Dresden 1945 - Wolfgang Schaarschmidt - E-Book

Dresden 1945 E-Book

Wolfgang Schaarschmidt

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Beschreibung

Einer der wohl schrecklichsten Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges - auf die Stadt Dresden im Jahr 1945 - steht im Mittelpunkt dieses Buchs. Dresden 1945 - diese zwei Worte sind zum Inbegriff für die Schrecken des Krieges geworden. Denn was sich am 13. Und 14. Februar des Jahres 1945 in der deutschen Stadt Dresden abspielte, übersteigt jedwede Vorstellungskraft. Bis heute weiß man nicht, wie viele Opfer der alliierte Bombenangriff unter der Zivilbevölkerung damals eigentlich gefordert hat. Und bis heute dient Dresden 1945 auch als Spielball für Ideologie und Politik zwischen so gegensätzlichen Positionen wie Schönung der Opferzahlen auf der einen und Übertreibung auf der anderen Seite. Der Autor, Wolfgang Schaarschmidt, hat das Inferno von Dresden selbst miterlebt und überlebt, kennt den Gegenstand seiner Beschreibung also aus eigener Erfahrung. Er hat aber auch Einsicht in die neuesten Quellen genommen und dabei so manche überraschende Erkenntnis zu Tage gefördert. Auf Basis dieser Quellen zeichnet er das unwürdige Spiel politischer Interessen mit den Opfern nach, stellt die bislang kolportierten Opferzahlen auf den Prüfstand und kommt dabei zu bemerkenswerten Schlussfolgerungen. Versehen mit einem Bildteil, sorgt die vorliegende zweite aktualisierte Auflage des vormals im Herbig Verlag erschienen Werks dafür, dass eines der folgenschwersten Ereignisse des Zweiten Weltkrieges nicht in Vergessenheit gerät. Das Vorwort schrieb der langjährige Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Friedrich Karl Fromme.

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Wolfgang Schaarschmidt

DRESDEN 1945: DATEN – FAKTEN – OPFER

Wolfgang Schaarschmidt

DRESDEN 1945

Daten • Fakten • Opfer

Dritte, vollständig überarbeitete underweiterte Auflage

Umschlaggestaltung: DSR – Digitalstudio Rypka/Thomas Hofer, DoblUmschlagabb. Vorderseite: Bildarchiv Preußischer KulturbesitzUmschlagabb. Rückseite: Deutsche Fotothek Dresden/Richard Peter

Wir haben uns bemüht, bei den hier verwendeten Bildern die Rechteinhaber ausfindig zu machen. Falls es dessen ungeachtet Bildrechte geben sollte, die wir nicht recherchieren konnten, bitten wir um Nachricht an den Verlag. Berechtigte Ansprüche werden im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Bibliographische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Hinweis: Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die zum Schutz vor Verschmutzung verwendete Einschweißfolie ist aus Polyethylen chlor- und schwefelfrei hergestellt. Diese umweltfreundliche Folie verhält sich grundwasserneutral, ist voll recyclingfähig und verbrennt in Müllverbrennungsanlagen völlig ungiftig.

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Ares Verlag GmbHHofgasse 5/Postfach 438A-8011 GrazTel.: +43 (0)316/82 16 36Fax: +43 (0)316/83 56 12E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-902475-76-3eISBN 978-3-902732-59-0

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright by ARES Verlag, Graz 2018, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

Layout: Ecotext-Verlag, Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein, Wien

Inhalt

Zu dieser Auflage

Vorwort von Friedrich Karl Fromme (†)

Den Bürgern Dresdens gewidmet

Einleitung

I. Dresden gerät auf die Zielliste

Luftkriegsplanung – Strategie und Taktik

Die Luftwaffe

Die Royal Air Force (RAF)

Die amerikanische Luftwaffe (USAAF)

Militärische Lage und Planung der Angriffe

II. Die Luftangriffe vom 13. bis 15. Februar 1945

Vier Angriffe innerhalb von vierzig Stunden

Angriffstaktik

Bevölkerungsverdichtung vor den Angriffen – primäre Verdichtung

Verlauf der Angriffe – sekundäre Verdichtung

Unmittelbare Folgen für die Bevölkerung

Schwerpunkte Großer Garten

Hauptbahnhof

Elbwiesen

Im Zentrum des Feuersturms – Vom Georgplatz zum Altmarkt

Brandverletzungen

Der Fall Dresden wird zum Politikum

III. Die Verwaltung

Der Interministerielle Luftkriegsschädenausschuß (ILA)

Stadtverwaltung

Einsatz der Dresdner Feuerschutzpolizei

Die Vermißtennachweiszentrale (VNZ)

IV. Bergung und Enttrümmerung

Bergung bis zum Beginn der Altmarktverbrennungen (20. Februar)

Verbrennungen auf dem Altmarkt

Meißen

Tote Gebiete (Abriegelung zerstörter Gebiete)

Bergung bis zum 8. Mai 1945

Bergung nach dem 8. Mai 1945

Geheime Bergungen

Bergung auf Antrag

Bergung und Enttrümmerung – 1950 bis 1957

V. Exkurs

Dresden und seine verschollenen Antifaschisten

Neue kalte Heimat

Ostdeutsche Heimatvertriebene nach 1945 in der SBZ

Lagerhaft – Zwangsarbeit

Fremd im eigenen Land

Not ohne Ende

Verordnete Eingliederung

VI. 1946: Das erste Jahr des großen Dresdner Aufbauplanes

Die Konferenz von Potsdam

Die Nürnberger Prozesse

Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki

Das Nachrichtenamt des Rates der Stadt Dresden

Poltische und wirtschaftliche Lage in Dresden

Der „Große Dresdner Aufbauplan“

Der erste Jahrestag

VII. Zahlen und Schätzungen

Vergleich Hamburg – Dresden

Der „Tagesbefehl Nr. 47“ (TB Nr. 47)

Wann sind die beiden Versionen aufgetaucht?

Die Fälschung: 202 040 Tote – Flüsterpropaganda

Version A – Form- und Textkritik

Joseph Goebbels oder Albert Norden

Was sollte mit den beiden Schriftstücken erreicht werden?

200 000 Luftkriegstote in Dresden – eine Fälschung

Offizielle Angaben

1. Rudolf Sparing: Der Untergang Dresdens

2. Schlußmeldung über die vier Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden

3. Quellenmängel in der Schlußmeldung vom 15. März 1945 im Abschnitt „E. Personenschäden“

4. Lagemeldungen

5. Kommunale Wirtschaftsunternehmen (KWU) Bestattungseinrichtungen: Aufstellung der auf den Dresdner Friedhöfen befindlichen Gräber von Bombenopfern

6. Heidefriedhof: Amtliche Totenliste von 1995 nach § 5 Gräbergesetz 1993

Schätzungen vor dem 8. Mai 1945

Victor Klemperer: „Ich will Zeugnis ablegen …“, Tagebücher 1942–1945

Schätzungen in der Auslandspresse

Schätzungen nach dem 8. Mai 1945

Gedächtnisbericht von Oberstleutnant a. D. Eberhard Matthes

Internationales Komitee vom Roten Kreuz

Die Weidauer-Kommission 1946

„Verschiedene Gründe“

Lindley Fraser

Mitteilung aus der Urkundenstelle der Stadt Dresden

Mitteilung der Stadtverwaltung 1992

Sowjetische Quellen und Internationales Militärtribunal

Oberstabsarzt Dr. Max Funfack

Dr. Funfacks Zahlen

Generalmajor Wilhelm von Kirchenpauer

Hanns Voigt – Leiter der Abteilung Tote

Zusammenfassung

VIII. Dokumente

Dokumente zum Kapitel „Die Weidauer-Kommission 1946“

Dokumente zum Kapitel „Oberstabsarzt Dr. Max Funfack“

Dokumente zu Bergung und Enttrümmerung

IX. Tiefflieger Dresden 1945 (Gert Bürgel)

Einführung

Luftkriegsführung und Tieffliegereinsätze

Die Dresdner Problematik

Ergebnisse

X. Die Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen Gert Bürgel)

Einführung

Forschungsrahmen und methodische Mängel

Verlauf der Kommissionsarbeit (2004–2010)

Verschwiegene Sach- und Personalkosten

Finanzierung

Geheimniskrämerei um die Arbeitsunterlagen der Kommission

Die Sperrung weiterer Archivunterlagen

Kapitelanhang 1: Anmerkungen zur Podiumsdiskussion auf dem 47. Deutschen Historikertag in Dresden am 1. Oktober 2008

Ausschnitt aus dem Redebeitrag von Dr. Alexander v. Plato zum Thema „Mathildenstraße“

Ein Rededisput, Manfred Böttcher vs. Dr. v. Plato und Prof. Müller

Redebeitrag Dr. v. Plato in der Abendveranstaltung (Otto-Beisheim-Saal)

Kapitelanhang 2: Öffentliche Erklärungen zum künftigen Umgang mit den Unterlagen und Ergebnissen der Historikerkommission

Kapitelanhang 3: Anmerkungen zum Bericht der Dresdner Historikerkommission (Wolfgang Schaarschmidt)

XI. Anhang

Stadtplan Dresden

Bildnachweis

Abkürzungsverzeichnis

Literatur

Periodika

Sammlungen

Archive

Private Archive

Mitteilungen von Privatpersonen

Danksagung

Personenregister

Zu dieser Auflage

„Dresden 1945“ umfaßt mehr, als nur die Frage nach der Zahl der Toten, welche die Luftangriffe seit Februar auf Dresden gefordert haben, obwohl sie im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Ich habe jedoch versucht, auch die kriegsgeschichtliche Dimension des Krieges sowie die lokalen allgemeineren Verhältnisse in Beziehung zubringen mit den Folgen der Zerstörung unserer Stadt. Die Arbeit soll ein Beitrag sein zur Luftkriegsgeschichte des Zweiten Weltkrieges, zur Geschichte der Stadt Dresden, und sie will den Blick auf die soziale Not in dieser Zeit richten.

Der Text der beiden vorangegangenen Auflagen wurde überarbeitet. Im den vergangenen Jahren habe ich weiter recherchiert und auch die vorliegenden Quellen, namentlich die amtlichen, kritisch untersucht. Außerdem sind mir ausführliche Mitteilungen über die Persönlichkeit des früheren Leiters der Abteilung Tote in der Vermißtennachweiszentrale, Hanns Voigt, überlassen worden. Auch seine Personalakte aus dem früheren NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) über Art und Dauer seiner Mitgliedschaft in NS-Organisationen habe ich beigezogen. Zur Person des Leiters des Deutschen Dienstes der BBC, Lindley Fraser, der Anfang 1946 begleitet von Offizieren der Sowjetischen Militäradministration den Dresdner Oberbürgermeister Weidauer besuchte, konnten neue Erkenntnisse ermittelt werden. Dieser Besuch reflektiert den Einfluß, den die Siegermächte auf die damalige Stadtverwaltung nahmen, was die öffentliche Darstellung der Opferzahl infolge der Luftangriffe auf Dresden betraf.

