Dramaqueen - Tara-Louise Wittwer - E-Book

Dramaqueen E-Book

Tara-Louise Wittwer

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Beschreibung

Laut zu sein ist immer auch ein bisschen unangenehm, vor allem als Frau. Da wird man schnell mal als »hysterisch« oder »dramatisch« abgestempelt. Doch das sind nicht nur Begriffe, die von Männern genutzt werden – auch Frauen verwenden sie, um andere Frauen zu degradieren: »Ich bin nicht so wie die anderen« oder »Männer sind einfach viel weniger Drama« sind nur ein Bruchteil der Sätze, die man selbst im Jahr 2022 noch hört. Doch woran liegt das eigentlich? In ihrem neuen Buch widmet sich die Kulturwissenschaftlerin und erfolgreiche Influencerin Tara-Louise Wittwer der offensichtlichen und unterschwelligen Abwertung von Weiblichkeit. Sie legt offen, dass nicht nur Männer misogyn – also frauenfeindlich – handeln, sondern auch Frauen untereinander. Durch das Aufwachsen und die ständige Konditionierung in patriarchalen Strukturen hat sich Misogynie in unseren Köpfen verfestigt. Die Aktivistin hinterfragt schonungslos ihre eigenen Verhaltensmuster und die der anderen. Sie reflektiert ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft – zwischen Be- und Verurteilung – und zeigt Wege auf, wie wir als Frauen (und Männer!) solidarisch miteinander umgehen können.

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Seitenzahl: 210

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

ICH

Repräsentation oder: Welche Frau bin ich eigentlich?

Dramaqueen

Newsflash: Jein ist kein Konsens!

Internalisierte Misogynie

Eine wie keine

Sexy Bitch

Mund zu, Augen auf, Ellenbogen raus!

Basic Bitches und Pick-Me-Girls

Früher war alles besser? Misogynie in der Geschichte

Wieso ich Rosa (neuerdings) mag

#MeToo – Kein Einzelfall, sondern ein ganzes System

Ich auch

Weaponized Incompetence

Mansplaining – warum Frauen ein bisschen mehr erklärt bekommen müssen …

Frau sein – ein Leben zwischen ständiger Be- und Verurteilung

Die verdrehte Sichtweise von Männern – in Prozenten

Sie ist überall, wo du auch bist: Misogynie in den modernen Medien

Was Tara sagt

#TikToxic – wieso mich vorzugsweise Leons und Lucas hassen

The heart of modern misogyny

Hass auf mehr als eine Personengruppe

Comedians

Influencerinnen-Bashing

Don’t hate the player, hate the game

Misogynie in den klassischen Medien (ja, da auch)

Aber vielleicht lügt sie ja? – Der Crazy-Ex-Girlfriend-Mythos

Vorhang auf für: Amber Heard und Johnny Depp

Lächeln, nicken, Arschloch denken

Male Gaze vs. Female Gaze

Misogynie in der Medizin – oder drastisch gesagt: Frauenhass tötet

Wie eine Frau mein Leben für immer verändert hat

Wo stehen wir jetzt? Wo wollen wir hin?

ICH

Schlusswort – ein Danke (ich hab’s versucht)

Quellennachweise

 

 

 

 

Für Mama. Papa auch, aber Mama mehr.Na ja, und Opa, aber das würde die Frauenquote wieder drücken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für dich auch, Opa.

Anmerkung der Autorin

Wenn von mehreren Personen gesprochen wird, dann verwende ich das generische Femininum.

Ich meine Männer einfach mit.

Auch spreche ich in diesem Buch meist von Männern und Frauen. Und wenn ich Frauen sage, meine ich ALLE Frauen. Das inkludiert alle Menschen, die sich als Frau identifizieren, also trans Frauen und cis Frauen.

Wenn ich mich hingegen (negativ) über Männer äußere, meine ich in den allermeisten Fällen cis Männer und keine trans Männer oder homosexuellen Männer. Diese haben die aufgedrängten Gendernormen und Rollenklischees massenhaft durchbrochen und gehören wie Frauen zu einer marginalisierten Gruppe. Oder kurz gesagt: Ihr gehört zu uns, ihr Kings!

