Dreckiges Geld - Andreas Frank - E-Book

Dreckiges Geld E-Book

Andreas Frank

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Beschreibung

Prostitution, Raub, Drogen, Terror, Menschenhandel, Umweltverbrechen – nahezu allen kriminellen Taten ist eines gemeinsam: Sie lohnen sich nur, wenn Kriminelle die Herkunft ihrer schmutzigen Erträge verschleiern können – durch Geldwäsche. Geld ist eine Waffe: Kriminelle bestechen Politiker, beeinflussen Parlamentswahlen durch Fake News und destabilisieren mit Cyberattacken die Demokratie. Klar ist: Nimmt man Kriminellen das dreckige Geld, trifft man sie am härtesten. Doch Deutschland tut in dieser Hinsicht praktisch nichts. Dieses Buch zeigt, woran das liegt und was nun zu tun ist.

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildung: Getty Images (artpartner-images; Nick Veasey / Science Photo Library) und Shutterstock.com

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Prolog

Einleitung

1 Wer hat die Geldwäsche erfunden?

Watergate, Thatcher und Reagan

Filz, Flick und schwarze Kassen

Verharmlost, schöngeredet und ignoriert

Das Wichtigste in Kürze

2 Wem gehören die Immobilien?

Unsichtbare Investoren – auch ein Problem für Hausbesitzer

Mit einem Koffer voller Bargeld

Stumpfe Waffen, falsche Waffen

Zentrales Grundbuchregister? – Fehlanzeige!

Das Wichtigste in Kürze

3 Wie kommt die Mafia nach Deutschland?

Dreißig Jahre unbehelligt

Nicht gegen, sondern mit der Gesellschaft

Alles wird genutzt – auch Finanzkrise und Pandemie

Wie rechtsextreme Gruppen von der Mafia lernen

Das Wichtigste in Kürze

4 Was macht strategische Korruption so gefährlich?

Schwarzgeld als rote Bedrohung

Bis hinauf in höchste Ämter

Kaviar-Diplomatie – geschmiert vom Autokraten

Geldwäsche und Korruption gehen Hand in Hand

Morde für die einen, Pässe für die anderen

Das Wichtigste in Kürze

5 Wie wird aus russischem Schwarzgeld ein hybrider Krieg?

Auch neue Kriegsformen kosten Geld

Die Beschlagnahmung russischer Vermögen – und die Antwort darauf

Wie Putin renitente Oligarchen bestraft

Dreckig, dreckiger, Desinformationskampagne

»Eine finanzielle Atombombe«

Das Wichtigste in Kürze

6 Was hat der Fall Afghanistans mit dreckigem Geld zu tun?

Afghanistan-Veteranen vs. Banken

Den Hahn abdrehen

Terroristen machen Beute beim Finanzamt

Ganz modern mit Kryptowährungen – oder klassisch mit Gold

Das Wichtigste in Kürze

7 Ist der Westen selbst der größte Teil des Problems?

Oh, wie dreckig ist Panama

Traue keinem Trust

Die großen Vier

Das Wichtigste in Kürze

8 Wieso ist auch die Deutsche Bank immer wieder involviert?

Strafgelder allein reichen nicht

SWIFT, aber nicht swift genug

Das Wichtigste in Kürze

9 Wie ist das Versagen der deutschen Behörden zu erklären?

Desaströs aus Tradition?

Wirecard – keiner fühlt sich zuständig

Dreißig Jahre Stau

Von wegen »Nichts geht mehr«

Das Wichtigste in Kürze

10 Was ist jetzt zu tun im »Geldwäscheparadies Deutschland«?

Wie die Umweltmafia die Klimaziele gefährdet

Auf dem Weg in eine »demokratische Rezession«?

Epilog

Literatur

Stimmen zum Buch

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

Register

Prolog

von Markus Zydra

Am 11. Mai 2000 betritt eine ältere Dame das Casino in Baden-Baden. Sie trägt einen schicken Hut und Handschuhe. In ihrer eleganten Handtasche liegen 20 000 Mark in bar. Sie ist die Tochter eines Diplomaten, spricht mehrere Sprachen und bewegt sich trittsicher auf internationalem Parkett – in diesem Augenblick ist sie aber doch ein wenig nervös.

Einige Tage zuvor, in einer Wohnung im Zentrum Baden-Badens: Eine Familie sitzt in der Küche am Esstisch und schmiedet einen Plan. Der Familienvater kennt sich im Bankwesen aus, er hegt einen schlimmen Verdacht und will nun die Spielbank der Stadt auf die Probe stellen. Dazu braucht er aber noch einen Mitspieler oder eine Mitspielerin. Seine Schwiegermutter schaut auf – und nickt. Sie wird es machen, sie wird den Lockvogel spielen. Damals ist sie bereits über achtzig Jahre alt.

Evelyn Schmidt betritt also wenige Tage später gegen 20 Uhr das nahe gelegene Kurhaus, wo die Spielbank ihre vornehme Adresse hat. Am Empfang legt sie die 20 000 Mark aus ihrer Handtasche auf den Tisch. Der Casino-Beschäftigte nimmt das Geld umstandslos entgegen und gibt ihr den Depot-Beleg mit der laufenden Nummer 3340. Mit unschuldiger Miene fragt die elegante Dame, ob sie auf dieses Depot auch Geld überweisen könne. Der Herr am Schalter antwortet: »Das ist überhaupt kein Problem.« Da schnappt die Falle zum ersten Mal zu, denn dem Casino ist es gesetzlich verboten, ein Konto anzubieten. Das dürfen nur Banken.

Doch das Spiel mit der Spielbank geht noch weiter: Wenige Tage später gehen als anonyme Überweisung aus der Schweiz 35 200 Mark auf das Spielbankkonto von Evelyn Schmidt ein. Hinter der Überweisung steckt ihr Schwiegersohn Andreas. Die Familie ist gespannt: Wird die Spielbank Baden-Baden wenigstens jetzt so reagieren, wie es das Gesetz verlangt? Wird sie wegen der anonymen Einzahlung bei den zuständigen Behörden Alarm schlagen? Bingo! Die Spielbank Baden-Baden tut – nichts. Evelyn Schmidt hat bewiesen, dass es hinter den Türen der Spielbank der eleganten Kurstadt nicht mit rechten Dingen zugeht, und sie hat bewiesen, dass es ein Leichtes ist, in unserem Lande Geld zu waschen.