Der Vergleich weiterer Quellen mit der Schlußmeldung vom März 1945 läßt darauf schließen, daß die Höhe der Personenverluste verschleiert werden sollte.

Die Archive der Stadt enthalten Dokumente, aus denen hervorgeht, daß mehr als ein Bergungskommando gearbeitet hat. Es sind jedoch nur die Berichte eines Kommandos archiviert worden. Außerdem gibt es Hinweise auf geheime Bergungen und Kelleröffnungen, die nicht offiziell dokumentiert worden sind. Über die schrittweise Auflösung der Vermißtennachweiszentrale nach Kriegsende habe ich nahezu lückenlose Unterlagen gefunden. Daraus geht hervor, daß abgesehen von der teilweisen Zerstörung der Unterlagen bei der sowjetischen Besetzung des Dienstgebäudes die Reste später noch einmal im Gewahrsam der Roten Armee gewesen sind.

Ende 2004 berief der damalige Oberbürgermeister der Stadt Dresden, Roßberg, eine „Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen der Luftangriffe auf die Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945“, die ihre Arbeit in acht Vorträgen anläßlich des Deutschen Historikertage am 1. Oktober 2008 abschloß: „Die Kommission geht von maximal 25 000 Menschen aus, die während der Februarluftangriffe in Dresden ums Leben kamen.“1 Das sei das Ergebnis einer „transparenten Bestandsaufnahme der zählbaren dokumentarischen Überlieferungen“.2 Die Kommissionssprecher äußerten sich weder zu dem Ereignis selbst noch zu dem Verlauf der Bergungen vor und nach Kriegsende. In dieser Arbeit komme ich zu einem völlig anderen Ergebnis. Die Zeitzeugen waren 1945 noch jung – zu jung und sind nun alt oder schon tot. So bleibt diese Arbeit das einzige Gegenüber zu den Kommissionsergebnissen.

Aus vielen Zuschriften konnte ich entnehmen, daß die vorangegangenen zwei Auflagen dieser Arbeit eine gute Aufnahme gefunden haben. Die vorliegende Auflage ist ergänzt und vertieft die Ausführungen in wesentlichen Punkten. Sie gibt den gegenwärtigen Quellenstand wieder. Nach allen Schwierigkeiten, welche die Forschung über diese Tragödie bisher behindert haben, konnte mit dieser Arbeit die Voraussetzung geschaffen werden, in Zukunft noch bisher unbekannte Quellen zu prüfen und in den Kontext einzuordnen.

Trotz der Bemühungen aller Autoren, welche die Folgen der Angriffe auf Dresden zu erforschen suchten, bleibt gegenwärtig ein abschließendes Urteil über die Zahl der Opfer, welche die Angriffe forderten, auf Schätzungen angewiesen.

Wolfgang Schaarschmidt

Seester, im September 2017

Vorwort von Friedrich Karl Fromme (†)3

Wenn vom Luftkrieg gegen Deutschland die Rede ist, stellt sich der Gedanke an Dresden ein.

Die Stadt war berühmt wegen ihrer Kunstschätze. Im Krieg wurde sie Lazarettstadt. Das nährte die Illusion, Dresden werde von Luftangriffen verschont bleiben.

Die späte Vernichtung der Dresdner Mitte war in vorher nie dagewesener Deutlichkeit der Vollzug der in Großbritannien aufgenommenen Theorie des Luftkrieges, wonach es nicht um die militärische Schwächung des Gegners ging, sondern um die Demoralisierung der kämpfenden Truppe durch Terror gegen ihre Familien in der Heimat.

In Dresden war die dicht bebaute Innenstadt und die engen Vorstadtquartiere genau herauspräpariert worden – nicht zur Verschonung, sondern als Angriffsziel. Unversehrt stand die Industrie, blieben die Kasernen in den Randgebieten um das Trümmerfeld.

Die Zerstörung der Verwaltungsgebäude und die heranrückende Ostfront, schließlich die Besetzung Dresdens am 8. Mai 1945 standen einer auch nur halbwegs exakten Ermittlung der Zahl der Toten entgegen. Die Zahl der verbrannten Toten auf dem Altmarkt wird amtlich auf die letzte Stelle genau angegeben. Im Bericht eines Beteiligten dagegen heißt es, schließlich habe man überhaupt nicht mehr gezählt.

Genaue Zahlenangaben konnte es nicht geben. So verbreiteten Mitte der fünfziger Jahre Medien der DDR die Zahl von 35 000 Toten. Stets wiederholt, erhielt sie allmählich die Weihe letzter Wahrheit, wurde nach dem Umbruch von 1990 beibehalten, mit einer kleinen Öffnungsklausel – „vielleicht auch mehr“ – versehen und seither amtlich verkündet und „wissenschaftlich“ repetiert.

Ein Ansatzpunkt zum Zweifel hätte die Differenz zwischen den 35 000 und der Zahl der zwar nicht identifizierten, aber gezählten 80 000 Toten sein können. Sie wurde von dem Leiter der Abteilung Tote in der Vermißtennachweiszentrale, Studienrat Hanns Voigt, dem britischen Autor David Irving mitgeteilt und von ihm 1964 publiziert.

Schaarschmidt liegt an der Aufklärung. Er suchte sie in den seit 1990 zugänglichen Archiven. Als Zeitzeuge vermag er sich in die Doppelbödigkeit des Geschehens nach der Bombennacht hineinzuversetzen und die spärlichen Unterlagen zu deuten. Er versteht, daß bei den Aufräumungsarbeiten nach dem Kriege die Versuchung nahelag, das Schreckliche zuzudecken. Bürokratische Genauigkeit wurde zum Schleier, der die grausige, unerwünschte Wahrheit verbarg.

In langen Berufsjahren als Hafenarzt in Hamburg ist Schaarschmidt an die Schwächen der Menschen gewöhnt. Er versucht abzusehen von den Gefühlen, die er hegt, als einer, der die Zerstörung der Stadt als Vierzehnjähriger miterlebt hat. Wer nach den Totenzahlen von Dresden forscht, gerät leicht in Verdacht, er wolle durch den Nachweis fremder Untaten die des eigenen Regimes zwischen 1933 und 1945 relativieren, nach dem alten Verteidigungssatz tu quoque. Schaarschmidt tut trotzdem das Seine, auf der Suche nach der Wahrheit.

Friedrich Karl Fromme

Mettmann, im Oktober 2004

Den Bürgern Dresdens gewidmet

Schwermütiger Zauber liegt über der Stadt. Nicht jeder Dresdner, der Last des Alltags ausgesetzt, wird ihn fühlen. Der Besucher, der Dresden kannte und kennt, ist bezaubert von der Schönheit dieser Stadt, die sie in ihrem elbnahen Kern wiedergewonnen hat. Unverändert schmeichelt seinem Auge der Blick von der Brühlschen Terrasse hinüber zum Waldschlößchen. Er folgt dem silbergrauen Bogen der Elbe und verweilt im villendurchsetzten Grün des Hanges, der das Elbtal vor dem Sommerhimmel abschließt. Doch schon die Brücke ohne Pfeilerbögen, eine starre, funktionstüchtige Verbindung beider Stadtteile, erinnert ihn daran: Was er hier um sich weiß und sieht, ist der glücklich wiederhergestellte Rest der Stadt. Was dahinter unansehnlich, aufdringlich nach der Zerstörung gebaut wurde, wird bereits wieder verdrängt und durchsetzt. Neue, ihm fremde Stadtlandschaft entfaltet sich.

Junge Menschen, Dresdner: das Wachsen, Verblühen und Wiederwachsen, hat sein Selbstverständliches für sie. Der Besucher, der alte Dresdner, fühlt den alten Zauber mit Schwermut. Die geschändete Stadt, das Leid seiner Generation, ihre Not, ihre Toten bedrücken ihn. „Dresden ist die schönste Stadt Deutschlands, die wir kennen“, hört er von seinen Gästen. So ist es!

Wir, die alten Dresdner, werden bald vergangen sein, und Junge mit ihren Kindern werden leben und ohne Schwermut ihrer Geschichte gedenken, die ihnen nicht Erinnerung, manchen nicht Geschichte ist. Soll es so sein? – Ich denke, ja! Die Schwermut soll mit uns vergehen und neuem Leben die Kraft erwachsen, es zu meistern.

Diese Schrift soll Zeugnis geben von Geschichtsdaten, von gottlob Vergangenem, und von denen, die damals mit mir nicht nur die Not teilten, sondern an ihr unter so entsetzlichen Qualen zugrunde gingen oder in lebenslanger Trauer um ihre Liebsten, um Kinder und Eltern überlebten – mit mir. Derer soll noch einmal gedacht sein mit harten, zeittrotzenden Tatsachen. Als Trauer um sie und aus Ehrfurcht vor ihrem Leid und Tod.

Die Schwermut wird vergehen mit uns.

Und der Zauber – oh, möge es so sein! –

Der Zauber dieser Stadt möge bleiben.

Seester, im Oktober 2004

Einleitung

Nach dem Krieg wurde Dresdens Zerstörung im Jahre 1951 durch die Zeitungsserie und das Buch „Der Tod von Dresden“ von Axel Rodenberger wieder ins öffentliche Blickfeld gerückt.4 Nachdem Seydewitz 19555 und Weidauer 19646 mit zeitbedingten Propagandaeinschüben Darstellungen der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 versuchten, haben Irving 19647 und Bergander 19778 die Vorbereitungen und den Ablauf an Hand der alliierten Quellen ausführlich dargestellt. Bergander trug seine Annahme über die Zahl der Opfer „mit einer gewissen Heftigkeit“ vor, die nach Erscheinen seines Buches auf Zweifel stieß.9 Einblicke in die Archive der Stadt waren ihm nicht möglich. Neutzner10 sammelte und veröffentlichte Erinnerungen von Zeugen.

Bis jetzt ist eine Zusammenfassung und kritische Würdigung der Quellen nicht erfolgt. Die amtlichen Quellen gelten als „Schlüsseldokumente“ für die Gesamtzahl der Dresdner Opfer. Entsprechen diese Zahlen den Tatsachen? Oder sind sie, um den Durchhaltewillen der Ministerialbeamten in Berlin nicht zu schwächen, niedriger gehalten worden?

Die vorliegende Arbeit betrachtet den „Fall Dresden“ auf dem Hintergrund des Zeitgeschehens. Bestimmend für den Bergungsverlauf waren die Situation kurz vor Kriegende und die Not der Nachkriegsjahre. Die Verhältnisse in Dresden unmittelbar vor den Angriffen, deren Wirkung und Folgen und der Verlauf der Bergungen werden untersucht.