Wir leben in einer Welt, in der Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und Hautfarbe benachteiligt werden. Ich selbst bin eine weiße, nicht_behinderte cis Frau und erlebe daher lang nicht die volle Auswirkung des ablehnenden Patriarchats – diesem Privileg bin ich mir deutlich bewusst. Das bedeutet auch, dass meine persönlichen Erlebnisse, über die ich in diesem Buch schreibe, nicht universell für jede Leserin gültig oder richtig sein werden.

Außerdem kann es sein, dass ich in diesem Buch Aussagen treffe oder mich auf Fakten stütze, die sich in den kommenden Jahren verändern. Und vielleicht (sehr wahrscheinlich) entwickle auch ich mich mit der Zeit weiter, lerne und verstehe noch mehr (hoffentlich!). Was ich sagen möchte: Ich bin nicht perfekt, ich mache hin und wieder Fehler und falls dies auch in diesem Buch vorkommt, bitte ich um Entschuldigung und Verständnis. Ich und meine Lektorin(!) haben unser Bestes gegeben, dieses Buch inklusiv und fair zu schreiben.

Außer für weiße cis Männer, die misogyne Kackscheiße verbreiten.

… Spaß.

(Spaß)

 

 

 

 

She lives in the cloudsAnd talks to the birdsHopeless little oneShe’s not like the other girls I know

 

The Rasmus, Not like the other girls

Vorwort

Ich weiß gar nicht mehr, wie ich aussehe.

Ob ich mir gefalle. Dieses Muttermal in meinem Gesicht ist kein Problem, denke ich – dachte ich, aber seitdem ich online bin, wird immer wieder darüber gesprochen. Gestern habe ich eine Nachricht bekommen, in der stand, dass ich es wegoperieren lassen soll, damit man mich wieder angucken kann. Manchmal zoome ich Fotos ran, um zu gucken, ob ich normschön bin. Und dann frage ich mich: schön für wen? Wem muss ich gefallen, außer mir? Sagt man das nicht so? In einer Zeitschrift (extra für Frauen) steht, dass wir jetzt alle schön sind – so wie wir sind.

In einem Special über acht Seiten sollen zehn Selbstliebe-Sätze JETZT verinnerlicht werden, gleich hinter einem Artikel, in dem steht, wie du dich endlich von anderen Frauen abhebst, endlich anders wirst! Aber nur, wenn du willst, klar. Alles kann, nichts muss, außer lieben musst du dich. Also liebe ich mich jetzt selbst.

Mein Spiegelbild schaut mir aus der Selfie-Kamera entgegen: LIEBE DICH ENDLICH SELBST, du scheiß Versagerin, nicht einmal das kriegst du hin!

Ich ziehe meine Mundwinkel nach oben, meine Augen lächeln nicht mit.

Zehn Seiten weiter finde ich Rezepte für Gewichtsverlust: »Keine Sorge mehr um Extrapfunde«, steht dort und: »Gut aussehen in Shorts«. Ich bin maximal verwirrt. Shorts sollte man nämlich dann doch lieber nicht anziehen, besser eignen sich Röcke – weil ER die mag. Das erfahre ich aus den Mode-Tipps, in denen steht, welche Kleidung für ihn GAR NICHT GEHT. (Wo wir gerade dabei sind: Rote Nägel oder Lippen mag ER auch nicht, das ist irgendwie zu viel. Frau wirkt dadurch zu stark und selbstbewusst.) Aber eben war ich doch noch selbstbewusst. Ich dachte, wir sind alle so gut, wie wir sind? Die lügen ja alle.

Ich würde gern behaupten, dass es nichts mit mir macht, solchen veralteten Ansichten zu begegnen. Schließlich sind wir ja eigentlich schon weiter, schließlich bin ich ja schon weiter. Doch so einfach ist das nicht. Manchmal fühle ich mich selbst irgendwie veraltet. »Altere in Würde – bist du nicht zu alt für Instagram?« – wieder so ein Kommentar, der mir egal sein könnte. Aber wieso kaufe ich dann trotzdem Anti-Aging-Zeug? All die Cremes und Seren, die Männer irgendwie nicht kaufen, weil jeder weiß: Männer altern sexy und Frauen altern … na ja, alt. Ich könnte kotzen vor Wut, aber das ist schlecht für den Teint.

