Dr. Norden Bestseller 11 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 11 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »So, Evi, das hätten wir«, sagte Dr. Daniel Norden zu dem kleinen Mädchen, das vor ihm auf dem Stuhl saß. »Tut es noch weh?« Die Kleine betrachtete ihren verbundenen Finger. »Ein bisschen nur. Was sage ich denn Mami? Wenn ich sage, dass Baffy mich gebissen hat, bringt sie ihn wieder weg, aber er wollte ja gar nicht beißen, Onkel Doktor. Er wollte nur spielen, und da hat er ein bisschen zugezwickt. Baffy ist noch so klein. Er versteht es doch nicht.« Aber Evis Mutter, Frau Bernau, war leicht erregbar, und wie Dr. Norden wusste, war sie ohnehin dagegen gewesen, dass Evi von ihrem Vater einen Hund zum Geburtstag bekam. Wie sollte man ihr erklären, dass Baffy gar nicht beißen wollte? Baffy war ein kleiner Rauhaardackel und frech, wie die meisten seiner Rasse. Er hatte es sich auf Mollys Schoß bequem gemacht, während Evi im Sprechzimmer war. Molly, mit vollem Namen Helga Moll und alles andere als mollig, Dr. Nordens Sprechstundenhilfe, liebte Kinder und Hunde und überhaupt alle Tiere, von Schlangen und stechenden Insekten abgesehen. Gegen Insekten war sie allergisch, Schlangen waren für sie die Verkörperung der Falschheit. Schließlich war es eine Schlange gewesen, die Eva verführt hatte, von dem Apfel zu essen, und das hatte der Menschheit dann das ewige Paradies gekostet.

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Dr. Norden Bestseller – 11 –

Du darfst nicht verzweifeln

Ein komplizierter Fall für Dr. Norden

Patricia Vandenberg

»So, Evi, das hätten wir«, sagte Dr. Daniel Norden zu dem kleinen Mädchen, das vor ihm auf dem Stuhl saß. »Tut es noch weh?«

Die Kleine betrachtete ihren verbundenen Finger. »Ein bisschen nur. Was sage ich denn Mami? Wenn ich sage, dass Baffy mich gebissen hat, bringt sie ihn wieder weg, aber er wollte ja gar nicht beißen, Onkel Doktor. Er wollte nur spielen, und da hat er ein bisschen zugezwickt. Baffy ist noch so klein. Er versteht es doch nicht.«

Aber Evis Mutter, Frau Bernau, war leicht erregbar, und wie Dr. Norden wusste, war sie ohnehin dagegen gewesen, dass Evi von ihrem Vater einen Hund zum Geburtstag bekam. Wie sollte man ihr erklären, dass Baffy gar nicht beißen wollte?

Baffy war ein kleiner Rauhaardackel und frech, wie die meisten seiner Rasse. Er hatte es sich auf Mollys Schoß bequem gemacht, während Evi im Sprechzimmer war.

Molly, mit vollem Namen Helga Moll und alles andere als mollig, Dr. Nordens Sprechstundenhilfe, liebte Kinder und Hunde und überhaupt alle Tiere, von Schlangen und stechenden Insekten abgesehen. Gegen Insekten war sie allergisch, Schlangen waren für sie die Verkörperung der Falschheit.

Schließlich war es eine Schlange gewesen, die Eva verführt hatte, von dem Apfel zu essen, und das hatte der Menschheit dann das ewige Paradies gekostet. Molly, eine durch und durch romantische Natur, gab nicht etwa Eva die Schuld an diesem traurigen Ereignis, sondern dieser falschen Schlange. Frauen waren nun mal bestechlich. Damals war es ein schöner rotbackiger Apfel gewesen und heutzutage waren es halt verlockende Schaufensterauslagen, bei denen man schwach werden konnte.

Molly hatte das an diesem Morgen gerade durchgemacht, denn sie hatte ein ganz bezauberndes Kleid in einem Schaufenster gesehen, von dem sie auch jetzt noch träumte. Natürlich war es viel zu teuer. Sie konnte es einfach nicht vor ihrem Gewissen verantworten, mehr als dreihundert Mark für ein Kleid auszugeben, aber es spukte eben doch in ihren Gedanken herum.

