Chefarzt Dr. Holl 1914 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1914 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Stopp! Halt, nicht schon wieder! Der Boden schwankt. Jetzt ganz ruhig atmen, Jana. Genauso, wie es dir Frau Dr. Holl gezeigt hat. Erst ein, dann ganz langsam wieder aus. So ist’s gut. Puh. Hoffentlich hat’s keiner gemerkt ...
Ja, zugegeben. Oft dreht sich alles in meinem Kopf. Wie es sich anfühlt? Wie eine infernalische Fahrt in einem unkontrollierbaren Einmannkarussell. Dann verliere ich die Orientierung, den Halt, greife ins Nichts, stolpere und falle. In diesen Momenten bin ich erfüllt von blanker Angst. Doch warum klingt seit Neuestem auch noch das Blinzeln meiner Augenlider wie das Kratzen von Scheibenwischblätter auf einer trockenen Windschutzscheibe und mein Herzschlag so geräuschvoll wie ein rhythmisches Trommelspiel? - Und da ist noch ein zweiter, leiserer Herzschlag im Hintergrund, oder irre ich mich? O Gott, werde ich etwa verrückt?


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Inhalt

Cover

Alles dreht sich

Vorschau

Impressum

Alles dreht sich

Jana überkommen unerklärliche Schwindelattacken

Von Katrin Kastell

Stopp! Halt, nicht schon wieder! Der Boden schwankt. Jetzt ganz ruhig atmen, Jana. Genauso, wie es dir Frau Dr. Holl gezeigt hat. Erst ein, dann ganz langsam wieder aus. So ist's gut.

Ja, zugegeben. Oft dreht sich alles in meinem Kopf. Wie es sich anfühlt? Wie eine infernalische Fahrt in einem unkontrollierbaren Einmannkarussell. Dann verliere ich die Orientierung, den Halt, greife ins Nichts, stolpere und falle. In diesen Momenten bin ich erfüllt von blanker Angst. Doch warum klingt seit Neuestem auch noch das Blinzeln meiner Augenlider wie das Kratzen von Scheibenwischblätter auf einer trockenen Windschutzscheibe und mein Herzschlag so geräuschvoll wie ein rhythmisches Trommelspiel? – Und da ist noch ein zweiter, leiserer Herzschlag im Hintergrund, oder irre ich mich? O Gott, werde ich etwa verrückt?

Langsam schlenderte Jana auf die große Statue zu, die sich an der nordwestlichen Ecke des kleinen Parks befand. Sie liebte diese schlanke, wohl an die drei Meter hohe Plastik. Immer, wenn sie hier in der Gegend war, machte sie einen kurzen Abstecher zu dieser Statue von Julia Capulet.

Sie und ihr geliebter Romeo waren das berühmteste Liebespaar der Welt, erschaffen vor gut dreihundert Jahren vom englischen Dramatiker William Shakespeare. Trotz des frühen Todes der beiden bewegte ihre unsterbliche Liebe die Menschen bis heute.

Es sollte Glück bringen, die traurige Schöne zu berühren und ihr zum Trost ein paar Blumen zu schenken. Auch Jana hatte einen bunten Strauß dabei, den sie Julia zu Füßen legte. Eine Weile verharrte sie in der Hocke.

Dann richtete sich Jana wieder auf – und empfand von einer Sekunde auf die andere ein panikartiges Gefühl. Sie fand keinen Halt mehr. Die Statue schwankte, der Park drehte sich um sie. Am meisten erschreckte sie das laute Geräusch in ihren Ohren, von dem sie nicht wusste, wo es herkam.

Voller Angst fuchtelte sie wie eine Ertrinkende mit den Händen, suchte Halt. Aber es gab nichts, woran sie sich hätte festhalten können. Ihre Handtasche fiel ins Gras.

»Alles in Ordnung?«, fragte eine weibliche Stimme neben ihr und reichte ihr die Hand. »Kann ich Ihnen helfen? Kommen Sie, setzen wir uns einen Augenblick.«

Die Frau hob Janas Tasche auf, umfasste dann ihre Taille und geleitete sie zur nahe stehenden Bank.

Nach ein paar hektischen Atemzügen ließ der Schwindel nach, und ihr Herzschlag normalisierte sich.

