Dr. Norden Bestseller 2 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 2 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »So, jetzt tut es mal ein bißchen weh, Herr Gradel«, sagte Dr. Daniel Norden zu seinem Patienten. »Aber dann haben wir es geschafft.« »Wenn ich mich schon so dämlich anstelle, gehört es mir nicht anders«, sagte der biedere grauhaarige Hausmeister, der mit dem Daumen in die Brotschneidemaschine gekommen war. »Meine gute Hilde fehlt mir halt an allen Ecken und Enden.« Dr. Norden hatte den Schnitt, der tiefgegangen war, geklammert und einen Schutzverband darübergelegt. »Nun wird Ihre Frau ja bald wieder zurückkommen«, sagte er aufmunternd, »gut erholt und frei von allen Beschwerden.« »Es muß das reinste Paradies sein«, sagte Herr Gradel. »Klingt ja auch schon so. Insel der Hoffnung. Es war sehr nett von Ihnen, daß Sie meine Frau dorthin geschickt haben. Sie hat die Erholung nötig gebraucht. Und bis sie zurückkommt, wird der Daumen wohl auch wieder verheilt sein, sonst sagt sie wieder, daß man mich nicht allein lassen kann. Aber Sie können wirklich alles, Herr Doktor.« »Alles auch nicht«

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Dr. Norden Bestseller – 2 –

Hat das Leben seinen Sinn verloren?

Patricia Vandenberg

»So, jetzt tut es mal ein bißchen weh, Herr Gradel«, sagte Dr. Daniel Norden zu seinem Patienten. »Aber dann haben wir es geschafft.«

»Wenn ich mich schon so dämlich anstelle, gehört es mir nicht anders«, sagte der biedere grauhaarige Hausmeister, der mit dem Daumen in die Brotschneidemaschine gekommen war. »Meine gute Hilde fehlt mir halt an allen Ecken und Enden.«

Dr. Norden hatte den Schnitt, der tiefgegangen war, geklammert und einen Schutzverband darübergelegt.

»Nun wird Ihre Frau ja bald wieder zurückkommen«, sagte er aufmunternd, »gut erholt und frei von allen Beschwerden.«

»Es muß das reinste Paradies sein«, sagte Herr Gradel. »Klingt ja auch schon so. Insel der Hoffnung. Es war sehr nett von Ihnen, daß Sie meine Frau dorthin geschickt haben. Sie hat die Erholung nötig gebraucht. Und bis sie zurückkommt, wird der Daumen wohl auch wieder verheilt sein, sonst sagt sie wieder, daß man mich nicht allein lassen kann. Aber Sie können wirklich alles, Herr Doktor.«

»Alles auch nicht«, erwiderte Dr. Norden lächelnd. Sein interessantes Gesicht wirkte durch dieses Lächeln noch anziehender.

»Den Krankenschein bringe ich noch«, sagte Herr Gradel.

»Ach was, schon erledigt«, erwiderte Dr. Norden. »Sie sind ja auch immer für uns da.«

»Wenn nur alle hier im Haus so nett wären wie Sie«, sagte der Mann, »aber bei manchen meint man ja, es macht ihnen Spaß, einen zu schikanieren.«

Das wußte Dr. Daniel Norden auch. Unfreundliche Zeitgenossen gab es überall, und welcher Hausmeister konnte es schon allen recht machen? Dabei war Herr Gradel wirklich ein zuverlässiger und stets freundlicher Mann, der mit allem Bescheid wußte. Nur mit der Brotschneidemaschine konnte er anscheinend nicht umgehen. Aber vielleicht war er wieder einmal mit seinen Gedanken bei seiner Frau gewesen, die nun schon die vierte Woche auf der Insel der Hoffnung weilte, jenem Sanatorium, dessen Initiator Daniel Nordens Vater gewesen war und das von Dr. Johannes Cornelius geleitet wurde.

Einen solchen Erholungsaufenthalt hätte sich Hilde Gradel nie leisten können. Von der Krankenkasse wäre sie irgendwohin geschickt worden, wo sie sich wahrscheinlich todunglücklich gefühlt hätte, denn die Trennung von ihrem Mann, mit dem sie über dreißig Jahre verheiratet war, fiel ihr schwer. Aber auf der Insel der Hoffnung brauchte sie sich nicht fremd zu fühlen. Dort herrschte der gleiche Geist, mit dem Dr. Daniel Norden auch seine Stadtpraxis betrieb, mit großem menschlichem Verständnis für seine Patienten, gleich, ob arm oder reich, mit leidenschaftlicher Hingabe an seinen Beruf, wie es einst sein Vater auch gehalten hatte.

