das frische Mädchen mag, diese dicke Schicht von Puder und Schminke, die das reizvolle, hübsche Gesicht zu einer Maske erstarren lässt, kann er auf den Tod nicht ausstehen.
»Was gibt es über meinen Vater zu reden?«, forscht Madeleine energisch.
»Nichts, was wir vor Ihnen zu verbergen hätten, Madeleine. Zunächst habe ich Ihnen auszurichten, dass Ihr Vater für einige Zeit verreist ist – dienstlich.«
»Wohin?«
Roy zuckte die Schultern. »Nach Carioca, sagte er. Das muss irgendwo in Texas liegen.«
»So. Und was haben Sie eben von einem angeblichen Bruder meines Vaters gesagt, der gar nicht existiert?«
»Sehen Sie, das glaubten wir auch.«
»Behauptet jemand etwas anderes?«
»Hm.« Roy Kenneth zögert, Sloans Tochter die Wahrheit zu sagen. Doch da hat sie ihm schon mit schnellem Griff den Brief aus der Tasche gezogen.
»Sie sollten das nicht lesen, Madeleine«, wehrt er ab.
Das Mädchen hat nur ein geringschätziges Schulterzucken für ihn übrig und überfliegt sichtlich erstaunt die wenigen Zeilen. Mit einem Ruck hebt sie den Kopf.
»Wer hat denn diesen Unsinn geschrieben?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich schlauer. Ein Fremder hat vor einigen Minuten den Brief gebracht.«
»Das stimmt«, wirft Brewster ein. »Der Mann hatte ein Benehmen, das jeder Beschreibung spottet. Er kriegte kaum die Zähne auseinander und war im Nu wieder verschwunden.«
»Das hört sich ja direkt rätselhaft an«, sagt Madeleine nachdenklich.
Roy versucht sie gegen seine Überzeugung zu beruhigen. »Vielleicht ist das alles nur ein Scherz.«
»Das hört sich gefährlicher an. Wo liegt dieses Isleta?«
»Weshalb? Sie wollen doch nicht etwa hinfahren?«
»Warum denn nicht? Schließlich ist es mein Onkel, der in Gefahr zu sein scheint – wenn es wirklich stimmt, was auf diesem Zettel steht.«
Roy versucht es noch einmal: »Wozu wollen Sie sich unnützen Strapazen und vielleicht sogar Gefahren aussetzen?«
Sie blitzt ihn an.
»Ich habe keine Angst. Außerdem gibt es noch Kavaliere wie zum Beispiel Mister Goodman. Ihm wird es sicher ein Vergnügen sein, mich zu begleiten.«
»Na schön«, brummt Roy und wendet sich brüsk ab. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Hoffentlich kommen Sie nicht unter die Räder.«
Mit hartem Schritt verlässt er das Büro.
So wird er nicht mehr Zeuge, wie Madeleine sich alle möglichen Karten von Texas bringen lässt, bis sie endlich die beiden Orte Carioca und Isleta entdeckt hat, die gar nicht so weit voneinander entfernt sind.
Aus den Landkarten geht allerdings nicht hervor, dass diese beiden Städte in der wildesten Ecke von Texas liegen. Und Roy Kenneth kann auch nicht mehr hören, dass Madeleine ein ausführliches Telefongespräch mit Mr. Goodman führt.
Auf der anderen Seite wundert sich die Vorzimmer-Sekretärin darüber, dass Roy Kenneth es schon am frühen Morgen so eilig hat und dass er sich ebenfalls Landkarten von Texas bringen lässt und sich auf unbestimmte Zeit von ihr verabschiedet.
Keiner der Beteiligten kann ahnen, in welchen Wirbel von Ereignissen sie der seltsame Brief Ed Sloans stürzen wird – eines Mannes, von dessen Existenz noch nicht einmal seine Nichte bis zu diesem Tage gewusst hat.
*
Drei Tage später.
»Heureka« steht in noch halbwegs lesbaren Lettern auf dem verwitterten Schild. Mit dem Klang dieses Namens verbindet sich noch eine gewisse Erinnerung John Sloans.
Was fast vergessen schien, wird plötzlich wieder lebendig.
Er sitzt auf dem Bock eines zweirädrigen Gig und blickt auf den wippenden Hals seines Pferdes. Seine Zügelhand ist schlaff.
Stunde um Stunde hat er hinter sich gebracht, seit er an der Bahnstation der Atlantic-Pacific-Railway ausgestiegen ist und das Gespann erstanden hat.
Es war ihm zu riskant, sich in den Sattel eines unberechenbaren Pferdes zu schwingen. Auf dem schaukelnden Gig ist es zwar auch kein Vergnügen, aber der Mensch gewöhnt sich an alles, und wenn es sein muss, kennt John Sloans Geduld keine Grenzen.
Heureka.
Kurzentschlossen zieht John das Pferd am langen Zügel auf den kaum noch erkennbaren Seitenweg. So sehr ist der alte Zeitungshase von der Sucht nach dem Abenteuer erfasst worden, dass er sich keine Gedanken darüber macht, wohin der zugewachsene Pfad ihn führen mag, der seit Jahr und Tag nicht mehr befahren zu werden scheint.
Verstepptes Gras kämpft gegen vordringenden Flugsand, der sich beim leisesten Lufthauch auf die Wanderung macht. Er bildet lang gezogene, geschuppte Wellenberge und verändert sich stetig. Dazwischen nacktes, kahles Gestein und blankgefegter, verwitterter Fels. Kein Hauch von Zivilisation, kein Hauch von Leben. Nur das klagende Geheul von Kojoten, das müde Krächzen von Geiern im blassen Blau des Himmels unter glühender Sonne. Der Wagen schlingert in eine Schlucht hinunter, windet sich durch eine Felsbarriere. Dann ragen nur noch vereinzelt hier und dort Felsblöcke aus Sand und Steppengras.
Müde quält sich das Pferd vorwärts.
»Ich schätze, wir müssen bald eine Pause einlegen«, knurrt John missvergnügt.
Dann fällt ihm der Hut vom Kopf.
Das Peitschen des Schusses erreicht erst einen Sekundenbruchteil später sein Ohr. Und erst als er den Hut wieder aufgehoben und betrachtet hat, begreift John Sloan, was sich hier tut. Er springt wie ein geölter Blitz vom Wagen, das Pferd bleibt prustend stehen und lässt die Ohren spielen. Zweifellos wundert es sich, dass die Zügelhand ihn nicht mehr lenkt und dass der Mann nicht mehr auf dem Bock sitzt, sondern sich unter dem Wagen verkriecht.
Auch John Sloan prustet und reibt sich Sand aus den Augen, ehe er sie wieder aufmachen kann. Noch einmal betrachtet er seinen Hut, aber es gibt keinen Zweifel – die beiden kleinen Löcher sind vorher nicht da gewesen.
Und wieder beginnen Colts zu bellen. Giftig pfeifen die Kugeln an John Sloans Kopf vorbei, bohren sich in das Gig. John Sloan kommt sich vor wie eine Zielscheibe.
Ein Pferd wiehert schrill. Es muss zu seiner Rechten sein. Wenn er bloß wüsste, ob sich das alles um ihn oder um jemand anders dreht.
Wieder eine Serie von Schüssen, dann ein spitzer Schrei, ein ersterbender Fluch.
Ein Schauder lässt John frösteln. Eine Gänsehaut kriecht über seinen Rücken.
Das sieht nach blutigem Ernst aus! Plötzlich hastige Schritte.
Der Sand knirscht. Näher und näher kommt das Geräusch.