Baffy dagegen hatte nicht mal Respekt vor ihrem weißen Kittel. Molly sprang auf, als ihr rechtes Bein feucht wurde. Erschrocken war Baffy zu Boden geplumpst und begann nun auch noch keck zu bellen.

»Baffy, du bist ein Ferkel«, sagte Molly. »Schau mal, was du da gemacht hast.«

Baffy legte den Kopf schief und die Ohren an. Sein treuherziger Hundeblick verriet keinerlei Schuldgefühle.

Aber vielleicht war ein solches doch in ihm, denn als es jetzt läutete und Molly den elektrischen Türöffner betätigte, raste er wie ein Blitz an der jungen Frau, die durch diese Tür hereingetaumelt kam, vorbei, und Molly konnte nichts tun, denn sie sah nun nur noch ein angstverzerrtes Gesicht und hörte eine tonlose Stimme immer wieder sagen: »Helfen Sie doch, ich habe ihn umgebracht, ich habe ihn umgebracht.«

Und dann kam die kleine Evi aus dem Sprechzimmer gelaufen und rief nach ihrem Baffy. Die nächsten Sekunden waren für Molly nur noch ein Albtraum, ein ganz wirres Durcheinander von Stimmen, Schluchzen, Kinderweinen und schließlich noch dem fröhlichen Gebell von Baffy, der sich zur Rückkehr entschlossen hatte.

Doch Dr. Daniel Norden konnte sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie man Evis Mutter beibringen sollte, dass Baffy das Kind in den Finger gebissen hatte, und er konnte auch die aufgeregte Molly nicht beschwichtigen. Er hatte die schwankende Frau aufgefangen und auf die Liege gebettet. Dort lag sie stocksteif mit aufgerissenen Augen und murmelte noch immer: »Ich habe ihn umgebracht.«

Seine Hände umschlossen ihre Schultern. Er schüttelte sie heftig.

»Wen haben Sie umgebracht?«, fragte er laut.

»Meinen Vater! Papi, Papi, lieber Papi.« Und dann wurde der schmale Mädchenkörper von einem jammervollen Schluchzen hin und her geworfen.

*

»Was soll ich denn bloß machen, Molly, was soll ich machen?«, jammerte Evi. »Ich traue mich nicht nach Hause mit dem verbundenen Finger. Mami wird schrecklich böse sein.«

»Ich kann dir jetzt auch nicht helfen, Evi«, murmelte Molly.

»Warum schreit die Dame so? Wen hat sie umgebracht?«, fragte Evi neugierig.

Molly war nur froh, dass niemand mehr im Wartezimmer saß und auch noch neugierige Fragen stellen konnte.

»Geh jetzt nach Hause, Evi«, sagte sie zu dem Kind.

»Aber wenn Mami nun meinen Baffy weggibt?«, jammerte die Kleine wieder. »Ich will ihn doch behalten. – Hat er etwa die Pfütze gemacht?«, fragte sie dann kleinlaut, auf den Teppich blickend.

»Ja, das hat er gemacht, aber das ist nicht so schlimm. Ich muss jetzt dem Onkel Doktor helfen, Evi. So rasch wird deine Mami Baffy schon nicht weggeben.«

Betrübt schlich Evi mit ihrem Baffy von dannen. Mollys Herzklopfen legte sich noch immer nicht. Sie hatte einen entsetzlichen Schrecken bekommen, als dieses Mädchen hereingetaumelt kam, und sie sah schon wieder unendliche Schwierigkeiten auf ihren Doktor zukommen.

Im ersten Augenblick und in der Aufregung um Baffy hatte sie die junge Dame nicht gleich erkannt, aber jetzt wusste sie wieder, wer das war. Beatrix Jakoby!

Erschrocken zuckte sie zusammen, denn im gleichen Augenblick sagte Dr. Norden diesen Namen.

