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Armut wäre untertrieben, wenn man meine Lebensumstände beschreiben wollte. Meine Mutter ist ein hoffnungsloser Fall, den ich nicht loswerde, und ich muss mir den Arsch aufreißen, um überhaupt den Kopf über Wasser zu behalten. Um den ganzen Stress zwischendurch abzuschütteln, tanze ich gern. Und mein Job als Putzfrau bei einer Ballettkompanie macht es mir leicht, mir nachts eine halbe Stunde zu gönnen, wenn das Theater leer ist. Dachte ich jedenfalls. Unglücklicherweise erwischt mich der attraktive Besitzer der Gruppe auf frischer Tat. Er hält mich für eine hart arbeitende Ballerina und ich korrigiere das Missverständnis auch nicht … schließlich möchte ich meinen Job gern behalten. Alle Frauen beim Ballett schwärmen für Dario La Rosa und hoffen darauf, diejenige zu sein, die sein Leben als Junggeselle endlich beendet. Im Gegensatz zu mir. Ich will einfach nur mein Geheimnis wahren und dem Mann um jeden Preis aus dem Weg gehen. Doch dann stürmen die Sünden meiner Mutter durch meine marode Haustür und mein Leben nimmt eine furchtbare Wendung. Es stellt sich heraus, dass Dario La Rosa nicht der Mann ist, für den ich ihn hielt. Und er besitzt nicht nur die Macht, mein gesamtes Leben zu verändern, sondern kann mich auch davor bewahren, es für immer zu verlieren. Auch wenn mich seine dunkle Aura anzieht, kann ich mich nicht entscheiden, ob ich bleiben oder doch lieber weglaufen sollte. Was würdet ihr denn tun?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Michelle Heard
Drawn to Darkness
Kings of Mafia
(Band 4)
Übersetzt von Alexandra Gentara
Drawn to Darkness
(Kings of Mafia Band 4)
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel
»Drawn to Darkness (Kings Of Mafia)«
Copyright © 2024 DRAWN TO DARKNESS by M.A. HEARD.
All rights reserved.
The moral rights of the author have been asserted.
Published by Arrangement with PODIUM PUBLISHING SUBCO, LLC, EL SEGUNDO, CA 90245 USA
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe © 2025
Drawn to Darkness
by VAJONA Verlag GmbH
Lektorat: Alexandra Gentara
Korrektorat: Anne Masur
Satz: VAJONA Verlag GmbH,
Umschlaggestaltung: Okay Creations
unter Verwendung von Canva
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Teil der SCHÖCHE Verlagsgruppe GmbH
Für Sherrie.
Du bist einer der stärksten Menschen, die ich kenne. Deine Fröhlichkeit und Deine Power inspirieren mich jeden Tag aufs Neue.
Anmerkungen der Autorin:
Dieses Buch umfasst Inhalte, die für einige Leserinnen und Leser triggernd sein könnten. Mögliche Trigger beziehen sich auf folgende Inhalte:
Grafische Darstellung von Gewalt, Entführung, Drogenmissbrauch (nicht bei den Hauptcharakteren)
Dieses Buch ist eher romantisch und liebevoll, um zwischen Renzo und Damiano eine kleine Atempause einlegen zu können.
Für Leserinnen und Leser ab 18 Jahre. Bitte lest verantwortungsbewusst.
»Lasst uns lesen und lasst uns tanzen;
Diese beiden Vergnügen werden niemals einen Schaden anrichten in der Welt.«
–Voltaire
PLAYLIST
Pompeii MMXXIII – Bastille, Hans Zimmer
Into The Fire – Erin McCarley
I Was Here – Beyonce
I’m Not Afraid – Tommee Profitt, Wondra
Helium – Sia
You’re Still You – Josh Groban
Alive – Sia
Remember When It Rained – Josh Groban
Angel By The Wings – Sia
You Say – Loren Allred
Light Me Up – Ingrid Michaelson
Never Let Me Go – Florence + The Machine
When You Say You Love Me – Josh Groban
Never Enough – Loren Allred
Eden
Dario La Rosa, 31 Jahre alt. Eden Taylor, 24 Jahre alt.
Ich öffne die Augen und lausche den Sirenen, die in der Nachbarschaft heulen. Daran gewöhnt man sich irgendwann, wenn man in Brownsville lebt. Es ist eins der ärmsten und gefährlichsten Viertel der Bronx, aber im Laufe der Zeit habe ich gelernt, auch auf diesen Straßen zurechtzukommen.
Leider bin ich hier zuhause.
Die Luft ist stickig, weshalb ich die Bettdecke von mir schiebe.
Die Klimaanlage muss mal wieder kaputt sein.
Ich muss dringend mit dem Hausverwalter über die defekte Heizung und die kaputte Klimaanlage sprechen. Ein Gespräch, auf das ich mich absolut nicht freue.
Außerdem sollte ich darüber nachdenken, eine zweite Bettdecke zu kaufen, da der Winter nur noch wenige Monate entfernt ist und auf die Heizung in dieser Wohnung einfach kein Verlass ist.
Und ich muss unbedingt mit Sylvia über zusätzliche Schichten im Diner reden, damit ich endlich die überfällige Heizkostenabrechnung bezahlen kann.
Gott. Die Miete war letzte Woche auch schon wieder fällig.
Mit einem erschöpften Seufzer hieve ich mich aus dem Bett.
Dann krame ich etwas zum Anziehen aus der Kommode, gehe ins Badezimmer und drehe in der Dusche das Wasser auf. Während ich mir die Zähne putze, bete ich darum, dass das Wasser heute warm wird. Aber als ich meine Hand unter den Strahl halte, muss ich feststellen, dass ich wieder einmal kein Glück habe.
