Cornelius –  der Träumer - Patricia Vandenberg - E-Book

Cornelius – der Träumer E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Dr. Norden – Unveröffentlichte Romane Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Ist dieses Ziehen im Bauch nicht typisch für eine Blinddarm­entzündung?« Victoria Arndts Miene war ängstlich, als sie sich zu Dr. Daniel Norden über den Schreibtisch beugte. »Ich hatte eine regelrechte Panikattacke deswegen heute früh. Ich dachte, ich sterbe an einer Bauchfellentzündung.« Der Arzt unterdrückte ein Seufzen. Seit der Mann seiner Patientin vor etwas über einem Jahr an einem Tumor gestorben war, kam sie ständig zu ihm mit der Angst, eine gefährliche Krankheit zu haben. Einerseits konnte der Allgemeinmediziner diese Sorgen verstehen. Andererseits musste er sich ernsthaft ermahnen, Victoria immer noch ernst zu nehmen. »Wie sieht es denn mit den übrigen Beschwerden aus? Haben Sie Fieber?«, erkundigte er sich daher mit der nötigen Sorgfalt und zückte den Stift, um sich Notizen auf der Krankenakte zu machen, die bereits aus mehreren großformatigen Karteikarten bestand. Vicky dachte nach und schüttelte den strähnigen Kopf. »Kein Fieber. Aber Appetitlosigkeit.« »Das ist so, seit Ihr Mann verstorben ist. Ehrlich gesagt, macht mir Ihr Gewicht wirklich langsam Sorgen.« »Dabei esse ich wie ein Scheunendrescher«, versicherte Victoria ernsthaft. »Ansichtssache«

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Dr. Norden – Unveröffentlichte Romane – 28 –

Cornelius – der Träumer

Unveröffentlichter Roman

Patricia Vandenberg

»Ist dieses Ziehen im Bauch nicht typisch für eine Blinddarm­entzündung?« Victoria Arndts Miene war ängstlich, als sie sich zu Dr. Daniel Norden über den Schreibtisch beugte. »Ich hatte eine regelrechte Panikattacke deswegen heute früh. Ich dachte, ich sterbe an einer Bauchfellentzündung.«

Der Arzt unterdrückte ein Seufzen. Seit der Mann seiner Patientin vor etwas über einem Jahr an einem Tumor gestorben war, kam sie ständig zu ihm mit der Angst, eine gefährliche Krankheit zu haben. Einerseits konnte der Allgemeinmediziner diese Sorgen verstehen. Andererseits musste er sich ernsthaft ermahnen, Victoria immer noch ernst zu nehmen.

»Wie sieht es denn mit den übrigen Beschwerden aus? Haben Sie Fieber?«, erkundigte er sich daher mit der nötigen Sorgfalt und zückte den Stift, um sich Notizen auf der Krankenakte zu machen, die bereits aus mehreren großformatigen Karteikarten bestand.

Vicky dachte nach und schüttelte den strähnigen Kopf.

»Kein Fieber. Aber Appetitlosigkeit.«

»Das ist so, seit Ihr Mann verstorben ist. Ehrlich gesagt, macht mir Ihr Gewicht wirklich langsam Sorgen.«

»Dabei esse ich wie ein Scheunendrescher«, versicherte Victoria ernsthaft.

»Ansichtssache«, gab Daniel unbeeindruckt zurück. »Welche Beschwerden haben Sie denn noch? Erbrechen und Durchfall sind neben dem Erschütterungs-Schmerz ein relativ sicheres Indiz für einen entzündeten Appendix.«

Vicky dachte einen Moment lang angestrengt nach.

»Neulich hatte ich heftige Magenschmerzen«, erinnerte sie sich.

Daniel nickte.

»Ich weiß.« Er warf einen Blick in die Krankenakte. »Das war vor genau fünf Tagen.«

»Erst?« Victoria Arndt war ehrlich verwundert. »Ich könnte schwören, das wäre schon länger her.«

Daniel Norden lehnte sich seufzend nach hinten und spielte mit dem Kugelschreiber, während er seine Patientin nicht aus den Augen ließ.