Angaben über die Gesamtzahl der Opfer waren beständig im Umlauf. Soweit sie aus dem Personenkreis kamen, der durch Dienststellung und Kompetenz zu urteilen in der Lage war, werden sie hier in den Zusammenhang mit der Gesamtsituation gestellt.

Die Gesamtzahl der Opfer kann nach wie vor nur geschätzt werden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Voraussetzungen für eine begründete Schätzung zu schaffen.

Weitere Gesichtspunkte sind statistische Angaben und Vergleiche mit den Angriffen auf Hamburg im Sommer 1943 und Pforzheim 1945.

An schriftlichen Dokumenten sind unter anderem die Verwaltungsunterlagen der Stadt Dresden und der Nachlaß des Oberbürgermeisters Walter Weidauer ausgewertet worden. Gegenüber den bisher vorliegenden Darstellungen stützt sich diese Arbeit auf eine breitere Quellenbasis schriftlicher und mündlicher Zeugnisse.

I. Dresden gerät auf die Zielliste

Conjunctio rerum omnium – Mit der Zerstörung Dresdens sind weit auseinanderliegende Aspekte verbunden.

Luftkriegsplanung – Strategie und Taktik

Den strategischen Luftkrieg haben Groehler11 und, ohne ideologische Wertungen, Boog12 dargestellt. Qualität und Quantität der Luftstreitkräfte im Zweiten Weltkrieg waren Resultat industrieller, technologischer und wissenschaftlicher Leistungskraft der großen Industrienationen, vergleichbar den heutigen Atommächten. Lange vor Kriegsanfang legten die späteren Kriegsgegner fest, wie diese Streitkräfte eingesetzt werden sollten – strategisch, im Sinne von Giulio Douhets13 Auffassung vom totalen Bombenkrieg und dem Führungswillen, das Äußerste an Mord, Brand und Kulturvernichtung zu befehlen und durchzusetzen, oder taktisch, zur Unterstützung des Heeres und der Marine. Diese Entscheidung bestimmte die Grundtypen der Luftflotten: schwere viermotorige Langstreckenbomber der Westalliierten, mittlere und Sturzkampfbomber bei der deutschen Luftwaffe.

Der Luftkrieg war ein komplexer, dynamischer Prozeß, mit wechselndem Vorsprung auf dieser oder jener Seite.14 Gegen völkerrechtliche Bedenken bot sich den Westalliierten die Generalklausel des Kriegsrechts – „necessities of war“ – an.

Die Luftwaffe

Die deutsche Luftkriegsdoktrin legte fest: Kampf gegen die feindliche Luftmacht, Heeresunterstützung und Zerstörung des Nachschubes von den Produktionszentren bis zur Front. „Unbeabsichtigte Nebenwirkungen lassen sich bei den Angriffen nicht vermeiden.“15 Die Erfahrungen der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg richteten die deutsche Luftkriegsdoktrin auf die Unterstützung der kämpfenden Truppe.

Die RAF hielt sich bis in den Frühsommer 1940 zurück. Man erwartete einen deutschen Angriff auf zivile Ziele, sei er nun beabsichtigt oder nicht. „Wir dürfen nicht die ersten sein, welche die Handschuhe ausziehen“, schrieb Stabschef Air-Marshal Sir Cyril L. Newall am 27. November 1938. Die Führung der deutschen Luftwaffe lehnte „Angriffe auf die Zivilbevölkerung grundsätzlich“ ab, es sei denn, es handele sich um „Vergeltungsmaßnahmen.“16 1957 schreibt Sir Basil Collier in der offiziellen Geschichte der Luftverteidigung Englands:

Obwohl in dem von der Luftwaffe Anfang September (1940) gefaßten Plan auch Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in größeren Städten erwähnt werden, weisen die eingehenden Feststellungen, die über diese Angriffe im Herbst und Winter 1940/41 getroffen wurden, nicht darauf hin, daß ein unterschiedsloser Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung beabsichtigt war. Zielpunkte waren zumeist Fabriken und Hafenanlagen, desweiteren die City von London und das Regierungsviertel um Whitehall.17

Das waren nach damaliger Auffassung legitime Ziele. Darstellungen, die Luftwaffe habe mit Terrorangriffen auf Guernica, Warschau, Rotterdam und Coventry den angelsächsischen Luftkrieg gegen deutsche Städte provoziert, sind Legenden und widerlegt.18 Dagegen waren die Luftangriffe der RAF und der USAAF bis zur Invasion 1944 die einzige Möglichkeit der Westalliierten, Deutschland nachhaltig zu treffen.19

Die RAF begann die Angriffe auf deutsche Städte am 15./16. Mai 1940. Die deutschen Angriffe auf England setzten nach dem Frankreichfeldzug am 13. August 1940 ein. Großbritannien hatte das Friedensangebot Hitlers abgelehnt.20 Am 14. September 1940, zehn Tage nach dem er öffentlich das „Ausradieren“ englischer Städte angekündigt hatte21, erklärte Hitler gegenüber dem Generalstabschef der Luftwaffe: „… der Angriff auf kriegswichtige Teile ist immer das Wichtigste, weil er Werte zerstört, die nicht zu ersetzen sind. Solange man noch ein kriegswichtiges Ziel hat, muß man auf diesem bleiben.“ Er befahl Luftangriffe auf London gegen kriegs- und lebenswichtige Ziele.22

Die Royal Air Force (RAF)

Der deutsche Luftangriff auf Rotterdam am 14. Mai 1940, der wegen ungenügender Verständigung mit den anfliegenden deutschen Bombern nur zum Teil abgebrochen werden konnte,23 diente schließlich als Vorwand, „die Handschuhe auszuziehen“.24 1944 rechtfertigte J. M. Spaight, Unterstaatssekretär im Luftfahrtministerium, den britischen Bombenkrieg:

Wir boten unsere Städte der Vergeltung dar. Deutschland sollte britische Städte bombardieren, um Roosevelt den Kriegseintritt innenpolitisch zu ermöglichen. Wir begannen Ziele im feindlichen Hinterland zu bombardieren, bevor die Deutschen anfingen, Ziele im britischen Hinterland zu bombardieren.25

Mit der Entwicklung geeigneter Navigationsgeräte zur Auffindung von Städten bei Nacht und Bewölkung im Laufe des Jahres 1941 wies Charles Portal in einer Direktive vom 15. Februar 1942 darauf hin, „daß die dicht bebauten Wohngegenden die Zielpunkte seien und nicht etwa Hafenanlagen oder Flugzeugfabriken“.26

Das Flächenbombardement, der unterschiedslose Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung, begann – Opfer unter Kriegsgefangenen und ausländischen Arbeitskräften, französischen Zivilisten sowie „Kollateralschäden“ in der neutralen Schweiz wurden in Kauf genommen – und sollte kurz vor Ende des Krieges in Europa mit der Zerstörung Dresdens seinen Höhepunkt erreichen. Dresden war eine jener alten, historischen deutschen Städte, die „mehr einem Feuerzeug glichen, denn als menschliche Behausung gebaut sind“.27

Der britische Philosoph Anthony C. Grayling zitiert eine Mitteilung an das Luftfahrtministerium von Arthur Harris, den Oberbefehlshaber des Bomberkommandos der Royal Air Force:

„Man drängt mich immer, ausschließlich Brandbomben einzusetzen“, schreibt er, „aber ich bin mit dieser Strategie nicht einverstanden. Die moralische (d. h. psychologische) Wirkung von Sprengbomben ist enorm. Menschen können aus Feuersbrünsten entkommen, und die Zahl der Opfer bei einem reinen Brandangriff wäre verschwindend gering. Zusätzlich zu dem Schrecken des Feuers wollen wir Boches unter den Trümmern ihrer Häuser begraben, Boches umbringen und Boches terrorisieren. Daher der Anteil an Sprengbomben.

Harris Luftkriegsstrategie war für die Besatzungen der Flugzeuge verlustreich. Nahezu 45 % kehrten nicht heim, insgesamt kamen 55.573 Flieger bei den Angriffen auf Deutschland um. Auch deswegen wurde Harris oft ‚Butcher‘ (engl. für Schlächter) genannt.“28

In seinen Memoiren schrieb Luftmarschall Harris 1947, die Deutschen hätten im Bombenkrieg gegen England ihre Chance nicht wahrgenommen, englische Städte durch Brandbomben zu zerstören.29

Die amerikanische Luftwaffe (USAAF)

Harry Hopkins war von Roosevelt 1935 an die Spitze der Works Progress Administration gestellt worden und setzte im Rahmen des New Deal Milliarden Dollar um, damit 20 Millionen verarmter Amerikaner durch dieses Programm Unterstützung oder Arbeit finden konnten. Um diese Mittel zum Erhalt und Ausbau von Anlagen der Armee und militärisch wichtigen Vorhaben einzusetzen, unterstützte das Kriegsministerium mit Roosevelts Zustimmung Hopkins durch den Obersten Francis C. Harrington als Chefingenieur. In der „Hommage“ Sherwoods, „Roosevelt und Hopkins“, ist zu lesen: „Hopkins hatte mindestens bis zur Münchner Krisis 1938 keine Ahnung, daß er daran beteiligt war, das Land für den Krieg vorzubereiten und instand zu setzen.“30 So konnten die ersten Kriegsvorbereitungen der öffentlichen Kritik des American First Committee entzogen werden, welches unter Mitwirkung Charles Lindberghs31 der interventionistischen Politik Roosevelts Widerstand entgegensetzte.

Die Aufrüstung der amerikanischen Heeresluftstreitkräfte war im ersten Halbjahr 1941 um 250 % gesteigert worden. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Standardisierung der Bauteile und der Flugzeugmuster. Die Planer nutzten die Erkenntnisse der Royal Air Force (RAF) auf taktischem und technischem Gebiet.

Um die Öffentlichkeit in Amerika auf den Kriegseintritt der USA vorzubereiten, setzte die Presse phantastische Bedrohungsvorstellungen in die Welt: Deutschland werde von englischen und französischen Kolonialgebieten in Westafrika über Südamerika amerikanische Ziele an der Ostküste mit Bombern angreifen. Angesichts der Möglichkeiten der deutschen Luftwaffe, die kaum den Südteil der britischen Insel nachhaltig angreifen konnte, war dies eine haltlose Vorstellung. Dabei ging es um die Rechtfertigung einer gewaltigen Rüstung, welche die USA auf die Teilnahme am Krieg vorbereiten sollte.

