Dr. Norden Bestseller 6 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 6 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Felicitas Norden träumte. Es war zuerst ein wunderschöner Traum. In duftige zartgrüne Schleier gehüllt, tanzte sie mit Daniel unter blühenden Bäumen. Um sie herum hatten Kinder einen Kreis gebildet. Ein kleines Mädchen hielt ihr eine Rose hin, doch bevor sie nach dieser greifen konnte, drängte sich ein großes Mädchen dazwischen und wollte etwas sagen. Dann läutete das Telefon. Das Telefon gehörte nicht in ihre Träume. Es stand auf ihrem Nachtschränkchen, immer griffbereit. Mechanisch griff Fee gleich danach. »Norden«, meldete sie sich. »Bitte, bitte, kommen Sie. Meine Mutter …« Die ferne junge Stimme erstickte in Schluchzen. »Wer spricht da?«, fragte Fee nun gleich hellwach. »Saskia Boerden.« Den Namen Boerden kannte Fee. »Ja, Dr. Norden kommt«

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Dr. Norden Bestseller – 6 –

Saskia und der Fremde

Ein schönes Mädchen schwebt in Gefahr

Patricia Vandenberg

Felicitas Norden träumte. Es war zuerst ein wunderschöner Traum. In duftige zartgrüne Schleier gehüllt, tanzte sie mit Daniel unter blühenden Bäumen. Um sie herum hatten Kinder einen Kreis gebildet. Ein kleines Mädchen hielt ihr eine Rose hin, doch bevor sie nach dieser greifen konnte, drängte sich ein großes Mädchen dazwischen und wollte etwas sagen.

Dann läutete das Telefon.

Das Telefon gehörte nicht in ihre Träume. Es stand auf ihrem Nachtschränkchen, immer griffbereit. Mechanisch griff Fee gleich danach.

»Norden«, meldete sie sich.

»Bitte, bitte, kommen Sie. Meine Mutter …« Die ferne junge Stimme erstickte in Schluchzen.

»Wer spricht da?«, fragte Fee nun gleich hellwach.

»Saskia Boerden.«

Den Namen Boerden kannte Fee. »Ja, Dr. Norden kommt«, sagte sie rasch.

»Dr. Norden kommt«, murmelte es neben ihr schlaftrunken.

»Schnell, Danny, mit Frau Boerden ist etwas«, sagte Fee laut.

Wenn sie ihren Mann dem Schlummer entreißen musste, nannte sie ihn »Danny«, damit ihm das Aufstehen wenigstens etwas versüßt wurde.

Dr. Daniel Norden sprang mit beiden Beinen gleichzeitig aus dem Bett. »Wahrscheinlich wieder ein Herzanfall«, murmelte er und war in Windeseile angekleidet. Fee jedoch auch.

»Ich komme mit, da war ein Kind am Telefon«, sagte sie.

»Ein Kind? Ich wüsste nicht, dass Frau Boerden ein Kind hat«, sagte Daniel verwundert.

»Saskia. Sie sagte ›meine Mutter‹. Es wäre ja fatal, wenn es noch eine Frau Boerden gäbe.«

»Zu meinen Patientinnen zählt nur eine«, wurde sie von ihrem Mann beruhigt. »Ja, warum sollte sie kein Kind haben. Sie war bisher immer in der Praxis. Sie hat mich nie ins Haus geholt.«

Sie fuhren mit dem Lift abwärts in die Tiefgarage, und bald darauf waren sie auf der Straße, die westwärts führte.

Nachtdunkel war sie und still. Man konnte sich nicht vorstellen, dass sich schon eine Stunde später ein nicht abreißender Autostrom über sie ergießen würde.

»Ist sie schon länger deine Patientin?«, fragte Fee, die zwar den Namen aus der Kartei kannte, aber nicht Frau Evelyn Boerden persönlich.

»Etwa ein Jahr.«

»Wie alt?«

»Vierzig, verwitwet und schwer herzkrank«, erwiderte Daniel. »Und sehr vermögend.«

Das verriet auch der komfortable Bungalow, vor dem sie hielten, und der für eine alleinstehende Frau wohl doch zu geräumig gewesen wäre.