Wenn man Daniel Norden nur flüchtig kannte, traute man es ihm nicht zu, daß er ein so gemütvoller Arzt war. Er wirkte eher wie ein Sportsmann, und nach seiner äußeren Erscheinung hätte man ihn auch für einen Filmstar halten können. Das war wohl auch ein Grund dafür, daß viele Frauen zu ihm kamen. Was ihn daran ein wenig störte, war die Tatsache, daß jede meinte, er müsse Zeit für ein Plauderstündchen haben.

Helga Moll, seine Sprechstundenhilfe, von ihm Molly genannt, mußte da manchmal ganz energisch, wenn auch mit aller Diskretion, einschreiten. Sie machte das allerdings sehr geschickt. Auch jetzt wieder, als Frau Brehmer gar keine Anstalten machte zu gehen.

»Dringender Anruf, Herr Doktor«, schallte es aus der Sprechanlage. »Herz­anfall.«

»Sie entschuldigen, gnädige Frau«, sagte Dr. Norden zu Frau Brehmer. »Sie haben es vernommen.«

Wohl oder übel mußte sie jetzt gehen. »Lassen Sie sich doch nicht so hetzen«, sagte sie mit einem süßlichen Lächeln. »Das haben Sie doch gar nicht nötig.«

»Wenn ein Menschenleben auf dem Spiel steht?« fragte er, obgleich er annahm, daß Molly einmal wieder zu einer energischen Maßnahme Zuflucht genommen hatte, um die anhängliche Frau Brehmer aus der Praxis zu vertreiben.

Dem war aber nicht so. Der Notruf war wirklich gekommen. Und zwar von der Frau des Hoteliers Kürten. Schon der zweite Herzanfall innerhalb von vier Wochen.

Es war gut, daß Frau Brehmer die letzte Patientin gewesen war. Sie richtete es immer so ein, weil sie dann hoffte, daß Dr. Norden länger Zeit für sie haben würde.

Dr. Norden dachte daran nicht mehr, als er auf schnellstem Wege zu dem Hause der Kürtens fuhr, das in einer stillen Straße der Villenkolonie lag.

Ein sehr blasses, zierliches junges Mädchen öffnete ihm.

»Dr. Norden?« fragte sie leicht überrascht, doch scheu und bebend. »Ich bin Astrid Kürten. Papa geht es gar nicht gut.«

Dr. Norden schenkte ihr keine weitere Beachtung. Er eilte schon die Treppe hinauf, an deren oberem Absatz Frau Kürten mit sorgenvoller Miene stand.

»Diesmal ist es noch schlimmer«, sagte sie leise. Davon konnte er sich gleich darauf überzeugen.

»Diesmal muß Ihr Mann in die Klinik«, sagte er, nachdem er dem Kranken eine Spritze gegeben hatte. »Die Verantwortung, ihn zu Hause zu lassen, kann ich nicht übernehmen.«

»Aber Sie kennen doch meinen Mann«, sagte Frau Kürten erregt.

»Er muß unter ein Sauerstoffzelt«, sagte Dr. Norden, und schon war er auf dem Wege zum Telefon. Hier war höchste Eile geboten, und doch ahnte er noch nicht, daß das blasse junge Mädchen, das zitternd an der Tür lehnte, ihn einmal noch bedeutend mehr beschäftigen würde als ihr Vater.

Er verständigte die Klinik und bestellte den Krankenwagen.

»Ich werde ihn persönlich zu Professor Manzold bringen«, sagte er zu Astrid Kürten. »Nun weinen Sie doch nicht gleich. Ihrem Vater kann doch geholfen werden.«

Es läutete an der Tür. Es war noch nicht der Krankenwagen. Es war ein junges Mädchen, sehr hübsch und quicklebendig. Das Gegenteil von Astrid Kürten.

»Was ist denn bei euch los?« fragte sie.

»Papa ist schwer krank«, erwiderte Astrid unglücklich.