In diesem Zusammenhang schrieb der englische Generalmajor J. F. C. Fuller bereits 1936: Das Geld sei „das Bindeglied zwischen Demokratie und Bolschewismus – zwischen oligarchischen und staatskapitalistischen Nationen. Da Deutschland außerhalb dieses goldenen Ringes steht, ist es verdächtig. Deutschland beginnt bereits mehr mit den Begriffen der Arbeit zu operieren, als mit den Begriffen des Geldes. Führt Deutschland ein vernünftiges Finanzsystem ein, in welchem kein Geld aufgekauft werden kann, dann wird die Goldblase platzen und die Grundlagen des Staatskapitalismus brechen zusammen. Es muß um jeden Preis daran gehindert werden. Daher die fieberhaften Vorbereitungen zu seiner Vernichtung“.32

Nach der Münchner Konferenz im Oktober 1938 ordnete Roosevelt an, die Planungsgrundlagen für den Aufbau strategischer Luftstreitkräfte zu entwerfen. Danach konnten die amerikanischen und, um das Neutralitätsgesetz zu umgehen, die kanadischen Produktionskapazitäten ausgebaut werden oder über eine kanadische Gesellschaft die Abwicklung von Exporten nach Frankreich und England erfolgen.33 Ende Januar 1941 begannen Besprechungen zwischen britischen und amerikanischen Generalstäben in Washington. Gegen Deutschland war ein sich ständig steigerndes Luftbombardement vorgesehen.34

Die USAAF griff am Tage Industrieziele an. Ihre Verbände wurden durch die Flak-Abwehr in Höhen über 7000 m gezwungen. Die Streuung der Bomben war entsprechend weit und traf auch Wohnsiedlungen. Bei schlechter Sicht galten auch Städte als Ausweichziel. In den letzten zwei Monaten des Krieges richteten sich die Angriffe auch gegen Stadtzentren.

In Amerika, in den „freien Ländern“ quälte der Bombenkrieg das öffentliche Gewissen. Thomas Mann, ein feinsinniger und eloquenter Anwalt dieses Gewissens, suchte die Teilnahme der Deutschen an jener Gewissensnot zu wecken:

Deutsche Hörer! In den freien Ländern ist der totale Krieg, sind die Bombardements deutscher Städte aus der Luft und der Jammer, den sie für die Zivilbevölkerung mit sich bringen, ein Problem des öffentlichen Gewissens. Weder in England noch in Amerika fehlt es an Stimmen, die diese grausame Art der Kriegsführung laut und ungescheut – auch vollständig ungehindert – verurteilen und es bitter beklagen, daß man damit auf das ruchlose Niveau des Feindes herabsteige und die Humanität entwürdige, die man zu verteidigen vorgebe. Diese Proteste sind höchst ehrenwert, und das Gefühl, aus dem sie kommen, ist keinem gesitteten Menschen fremd. Was sich in Köln, Hamburg, Berlin und anderwärts abgespielt hat, ist grauenerregend, und es hilft wenig, sich zu sagen, daß man der äußersten Brutalität eben nur mit äußerster Brutalität begegnen kann; daß hier Nemesis waltet und es sich kaum um ein Tun, vielmehr um ein rächendes Geschehen handelt. … Das Dilemma ist schwer, beunruhigend und belastend. Und dann ist es doch auf einmal kein Dilemma mehr. Ein einziges Wort, eine Nachricht aus Naziland hebt es auf, löst die Frage, bringt jeden Zweifel zum Schweigen, führt zu Gemüte, daß es eine letzte teuflisch freche, eine unverbesserliche und unerträgliche, mit dem Menschendasein unvereinbare Infamie der Lüge gibt, die nach dem Schwefelregen nur so schreit, der nur mit Schwefelregen zu helfen, auf die nur eine Antwort möglich ist: Vernichtung, Bomben. Ich nehme ein Zeitungsblatt und lese: ‚In siebzehn Sprachen verkündet die Nazi-kontrollierte Presse des Kontinents ein Neues sozialistisches Europa!‘ Zweitausend Lufthunnen täglich über diesen Lügensumpf – es gibt nichts anderes. Diese unmäßige Niedertracht, dieser revoltierende, den Magen umkehrende Betrug, diese schmutzige Schändung des Wortes und der Idee, dies überdimensionierte Lustmördertum an der Wahrheit muß vernichtet, muß ausgelöscht werden um jeden Preis und mit allen Mitteln; der Krieg dagegen ist ein Verzweiflungskampf der Menschheit, bei dem diese nicht fragen darf, ob sie selbst etwa im Kampfe Schaden leide …35

Militärische Lage und Planung der Angriffe

Die unmittelbare Planung und Ausführung der Angriffe, die taktische Führung der Anflüge und des Angriffs haben Irving 1964 und Bergander 1977 ausführlich nach westalliierten Quellen dargestellt.

Ende 1944 waren Portal und Harris36 noch uneins über die weiteren Angriffsschwerpunkte. Portal bestand auf Hydrierwerken als vorrangigem Zielkomplex, während Harris an einer Städteangriffsliste festhielt, die Magdeburg, Leipzig, Chemnitz, Dresden, Breslau, Halle, Erfurt, Gotha und Weimar enthielt.37

Zwei Ereignisse gaben den Ausschlag für die Angriffe auf Dresden, Magdeburg und Chemnitz: die deutsche Ardennenoffensive und die Konferenz von Jalta. Die Westalliierten erlitten Ende 1944 einem empfindlichen Rückschlag. Deshalb drängte Churchill38 die Sowjets, ihre Abwehr im Westen durch einen Angriff im Osten zu unterstützen. Die Kräfteverschiebung für die Ardennenoffensive hatte die Ostfront geschwächt. Zudem hatte die Rote Armee eine Großoffensive vorbereitet. Am 12. Januar 1945 begann die Weichseloffensive aus dem Brückenkopf Baranow und durchbrach die deutsche Mittelfront. Die Rote Armee erreichte zwischen 22. und 31. Januar die Oder. Von der Ostsee bis zu den Karpaten stieß die Rote Armee über die deutsche Grenze. Die deutsche Bevölkerung der Ostprovinzen flüchtete nach Westen. Die Gebirgssperre der Sudeten lenkten den Flüchtlingsstrom aus Schlesien nach Sachsen und besonders nach Dresden.

Vor diesem Hintergrund sowjetischer Erfolge rückte die Planung des Bombardements mitteldeutscher Städte wieder an vordere Stelle. Die Konferenz von Jalta vom 4.–11. Februar 1945 vor Augen, stellte Churchill Überlegungen an, nach dem Rückschlag durch die Ardennenoffensive Stalin durch Luftangriffe gegen mitteldeutsche Städte zu beeindrucken.

Am Abend des 25. Januar erkundigte sich der Premier bei Luftfahrtminister Sir Archibald Sinclair über die Pläne der RAF. Nach Rücksprache mit Portal antwortete Sinclair am 26. Januar ausweichend, man werde prüfen, wie der deutsche Rückzug von Breslau gestört werden könne. Churchill telegrafierte darauf:

Ich habe Sie gestern nicht nach Plänen gefragt, wie der deutsche Rückzug aus Breslau gestört werden könnte. Im Gegenteil, ich habe gefragt, ob Berlin, und zweifellos auch andere große Städte in Ostdeutschland, jetzt nicht als besonders lohnende Ziele angesehen werden könnten. Ich freue mich, daß dies jetzt ‚geprüft‘ wird. Teilen Sie mir bitte morgen mit, was man zu tun gedenkt.39

Trotz einiger Bedenken gab Air Chief Marshal Charles Portal nach und räumte ein, daß Angriffe auch gegen Berlin, Dresden, Leipzig, Chemnitz und andere Städte durchgeführt werden müßten. Die USAAF beteiligte sich an der Großangriffsserie. Für die bisherigen Angriffe gab es spezielle Zielkarten, in denen die Stadtgebiete, Gewässer und freie Flächen unterschieden waren. Flakstellungen, Flugplätze, Tarn- oder Scheinanlagen waren eingezeichnet. Für Dresden waren keine derartigen Zielkarten vorhanden.

Sir Robert Saundby40 und Brigadegeneral Harold V. Satterley weisen darauf hin, daß dies der Beweis dafür sei, daß Luftmarshall Harris nicht beabsichtigte, Dresden anzugreifen und zu zerstören.41 Das entspricht nicht ganz den Tatsachen, es sei denn, die 8. US-Luftflotte hätte ihre Aufklärungsfotos der RAF nicht zugänglich gemacht. Inzwischen sind vier amerikanische Aufklärungsfotos von Dresden veröffentlicht worden, aufgenommen am 17. April 1942, 1943 und 1944 ohne weitere Angabe, und am 7. Oktober 1944 zugleich mit dem Tagesangriff auf Dresden Friedrichstadt und Löbtau.42 Luftmarschall Harris schreibt in seinen Erinnerungen: „Der Angriff auf Dresden wurde seinerzeit von Leuten, die viel wichtiger waren als ich, für militärisch notwendig gehalten.“43

Aber Harris sah sich bestätigt. Es blieb bei seiner Taktik, die Moral der deutschen Bevölkerung durch schwere Bombardements der Innenstädte zu treffen, und Luftmarschall Sir Robert Saundby schrieb: „Unsere Aufgabe bestand darin, die Befehle … nach besten Kräften auszuführen.“44 Den Masterbomber des ersten Angriffs, Maurice Smith, belehrte man, daß „die Zerstörung einer bis dahin heil gebliebenen Stadt dieser Art eine bedeutende Wirkung auf die Russen haben würde“.45 Die Entscheidung für die Angriffe auf Dresden war gefallen. Der Zeitpunkt mußte sich nach dem Wetter richten. Vom Wetter hing der Erfolg ab.

II. Die Luftangriffe vom 13. bis 15. Februar 1945

Vier Angriffe innerhalb von vierzig Stunden

Der Verlauf der drei Angriffe, die innerhalb von 14 Stunden auf Dresden erfolgten und denen am 15. Februar mittags ein weiterer folgte, sind von Irving und Bergander ausführlich dargestellt worden. Sollten die Angriffe gelingen, durfte das Ziel nicht von Wolken bedeckt sein. Die englische Wettervorhersage hatte eine Wolkenlücke über Dresden für die Nacht vom 13. zum 14. Februar in der Zeit von 22 Uhr bis 3 Uhr vorhergesagt. Diese Voraussage trat um 22 Uhr für kurze Zeit ein. Der Plan gelang, bei freier Sicht das Ziel zu markieren, in Brand zu setzen und für die nachfolgenden Verbände des zweiten Angriffs weithin sichtbar zu machen.