»Das kommt daher, weil Sie sich seit dem Tod Ihres Mannes in Ihrem Haus verkriechen. Kein Wunder, dass auf diese Weise Stunden zu Tagen und Wochen werden.«

Zwischen Victorias glanzlosen Augen erschien eine steile Falte.

»Glauben Sie mir: Ich wünsche mir nichts mehr, als mich endlich wieder in meinem Leben und meinem Körper zuhause zu fühlen. Ich hasse es, meiner Umwelt beim Leben zuzuschauen und darauf zu warten, dass meines vorbei geht. Aber was soll ich tun?«, brach es verzweifelt aus ihr hervor.

»Sie müssen Ihren Mann endlich loslassen. Es nützt nichts, wenn Sie stundenlang zuhause herumsitzen und an ihn denken, sich die Zeit mit ihm wieder und wieder ins Gedächtnis rufen«, wiederholte Daniel die Worte, die er ihr wohl schon zehn Mal gesagt hatte. Er war sich fast sicher, dass sie auch diesmal nicht auf fruchtbaren Boden fallen würden.

Victoria lachte freudlos.

»Ich wusste, dass Sie das sagen würden. Aber ich bin nicht hier, um mir gute Ratschläge von Ihnen anzuhören«, antwortete sie barsch. »Ich will, dass Sie herausfinden, was es mit meinen Bauchschmerzen auf sich hat.«

Sie starrte ihn herausfordernd an.

Dr. Norden überlegte nur einen winzigen Augenblick. Dann stieß er sich von den Lehnen seines Stuhls ab und stand auf.

»Gut, gehen wir hinüber. Bitte machen Sie den Bauch frei und legen sich auf die Liege. Ich bin in einer Minute bei Ihnen.«

Zufrieden mit diesem Ergebnis tat die ehemalige Immobilienmaklerin Victoria Arndt das, was ihr Arzt von ihr verlangte.

Während er sie untersuchte, sah sie ihn aufmerksam an. Ein paar Mal machte sie »Ah« und »Oh«, um nicht zugeben zu müssen, dass die Schmerzen auf wundersame Weise plötzlich verschwunden waren. Nachdem Daniel ihren mageren Bauch abgetastet hatte, beugte er sich auf einmal dicht über sie. Angestrengt starrte er hinab.

»Frau Arndt?«

»Ja«, antwortete sie zaghaft, von einer plötzlichen Angst erfüllt. Was hatte er entdeckt? Einen auffälligen Leberfleck? Erste Anzeichen von Hautkrebs? »Was ist? Was haben Sie gefunden?«

Daniel Norden richtete sich auf und warf seiner Patientin einen strengen Blick zu.

»Ist es möglich, dass Sie gar keinen Blinddarm mehr haben?«

Verdutzt stützte sich Vicky auf die Ellbogen.

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte sie verunsichert.

Daniels Mund verzog sich zu einem Lächeln.

»Weil Sie eine Narbe haben. Hier«, er deutete auf die feine Linie, die er eben bei seiner Untersuchung entdeckt hatte. »Hier hat ein Kollege gute Arbeit geleistet. Der Schnitt ist kaum zu sehen.«

»Wie ist das möglich? Ich erinnere mich gar nicht.«

»Vielleicht waren Sie noch ein Kind. Fragen Sie Ihre Mutter. Die weiß mit Sicherheit Bescheid«, machte Daniel einen Vorschlag, während er sich die Hände wusch. Er betrachtete Vickys Gesicht im Spiegel. Unter seinen Worten war sie zunächst leichenblass und dann feuerrot geworden. Hastig sprang sie von der Liege und zog mit zitternden Fingern den Reißverschluss ihrer Jeans hoch.