»Dann rühre ich mich später. Ich wollte dir nur verkünden, daß ich mich mit Wolf verlobt habe, Astrid.«

Ziemlich taktlos, dachte Dr. Norden, und er sah, wie Astrid schwankte.

»Herr Kürten ist sehr krank«, sagte er zu dem Mädchen, der nun glühende Röte ins Gesicht schoß.

»Entschuldigung, das war dumm von mir«, sagte sie. »Tut mir leid, Astrid. Alles Gute für deinen Vater.«

Dann sah sie Dr. Norden mit einem leicht herausfordernden Blick an. »Sie sollten sich vielleicht auch mal um Astrid kümmern«, sagte sie.

»Ich bin nicht krank«, stieß Astrid hervor, doch dann kam der Krankenwagen.

Das Mädchen verschwand schnell.

Dr. Norden bemerkte noch, daß Astrid mühsam nach Fassung rang, dann bemühte er sich um seinen Patienten, und wenig später fuhr er hinter dem Krankenwagen her zur Klinik.

*

Melanie Kürten hatte sich den Mantel angezogen. »Ich möchte auch zur Klinik fahren«, sagte sie. »Begleitest du mich, Astrid?«

»Ja, Mama«, erwiderte sie gehorsam wie ein kleines Mädchen.

»Deine Freundin Lilly ist sehr robust«, bemerkte Frau Kürten nebenbei. »Aber es wäre ganz gut, wenn du etwas von ihrem Selbstbewußtsein hättest.«

»Das habe ich nun mal nicht«, sagte Astrid trotzig.

»Habe ich richtig gehört, sie hat sich mit Wolf verlobt?« fragte Frau Kürten.

»Du hast richtig gehört«, erwiderte Astrid mit zitternder Stimme. »Aber ist Papa nicht wichtiger?«

»Natürlich ist er wichtiger, aber du machst mir auch Sorgen, Kleines.«

Sie machte sich ehrliche Sorgen um ihre Tochter. Sie war eine gute Mutter. Es tat ihr immer wieder weh, daß Astrid so gar nichts aus sich zu machen verstand. Ihre einzige Tochter, die sich doch alles erlauben könnte, und dazu war sie doch ein sehr intelligentes Mädchen.

Vor einem Jahr hatte sie ihr Abitur glänzend bestanden, dann noch ein Jahr die Hotelfachschule besucht. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen, denn sie wollte in den väterlichen Betrieben arbeiten. So richtig ernst genommen hatten ihre Eltern diesen Wunsch nie, aber dieses eine Mal hatte Astrid ihren Willen durchgesetzt.

In sie hineinschauen konnte man nicht. Während Melanie Kürten mit Astrid im Wartezimmer der Klinik saß, versuchte sie es, aber sie mußte wieder einmal feststellen, daß ihre Tochter ihr ein Rätsel war.

Sie hat mir Wolf weggenommen, dachte Astrid. So einfach war das für sie, und ich habe gedacht, sie sei meine Freundin.

So etwas durfte sie nicht denken! Ihr Vater schwebte in Lebensgefahr. Ihr Vater mußte ihr mehr bedeuten als Wolfgang Bender.

*

Karl Kürten war indessen schon wieder bei Bewußtsein, und gleich begehrte er wieder auf. Dr. Norden hatte das schon erwartet, als der Kranke die Augen aufschlug. Er kannte ihn, diesen Mann, der sich nicht unterkriegen lassen wollte, der nie aufgab. Und er mochte ihn, weil er wußte, daß sein Lebenswille stärker war als sein Herz.

»Was soll das bedeuten?« fragte Karl Kürten.

»Daß Sie unter einem Sauerstoffzelt liegen und die ärztlichen Anweisungen befolgen müssen«, erwiderte Dr. Norden trocken.

»Das können Sie nicht mit mir machen«, begehrte der Kranke auf.

»Sie dürfen jetzt auch nicht reden«, sagte Daniel Norden energisch. »Oder wollen Sie, daß mir der Vorwurf gemacht wird, ich hätte meine Pflichten versäumt?«

Damit konnte er ihn am ehesten zum Schweigen bringen. Karl Kürten war ein gerechtdenkender Mann, der keinem anderen Menschen Schwierigkeiten bereiten wollte.

Er hatte sein Leben lang gearbeitet und nicht auf seine Gesundheit geachtet. Er gönnte sich kaum einen Urlaub, und man mußte schon schweres Geschütz auffahren, um ihm klarzumachen, daß das Herz der Motor des Menschen war und ab und zu eben auch einer Überholung bedurfte.

