Eine Affäre mit Risiko - Patricia Vandenberg - E-Book

Eine Affäre mit Risiko E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Dr. Norden – Unveröffentlichte Romane Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Komm, Schätzchen, wir haben es eilig. Ich möchte nicht, daß wir gleich beim ersten Mal zu spät kommen.« Kaum kam ihre Tochter Cindy die Stufen der Grundschule heruntergesprungen, als Lulu Schwarz sie auch schon an der Hand faßte und zum Wagen zog. »Aber ich hab' mich doch noch gar nicht von Dési verabschiedet«, jammerte Cindy und drehte sich sehnsüchtig nach ihrer Klassenkameradin und Freundin Désirée Norden um. Die winkte, ehe sie sich abwandte und mit anderen Mädchen davonlief. »Du hast sie doch den ganzen Tag gesehen. Simon wartet auf uns. Ich möchte ihn nicht warten lassen.« »Warum muß ich überhaupt mit?« Mißmutig kletterte das Mädchen auf den Rücksitz. Lulu setzte sich ans Steuer, ließ den Motor an und seufzte. »Simon möchte dich kennenlernen. Ist das so schwer zu verstehen? Immerhin denken wir darüber nach zu heiraten.« »Ich find's doof, daß du ihn heiraten willst«, gab Cindy schmollend zurück und starrte aus dem Fenster. Die Straße führte direkt am Englischen Garten entlang. Nach einem feuchten Frühjahr war der Sommer warm und trocken, die Natur stand in sattem Grün. Auf den Wegen tummelten sich Spaziergänger, und Fahrradfahrer nutzten die warme Mittagsstunde zu einem Ausflug.

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Dr. Norden – Unveröffentlichte Romane – 8 –

Eine Affäre mit Risiko

Wenn Mädchen wie Engel aussehen

Patricia Vandenberg

»Komm, Schätzchen, wir haben es eilig. Ich möchte nicht, daß wir gleich beim ersten Mal zu spät kommen.« Kaum kam ihre Tochter Cindy die Stufen der Grundschule heruntergesprungen, als Lulu Schwarz sie auch schon an der Hand faßte und zum Wagen zog.

»Aber ich hab’ mich doch noch gar nicht von Dési verabschiedet«, jammerte Cindy und drehte sich sehnsüchtig nach ihrer Klassenkameradin und Freundin Désirée Norden um. Die winkte, ehe sie sich abwandte und mit anderen Mädchen davonlief.

»Du hast sie doch den ganzen Tag gesehen. Simon wartet auf uns. Ich möchte ihn nicht warten lassen.«

»Warum muß ich überhaupt mit?« Mißmutig kletterte das Mädchen auf den Rücksitz.

Lulu setzte sich ans Steuer, ließ den Motor an und seufzte.

»Simon möchte dich kennenlernen. Ist das so schwer zu verstehen? Immerhin denken wir darüber nach zu heiraten.«

»Ich find’s doof, daß du ihn heiraten willst«, gab Cindy schmollend zurück und starrte aus dem Fenster.

Die Straße führte direkt am Englischen Garten entlang. Nach einem feuchten Frühjahr war der Sommer warm und trocken, die Natur stand in sattem Grün. Auf den Wegen tummelten sich Spaziergänger, und Fahrradfahrer nutzten die warme Mittagsstunde zu einem Ausflug.

Mit einemmal entdeckten Cindys schmale braune Augen etwas Spannendes. »Ui, da drüben kracht es gleich!« Aufgeregt zappelte sie auf dem Sitz herum. »Wenn die Frau nicht vom Radweg weggeht, ist sie gleich platt.«

»Cindy, was redest du denn da?« Empört über die Sensationslust ihrer kleinen Tochter schüttelte Lulu die dunklen kurzen Locken.

Doch das braunhaarige Mädchen hörte die Mahnung ihrer Mutter nicht. »Zack, das hat sie jetzt davon. Das weiß doch jedes kleine Kind, daß man nicht dumm auf Radwegen herumhüpft«, bemerkte sie altklug und reckte den Kopf, während sie verkehrsbedingt langsam an dem Parkgelände vorbeifuhren.