Der aufmerksame Leser ahnt es vielleicht schon: Hinter Schwiegersohn Andreas verbirgt sich einer der beiden Autoren dieses Buches, Andreas Frank. Ich lerne ihn vor einigen Jahren im Zuge meiner Recherchen zum Thema Geldwäsche kennen. Wir sitzen in seinem Arbeitszimmer, als er mir diese Geschichte erzählt. Durch das Fenster blickt man auf die Mammutbäume im Garten. Irgendwo im Haus bellt der Rottweiler. Frank zeigt mit dem Finger auf den Bildschirm seines Computers: Es sind die Kontobelege seiner Schwiegermutter aus dem Casino. Die wagemutige Aktion liegt zu dem Zeitpunkt fast zwanzig Jahre zurück, doch Frank erinnert sich noch gut an diese Finte. Die Spielbank Baden-Baden hat er damals schon lange im Visier. Er ist nicht etwa Fahnder oder Kriminalbeamter, er ist Banker. Und als einer der Direktoren einer Privatbank erlebt er 1994 hautnah, wie sein Kollege, ebenfalls ein Direktor, das Geld der Kunden veruntreut und in diesem Casino verspielt. Der Kollege war spielsüchtig, das war auch in der Spielbank bekannt angesichts der hohen Beträge, die der Mann Abend für Abend in das Haus trug. Das Casino belieh also Wertpapiere, von denen klar war, dass sie dem Direktor nicht gehörten. Der Fall ging durch die Presse, der spielsüchtige Direktor wurde später verurteilt. Der Spielbank passierte nichts. Das ärgert Andreas Frank, er schreibt unermüdlich Beschwerdebriefe an Behörden und Politiker, die aber zu nichts führen.

Doch in Berlin bei der deutschen Finanzaufsicht wird der Fall aufmerksam verfolgt, denn die Spielbank stand schon lange in Verdacht, ihren Kunden illegal Konten anzubieten. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BaKred), das für diese Vergehen zu jener Zeit zuständig ist, hatte der Spielbank bereits in einem Mahnschreiben ausdrücklich untersagt, Spieler mit Konten zu versorgen. Doch hielt sich die Spielbank daran? Eines Tages meldet sich ein Mitarbeiter dieser Behörde bei Andreas Frank. Erstaunlicherweise bittet ihn dieser Mitarbeiter, seiner Behörde zu helfen. Könne er nicht prüfen, ob sich das Casino an die Regeln hält? Als Vertrauensbeweis schickt er ihm besagtes Mahnschreiben zu.

Andreas Frank ist perplex: Er, ein ganz normaler Bürger, soll der Behörde bei solch einer Ermittlung helfen? Gibt es dafür keine Spezialisten? Ist er selbst überhaupt in der Lage, die Spielbank hieb- und stichfest zu überführen? Er möchte es versuchen, sein Jagdinstinkt ist geweckt, und ja, er will, dass sich die Spielbank ihrer Verantwortung stellt.

Im Team mit seiner Schwiegermutter beschafft er die Beweise. Die schriftliche Dokumentation des Rechtsverstoßes durch das Casino übergibt Andreas Frank wie gewünscht dem Bundesaufsichtsamt. Ende gut, alles gut?

Weit gefehlt. Nach der »Aktion Schwiegermutter« geschehen seltsame Dinge. Plötzlich wird gegen Evelyn Schmidt wegen des Verdachts der Geldwäsche ermittelt, nicht aber gegen die Inhaber von Hunderten Depots mit hohen Geldbeträgen bei der Spielbank. Es gibt staatsanwaltschaftliche Durchsuchungen von Franks Haus und Büro, um vertrauliche Informationen wie etwa das Schreiben des BaKred zu beschlagnahmen. Auf wundersame Weise kommt die Spielbank in den Besitz dieser Informationen. Dann schneit eine Steuerprüfung ins franksche Haus. Sie findet nichts, die Anzeige gegen ihn – sie ist haltlos. Doch es bleiben Fragen: Wer macht da Druck auf ihn? Wer will ihn einschüchtern? Es kommt noch schlimmer: Seine Kinder berichten, sie seien von einem fremden Mann fotografiert worden. Die Oberbürgermeisterin von Baden-Baden warnt ihn, er solle besser immer unter das Auto schauen, bevor er den Zündschlüssel umdreht. Die Familie besorgt sich als Schutz einen Rottweiler. »Der Hund lässt jeden rein, aber niemanden mehr raus«, antwortet er jedem, der fragt.

Irgendwann beruhigt sich die Lage. Und Andreas Frank? Macht weiter. Bei der EU-Kommission reicht er zwei Beschwerden gegen Deutschland ein, denn Geldwäscherecht ist Europarecht, und Deutschland hat es nicht vollständig umgesetzt. Aufgrund der zwei Beschwerden mit den Aktenzeichen 2005/4572 und 2009/4572 rüffelt die EU-Kommission daraufhin Deutschland in einem Vertragsverletzungsverfahren. Ein großer Erfolg für Andreas Frank.[1]

Doch die Freude darüber trübt sich bald, als Frank merkt, dass Deutschland trotz alledem immer noch nicht mit aller Macht gegen Geldwäsche vorgeht. Er verfasst weitere Beschwerden – an die EU-Kommission, an die Bundesregierung, an die zuständigen Minister in den Bundesländern. Und er stellt Strafanzeige gegen Günther Oettinger. Der damalige CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs ist 2010 auf dem Sprung nach Brüssel als EU-Kommissar. Frank findet, Oettinger habe das Desaster bei der Geldwäschebekämpfung im eigenen Bundesland zu lange geduldet. Die Anzeige bringt Öffentlichkeit, mehr nicht. Andreas Frank recherchiert. Er ruft bei den Aufsichtsämtern an und fragt, wie es läuft mit der Geldwäschekontrolle. Ihm wird gesagt, dass es zu wenig Personal gebe, ja noch schlimmer: Insider verraten ihm, es fehle in Deutschland der politische Wille, gegen Finanzkriminalität vorzugehen.