1. Angriff 13. Februar 1945:

ÖLW (Voralarm) nicht gegeben; Fliegeralarm 21.40 Uhr; Entwarnung 23.30 Uhr; Bombenabwurf von 22.09 bis 22.28 Uhr. 9 Mosquitos (Masterbomber, Zielmarkierer), 235 Lancaster-Bomber der 5. Bomberflotte warfen 198 Minen-, 720 Spreng- und 205 428 Brandbomben auf die Altstädter Innenstadt. Das entsprach 507,1 Tonnen Spreng- und 374 Tonnen Stabbrandbomben.46 Nach diesem Angriff fielen alle Telefonverbindungen zum Einsatzzentrum im Albertinum aus, da auch das Notstromaggregat beschädigt worden war. Lediglich der Luftwarnzentrale im Keller des Telegrafenamtes gelang es, über das Luftgaukommando eine Verbindung nach Berlin herzustellen.47

2. Angriff 14. Februar 1945:

ÖLW: nicht gegeben; Fliegeralarm 01.05 Uhr, Entwarnung 02.15 Uhr in den Vororten, Ausfall des Großalarmanlage in der Innenstadt. Bombenabwurf von 01.30 bis 01.55 Uhr; Vorentwarnung und Entwarnung wegen Ausfalls der Alarmanlagen und sämtlicher nachrichtentechnischer Mittel nicht möglich. 524 Lancaster-Bomber einschließlich Markierer und Beleuchter warfen 458 Minen-, 977 Spreng- und 443 158 Stabbrandbomben ab, 964,6 Tonnen Spreng- und 891,3 Tonnen Brandbomben. Der Schlag traf das Gebiet des ersten Angriffs und dazu die westliche Johannstadt mit geschlossener Bauweise, die Südvorstadt und den Hauptbahnhof, die Stadtteile Friedrichstadt, Löbtau, Blasewitz, Striesen, Strehlen, Gruna, Plauen, Räcknitz, Zschertnitz, Reick, Loschwitz und die Antonstadt.

3. Angriff 14. Februar 1945:

Fliegeralarm 12.00 Uhr, Entwarnung 12.45 Uhr in den Vororten. Durch Ausfall der Großalarmanlage, der Kraftfahrsirenen und sämtlicher Nachrichtenmittel Warnung der Bevölkerung nicht möglich. Bombenabwurf von 12.17 bis 12.30 Uhr.

USAAF, 8. Luftflotte: 311 B-17 (Flying Fortress) und drei Fighter Groups: ca. 200 P-51 Mustang; je Bomber sechs 500-lb-RDX-Sprengbomben und vier 500 lb M-17-Container mit je 110 Stabbrandbomben (4 lb X), das entsprach 1 866 500 lb RDX48-Sprengbomben und 130 640 Stabbrandbomben bzw. 475 Tonnen Minen- und Sprengbomben, 296,5 Tonnen Brandbomben. Die Zahlen der Abwurftonnage stimmen mit der Zahl der Bomben nicht genau überein.

In der Schlußmeldung des Befehlshabers der Ordnungspolizei Dresden vom 15. März 1945 heißt es: „Bei allen Angriffen war Bordwaffenbeschuß festzustellen.“49 Mit der Erfassung und Analyse von Zeitzeugenberichten zu den Tieffliegerangriffen am 14. Februar befaßt sich der Dresdner Gert Bürgel. Seine Arbeit zum Thema „Tiefflieger – Dresden 1945“ ist im Anhang wiedergegeben (siehe S. 267).

4. Angriff 15. Februar 1945:

Ziel: Böhlen (verdeckt) – Ausweichziel Dresden. Abwurf von 11.51 bis 12.01 Uhr, USAAF, 8. Luftflotte, 210 B-17 mit 141 Begleitjägern (P-51 Mustang), ca. 3 700 Sprengbomben. Treffer weiträumig verstreut, Schwerpunkte Münchner Platz, Loschwitz, Plauen, Waldschlößchenviertel.

Die Luftschutzeinrichtungen in Dresden waren mangelhaft im Vergleich zu den westdeutschen Städten. Als Anfang des Krieges die Bunkerbauprogramme durchgeführt wurden, waren Angriffe auf Dresden wegen der Entfernung von den Bomberbasen in Südengland nicht zu befürchten. Im Sommer 1944 war die Gefahr von Großangriffen erkannt, jetzt mangelte es an Zeit und Material. Es wurden Splitterschutzgräben und Löschteiche angelegt, die Keller der Innenstadt durch Fluchtkanäle verbunden. Diese Maßnahmen waren unzureichend.50

Angriff am 2. März 1945: 10.00 bis 11.40 Uhr, USAAF, 8. Luftflotte, 406 B-17 und 225 Begleitjäger (P-51 Mustang), 3 400 Spreng- und 63 000 Stabbrandbomben. Trefferschwerpunkte: Mickten/Übigau, Altstadt/Neustadt Umgebung Marienbrücke, Waldschlößchen, Tolkewitz/Laubegast/Hosterwitz, Loschwitz, Lazarettschiff „Leipzig“.

Angriff am 17. April 1945: 13.15 bis 16.00 Uhr, 981 B-17 und 723 Begleitjäger (P-51 Mustang), 6 700 Spreng- und 76 000 Stabbrandbomben. Trefferschwerpunkte: Rangierbahnhof Friedrichstadt, Güterbahnhof Altstadt, Plauen, Hauptbahnhof, Übigau, Elbhafen-Bahnhof Pieschen, Neustädter Bahnhof.51

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst bei der Landespolizeidirektion Zentrale Dienste Sachsen archiviert zwei ausgebrannte Flüssigkeitsbrandbomben INC-30 lb, ebenso Phosphorkanister „Bomb Smoke 100 lb Phos“, auf deren Einsatz auch Zeitzeugen verweisen. Dieser Brandbombentyp, der seit Dezember 1941 abgeworfen wurde,52 ist in den englischen Angaben über die auf Dresden abgeworfene Brandmunition nicht enthalten.

Flüssigkeitsbrandbomben INC-30-lb wurden zu je acht Stück im Abwurfbehälter SBC-250-lb abgeworfen. … Die typische Brandladung waren 88 Teile Leichtbenzin und 12 Teile Rohkautschuk, dazu 0,5 kg Phosphorlösung. Der Aufschlagzünder bewirkte das Aufreißen des dünnwandigen Bombenkörpers, die klebrige Brandmasse verteilte sich im Umkreis von etwa 40 Metern und brannte stark rußend ab. Trafen Brandbomben oder -kanister auf senkrechte Wände oder steil abfallende Dächer, entstand durch das herausgeschleuderte Brandgemisch der Eindruck eines ‚Phosphorregens‘.53

Schnatz widerspricht diesen Angaben des Dresdner Kampfmittelbeseitigungsdienstes.54 Der Kampfmittelräumdienst verfügt über Teile dieser Brandbomben, die in Dresden geborgen wurden.

Angriffstaktik

Den ersten Angriff flog die 5. Gruppe des Bomber Command. Harris hatte sie 1939/40 befehligt. Durchdachte und geschickt ausgeführte Einsätze, darunter die Dambuster-Operationen gegen die Eder- und Möhnetalsperren, brachten sie in den Rang einer Eliteeinheit. Im September 1944 äscherte die 5. Gruppe Darmstadt, im Oktober Braunschweig mit einem Fächerangriff ein – eine Angriffstaktik, deren präzise Manöver die Bombenschützen und Piloten der 5. Gruppe unter der Regie ihres Masterbombers Oberstleutnant Maurice Smith auch gegen Dresden richteten. 1944 entwickelte die 627. Mosquitostaffel ein Zielmarkierungsverfahren im Tiefflug. Der 5. Gruppe als Pfadfinder zugeteilt, meisterte sie ihre Aufgabe in Dresden präzise unter Führung von Leutnant William Topper, der die Hauptmarkierung punktgenau ins DSC-Stadion am westlichen Rand der Innenstadt setzte.

Die 5. Gruppe war ein Lancaster-Verband. Der Bomber konnte größere Lasten über weitere Entfernungen tragen als alle anderen Typen. Der Angriff setzte die Stadt in Brand und wies der zweiten Welle Lancaster trotz schlechter Sicht das Ziel. Dresden war die erste Stadt, die mit einem – nahezu perfekt gelungenen – dreifachen Schlag innerhalb 14 Stunden zertrümmert und niedergebrannt wurde.

Bevölkerungsverdichtung vor den Angriffen – primäre Verdichtung

Dresden hatte 1939 631 000 Einwohner. Obwohl ein großer Teil davon beim Militär, beim Roten Kreuz oder als Nachrichtenhelferinnen außerhalb Dresdens eingesetzt war, blieb die Einwohnerzahl 1944/45 etwa gleich. An ihre Stelle traten Frauen und Kinder, die aus luftkriegsgefährdeten Gebieten evakuiert worden waren und bei Freunden oder Verwandten Unterkunft fanden. Im Laufe des Krieges richtete die Wehrmacht Hilfs- und Reservelazarette ein. Das Personalamt des stellvertretenden Generalkommandos wies Offiziere und Mannschaften in Schulen, Turnhallen oder Privatquartiere ein.55 Seydewitz nennt das Wettin- und das Vizthumgymnasium und andere Schulen, das Lehrerseminar in der Jägerstraße, die Hotels Excelsior und Demnitz, das Dampfschiff- und das Burghotel, alle Restaurants im Großen Garten sowie Gasthöfe und Restaurants.56

Rekonvaleszente Soldaten wurden auch privat untergebracht,57 dazu kamen durchreisende Zivil- und Militärpersonen, die für jeweils eine oder mehrere Nächte in Dresden Unterkunft fanden. Kriegsgefangene und ausländische Arbeiter hielten sich tags oder nachts an ihren Arbeitsstellen auf. An der Scharfenberger Straße befand sich ein Lager für kriegsgefangene Briten, welches ebenfalls getroffen wurde.

In diesen Ballungsraum gerieten die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten. Die ersten erreichten Dresden schon im Sommer 1944. Als die sowjetische Südfront die Theiß erreicht hatte, setzte eine Fluchtwelle der Deutschen aus Rumänien und Jugoslawien ein. Am 6. Oktober 1944 drängten sich die Diakonissinnen des Mutterhauses Novi Vrbas (Jugoslawien, zwischen Donau und Theiß) mit ihren Waisenkindern in einen langen bereitstehenden Zug, der am Abend losfuhr und über Ungarn nach vier Tagen und Nächten Wien erreichte. Nach einigen Tagen ging die Flucht auf der Bahn weiter. Sie erreichten Dresden am 13. August. Eine andere Gruppe aus demselben Haus treckte auf Pferdewagen und zu Fuß wochenlang bis Budapest und konnte von dort mit Güterwagen über Wien nach Dresden weiterfahren.58

Die russische Offensive hatte am 16. Januar Ostpreußen, am 1. Februar die Oder erreicht.