»Meine Mutter lebt in Florida und hat Besseres zu tun, als mit mir zu telefonieren«, erklärte sie bitter. Plötzlich hielt sie inne und starrte Daniel an. Tränen stiegen in die farb­losen Augen, die einmal in leidenschaftlichem Grün gestrahlt hatten.

»Es tut mir so leid, das müssen Sie mir glauben. Es ist mir doch selbst peinlich, Sie ständig wegen irgendwelcher Wehwehchen zu beläs­tigen. Aber immer ist die Angst größer. Die Angst vor Krebs, vor einem Blinddarmdurchbruch, einer Thrombose, irgendetwas, was mich das Leben kosten könnte. Dabei sehne ich mich gleichzeitig so sehr nach Lothar, dass ich es kaum erwarten kann, endlich bei ihm zu sein.« Sie sandte einen verzweifelten Blick gen Himmel und sah dann wieder Daniel an. »Das ist doch absurd!«

Dabei zitterte Vicky so sehr, dass Daniel nicht anders konnte, als sie beruhigend in seine starken Arme zu schließen. Manchmal war eine tröstende Umarmung die beste Medizin.

»Das ist so normal oder unnormal wie die Situation, in die Sie geraten sind. Kein Mensch kann sich darüber ein Urteil erlauben. Allerdings müssen Sie mir zugestehen, mir Sorgen zu machen. Es wird Zeit, dass Sie endlich wieder ins Leben zurückkehren, Spaß haben, neue Freunde finden. Zur Not auch mit Hilfe einer Therapie.«

Das Zittern hatte aufgehört. Einen Moment lang verharrte Victoria regungslos in Daniels Armen. Dann schüttelte sie den Kopf und trat einen Schritt zurück, um ihren strähnigen Pferdeschwanz zu ordnen.

Daniel sah ihr dabei zu. Mein Gott, was ist aus dieser bildhübschen, lebenslustigen Frau geworden?, fragte er sich im Stillen. Was hat die Trauer aus ihr gemacht?

»Keine Therapie. Das habe ich nicht nötig. Ich werde es alleine schaffen. Geben Sie mir nur noch ein bisschen Zeit«, entschied Victoria endlich und sah ihren Arzt bittend an.

»Von mir aus können Sie sich alle Zeit der Welt nehmen. Nur verhungern dürfen Sie mir nicht«, versuchte Daniel scherzhaft, der Situation die Dramatik zu nehmen.

Wie erhofft hoben sich Vickys Mundwinkel, auch wenn es fast nur der Hauch eines Lächelns war.

»Versprochen!« Sie reichte ihm die eisig kalte Hand. »Vielen Dank für Ihr Verständnis. Bis zum nächsten Mal.«

»Wir sehen uns!«

Statt sich wieder in seinen Stuhl zu setzen, ging Daniel nach dem Abschied ans Fenster und sah hinaus.

Er musste nicht lange warten, bis Victoria Arndt in ihren viel zu weiten Jeans und dem Kapuzenpulli vorbei ging. Sie hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Hände in den Känguru-Taschen versenkt.

Ihre dunkel umschatteten Augen bedeckte eine übergroße Sonnenbrille.

Es war eine unheimliche Gestalt, die sich da langsam entfernte.

Beinahe erschien es Daniel, als wäre sie dem Tod näher als dem Leben.

»Britta, was soll denn das? Wieso passt mein Schlüssel nicht mehr. Und warum stehen diese Koffer hier im Flur?« Zornig polterte Cornelius gegen die Tür des schicken Apartments, das er am Morgen noch gemeinsam mit seiner Freundin bewohnt hatte.

»Hör auf, so einen Krach zu machen«, fauchte Britta aus dem Inneren der Wohnung. »Nimm deine Sachen und geh. Ich habe die Nase endgültig voll!«

Cornelius atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Er lehnte die Stirn an die Tür und legte beide Hände neben den Kopf.