»Was ist denn passiert?« erkundigte sich Lulu Schwarz nun doch. Sie mußte sich auf den Verkehr konzentrieren und konnte sich nicht umschauen.

»Ein Radler ist von vorne und einer von hinten gekommen. Und die blonde Frau lief mitten drin und hat nichts gemerkt. Kommt davon, wenn man Musik hört.«

»Wieso weißt du, daß sie Musik gehört hat?« fragte Lulu irritiert und suchte im Rückspiegel nach Beweisen für diese Behauptung.

»Weil sie getanzt hat«, antwortete Cindy ungerührt.

»Komische Leute gibt es.« Mißbilligend schnalzte Lulu mit der Zunge, ehe sie auf das Thema zurückkam, das ihr auf der Seele brannte.

»Warum willst du nicht, daß Simon und ich heiraten? Du kennst ihn doch noch gar nicht.« Im Rückspiegel suchten Lulus Augen die ihrer Tochter.

»Wir kommen doch gut ohne Mann zurecht. Oder gefällt es dir nicht mit mir allein?« stellte das Kind ahnungslos eine provokante Frage.

Lulu fühlte sich in die Enge gedrängt.

»Unsinn. Natürlich fühle ich mich wohl mit dir. Aber ich dachte, für dich wäre es schön, endlich wieder eine richtige Familie zu haben.«

»Ich weiß doch gar nicht, wie das ist«, erwiderte Cindy sachlich und zog die Nase hoch. »Papa ist schon so lange tot. Ich kann mich gar nicht mehr an ihn erinnern.«

»Putz dir bitte sofort die Nase«, schimpfte Lulu undgeduldig. Gewöhnlich waren sie und ihre Adoptivtochter Cindy ein Herz und eine Seele. Doch das bevorstehende Treffen mit ihrem zukünftigen Mann machte sie nervöser, als ihr lieb war. Was, wenn Cindy und Simon sich nicht leiden konnten? »Hier ist ein Taschentuch!« Mit der einen Hand hielt Lulu das Steuer, während sie mit der anderen ein Papiertuch aus einer Packung nestelte und schließlich nach hinten reichte.

»Danke!« Cindy schneuzte sich geräuschvoll.

»Um so schöner fände ich es, wenn es wieder anders wäre. Meinst du nicht?« versuchte Lulu schon seit Verkündung der frohen Botschaft, ihre Tochter gnädig zu stimmen.

Cindy kratzte sich nachdenklich am Kopf.

»Weiß nicht. In meiner Klasse wohnen ganz viele nur mit ihrer Mama zusammen. Das ist ganz normal. Bei der Dési aber nicht, bei der ist es ganz anders. Die hat nicht nur Mama und Papa, sondern auch vier Geschwister und eine Lenni, die bei ihnen wohnt und ihnen im Haushalt hilft«, erzählte sie von ihrer Freundin.

Lulu unterdrückte ein Seufzen.

»Ja, die Nordens. Das ist schon eine Vorzeigefamilie«, geriet sie unvermittelt ins Schwärmen. »Damals, als Papa und ich geheiratet haben, haben wir auch von einer Großfamilie geträumt. Wir haben uns ganz viele Kinder gewünscht.« Nun seufzte sie doch. »Na ja, leider hat es nicht geklappt. Es sollte halt nicht sein.«

»Warum habt ihr keine eigenen Kinder bekommen?« erkundigte sich Cindy wieder einmal.

»Das habe ich dir doch schon tausendmal erklärt«, entfuhr es Lulu ungeduldig. »Als Papa klein war, hatte er eine schlimme Krankheit. Deshalb wußten wir von Anfang an, daß das mit den eigenen Kindern nichts werden würde.«

»Und dann seid ihr losgegangen und habt euch ein Kind ausgesucht«, nickte Cindy treuherzig.