»Hoffentlich regt Melanie sich nicht zu sehr auf«, sagte er, »und dann, Herr Doktor, kümmern Sie sich auch mal um meine Kleine.«

Das war innerhalb kurzer Zeit zum zweitenmal, daß ihn jemand dazu aufforderte. Zuerst dieses resolute Mädchen, dann der besorgte Vater.

»Werden Sie jetzt erst mal gesund«, sagte Dr. Norden.

»Das kommt nur vom Wetter«, sagte Karl Kürten.

»Das ist das Herz«, erklärte Dr. Norden mit ernstem Nachdruck. »Darüber werden wir uns einmal ganz ernsthaft unterhalten. Professor Manzold versteht keinen Spaß, lieber Herr Kürten.«

»Und Sie drücken sich.«

»Ich drücke mich nicht. Sie dürfen mir schon zutrauen, daß ich genau weiß, wann der Hausarzt nicht ausreicht.«

»Ich habe aber zu keinem andern Arzt Vertrauen.«

»Zu Professor Manzold können Sie es haben. Und nun seien Sie einmal vernünftig, Herr Kürten.«

Frau Kürten konnte er wenigstens beruhigen. Dabei sah er sich Astrid genauer an. Blaß, schlecht durchblutet war sie und sehr zart. Aber er konnte sie nicht einfach zu einer gründlichen Untersuchung zitieren.

»Morgen können Sie Ihren Mann kurz besuchen, Frau Kürten«, sagte er. »Ich werde auf dem laufenden gehalten.«

Für eine Mittagspause hatte er kaum noch Zeit. Sein gutes, treues Lenchen wartete wieder mal mit dem Essen, und er würgte nur ein paar Bissen hinunter. Seine Wohnung lag im Penthouse des Gebäudes, in dem sich auch seine Praxis befand. Es war eine ebenso komfortable wie gemütliche Wohnung, deren Ruhe er aber leider viel zu selten genießen konnte.

Er mußte jetzt noch eine ganze Anzahl Krankenbesuche machen, und um vier Uhr begann schon wieder die Sprechstunde. Aber so viel Zeit nahm er sich doch, einmal das Sanatorium anzurufen, die Insel der Hoffnung, denn er wollte die Stimme von Felicitas Cornelius hören, von seiner kleinen Fee, mit der er sich nun doch zusammengerauft hatte.

Aber sie war nicht da. Er konnte nur mit Anne Fischer sprechen, die die Verwaltung des Sanatoriums leitete. Dr. Cornelius war gerade bei einer Untersuchung. Sonst sei alles in Ordnung, erklärte ihm Anne. Sie wären voll belegt, und eine Menge Anmeldungen lägen bereits vor.

Und Fräulein Dr. Cornelius sei nicht erreichbar? Daniel fragte es mit einem unterschwelligen Gefühl der Eifersucht. Sehr formell, so, wie er es mit Fee verabredet hatte, denn ihre privaten Beziehungen waren noch ganz inoffizielle.

Für Anne Fischer allerdings nicht. Sie hörte die Ungeduld aus seiner Stimme und lächelte.

»Nein, heute und morgen nicht. Sie ist weggefahren«, erwiderte sie.

Daniel fragte nicht mehr. Er war gekränkt und sogar ein bißchen zornig. Wohin ist sie gefahren? überlegte er. Warum hat sie mich nicht angerufen? Und geschrieben hat sie schon eine ganze Woche nicht.

Aber deshalb konnte er seine Patienten nicht warten lassen. Lenchen sah ihm kopfschüttelnd nach, als er grußlos an ihr vorbei zur Tür hinausstürmte. Dem pressiert’s aber wieder mal, dachte sie. Eigentlich aber war sie es gar nicht von ihm gewohnt, daß er so ein finsteres Gesicht machte.

Als Dr. Norden unten aus dem Lift stieg, stand jenes junge Mädchen vor ihm, das er am Vormittag schon in der Villa Kürten gesehen hatte, und jetzt wußte er auch, woher sie ihm bekannt war. Sie arbeitete in einem der Büros, die sich hier im Hause befanden.

