Ein unvergessenes Gesicht - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein unvergessenes Gesicht E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Auch in Bayern hatten nun die Sommerferien begonnen, wenn man auch vom Sommer selbst noch nichts zu spüren bekommen hatte. Die paar heißen Tage, die dann schlagartig von verheerenden Unwettern beendet worden waren, gehörten längst der Vergangenheit an. An so manchen Abenden hatte sogar Fee Norden die Heizung angestellt, damit es gemütlicher wurde. Der Garten sah trostlos aus. Was der Hagelschlag übriggelassen hatte, verfaulte nun unter täglichen Regengüssen. Nur das Gras wuchs, aber an Mähen war gar nicht zu denken, weil es gar nicht trocken wurde. Fee konnte nur ihre Kinder bewundern, die sich selbst durch dieses triste Wetter ihrer frohen Ferienstimmung nicht berauben ließen. In ein paar Tagen sollte es ja auf die Insel der Hoffnung gehen, und da war immer besseres Wetter als in München. Lenni war schon dabei, die sauberen Sachen in die Koffer zu packen, damit nicht nochmals gewaschen und gebügelt werden musste, und Fee versorgte die Zwillinge. Drei Wochen wollten sie diesmal bleiben, sie hatten es Anne und Hannes Cornelius schon lange versprochen. Danny kam vom Garten hereingestürmt. »Post für dich, Mami, mit einer tollen ausländischen Marke. Kann ich die haben, bevor Felix draufkommt?« »Zuerst möchte ich mal wissen, von wem der Brief ist«, erwiderte Fee nachsichtig. Doch der Absender sagte ihr gar nichts. S. Lorant, er war mit der Maschine geschrieben und konnte ein Mann oder eine Frau sein. Der Brief kam aus Brüssel, dorthin hatte Fee keinerlei Verbindung. »Jetzt versorge ich die Zwillinge, dann mache ich den Brief auf, und dann kannst du die Marke haben, Danny«, sagte

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Dr. Norden Bestseller – 235 –

Ein unvergessenes Gesicht

Wenn Träume Wirklichkeit werden ...

Patricia Vandenberg

Auch in Bayern hatten nun die Sommerferien begonnen, wenn man auch vom Sommer selbst noch nichts zu spüren bekommen hatte. Die paar heißen Tage, die dann schlagartig von verheerenden Unwettern beendet worden waren, gehörten längst der Vergangenheit an. An so manchen Abenden hatte sogar Fee Norden die Heizung angestellt, damit es gemütlicher wurde. Der Garten sah trostlos aus. Was der Hagelschlag übriggelassen hatte, verfaulte nun unter täglichen Regengüssen. Nur das Gras wuchs, aber an Mähen war gar nicht zu denken, weil es gar nicht trocken wurde.

Fee konnte nur ihre Kinder bewundern, die sich selbst durch dieses triste Wetter ihrer frohen Ferienstimmung nicht berauben ließen. In ein paar Tagen sollte es ja auf die Insel der Hoffnung gehen, und da war immer besseres Wetter als in München.

Lenni war schon dabei, die sauberen Sachen in die Koffer zu packen, damit nicht nochmals gewaschen und gebügelt werden musste, und Fee versorgte die Zwillinge. Drei Wochen wollten sie diesmal bleiben, sie hatten es Anne und Hannes Cornelius schon lange versprochen.

Danny kam vom Garten hereingestürmt. »Post für dich, Mami, mit einer tollen ausländischen Marke. Kann ich die haben, bevor Felix draufkommt?«

»Zuerst möchte ich mal wissen, von wem der Brief ist«, erwiderte Fee nachsichtig. Doch der Absender sagte ihr gar nichts. S. Lorant, er war mit der Maschine geschrieben und konnte ein Mann oder eine Frau sein. Der Brief kam aus Brüssel, dorthin hatte Fee keinerlei Verbindung.

»Jetzt versorge ich die Zwillinge, dann mache ich den Brief auf, und dann kannst du die Marke haben, Danny«, sagte Fee.

»Kann ich sie mir gleich herausschneiden, Mami?«, fragte Danny.

»Nein, du musst warten können. Es gibt wichtigere Dinge.«

»Aber Felix will sie bestimmt auch haben, wenn er sie sieht, und sie ist ja nur einmal drauf«, sagte Danny.

