DSA 21: Schlange und Schwert - Lena Falkenhagen - E-Book

DSA 21: Schlange und Schwert E-Book

Lena Falkenhagen

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Beschreibung

Ein Fluch hallt durch die Jahrtausende ... A'Sar, eine junge Magierin aus Fasar, träumt Seltsames aus längst vergangenen Zeiten. Um Licht ins Dunkel zu bringen, bricht sie auf, doch es gibt Gefahren, denen selbst eine Zauberin nicht trotzen kann - wohl aber Yeto, ein Kämpfer aus dem Orden der al'Sajid, der für die ungewöhnliche Frau durchs Feuer ginge. Ist seine Liebe zu ihr jedoch so stark, daß er für sie die Kriegsgöttin Rondra verrät?

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Seitenzahl: 368

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Titel

Lena Falkenhagen

Schlange und Schwert

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses SpieleBand 21

Aventurien–Karte:RalfHlawatsch E–Book–Gestaltung: Michael Mingers

Copyright © 1997, 2014 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE,MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Print–ISBN 3–453–11938–X (vergriffen)

Dankesworte

Mit Anregungen von Heiko Buchholz und Matthias Köhler

Danke, Heiko, für alles.

ImAnhangamEndediesesRomanssindeinigeerklärendeTextezuraventurischenFrühgeschichtezusammengefaßt,indenengeschichtlicheZusammenhängedeutlichwerden.DieAutorinempfiehltdemvonAventurienunkundigenLeser,sichdortzunächsteinenkleinenÜberblickzuverschaffen,derdieTragweitederGeschehnissediesesRomansdarlegt.

Prolog – Der Diamant

Kalt legte sich das Metall umihr Handgelenk. Der breiteArmreifschmiegtesich eng umHaut undKnochen. Seine Oberfläche war rauh und brach das Licht in hunderte von kleinen Strahlen, und jeder gleißte in seiner ganz eigenen Farbe.

Trotzdem ist es eine Fessel. Sharecha wurdeschmerzlichbewußt,daßsiedenReifniewiederwürdeablegen können, wasimmersie auch versuchte. Er war ein Teil von ihr.

Umsich herumspürte sie trotz der Stille die Anwesenheit der Schlangenleibigen, dieversammeltwaren, das Ritual zu vollziehen. Auch spürte sie die Feindschaft, die von ihnen ausging. Ein Gefühl der Überlegenheit durchzog sie und eine wilde Freude.Sie sind neidisch. So lange haben sie gearbeitet, um Ihm zu gefallen, und dann erwählt Er eine Menschenfrau!Fast hätte sie laut gelacht, denn sie wußte, daß sie besser war als all die anderen hier, doch sie beherrschte sich. Dennoch traf sie ein strafender Blick ihres Meisters. Soforternüchtert, senkte sie wieder das Haupt.

AmGleiten dermächtigenSchlangenleiberauf glattemMarmorhörte Sharecha, daß die Magiereinen weiten Kreis bildeten,mitdemAltar, vor demsie kniete, als Mittelpunkt. Ihre Knie warentaub von der Haltung, in der sie schon so lange verharrte; selbst dasseltsameKribbeln in denBeinen war inzwischen verschwunden, so daß sie ihre Stellung noch lange aushalten könnte.

Inmittender silbernen Linien des Fünfsterns, der sieumgabundmitseiner Macht von außenabschirmte,schien es hell zu werden. Fünf der sechs Magier hoben ihre vier Greifzangen an langenSchuppenarmenundformtenso jeder ein anderesSymbolder Drachenrunen, umSeinenNamenzubilden. Der verbleibende Sechste fügte das Sinnbild Seiner gottkaiserlichen Herrschaft hinzu. Mit lippenlosen Münder zischelten sie die Anrufung, die schuppigen, vage anmenschlicheOberkörpergemahnendenLeiber wiegten sacht hin und her.

Der Bund war geschlossen, und Sharecha spürte die Veränderung in der Luft, erst sanft, dannimmerstärker, bis siemeinte,diegesammelteGeisteskraft,die sich in der goldenen Statue ballte,mitHänden greifen zu können.

Er selbst war nichtgekommen.DochmitjedemAtemzug,den sie tat, wußte sie, daß Er anwesendwar, nicht körperlich, aber dochmitder ganzen Kraft Seines Geistes, die so stark war, daß ihr hiervor SeinemAltar kniend fast schwindelig wurde.Sie gab sich dieser Macht hin, ging darin auf,machtesie zu einemTeil ihrer selbst. Das war es, was sie wollte.