Frank tritt in Kontakt mit anderen Antigeldwäscheexperten, er baut sich ein Netzwerk. Das alles macht er wohlgemerkt in seiner Freizeit. Im Hauptberuf ist er immer noch im Finanzbereich tätig. Doch sein Engagement wird von Fachleuten geschätzt und ernst genommen: Als Fachmann für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung wird er als Sachverständiger vom Bundestag, dem Europarat und dem Europäischen Parlament eingeladen. Als Mitglied eines internationalen parlamentarischen Forums wird er als Referent zum US-Kongress, der französischen Nationalversammlung und anderen Parlamenten gebeten. Er besucht Fachkonferenzen im In- und Ausland. Frank besitzt inzwischen einen riesigen Berg von Korrespondenzen mit den Mächtigen der Welt und kann auf Knopfdruck nachlesen, wie sie sich immer aufs Neue herausreden. Seine Datenbank ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte.

Andreas Frank hat sein Leben dem Kampf gegen Finanzkriminalität verschrieben, seit fünfundzwanzig Jahren ist er in dieser Mission unterwegs. Er lässt nichts unversucht, um die Bundesregierung und den Bundestag in die Verantwortung zu nehmen. Sie sollen ihre gesetzlichen Pflichten im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung endlich erfüllen – um die deutsche Demokratie »vor ihren Feinden zu schützen«, wie er sagt.

Im Frühjahr 2020 telefonieren wir wieder einmal. Mitten in der Corona-Krise sprechen wir über das viele Geld, das die Bundesregierung nun braucht, und wir ärgern uns über das viele Geld von Kriminellen, das sich die Politiker durch die Lappen gehen lassen. Irgendwann kommt mir der Gedanke: Das muss jetzt mal alles an die breite Öffentlichkeit. Für einen Zeitungsartikel aber ist das Thema Geldwäsche zu gigantisch. Also sage ich: »Andreas, lass uns ein Buch machen!«

Einleitung

Die westlichen Demokratien bestrafen den Einmarsch russischer Soldaten in die Ukraine im Februar 2022 mit nie da gewesenen Finanzsanktionen. Auch die ausländischen Vermögen von Russlands Präsident Wladimir Putin und russischen Oligarchen sollen eingefroren werden. Doch dafür müsste man sie erst einmal finden. Die Öffentlichkeit erfährt, dass die Vermögen gut versteckt sind, in verschachtelten Firmen, auf Konten mit Strohleuten als Inhaber, in Offshore-Gebieten, mitten unter uns: in der EU, in Großbritannien, in den USA und in der Schweiz. Warum haben Banken und Ermittlungsbehörden solche Schwierigkeiten, die Eigentümer von Immobilien und Firmen zu identifizieren? Die Bürger fragen sich zu Recht, wie das möglich sein kann. Auf der Suche nach einer ersten Erklärung erinnert man sich an eine wohlbekannte Redensart: Pecunia non olet. Geld stinkt nicht, so hieß es bereits im alten Rom, als Kaiser Vespasian eine Latrinensteuer einführte. Und wenn das Geld übel roch, na, dann hielt man sich einfach die Nase zu.

Auch die heutigen Verfechter des Wirtschaftsliberalismus halten sich gerne die Nase zu. Sie sind überzeugt: Geld kann nicht schmutzig sein, es ist neutral. Es mag durch verbrecherische Taten erwirtschaftet worden sein – aber was solls? Sobald die dreckigen Rubel, Dollar oder Euro in unseren Wirtschaftskreislauf fließen, sind sie sauber. Punkt. Denn sie nutzen schließlich der Wirtschaft. Und was für die Wirtschaft gut ist, nutzt jedem Einzelnen und der Gesellschaft. Denn es schafft Arbeitsplätze und damit Wohlstand.

Ist es so einfach? Ist Geld neutral, und darf man ihm die kriminelle Herkunft verzeihen? Drogengelder, Gewinne aus Menschenhandel, Waffenschiebereien und Umweltverbrechen sowie aus Deals mit Despoten, die ihre Bevölkerung knechten und ausbeuten – wer Geschäfte mit Schurken, mit kriminellen Banden tätigt und deren dreckiges Geld entgegennimmt, macht der sich nicht mitschuldig am Verbrechen des »Geschäftspartners«? Auf jeden Fall sorgt er dafür, dass diese geschäftstüchtigen Verbrecher weiterhin Verbrechen begehen, dass Despoten sich weiterhin an ihren Völkern bereichern.

Wie aber passt dieser Umstand zum Anspruch unserer westlichen Demokratien, eine Wertegemeinschaft zu sein, sowie zu dem gebetsmühlenartig nach außen getragenen Anspruch, Menschenrechte zu achten und diese zu schützen?

Dieses Buch zeigt, in welchem Ausmaß dreckiges Geld bereits zum Alltag in unserer Bundesrepublik Deutschland, aber auch in den anderen Staaten der freien Welt gehört. Doch das ist noch nicht alles. Wer viel Geld und düstere Absichten hat, kann Entscheidungsträger und Politiker bestechen sowie politische Entscheidungen zu seinen Gunsten beeinflussen, kann Fake News verbreiten, die den Ausgang von Wahlen mitentscheiden, kann Verunsicherung durch Cyber- und Terrorattacken schaffen und Staaten wie unsere westlichen Demokratien destabilisieren. Geld ist auch eine Angriffswaffe, wenn seine Herkunft verschleiert werden kann. Russlands Präsident Wladimir Putin beherrscht diese Disziplin. Er nutzt sie zur Unterwanderung von demokratischen Gesellschaften – und schreckt, wie der Einmarsch in die Ukraine zeigt, in der Konsequenz nicht vor militärischer Gewalt zurück.

Hier geht es längst nicht mehr nur um die Verletzung moralischer Ansprüche, hier geht es um die Bedrohung von Freiheit und Rechten der Bürgerinnen und Bürger, sprich: um die Aushöhlung demokratischer Systeme. In einer Demokratie sind der Bürger und die Bürgerin der Souverän des Landes. Dennoch gilt: Das »Geld regiert die Welt«. Der Spruch klingt abgedroschen. Aber die Aussage bleibt wahr. Und ebenso wahr ist: Dreckiges Geld regiert mit. Auch bei uns.