Es war jetzt halb sechs Uhr, und der Frühlingsmorgen begann zu erwachen. Ein junges Mädchen in zartgrünem Morgenmantel öffnete die Tür.

Es zitterte am ganzen Körper und deutete nur mit der Hand auf eine Tür, auf die Dr. Norden nun schnell zuging. Fee nahm sich des Mädchens an.

»Beruhigen Sie sich doch«, sagte sie.

»Es ist schrecklich. Ich habe so etwas noch nicht erlebt«, flüsterte das Mädchen Saskia.

Fee schätzte sie auf achtzehn Jahre. Sie war neunzehn, wie sie dann erfuhr. Mit einem Ohr lauschte Fee allerdings zu dem Zimmer hinüber.

Dr. Norden konnte nicht viel für Frau Boerden tun. Er hatte ihr eine Spritze gegeben, aber ihr Zustand war bedenklich. So bedenklich, dass er schnellstens die Behnisch-Klinik angerufen hatte. Evelyn Boerden hatte das Bewusstsein verloren.

Saskia hatte Fee gerade erzählt, dass sie erst zwei Tage hier sei, als er aus dem Zimmer kam.

»Der Krankenwagen wird gleich kommen«, sagte er. »Ihre Mutter muss schleunigst in die Klinik, Fräulein Boerden.«

Entsetzt sah ihn das Mädchen an. »Ich soll mit ihm allein bleiben in dem Haus? Mit diesem Mann. Nein!«

Sie schrie es fast, und da kam aus einer Tür am Ende des Ganges ein Mann im roten Schlafrock.

Er musste schon einen sehr tiefen Schlaf haben, wenn er bei all diesen Geräuschen nicht erwacht war. Er sah eigentlich nicht übel aus, aber er war Fee schon deshalb unsympathisch, weil er so unwillig fragte: »Was ist denn hier los?«

Den Ton mochte Daniel nun auch gar nicht. »Ein schwerer Krankheitsfall«, erwiderte er eisig.

Saskias kleine Hand verkrampfte sich in Fees Ärmel. »Bitte, ich möchte mit zur Klinik«, flüsterte sie. Aber Fee ahnte, dass sie vor allem nicht hier bei diesem Mann bleiben wollte.

»Ich nehme Sie mit, Saskia«, sagte sie.

Der Mann war nähergekommen. Er mochte etwa vierzig sein und machte den Eindruck, als hätte er die Nacht durchgefeiert.

»Mein Name ist van Reyken«, stellte er sich jetzt vor. »Ich teile die Wohngemeinschaft mit Frau Boerden. Was fehlt ihr? Wieder eine Herzattacke? Ja, es ist wohl das Beste, wenn sie in klinische Behandlung kommt. Ich habe ihr das schon immer empfohlen.«

»Ich nehme Fräulein Boerden mit«, sagte Fee zu ihrem Mann. Sie wollte das Mädchen schnell wegbringen, da sie instinktiv noch einen Zwischenfall fürchtete.

In aller Eile hatte sich Saskia angekleidet. Sie trug jetzt eine graue Hose und einen grünen Pulli. Vielleicht war grün ihre Lieblingsfarbe, doch darüber dachte Fee jetzt nicht nach.

»Bring sie zu uns«, raunte Daniel seiner Frau leise zu. Sein Blick besagte, dass er für Evelyn Boerdens Schlimmes fürchtete. Fee konnte ihm fast alles von den Augen ablesen, so gut waren sie aufeinander eingespielt.