»Atmen Sie tief ein, halten Sie die Luft an, und atmen Sie dann ganz langsam wieder aus. Ja, so ist es gut. Und jetzt wieder von vorn.«

Jana gehorchte. Sie war der Unbekannten von Herzen für die Hilfe dankbar. Bald fühlte sie sich wieder stabil.

»Geht's wieder?«

»Ja, ich bin wohl zu schnell aufgestanden.«

»Sie hatten eine Schwindelattacke«, erklärte die Frau mit einer äußerst angenehmen Stimme. »Haben Sie das öfter?«

Jana schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich in guten Händen.

»Ich glaube, jetzt ist es überwunden. Ich wollte mir nur mal wieder die Figur anschauen. Sie ist so wunderschön.«

»Das finde ich auch. Ich mache hier auch immer eine kurze Pause, wenn ich in der Nähe bin.« Die Frau lächelte verschmitzt. »Ich heiße auch Julia.«

»Das ist ein sehr schöner Name. Ich bin Jana.«

Jetzt erst betrachtete Jana ihre Retterin genauer. Sie war älter als sie selbst, wirkte aber ausgesprochen jugendlich.

»Wenn sich solche Anfälle häufen, sollten sie vielleicht mal eine Schwindelambulanz aufsuchen, zum Beispiel die in der Berling-Klinik.« Julia holte eine Karte aus ihrer Handtasche. »Sie soll sehr gut sein. Bitte sehr.«

»Sind Sie Ärztin?«

»Ja, mein Name ist Julia Holl. Mein Mann leitet diese Klinik, aber ich selbst arbeite nicht dort. Empfehlen kann ich sie trotzdem. Und eine Abklärung ist immer gut.«

»Vielen Dank, Frau Doktor Holl. Bei Bedarf werde ich darauf zurückkommen. Ich weiß auch nicht, warum sich plötzlich alles drehte, als wäre ich betrunken. Ich bin doch vollkommen nüchtern.« Sie stand auf und machte demonstrativ ein paar Schritte. »Alles wie weggeblasen«, erklärte sie und zeigte an sich herunter.

»Wunderbar. Dann alles Gute, Jana.«

Die beiden Frauen verabschiedeten sich voneinander. Nach ein paar Metern drehten sich beide wie auf Zuruf noch einmal um und winkten sich zu.

Julia Holl gegenüber hatte Jana nicht ganz die Wahrheit gesagt. Tatsächlich waren in der Vergangenheit solche Anfälle schon aufgetreten. Sie hatte sogar den Eindruck, dass die Abstände zwischen ihnen immer kürzer wurden.

Sicher kamen da viele Faktoren zusammen. Sie wusste selbst um ihr instabiles Nervenkostüm. Zum einen das gemeinsame Leben mit Schwiegermutter Hedwig und deren Schwester Maria, zum anderen die räumliche Trennung von ihrem heiß geliebten Fabian, der mal wieder mit seinem qualifizierten Team in wichtigen Bankgeschäften in osteuropäischen Ländern unterwegs war.

Nach dem Tod seines Vaters hatte Fabian schon bald nach seiner Ausbildung die Leitung der Privatbank übernehmen müssen, die er im Laufe der Jahre kontinuierlich ausgebaut hatte. Nach Einschätzung der Finanzexperten hatte sich die Halberg-Bank am Markt inzwischen bestens behauptet und stand bestens da.

Es könnte alles schön und gut sein, dachte Jana. Wenn ich doch nur öfter mit meinem Fabian zusammen sein könnte.

Andererseits sah sie ein, dass ihm alles daran lag, das Vermächtnis des Vaters in dessen Sinn weiterzuführen.

Wenig später erreichte sie das Elisabeth-Pflegeheim, wo ihre Mutter schon seit einigen Jahren lebte. Senta Bogner litt an der Alzheimer-Krankheit.

Jana besuchte sie mehrmals in der Woche. Wenn Fabian – so wie jetzt – unterwegs war, sogar täglich. Sie hielt es für ihre Pflicht, bei ihrer Mutter zu sein, auch wenn Senta ihre Tochter oft nicht mehr erkannte. Wie würde es wohl heute sein?

***

»Grüß Gott, Frau Halberg«, empfing Jana ein junger Mann.