»JETZT strahlender Teint und zehn Jahre jünger aussehen!«

Zwischen all den Trends, die vorschreiben wollen, wie ich auszusehen habe, meinem persönlichen Geschmack (der durch Trends geformt wurde) und der Überzeugung, dass ich mich von Trends freispreche, fühle ich mich überfordert. Ich liebe Dinge mit Blumen drauf, ich liebe bunte Fingernägel und rote Lippen – ich lieb’s. Genauso liebe ich aber auch Schwarz und Grau und Weiß, ich will nach Business aussehen, bloß nicht zu girly, denn dann nimmt mich niemand ernst – denn mal unter uns: Jeder weiß, Rosa und Blümchen heißt immer auch ein bisschen dumm und ungebildet. Und NETT! Wer will schon nett wirken? Ich bin lieber mysteriös und cool, aber vor allem mysteriös.

Ich weiß gar nicht mehr, was mir gefällt.

Ich will anders aussehen, als ich aussehe, aber ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht, wie man richtig aussieht, denn es gibt so viele Möglichkeiten, wie ich, wie eine Frau, aussehen kann. Echte Frauen haben Kurven? Wieso werde ich dann on- und offline dafür degradiert, beleidigt, gehasst? »Nur Hunde spielen mit Knochen« – heißt das dann, dass dünne Frauen es nicht wert sind, von echten Männern geliebt zu werden? Was sind denn eigentlich echte Männer, echte Frauen, echte Menschen?

Puh, die Frage kann ich mir jetzt nicht auch noch stellen …

Ich will mir schon gefallen, aber eben nicht zu sehr, das könnte andere Menschen verunsichern. Und meine Aufgabe als Frau ist es doch, dass andere Menschen sich wohlfühlen, oder nicht?

Ich will mir schon gefallen, aber anderen mehr. Denn ich habe gelernt, wenn andere finden, dass ich gut bin, dann finde ich mich gut, weil ich gut gefunden werde.

Ich will schon eine Meinung haben, aber jeder hat eine. Über mich. Über Frauen. Wir sollen viele Meinungen haben und am Ende keine, sollen uns selbst lieben und alle anderen bitte auch. »Komm deinem natürlichen Instinkt der Fürsorge nach, na MACH SCHON – bist du ’ne Emanze, oder was? Du liebst ja gar nicht richtig!«

Wir müssen uns trauen, mehr zu machen, nach mehr zu fragen – nach mehr Gehalt vor allem, aber nicht sofort – noch mal schwanger werden und den Arbeitgeber ausnutzen (das kennt man ja von den Frauen). Und bitte nicht vergessen: Nicht zu laut und fordernd sein, denn wir wollen doch schließlich noch einen Mann finden.

Und die Lesben, was machen die? Ach, diese Randgruppe, wen juckt die denn?

Hier hast du ein Rezept für einen Zitronenkuchen, Low Carb, damit glänzt du auf der nächsten Gartenparty vor den Freunden deines Mannes, stopf dir den Kuchen rein, stopf deine Löcher in der Seele und pass endlich wieder in das Kleid, das er so sexy findet, er, er, er, ich, ich, ich …

Was, wenn ich das alles mal ausblende?

Kein Mann, kein System, kein Patriarchat.

Was bleibt dann eigentlich von mir übrig?

Wer bin ich, ich, ich …?

ICH

Der Esel nennt sich selbst zuerst. Klar, das wissen wir alle und trotzdem fange ich mit einem großen ICH an. Nicht ich, sondern ICH. Großbuchstaben, laut. Laut ist immer auch ein bisschen unangenehm, vor allem als Frau. Da wird man schnell mal zur Dramaqueen, zur Attentionwh*re oder zum Pick-Me-Girl: alles gemeine Begriffe, die oft sogar von Frauen gegen andere Frauen verwendet werden. Doch woran liegt das eigentlich, dass wir zu uns und anderen so gemein sind?