Sie sagte es Saskia erst im Wagen. »Mein Mann bringt Ihre Mutter in die Klinik, und Sie kommen mit zu uns, Fräulein Boerden.«

»Sagen Sie doch Saskia«, bat das Mädchen. »Ich danke Ihnen sehr.«

Während der Fahrt stellte Fee keine Fragen, und Saskia sagte nichts. Im Lift standen sie sich dann gegenüber, beide fast gleich groß. Erst jetzt, in dem hellen Neonlicht, bemerkte Fee, dass dieses Mädchen von einem ungewöhnlichen exotischen Reiz war, fremdländisch wie ihr Name. Blauschwarzes Haar umrahmte ein hellbraun getöntes Gesicht, mandelförmige dunkelbraune Augen blickten melancholisch durch einen Schleier sehr dichter, langer tiefschwarzer Wimpern. Wunderschöne, wohlgeformte Hände strichen nervös über das Gesicht und durch das Haar. Sie sah Fee mit einem Blick an, in dem aller Schmerz der Welt lag.

»Muss meine Mutter sterben?«, fragte sie bebend.

Ganz eigentümlich sprach sie das Wort Mutter aus, mit einer fast unheimlichen, rätselhaften Ausdruckskraft.

Es konnte daran auch der leichte fremdländische Akzent schuld sein, der Fee vermuten ließ, dass sie in einem französisch sprechenden Land aufgewachsen war.

Trotz ihres jetzt saloppen Anzuges waren ihre Bewegungen voller Grazie. Fee war ihr eine Antwort schuldig geblieben, und als sie nun die Wohnung betraten, ruhten die wunderschönen Augen des Mädchens wieder fragend auf ihr.

»Es wird bestimmt alles für Ihre Mutter getan, was menschenmöglich ist«, sagte Fee leise. »Mein Mann bringt sie in eine Klinik, mit dessen Chefarzt wir befreundet sind. Sie wird dort in den allerbesten Händen sein.«

»Ich glaube, das alles hilft nicht viel, wenn ein Mensch nicht mehr leben will«, sagte Saskia leise.

Fee kroch ein Frösteln über den Rücken. Sie ergriff Saskias Hand. »Ihre Mutter hat Sie«, sagte sie verhalten.

»Zu kurz und zu spät«, sagte Saskia voller Trauer.

Fee öffnete die Tür, die zur Dachterrasse führte. »Ich mache uns einen Tee«, sagte sie.

Saskia trat durch die Tür hinaus ins Freie. »Über den Dächern einer großen Stadt«, sagte sie vor sich hin. Sie sang es fast, und Fee dachte an ein Lied, das so begann.

Sie ging in die Küche und setzte Teewasser auf in dem kupfernen Samowar. Sie wusste selbst nicht, warum sie nicht Kaffee kochte. Irgendwie schien es ihr, als gehöre dieser Samowar oder ein ähnlicher auch zu ihrem Traum.

Und als sie ihn dann auf dem Servierwagen hereinbrachte, stand Saskia in der Tür und sah den Samowar mit verschleierten Augen an.

»Eigenartig«, sagte sie, »wie in der Heimat meines Vaters.« Vielleicht erwartete sie eine Frage, doch diese blieb aus.

Fee war eingefangen in einen fremden Zauber, gefangen auch noch in einem Traum, von dem nur ein Teil in ihrer Erinnerung geblieben war, den sie jetzt aber von sich weisen wollte, weil sie sich einredete, dass ihr dieses Mädchen im Traum erschienen sei.

»Mein Vater war ein persischer Fürst«, sagte Saskia geistesabwesend.

Dann blickte sie rasch auf und fuhr sich über die Augen. »Mein Gott, Sie werden denken, ich erzähle Märchen.«

»Nein, das denke ich nicht«, sagte Fee, und für sich dachte sie, dass Saskia wie eine orientalische Prinzessin aussähe und nicht einen Deut anders, auch jetzt noch in Hose und Pulli. Nur der Name Boerden wollte nicht dazu passen.

»Sie werden jetzt ja doch alles erfahren«, fuhr Saskia fort. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich mitgenommen haben, gnädige Frau.«

»Felicitas Norden«, sagte Fee lächelnd.