Offensichtlich war er etwas in Eile.

»Grüß Gott, Johann. Wie geht es ihr heute?«

»So lala, ich war mit ihr spazieren. Das hat ganz gut geklappt. Ich muss jetzt zu einem anderen Patienten. Können wir uns nachher im Aufenthaltsraum treffen? Dann werde ich Ihnen mehr erzählen.«

»Einverstanden.« Jana streckte die Hand aus und berührte Johann am Arm.

Er berichtete gern ausführlich darüber, wie Mutters Tag abgelaufen war. Manchmal war die Kranke vollkommen klar und erzählte ihm Geschichten aus ihrer Vergangenheit. Oft aber war sie ganz in ihren eigenen Kosmos verstrickt, sodass niemand an sie herankam, auch Tochter Jana nicht.

Dieser junge Pfleger war ein Geschenk des Himmels, fand Jana. Alle Heimbewohner liebten ihn, weil er so einfühlsam und verständnisvoll mit ihnen umging. Nie wurde er ungeduldig oder gar laut. Leider waren nicht alle vom Pflegepersonal so perfekt. Darum war Jana froh, wenn hauptsächlich er derjenige war, der sich um ihre Mutter kümmerte.

Als sie bei ihr eintrat, schaute Senta Bogner gerade fern. Ob sie wirklich verstand, was am Bildschirm ablief, war Jana nicht klar.

»Grüß dich, Mama, wie geht es dir?«

Man sah der Dreiundsechzigjährigen an, dass sie mal eine faszinierende Schönheit gewesen war. Sie hatte nur wenige Falten, das Haar war dicht und kräftig, und in ihrem Mund befanden sich noch all ihre eigenen Zähne. Auf Hygiene hatte sie immer großen Wert gelegt und auch Jana so erzogen.

»Grüß dich, mein Kind, was führt dich denn auf einmal hierher?«

»Ich war doch vorgestern hier bei dir.«

Jana beugte sich über ihre Mutter und gab ihr einen Kuss auf die glatte Wange. Kaum hatte sie ihre Worte ausgesprochen, wurde Jana klar, dass ihre Mutter mit Zeitangaben nichts mehr anfangen konnte. Heute, morgen, gestern, vor einem Jahr – das auseinanderzuhalten, gelang ihr nicht mehr.

»Ach, das ist doch schon eine Ewigkeit her. Du bist groß geworden.«

»Ich bin ja auch schon fünfundzwanzig«, bekannte Jana.

»Warst du schon bei Kurt?«

»Papa ist doch tot, Mama.«

»Ich habe gestern noch mit ihm gesprochen.« Senta ließ sich nicht beirren. »Er will, dass wir das Haus verkaufen und nach Kanada auswandern. Was hältst du davon? Dort gibt es sicher auch sehr gute Schulen.«

Jana seufzte tief. Sie merkte schon, dass sie ihre Mutter heute nicht erreichen würde. So blieb ihr nur die Hoffnung auf den nächsten Tag. Irgendwann, so viel war ihr schon klar, würde Mama ihr völlig entglitten sein.

Manchmal fürchtete sie, die Krankheit oder mindestens die Disposition dazu geerbt zu haben. Sie wusste, dass man einen Gentest machen lassen konnte, um das herauszufinden. Dazu konnte sie sich jedoch nicht entschließen. Falls er positiv sein würde, musste sie ständig mit diesem Damoklesschwert über ihrem Kopf leben. Das wollte sie nicht.

Allerdings stellte sie sich auch oft die Frage, ob die Unwissenheit leichter zu ertragen war.

»Ich bin müde«, meinte Senta Bogner.

»Dann mach ein Schläfchen, das wird dich bestimmt erfrischen.«

»Helfen Sie mir bitte ins Bett, Schwester?«

Als sie so dalag mit geschlossenen Augen, betrachtete Jana sie noch eine Weile. Was auch immer geschehen würde, sie war dankbar für die Jahre mit ihr ohne die Krankheit. Sie hatten sich immer gut verstanden. Nur während Janas Pubertät war es öfter zu Streitigkeiten gekommen.

»Ich liebe dich, Mama«, flüsterte Jana. »Ruh dich aus.«

Senta erwiderte nichts mehr. Sie schlief schon.