Manchmal wird die Gefahr der kriminellen Unterwanderung unserer Demokratien sichtbar: Wenn mitten in Europa Journalisten ihre Recherchearbeit zu korrupten Politikern, Geldwäsche und zu Organisierter Kriminalität mit dem Leben bezahlen. Der Zeitungsleser und Nachrichtenschauer schreckt kurz auf – und geht dann zum nächsten Thema über. Kaum einer ahnt, wie groß die Macht der unsichtbaren Parallelwelt in der EU schon heute ist.

In der Bundesregierung und in der EU-Kommission ist die Gefahr bekannt. Man weiß, dass Terroristen, Organisierte Kriminalität und Geheimdienste von Autokratien sogar untereinander kooperieren. Eine Dreifaltigkeit des Schreckens. Und unsere politisch Verantwortlichen wissen auch: Diese Verbrechen und Attacken auf unsere Staaten sind nur möglich, wenn Geld fließt. Nahezu allen kriminellen Taten ist eines gemeinsam: Sie funktionieren nur mithilfe verschleierter Finanztransaktionen. Aber wem läuft schon ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er den Begriff »Geldwäsche« hört? Der Begriff klingt harmlos. Schließlich verbinden die meisten Menschen mit »Geld« und »Wäsche« etwas Positives.

Die Finanzkriminellen können sich freuen. Anders als der normale Bürger, der, sagen wir, wegen Falschparkens gnadenlos verfolgt wird, haben die Schleuser des dreckigen Geldes wenig zu befürchten. In Deutschland werden jährlich mindestens 100 Milliarden Euro an schmutzigem Geld gewaschen.[2] Über die Zeit gerechnet kommt man da schnell auf einen Billionenbetrag. Und was unternehmen unsere Staatenlenker dagegen?

Im Bundestagswahlkampf 2021 zumindest wirbt nicht eine einzige Partei mit dem Slogan »Kampf gegen Geldwäsche« oder »Wir holen die Billionen von den Kriminellen«. Darüber muss man sich wundern, denn vielen Bürgern hätte dieser Slogan sicher gefallen. Sie fragen sich schon lange: Warum sollen nur die Ehrlichen mit ihren Steuern den Staat finanzieren?

1 Wer hat die Geldwäsche erfunden?

Wenn Geld nur sprechen könnte, der Zwanziger, der Fünfziger, der Hunderter im Portemonnaie, er würde uns möglicherweise erzählen, dass er einst einem Verbrecher gehörte, der ihn sich durch Drogen- oder Menschenhandel »verdient« hat. Er könnte berichten von seiner langen, verzweigten Reise durch das internationale Finanzsystem, die so lange dauerte, bis das menschliche Leid, das Blut, das an diesem Geldschein klebt, abgewaschen wurde mithilfe von Überweisungsträgern, Bankkonten, Firmennamen und Strohleuten.

Geld kann bekanntlich nicht sprechen. Dafür hinterlässt es lesbare Spuren im globalen Finanzsystem. Gut geschulte Finanzermittler wären in der Lage, den Weg verdächtiger Überweisungen nachzuzeichnen. Wenn man sie ließe.

Wir leben in einer Welt, in der die demokratische Öffentlichkeit weder weiß, wem bestimmte Firmen und Immobilien gehören, noch, wie die anonymen Besitzer das Geld für ihren Kauf erwirtschaftet haben. Wenn eine Regierung öffentliche Aufträge vergibt, könnte das ausführende Unternehmen im Besitz einer ehrlichen Person sein. Die Firma könnte aber auch dem Minister gehören, der den Auftrag aus Eigennutz vergeben hat. Wir wissen es nicht. Es gibt zwar Register, in denen die Eigentümer der Firmen notiert sind, doch oft stehen dort keine Einzelpersonen, sondern andere Firmen. Und diese Firmen gehören wiederum Briefkastenfirmen. Der wahre Besitzer und Profiteur bleibt im Verborgenen. Selbst nach der Aufdeckung des Geldwäscheskandals bei der Danske Bank 2018 sind die von osteuropäischen Verbrechersyndikaten in das Finanzsystem geschleusten 200 Milliarden Euro verschwunden geblieben. Niemand weiß, wo die Beträge gelandet sind.[3]

Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass jährlich zwischen 2 bis 5 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts und damit bis zu 4 Billionen Dollar gewaschen werden.[4] Das ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Die internationale Geldwäsche entspräche damit der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, noch vor Deutschland mit 3,8 Billionen Dollar. Aber nur 1 Prozent dieser Gelder können die Ermittler weltweit sicherstellen, so Schätzungen. Und der Schaden für die Gesellschaft ist natürlich noch größer, als es die nackten Zahlen ausdrücken.

Geldwäsche wird oft verniedlicht, weil dreckiges Geld auf den ersten Blick das Wirtschaftswachstum in einem Land stärkt. Doch in der gebotenen holistischen Betrachtung ist dieses vermeintliche Wachstum ein Minusgeschäft. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten, die durch die kriminellen Vortaten entstehen, sind viel höher. Man denke an die sozialen Folgen von Drogensucht, Prostitution und Waffenhandel. »Schädlich ist tatsächlich weniger die Geldwäsche als einzelne Handlung, sondern ihre Funktion für die Organisierte Kriminalität«, schreibt Thomas Achim Werner in PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Geldwäsche, so meint er, sei gleichzeitig Folge und Voraussetzung Organisierter Kriminalität. »Vergleicht man Geld und Gewinne mit dem Lebensblut der Organisierten Kriminalität, dann sind die Kanäle der Geldwäsche die Blutgefäße, welche einen Blutkreislauf erst ermöglichen.«[5] Der Aufsatz ist die Zusammenfassung seiner Diplomarbeit zum Thema, Werner war einer der ersten Wissenschaftler in Deutschland, die sich des Themas Geldwäsche angenommen haben. Er arbeitet inzwischen als Unternehmensberater.