»Meine Mutter war zweimal verheiratet«, sagte Saskia. »In erster Ehe mit dem Fürsten Edjali, doch die Ehe bestand nur ein Jahr, bis ich geboren wurde. Ich war nur ein Mädchen. Sie ging mit mir zurück in die Heimat. Die Scheidung war so schnell ausgesprochen wie die Eheschließung. Drei Jahre später heiratete meine Mutter Magnus Boerden. Er war mein eigentlicher Vater. Er adoptierte mich, und ich liebte ihn sehr. Er wurde ermordet, als ich zehn Jahre alt war. Es hieß, dass es ein Jagdunfall gewesen wäre, aber ich weiß, ebenso wie meine Mutter, dass er ermordet wurde. Sie hatte Angst um mein Leben und brachte mich nach Frankreich, in die Bretagne. Dort wuchs ich in einem Internat auf. Ich war acht Jahre dort und bin seit zwei Tagen hier. Ich hatte Sehnsucht nach meiner Mutter. Sie ist doch der einzige Mensch, der mir nahesteht. Und dann fand ich diesen Mann im Hause vor, einen Mann, vor dem meine Mutter sich stets fürchtete, allein schon vor seinem Namen. Und er wohnte im selben Haus wie sie. Das ist mir noch immer ein Rätsel. Ich erzähle Ihnen das, Felicitas Norden, damit es ein Mensch weiß, falls mir etwas zustoßen sollte.«

Das sagte sie jetzt ganz ruhig. Fee hatte schon gespürt, dass sie mit jedem Wort ruhiger geworden war und war erleichtert gewesen, doch nach diesen letzten Worten erschrak sie zutiefst. Entsetzt sah sie das Mädchen an.

»Saskia«, stammelte sie.

»Sie denken, ich rede Unsinn. Sie meinen, dass ich verwirrt sei. O nein. In meinen Adern fließt auch orientalisches Blut, wenn es mir auch verhasst ist. Aber Orientalen haben einen anderen Instinkt als Europäer, sie haben manchmal auch so etwas wie einen sechsten Sinn. Meine Mutter hat sich gefürchtet in diesem Land, in dem sie kurze Zeit leben musste. Sie war sehr jung und sehr romantisch, als sie den Fürsten heiratete, und sie war sehr schön. Ich bin nur jung«, erklärte Saskia.

Und wunderschön, dachte Fee, aber sie sprach es nicht aus, weil sie spürte, dass dieses seltsame Mädchen solche Worte nicht hören wollte.

»Ihnen wird niemand etwas zuleide tun«, sagte sie impulsiv. Sie stehen unter unserem Schutz.«

»Glauben Sie, dass ich Menschen in Gefahr bringen würde, die gut zu mir sind? O nein.« Saskia nippte an dem Tee. »Er ist köstlich. Sie sind eine vollkommene Frau«, sagte sie.

»O nein«, widersprach nun auch Fee. »Welcher Mensch ist wohl vollkommen?«

»Gute Menschen sind für mich vollkommen«, sie faltete die Hände, »meine Mutter ist ein armer verwirrter Mensch. Sie verschwendete ihre erste Liebe an einen Mann, für den sie ein Spielzeug war und dem sie einen Sohn gebären wollte. Sie heiratete einen zweiten, weil sie einen Beschützer brauchte und erkannte dann, dass er ihre große Liebe war. Er wurde ihr genommen. Sie lebt eigentlich schon lange nicht mehr.« Saskia blickte auf ihre Armbanduhr. »Ich weiß es seit einer Stunde«, fuhr sie sehr leise fort. »Ich habe große Schmerzen, sagte sie, aber gestorben bin ich schon vor neun Jahren. Ich möchte jetzt sehr gern bei meiner Mutter sein, Felicitas Norden.«

»Wir fahren zur Klinik«, sagte sie.

Der Hauch eines Lächelns legte sich um Saskias Mund. »Sie stellen keine Fragen. Es ist wunderbar. Ich habe noch niemals so mit einem Menschen sprechen können.«

*

»Da kann man nicht viel mehr tun als warten und hoffen, Daniel«, sagte Dr. Dieter Behnisch zu seinem Freund. »Es ist nicht das Herz allein.«

»Was noch?«, fragte Daniel.

»Knoten in der Brust. Sie brauchen nicht bösartig zu sein, aber wenn die Untersuchung es ergibt, könnte man sie nicht einmal mehr operieren. Eine Vollnarkose würde das schwache Herz nicht überstehen.