Lulus Herz wurde von einem Gefühl der Wärme überflutet, das die Nervosität einen Augenblick übertönte.

»Ganz genau. Du bist ein echtes Wunschkind. Kein anderes Mädchen hätten wir gewollt. Nur dich! Ist das nicht ein tolles Gefühl?« Wieder suchten Lulus Augen die ihrer Tochter im Rückspiegel.

Wie in psychologischen Ratgebern empfohlen, hatte sie Cindy schon früh die Wahrheit gesagt. Ihre Angst, ihr Kind könne ihr dadurch emotional entgleiten, hatte sich nicht bestätigt. Noch war Cindy zufrieden und glücklich. Doch eines Tages würde sie ihre leiblichen Eltern kennen lernen wollen. Schon heute fürchtete sich Lulu davor.

»Warum hat meine echte Mutter mich damals hergegeben?«, fragte Cindy in munterem Plauderton weiter.

Nervös trommelte Lulu auf das Lenkrad.

»Sie war sehr jung, hatte kein Geld und auch keinen Beruf. Da dachte sie sich, es wäre besser, wenn wir uns um dich kümmern.«

»Aber das Geld hätte doch mein echter Papa verdienen können.«

»Cindy, wie oft muß ich dir das alles noch erklären? Dein Papa war auch noch nicht mit der Schule fertig. Die beiden waren gar nicht mehr zusammen, als du geboren wurdest.«

»Hat er mich denn wenigstens mal gesehen und auf den Arm genommen?«

»Woher soll ich das wissen?« stöhnte Lulu auf. »Hättest du etwas dagegen, diese Unterhaltung an dieser Stelle abzubrechen und ein andermal fortzusetzen? Wir sind nämlich da!« Rasant scherte Lulu in eine Parklücke ein.

Cindy äugte kritisch durch das Fenster.

»Was? Dahin gehen wir?« fragte sie zutiefst enttäuscht, nachdem sie versucht hatte, den Namen des Lokals zu entziffern. »Gibt’s da Pizza? Oder Schnitzel mit Pommes?«

Lulu war um den Wagen herumgegangen und hielt ihrer kleinen Tochter die Tür auf.

»Das ist eines der teuersten französischen Lokale der Stadt. Es ist brandneu. Man bekommt wahnsinnig schwer einen Tisch dort. Du solltest dich freuen, daß Simon sich soviel Mühe gibt, um uns eine Freude zu machen«, verteidigte Lulu die Wahl ihres Verehrers undgeduldig. »Jetzt mach schon. Wir sind sowieso schon zu spät!«

»Nein, da will ich nicht rein!« Mit einemmal stellte sich Cindy quer. Sie blieb sitzen und verschränkte entschieden die Arme vor der Brust.

»Schätzchen, bitte, Simon hat nicht viel Zeit«, flehte Lulu ihre Tochter an. Am liebsten hätte sie sie am Kragen gepackt und ihr ordentlich die Leviten gelesen. Doch aus Erfahrung wußte sie, daß diese Strategie niemals von Erfolg gekrönt war. So gemahnte sie sich zur Geduld, auch wenn es ihr schwerfiel.

»Ist mir doch egal«, wußte Cindy jedoch genau um ihre Macht und spielte sie mit einem Engelslächeln aus.

Lulu stöhnte auf und warf einen verzweifelten Blick auf das Restaurant. Plötzlich hatte sie eine Idee.

»Also gut, paß auf. Wenn du jetzt brav bist und mitkommst, machen wir uns heute abend einen richtig gemütlichen Abend. Wir kuscheln zusammen auf der Couch, ich les dir aus deinem Lieblingsbuch vor, wir hören Musik. Nun? Was meinst du?« Sie sah ihre Tochter bittend an. Satansbraten! ging ihr dabei durch den Kopf.

Cindy ließ sich Zeit mit einer Antwort. Schließlich grinste sie.

»Bekomm ich auch Chips?« nutzte sie die Situation ganz schamlos aus.

Lulu stöhnte.