»Und ich bin der Ältere.«

»Du bekommst sie, aber nicht sofort«, entgegnete Fee energisch. »Ich kann die Kleinen auch nicht halb angezogen auf den Boden setzen, weil ich neugierig bin.«

»Bist du neugierig?«, fragte Danny.

Fee lächelte flüchtig. »Ein bisschen schon. Ich wüsste nicht, wer mir aus Brüssel schreiben sollte.«

»Wenn es ein Mann ist, wird Papi sauer, das kannst du dir gleich merken«, sagte Danny.

»Ach was, ich kenne keinen Mann, der mir Briefe schreiben könnte«, erwiderte Fee lachend, und Danny war halbwegs beruhigt. Er wartete nun ungeduldig darauf, die Briefmarke zu bekommen. Und endlich konnten die Zwillinge wieder Lennis Obhut übergeben werden, denn sie war mit den Vorbereitungen für das Mittagessen fertig.

Fee schlitzte den Brief sorgfältig auf, damit die Marke nicht verletzt wurde, die Danny dann freudestrahlend in Empfang nahm. Aber er blieb doch im Zimmer und sah seine Mami erwartungsvoll an.

»Geh nur spielen, Danny«, sagte sie geistesabwesend, nachdem sie die ersten Zeilen gelesen hatte.

Sehr verehrte Frau Dr. Norden, mein Name wird Ihnen nichts sagen, aber ich hoffe sehr, dass Sie sich an Rainer Hellmer erinnern werden, der ein Studienfreund von Ihnen war. Ich kenne ihn seit drei Jahren und bin seine Sekretärin, darf mich wohl aber auch seine Freundin nennen. Rainer kann nicht mehr als Arzt praktizieren, weil er an einer Augenkrankheit leidet. Es besteht sogar die Gefahr einer völligen Erblindung. Er hat so oft von Ihnen gesprochen und sein größter, ja, wohl einziger Wunsch ist, Sie noch einmal zu sehen, dieses unvergessene Gesicht zu betrachten. Er hat Sie so genau geschildert, dass ich Sie bildhaft vor mir sehe, und wenn ich einen Wunsch äußern darf, dann diesen, dass Sie Rainer besuchen. Für die Kosten der Reise würde ich selbstverständlich aufkommen. Soviel ich von Rainer weiß, riss die Verbindung nach Ihrer Heirat ab, und ich musste mich auch erst bemühen, Ihre neue Anschrift in Erfahrung zu bringen. Rainer weiß nichts davon, dass ich Ihnen diesen Brief schreibe, und falls sie diesen als eine Taktlosigkeit empfinden, bitte ich um Verzeihung, dann verbrennen Sie ihn. Sie sollten ihn auch nicht missverstehen. Rainer verehrt und bewundert Sie, und es sind ja auch ein Dutzend Jahre vergangen, seit er Sie zum letzten Mal sehen konnte. Er ist ein wundervoller Mensch, aber je mehr er sich zurückzog von anderen Menschen, desto lebendiger wurde wohl für ihn die Vergangenheit, desto mehr dachte er auch wieder an Sie. Vorgestern sagte er: ›Es wäre schön, wenn ich Fee noch einmal sehen und sprechen könnte, Sabrina, wenn ich aus ihrem Mund hören könnte, dass sie glücklich ist und wie sie jetzt lebt.‹ Ich schreibe Ihnen dies und bitte Sie herzlich um Verständnis, denn mir bedeutet Rainer alles.

Fee hielt den Brief in den Händen, ihr Blick schweifte zum Fenster hinaus. Sabrina Lorant, ein Name, den sie nicht vergessen würde, aber sie schämte sich jetzt fast, dass sie an Rainer Hellmer gar nicht mehr gedacht hatte.

Doch nun konnte sie sich auch an ihn erinnern, an diesen ehrgeizigen und fähigen Mediziner, der ein Stipendium an der Sorbonne bekommen und um das ihn viele beneidet hatten.

Ein eigenwilliger junger Mann war er gewesen. Helle wurde er genannt, aber für die Mädchen war er kein Typ. Er war zu intellektuell, schmal, selten fröhlich und immer distanziert. Er war auch kein Mann, nach dem die Mädchen sich die Köpfe verdrehten, und er selbst hatte für Flirts oder Romanzen gar nichts übrig. Mit Fee hatte er allerdings manches lange Gespräch geführt.

Als Daniel Norden zum Essen heimkam, merkte er sofort, dass Fee etwas bewegte.

»Ist was?«, fragte er kurz.