1,5 Millionen Menschen setzten sich in Bewegung. Ihre planmäßige Steuerung, Versorgung und Unterbringung war das Äußerste, was die Organisation und die noch vorhandenen Aufnahmegebiete bewältigen konnten. Die Festungs- oder Verteidigungsbereichskommandeure, in Dresden Generalleutnant Mehnert, hatten den planmäßigen Ablauf der Bewegung zu unterstützen. Verweigerung der Aufnahme war nur dann erlaubt, wenn die Festung in unmittelbarer Feindberührung stand. Die Rückführung des weiblichen Reichsarbeitsdienstes, der Landjugend und der Kinderlandverschickung sollte von den Heeresgruppen unterstützt werden.

Das Oberkommando des Heeres OKH befahl in den ersten Februartagen, sämtliche russische Kriegsgefangene ostwärts der Elbe unter Mitwirkung des Internationalen Roten Kreuzes nach Westen abzutransportieren. Das gab der Reichsbahn weitere Probleme auf. Sie war mit den Flüchtlingstransporten überlastet. Viele Bahnstrecken waren durch Luftkriegseinwirkung gestört. In Dresden blieben Züge mit Flüchtlingen stehen, da es an Lokomotiven fehlte.59

Schließlich mußte die Führung auf Räumungsbefehle verzichten. Freiwillige Flucht sollte nicht behindert werden. Nur personelle Auflockerung wurde befohlen und soweit als möglich Transportraum für Frauen und Kinder freigemacht. In Breslau war das allerdings nicht möglich; die Breslauer Frauen und Kinder versuchten in Frost und Schnee nach Westen zu kommen. Die Pferde der Flüchtlingstrecks aus flachen Landstrichen waren mit Hufeisen beschlagen, die für bergiges Gelände nicht geeignet waren. Die Wagen waren ohne Bremsen, deshalb war ihnen der direkte Weg nach Westen durch die Sudeten versperrt. Frauen, Kinder und ältere Männer aus Nieder- und Oberschlesien zogen seit dem Beginn der Offensive bei Schnee und strenger Kälte nach Dresden.

Victor Klemperer schreibt in seinem Tagebuch schon am 21. Januar: „Es soll schon ein Gewimmel von Schlesienflüchtlingen hier sein.“60

Erst Anfang Februar stieg die Temperatur an, am Tage lag sie zwischen 5 und 7 Grad, nachts zwischen 5 und – 1 °C. Es regnete täglich. Der Wind hatte meist eine Stärke von mehr als 6 Bf (ca. 55 km/h).61 Auf dem Dresdner Hauptbahnhof trafen Flüchtlingszüge aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien ein. In Lazarettzügen lagen Verwundete, die auf die Weiterfahrt warteten. Flüchtlinge in Güter- und Personenwagen, auch ein Zug mit evakuierten Kindern, stauten sich am 13. Februar im Hauptbahnhof und auf den Gleisen des Güterbahnhofs.62 Auch auf dem Neustädter Bahnhof hielten sich Flüchtlinge auf. Viele Haushalte hatten Verwandte aus den bombenbedrohten Westgebieten oder durch die Angriffe am 9. Oktober 1944 und 16. Januar 1945 Ausgebombte aufgenommen, vor allem aber Flüchtlinge aus den von der Roten Armee bedrohten und inzwischen besetzten östlichen Gebieten. Die Tänzerin Gret Palucca wohnte auf der Bürgerwiese 25: „Das Haus war im Februar 1945 ebenso überfüllt, wie wohl alle Häuser und Wohnungen, in denen Flüchtlinge untergebracht waren.“63

Trecks wurden mit Wehrmacht-LKW,64 mit der Bahn oder einfach auf eigene Faust weitergeschickt. Eine BdM-Angehörige erinnert sich: Sie saß auf dem ersten Fahrzeug und führte den Treck durch Dresden. Andere Flüchtlinge wurden vorübergehend in Dresden untergebracht. Die gleiche Zeugin leitete später ein Flüchtlingslager in der Tieckstraße. Dort wurde kurz vor den Angriffen „wieder ein Transport Schlesier“ untergebracht, meist Frauen und Kinder, darunter viele Säuglinge – und alte Leute.65

Neutzner ermittelte aus den Akten des Stadtarchivs, die Dresdner Verwaltung habe vor den Angriffen versucht, eine Zuzugssperre durchzusetzen.66 Diese war aber gegen die Flüchtlingsströme, die im Januar nach dem Vorrücken der Roten Armee einsetzten nicht aufrechtzuerhalten. Seydewitz beschreibt die Situation auf den Hauptbahnhof vor den Angriffen:

Aus den Zügen, die an allen Bahnhöfen, vor allem aber am Hauptbahnhof ankamen, strömten große Scharen von Menschen, das waren wieder neue Transporte aus Ostpreußen. Evakuierte, die Kinder, Koffer, Bündel und alles mögliche, was sie auf ihrer Flucht retten konnten, mit sich in die schon überfüllte Stadt trugen. Die Wartesäle waren so mit Menschen vollgestopft, daß es unmöglich war, neuankommende Flüchtlinge noch hinein zu nehmen. Ohnedies stolperte man bei jedem Schritt über Kinder und Gepäck. Überall lagen Kranke, die herzzerreißend stöhnten, daneben saßen Frauen, die leise schluchzten, aus allen Ecken drang das Weinen und Heulen von Säuglingen und Kindern. Es war ein furchtbarer Aufenthaltsraum und ein unbeschreibliches Elend, das jedoch denen, die in die Wartesäle nicht mehr hineinkonnten, als begehrenswert erschien. Denn die vielen aus immer wieder neu eintreffenden Zügen herausströmenden Männer, Frauen und Kinder mußten mit ihrer letzten Habe auf dem Platz vor dem Bahnhof und auf den am Bahnhof einmündenden Straßen kampieren. Diejenigen, die unter der Bahnunterführung einen Platz erwischten, dünkten sich denen gegenüber glücklich, die unter freiem Himmel vollkommen schutzlos Wind und Wetter ausgesetzt waren. Ein ziemlich lebhafter Wind und ein klarer Februarhimmel standen an jenem Faschingsdienstagabend über Tausenden und aber Tausenden Flüchtlingen, die ohne Dach über dem Kopf, im Schlaf ein paar Stunden Vergessen von all dem Elend suchten. Das Essen, das Schwestern der Volkswohlfahrt (gemeint ist NSV und Rotes Kreuz, der Verf.) mit großen Kellen aus den Feldküchen verteilten, hatte den leeren Magen ein wenig gefüllt, und Ärzte versuchten, wenigstens die größten Schmerzen der Kranken durch neue Verbände, durch schmerzstillende Spritzen und Tabletten zu mildern.67

Bis auf den „klaren Februarhimmel“ – tatsächlich war am Tage Nieselregen gefallen, der Himmel war bedeckt und die Luft naßkalt – könnte diese Szene den Tatsachen entsprechen. Erst zur Angriffszeit, gegen 22 Uhr, klarte es vorübergehend auf.

Viele Züge wurden nur verpflegt und fuhren weiter.

Eine Helferin berichtet: Man meldete uns, aus einem Waggon draußen auf dem Gleis höre man menschliche Laute. Wir also hin. Im Waggon waren schlesische Flüchtlinge, mehr Tote als Lebendige. Wir haben die Krankenhäuser angerufen und gewartet, bis alle abgeholt waren. … Viele Flüchtlinge wurden in Dresden verteilt. Der Hauptbahnhof war immer nur Station für wenige Stunden. Ein Großteil der Transporte waren Soldaten, die hier Marschverpflegung bekamen. … Alles war gut organisiert, einwandfrei … Immer waren ein Wachhabender und sechs Helferinnen da, die nach sechs Stunden abgelöst wurden.68

Die Versorgung erfolgte durch Militärangehörige, Rotes Kreuz, BdM und HJ. Flüchtlinge lagerten im Ballsaal des Gasthofes Pieschen, im Lager Tieckstraße und in dem großen Lokal „Donaths Neue Welt“ in Laubegast. Die Flüchtlinge versorgten sich auf Lebensmittelkarten (Reisemarken) selbst und erhielten warme Mahlzeiten durch Großküchen oder Gulaschkanonen. Flüchtlinge mit bäuerlichen Fuhrwerken kampierten am Rand des Großen Gartens und im Bereich des Ausstellungsgeländes.

19 Kinos spielten im Innenstadtbereich bis 20 Uhr, danach standen einige weitbekannte Cafés und Restaurants den Gästen offen: Hülfert, Gaßmeyer, Stadtwaldschlößchen, Bärenschänke und andere. Straßenbahnen fuhren regelmäßig bis 23 Uhr. 14 Linien trafen sich in der Stadtmitte auf dem Postplatz, warteten, bis die Fahrgäste ein- und umgestiegen waren; dann fuhren sie in alle Richtungen weg, und nächtliche Ruhe kehrte in die verdunkelte Stadt ein.

Die Altstadt war ein Verdichtungsschwerpunkt. Um 21.40 Uhr heulten die Sirenen. Die meisten erwarteten keinen Angriff. Einigen gelang es, in den 15 Minuten zwischen Alarm und Bombenabwurf aus der Innenstadt zu eilen. Die übrigen traf das Verhängnis.

Das Kriegstagebuch des OKW berichtet am 16. Februar, nach dem Angriff der USAAF auf Cottbus und Dresden, am 15. Februar seien durch den Ausfall der Bahnhöfe Dresden und Cottbus neue Schwierigkeiten aufgetreten: „Hier [Cottbus] sind noch mehrere 100 000 Flüchtlinge abzutransportieren.“ Das läßt den Schluß zu, daß vor dem 13. Februar hunderttausende Flüchtlinge über Cottbus–Dresden via Bahn geleitet wurden.

Bergander schätzt, daß sich am 13. Februar 200 000 Flüchtlinge oder andere ortsfremde Personen in Dresden aufgehalten haben, dazu 50 000 Flüchtlinge, die sich schon länger in Dresden befanden.69 Die Situation ließ keinen genauen Überblick zu. Die Gesamtbevölkerung Dresdens zur Zeit des Angriffes schätzt Bergander auf 950 000. Seydewitz, der vor 1955, als er sein Buch schrieb, den Vorgängen noch nahestand, auch mehr Zeitzeugen als heute vorfand, nimmt an, zur Zeit der Angriffe seien 1,2 Millionen Menschen in Dresden gewesen.70

Der Chef des Verteidigungsbereiches, General Mehnert, spricht von 1,3 Millionen.71

Der Bürgermeister i. R. Dr. Petermann schreibt an Irving, ihm sei eine Mitteilung des sächsischen Innenministeriums bekannt, wonach Anfang 1945 rund eine Million Lebensmittelkarten an Bewohner Dresdens ausgegeben worden seien. Durchreisende und Flüchtlinge sind in dieser Zahl nicht enthalten.72

Verlauf der Angriffe – sekundäre Verdichtung

Der erste Angriff traf vorwiegend die Innenstadt (Altstadt), die Neustadt wurde am Elbrand von der Marienbrücke bis zur Carolabrücke getroffen. In der Neustadt dehnte sich das Schadensgebiet ca. 1 500 m über die Sektorgrenze (Abb. S. 29) hinaus bis zum Bischofsweg.