»Liebling, sag mir, was passiert ist. Wir können doch über alles reden«, beschwor er sie mit Engelszungen.

Er hörte Brittas kaltes Lachen.

»Wie oft haben wir das schon getan?«, fragte sie deprimiert. »Und was hat es genützt? Nichts. Ich ha-be deine Lügen so satt, das glaubst du gar nicht.«

»Wie kommst du darauf, dass ich lüge?«, fragte Cornelius verständnislos.

Wieder lachte Britta freudlos.

»Hast du mir nicht geschworen, dass du endlich den Juwelier bezahlst, bei dem du den Schmuck abgeholt hast? Und was ist mit der Heizkostenabrechnung und der Miete?«

»Schätzchen, ich hab dir doch gesagt, dass ich momentan knapp bei Kasse bin.« Ungeduld lag in Cornelius’ Stimme. »Die Geschäfte laufen schlecht. Aber ich hab einen dicken Fisch an der Angel. Wenn das was wird, bekomme ich eine Erfolgs-Prämie. Dann kann ich allen unseren Verpflichtungen nachkommen.«

»Ich habe dir lange genug geglaubt. Immer und immer wieder. Jetzt ist Schluss damit. Der Gerichtsvollzieher war hier. Ich habe ihm gesagt, dass er dich ab morgen im Haus deiner Eltern antreffen kann.«

Cornelius’ Herzschlag setzte einen Moment lang aus. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

»Du machst also Ernst, was?«, fragte er heiser.

Britta antwortete nicht sofort. Er konnte sie vor sich sehen, wie sie seitlich an die Tür gelehnt dastand. Wahrscheinlich fiel ihr das seidige braune lange Haar in die vornehme Stirn.

»Es ist vorbei, Cornelius«, antwortete sie schließlich nach einer Minute, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen war.

In diesem Moment änderte sich etwas in ihm.

»In guten wie in schlechten Zeiten, was?«, lachte er sarkastisch auf. »Erinnerst du dich? Du hast es mir versprochen, als ich dich fragte, ob du meine Frau werden willst. Tja, offenbar warst du doch mehr in mein Geld verliebt als in mich.«

»Das ist unfair«, setzte sich Britta verzweifelt zur Wehr. Doch Cornelius hörte ihr nicht zu.

»Wenn ich es mir recht überlege, bist du an meinem Untergang Schuld. Wer wollte denn immer teuer essen gehen? Wer legte Wert auf exklusive Fernreisen in exotische Länder? Für wen sind die teuersten Klamotten gerade gut genug?« Er schnaubte. »Wahrscheinlich bin ich für die feine Dame jetzt nicht mehr vorzeigbar.«

Sein Sarkasmus war das Schlimmste. So kannte Britta ihren Freund nicht. Damit machte er es ihr umso leichter, bei ihrer Entscheidung zu bleiben.

»Du hast meine Entscheidungen alle mitgetragen. Soll ich jetzt da-für büßen?«, fragte sie kalt.

Es gab kein Zurück mehr.

»Ist das dein letztes Wort?«, fragte Cornelius heiser.

Britta zögerte.

»Ja«, sagte sie dann mit fester Stimme.

Stumm stand Cornelius Herzog vor der Tür und blickte hinab auf seine Koffer. Er nickte.

»Na dann …«, Er bückte sich, umklammerte mit jeder Hand einen Griff und wollte sich schon auf den Weg machen.

»Ach, da ist noch etwas.« 
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Brittas feingliedrige, ringgeschmückte Hand erschien und reichte ihm eine Postkarte. »Die lag heute im Briefkasten. Von deinen Freunden, denen du mich nie vorgestellt hast. Ich dachte, das interessiert dich vielleicht.«

Cornelius zögerte, setzte einen Koffer ab und nahm die bunte Karte entgegen.

Während er sie betrachtete, schloss sich die Tür wieder lautlos vor ihm.

Seine Zeit mit Britta war unwiderruflich vorbei.