Haben wir nicht schon genug zu tun? In einer Gesellschaft, die definitiv nicht darauf ausgelegt ist, es Frauen besonders einfach zu machen? Wir müssen immer diese eine Extrameile laufen, nur um kurz vor dem Ziel von einem achselzuckenden Mann überholt zu werden, der uns im Vorbeiziehen noch ein paar lässige Worte mit auf den Weg gibt: »Ach so, ja schade, na ja, Ihr alter Job ist doch auch nett, oder nicht? Warum sind Sie denn jetzt so frustriert, hat da etwa jemand eine kleine Hormon-Inbalance?«

In diesem Buch möchte ich nicht nur über mich sprechen. Was für ein langweiliges Buch das wäre! Nein, ich möchte über meine Rolle als Frau in unserer heutigen Gesellschaft sprechen, zwischen ständiger Beurteilung und Verurteilung, zwischen Beauty-Filtern und der Frage, wieso ich die Farbe Rosa lange Zeit so konsequent peinlich fand (und dachte, dadurch sei ich etwas Besonderes).

Ich habe viel darüber nachgedacht, und am einfachsten wäre es, meiner Mutter die Schuld an allem zu geben. Meine Mutter trägt gern gedeckte Farben, mit Schminke kennt sie sich wenig aus, und auf Rockkonzerten ist sie die mit dem großen Bier in der ersten Reihe, bei den »Jungs«.

Weil Eltern ja irgendwie auch Vorbilder sind und ich es nicht anders kannte, stand für mich daher schon als kleines Mädchen fest: Frauen sind zu viel Drama.

Obwohl wir damit derselben Auffassung waren, schien meine Mutter unter meiner Einstellung zu leiden – denn schließlich war auch sie eine Frau. Ich entwickelte ein immer stärkeres Verhältnis zu meinem Vater, ohne zu merken, wie ich damit unsere Mutter-Tochter-Beziehung sabotierte. Aber wieso hätte ich etwas ändern sollen? Die schwierige Beziehung zwischen uns unterstrich ja nur noch deutlicher, dass es mit Frauen sehr viel anstrengender ist.

So richtig habe ich erst in den letzten Jahren verstanden, wie groß meine innere Abwehrhaltung war und woher diese kam. Heute kann ich mit Stolz behaupten, dass wir ein gutes Verhältnis haben. Meine Mutter ist eine der stärksten Frauen, die ich kenne. Und nein, das sage ich nicht nur, weil ich ihr das Buch gewidmet habe. Ich widme ihr dieses Buch genau deswegen.

Ich widme meiner Mutter dieses Buch, weil ich gemerkt habe, wie verletzend es sein kann, wenn Frauen einander die Schuld geben. Ich möchte mit diesem Buch einen Weg für mich und andere aufzeigen, wie wir uns supporten und nicht länger mit dem Finger aufeinander zeigen. Da wäre es wohl kein so guter Schachzug, der ersten und wichtigsten Frau in meinem Leben zu unterstellen, dass sie eigentlich alles für mich versaut hat. Und sie kann im Grunde wirklich nichts dafür, dass ich alles, was pink ist, lange Zeit doof fand.

Nein. Ich war das. Und all die Bücher, Songs und Filme. Die ganze verdammte Popkultur, wegen der ich Eine wie keine sein wollte. Ich wollte so unbedingt anders sein als die anderen.

Wenn ich heute die Kolumnen von Redakteurinnen lese, die andere Frauen für ihren Erfolg, ihre klugen Gedanken oder ihren besonderen Look feiern, frage ich mich: War nur ich so eine doofe Nuss?* Habe nur ich jedes Mal innerlich abgewunken, wenn jemand in Gesprächen andere Frauen erwähnt hat? Habe nur ich die neue Freundin von meinem Ex UND gleichzeitig die Ex-Freundin meines aktuellen Partners gehasst, einfach weil … tja, wieso eigentlich?