Sie blickte auf zu demmächtigenSchlangenleib ihres Meisters, derstummin derZeremoniefortfuhr, die goldene Schale reinigte,mitWasserfüllte und den großenDiamantenhineintauchte.Für die Ewigkeit. Symbol der unverbrüchlichen Treue.Wieoft hatte sie diese Treue in Gedankenschon gebrochen?Er hob die Schale auf den Altar, undmitder Kraft vollzog sich einWandel.Sieging von der Statue über auf die Schale, die kaumeinen Spann vor Sharechas Kopf stand. Das Gold begann zu strahlen, das Leuchten griff auf dasWasserüber und zog sich zu demDiamanten,der esin sich aufzusaugen schien, das Glühen aufnahmund in seinemInnersten bewahrte. Der Meister drehte sich umund glitt langsamauf Sharecha zu, die Schale vor sich tragend. Kein Tröpfchen der Flüssigkeit durfte verschüttet werden.

Die Goldene Halle lag imHalbdunkel, erhellt von Fackeln, die aber die gewaltigenAusmaßedesGebäudes nicht annähernd erleuchten konnten. DasMittelschiff, in demsich Altar und Statue befanden, war durch sechseckige Säulen vomumlaufendenGang abgetrennt, doch selbst dieseschienen in weiter Ferne zu liegen. Schattengespinstefülltendie Ecken. Selbst wenn es Taggewesen wäre, hätten die Strahlen desHimmelslichtesnicht ausgereicht, die Schatten zu vertreiben.Doch Licht durfte nicht in die Halle fallen – Sharecha hatte ameigenen Leib erfahrenmüssen,wiesehr es die Kraftschmälerte–, und deshalb gab es keine Öffnungen in denWänden.Das strahlendeGold der großen Drachenstatue glitzerte höhnischimFeuerschein und schien dasHimmelsgoldzuverspotten, wie ein Hofnarr, der sich in Abwesenheit auf des Königs Platz setzt.

Sharecha verspürte keinen Hunger, obwohl sie zur rituellen Reinigung seitmehrerenTagen nichtszu sichgenommenhatte. Sie hatte auch kaumgeschlafen,meistenshatte sie sich in ihren Geistzurückgezogen undmeditiert.

Als der Meister ihr nun die Schale darbot, berührte sie sie nurmitden Lippen und trank, denglitzernden Edelsteinimmervor Augen. Der Steinwar das geweihteSymbolder Kha, die dieEwigkeit verkörperte. Er würde imVerlaufderZeremonienoch eine große Bedeutung erlangen,doch welche, hattemanSharecha nicht gesagt. Mit demAufnehmendesWassersging eineWandlungin ihr vor: DerDiamantwuchs und wuchs, bis nichts anderesmehrihren Geist füllte undsiemeinte,das Bild habe sich in ihre Augen eingebrannt. Kraftdurchströmtesie, pure Kraft. MitjedemHerzschlag breitete sich diese Kraft in Sharechas Körper aus, erfaßte alle ihre Sinne und schien amEnde selbst dasregelmäßigePochen zu sein, das sie amLeben hielt.

Wiein einemTraumerhob sie sich, und Sklavinnenkamenherbei, umihr beimEntkleidenbehilflich zu sein.Wassie ihr ließen, war das KettchenmitdemOpal. Die Mädchen waren dieeinzigen, die sie bis zumVollzug beider Rituale noch berühren durften. Sharecha liebte es, von ihnen bedient zu werden, und war dankbar, daß Er ihrmenschlicheFrauen geschenkt hatte undkeine Echsen ...

Sie schritt voran, ihre Gedanken ohne festen Halt, sie war erfüllt undumhülltallein von SeinerMacht. Sie schwankte ein wenig, schloß dann dieAugen, versank imQuell ihrer eigenen Kraft und spürte, wie diese langsammitder Seinenverschmolz,und was ihr vorher nochfremdund kantigerschienen war, wurde nun ein Teil ihrer selbst. Siemerkte,daß ihre Beine sie weitertrugen, ohne,daß sie es ihnen befehlenmußte.Nun blieben sie stehen, stiegen dann langsameinige breite Stufenhinab. Es war nichtunangenehm,als ihre Füße in eine Flüssigkeit tauchten, ja, sie fühlte eskaum,war die Sorge ihres Körpers doch nichtmehrlänger die ihre. Die Stufen führten weiter in das Naß,und Schritt für Schritt war sie ganz davonumgeben.Kurz tauchte sie unter, und die Gewalt SeinesGeistesüberschwemmtesie, fegte ihrenWillenbeiseite und durchtränkte sie ganz und gar.