Ich muss Sylvia dringend um einen Vorschuss bitten, sonst muss ich noch zwei Wochen lang kalt duschen.
Ich ziehe meine Unterwäsche und mein Lieblings-Schlafshirt aus, stelle mich unter den kalten Wasserstrahl und wasche mir zitternd ganz schnell Haare und Körper. Dabei hüpfe ich ständig von einem Fuß auf den anderen, als würde mir das irgendwie helfen, mich aufzuwärmen. Sobald ich fertig bin, stürze ich regelrecht aus der eiskalten Dusche.
Ich schnappe mir ein frisch gewaschenes Handtuch und trockne mich in Lichtgeschwindigkeit ab, dann ziehe ich Jeans und ein T-Shirt über.
»Jesus Christus.« Ich zittere immer noch vor Kälte und eile zurück in mein Schlafzimmer, wo ich auch noch Socken und Stiefel anziehe.
Als ich vollständig angezogen bin, eile ich weiter in die Küche, um zu sehen, ob ich noch Kaffee habe. Da ich keinen mehr finde, gehe ich zum Kühlschrank und trinke den letzten Schluck Orangensaft, den ich noch habe.
Um Winston, dem Hausverwalter, aus dem Weg zu gehen, bis ich das Geld für die überfällige Miete zusammen habe, öffne ich das Fenster in meinem winzigen Wohnzimmer und klettere auf das Stahlgitter, um über die Feuerleiter hinunterzusteigen.
Während ich hinunterlaufe, öffnet mein Nachbar Tyrone das Fenster und steckt den Kopf nach draußen.
»Lauf jetzt bloß nicht weg. Deine Mutter liegt bewusstlos im Flur.«
Kopfschüttelnd gehe ich weiter die Treppe hinunter und antworte: »Nicht mein Problem, Tyrone.«
»Aber sie ist doch deine Mutter!«, ruft er. »Und sie stinkt nach Verwesung.«
»Die Frau hat mich zwar auf die Welt gebracht, mehr aber auch nicht. Soll sie halt im Flur schlafen, bis Winston sie rauswirft.«
Als ich die Gasse erreiche, schaue ich hoch und sehe noch, wie Tyrone den Kopf schüttelt, bevor er sein Fenster wieder schließt.
Mandy – besagte Frau, die mich zur Welt gebracht hat – war noch nie eine Mutter für mich. In meiner Kindheit sorgte Tyrone meistens dafür, dass ich überhaupt etwas zu essen hatte, wenn Mandy mal wieder unterwegs war, um sich zu betrinken oder Drogen zu konsumieren.
Diese Frau hat keinen Funken Mutterliebe in sich und ist einfach nur ein ständiges Ärgernis. Ich musste sogar zusätzliche Schlösser an der Wohnungstür anbringen, um sie mir vom Leib zu halten. Ständig bricht sie bei mir ein und klaut irgendwas von meinem Zeug, um damit ihren nächsten Schuss oder den Deckel in ihrer Stammbar zu bezahlen.
Kopfschüttelnd verschränke ich die Arme vor der Brust und gehe zu Ben’s Burger, dem Diner, das für mein Nebeneinkommen verantwortlich ist. Hier arbeite ich immer von zwölf bis neunzehn Uhr, bevor ich zum Balletttheater gehe, wo ich nachts putze.
Wenn ich Glück habe, lässt Sylvia mich vielleicht auch noch die Frühschicht im Diner übernehmen.
Wer braucht schon Schlaf, wenn man Rechnungen zu bezahlen hat?
Als ich im Diner ankomme, ist der Laden deutlich voller als sonst.
Sylvia pinnt gerade neue Bestellungen für Jaden, den Koch, an. Als sie mich erblickt, ruft sie: »Du musst heute auch noch Destinys Tische übernehmen. Sie ist nicht da.«
»Okay«, antworte ich und gehe rasch nach hinten, um meine Handtasche im Spind zu verstauen. Dann schnappe ich mir meine Schürze, binde sie mir um die Taille und krame Notizblock und Bleistift aus der Einstecktasche.
Umgehend mache ich mich an die Arbeit, und für die nächsten paar Stunden herrscht hier das reinste Chaos. Das Klappern von Geschirr, das Brutzeln der Burger-Patties und das Erteilen und Entgegennehmen von Bestellungen erfüllen die Luft, gepaart mit dem Geruch von ranzigem Speiseöl.
Keine Ahnung, warum ich vor der Schicht überhaupt dusche, danach fühle ich mich sowieso immer total klebrig.
Sobald eine kurze Pause bei den Bestellungen entsteht, gehe ich mit einem ängstlichen Lächeln zur Theke.
Sylvias Augen schnellen zu mir, und sie fragt stirnrunzelnd: »Was willst du, Eden? Falls du frei haben willst, vergiss es. Wir sind sowieso total unterbesetzt.«
»Dann freut es dich vielleicht, zu hören, dass ich gern eine zusätzliche Schicht vormittags arbeiten würde.«
Sie zählt das Geld durch, das sie gerade aus der Kasse genommen hat, um es in den Safe zu legen, und fragt: »Für wie lange?«
»Wenn möglich, für immer.«
Ihr Blick huscht zu mir, und ich sehe eine seltene Art von Sorge in ihren Augen aufflackern. »Du arbeitest die halbe Nacht da drüben bei diesen Tanzleuten und nachmittags hier. Wann willst du denn mal schlafen?«
Ich lächle noch breiter und recke das Kinn. »Schlafen kann ich auch noch, wenn ich tot bin.«
Sie starrt mich eine gefühlte Minute lang an, dann sagt sie: »Gut. Ich lasse dich die halbe Frühschicht arbeiten.«
»Aber –«
Sie schüttelt entschieden den Kopf. »Nur von neun bis zwölf. Ich will nicht, dass du in meinem Diner tot umfällst.«
Immerhin. Besser als gar nichts.