»Und Akupunktur?«

Dr. Behnisch zuckte die Schultern. »Das müsste ein anderer machen. Ich traue es mir nicht zu. Außerdem ist ihre Lebenserwartung auch dann so gering, dass man sie nicht quälen sollte. Ich kenne dich. Du wirst sagen, dass man sie doch nicht einfach sterben lassen kann, aber vielleicht will sie gar nicht mehr leben?«

»Sie hat eine Tochter.«

Und in diesem Augenblick kamen Fee und Saskia.

Fast hörbar zog Dr. Behnisch die Luft ein.

»Saskia möchte bei ihrer Mutter sein«, sagte Fee schlicht. Ihr Blick suchte Halt bei Daniel.

»Dem steht wohl nichts im Wege, Dieter«, sagte er schnell.

»Nein.«

»Danke«, sagte Saskia höflich.

Sie wurden von den beiden Ärzten zu einer Tür begleitet, die die Nummer neunzehn trug. Wieder fröstelte es Fee. Genauso alt war Saskia.

Das Mädchen sah sie aus weit offenen Augen an. »Ich weiß, was Sie denken, Felicitas Norden. Haben Sie tausend Dank.«

»Sie werden zu uns kommen, Saskia«, sagte Fee.

»Ich muss meinen Weg gehen«, erwiderte das Mädchen. Dann beugte sie sich vor und küsste Fee auf die Wange. Kurz darauf schloss sich die Tür des Krankenzimmers hinter ihr.

»Wache oder träume ich?«, fragte Dieter Behnisch.

»Vor allem scherze nicht, Dieter«, sagte Fee. »Mir ist nämlich zum Weinen zumute.«

Daniel legte den Arm um sie und zog sie an sich.

Dieter starrte zu Boden.

»So war das nicht gemeint, Fee«, sagte er. »Sie scheint einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht entstiegen zu sein.«

»Ist sie auch in gewissem Sinne. Das ungewöhnlichste Mädchen, das mir je begegnet ist. Es darf niemand an sie heran, Dieter. Sie ist in Gefahr. Sie fühlt es, und ich fühle es auch. Ich werde euch alles erzählen.«

»Eine Viertelstunde habe ich noch Zeit«, sagte Dieter Behnisch.

»Für uns beginnt der Tag auch bald richtig«, warf Daniel ein.

»Ich werde mich beeilen«, sagte Fee.

Indessen hatte Saskia am Bett ihrer Mutter Platz genommen. Ganz still saß sie mit gefalteten Händen und blickte in das leidvolle Gesicht, das auch jetzt noch Spuren einstiger Schönheit zeigte.

*

Die beiden Ärzte waren tief beeindruckt gewesen von dem, was sie von Fee gehört hatten. Dr. Behnisch war ganz blass geworden. Bei ihm fiel das sehr auf, weil er immer eine frische Farbe hatte.

»Ich werde höllisch auf die Prinzessin aufpassen«, sagte er.

»Aber nicht verraten, dass ich geschwatzt habe«, bat Fee.

»Das war wichtig, und was wichtig ist, ist kein Geschwätz«, meinte Dieter. »Aber ich kann sie nicht festbinden. Und weiß man denn, ob dieser Reyken nicht so ein Bursche ist, der das ganze Haus ausräumt?«

Ja, dieser Reyken war eine rätselhafte, und wie Fee meinte, auch gefährliche Figur in diesem Drama. Aber unternehmen konnte man nichts.

Unterwegs hatte Fee dann eine Idee. »Du hast doch neulich diesen netten Privatdetektiv behandelt, Daniel«, sagte sie nachdenklich.

»Edwin Pichler?«

»Ja, behandelst du noch mehr Detektive?«

»Seinen Partner auch. Kurti Schnell. Isabel nennt ihn Kurti.«

»Das soll sie nur Jürgen nicht hören lassen«, meinte Fee.