»Nichts Besonderes«, erwiderte sie ausweichend, weil sie sich noch nicht schlüssig war, ob sie mit Daniel über diesen Brief sprechen sollte, weil sie ja wusste, wie eifersüchtig er immer noch sein konnte.

»Mami hat einen Brief aus Brüssel bekommen«, trompetete Danny über den Tisch hinweg.

»Aus Brüssel? Von wem denn?«, fragte Daniel.

»Von Sabrina Lorant.«

»Völlig unbekannt«, sagte Daniel gleichmütig.

»Wir reden nachher darüber«, erwiderte Fee.

»Kann ich die Marke haben, Mami?«, fragte Felix.

»Die habe ich schon«, sagte Danny triumphierend.

»Manchmal bist du wirklich gemein«, stellte Felix fest.

»Ach was«, sagte Fee, »ich werde dafür sorgen, dass du auch so eine bekommst.«

»Wer zuerst kommt, lacht zuerst«, erklärte Danny. »Du brauchst wirklich nicht meckern, Felix. Du hast auch Marken, die ich nicht habe.«

Felix war nicht streitsüchtig, außerdem schmeckten ihm die Schnitzel heute besonders gut, und Lennis Kartoffelsalat war sowieso große Klasse. Beim Essen konnte Felix seinen älteren Bruder jedenfalls schlagen, was die Menge betraf, denn da er gerade wieder im Stadium das Wachsens war, schlug bei ihm nichts an, und für ihn war es ein Triumph, dass er Danny an Länge bald eingeholt hatte. Das betonte er auch lautstark.

»Und dann brauch’ ich auch nichts mehr von dir aufzutragen«, sagte er.

»Liebe Güte, als ob Danny viel zum Auftragen übriggelassen hätte«, lächelte Fee. Danny hatte wahrhaftig einen gewaltigen Verschleiß an Jeans und Pullis gehabt.

Solche kleinen Debatten gab es bei ihnen oft, aber niemand nahm sie ernst. Das gehörte eben zu so einer Familie, in der jeder seine Meinung äußern konnte. Die kleinen Zwillinge Jan und Desi mischten sich nun auch schon mit he und ha ein, oder dadada, Mamma und Babba, worüber sie die größten Lacherfolge erzielten, weil das so lustig klang.

»Sagt doch auch mal Omi und Opi, damit sie sich freuen, wenn wir zu ihnen kommen«, bat Anneka. »Was meint ihr, wie sie sich da freuen würden.«

»Ihr müsstet es ihnen eben öfter vorsagen«, meinte Fee.

»Enni«, sagte Jan, aber damit meinte er Lenni.

»Danny könnten sie auch langsam mal sagen«, brummte der Älteste.

»Was meint ihr denn, wie lange es bei euch gedauert hat, bis ihr euch mal bequemt habt, richtige Worte zu sagen«, erklärte Daniel. »Da war Anneka bedeutend schneller als ihr.«

»Necka«, sagte da Desi. »Necka«, kam das Echo von Jan. Und Anneka strahlte. »Ihr seid ja meine ganz Süßen.« Und zu ihren Brüdern sagte sie:

»Sie sind noch nicht mal ein Jahr und können schon viel reden.«

»Fräulein Wichtig«, bekam sie von Danny zu hören.

Sie waren nicht anders als andere Kinder, aber Fee und Daniel wurde es da nicht bange. Diese Neckereien waren durchaus harmlos und arteten niemals in Aggressivitäten aus. Anneka war halt ein richtiges Mädchen voller Zärtlichkeit und Gefühl, während die Buben nun doch schon ihre Kräfte auf andere Weise maßen. Daniel und Fee nickten sich lächelnd zu, als Danny und Felix sich dann vor den Zwillingen aufbauten und sagten: »Sagt doch mal Omi und Opi.«

Wirklich aufmerksam lauschten die Kleinen, aber dann jauchzte Désiree plötzlich: »Moppi.« Jans Echo blieb aus, aber er klatschte in die Hände, und dann schrie er lauthals: »Pommi.« Und alle lachten. »Mal neue Versionen«, stellte Daniel fest.

»Es wäre lustig, wenn es dabei bleiben würde«, meinte Fee. Die Mittagspause verging wieder mal zu schnell. Daniel fragte dann noch: »Was hat es mit diesem Brief auf sich, Fee?«

»Darüber reden wir heute Abend. Er beschäftigt mich.«

»Ein Hilferuf?«

»Ja, so könnte man ihn bezeichnen.«

»Bei dir findet man doch immer offene Ohren, Fee.«

»Ich brauche aber deinen Rat.«

»Gut, dann reden wir heute Abend darüber, aber bei mir wird es ziemlich spät werden, weil ich eine ganze Anzahl Hausbesuche machen muss.«

Aber Daniel Norden wusste ja, dass seine Frau warten würde, so spät es auch immer werden konnte.