Statistiken zeigen: So ging es nicht nur mir. Internalisierte Misogynie ist ein massives Problem, und zwar überall. Angefangen bei Literaturveröffentlichungen,1 über Film und Fernsehen, bis hin zu zwischenmenschlichen Beziehungen.2 Sie bestimmt unterbewusst unser Denken und Handeln.

Das ist gut, weil es mir zeigt, dass ich nicht als Einzige auf dem Holzweg war.

Das ist schlecht, weil wir uns fast alle auf diesem Holzweg befunden haben oder dort noch immer herumstehen und auf den nächsten Bus warten (aber der fährt nur unter der Woche und zur vollen Stunde).

Die gute Nachricht ist: Es tut sich was.

Und du, du liest ja jetzt auch dieses Buch.

*Ich würde hier gern harscher in meiner Wortwahl ausfallen, weil ich überzeugt davon bin, dass Fluchen der Seele guttut, aber ich spüre schon die tadelnden Blicke meiner Managerin in meinem Nacken, also lasse ich es. Denkt euch euren Teil. Aber denkt ihn so richtig. Denn ich habe die Schnauze gehörig voll von »Als Frau solltest du nicht solche Sachen sag…« – doch, sollte ich.

Repräsentation oder: Welche Frau bin ich eigentlich?

Die erste Frau, von der ich mich repräsentiert fühlte, war eine Serienkillerin. Das hört sich jetzt erst einmal komisch an – aber ich kann es erklären.

Ich hatte schon immer ein Faible für Serien und Filme; was sie in mir auslösten, wurde mir allerdings erst spät bewusst. Als Kind konnte ich mich kaum sattsehen an Disney-Prinzessinnen, die im Schlaf ohne ihr Einverständnis geküsst wurden (wieso sollten sie das nicht wollen, es war ja schließlich ein Prinz!!!). Ich fühlte mich bestens unterhalten. Aber wollte ich wirklich so sein wie sie? Als Teenagerin standen mir schließlich das aufgedrehte Cliquengirly (wir erinnern uns an Regina George im Film Mean Girls) oder die mysteriöse Außenseiterin (wie Kat in 10 Dinge, die ich an dir hasse) zur Verfügung. Anders als das Cliquengirl interessierte die Außenseiterin sich nicht für ihr Äußeres oder ihre Außenwelt (am Ende standen aber beide auf denselben Typen). Besonders tief wurden die Charaktereigenschaften von keiner der beiden gezeichnet. Und überhaupt: Besonders abwechslungsreich sahen die Drehbücher in den Neunzigern und Nullerjahren nun wirklich nicht aus: Wohin ich auch sah, ich begegnete den immer selben Personen und den immer selben Storylines, nur in unterschiedlichen Pink-Schwarz-Schattierungen.

Wer also wollte oder sollte ich sein?

Dann, Anfang der 2010er-Jahre, nahmen Social Media eine immer größere Rolle in meinem und unser aller Leben ein. Mehr Menschen hatten mehr Meinungen und wurden schneller gehört als davor – und (man glaubt es kaum) manche Menschen hörten sogar zu. Und so wurde auf Blogs und in den sozialen Medien wie Facebook und Co vermehrt Stimmen laut, die kritisierten, dass Promqueenfilme (ha, hast du auch PORNqueenfilme gelesen? Ich mag, wie du denkst) kein besonders feministisches Frauenbild vermitteln. Weibliche Protagonistinnen in Filmen und Serien sollten auf einmal mehr können, als um den Schulschwarm zu buhlen und sich gegenseitig in einem Zickenkrieg zu zerstören (auf freche Weise mit süßen Outfits und Glitzer).