Lilly Friedingers Mittagspause war beendet. »Entschuldigen Sie bitte einen Augenblick, Herr Dr. Norden«, sagte sie zurückhaltend. »Darf ich mich erkundigen, wie es Herrn Kürten geht?«

»Den Umständen entsprechend«, erwiderte er. »Ich muß weiter.«

»Ich hätte Sie auch gern konsultiert«, sagte sie.

»Bitte, die Sprechzeiten stehen an der Tür.«

Er eilte zu seinem Wagen. Im allgemeinen war er nicht so kurz angebunden, aber er erinnerte sich jetzt gut an die Taktlosigkeit dieses Mädchens, und außerdem war er mit seinen Gedanken bei Fee. Wo mochte sie nur sein?

*

»Dr. Norden hat angerufen«, sagte Anne Fischer zu Dr. Cornelius. »Er wollte Fee sprechen.« In ihren Augen blitzte es schelmisch.

Dr. Cornelius konnte sich nur freuen, daß das Leid aus diesen schönen, warmen Augen verschwunden war.

»Fee will ihn überraschen«, sagte Dr. Johannes Cornelius.

»Ich habe nichts verraten«, erwiderte Anne Fischer mit einem flüchtigen Lächeln.

»Sie bekommen einmal einen tüchtigen Schwiegersohn, Johannes.«

»Soweit ist es noch nicht«, erwiderte er. »Gut Ding will Weile haben, und das ist auch recht so.«

»Sie möchten Fee noch hierbehalten«, meinte Anne nachsichtig.

»Ist das nicht zu verstehen?« fragte er. »Ich hatte es mir so schön vorgestellt, Fee hatte es sich doch auch gewünscht, aber Daniel will die Praxis sicher noch ein paar Jahre behalten, bevor er sich entscheidet, hierherzukommen.«

»Das wird allerdings auch notwendig sein, wenn er uns so viele Patienten schickt, die für die entstehenden Kosten gar nicht aufkommen können«, meinte sie sachlich. »Sonst geraten wir bald in die roten Zahlen.«

»Sein Vater hat es sich so vorgestellt, Anne, und daran hält sich Daniel«, sagte Dr. Cornelius. »Reiche Leute können sich jeden Sanatoriumsaufenthalt leisten. Die Armen müssen mit dem vorliebnehmen, was man ihnen zugesteht. Hier soll es nicht so sein, und damit haben wir doch schon ganz gute Erfahrungen gemacht. Die Menschen finden nicht nur zurück zur Natur, sondern auch Kontakt zu ihren Mitmenschen, die vom Schicksal nicht so begünstigt sind. Sie halten das doch auch für richtig, Anne.«

»Ich schon, aber das Bankkonto nicht. Allerdings haben wir schon ein paar edle Spender. Von Herrn Delorme sind heute fünftausend Euro überwiesen worden. Er vergißt uns wirklich nicht.«

»Er vergißt vor allem Katja nicht, wie es scheint. Sie hat heute einen Brief von ihm aus Barcelona bekommen.«

»Ihnen entgeht auch nichts, Johannes«, sagte sie im Neckton.

»Ich interessiere mich für Briefmarken«, erwiderte Dr. Cornelius schmunzelnd.

Katja Fischer, Annes Tochter, hatte in ihrem jungen Leben schon viel leiden müssen. Im vergangenen Winter war sie beim Skifahren mit ihrem Verlobten in eine Lawine geraten. Er war dabei getötet worden und sie durch den Schock lange Monate gelähmt gewesen. Eine Schocklähmung, die sich dann behoben hatte, als sie hier auf der Insel der Hoffnung den jungen Pianisten David De­lorme kennenlernte.

Es war nun nicht so, daß Katja gleich wieder frisch und munter war von einer Stunde zur andern. Sie mußte sachgemäß behandelt werden. Aber Anne Fischer, die auch ihren Mann verloren hatte, ein paar Monate, bevor der nächste Schicksalsschlag sie traf, konnte sich nun schon freuen, welche Fortschritte Katjas Genesung machte, wie sicher sie jetzt schon ohne Stock gehen konnte.

An diesem Tag kam sie schon ganz beschwingt daher. Ihr zartes Gesicht war rosig überhaucht.