Er bekam jetzt schon von den Patienten vorgejammert, was denn werden sollte mit ihnen, wenn er im Urlaub sei, und manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass sie extra kränker wurden, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Aber so ging es dann doch nicht. Er brauchte auch mal Entspannung, und auch die Familie wollte ihn mal ganz für sich haben. So rigoros wie so manche Kollegen plante er seinen Urlaub doch nicht ein, und er sorgte auch dafür, dass er sich mit einem Kollegen absprach, der seine Ansichten billigte und auch ähnliche Therapien anwandte. Das war Dr. Richter, der in dem neuen Wohnviertel seine Praxis eingerichtet hatte. Ein sympathischer Mann, dem es zu gönnen war, dass er Fuß fassen konnte. Daniel Norden konnte das nur begrüßen, aber er wusste auch, dass man immer erst eine Durststrecke überwinden musste.

Jochen Richter hatte ihm schon erklärt, dass er in den nächsten Jahren bestimmt nicht an einen Urlaub denken könnte und dankbar wäre, wenn Dr. Norden ihn als Vertretung empfehlen würde.

Mit dem Empfehlen war das so eine Sache. Einmal hatte Dr. Norden da Pech gehabt, aber dieser junge Dr. Richter hatte überaus vernünftige Ansichten, wie Daniel in einem langen Gespräch feststellte. Er war bemüht, auf seine Patienten einzugehen, und er hatte dafür ja auch Zeit. Andere Ärzte, so meinte Dr. Norden, könnten sich die Zeit auch nehmen, wenn sie nicht gar zu sehr darauf bedacht wären, möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit abzufertigen. Es gab da schon oft genug Grund zu Ärgernissen, vor allem dann, wenn falsche Diagnosen gestellt und unüberlegt auch die falschen Medikamente verordnet wurden. Die Fälle hatten sich in letzter Zeit gehäuft, oder lag es auch nur daran, dass jetzt mehr darüber an die Öffentlichkeit drang? Es gab nicht mehr die strengen Tabus wie in früheren Jahren, und das war gut so. Jedenfalls war dies die Überzeugung der vernünftigen Ärzte, die sich nicht als Halbgötter fühlten. Und zu denen gehörte auch Jochen Richter. Er hatte nicht deshalb Medizin studiert, weil die Praxis eines bestens eingeführten Vaters auf ihn wartete. Sein Vater hatte nicht das geringste Verständnis dafür gehabt, dass er sich für das Medizinstudium entschieden hatte. Er hatte sich seinen Nachfolger für seine Bauunternehmung gewünscht. Unterstützung hatte Jochen bei seiner Mutter gefunden, und finanzielle bei seiner Patentante, die in einem Allgäuer Kurort ein kleines Sanatorium besaß. Jochen Richter war Arzt aus Leidenschaft, wie man so sagte. Ein anderer Beruf hatte ihn überhaupt nicht interessiert.

Dr. Norden verstand sich mit ihm, und er hatte sich deshalb auch entschlossen, den Kollegen mit jenen Patienten bekannt zu machen, die ständig ärztliche Hilfe brauchten, die Herz- und Zuckerkranken, die Kreislaufgeschädigten und Rheumatiker. Das waren ja auch die Kritischsten, denn nun schon Jahre an Dr. Norden gewöhnt, bekamen sie es richtig mit der Angst bei der Vorstellung, dass er nicht erreichbar sein würde. Daniel Norden hatte sich für den Abend mit Jochen Richter verabredet. Sie wollten gemeinsam die drei schwierigsten Patienten besuchen.

Da war zuerst die Gräfin Jannot, die eine eisige Miene aufsetzte, als Dr. Norden ihr Dr. Richter vorstellte.

»Ich habe mich entschlossen, gleich mit zur Insel der Hoffnung zu kommen, lieber Dr. Norden«, erklärte sie mit erzwungener Sanftmut.

»Das geht leider nicht, weil Ihr Appartement erst in drei Wochen zur Verfügung steht«, erklärte Dr. Norden. »Sie wollten es so, bitte, erinnern Sie sich. Aber ich verspreche Ihnen, dass Dr. Richter Sie genau nach meiner Therapie betreuen wird.«

»Sie wissen, wie eigen ich bin«, sagte die Gräfin.