»Es ist Beatrix Jakoby, Molly. Ich habe ihr eine Spritze gegeben. Passen Sie gut auf. Ich muss zu ihrem Vater fahren. Dort scheint etwas geschehen zu sein.«

Molly genügte es vorerst, was sie hier gehört hatte, denn nach ihren eigenen Worten hatte Beatrix jemanden umgebracht, so unvorstellbar das auch war.

Dieses stille, schüchterne, farblos wirkende Mädchen war fast schwächlich zu nennen. Dr. Daniel Norden hatte ihre Mutter behandelt, die vor einem knappen Jahr einen qualvollen Tod gestorben war. Beatrix war darüber wohl noch immer nicht hinweggekommen, und als sie vorhin hereingestürzt kam, hatte sie den Eindruck einer Geistesverwirrten gemacht.

Jetzt lag sie still da, mit maskenhaft starrem, blutleerem Gesicht, auf dem noch immer der Ausdruck maßloser Angst lag.

Dr. Norden fuhr währenddessen zu der stillen Straße, in der schon halb im Wald das Haus des Professors Jakoby stand. Es war eine alte Villa mit grauer Fassade. Es wirkte düster, fast unheimlich. Auf sein Läuten wurde ihm jedoch sofort geöffnet.

Eine alte Frau stand vor ihm in hochgeschlossenem schwarzem Kleid, das faltige Gesicht war hektisch gerötet, und die dünnen Lippen bewegten sich wortlos.

»Pauline«, sagte Dr. Norden, »erkennen Sie mich?«

Sie nickte mechanisch und machte eine vage Handbewegung zu einer Tür.

»Was ist geschehen?«, fragte er. Darauf schüttelte sie stumm den Kopf. Furcht stand in ihren trüben Augen, als sie wieder auf die Tür deutete, die nun plötzlich aufging. In ihrem Rahmen erschien eine bildschöne Frau.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«, fragte sie mit einer Stimme, die nicht zu diesem madonnenhaften Antlitz passen wollte, aber daran mochte die Erregung schuld sein, die sie nicht verbergen konnte.

»Ich bin Dr. Norden«, sagte Daniel. »Was ist mit Professor Jakoby?«

»Er hatte einen Schwächeanfall«, erwiderte die junge Dame.

»Darf ich fragen, wer Sie sind?«

»Seine Tochter. Mein Name ist Jacqueline Larring. Wer schickt Sie?«

»Fräulein Jakoby. Kann ich jetzt bitte Professor Jakoby sehen?«

»Ich habe die Haushälterin eben schon gefragt, welchen Arzt wir rufen könnten. Beatrix ist wie eine Wahnsinnige aus dem Hause gestürzt. Ich bin fremd hier.«

Sie war erregt, aber sie versuchte, sich den Anschein kühler Gelassenheit zu geben. Merkwürdig war das. Sie bezeichnete sich als Professor Jakobys Tochter, sagte aber auch, dass sie hier fremd sei.

Aber darüber wollte Dr. Norden jetzt nicht nachdenken. Er musste sich um den Kranken kümmern, und er stellte schnell fest, dass eilige Hilfe geboten war.

»Er muss in die Klinik«, sagte er.

»Kann man das über seinen Kopf hinweg bestimmen?«, fragte Jacqueline.

»Ich kann ihn nicht danach fragen, ob es ihm recht ist, aber Sie wollen doch nicht, dass er stirbt?«

Sie zuckte zusammen. »Steht es so schlimm?«, fragte sie tonlos.

»Es ist ein Herzinfarkt. Es besteht akute Lebensgefahr.«

Jacqueline wich zurück. In ihren Augen glomm Angst auf, und Hilfe suchend blickte sie sich um.

Dr. Norden ging etwas anderes durch den Sinn, als er zum Telefon griff. Beatrix hatte gesagt, sie hätte ihren Vater umgebracht. Irgendetwas musste vorgefallen sein, was ihn in höchste Erregung versetzt hatte, wobei man nicht ausschließen konnte, dass in seinem Körper bereits die Bereitschaft zu einem Infarkt bestand. Paulines Gesichtsausdruck sprach Bände, Dr. Norden konnte es sehen, als er telefonierte. Sie war mit der Anwesenheit dieser schönen jungen Frau nicht einverstanden.