Und siehe da, nach und nach tat sich etwas in der Filmindustrie. Plötzlich ploppten Serien und Filme auf, die weibliche Charaktere mit Mut und Redezeit und anderen Themen (als Männerfang) zeigten. Disney brachte zusammen mit Pixar 2012 den Film Merida heraus, in dem ein Mädchen und ihre komplizierte, aber am Ende doch gute Beziehung zu ihrer Mutter thematisiert wurde (kam mir irgendwie bekannt vor). Es folgten Filme wie Vaiana oder Frozen, in denen Frauen jetzt endlich auch mal Ziele und Gedanken hatten, wie echte Menschen! Wahnsinn. Aber gesehen habe ich mich da trotzdem nicht (zumal ich auch nicht mehr in dem Alter war, in dem man sich mit Disney-Prinzessinnen identifiziert). Trotz des charakterlichen Upgrades funktionierten die meisten Geschichten weiterhin so, dass sich die Charaktere in die Guten und die Bösen unterteilen ließen. Wie im Märchen. Frauencharaktere sollten gemocht werden – oder eben nicht. Prinzessin oder böse Stiefmutter.

Ich wusste lang nicht, wohin mit meinen komplizierten Gefühlen, mit den Gegensätzen, die ich fühlte und über die ich nie reden konnte. Die normalsten Sachen waren für Frauen nicht normal. Angefangen bei Dellen in den Beinen und Neidgefühlen für Freundinnen. Dieses Schweigen und die fehlende Repräsentation meiner Gedanken und Gefühle lösten in mir eine Menge Fragen aus:

Bin ich ein schlechter Mensch???

Wieso sind alle Frauen in Filmen und Serien immer so verdammt perfekt?

Was muss ich noch tun, um auch so zu sein?

Was stimmt nicht mit mir???

Seit ich denken kann, taumele ich von einer Krise in die nächste. Ich will perfekter aussehen, als ich mich chaotisch fühle, und ich will lauter sein als der Lärm in mir, der Sich finden-Lärm, der Komm endlich an, jetzt ist gut-Lärm und der Früher haben Frauen einfach Kinder bekommen und hatten was zu tun, du kannst deiner Natur nicht entrinnen-Lärm. Aber um mal bei Letzterem zu bleiben: Mich nerven schreiende Kinder. Das heißt nicht, dass ich Kinder nicht mag, ich mag nur einfach meine Ruhe mehr. Wie unsympathisch ist das denn?! Vor allem als Frau. Müssten sich meine Eierstöcke nicht vor Empathie zusammenziehen? In keinem Film, in keiner Serie, die ich gesehen habe, hat eine Frau so etwas je laut ausgesprochen.

»Sei du selbst!« wurde irgendwann zwischen 2013 und 2014 stolz verkündet, als Medienhäuser bemerkten, dass offensichtliches Wegmobben von Frauen nicht mehr soooo gut ankommt. Wir sind jetzt so weit in der Gesellschaft, denn man kann es jetzt auf Instagram posten und inklusiv sein ist jetzt nur noch einen Fingerklick weit entfernt, und dann ist man ganz man selbst, nur um kurz darauf ein »Aber doch nicht so!« hinterhergeschoben zu kriegen. Wieder falsch, noch nicht richtig. »Aber wie denn dann?«, frage ich und weiß nicht mehr, welche Frau ich bin, denn ich war schon so viele. Ich erhalte nur ein »anders« als Antwort, aber anders, anders kann ich nicht, ich kann nur ich.

Bis ich mich wirklich repräsentiert fühlte, vergingen viele Jahre – mit 28 (wir befinden uns nun im Jahr 2018) war es dann endlich so weit. Denn dann kam Villanelle: russische Serienkillerin und die Frau, von der ich nicht wusste, dass ich sie so sehr vermisst hatte. Meine Synapsen implodierten oder explodierten – keine Ahnung, vielleicht beides, es rumste auf jeden Fall, als ich sie sah.

Villanelle ist die Protagonistin in Killing Eve, einer Serie, deren ersten beiden Staffeln von Phoebe Waller-Bridge produziert und mitgeschrieben wurden. Ich wusste innerhalb der ersten Minuten, dass es das jetzt ist. Dass sie es ist.