Eine Gruppe von Bauarbeitern kommt rein, und da ich weiß, dass ich gleich zurück an die Arbeit muss, schlucke ich meinen Stolz hinunter und frage: »Und könnte ich vielleicht auch einen Vorschuss für die nächsten zwei Wochen bekommen?«
Sylvias Blick verengt sich und ich füge rasch hinzu: »Bitte. Du weißt, dass ich dich nicht über den Tisch ziehen werde.«
»Ich bin doch keine Bank«, murmelt sie vor sich hin, zählt aber bereits den gewünschten Betrag aus dem Stapel Geldscheine in ihrer Hand ab.
Ich spüre einen Anflug von Erleichterung, die jedoch rasch wieder vergeht, da es sich nur um eine vorübergehende Lösung handelt. Schließlich bin ich immer noch chronisch pleite, und egal, wie hart ich auch arbeite, ich werde mich niemals aus dieser Armut befreien können, in die ich hineingeboren wurde.
Als Sylvia mir das Geld reicht, lächle ich sie dankbar an. »Danke.«
Sie deutet mit einem Kopfnicken auf die Sitzgruppen und Tische. »Geh wieder an die Arbeit.«
Ich stecke das Geld in die Tasche meiner Schürze, und während ich weitere Bestellungen aufnehme, rechne ich im Kopf nach und hoffe, dass sie mir die Heizung wieder einschalten, wenn ich die letzte Abrechnung wenigstens zur Hälfte bezahle.
Zumindest kann ich damit die überfällige Miete bei Winston begleichen.
Kurz vor Schichtende entdecke ich auf einem meiner Tische ein Trinkgeld von fünfzig Dollar. Ich mache ein kleines Freudentänzchen, denn das bedeutet, dass ich mir auch noch Kaffee und eine zusätzliche Decke kaufen kann, die ich im Winter brauchen werde. Den Rest kann ich für die Heizkostenabrechnung verwenden.
Ich versuche mich zu erinnern, wer an dem Tisch gesessen hat, aber ich habe heute so viele Leute bedient, dass es mir nicht mehr einfällt. Stattdessen bedanke ich mich einfach im Geiste für die Güte dieses Kunden.
Als ich den Reinigungswagen in die Toiletten in der Nähe der Studios schiebe, lungern noch ein paar Tänzerinnen vor dem Spiegel herum.
Diejenige, die am nächsten an der Tür steht, frischt ihren Lippenstift auf, dann sagt sie: »Ich hab Madame Stafford und Mr. La Rosa vorhin zusammen in ihr Büro gehen sehen.« Sie zwinkert ihren Freundinnen zu. »Er ist echt heiß.«
Ich gehe zur ersten Kabine, mache mich an die Arbeit und schrubbe die Toilette, ohne dabei großartig auf ihre Unterhaltung zu achten.
»Das kannst du laut sagen.« Das andere Mädel seufzt theatralisch.
»Ich hab keinen Ehering an seinem Finger gesehen, also ist er wohl noch zu haben«, sagt die Tänzerin mit dem Lippenstift.
Ihre Freundin schüttelt den Kopf und schnaubt. »Der Mann ist stinkreich. Wie kommst du darauf, dass er eine von uns auch nur eines zweiten Blickes würdigen könnte? Der kann doch jede haben. Aber wenn er bis jetzt noch nicht verheiratet ist, bleibt er wahrscheinlich eh für immer Junggeselle.«
Das Mädchen mit dem Lippenstift deutet auf ihren durchtrainierten, zierlichen Körper. »Bis jetzt hat noch kein Mann hierzu Nein gesagt. Ich warte nur auf eine passende Gelegenheit, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.«
Ihre Freundin schüttelt erneut den Kopf, und als ich die Toilette spüle, nachdem ich sie geschrubbt habe, wirft sie mir einen desinteressierten Blick zu. »Lass uns gehen.«
Die Tänzerinnen verlassen die Toilette und ich arbeite weiter, während ich über den neuen Besitzer des Balletttheaters nachdenke. Der Name wurde vor einiger Zeit in La Rosa Opera Ballet geändert, und jede Ballerina, der ich begegnet bin, schwärmt geradezu von dem neuen Besitzer, den ich bisher noch nie gesehen habe.
Hey, wer auch immer sie in Fahrt bringt …
Als ich mit den Toilettenkabinen fertig bin, säubere ich noch schnell die Waschbecken, dann wische ich den Boden. Anschließend schiebe ich meinen Putzwagen aus der Toilette, gehe den Flur entlang und werfe einen Blick in alle Studios. Ich vergewissere mich, dass alle für heute Feierabend gemacht haben, gehe weiter zu meinem Spind und ziehe mir ein Paar eng anliegende Shorts und ein bauchfreies T-Shirt an.
Jeden Abend, wenn das Studio menschenleer ist, nehme ich mir eine halbe Stunde Zeit zum Tanzen. Das hilft mir, meinen Stress abzubauen.
Schon als Kind habe ich gern getanzt und für Tyrone alberne Shows aufgeführt. Er hat dann immer in die Hände geklatscht, als hätte er gerade die beste Performance aller Zeiten gesehen.
Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, während ich das nächstgelegene Studio betrete.
Tyrone ist einfach ein Heiliger. Keine Ahnung, was ich getan hätte, wenn er nicht zufällig mein Nachbar gewesen wäre.