»Der Krankenwagen wird kommen«, sagte er. »Wie lange liegt Professor Jakoby schon so?«

»Eine Stunde«, erwiderte Pauline.

Motorengeräusch war zu vernehmen, noch zu früh, als dass es schon der Krankenwagen sein konnte. Jacqueline stürzte hinaus, und durch das Fenster konnte Daniel beobachten, wie sie einen Mann umarmte, der einem auffälligen, goldmetalligen Wagen entstiegen war.

»Wann ist Frau Larring gekommen?«, fragte Dr. Norden Pauline.

»Heute Morgen. Sie ist …« Aber sie kam nicht weiter, denn der Kranke stöhnte wieder, und Daniel beugte sich über ihn.

»Nicht, Jacqueline«, flüsterte Professor Jacoby, »Trixi …« Aber zu mehr reichte seine Kraft nicht, und wenn es nicht gelang, ihn am Leben zu halten, würde wohl nie jemand erfahren, was er hatte sagen wollen.

Der Krankenwagen kam.

Zu Daniels Überraschung war der Mann mit dem auffälligen Wagen wieder fortgefahren.

»Würden Sie mir bitte sagen, in welche Klinik mein Vater gebracht wird?«, fragte Jacqueline Larring. In ihren grünen Nixenaugen war ein undeutbarer Ausdruck.

»In die Behnisch-Klinik«, erwiderte Dr. Norden kurz. Er fuhr dem Krankenwagen nach.

Jacqueline drehte sich zu Pauline um. »Was haben Sie ihm gesagt?«, fragte sie.

»Nichts, ich weiß doch selber nichts«, erwiderte Pauline abweisend. »Ich weiß nur, dass Beatrix sich schrecklich aufgeregt hat, und das weiß Dr. Norden auch.«

»Wo ist Beatrix?«

»Ich weiß es nicht.«

»Warum so feindselig, Pauline?«, fragte Jacqueline freundlich. »Ich gehöre doch schließlich auch zur Familie. Mein Vater hat mich kommen lassen.«

»Er hat nie von Ihnen gesprochen«, stieß Pauline hervor. »Er hat auch zu Beatrix nie von Ihnen gesprochen.«

»Wie wollen Sie das wissen? Vielleicht wollte Beatrix meine Existenz nur nicht wahrhaben. Jedenfalls war sie es, die diesen Zusammenbruch meines Vaters verursacht hat, nicht ich. Ich werde jetzt jedenfalls bleiben. Wenn es Ihnen nicht passt, können Sie gehen.«

»Ich gehe, wenn der Herr Professor es wünscht«, erklärte Pauline aggressiv. »Sonst nicht.«

Professor Arno Jakoby lag unter dem Sauerstoffzelt. Dass sein Zustand bedenklich war, musste auch Dr. Behnisch bestätigen.

Daniel Norden bat seinen Freund darum, alles zu notieren, was der Kranke eventuell sagen würde. Er musste wieder in seine Praxis zurück und sich um Beatrix kümmern.

Drüben in seiner Wohnung beugte sich Fee Norden über die Wiege, in der ihr kleiner Sohn schon ganz munter strampelte.

»Dein Papi hat heute wieder gar keine Zeit für uns, Danny«, sagte sie. »Wenn du mich nicht so in Atem halten würdest, könnte ich ihm wenigstens ein bisschen helfen.«

Aber anrufen wollte sie doch mal in der Praxis, und sie wunderte sich, dass Molly immer noch da war. »Ist denn so viel los heute?«, fragte Fee.

Merkwürdig ausweichend war Mollys Antwort, und das machte Fee stutzig.

Wenn Daniel einen Krankenbesuch machte, warum war Molly dann noch in der Praxis? Die Sprechstunde war doch längst beendet.

»Nun sei mal friedlich, mein Sohn«, sagte sie zu dem Baby. »Ich möchte doch mal sehen, was da unten los ist.«

Frau Dr. Felicitas Norden, selbst Ärztin, hatte immer ihre Ahnungen, wenn sich etwas Außergewöhnliches ereignete.