Villanelles Charakter ist vielschichtig: Sie ist unsicher, laut, ohne Filter, arrogant, unsympathisch, soziopathisch und sie nervt. Oh mein Gott, sie nervt so sehr. Sie entschuldigt sich nicht permanent dafür, dass sie sie ist, sie ist es einfach. Sie lebt und ist laut dabei und so selbstsicher, dass selbst ich auf der Couch vor dem Fernseher unangenehm berührt rumrutsche und mir einerseits denke: »Puh, kann sie das so machen?« Und mich andererseits frage: »Will ich sie daten, oder will ich sie sein? Will ich diese Person in meinem Leben haben, oder will ich diese Person für andere Menschen sein?«

Was Villanelle ganz deutlich von anderen Frauenfiguren in Filmen und Serien unterscheidet: Sie ist sie selbst, ohne eindeutig gut oder böse zu sein. Sie will nicht gefallen (was auch ein bisschen schwierig ist als Auftragskillerin, da ist man meist eher weniger beliebt, auf Partys zum Beispiel) und gefällt dann doch (Eve zum Beispiel, aber dazu an späterer Stelle in diesem Buch mehr). Sie ist nicht nur zuckersüß, sie ist voller Oxymora: Sie trägt florale Blumenkleider und überschnittene Anzugblazer, ist dominant und sucht jemanden, bei dem sie sanft sein kann, hat aber Angst vor der Liebe, weil sie verletzt wurde, und gleichzeitig ist Verletzen ihr Beruf. Sie ist kompliziert. So wie wir alle auf unsere eigene Art und Weise kompliziert sind.*

Alle anderen Protagonistinnen meiner allabendlichen Binge-Sessions wollten etwas ganz Bestimmtes verkörpern. Sie taten Dinge, weil es von ihnen erwartet wurde. Alles daran war Effekthascherei.

Jedes Mal griff ich zur Fernbedienung und war wieder allein mit meiner Zerrissenheit. Ich war immer zu laut und immer unsicher, weil ich mich nicht entscheiden konnte zwischen Blumenprint und oversized Blazer – was sehr banal klingt, aber viel mehr ist als das. Denn ich wusste nie, dass ich mich gar nicht entscheiden muss zwischen Feminität und maskuliner Energie.** Jahrelang wusste ich nicht, dass ich Rockmusik und Bier auf Festivals mögen kann und gleichzeitig pinken Nagellack lieben darf. Ich dachte, ich müsste eine Seite wählen, damit alle schon von Weitem erkennen können, welche Frau ich bin – eine gute nämlich. Ich wollte, dass man mich will, weil das oberste Ziel einer Frau sein sollte, gewollt zu werden, von einem Mann, der sie dann heiratet. Denn wir alle wissen: Unverheiratete Frauen, das sind die, die zu laut sind, die eine eigenwillige Meinung haben – die CCLs: Crazy Cat Ladys.

Ich habe so lang und so oft versucht, in irgendeine Schublade zu passen – Hauptsache, ich passte rein. Also habe ich mich selbst geformt, verformt und wieder neu aufgebaut: Neubau, Altbau und dann wieder Baustelle: Betreten auf eigene Gefahr.

Ich lebte in allen mir bekannten Klischees: zwischen Basic Bitch und Pick-Me-Girl, zwischen Schlampe und Prüde in Pink. Ich war getrieben vom Wunsch nach Liebe, zwischen Freundinnen und Misogynie, ich wurde beurteilt und habe verurteilt, um nicht selbst verurteilt zu werden.

Vielleicht wird dir die eine oder andere beschriebene Situation in diesem Buch bekannt vorkommen. Da bin ich mir (leider) ziemlich sicher. Also lass uns gemeinsam schauen, woran es noch immer so oft scheitert, dass Frauen einander nicht wohlwollend annehmen und anerkennen, sondern ineinander die Konkurrentin oder Feindin sehen; weshalb wir nur mühsam aus unseren Schubladen klettern und manche Menschen sie mit all ihrer Macht zuhalten wollen.

*Um das mal kurz klarzustellen: Ich glorifiziere hier übrigens nicht die Tätigkeit, die sie ausübt, sondern die Vielschichtigkeit und die charakterliche Entwicklung, die sie innerhalb von vier Staffeln vollzieht.