Im Studio schließe ich mein Handy an die Lautsprecher an, damit ich beim Tanzen meine persönliche Playlist hören kann.
Während »Alive« von Sia die Luft erfüllt, gehe ich zum Spiegel und betrachte mein Spiegelbild.
Tief einatmen … und ausatmen. Ich hab mein Leben im Griff. Etwas Gutes wird mir widerfahren.
Ich entscheide mich, das Schlechte loszulassen und nur noch positive Dinge in mein Leben willkommen zu heißen.
Ich nicke mir selbst zu und atme noch einmal tief ein, bevor ich mich in Bewegung setze. Der ganze Stress und die Sorgen treten in den Hintergrund, und mein Körper übernimmt.
Mein Herz schlägt schneller und schneller, und auch mein Atem beschleunigst sich, während das Lied an Tempo zunimmt. Ich drehe mich und schwebe über den Boden, und manchmal fühlt es sich sogar so an, als könnte ich fliegen.
Einen gesegneten Augenblick lang fühle ich mich frei von all den erdrückenden Zwängen meines Lebens.
Als Sias Stimme sich bei den hohen Tönen überschlägt, bleibe ich stehen und lausche mit geschlossenen Augen, wie das Lied endet.
Dann atme ich einmal tief durch und öffne langsam die Lider.
Meine Playlist springt weiter zum nächsten Lied, und als I'm Not Afraid von Tommee Profitt und Wondra zu spielen beginnt, fällt mein Blick plötzlich auf einen Mann.
Mist.
Mein Brustkorb hebt und senkt sich vor Anstrengung und meine Hände ballen sich zu Fäusten, während mich der Schock, gerade den attraktivsten Mann zu sehen, dem ich jemals begegnet bin, lähmt.
Er lehnt mit der Schulter am Türrahmen. Und obwohl ich mich mit Luxusmarken nicht sonderlich gut auskenne, würde ich mein heutiges Trinkgeld von fünfzig Dollar darauf verwetten, dass sein Anzug mehr gekostet hat, als ich in einem ganzen Jahr verdiene.
Sein hellbraunes Haar ist zerzaust, was in völligem Kontrast zu seiner teuren Kleidung steht, und seine braunen Augen glänzen auf eine Art, die ich nicht ganz einordnen kann. Er ist überdurchschnittlich groß und scheint ziemlich durchtrainiert zu sein.
Als mein Blick wieder auf sein Gesicht fällt, ertappe ich mich dabei, ihn anzustarren. Er hat einfach etwas an sich, das mich magisch anzieht.
Sein Mundwinkel hebt sich und er neigt leicht den Kopf.
Offenbar amüsiert er sich über meine Reaktion.
Da ich weiß, dass ich gar nicht hier im Studio sein sollte, komme ich rasch wieder zu mir und gehe zu meinem Handy. Ich stoppe die Wiedergabe und trenne das Gerät von den Lautsprechern. Dann gehe ich weiter zur Tür, an der immer noch der Mann lehnt.
Als ich ein paar Schritte von ihm entfernt stehen bleibe, frage ich: »Könnten Sie bitte zur Seite treten, damit ich vorbeikomme?«
Anstatt meiner Bitte nachzukommen, sagt er: »Ich dachte, das Theater schließt um neun.«
»Ähm … ja.« Meine Zunge fährt heraus, um meine Lippen zu befeuchten. »Ich war auch gerade fertig.«
Als er mir plötzlich die Hand entgegenstreckt, fühle ich mich ein wenig überrumpelt. »Ich bin Dario.«
Um nicht unhöflich zu wirken, lege ich meine Hand in seine. Sofort durchzuckt mich ein elektrisierender Impuls, der wie ein Blitz durch meinen gesamten Körper schießt.
Verdammt, dieser Mann ist wirklich in jeder Hinsicht attraktiv.
Während wir uns die Hände schütteln, fügt er hinzu: »Dario La Rosa.«
Heiiiilige Scheiße!
Der Schock trifft mich mitten ins Herz, und meine Augen werden riesig. Hastig reiße ich die Hand aus seinen Fingern.
La Rosa. Der neue Besitzer. Der Chef meiner Chefin.
Ich kichere nervös, wie immer, wenn ich tief in der Patsche sitze.
Dann drücke ich mich an ihm vorbei, um so schnell wie möglich zu entkommen. »Ich muss leider los. Ich muss noch irgendwohin.«
Zur Arbeit. Hier im Theater. Um zu putzen.
Ein Hauch seines berauschenden Aftershaves trifft mich, und ich hätte nichts gegen einen weiteren Atemzug davon einzuwenden. Aber aus lauter Angst, weil ich beim Faulenzen erwischt wurde, renne ich regelrecht durch den Flur.
»Sie haben mir Ihren Namen gar nicht gesagt!«, ruft er mir amüsiert nach.
»Ich weiß«, antworte ich und biege rasant um eine Ecke.
Aus Angst, dass er mich verfolgen könnte, renne ich weiter und bleibe erst bei den Spinden wieder stehen. Dort ziehe ich mir hastig Jeans und T-Shirt an und streife den dunkelblauen Kittel darüber. Dann binde ich mir noch einen Pferdeschwanz und setze die Firmenkappe auf.
Ich warte noch weitere zehn Minuten, bevor ich in der Hoffnung, dass Mr. La Rosa inzwischen auch gegangen ist, meinen Wagen durch den Flur schiebe und mich wieder an die Arbeit mache.
Das war echt knapp. Ich muss unbedingt vorsichtiger sein, denn wenn Mr. La Rosa mich während der Arbeitszeit hier tanzen sieht, feuert er mich garantiert. Und ich kann es mir leider nicht leisten, dieses Einkommen zu verlieren.