Eine halbe Stunde nach dem Angriff hatten sich die Einzelbrände vereinigt. Ein Feuersturm entwickelte sich, der bis zum nächsten Angriff (am 14. Februar, 1.07 Uhr) seine voller Wucht entfaltete.73 Nach dem Angriff setzte die ersten Welle der sekundären Verdichtung ein: Ausgebombte suchten Unterkunft in den Randzonen der Zerstörung bei Freunden oder Verwandten. Hinzu trat ein Zustrom von Neugierigen, besorgten Angehörigen und Leuten, die in Richtung Stadtzentrum zu ihren Arbeitsstellen eilten. Soldaten, die auf dem Hauptbahnhof auf die Weiterreise warteten, und Abteilungen der Dresdner Garnison rückten zur Hilfeleistung in das Schadensgebiet ein.74

Sie suchten Verschüttete. Nur mit Händen und Schaufeln drangen sie in den Schutt, um Eingeschlossene zu bergen. Einheiten der Dresdner Feuerschutzpolizei versuchten die Brände zu bekämpfen. Löschzüge aus der näheren Umgebung, Leipzig und Chemnitz sowie den sächsischen Kleinstädten waren in Dresden angekommen oder schon im Einsatz.75

In den Randgebieten oder an Stellen, wo das Feuer noch nicht alle Häuser erfaßt hatte, begannen die Bewohner ihre Habe zu bergen. Sie stellten Gegenstände auf die Straße oder schafften sie in den Keller, andere bepackten Handwagen und versuchten, durch die mit Trümmern verlegten Straßen dem einsetzenden Feuersturm entgegen, zu entkommen. Überlebende, die Kleidung versengt oder zerrissen, das notwendigste Gepäck verloren, schleppten sich aus dem Schadensgebiet in den Großen Garten, an die Elbwiesen oder nach den Südhöhen. Ihre Augen waren von Rauch und eingedrungenen Fremdkörpern geschwollen und entzündet. Die ersten Auffangstationen, von Sanitätspersonal und NSV umgehend eingerichtet, versorgten kleine Verletzungen und die Augen der Entkommenen, verabreichten Tee und wiesen den Weg in die nächste Sammelstelle.

Da krachten die nächsten Einschläge. Der Alarm vor dem zweiten Angriff war in vielen Schadensgebieten wegen des Feuersturms und der zerstörten Alarmanlagen nicht wahrgenommen worden.

Masterbomber Wesslow entschied, die Abwurfzonen über das brennende Stadtzentrum hinaus zu erweitern.76 Der Schlag traf das Gebiet des ersten Angriffs und reichte nach Osten und Süden weit darüber hinaus.

Nach dem Angriff, gegen 2 Uhr nachts, setzte der Zustrom von Helfern in das Schadensgebiet wieder ein. Auch weitere Personen, die außerhalb der getroffenen Gebiete wohnten, versuchten in die Stadt vorzudringen, um Angehörige zu finden oder ihnen zu helfen. An der Marienbrücke, auf der Neustädter Seite, versuchten Polizei und Militär eine Menschenmenge davon abzuhalten, in die brennende Stadt zu gelangen.77

Der Große Garten war schon vor dem ersten Angriff mit Flüchtlingen belegt. Die Gespanne der Flüchtlingstrecks rasteten auf den angrenzenden Straßen. Nach dem ersten Angriff flüchteten noch viele aus dem Rand des Feuersturmgebiets in den Großen Garten und in die noch bewohnbaren oder unzerstörten Häuser oder Stadtteile. Diese Gebiete wurden Zonen sekundärer Verdichtung. Die Geflüchteten des ersten Angriffes wurden Opfer des zweiten. Sprengbomben und massenhaft Brandbomben trafen die Schutzsuchenden.

Wie nach dem ersten Angriff, versuchten auch nach dem zweiten Angriff die Überlebenden, die Stadt zu verlassen oder in den noch nicht zerstörten Randgebieten unterzukommen. Viele konnten auf Grund von Erschöpfung oder Verletzungen nicht weiter. Die NSV übernahm die erste Versorgung, unterstützt von Teilen der anwohnenden Bevölkerung. Im Laufe des frühen Morgen ließ der Sturm nach. Über der Stadt und östlich davon trieb dichter Rauch. Verletzte wurden aus den Randgebieten nach Meißen, Kreischa und Pirna abtransportiert.

22 Lazarette wurden mittelschwer oder schwer getroffen. Die Frauenklinik des Horst-Wessel-Krankenhauses (jetzt Universitätsklinikum), von Brand- und Sprengbomben getroffen, begrub 127 Personen unter ihren Trümmern: 45 Wöchnerinnen, 11 Schwestern, 21 Hebammen und Schülerinnen und 50 kranke Frauen. 45 Wöchnerinnen und 74 Säuglinge wurden gerettet. Eine Hebamme erinnert sich:

Überall brannte es, lagen Tote, schreiende Menschen. Ärzte hatten schon einen Lastwagen angehalten, legten die Säuglinge auf den Hänger. Dann folgte der zweite Alarm. … Bomben schlugen ein. … Da war der Wagen mit den Säuglingen schon fort gefahren.

In der Klinikruine fand sie in einem heil gebliebenen Kühlschrank einen Rest Milch. „Damit benetzten wir den Babies die Lippen.“ Mit einem verdreckten Kohlenauto kamen die Kinder nach Kreischa (20 km östlich von Dresden).

Mütter hatten keine Kinder mehr, Säuglinge keine Mütter. Die Lungen waren von Rauchgasen vergiftet, und manche der kleinen Körper hielten den Erschütterungen und der Unterbrechung ihrer Versorgung nicht stand. Nach den Angriffen barg das Personal des Kreischaer Sanatoriums Inventar aus der Frauenklinik und brachte es auf Militär-LKW nach Kreischa: Betten, Decken, medizinische Einrichtungen, Instrumente, Versorgungsmaterial. Am 1. Mai 1946 konnte die Frauenklinik nach Dresden zurückverlegt werden.78

Dritter Angriff, 14. Februar mittags: Die Bomben fielen verstreut auf das Stadtgebiet mit Konzentrationen auf Friedrichstadt und den Güterbahnhof. Wieder trafen Bomben die brennenden Stadtgebiete. Nach den Angaben vieler Zeugen wurden von amerikanischen Jägern Bordwaffenangriffe auf die Ausfallstraßen, die Elbwiesen und den Großen Garten geflogen.79

Dieser Angriff traf wieder die Zonen sekundärer Verdichtung und forderte dementsprechend zahlreiche Opfer. Die inzwischen aus der weiteren Umgebung eingetroffenen Feuerwehrverbände, die Angehörigen der Dresdner Garnison und weitere Rettungskräfte erlitten Verluste. Opfer gab es auch im Ausländerlager in der Friedrichstadt an der Bremer Straße.80

Die Formation einer Bombardment Squadron war eine sogenannte „combat box“, die aus 24 bis 27 Bombern mit einer Fluggeschwindigkeit von 350 km/h bestand und deren Länge und Breite etwa 300 m mal 200 m betrug. Die Abwurfzeit einer Ladung entsprach ca. 30 Sekunden; wenn die erste Maschine abwarf, warfen die Bomberschützen auf Sicht ebenfalls ihre Ladung. Der Teppich nur einer „combat box“ hatte rechnerisch angenähert eine Ausdehnung von mindestens 300 m mal 6000 m; es flogen aber am 14. Februar 12 solcher „combat boxes“ von jeweils etwa 25 Bombern Dresden an, mit dem „Ziel“ Rangierbahnhof, der sich auf ein Gebiet von ca. 3000 m mal 500 m erstreckt. Die Bomber versuchten mit entsprechender Anflugtaktik ihr Treffergebiet möglichst zu konzentrieren. Trotzdem erstreckte sich das betroffene Gebiet auf ein Mehrfaches des Gebietes einer Box.81

Vierter Angriff, 15. Februar mittags: Dresden wurde als Ausweichziel gewählt. Opfer und Schäden waren in der zerstörten Stadt geringer als an den Vortagen. Die sekundäre Verdichtung bestand wie bei den vorangegangenen Angriffen. Der Angriff störte die Rettungsarbeiten erheblich.

Unmittelbare Folgen für die Bevölkerung

Aus den Berichten der Zeitzeugen geht hervor, daß es Gebiete in der Stadt gab, in denen die Angriffe besonders viele Opfer forderten. Das waren der Altstädter Stadtkern, der Poppitz und die Umgebung der Annenkirche, Seidnitzer Platz, Seidnitzer Straße, Kaulbachstraße, Struvestraße, Ferdinandplatz, Ferdinandstraße, besonders aber der Hauptbahnhof, der Große Garten und die Elbwiesen auf der Altstädter Seite.

In Dresden hatte die Feuerschutzpolizei seit Beginn des Krieges einen großen Teil der Wohnblocks der Innenstadt untereinander und unter den Straßendecken mit ausbetonierten Gängen verbunden. Die Aufstiegsschächte zur Elbe hin traten auf dem Postplatz, auf dem Theaterplatz und auf dem Neumarkt außerhalb der Trümmerbereiche zutage. In Richtung Hauptbahnhof und äußerer Ring waren keine aus der Bebauungszone herausgezogenen Rettungswege angelegt worden. Man nahm an, daß durch die Vernetzung fast sämtlicher Kellerausgänge diese in Richtung äußerer Ring als Fluchtweg dienen konnten. Dieses System hätte sich bewährt, wenn die Brände und Zerstörungen auf einzelne Komplexe verteilt gewesen wären.

Oft kam es zu Schwelbränden der Kohlenvorräte. Leichte Niveauunterschiede oder nach oben in die Gebäude führende Zugänge, die von Nachkommenden nicht wieder verschlossen wurden, wirkten wie Schornsteine oder Rauchfüchse. Heißluft, Rauch und Kohlenmonoxyd strömten in die derart verbundenen Keller und töteten die Schutzsuchenden. Kellerdurchbrüche wurden zu Todesfallen.82

Brände und detonierende Zeitzünder hielten Menschen in den Schutzräumen zurück. Jene, die in Kellern des Feuersturmgebietes ausgeharrt hatten, Alte, Kranke, Frauen mit Kindern oder auf der Straße von Rauch und Funkensturm Erblindete, hatten keine Möglichkeit, die Feuer-, Hitze- und Rauchbarrieren zu überwinden. Wer stürzte, wen ein Gegenstand traf, der im Sturm herumwirbelte, war verloren. Aus den Schilderungen der wenigen Entkommenen geht hervor, daß sie sich aus dem Randgebiet des Feuersturms gerettet hatten. Ihr Überleben verdankten sie nur ihrer Entschlossenheit, den Keller rechtzeitig zu verlassen, und ihrer physischen Kraft.