Die Geldwäsche wird als Mutter des Verbrechens und gemeinsamer Nenner vieler Straftaten bezeichnet. Denn erst wenn es einem Drogenboss oder einem – korrupten – Politiker gelingt, das ergaunerte Geld in den Äther des Finanzsystems zu schleusen, kann er die Beute »legal« nutzen. Die Konsequenzen sind dramatisch, denn die Grundregeln der Marktwirtschaft werden unterhöhlt: Kriminelle Unternehmen waschen Geld und können dabei Verluste in Kauf nehmen. Sie müssen keinen Profit abwerfen – rechtschaffene Unternehmen hingegen schon. Die durch Geldwäsche finanzierten Firmen können die Marktpreise daher unterbieten – und sich so einen unschlagbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen. Leistung lohnt sich nicht mehr.

Die Methoden der Geldwäsche sind raffiniert. Es braucht clevere und juristisch-ökonomisch gebildete Menschen, um die Herkunft und die Reise von illegal erwirtschafteten Vermögen im internationalen Finanzsystem zu verschleiern. Diese besonderen Anforderungen an den Geldwäscher sind nichts Neues, es gibt sie schon lange.

Die Ursprünge der modernen Geldwäsche liegen in den USA der 1930er-Jahre. Zu Zeiten der Prohibition werden die illegalen Einnahmen aus dem Alkoholschmuggel in den legalen Wirtschaftskreislauf kanalisiert. Der legendäre Al Capone investierte diese Gelder tatsächlich in Waschsalons. Der Begriff »Geldwäsche« soll auch aus jener Zeit herrühren. Der berühmte Gangster Meyer Lansky, 1902 in Russland geboren und 1983 in Miami gestorben, gilt in diesen Jahren als der Vertrauensbanker für das organisierte Verbrechen. Das FBI beißt sich an Meyer Lansky zeitlebens die Zähne aus. Trotz vieler Razzien finden die Ermittler nie belastende Materialien oder Beweise seines illegalen Handelns. Er besitzt ein ausgezeichnetes Gedächtnis, weshalb er so gut wie keine schriftlichen Unterlagen seiner Kunden vorhält. Meyer Lansky trainiert wie besessen Kopfrechnen und engagiert sogar einen Mathematiklehrer, der seine Fähigkeiten schärft. Er entdeckt als einer der Ersten die Vorzüge des anonymen Nummernkontos in der Schweiz. Er verspricht, dass seine Kundschaft keine Steuern bezahlen muss und die illegal erwirtschafteten Gelder sicher gebunkert sind. Man darf ihn als den Vordenker der modernen Geldwäsche bezeichnen. Sein Leben ist mehrfach verfilmt worden. »Meyer Lansky war für die Entwicklung der Geldwäsche das, was die Gebrüder Wright für die Entwicklung der Concorde bedeuteten«, sagt der investigative Buchautor mit dem Fachgebiet internationale Finanzkriminalität, Jeffrey Robinson.[6] Um Geldwäsche zu verstehen, so Robinson, müsse man sich vorstellen, dass jemand einen Stein ins Wasser wirft. Anfangs bilden sich an der Einschlagstelle Wellen, die sich konzentrisch ausbreiten. Doch je tiefer der Stein sinkt, desto schwächer werden diese Wellen, bis der Beobachter am Schluss nicht mehr weiß, wo der Stein liegt. »Das ist exakt das, was mit gewaschenem Geld passiert«, erklärt Robinson.

Watergate, Thatcher und Reagan

Der Staat reagiert damals nicht. Es folgen der Zweite Weltkrieg und die Neugestaltung der Weltordnung. Im Kalten Krieg sind den westlichen Politikern Aufbau und Wachstum wichtiger, als die Jagd nach schmutzigem Geld zu forcieren. Erst nachdem deutlich geworden ist, dass in den USA Drogenkartelle besonders aktiv sind, verabschiedet der US-Kongress 1970 den Bank Secrecy Act. Die Finanzinstitute sind fortan verpflichtet, die US-Regierungsbehörden bei der Aufdeckung und Verhinderung von Geldwäsche zu unterstützen. Sie müssen verdächtige Geschäfte ihrer Kunden melden – Geldwäsche stand in den USA erstmals unter Strafe. Doch nicht (allein) wegen der Gesetzesänderung erlangt der Begriff der Geldwäsche erstmalig weltweit größere Aufmerksamkeit – dies geschieht Anfang der Siebzigerjahre im Zusammenhang mit einer Affäre, die 1974 schließlich zum Rücktritt von Richard Nixon führt.

Beim »Watergate-Skandal« geht es um weit mehr als um die Steuerhinterziehung der Meyer-Lansky-Ära. Der republikanische US-Präsident Richard Nixon möchte in den 1970er-Jahren seine Wiederwahl sichern – auch mithilfe verbrecherischer Methoden. Seine Helfer brechen nachts ins Watergate-Hotel – das Hauptquartier der oppositionellen Demokraten – ein, um dort Wanzen zu installieren. Der politische Gegner wird abgehört. Die Republikaner finanzierendiese Aktion mit illegalen Wahlkampfspenden. Die Herkunft der Gelder wird durch Transaktionen über Banken in Mexiko verschleiert. Doch mit dem Auffliegen der Watergate-Affäre gelangt erstmals ein Fall verbrecherischer Geldwäsche aus der Politik an die Weltöffentlichkeit.

Allen Gesetzesverschärfungen und öffentlichen Skandalen zum Trotz macht in den Siebziger- und Achtzigerjahren die Mafia in New York mit der »Pizza-Connection« Schlagzeilen: Die Bande wäscht Heroingelder im Wert von 2 Milliarden Dollar über ihre Pizzerien. Die Methode: schwere Koffer mit Bargeld ins Lokal reintragen, die Scheine in die Kasse legen und als Umsatz bei der Steuer deklarieren. So funktioniert das auch heute noch. Versierte Steuerprüfer könnten den mit Schwarzgeld aufgeblasenen Umsatz durch einen Abgleich mit den (womöglich auch frisierten) Einkaufskosten von Teigwaren vielleicht abgleichen. Doch diese Steuerprüfungen werden aufgrund des Personalmangels selten durchgeführt.