Dario
Drei Monate später
Das Leben war in den letzten Monaten so verdammt hektisch, dass ich komplett das Zeitgefühl verloren habe. Ich musste Renzo bei ein paar Sachen helfen und habe darüber meine eigenen Geschäfte vernachlässigt.
Renzo ist einer der fünf Anführer der Cosa Nostra, und in den letzten Monaten sind wir einander sehr viel näher gekommen. Mein Freund hat die beste Köchin der nördlichen Hemisphäre entführt, und irgendwie hat er es geschafft, dass Skylar sich in ihn verliebt hat.
Der alte Glückspilz.
Ich will nicht lügen. Als er sie zum ersten Mal mit nach Hause gebracht hat, spürte auch ich eine starke Anziehung zu der Frau. Aber als ich bemerkte, dass sie sich langsam ineinander verliebten, habe ich sofort die Finger von ihr gelassen. Jetzt betrachte ich sie nur noch so, wie ich auch die anderen Ehefrauen meiner Freunde betrachte.
Großer Gott. Von uns fünfen haben nur Damiano und ich bisher noch nicht in den sauren Apfel gebissen. Angelo und Franco sind sogar schon Väter und glücklich verheiratet, und ich verwette meinen letzten Cent, dass Renzo Skylar noch vor Jahresende einen Ring an den Finger steckt.
Damiano wird wahrscheinlich niemals heiraten. Und wenn doch, dann tut mir die Frau, die er sich aussucht, jetzt schon leid. Er ist der Capo dei Capi, der Anführer der Anführer, und ich schwöre, dass durch seine Adern Eis anstelle von Blut fließt. Früher habe ich mal versucht, eine tiefere Freundschaft mit ihm aufzubauen, aber bisher hat es nur Angelo geschafft, Damianos stahlharte Schutzwälle zu durchbrechen.
Im Gegensatz zu den anderen vier Capos umgebe ich mich nicht mit Fußsoldaten. Ich arbeite lieber allein. Andererseits brauche ich sowieso keine Armee von Leibwächtern, denn meine Haupteinnahmequelle ist das Hacken und Besorgen von Informationen, an die sonst niemand rankommt.
Den Titel des Capo habe ich von meinem Vater geerbt. Ich hatte den anderen vier Capos vorgeschlagen, lieber jemand anderen an meiner Stelle zu wählen, aber davon wollten sie nichts wissen.
Neben dem Balletttheater besitze ich auch noch ein Opernhaus. Darin liegt meine wahre Leidenschaft.
Ehrlich gesagt, wäre ich nicht zufällig in diese Machtposition hineingeboren worden, wäre ich überhaupt nicht bei der Mafia. Während Angelo, Franco und Renzo mit illegalen Waffen und anderen Waren handeln, verdient Damiano sein Geld mit Erpressung, Immobilienkorruption und im Bauwesen.
Klar, ich kann ganz gut kämpfen und bin sicherlich auch einer der besten Scharfschützen, aber die Liebe ist mir sehr viel wichtiger als der Krieg. Es braucht schon eine Menge, um mich aus der Ruhe zu bringen, daher bin ich wahrscheinlich auch der Geduldigste und Verständnisvollste von uns fünfen.
Da sich die Lage inzwischen etwas beruhigt hat und Renzo nicht mehr so viel von meiner Zeit in Anspruch nimmt, komme ich endlich mal wieder dazu, das Balletttheater zu besuchen. Eigentlich wollte ich schon viel früher hier sein, wurde aber im Opernhaus aufgehalten.
Als ich mich dem ersten Studio nähere, schweift mein Blick über all die Tänzerinnen und Tänzer. Die Kunst, das Theater und die Oper habe ich schon immer geliebt. Aber als ich hörte, dass die Ballettkompanie zum Verkauf stand, habe ich keine Sekunde gezögert und sie mir sofort gekrallt.
Die Ballettwelt hat einfach etwas Magisches an sich.
Ich sehe den Frauen beim Training zu. Ihre anmutigen, eleganten Bewegungen sind perfekt aufeinander abgestimmt. Eine der Ballerinas bemerkt mich und stolpert über ihre Füße, was ihr eine strenge Schelte der Lehrerin einbringt.
Ich gehe weiter zum nächsten Studio, wo drei Frauen gerade eine Trainingseinheit beendet haben. Dieses Mal werde ich sofort entdeckt, und noch bevor ich mich aus dem Staub machen kann, kommen sie auf mich zu gerannt.
Eine der Tänzerinnen löst sich von den anderen und streckt mir die Hand entgegen. »Mr. La Rosa! Ich bin Phoebe. Es ist mir eine große Ehre, Sie persönlich kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits«, murmele ich.
Ich schüttle ihr die Hand, und als ich mich wieder zurückziehe, streicht sie mit den Fingern über meinen Bizeps und sieht mich dabei mit unverhohlenem Interesse an.
Für einen Moment überlege ich, sie zum Dinner einzuladen, doch dann kommt mir wieder eine ganz bestimmte Frau in den Sinn. Diese Tänzerin habe ich bisher erst einmal hier gesehen, und sie war überhaupt nicht zu vergleichen mit der perfekten Ballerina, die gerade vor mir steht. Ganz im Gegenteil.
Die Frau, die ich vor einiger Zeit hier beobachtet habe, hatte krauses schwarzes Haar und tanzte mit so viel Leidenschaft, dass sie damit sofort meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Ihre Bewegungen waren nicht perfekt, passten jedoch wunderbar zu ihrer lebhaften Persönlichkeit.