***

Hedwig Halberg saß mit ihrer älteren Schwester Maria am Esstisch im Erdgeschoss der Bogenhausener Villa. Die beiden aßen Kuchen und tranken Kaffee. Hedwig bediente sich zum wiederholen Mal, was Maria zu einem Räuspern veranlasste.

»Das ist das dritte Stück Käsesahne«, stellte sie fest.

Die sechzigjährige Hedwig ließ sich nicht stören.

»Wen kümmert es denn?«, meinte sie. »Ein bisschen Hüftgold schadet doch nicht. Ich will ja keinen Mann mehr bezirzen. Und außerdem schmeckt es so gut. Die Konditorei Huber ist nun mal die beste.«

»Es geht ja nicht darum, einem Mann zu gefallen. Übergewicht ist schlecht für die Gesundheit.«

»Ach, komm. Willst du mir jetzt mit einer Moralpredigt den Appetit verderben?«

»Ich meine ja nur«, entgegnete Maria jetzt schon etwas kleinlaut. Sie wollte keinen Streit mit ihrer Schwester. Wenn sie sich wirklich in die Haare gerieten, war der Ärger groß, und dann hing wieder tagelang der Haussegen schief. »Ich bin nur besorgt um dich. Du bist immer noch meine kleine Schwester.«

Dass ein Altersunterschied von sieben Jahren zwischen den beiden Frauen lag, sah man heute nicht mehr.

»Wir leben doch gut«, gab Hedwig zurück. »Warum sollte ich mich also einschränken? Die Jahre, die mir noch bleiben, will ich genießen.«

»Du hast ja recht«, pflichtete die Ältere der Jüngeren bei. »Wenn wir jetzt noch ein Enkelkind hätten ...«

»Ein Enkelkind hätte nur ich«, wurde sie sofort von Hedwig belehrt. »Du wärst bloß die Großtante.«

»Bloß die Großtante«, maulte Maria. »Du tust ja gerade so, als wenn das etwas Ehrenrühriges wäre.«

»Ist es nicht, aber ich allein bin die Großmutter. Das heißt, dass ich auch weitaus mehr Rechte hätte als du.«

Maria seufzte still in sich hinein. Jetzt bloß kein Wort mehr, sonst kippte die Stimmung.

»Na, erst muss das Enkelkind ja mal da sein. Und vorerst sieht es wohl nicht danach aus.«

»Ja, weil der Junge so oft von zu Hause weg ist. Er kann sich ja nicht zerteilen. Ist Jana oben?«

»Sie ist vor zwei Stunden weggegangen, ich habe sie nicht heimkommen gehört.«

»Wahrscheinlich hat sie wieder ihre verstörte Mutter besucht. Ich verstehe nicht, warum sie so oft dahin geht. Die Frau erkennt sie ohnehin nicht mehr.«

»Sprich nicht so abfällig. Sie ist doch Janas Mutter. Auch Demenzkranke haben noch Gefühle.«

»Ach, Maria, du mit deiner Gefühlsduselei.« Hedwig tupfte die letzten Kuchenkrümel mit dem Finger auf und leckte ihn ab. »Ich könnte glatt noch ein Stück verputzen, werde aber vernünftig sein. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Komm, wir räumen den Tisch ab. Den restlichen Kuchen stell bitte in den Kühlschrank. Und deck Klarsichtfolie darüber.«

»Aber sicher, Hedwig«, erwiderte Maria.

Hedwig behandelte sie oft wie ein Kind, dem man alles erklären musste, doch Maria unterließ es, dagegen aufzubegehren. Sie spielte hier im Haus sozusagen die zweite Geige. Hedwig war unwidersprochen die Chefin.

In diesem Moment betrat Jana das Haus.

»Hallo!«, rief sie. »Ich bin wieder da.«

»Na, endlich!«, rief Maria aus. »Wir haben uns schon gefragt, wo du so lang bleibst.«

»Ich musste noch mit Mutters Pfleger reden. Ihr braucht euch um mich keine Sorgen zu machen«, erwiderte Jana.

Hedwig und Maria hätten gern Auskunft gehabt über jeden ihrer Schritte außerhalb des Hauses, das wusste Jana nur zu gut. Aber den Gefallen würde sie den Schwestern nicht tun.