Die Pizza-Connection und der erfolglose Kampf gegen Drogen rütteln die internationale Staatengemeinschaft auf. Man plant die Einführung von strengen Geldwäschegesetzen, um die Kriminellen in die Schranken zu weisen. Eine internationale Organisation, die Financial Action Task Force (FATF), wird die Umsetzung dieser Empfehlungen und Regeln ab 1989 regelmäßig prüfen. Der Aufruf zum Kampf gegen Geldwäsche kommt allerdings zu einer Zeit, da der Finanzkapitalismus mit aller Freiheit erst so richtig ins Rollen kommt. US-Präsident Ronald Reagan und Premierministerin Margaret Thatcher in Großbritannien treiben in den Achtzigerjahren die Entfesselung der globalen Finanzmärkte voran (in Großbritannien bekannt geworden als »Big Bang«). Die Geldwäschebekämpfung genießt in diesem politischen Umfeld keine Priorität.

Wie wenig Thatcher vom Aufspüren illegaler Finanztransaktionen hielt, finden britische Forscher im Jahr 2017 heraus. Sie dürfen eine bis dahin als geheim eingestufte Akte aus dem britischen Finanzministerium einsehen. Sie besteht aus persönlichen Korrespondenzen der damals verantwortlichen Politiker und anderen Dokumenten. Es geht um die Verabschiedung des Geldwäschegesetzes und den Kampf gegen Finanzkriminalität.[7] Die Unterlagen zeigen, dass die Gesetze zur Verbrechensbekämpfung in den Achtzigerjahren so geschnürt wurden, dass sie den Interessen der Finanzindustrie nicht im Wege standen – freie Fahrt also für die Wäsche dreckigen Geldes, insbesondere Geld aus Drogenhandel.

Ähnlich die Entwicklung in Deutschland: Experten weisen damals darauf hin, dass der Kampf gegen Finanzkriminalität verschärft werden muss – doch die Politik reagiert unzureichend. Das Bundeskriminalamt (BKA) warnte bereits 1986, dass die bei der Organisierten Kriminalität in Rede stehenden Summen einen gewichtigen Wirtschafts- und damit Machtfaktor bildeten. Es entstünde ein »gigantisches illegales und internationales Finanznetz«. Man müsste daher den Kriminellen »die ökonomische Machtbasis entziehen«, notwendig wäre die Einführung einer Beweislastumkehr. Die Justiz sollte, so die Empfehlung, verdächtige Sach- oder Geldvermögen einfrieren und am Ende konfiszieren dürfen, es sei denn, der wahre Eigentümer trete vor, belege die legale Herkunft des Geldes und dessen Versteuerung.[8]

Ein guter Ratschlag – der leider fast vier Jahrzehnte lang überhaupt nicht befolgt wurde.

Auch die Warnung des damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Eckart Werthebach, verpufft bei den zuständigen Bundesregierungen. Werthebach schreibt 1994, die Gefahr für den Rechtsstaat liege nicht in der kriminellen Handlung als solcher, sondern in der Möglichkeit, durch Kapital Einfluss auf gesellschaftliche Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse zu nehmen, die sich einer demokratischen Kontrolle weitestgehend entziehen. Es gehe, so Werthebach, um die Korrumpierung von Politikern oder anderer einflussreicher Entscheidungsträger in gesellschaftlich relevanten Positionen. »Durch ihre gigantische Finanzmacht gewinnt die Organisierte Kriminalität heimlich zunehmend Einfluss auf unser Wirtschaftsleben, die öffentliche Verwaltung, die Justiz wie auf die Politik und kann schließlich deren Normen und Werte bestimmen.«[9]

Und so kam es, wie es wohl kommen musste: Nicht nur im fernen Amerika, sondern auch bei uns in Deutschland lernen Politiker die »Vorzüge« geheimer Konten schätzen.

Filz, Flick und schwarze Kassen

Wolfgang Schäuble gehört zu den profiliertesten politischen Persönlichkeiten Deutschlands. Der CDU-Politiker ist seit 1972 Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Er hat die deutsche Einheit im Kern verhandelt und als Bundesfinanzminister Deutschland durch die globale Finanzkrise gesteuert. In seiner Funktion als Präsident des Bundestages sagte Schäuble im Jahr 2021 zu den verwerflichen Geschäften einiger CDU- und CSU-Politiker im Zusammenhang mit dem Einkauf dringend benötigter Schutzmasken in der Corona-Pandemie: »Das ist schlicht unanständig.« Schäuble gilt als gewiefter Politiker, versierter Jurist und einigen auch als moralische Autorität. Dieser Respekt ist seiner langen Karriere und Erfahrung geschuldet, aber auch seiner Aura: Er macht einen unbestechlichen Eindruck. Die Öffentlichkeit hat weitgehend vergessen, dass Schäuble bereits zuvor im Zuge der CDU-Spendenaffäre zugeben musste, dass er im Jahr 1994 von dem Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber 100 000 Mark in bar angenommen hatte.

Rückblickend denkt man: Das darf doch nicht wahr sein! Ein Jurist mit zweitem Staatsexamen und Promotion, einer, der Bundeskanzler werden möchte, nimmt im Alter von 52 Jahren einen Koffer mit Bargeld entgegen? Der »Schwarze Koffer«-Vorfall wirkt mit jedem Jahr verstörender, macht der Akt doch deutlich, wie Teile der politischen Elite Deutschlands den Einsatz von Schwarzgeld ansahen: weniger als einen kriminellen Akt, sondern vielmehr als taugliches Instrument zur Verfolgung der eigenen Interessen.

Bereits der mächtige Flick-Konzern bezahlte ab 1975 jahrelang viele Millionen Mark an Parteistiftungen, Parteien und Politiker. Der Konzern nennt diese Spendenpraxis »Pflege der Bonner Landschaft«. Im Zuge der Flick-Affäre erhebt die Bonner Staatsanwaltschaft 1983 gegen viele Beteiligte Anklage wegen Bestechlichkeit. Im selben Jahr ruft der frischgewählte Bundeskanzler Helmut Kohl die »geistig-moralische Wende« aus. Doch sechzehn Jahre später, im Dezember 1999, muss Kohl in einem ZDF-Interview zugeben, unter Umgehung des Parteiengesetzes 2 Millionen Mark angenommen zu haben: Er persönlich – in bar –, an seinem Schreibtisch. Unter Berufung auf sein den Spendern gegebenes »Ehrenwort« weigert er sich, die Namen der Spender zu nennen, und gibt den Beleidigten: Wenn er jetzt höre, er sei geschmiert worden, sei das für ihn »ganz und gar unerträglich«. Kohl hält dieses »Ehrenwort« bis zu seinem Tod im Jahr 2017.