Schwerpunkte Großer Garten

Der Große Garten gehörte zu den sekundären Verdichtungsgebieten. Hier hielten sich Flüchtlinge aus den Ostgebieten auf, die mit Gespannen in Trecks bis Dresden gekommen waren. Tausende flüchteten aus der brennenden Stadt in den 2 km2 großen Park. Zeugen83 sprechen von Zehntausenden. Der Große Garten war Einzugsbereich des südöstlichen Stadtgebietes, das vollkommen niederbrannte. Wer aus diesem Teil der Stadt flüchtete, konnte nur im Großen Garten der Brandzone entkommen. Rechnet man die Flüchtlinge hinzu, die sich schon vor dem Angriff im Großen Garten aufhielten, ist die Annahme von Zehntausend begründet.

Um 1.30 Uhr begann der zweite Angriff. Der Masterbomber, Major Wesselow, entschied, den Angriff auf die verschonten Gebiete zu konzertieren, und lenkte die Markierer so, daß die Gebiete an beiden Rändern des großen Brandherdes und östlich davon bombardiert wurden. Der Große Garten lag damit im Bereich des Zielgebietes. Oberstleutnant Le Good, der stellvertretende Masterbomber, trug in sein Tagebuch ein: „… Dresden. Keine Wolken über dem Ziel, praktisch die ganze Stadt in Flammen.“ Gegenüber der Abwurfmunition der Bomber des ersten Angriffes, die noch einen größeren Anteil von Sprengbomben enthielt, war deren Anteil jetzt erheblich geringer. Sie sollten die Löschmannschaften in Deckung zwingen, damit die Brände sich ausdehnen konnten. 75 % waren Brandbomben: 54,5 cm lange sechseckige Thermitstabbrandbomben, die, in Metallkästen verstaut und über dem Ziel in den Flugwind abgeworfen, sich breit verstreuten. Auf den Großen Garten fielen die Bomben so dicht, daß viele der Flüchtlinge und Ausgebombten erschlagen wurden oder durch die Wirkung der Sprengbomben umkamen. Unter diesen Umständen konnte auch Verletzten keine Hilfe geleistet werden. Bei diesem Angriff fielen 650 000 Brandbomben auf Dresden.

Seydewitz schreibt:

Während viele Quadratkilometer der Stadt immer noch brannten, stach aus dem glühenden Flammenmeer ein dunkles Viereck hervor: das waren die zwei Quadratkilometer des Großen Gartens, wohin sich mehr als 10 000 Männer und Frauen, Kinder und Greise geflüchtet hatten.

Das Haus der Tänzerin Gret Palucca, lag etwa 500 m stadtwärts des Großen Gartens. Es war mit Flüchtlingen überfüllt. Beim zweiten Angriff traf das Haus eine Sprengbombe. Es gelang Gret Palucca, sich aus einem Haufen Schutt zu befreien. Sie drang durch die Flammen und Trümmer zur Straße.

Wie viele Tausend Menschen versuchte ich, in den Großen Garten zu gelangen, in der Hoffnung, dort Schutz vor den Flammen und den Bomben zu finden. … Als ich den Großen Garten erreichte, fand ich an Stelle der erhofften Sicherheit ein wahres Inferno vor. Viele der alten Bäume brannten, die ebenfalls brennenden Wiesen sahen wie leuchtende Teppiche mit kunstvoll sich schlängelnden dunklen Mustern aus. Diese Muster aber waren tote oder vor Schmerzen sich windende und brüllende Menschen. Tausende suchten dem Inferno zu entkommen, brachen zusammen, erhoben sich mühsam, versuchten noch ein paar Meter weiterzukommen, und blieben doch wieder hilflos liegen. Ein mir ganz fremder Mann fiel mich buchstäblich an und wollte von mir wissen, wo seine Frau hingekommen wäre. Als ich die Schultern zuckte, ließ er von mir ab, als ob er trotz des aus seinen Augen leuchtenden Wahnsinns erkannt hätte, daß ich genauso hilflos der Pein ausgesetzt war, wie er selbst. An ein Erlebnis im Großen Garten muß ich immer denken. Auf vielen Bäumen lagen in den furchtbarsten Stellungen Männern, Frauen und vor allem Kinder oder einzelne Körperteile – Arme und Beine – wie gespenstische Früchte auf den kahlen Ästen. Und während ich entsetzt weiterzukommen versuchte, sah ich eine Frau mit zwei Kindern an der Hand vorbeirennen. Im nächsten Augenblick stürzte ein brennender Baum um und fiel gerade auf die Frau. … In der Nacht noch trieb es mich wieder zu unserem zusammengestürzten Haus zurück. Ich war ständig von dem Gedanken an die verschütteten Menschen gepeinigt und hoffte, helfen zu können, sie noch lebend aus dem Grab herauszuholen. … Straßen und Plätze waren aufgerissen und mit Toten und Verwundeten besät.84

Der folgende Bericht schildert die Situation im Großen Garten einige Tage später:

Südlich des Hauptbahnhofs liegt das „Schweizer Viertel“, so genannt nach der Gaststätte Schweizer Hof und der Schweizer Straße. Einem Schweizer aus diesem Stadtteil, dem es gelang, ein Ausreisevisum für sich und seine Familie zu erlangen, weil seine Firma zerstört worden war, erreichte Anfang März 1945 Zürich. Der Tages-Anzeiger für Stadt und Kanton Zürich veröffentlichte in drei Fortsetzungen seine Erlebnisse. Es war der erste Bericht eines Augenzeugen der Luftangriffe auf Dresden, der die internationale Öffentlichkeit erreichte. Es ist nicht auszuschließen, daß dieser Bericht Churchill mit zu seinem Memorandum vom 28. März 1945 (siehe S. 63) an die Stabschefs der RAF bewogen hat:

… Als ich drei, vier Tage darauf [nach den Angriffen] von ein paar Motorradfahrern hörte, daß nicht ‚Zehntausende’, wie man uns erst sagte, sondern zweihunderttausend Menschen in diesen beiden Angriffen umkamen, wußte ich auch, daß diese Zahl nicht zu hoch gegriffen war, denn da hatte ich schon selbst gesehen, wie die Leichen in mannshohen Stapeln aufgeschichtet überall umhergelegen hatten…. Ich selbst hatte ja gesehen, welche unaussprechliche Tragödie sich im Großen Garten abgespielt haben mußte, Dresdens riesigem Park in der Altstadt, … der nun buchstäblich mit Leichen übersät war! Und wen konnte diese Zahl wundern? Zu den rund 650 000 Einwohnern Dresdens waren ja eine halbe Million Ostflüchtlinge gekommen, … zwischen den beiden Angriffen waren zwanzig- oder dreißigtausend Menschen in den Großen Garten geflüchtet und davon allein waren schon rund zehntausend umgekommen.

Zweimal fuhr ich nach dem 13. Februar mit meinem Rad … durch die Trümmer von Dresden … Da verhältnismäßig wenige Sprengbomben gefallen waren, konnte man ganz gut durchkommen. Vor allem gab es nur wenige Bombentrichter, da die neuen Sprengbomben besonders auf Pflaster und Asphalt nur flache Einschläge und Trichter machen. Der Brand war es, der die entsetzlichen Verheerungen angerichtet hatte, und sogar die Opfer des Großen Gartens waren nicht von Sprengbomben zerrissen, sondern von den anderthalb Millionen Brandbomben erschlagen worden, die über diesen Park niedergingen. Einer meiner Schweizer Freunde, der mit beim Palais im Großen Garten gewesen war, erzählte mir, wie er gesehen hatte, daß die Leute versuchten, sich die Brandstangen aus dem Leib zu reißen – doch die zwei, drei Spannen langen, nur drei Zentimeter dicken Todesfakkeln hatten es zwar nicht vermocht, den Park in Flammen aufgehen zu lassen, weil Büsche und Bäume viel zu naß waren, aber sie hatten die Menschen erbarmungslos erschlagen. Noch zehn Tage nach dem Angriff waren diese Leichenstapel nicht abgetragen, obwohl überall ‚Laster‘ eingesetzt wurden, um die Toten in die rasch gegrabenen Massengräber zu bringen, obwohl man sich nicht erst damit aufhielt, die Opfer zu identifizieren … Ich war eines Vormittags auf der Suche nach befreundeten Schweizern nach Gruna hinaus gefahren, eben durch die bekannte Stübelallee, in der auch Gauleiter Mutschmann seine Villa gehabt hatte. Diese Allee, zwei mächtige Straßenzüge mit einer vier Meter breiten Promenade zwischen ebenso breiten Rasenstreifen, war aber fast unpassierbar geworden, und der Anblick der Leichenhaufen, die überall aufgeschichtet waren, so entsetzlich, daß ich es kein zweites Mal ausgehalten hätte, mir dort meinen Weg durch Leichen zu bahnen. Ich fuhr deshalb durch den Großen Garten zurück. Aber es war noch viel schauerlicher. Gerade weil man dem Park äußerlich erst nur wenig ansah, weil die Reitbahnen und Promenaden, die Radwege und kleinen Kanäle dieses prächtigen Barockparks nur da und dort von gestürzten Bäumen versperrt waren, wirkte es so gräßlich, nun auf Schritt und Tritt Leichen umherliegen zu sehen, abgerissenen Arme und Beine, verstümmelte Rümpfe, Köpfe, die vom Leib gerissen irgendwohin gerollt waren! … Das Palais im Großen Garten, eine der schönsten Barockbauten, war natürlich abgebrannt, alle Wirtschaften und Pavillons, die Ausstellungshallen, der Zoologische Garten ebenfalls … Bei der zweiten Fahrt acht Tage nach dem 13. Februar war noch alles unverändert. Und wie hätte man dort auch aufräumen können, da man sich noch nicht einmal an die Innenstadt herangewagt hatte? Zwar arbeiteten überall Gefangenentrupps, Russen, Engländer, Franzosen, doch was konnte schon die Arbeit von Zehntausenden helfen, da doch ganz Dresden in Trümmern lag?85

Dieses Zeugnis leidet zwar unter vorschnellen Zahlenangaben, die gerüchteweisen Schätzungen entsprachen, der zu weitgehenden Annahme von anderthalb Millionen Brandbomben und der Auslassung der beiden Tagesangriffe am 14. und 15. Februar. Er gibt aber den zeitnahen Eindruck wieder. Im Wesentlichen stimmt der Bericht mit jenem von Gret Palucca überein.

Hauptbahnhof

Auf dem Hauptbahnhof kamen täglich Tausende Menschen an, vor allem Flüchtlinge aus dem Osten. Für die Woche vom 12. bis 19. Februar wurden Züge mit rund 20 000 Flüchtlingen erwartet.