»Würden Sie vielleicht …«, setzt Phoebe gerade an, doch ich unterbreche sie mit einem knappen, abweisenden Nicken und murmele nur: »Meine Damen.« Dann gehe ich weiter und werfe noch einen Blick in die anderen Studios. Als ich die geheimnisvolle Tänzerin nicht entdecken kann, bin ich enttäuscht. Es wäre wirklich schade, wenn sie gar nicht mehr in meiner Kompanie tanzen würde.
Ich gehe zu Mrs. Staffords Büro. Die Tänzerinnen nennen sie Madame Stafford, sie leitet die Kompanie.
Als ich ihr Büro betrete, begrüßt sie mich mit einem Lächeln. »Es ist schon eine Weile her, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehrt haben.«
Ich setze mich ihr gegenüber an den Schreibtisch. »Ich war sehr beschäftigt.«
Sie drückt eine Taste auf ihrem Tischtelefon. Als ihre Empfangsdame antwortet, befiehlt sie: »Bitte bringen Sie uns zwei Tassen Tee.«
Dann lehnt sie sich in ihrem Stuhl zurück und lässt ihren Blick über mein Gesicht schweifen. »Sind Sie nur zu Besuch, oder kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Nur zu Besuch. Wie laufen die Vorbereitungen für die Winterpremiere?«
»Sehr gut. Wir haben drei Tänzerinnen dabei, die alle anderen in den Schatten stellen.«
Wahrscheinlich die drei, die ich gerade eben flüchtig kennengelernt habe.
Die Bürotür öffnet sich und Astrid bringt ein Tablett mit Tee herein. Nachdem sie es auf dem Schreibtisch abgestellt hat, geht sie wieder, und ich warte darauf, dass Mrs. Stafford mir eine Tasse reicht.
Dann frage ich: »Kennen Sie alle Tänzerinnen?«
Sie nickt und nippt an ihrem Tee. »Wie Sie wissen, muss jede Bewerberin einzeln bei mir vorsprechen, bevor sie in die Kompanie aufgenommen wird.«
»Vor einiger Zeit bin ich hier einer Tänzerin begegnet. Sie ist etwa eineinhalb Köpfe kleiner als ich und hat wilde schwarze Locken, die ihr bis über die Schultern reichen. Und graue Augen«, sage ich und hasse mich dafür, dass ich sie nicht besser beschreiben kann.
Mrs. Stafford lacht leise. »Die Hälfte unserer Ballerinas hat schwarze Haare.« Sie wirft einen Blick auf ihre diamantbesetzte Armbanduhr und sagt: »Die Proben beginnen gleich. Kommen Sie mit?«
Ich trinke den Tee aus, stelle die Tasse ab und erhebe mich. »Natürlich.«
Wir verlassen das Büro und machen uns auf den Weg zum Bühnenraum, wo die Proben gerade begonnen haben. Dort setze ich mich in die Mitte der Sitzreihen und bin schon bald von den anmutigen Bewegungen der Ballerinas gefesselt.
Als die Vorstellung zwei Stunden später endet, bleibe ich sitzen, während sich der Zuschauerraum leert. Stille umgibt mich und ich lasse die Atmosphäre, die die Tänzerinnen und Tänzer hinterlassen haben, weiter auf mich wirken.
Mein Handy vibriert, und als ich es aus der Tasche hole, sehe ich eine Benachrichtigung von dem Gesichtserkennungsprogramm, das bei mir zu Hause läuft. Ich habe damit nach Servando Montes suchen lassen, einem zum Tode Verurteilten, der auf Renzos Feindesliste ganz oben steht.
Die Übereinstimmung ist jedoch nicht ganz eindeutig, und nachdem ich das Foto eines Mannes an einer Tankstelle genauer überprüft habe, lösche ich die Benachrichtigung und stecke mein Handy wieder in die Tasche.
Bisher habe ich eine Menge Teilübereinstimmungen erhalten, und vor ein paar Wochen hätte ich Montes beinahe in Europa aufgespürt. Inzwischen bin ich dieses Versteckspiel wirklich leid und wünschte, dieser Mistkerl würde endlich aus seinem Loch gekrochen kommen, damit wir dem ganzen Mist ein Ende setzen können.
Das Licht geht aus und hüllt den Zuschauerraum in Dunkelheit, weshalb ich mein Handy erneut aus der Tasche hole. Als ich auf die Uhr schaue, sehe ich, dass es bereits nach neun ist.
Ich sollte besser nach Hause fahren und mich wieder an die Arbeit machen.
Seufzend erhebe ich mich und benutze auf dem Weg zum Ausgang die Taschenlampe meines Handys.
Das Studio ist leer, aber als ich den Flur weiter entlang gehe, höre ich plötzlich Musik.
Meine Mundwinkel heben sich, und als ich die offene Tür des Studios erreiche, erfüllt der Text von »I was here« die Luft, während die mysteriöse Tänzerin, nach der ich Mrs. Stafford vorhin gefragt habe, gerade eine doppelte Drehung macht, bei der sie regelrecht durch die Luft fliegt.
Mein Herzschlag beschleunigt sich beim Betrachten des etwas stümperhaften Tanzes vor mir. Und ein merkwürdiges Gefühl der Ruhe, für das ich bereit wäre, Millionen zu bezahlen, durchströmt meinen Körper.
Die Frau muss wohl Anfängerin sein, denn ihren Bewegungen mangelt es an der üblichen Anmut nach jahrelangem Training. Trotzdem kann ich meine Augen einfach nicht von ihr abwenden.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Ballerinas ist ihre Haut leicht gebräunt und ihr schwarzes Haar nicht zu einem straffen Dutt gebunden. Sie trägt ein Outfit, das farblich nicht zusammenpasst, und sie ist barfuß.