Die hohen SteineumgabenSharecha, ragten schwarz und glänzend hoch in den dunklenHimmel,denn kein Mond erhellte die Nacht. Der Zeitpunkt warumsichtiggewählt, die Hörner der Zeitstanden fern amRande desFirmamentsdirekt unterH‘Sinth,der sich beständig wandelndenSchlange, Hüterin von Kraft und Magie, und dieWindungenihres Leibes schienen die Hörner zuumschlingenund zu fesseln. Die Macht des Mondes hatte den tiefsten Punkt erreicht, und so wargesichert, daß die Kraft heute nacht nur allein durch die vereinten Geister der echsischen Magier und durch SeinenWillengelenkt wurde.

So stand sie nun zwischen den Steinen imKreuzpunkt der Kraft, die von demBund ausging. Chssa, ihr Meister, wartete zu ihrer Linken, die SchalemitdemDiamantenbereit. Der Stein hatte nichtsvon demGlühen verloren, das sie ihmzumvollen Mond verliehen hatten, trug die Kraft weiterhin ungetrübt in sich. Obwohl Sharecha es sichsehnlichwünschte, war Er noch nicht erschienen, siezweifelte auch daran, daß Erkommenwürde.

Es gab Gerede,mansprach von der Rache Seines alten Feindes, der IhmSeine Macht streitigmachenwollte. Die Schlangenleibigen hatten Sharecha zwar, wieimmer,nichtsmitgeteilt– siemiedensie, wo sie konnten –, doch ihre SklavinnenbesaßengrößereFreiheitenalssieselbst,undsiehatten ihr getreulich berichtet, was geredet wurde.

Isha, ihre Lieblingssklavin, standmitden anderen Mädchen in einemKreis umdie Steinstelen, undSharecha fragte sich, was sie wohldiesmalfür eine Aufgabe hätten. Isha war es auch gewesen, die ihr berichtet hatte, daß Chssa derjenige sein würde, der imFalle eines Krieges die Kontrolle über Seine Heerscharen hätte. Hinter einer Säule versteckt hatte sie ein Gespräch belauscht. Chssa war einer Seiner liebsten Diener, – er besaß tatsächlich erstaunliche Fähigkeiten, besonders was die Beeinflussung des Geistes anbelangte. Es war eine guteWahl,doch war SeinWillenichtimmerunübertroffen?

DieWolkenbrachen vollends auf und gaben den Blick auf denSternenhimmelfrei. Khas Steinstand hell amHimmel,einMahnmalder Ewigkeit, unverrückbarimmeran derselben Stelle. ZsahhsEchseumgabihn direkt über demRitualplatz und verhieß gutes Gelingen. Sharecha hatte in denletzten zwei Monden ständig zu Zsahh gebetet, daß die Echse des Lebens ihren Leib vor einem plötzlichen Tod schützenmöge.Sharechas Kraft und ihre Seele waren in jenemersten Ritual ewigan Ihn gebunden worden, und sie wagte nicht, sichauszumalen,was geschähe, wenn sie stürbe,bevor auch ihr Geist und ihr Leib diese Ewigkeit teilten ... Sie schüttelte sich, denn bei dem Gedanken war ihr ein kalter Schauer den Rücken hinabgerieselt, so daß sich ihr imNacken feine Härchen aufstellten. Doch sie lebte, nichts war anders verlaufen, als es geplant gewesen war, und hier stand sie nun.

Chssa begannmitdemGesang, der Khas und Zsahhs Kräfte einen sollte, die EwigkeitmitdemLeben verbinden. Sharecha sandte ihre Kraft aus,umihn darin zu unterstützen und fühlte, daß die Magier es ihr gleichtaten. Sie wagten zwar, sie zu verachten, doch nicht, sich SeinemWillenzuwidersetzen. Sie waren zu klug, in Ungnade zu fallen, denn Sein Zorn war schrecklich ...

In die Dunkelheit der Nachtmischtesich einwarmerTon, der sich verstärkte, bis er zu einemgoldenen Glanz herangewachsen war. Sharecha wußte nun, daß Er nicht in leiblicher Gestaltkäme,doch daß Sein Geist anwesend war, umdas Ritual zu vollziehen. Sieatmeteauf und erkannte, daßsie bis zu diesemAugenblick gefürchtet hatte, daß etwasmißriete...