**Ich selbst verbinde Blumenkleider und Anzugblazer nicht explizit mit den Attributen feminin und maskulin, da ich der Meinung bin, dass Kleidung kein Gender hat. Ich spreche hier von einem gesellschaftlichen Kontext und einer allgemein verbreiteten Meinungen, die noch häufig existiert.

Dramaqueen

Emotionen sind anstrengend. Ich atme einmal zu viel genervt aus und habe keine Geduld mit mir. Hör auf zu heulen, du verdammte Dramaqueen. Es strengt mich an, dass ich etwas anstrengend finde, denn mir wurde beigebracht, dass ich alles sein darf – nur nicht anstrengend. Sunshine-Barbie ist angenehmer, für andere und klar, auch für mich. Regeln sind für alle gleich und für manche eben gleicher, das habe ich in der Schule gelernt.

Es reicht nur ein kleiner Satz, und ich befinde mich wieder am Rand meiner Emotionen, auf der Schultoilette des Gymnasiums: »Tara, du stehst dir selbst im Weg.« Die Worte meines Lehrers werde ich nie vergessen – denn er hat sie nicht einmal zu mir gesagt, sondern regelmäßig.

Ich stehe mir selbst im Weg. Weil ich diskutiere, wenn ich mich ungerecht behandelt gefühlt habe. Ungerecht, das ist so ein großes Wort, in das einfach alles passt. Es gibt ja nicht nur diese eine Ungerechtigkeit bei Lohn oder Rente, sondern auch die bei mangelnder Wertschätzung.

Und das alles nicht nur, weil man ein gewisses Geschlecht hat, sondern vielleicht auch, weil man eben keins hat, weil man die falsche Hautfarbe für Hans-Günther hat oder lieber Couscous anstatt Chips mit Brathähnchen-Geschmack isst. »Tara diskutiert schon wieder.« Das habe ich in meinem Leben schon so viel öfter gehört als »Tara hat vielleicht recht mit dem, was sie sagt«. Aber recht haben und recht bekommen sind zwei verschiedene paar Schuhe, sie haben meist nicht mal dieselbe Größe.

Ich schüttele den Kopf und wische meine Tränen ab. Ich bin sauer, dass ich so sauer bin, und Leute denken, dass ich weine, weil ich traurig bin. Ich bin eine klassische Wut-Heulerin. Für andere bin ich eine Dramaqueen. Dabei waren das für mich lange Zeit immer die anderen.

»Puh, was für eine Dramaqueen!«

Ich drehe mich kaugummikauend weg und rolle genervt mit den Augen.

Dramaqueen, das ist so ein Begriff, den ich irgendwie übernommen habe. Coole Jungs sagen dieses Wort in Teenieromanzen und haben meist recht, denke ich (damals).

Jetzt, heute, im Jahr 2022, wird der Begriff meist von Männern genutzt, um Frauen, die valide Emotionen haben, zu degradieren, weil es eben eine andere Zeit ist. Eine Zeit, in der Frauen Emotionen Platz machen und gehört werden wollen, dürfen, sollen. Aber die kaugummikauende Tara, die sich wegdreht, ist 15. Wir sind noch nicht so weit.

Ich fühle mich cool, denn ich bin nicht so eine wie Leonie, die da gerade so laut ist hinter mir. Dass sie sich zu Recht aufregt, weil Daniel, der Casanova der Klasse, sie nach einem Date fragen wollte, obwohl sie schon mehrfach Nein gesagt hat, interessiert mich nicht – wieso stellt sie sich so an? Die soll mal froh sein, dass er überhaupt Interesse an ihr hat. Immer diese Hysterie bei Frauen, diese Effekthascherei, dieses Extra-laut-Sein, damit bloß jeder guckt. Ich kann das gar nicht haben – zum Glück bin ich ganz anders. Besser irgendwie.

Ich bin sogar Teil der SchülerVZ-Gruppe »Ich bin anders. Besser irgendwie«. Die meisten Mädchen aus meiner Klasse sind dagegen Teil der Gruppe »›Hast du alles?‹ – Er nimmt ihre Hand und sagt: ›Jetzt schon‹«.*

Die Gruppen, in denen ich Mitglied bin, sind generell eher lustig,