Regungslos saß Victoria Arndt in einem bequemen Sessel in ihrem Wohnzimmer und starrte in die Kerze, die auf dem Kaminsims stand. Seit Lothars Tod vor über einem Jahr hatte sie das Licht nicht ausgehen lassen.

Ihr Onkel Roman saß ihr gegenüber und betrachtete sie kopfschüttelnd.

»Wann begreifst du endlich, dass Lothar nicht zurückkommt?«

Wie aus einem tiefen Traum erwacht, wandte Vicky langsam den Kopf. »Du solltest hinausgehen und dich wieder verlieben. Das Leben genießen.«

»Warum hast du nach Tante Beates Tod nicht mehr geheiratet?«, stellte Victoria statt einer Antwort eine provokative Gegenfrage.

»Das ist etwas völlig anderes. Immerhin haben Beate und ich beinahe ein ganzes Leben miteinander verbracht. Während Lothar und du …«

In Victorias Augen blitzte ein zorniger Funke auf. Sie unterbrach ihren Onkel unwirsch.

»Als ob die Zeitspanne, die man miteinander verbringt, ausschlaggebend wäre. Ich kenne Paare, die leben seit zwanzig Jahren zusammen und wären sich lieber heute als morgen los.« Der lebhafte Funke erlosch wieder. Vickys Blick wanderte zurück zur Kerze. »Lothar und ich waren füreinander bestimmt. Die perfekte Symbiose. So etwas gibt es nur einmal im Leben.«

»Aber er ist fort. Und sieh dir an, was von dir übrig geblieben ist.« Langsam aber sicher wusste sich Roman keinen Rat mehr. Was er im vergangenen Jahr auch versucht hatte, jede Strategie war kläglich gescheitert, wirkungslos an Vicky abgeperlt wie Wassertropfen von einem Lotosblatt. Ob er die junge Witwe getröstet oder mir ihr getrunken, geschwiegen oder gezürnt hatte. Nichts hatte Vicky aus ihrer Melancholie reißen können, die irgendwann an die Stelle der Trauer getreten war. Selbst eine Reise nach Island, ihrem großen Traum, hatte keine Linderung gebracht. »Du bist nur noch ein trauriger Abklatsch deiner selbst. Was ist aus der lebenslustigen, kontaktfreudigen Frau geworden, die du einmal warst? Wie lange warst du nicht mehr beim Friseur? Und sieh nur deine Kleider an! Freizeitanzug nennt man das wohl. Ganz zu schweigen von deiner Figur. Wenn das so weitergeht, muss ich dich noch in die Klinik bringen und zwangsernähren lassen«, schimpfte Roman ungehalten weiter.

»So ein Unsinn.« Vicky machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mir geht es gut. Übrigens geht mein Aussehen keinen was an. Schließlich muss ich das Haus nur zum Einkaufen verlassen. Und um zum Arzt zu gehen. Da setze ich eine große Brille auf und ziehe die Kapuze über den Kopf. So erkennt mich keiner.«

Roman erhob sich seufzend. Die Zeit drängte. Er hatte die Leitung der Firma inne, für die auch Victoria und Lothar gearbeitet hatten, und noch einen Besichtigungstermin mit Klienten. Trotzdem konnte er sich nicht dazu entschließen, Victoria unverrichteter Dinge zu verlassen, zumal sie an diesem Tag noch erbärmlicher aussah als sonst.

»Versprich mir, dass du zum Arzt gehst. Vielleicht kann Dr. Norden dir helfen oder dir wenigstens ein paar Medikamente verschreiben. Ich hab da neulich einen Artikel über irgendwelche Stimmungs-Aufheller gelesen. Vielleicht wär das ja was für dich.«

»Meine Stimmung ist vollkommen in Ordnung«, wehrte sich Victoria schwach. »Außerdem war ich erst bei Dr. Norden. Der kriegt einen Anfall, wenn ich schon wieder vor seiner Tür stehe.«