Die weitere Aufarbeitung der CDU-Spendenaffäre zur Jahrtausendwende dokumentiert bei vielen führenden Politikern eine erschreckende Doppelmoral. So trommelt der frühere Bundesinnenminister Manfred Kanther als selbst erklärter »Law and Order«-Verfechter im Jahr 1996 für eine härtere Gangart im Kampf gegen Geldwäsche und fordert härtere Strafen für Kriminelle. Umso größer ist die Bestürzung, als er im Januar 2000 einräumt, dass die Hessen-CDU über ein schwarzes Auslandskonto verfügt, von dem bei Bedarf Millionenbeträge – getarnt als »jüdische Vermächtnisse« – an die Partei zurückfließen. Die damalige CDU-Generalsekretärin und spätere Kanzlerin Angela Merkel spricht im Zusammenhang mit der CDU-Parteispendenaffäre von »geldwäscheähnlichen Strukturen«.

Die Annahme von Schwarzgeld gehört in manchen Kreisen zum guten Ton der Bundesrepublik. Der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, ebenfalls CDU, lässt sich von Unternehmern Fernreisen sponsern, Stichwort »Traumschiff-Affäre«. Die Geldgeschäfte über Briefkastenfirmen des langjährigen bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß sind so blickdicht, dass sie erst posthum bekannt werden.[10] Es gibt so viele Finanzskandale, man hat sie fast vergessen. Wer erinnert sich an die Steuerhinterziehung des Deutsche-Post-Chefs Klaus Zumwinkel, an die skandalöse Pleite des gewerkschaftlichen Bau- und Wohnungsunternehmens Neue Heimat oder die Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß?

Hinzu kommen Fälle, die nicht einmal strafbar sind. Zuletzt lassen es einige Politiker selbst in der furchtbaren Corona-Pandemie an Anstand mangeln: So erfährt die erstaunte Öffentlichkeit, dass der ehemalige bayerische Finanzminister Alfred Sauter (CSU) im Jahr 2020 über Liechtenstein und die Karibik hohe Provisionszahlungen für Maskendeals erhalten hat. Auch mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete kassieren für die Vermittlung dieser Geschäfte. Gibt es Sanktionen? Das ist nicht so einfach, denn Parlamentarier genießen Immunität. Erst wenn der Bundestag diese aufhebt, sind Durchsuchungen und Anklageerhebungen möglich. Die Aufhebungen der Immunität sind zuletzt massiv angestiegen. In der Legislaturperiode des Deutschen Bundestags von 2013 bis 2017 waren es noch vier, in der Legislaturperiode von 2017 bis 2021 bereits 22 Fälle.[11] Diesen Anstieg kann man als Ausdruck einer wachsenden Korrumpierung der politischen Elite begreifen, möglich gemacht durch löchrige Vorschriften bei Nebenjobs für Abgeordnete. Und es kommt immer schlimmer: Es stellt sich heraus, dass die skrupellosen, geldgierigen Maskendeal-Einfädler Sauter, Tandler, Nüßlein, über die sich die gesamte Republik nebst ehemaligen Weggefährten empört, juristisch wohl nicht belangt werden können.[12] Sie sind abermals geschützt durch eine löchrige Gesetzgebung – Gesetze, die Politiker für korrupte Politiker beschlossen haben. Finde den Fehler.

Es ist geradezu erstaunlich, wie viele zweifelhafte Geldgeschäfte in Deutschland und Europa durch und durch legal sind. Diese Beißhemmung des Gesetzgebers trug und trägt dazu bei, dass sich das Krebsgeschwür Korruption und Vorteilsnahme in die politischen Institutionen weiter vorfressen konnte und kann – bis in die höchste Kammer der demokratischen Volksvertretung: den Deutschen Bundestag.

Diese Hemmungslosigkeit bei Geldgeschäften begleiten das politische und wirtschaftliche Leben seit Gründung der Bundesrepublik 1949 auch auf anderen Ebenen. Deutschland ist ein großer Rüstungsexporteur, oft gehen die Waffen an Nicht-NATO-Staaten, in denen militante Regimes die Bevölkerung unterdrücken und mit deutscher Militärtechnologie Kriege führen. Mitunter ist auch Korruption im Spiel, um Aufträge, beispielsweise für U-Boot-Lieferungen nach Portugal, Griechenland und Israel, an Land zu ziehen.[13] Der Siemens-Skandal zeigt, wie der Münchner Weltkonzern über Jahre ein System für Schmiergeldzahlungen an ausländische Partner installiert hat. Die Politik steht mit vorteilhaften Steuergesetzen Pate, denn bis in die Neunzigerjahre dürfen Unternehmen ihre Schmiergeldzahlungen steuerlich absetzen. Der Fachbegriff dafür lautet »nützliche Aufwendungen«.