»Also gut. Aber nur, wenn du jetzt augenblicklich aussteigst.«

Ein zufriedener Ausdruck machte sich auf Cindys hübschem Kindergesicht breit, während sie ausstieg. Ihrer Ansicht nach war der Tag gerettet.

Carl Burggraf sah den Zusammenstoß auf sich zukommen, ohne daß er in der Lage gewesen wäre, angemessen zu reagieren. Er fuhr auf seinem Fahrrad durch den Englischen Garten. Nach der Mittagspause war er auf dem Weg zurück in die Arbeit, als er die junge blonde Frau in dem langen Rock auf dem Radweg tanzen sah. Gleichzeitig bemerkte er den Radfahrer, der ihm entgegenkam.

»Sie geht zur Seite. Ganz bestimmt tut sie das!« murmelte er, unfähig zu reagieren.

Sie ging nicht zur Seite. Der Zusammenstoß war nicht mehr aufzuhalten. Das Unvermeidliche ge-schah.

»So eine dumme Schnepfe. Zum Tanzen geht man in die Disco. Davon haben Sie wohl noch nichts gehört?« schimpfte der Mann auf dem anderen Fahrrad, während er sich nach dem Sturz fluchend unter seinem Vehikel herauswand.

Carl, der zu Boden gestürzt war und sich den aufgeschürften Ellbogen hielt, sah jedoch besorgt zu der Frau hinüber, die sich eben hochrappelte.

»Ist Ihnen etwas passiert?«

»Wie bitte?« Sie sah ihn fragend an.

Trotz seines Schrecks mußte Carl lächeln. Er rutschte zu ihr hinüber und zog an einem Kabel, das aus ihrem Ohr hin. Es gehörte zu ihren Kopfhörern.

»Ich wollte wissen, ob Ihnen etwas passiert ist«, wiederholte er seine Frage.

Die blonde Frau antwortete nicht sofort. Während der andere Mann seine Schimpftiraden auf sie losließ und sein Fahrrad hochhob, schüttelte sie in aller Seelenruhe jeden Körperteil.

»Ich weiß nicht«, stellte sie schließlich fest, die blauen Augen auf Carl gerichtet. Der Ausdruck darin war abwesend.

»Dann kann ich ja fahren«, bemerkte der andere Unfallbeteiligte ärgerlich und schwang sich auf seinen Drahtesel. Noch im Wegfahren schimpfte er vor sich hin und schüttelte immer wieder den Kopf.

Ehe Carl widersprechen konnte, war der Mann fort. Doch das kümmerte den Ingenieur nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Frau, die ihn unverwandt anstarrte.

»Kennen wir uns?« fragte sie unvermittelt.

Mit einem Mal hatte Carl Burggraf ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube. Obwohl er sich sicher war, sie nie zuvor gesehen zu haben, kam sie ihm auf seltsame Weise bekannt vor. Als Ingenieur zählte er jedoch zu der nüchternen Kategorie Mensch und schob dieses Gefühl beiseite.

»Nicht, daß ich wüßte. Geht es Ihnen wirklich gut?«

»Wie schön, daß du endlich da bist. Ich habe so lange auf dich gewartet«, tat die Frau, als hätte sie seine Antwort nicht gehört.

Fragend sah sich Carl um in Erwartung, hinter sich einen anderen Mann vorzufinden, mit dem die schöne Unbekannte sprach. Doch da war niemand. Die Schaulustigen, die den Unfall beobachtet hatten, waren längst weitergegangen. Carl drehte sich wieder zu ihr um.

»Meinst du etwa mich?«

»Wen denn sonst? Oder siehst du hier noch jemanden?« Sie lachte belustigt.

»Nein.« Carl schüttelte den Kopf. »Aber wie kannst du auf mich gewartet haben, wo wir uns gar nicht kennen?« Sein sachlicher Verstand ließ eine solche Möglichkeit nicht zu.

Die Frau lachte wieder.