»Deshalb brauchst du aber nicht so eigensinnig zu sein, Tante Charlott«, sagte eine energische Mädchenstimme. »Dr. Norden hat seinen Urlaub nötig, und du wolltest unbedingt erst Mitte September zur Insel fahren, wenn die heißesten Tage vorüber sind.«

»Ich konnte ja nicht voraussehen, dass der Sommer so kalt und regnerisch werden würde und mir alle Gelenke weh tun«, begehrte die Gräfin auf. »Und du sollst mich nicht kommandieren, Daniela.«

»Jemand muss es ja tun«, sagte das Mädchen gleichmütig. Anfang zwanzig war Daniela Welser, sportlich, und keineswegs so distinguiert wie ihre gräfliche Tante.

Aber damit sollte nicht behauptet werden, dass Charlott Jannot auf den Adel pochte. Sie war eine Bürgerliche gewesen, als der Graf sie geheiratet hatte, sie und ein allerdings beträchtliches Erbe, aber es war eine glückliche Ehe geworden, mit zwei Söhnen gesegnet, wie der Graf, Gott hab ihn selig, damals meinte.

Charlott konnte später nur sagen, dass sie manche Sorgen mit ihren Söhnen hatte, bis sie dann einigermaßen zur Vernunft und auch zu vernünftigen Frauen kamen. Reine Freude hatte sie nur an ihrer Nichte Daniela, und die durfte auch ganz energisch mit ihr umspringen. Da­nie­la war ein reizendes junges Mädchen.

Charlott ließ die gräfliche Würde fallen und sagte: »Ich meine es ja nicht so, Herr Dr. Richter. Ich bin eben so sehr an meinen guten Dr. Norden gewöhnt.«

»Was durchaus verständlich ist, Frau Gräfin, aber ich werde mich bemühen, es Ihnen rechtzumachen.«

Daniela zwinkerte Dr. Norden zu, was soviel besagen sollte wie ihr Einverständnis. Besorgt war sie ja auch um ihre Tante, die oft unter wirklich schlimmen Schmerzen litt, aber manche Medikamente einfach nicht vertragen konnte.

Dr. Richter war doch ein ganz klein wenig befangen, als er dann mit Dr. Norden über diese Patientin sprach.

»Wenn sie nun gar nicht mit mir einverstanden ist, was soll ich dann tun?«, fragte er.

»Überlassen Sie das ruhig Daniela. Sie versteht es, mit ihrer Tante umzuspringen. Im Grunde ist Frau Jannot nur halb so etepetete, wie es den Anschein hat. Und mit der Etikette hat sie es auch nicht. Lassen Sie sich nicht von ihr einschüchtern, denn das gefiele ihr bestimmt nicht. Sie legt es nämlich darauf an, damit sie was zum Spotten hat.«

»Sie nehmen das mit Humor«, sagte Dr. Richter.

»Ich habe sie schnell durchschaut. Sie kann überaus reizend sein, wenn sie merkt, dass sie es nicht mit Jasagern zu tun hat. Bevor sie zu mir kam, hatte sie einen Arzt, der zu allem Ja und Amen sagte, was sie verlangte. Sie stellte ihre Diagnosen selbst und ließ sich die Mittel verordnen, die sie aus Zeitschriften herausgelesen hatte. Der gutgläubige Kollege hielt sie wohl für eine Pharmazeutin. Sie hat oft so amüsante Ideen. Lassen Sie sich davon ja nicht beeindrucken. Ihre rheumatischen Beschwerden kommen schubweise, wie bei anderen auch, aber sie werden tatsächlich sofort schlimmer, wenn ihr etwas nicht in den Kram passt, und derzeit ist das mein Urlaub. Aber ich will damit nicht sagen, dass sie simuliert. Ich kann die Kurven nun schon über zwei Jahre hinweg verfolgen. Bei ihr spielt die psychische Verfassung eine bedeutende Rolle.«

»Wie bei allen Kranken«, sagte Dr. Richter. »Selbst unheilbar Kranke haben Phasen, in denen man meint, sie würden tatsächlich genesen, und dabei ist das nur ein kurzes Stadium, in dem sie eine besondere Freude erleben, vielleicht durch einen Besuch oder einen unerwarteten beruflichen Erfolg. Ich habe das auch schon beobachtet.«