Auch Hedwig kam jetzt aus der Küche und betrachtete Jana kritisch.

Bevor eine Diskussion entstehen konnte, läutete Janas Handy. Ihr Liebster war dran. Grund genug für sie, sich in ihren Wohnraum zurückzuziehen und die Tür hinter sich zu schließen.

»Wie geht es dir, mein Schatz?«, wollte Fabian wissen.

Jana zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, doch dann entschied sie, ihre heutige Schwindelattacke nicht zu erwähnen. Fabian sollte sich keine Sorgen machen.

»Wann kommst du wieder nach Hause?«, fragte sie stattdessen.

»Spätestens nächste Woche. Ich kann es kaum noch erwarten.«

»Ach, Fabian, es wird Zeit, dass du endlich wieder dauerhaft bei mir bist.« Jana seufzte sehnsuchtsvoll.

»Es handelt sich wirklich nur noch um ein paar Wochen. Dann sind alle Standorte durchgeplant, und die Leute vor Ort können auch ohne mich weitermachen.«

»Ich vermisse dich schrecklich.«

»Ich dich auch. Hab Geduld, mein Schatz, bald ist die Zeit der Trennung vorbei. Wie geht's daheim? Sind Mutter und Tante wohlauf? Kümmern sie sich um dich?«

»Ja, mehr als genug. Das ist mir manchmal ein bisschen lästig. Sie möchten, dass ich die Tage mit ihnen verbringe und können gar nicht verstehen, dass ich auch mal Freundinnen treffen oder allein sein will.«

»Wenn sie dir auf den Wecker gehen, mach einfach die Tür hinter dir zu«, riet Fabian seiner Frau.

Er und Jana bewohnten den linken Flügel der großen Villa. Maria hatte im ersten Stock ein Zimmer, und Hedwig genügten zwei Räume im rechten Gebäudeteil.

Jana lachte leise. »Das hält sie auch nicht davon ab, an die Tür zu klopfen und zu fragen, ob mit mir alles in Ordnung ist.«

»Sie lieben dich eben. Genau so wie ich. Wenn ich zurück bin, werden wir intensiv über die Wohnsituation nachdenken. Vielleicht suche ich für die zwei Damen eine andere Bleibe.«

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, wandte Jana ein. »Die wollen hier nicht weg, sondern an unserem Leben teilnehmen. Und du weißt ja, dass du sie nicht einfach loswerden kannst.«

Das Haus gehörte Fabian allein. Aber der Vater hatte testamentarisch verfügt, dass seine Frau und deren Schwester darin ein Wohnrecht auf Lebenszeit hatten, falls sie es wünschten.

»Sicher können wir ihnen eine schöne Seniorenresidenz schmackhaft machen. Dann haben sie viel Gesellschaft mit Gleichaltrigen und können nach Herzenslust tratschen und klatschen. Das machen sie doch ohnehin am liebsten.«

Jana legte sich auf die Couch und lauschte mit geschlossenen Augen der Stimme des geliebten Mannes. Wenn er anrief, ging es ihr gut. Und dieses Wohlergehen hielt dann wieder für eine Weile an.

Nach dem Gespräch blieb sie noch eine Weile liegen und träumte sich in seine Arme hinein. Aber ein heftiges Geräusch ließ sie hochfahren. Doch es war nicht eine der Schwestern, die an die Tür klopften, sondern ihr eigenes Herz, das so laut zu hören war. Ebenso das Pulsieren der Halsschlagader. Angst fuhr ihr in die Glieder.

O Gott, was mache ich jetzt? Laut nach Hilfe rufen?

Sie versuchte, die Panik abzuwehren, die sich in ihr ausbreiten wollte. Jana erinnerte sich an die kleine Atemübung, die diese nette Frau Holl ihr beigebracht hatte und führte sie einige Mal durch. Es wurde besser.

Danach war sie bereit, sich den Fragen der Schwiegermutter zu stellen. Sie ging wieder zu den beiden Schwestern zurück. Hedwig löcherte sie natürlich sofort mit Fragen über Fabian; wollte wissen, wie es ihm ging, was er gesagt hatte, ob er ausreichend aß und schlief und überhaupt bei guter Gesundheit war.

»Darüber haben wir nicht gesprochen.«