Tatsächlich ist sie das exakte Gegenteil der Ballerinas, die sich bis zum Umfallen abrackern, um Perfektion zu erreichen.
Mein Blick wandert über ihre gebräunte Haut, die vor Schweiß glänzt, und bei ihrem Anblick durchströmt plötzlich ein lustvolles Ziehen meinen Brustkorb.
Als ich sie das erste Mal gesehen habe und wir kurz miteinander interagierten, konnte ich die Anziehung zwischen uns beiden bereits spüren. Während Skylar bei unserer ersten Begegnung vor allem meinen Beschützerinstinkt geweckt hat, möchte ich diese Frau einfach nur auf den Boden werfen und ihr die engen Shorts und das dünne Top vom Leib reißen.
Außerdem wüsste ich nur zu gern, ob sie stark genug ist, um auch einen harten Fick zu verkraften.
Mein Handy vibriert und ich ziehe es stirnrunzelnd aus der Tasche.
Als ich Renzos Namen auf dem Display sehe, antworte ich: »Was ist los?«
Die schwarzhaarige Schönheit sieht mich an, und obwohl kurz eine Art Überraschung in ihren Gesichtszügen aufblitzt, tanzt sie einfach weiter.
»Nichts«, antwortet er. »Wollte nur hören, was es Neues bei dir gibt.«
Mein Blick bleibt an der Frau haften, die gerade im Takt auf mich zu läuft und ein paar Schritte entfernt abrupt stehen bleibt, bevor sie sich wieder rückwärts bewegt. Dabei streckt sie ihre Arme nach mir aus, als wollte sie nach mir greifen.
Grundgütiger.
Ich muss den Drang unterdrücken, sie mir zu schnappen und sie wie ein notgeiler Vollidiot abzuknutschen, während ich ins Handy sage: »Bisher noch nichts. Sobald der Wichser irgendwo auftaucht, erfährst du es als Erster.«
»Störe ich gerade bei irgendwas?«, fragt er.
»Nein. Ich schaue nur einer der Ballerinas zu.«
Ich höre sein Grinsen in der Stimme, als er fragt: »Schaust du ihr zu, oder stalkst du sie?«
Meine Augen verengen sich, während die Schönheit einen eleganten Sprung hinlegt. »Beides.«
Renzo gluckst, dann neckt er mich: »Hast du etwa vor, ihr Mystery Man zu werden?«
»Nee, das ist wohl eher Francos Ding.« Wir verarschen Franco immer noch ständig wegen dieses Kosenamens, den seine Frau Samantha ihm verpasst hat.
Das Lied wechselt, und als meine Tänzerin einfach weitertanzt, erfüllt mich ihr Anblick mit tiefer Zufriedenheit.
»Sie weiß, dass ich sie beobachte, und ich glaube, es gefällt ihr«, erkläre ich meinem Freund.
»Hmm … klingt, als wärst du ganz schön scharf auf sie«, neckt mich Renzo weiter.
Wenn »scharf« bedeutet, dass ich ihre Beine um mich geschlungen haben will, dann ja.
»Ihr beim Tanzen zuzusehen, beruhigt mich irgendwie«, gebe ich leise zu.
»Ein bisschen Ruhe würde deinem Leben sicher nicht schaden. Wir hören uns. Genieß die Show.«
»Mache ich.« Ich lache, dann lege ich auf und widme meine gesamte Aufmerksamkeit wieder der Tänzerin vor mir.
Eden
Ich spiele mit dem Feuer, und obwohl mein Selbsterhaltungstrieb mich dringend dazu aufruft, das Studio zu verlassen und zurück an die Arbeit zu gehen, höre ich nicht auf zu tanzen. Weil ich mich durch die Art, wie Mr. La Rosa mich ansieht, seltsamerweise heiß und begehrt fühle.
Zwischen uns baut sich eine immer intensivere sexuelle Spannung auf, und inzwischen denke ich schon darüber nach, alle Vorsicht über Bord zu werfen und einfach mit dem Mann zu flirten.
Vielleicht könnte ich sogar einen One-Night-Stand mit ihm riskieren?
Nein. Ich werde definitiv nicht meinen Job hier aufs Spiel setzen.
Ich reiße mich aus der Trance, in die der Mann mich versetzt hat, höre auf zu tanzen und gehe zu dem Tisch, auf dem mein Handy liegt. Nachdem ich es von den Lautsprechern getrennt habe, wird es plötzlich sehr still um mich herum.
Ich spüre Mr. La Rosas Blick in meinem Rücken brennen, was die unanständige Hitze in meinem Unterleib nur weiter verstärkt.
Ich atme noch ein paar Mal tief durch, dann drehe ich mich um und gehe zur Tür. Er löst sich vom Türrahmen, an dem er gelehnt hat, und richtet sich auf. Ein schelmisches Grinsen umspielt seine Mundwinkel.
»Verraten Sie mir heute Abend Ihren Namen?«, fragt er mit tiefer und rauer Stimme.
Da ich mich in der Anonymität sicher wähne, bin ich deutlich mutiger, als gut für mich wäre.
Nur wenige Zentimeter von ihm entfernt bleibe ich stehen und neige langsam den Kopf nach hinten, während ein verführerisches Lächeln meine Mundwinkel verzieht. »Nein.«
Das einzelne Wort ist nur gehaucht und klingt hoffentlich ein bisschen verrucht.
Mr. La Rosa kneift die Augen leicht zusammen. »Ich schätze Herausforderungen sehr.«
Ich gehe an ihm vorbei weiter zur Tür, dabei streift meine Schulter leicht seinen Arm. »Schön für Sie.«
Als ich den Flur entlanggehe, ruft er mir hinterher: »Gleiche Zeit, gleiches Studio. Morgen Abend.«
»Mal sehen«, antworte ich.