Und als sie unten durch die Tür trat, sagte Molly seufzend: »Ich dachte es mir doch gleich, dass Sie sich mit meiner Auskunft nicht zufriedengeben würden.«

»Also, was ist wieder los?«, fragte Fee.

*

Vor ihrer Mutter stand Evi Bernau mit auf dem Rücken verschränkten Händen. Baffy umstrich ihre Beine, als könnte er kein Wässerchen trüben.

Marina Bernau war eine hübsche Frau, und sie liebte ihr Töchterchen, aber sie war nicht damit einverstanden, dass ihr Mann dem Kind jeden Wunsch erfüllte.

Um diesen hübschen Bungalow abzahlen zu können, den sie sich gebaut hatten, musste Marina halbtags arbeiten. Sie konnte das als Modezeichnerin zwar daheim, aber bei ihrer Arbeit musste sie schon konzentriert sein, und sie fand, dass Evi noch zu klein war, um sich richtig um einen Hund zu kümmern und ihn auch zu erziehen. Die vielen Pfützen, die Baffy schon auf dem teuren Teppichboden hinterlassen hatte, störten sie gewaltig.

»Na, was ist wieder passiert?«, fragte sie, als Evi mit möglichst unschuldsvoller Miene zu ihr aufblickte.

»Nichts Schlimmes, Mami«, versicherte Evi sofort. »Bei uns nicht. Du musst dich nicht aufregen. Baffy hat mich nur ein ganz klein bisschen in den Finger gezwickt beim Spielen, aber ich war schon bei Dr. Norden, und er hat auch gesagt, dass es nicht schlimm ist, und dass du deswegen Baffy nicht gleich weggeben musst. Aber dann ist da was passiert«, fuhr sie überstürzt fort, um ihre skeptische Mutter von ihrem Finger abzulenken. »Es war schrecklich aufregend, Mami. Das Mädchen vom Waldhaus ist angelaufen gekommen und hat geschrien, dass sie wen umgebracht hat. Bestimmt, Mami, ich habe es mir nicht ausgedacht.«

»Du willst mich ablenken, Evi«, sagte Marina Bernau. »Zeig deinen Finger her.«

»Ist doch eingebunden«, erwiderte Evi, »aber das mit dem Mädchen vom Waldhaus stimmt, Mami. Ich habe sie erkannt, wenn sie auch ganz schrecklich aussah. Du kennst sie doch auch. Du hast doch schon mit ihr geredet.«

Nun war Marina Bernau tatsächlich von dem Finger und von Baffy abgelenkt. Beatrix Jacoby hatte schon lange ihr Mitgefühl erregt.

Dr. Bernau, von Beruf Rechtsanwalt, hatte für Professor Jakoby einiges erledigt. Dadurch kannte man sich, wenn auch nur flüchtig.

»Hast du dich auch nicht getäuscht, Evi?«, fragte Marina Bernau.

»Es war das Mädchen aus dem Waldhaus, Mami. Ganz sicher. Wir waren bloß aufgeregt, weil Baffy ausgebüchst war, aber er kam gleich wieder, und Molly war auch nicht böse, weil er ein Pfützchen gemacht hat.«

»Lieber Gott, muss er denn überall seine Visitenkarte hinterlassen«, sagte Marina seufzend, aber ihre Gedanken waren doch mehr auf Beatrix Jakoby konzentriert.

»Wen mag sie denn umgebracht haben, Mami?«, fragte Evi naiv.

»Du hast dich sicher verhört, Evi«, lenkte Marina ab.

»Nein, ich habe mich nicht verhört. Und Molly hat sich auch aufgeregt.«

»Und nun sagst du mir mal genau, was mit deinem Finger ist«, sagte Marina Bernau energisch, um Evi auf andere Gedanken zu bringen.

»Aber Baffy kann bei uns bleiben, gell?«, vergewisserte sich die Kleine erst.

»Ja«, erwiderte Marina seufzend. »Aber er wird jetzt erzogen. Unnachsichtig!«

Ob Baffy das verstand? Er war die Sanftmut in Person, und als ahne er schreckliches Unheil, war er von Stund an stubenrein.