Der reichen Elite unseres Landes wird auch im Nachbarland der Hof gemacht. In der Schweiz bunkern deutsche Millionäre jahrzehntelang ungehindert ihre Vermögen auf anonymen Nummernkonten. Um den zum Teil prominenten Steuersündern ohne Strafe und Offenlegung der hinterzogenen Vermögen einen Weg in die Legalität anzubieten, einigt sich Bundesfinanzminister Schäuble mit seiner Schweizer Kollegin Eveline Widmer-Schlumpf 2011 auf ein Steuerabkommen. Für die Zukunft ist eine Quellensteuer auf Kapitalerträge vorgesehen, die die Schweiz an Deutschland weiterleiten soll. Die Inhaber dieser Vermögen und damit die kriminellen Steuerhinterzieher sollen jedoch weiter anonym bleiben. Eine Schnapsidee, die belegt, wie desinteressiert Schäuble daran ist, diesen Personenkreis zu identifizieren. In einer Gesprächsrunde mit Schäuble weist der Kriminalexperte Sebastian Fiedler am 1. Dezember 2011 darauf hin, dass durch die vereinbarte anonyme Amnestie die Organisierte Kriminalität geschützt und Geldwäsche geduldet werde. Bei den deutschen Steuerhinterziehern in der Schweiz, die durch das Abkommen in den Genuss einer anonymen Amnestie kommen sollen, geht es aus der Sicht des Kriminalbeamten auch um Gelder aus Drogen- und Menschenhandel, Korruption und Betrug.[14] Doch Schäuble möchte die anonyme Amnestie trotzdem durchboxen. Dies trägt sich zu, als die EU-Kommission gerade ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland führt und die Bundesregierung später rügt. Der Grund: Schäuble und seine Vorgänger im zuständigen Ministeramt haben die Europäische Geldwäscherichtlinie nicht ordentlich in deutsches Recht umgesetzt – einige Vorschriften sind damals bereits fast zwanzig Jahre überfällig, beispielsweise die Einrichtung von Aufsichtsbehörden im Kampf gegen Geldwäsche.

Diese Episode unterstreicht, dass der energische Kampf gegen Geldwäscher und Steuersünder in Deutschland politisch damals nicht erwünscht ist. Die anonyme Amnestie scheitert dann aber doch, der Bundesrat verweigert am 23. November 2012 seine Zustimmung, obwohl die Schweiz bereits ratifiziert hat. Schäubles Plan geht nicht auf, und die Schweiz macht weiter mit dem Schutz der Steuersünder. Mehr noch: Im Zusammenhang mit der Beschaffung einer Steuersünder-CD mit Bankdaten der Credit Suisse erlässt die Schweizer Bundesanwaltschaft gegen drei deutsche Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen sogar Haftbefehl. Die deutsche Öffentlichkeit ist empört. Doch Schäuble wertet das Vorgehen der Schweiz als nachvollziehbar. Die Schweiz habe ihr Strafrecht, und darin sei die Verletzung des Bankgeheimnisses eben mit Sanktionen verbunden.

Verharmlost, schöngeredet und ignoriert

Steuerflucht und Korruptionsskandale gehören inzwischen zum Grundrauschen der europäischen Demokratie. Dennoch hat es bislang noch nie einen mehrheitlichen Aufschrei in der deutschen Gesellschaft gegeben, den toleranten Umgang mit kriminellem Schwarzgeld ernsthaft zu unterbinden. Der Bankraub wird mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft, doch mithilfe einer Bank illegale Gelder auf anonyme Konten zu transferieren, um Steuern zu hinterziehen, kriminelle Machenschaften zu kaschieren oder Schmiergelder zu bezahlen – das wird politisch leichtfertig hingenommen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz setzt sich seit Jahren dafür ein, dass der Kampf gegen Geldwäsche verschärft wird. Er ist »verwundert« darüber, dass die Bundesregierung und seine eigene Parteiführung so wenig dagegen unternehmen. Die Geldwäsche werde von »mächtigen Gegnern in der Öffentlichkeit verharmlost und schöngeredet«. Schwarz spricht von einer »intellektuellen Unterwanderung« in weiten Teilen der Gesellschaft und der Entscheidungsträger.[15]

Diese intellektuelle Unterwanderung führte wohl auch dazu, dass die Gesetze zur Parteienfinanzierung in Deutschland immer noch untauglich sind. Der Europarat wirft Deutschland in seinem Bericht von 2019 vor, zu wenig gegen Korruption im Zusammenhang mit Parteispenden zu tun. So müssen Parteien hohe Spenden erst ab 50 000 Euro sofort beim Bundestagspräsidenten anzeigen – mit Namen und Anschrift des Spenders. Die Beträge darunter und deren Herkunft werden mitunter erst zwei Jahre später in den Rechenschaftsberichten der Parteien veröffentlicht. Die Namen der Spender von unter 10 000 Euro müssen Parteien überhaupt nicht offenlegen. So kommt es, dass finanzstarke Spender ihre Zuwendungen entsprechend stückeln. Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sichert sich im Oktober 2020 bei einem Abendessen mit einem Dutzend Teilnehmern eine Parteispende für den CDU-Kreisverband Borken in Höhe von 9999 Euro. Damit liegt der Betrag exakt 1 Euro unter der Meldeschwelle. Den oder die Spender muss Spahn qua Gesetz nicht offenlegen, und das tut er auch nicht.

Ein weiteres Beispiel, von dem die Nichtregierungsorganisation LobbyControl berichtet: Demnach lässt der Spielautomatenbetreiber Michael Mühleck der CSU über sechs verschiedene Absender insgesamt 120 000 Euro zukommen. 20 000 Euro überweist er dem Bericht zufolge als Privatperson und dann jeweils die gleiche Summe über fünf verschiedene Unternehmen, die aber alle in seinem Besitz sind. »So vermeidet Mühleck, dass seine Großspende bereits 2018 publik wird, wie es bei Parteispenden über 50 000 Euro eigentlich vorgesehen ist. Und er vermied damit auch eine öffentliche Diskussion darüber, ob seine Spenden als ›Argument‹ gegen eine stärkere Reglementierung der süchtig machenden Daddelautomaten verstanden werden sollten.«[16] Auch der Glücksspielautomaten-Hersteller Gauselmann kam in die Schlagzeilen, und zwar durch Investitionen in eine Firma, die im Besitz der FDP war.[17] Die Parteien bestreiten, dass sie sich durch Spenden »kaufen« lassen würden. Eine Beeinflussung der politischen Agenda im Zuge der Zuwendung erscheint aber naheliegend, wenn nicht gar zwingend. Deshalb ist Transparenz so wichtig. Nur wenn man weiß, dass – wie die Beispiele Mühleck und Gauselmann zeigen – die Glücksspielbranche, in der Kriminelle übrigens viel Geld waschen, eine bestimmte Partei finanziell unterstützt, kann man als Wähler eine informierte Entscheidung treffen. Das gilt auch für Kredite an Parteien, die, ausgestattet mit besonders niedrigen Zinsen oder Tilgungsraten, eine getarnte Spende sein können.