In dem Moment, als ich um die Ecke biege, lege ich eine Hand auf mein Herz und hole tief Luft.
Was zur Hölle mache ich hier eigentlich? Es ist total bescheuert, auf diese Weise meinen Job zu riskieren.
Trotzdem … Es fühlt sich leider viel zu gut an, Mr. La Rosas Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Der Versuchung kann ich einfach nicht widerstehen.
Ach herrje. Jetzt schwärme ich schon genauso für ihn wie die anderen Tänzerinnen dieser Kompanie.
Allerdings bin ich keine seiner Tänzerinnen. Ich bin nur seine Putzfrau.
Ich erreiche meinen Spind, ziehe die Shorts und das T-Shirt aus und meine normale Kleidung und den Kittel wieder an. Nachdem ich meine Haare zusammengebunden und die Kappe mit dem Firmenlogo aufgesetzt habe, überprüfe ich meinen Reinigungswagen, während ich Mr. La Rosa etwas Zeit gebe, von hier zu verschwinden.
Da ich das Gefühl habe, dazu noch weitere zehn Minuten warten zu müssen, hole ich die Papiertüte mit dem Essen, das ich aus dem Diner mitgenommen habe, aus dem Spind.
Ich habe den Fraß aus dem Schuppen wirklich satt, aber ich habe keine Zeit zum Kochen und vor allem auch kein Geld, um mir etwas Gesundes zu kaufen.
Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Ich öffne den Behälter und nehme die Plastikgabel aus der Tüte, um mir ein paar Spaghetti mit Fleischbällchen in den Mund zu schaufeln.
Während ich esse, kreisen meine Gedanken wie in einer Dauerschleife um Mr. La Rosa.
Dario.
Sein Name gefällt mir.
Und die Art und Weise, wie dieser Mann seinen Anzug ausfüllt. Einfach köstlich.
Es juckt mich in den Fingern, herauszufinden, ob sein immer leicht zerzaustes Haar wirklich so dicht ist, wie es aussieht.
Und dann erst seine Augen. Junge, diese Augen haben einfach eine magnetische Anziehungskraft, der man sich nur verdammt schwer entziehen kann.
Ich frage mich, wie er wohl reagieren würde, wenn er wüsste, dass ich nur eine Putzfrau bin und keine professionelle Ballerina.
Der Mann ist so weit außerhalb meiner Liga, dass wir genauso gut aus verschiedenen Sonnensystemen stammen könnten.
Allein diese Tatsache sollte ausreichen, um mich davon abzuhalten, ihm jemals wieder über den Weg zu laufen. Ganz zu schweigen davon, dass er mein Chef ist und so weit oben in der Nahrungskette steht, dass ich nicht einmal das Privileg habe, seine Reste zu essen.
Ich zerteile ein Fleischbällchen mit der Gabel und schiebe mir ein Stück in den Mund.
Jaden hat mal wieder viel zu viel Tomatenmark in die Sauce getan. Das ist das letzte Mal, dass ich Spaghetti mit Fleischbällchen esse. Der einzige Koch im Diner macht allerdings einen wirklich guten Käse-Speck-Burger, aber den kann ich auch nicht jeden Tag essen.
Ich räume den Rest meines Essens weg, trinke etwas Wasser direkt aus dem Wasserhahn am Spülbecken und schiebe den Reinigungswagen in den Flur. Dann wische ich noch überall und hole die Bohnermaschine aus dem Vorratsraum.
Bevor ich das Ding einschalte, setze ich meine Kopfhörer auf und starte meine Playlist am Handy. Während der Griff in meiner Hand vibriert, schweifen meine Gedanken mal wieder ab, und ich denke viel zu viel an Dario La Rosa.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich auch zu mir hingezogen fühlt. Zumindest zu der Version von mir, die er im Studio tanzen gesehen hat.
Bei dem Gedanken, wie schnell er das Interesse an mir verlieren würde, wenn er mich jetzt sehen könnte, muss ich lachen.
Der Gedanke beunruhigt mich nicht. Ich verschwende sowieso keine Zeit damit, mir Dinge zu wünschen, die ich niemals haben kann. Ich konzentriere mich lieber auf meine Realität, und darin zählt nur die Tatsache, dass ich meine Rechnungen bezahlen kann.
Ich bin zwar arm, aber es könnte auch alles noch sehr viel schlimmer sein.
Wo ich gerade an Schlimmeres denke. Ich habe Mandy, meine Erzeugerin, schon lange nicht mehr gesehen. Kurz hebt sich meine Augenbraue, aber die Frau könnte mir ernsthaft nicht gleichgültiger sein.
Plötzlich fällt mir eine Bewegung ins Auge, und als ich sehe, wie Mr. La Rosa gerade eines der Büros verlässt, suche ich verzweifelt nach einem Versteck.
Ich will seine Aufmerksamkeit nicht auf mich ziehen, daher senke ich rasch den Kopf und hoffe bei allem, was mir heilig ist, dass er mich nicht bemerkt.
Er kommt direkt auf mich zu, aber die Sterne sind auf meiner Seite, da er um die Ecke biegt und in Richtung Ausgang geht.
Gott sei’s getrommelt und gepfiffen für seine kleinen Gnaden.
Ich schiebe die Bohnermaschine vorwärts, spähe in den anderen Flur und sauge den Anblick von Mr. La Rosas breiten Schultern in mich auf.
Vergiss den Mann einfach, Eden. Das ist nichts weiter als Zeitverschwendung.
Nach meiner Schicht im Diner öffne ich die Haustür und betrete meine Wohnung.