*

Besorgt hatte Fee das junge Mädchen betrachtet, das sich noch immer nicht rührte. Sie hörte Daniel kommen, und schon war er neben ihr.

»Gehört sich das für eine gute Mami?«, versuchte er zu scherzen.

»Danny kann nicht aus der Wiege springen, und er kann ruhig auch mal schreien. Was hat das zu bedeuten, Daniel?«

»Wenn ich das nur wüsste! Professor Jakoby hatte einen Herzinfarkt. Ich habe ihn in die Behnisch-Klinik bringen lassen.«

»Molly sagte mir, dass sie davon gesprochen hat, jemanden umgebracht zu haben.«

»Sie hat einen Nervenzusammenbruch, Fee. Ich habe schon mit Dieter gesprochen. Ich werde sie auch in die Klinik bringen.«

»Was bedeuten ihre Worte, Daniel?«, fragte Fee nachdenklich.

»Ich kann nur die Erklärung finden, dass ihr Vater bei einem Gespräch mit ihr zusammenbrach und sie sich nun einfach einbildet, er wäre tot und sie wäre schuld daran.«

»Schau dir dieses arme Ding an«, murmelte Fee. »Wie alt ist sie?«

»Zwanzig. So ungefähr jedenfalls.«

»Der Körper einer Fünfzehnjährigen, die eine Hungerkur gemacht hat, und ein Gesicht, aus dem man alles Leid der Welt lesen kann«, sagte Fee.

»Sie hat sehr unter dem Tod ihrer Mutter gelitten. Was mir nicht begreiflich ist, dass jetzt plötzlich eine Schwester auftaucht.«

»Was für eine Schwester?«, fragte Fee.

»Eine sehr attraktive junge Frau, die behauptet, Professor Jakobys Tochter zu sein. Sie heißt Larring, Jacqueline Larring.«

»Warum sollte er nicht noch eine Tochter haben, die verheiratet ist? Wie lange kennst du ihn?«

»Etwas mehr als ein Jahr. Als Frau Jakoby todkrank war, hat sich diese schöne Tochter jedenfalls nicht blicken lassen.«

»So etwas soll häufiger der Fall sein«, meinte Fee. »Psst, sie rührt sich.«

Langsam schlug Beatrix Jakoby die Augen auf. »Papi«, flüsterte sie, »es hat ihn umgebracht.«

Jetzt sagte sie nicht: »Ich habe ihn umgebracht. Es hat ihn umgebracht«, hatte sie gesagt, ganz deutlich vernehmbar.

Daniel griff nach ihrer Hand. »Erkennen Sie mich, Fräulein Jakoby?«, fragte er langsam und betont.

»Dr. Norden«, erwiderte sie schleppend. »Papi ist tot.«

»Nein, er ist nicht tot. Er ist in der Klinik. Seien Sie jetzt ganz ruhig.«

»Ist sie fort?«, fragte Beatrix geistesabwesend.

»Wen meinen Sie?«, fragte er, obgleich er es ahnte.

»Mrs Larring. War sie da? War sie bei Papi?« Sie begann zu zittern.

»Nein, beruhigen Sie sich, Beatrix«, sagte Dr. Norden. »Ich werde Sie jetzt auch in die Klinik bringen. Sie können Ihren Vater sehen. Er lebt.«

Gott gebe es, dachte er für sich. Er hegte die schlimmsten Befürchtungen für Beatrix Jakoby, falls der Professor doch nicht überleben sollte. Dieses Mädchen befand sich in einem totalen Erschöpfungszustand und das nicht allein. Sie war voller Furcht und ohne Widerstandskraft.

»Ich will Papi sehen«, flüsterte sie wie ein angstvolles Kind.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte Dr. Norden.

Beatrix richtete sich auf. Jetzt erst sah sie Fee.

»Wer ist das?«, fragte sie.

»Meine Frau«, erwiderte Daniel.

Beide stützten sie das Mädchen, aber ein trotziger Zug legte sich um Beatrix’ Mund.

»Ich kann allein gehen«, sagte sie leise. »Sagen Sie mir bitte, wo die Klinik ist.«