»Ich kenne dich schon lange. Seit mindestens dreihundertzwanzig Jahren.«

»Was?« Entschieden erhob sich Carl Burggraf vom Boden und klopfte den Staub von den Kleidern. »Ich bringe dich jetzt in die Behnisch-Klinik. Sie ist nicht weit von hier.«

»Mir fehlt wirklich nichts«, beharrte die schöne Unbekannte, während sie es Carl gleichtat. Auch sie stand auf und schüttelte den bodenlangen Rock, der mit einem indischen Muster auffällig bedruckt war. An jeder anderen Frau, die Carl kannte, hätte dieser Rock albern ausgesehen. Doch die Unbekannte wirkte durch ihn nur noch mysteriöser und geheimnisvoller. Als sie sich gesäubert hatte, streckte sie Carl unvermittelt die Hand hin.

»Hallo, ich heiße Muriel.«

»Burggraf, Carl. Angenehm«, erwiderte er förmlich, und Muriel lachte glockenhell.

»Bist du immer so verklemmt? Oh, du hast dir wehgetan.« Sie hatte sein Wunde am Ellbogen entdeckt.

Carl winkte ab.

»Das ist nicht der Rede wert. Wollen wir?« Er hatte sein Fahrrad vom Boden aufgehoben und sah sie auffordernd an.

»Wenn ich dadurch noch länger mit dir zusammensein kann, gerne.«

»Hast du nichts vor? Keinen Termin? Irgend jemand, dem du Bescheid sagen mußt?« fragte Carl, während sie nebeneinander hergingen. Er schob sein Fahrrad, und der Wind spielte mit Muriels blondem Haar.

»Nein, niemand.« Sie schwieg eine Weile. Dann wandte sie sich strahlend lächelnd an Carl. »Heute ist mein Glückstag!«

E sah sie ungläubig an.

»Das kann nicht sein. Wir hatten einen Unfall. Das kann man doch nicht Glück nennen.«

Muriel bückte sich, um ein Gänseblümchen zu pflücken. Sie drehte es in den Händen, als sie weiterging.

»Hättest du angehalten, als du mich gesehen hast?« fragte sie. Ihre Stimme war ein einziges Lachen.

Carl dachte kurz nach. Diese Unterhaltung war verwunderlicher als alles, was er je erlebt hatte.

»Nein, vermutlich nicht«, gab er offen zu.

Muriel nickte.

»Siehst du, das dachte ich mir. Da warte ich seit dreihundertzwanzig Jahren auf dich, und du wärst einfach vorbeigefahren. Deshalb war der Unfall ein Glück!«

»Hm, ich weiß nicht recht«, antwortete Carl irritiert. Einer Frau wie Muriel war er noch nie zuvor begegnet. Er wußte nun nicht, ob er fasziniert oder abgestoßen sein sollte.

»Du fragst dich gerade, ob du mich komisch oder wunderbar finden sollst, nicht wahr?« erriet sie zu seinem großen Erstaunen seine Gedanken.

»Woher weißt du das?«

»Ich sehe es dir an der Nasenspitze an.«

Obwohl er wußte, daß das Unsinn war, faßte Carl sich trotzdem lachend an die Nase.

Muriel kicherte, und Carl tat so, als ob er sich kratzte. Dann sah sie neugierig auf seine Hände.

»Künstlerhände«, stellte sie mit Kennermiene fest. »Laß mich raten. Du spielst Klavier?«

»Nein, leider nicht.«

»Ach, ich weiß. Du malst.«

»Auch nicht.« Wieder schüttelte Carl bedauernd den Kopf. Das ungewöhnliche Gespräch faszinierte ihn zunehmend.

»Dann kann es nicht anders sein: du bist ein großer Romancier.« Muriel lachte zufrieden.

Doch auch diesmal mußte der Ingenieur seine Begleiterin enttäuschen.

»Nichts dergleichen. Ich habe einen langweiligen technischen Beruf.«

Muriel legte den Kopf schief.

»Warum tust du das, wenn es dich langweilt?«