»David hat aus Barcelona geschrieben«, erzählte sie freudig. »Er hat riesigen Erfolg. Anschließend macht er eine Südafrika-Tournee, und dann will er sich wieder ein paar Wochen hier ausruhen. Hättest du das gedacht, Mutti?«

»Es freut mich«, sagte Anne, aber sie dachte auch dabei, daß Katja sich hoffentlich nicht zu große Hoffnungen in bezug auf David Delorme machte. Ein Künstler von seinem Rang war dauernd unterwegs in aller Welt, und er wurde von den Frauen umschwärmt. Sie wünschte Katja ein beständiges Glück. Ja, sie wünschte es von ganzem Herzen für ihr einziges Kind, das alles war, was ihr von einem großen Glück geblieben war. Allerdings konnte sie nicht übersehen, daß David regelmäßig schrieb. Das würde er wohl nicht tun, wenn sie ihm nicht viel bedeuten würde.

»Ob Fee nicht vergißt, mir seine neue­ste Platte mitzubringen?« fragte Katja.

»Sie wird es schon nicht vergessen, Liebes«, erwiderte Anne. »Aber vielleicht gibt es die bei uns noch gar nicht.«

Die junge Ärztin Dr. Felicitas Cornelius hatte an noch mehr zu denken als an die Schallplatte von David Delorme, und vor allem dachte sie daran, was Daniel wohl für ein Gesicht machen würde, wenn sie plötzlich vor ihm stand, als sie auf dem Wege nach München war, das nun schon als verhangene Silhouette vor ihren Augen auftauchte.

Strahlender Sonnenschein hatte sie auf der ganzen Fahrt begleitet, aber über der Stadt hing wieder eine Dunstglocke.

Und diese endlose Kette von Autos, die nun vor ihr herfuhr! Zermürbend war das. Die Menschen mußten

ja krank werden. Nein, ständig würde sie in der Stadt nicht mehr leben können, so reizvoll München auch immer für sie gewesen war. Aber seit sie draußen waren auf der Roseninsel, ihrer Insel der Hoffnung, gab es in München nur noch einen Anziehungspunkt für sie: Daniel Norden!

Um nur ja nicht die Schallplatte für Katja zu vergessen, suchte sie zuallererst ein großes Schallplattengeschäft auf, und zum Glück bekam sie diese Platte. Sie kaufte sie gleich zweimal. Eine wollte sie Daniel als Geschenk mitbringen, denn schließlich war David sein Schützling.

Und eifersüchtig ist er auch auf ihn gewesen, dachte Felicitas mit einem verträumten Lächeln. Eifersüchtig, weil sie für den genialen jungen Pianisten so viel übrig hatte. Allerdings nur für die Art, wie er spielte. Als Mann hatte ihr immer nur einer gefallen, nämlich Daniel, wenngleich sie es verstand, dies lange für sich zu behalten.

Punkt vier Uhr erreichte sie Daniels Praxis, wie sie es sich vorgenommen hatte. Er war noch nicht da, aber Helga Moll waltete schon ihres Amtes. Sie riß die Augen ganz weit auf, als Felicitas so plötzlich vor ihr stand.

»Guten Tag, Molly«, sagte Felicitas fröhlich. »Überrascht?«

»Und wie«, entgegnete Molly. »Ist etwas mit meinem Mann?« fragte sie dann stockend.

Hans Moll, eigentlich Helgas geschiedener Mann, wenn es jetzt auch so schien, als würden sie doch wieder zueinander finden, befand sich nach einem schweren, unverschuldeten Autounfall ebenfalls auf der Insel der Hoffnung.

»Nein, es geht ihm gut«, erwiderte Felicitas. »Deswegen komme ich nicht, obgleich ich berichten kann, daß er sich herausmacht und wir ihn tüchtig einspannen.«

»Das wird ihm guttun«, sagte Helga Moll. »Vielleicht lernt er doch noch, richtig zu arbeiten.«

Das war ihr großer Kummer gewesen und auch der Grund dafür, daß sie sich scheiden ließ. Nirgendwo hatte es der unstete Hans Moll ausgehalten. Immer hatte Helga für den Unterhalt der Familie sorgen müssen, damit ihre drei wohlgeratenen Kinder eine richtige Ausbildung bekommen konnten.

»Er ist wirklich sehr anstellig«, erklärte Felicitas. »Er mausert sich zu einem Faktotum, und wenn er Lust

hat, kann er sich bei uns seinen Lebens­unterhalt verdienen.«