»Ach was, Kurti ist so breit wie lang, und der eifersüchtigste Mann könnte nichts Gefährliches an ihm entdecken.«

»Einer von den beiden könnte doch mal so ein paar Informationen über diesen Reyken einholen«, sagte Fee.

»Wir müssen Saskia einfach helfen, auch wenn sie sich nicht helfen lassen will.«

»Du machst es schon richtig, Liebling«, sagte Daniel. »Nimm du es in die Hand. Ich habe heute massig zu tun. Plötzlich wollen alle Frauen Mammographien machen lassen. Wenn eine Präsidentenfrau an Brustkrebs operiert wird, ist es anregender, als wenn man sachlich auf Vorsorgeuntersuchungen hinweist.«

Er dachte plötzlich an die Diagnose, die Dieter über Evelyn Boerden gestellt hatte. Davon hatte er Fee noch nichts gesagt, und er wollte es vorerst auch für sich behalten.

Ihn als Arzt erschreckte es auch, wie viele Frauen solche Leiden hatten und wie schnell sie ihnen den Tod bringen konnten, wenn etwas übersehen wurde.

Molly war schon fleißig bei der Arbeit, als sie in die Praxis kamen, aber Fee musste wieder einmal hören, dass dies alles Patienten für den Herrn Doktor waren, die im Wartezimmer saßen.

Fee nahm es mit Humor, Helga Moll nicht sosehr, aber heute war Fee gar nicht darüber bedrückt.

»Ich fahre hinauf in die Wohnung. Habe noch einiges zu erledigen«, sagte sie zu Molly. »Wenn ich doch noch gebraucht werden sollte, rufen Sie mich.«

Sie wurde von Lenchen empfangen.

»Nanu, was ist denn heute wieder los?«, fragte das schwerhörige, aber noch immer hurtige Lenchen. »Tee hat man schon getrunken, und weg aus dem Haus ist man zu nachtschlafener Zeit. Werdende Mütter sollen länger ruhen.«

»Ich trage mich noch nicht schwer an dem winzigen Etwas«, erwiderte Fee in munterem Ton, um Lenchen nicht Anlass zu weiteren Ermahnungen zu geben. »Wir mussten eine Patientin in die Klinik bringen, Lenchen.«

»Früher hat der Doktor das auch allein gekonnt, aber jetzt macht er ja rein gar nichts mehr ohne seine Frau.«

»Ist doch schön, Lenchen«, sagte Fee. Dann ging sie zum Telefon.

»Kein Kaffee?«, rief Lenchen laut.

»Doch, den könnte ich jetzt schon brauchen.« Damit war das gute Lenchen beruhigt.

Während Fee die Nummer von Edwin Pichler heraussuchte, dachte sie unwillkürlich wieder an ihren Traum, und während sie die Nummer gewählt hatte und auf das Freizeichen wartete, betrachtete sie den Samowar.

Seltsam war es, dass sie im Traum unterschwellige Assoziationen zum tatsächlichen Geschehen fand. Aber vielleicht spielte ihr doch die Fantasie einen Streich.

Endlich klang nach dem ›bitte warten‹ eine Männerstimme an ihr Ohr. Eine gemütliche Stimme, so ein bisschen schläfrig, aber sofort hellwach, als sie ihren Namen nannte.

»Ich hätte Sie gern in einer dringenden Angelegenheit gesprochen, Herr Pichler«, sagte Fee. »Könnten Sie bitte zu uns kommen? – Ja, das ist fein. In die Privatwohnung bitte.«

Der Name Norden schien Herrn Pichler zu beflügeln, denn schon zehn Minuten später war er da. Er versicherte, dass er gern mit einer so bezaubernden Frau Kaffee trinken würde.

Er war lang und dünn, hatte abstehende Ohren und eine Glatze. Fee war sicher, dass ihr eifersüchtiger Daniel nichts dabei finden würde, dass sie Herrn Pichler zu einer Tasse Kaffee eingeladen hatte.

Er ließ es sich schmecken, während sie ihm ihr Anliegen vortrug, dabei aber so wenig wie möglich von Saskia erwähnend.

»Anatol van Reyken?«, fragte Edwin Pichler ganz nebenbei.