Sharecha öffnete ihren Geist, umIhn und die Sternenkraft der Götteraufzunehmen,fühlte, wie siedavon erfüllt, wie etwas in ihr verändert wurde.Die Geschehnisse umsie herumnahmsie nur nochmiteinemTeil ihrer selbst wahr, sie drangen kaummehrzu ihr vor. Sie spürte einen betäubendenSchmerzimArm,der jedoch bald wieder verschwand; vielleicht war er auch einfach nichtmehrwichtig. In ihr pulsierte das Licht der Sterne, durchzog jede Faser ihres Körpers und hinterließ völligeHarmonie.

VölligeHarmonie?Sharecha stutzte.Waswardas?Mischte sich einfalscherTon in denGleichklang?Wievon Ferne drang etwas an ihr Ohr, undmühsamsammeltesie sich, umzuerkennen, was es war. Sie sah nicht länger nur Licht, sondern erkannte Dunkelheit undSchemen,die sich verdichteten. Ihre Ohren hörten nichtmehrnur den Klang der Sphären, sondern dazwischenentsetzliche Schreie. Sharecha runzelte dieStirn und kniff die Augenzusammen,umbesser sehen,den SchattenNamenund Gesichter geben zu können. Vor demBasaltstein in ihrer Nähe bewegtesich etwas.

Ganzallmählichfand dieWirklichkeiteinenWegzu ihr, und dann erkannte sie Isha, Kharra, Yueund Sad, ihre vier Sklavinnen, jedemiteisernen Ketten an einen der vier Steine gefesselt. DieFrauen schrien in Todesangst und wanden sichvor einemSchuppenleibigen, der Sharecha den Rücken zukehrte. Jetzt hob er ein Messer, ausdemselbenMetall gefertigt wie derArmreif,den sietrug, und sie erkannte Chssas Ritualdolch. Der Meister stand vor Isha, die, von zwei Echsen gehalten, Sharechamitaufgerissenen Augen flehend anstarrte. Mit quälenderLangsamkeitsenktesich Chssas Hand, bis der Dolch die Brust berührte, die weiße Haut zerschnitt und tiefer und tiefer in das Fleisch eindrang. Mühelos zerteilte die Klinge den Käfig der Rippen, und Chssa dehntemitZweien seiner vier Greifzangen den Brustkorb der jungen Frau, bis ein klaffender Spalt entstanden war, der das Herz freilegte. Ishas Mund war weit aufgerissen, doch kein Schrei kammehrüber ihreLippen, als Chssa das Messer erneut ansetzte und das Herzmiteinemschnellen Schnitt öffnete, umdas frische Blutmitder goldenen Schale aufzufangen.

Die Helfer entließen Isha aus ihremGriff, und schlaff sank sie in ihren Fesselnzusammen.Sie isttot, dachte Sharecha, und sah, daß das RitualmitKharra, Yue und Sad an den anderen Stelen imselben Augenblick vollzogen worden war.Sie sind alle tot– und diese Erkenntnis setzte ihren Geist in Bewegung. Ihr war eiskalt, zugleich spürte sie heißen Zorn in sichemporsteigen.Wiesie es vonChssa gelernt hatte, nutzte sie die Heftigkeit ihrer Gefühle, umihre Kraft zu verstärken, doch der Meister hatte nie gewußt, wie stark diese Energien in ihr flossen. Ihr Zorn, ihr Haß, ihreWutwarenstärker als die Gefühle all dieser kraftlosen,gleichgültigenEchsen, die zu keiner Gefühlsregungfähig waren. Sie wußten nicht, was es bedeutete, aus ganzer Kraft der Seele zu hassen. Oder zu lieben. Sie hatten ihr das einzigeWesengenommen,das ihrWärmeund Geborgenheit geschenkthatte. Sharecha schrie auf, riß ihren Geist aus dergemeinsamenEinigkeit heraus und trat aus denKraftlinien.

Chssa wirbelteherum,als er die Veränderung spürte. Er hattemitvielemgerechnet, aber nichtdamit,daß Sharecha sich seiner Beherrschung entzöge. Sie warimmerso leicht zu lenken gewesen,hatteimmergehorcht, sich gebeugt ... Es war alles so einfach gewesen, das Ritual einwandfrei, nurnoch die Opferung von Leben, die das Ihre stärken sollten, fehlte. Diese Menschenfrau sollte Ihm die Macht über das eine der verlorenenElementewiedergeben, deshalb hatte Er sie erschaffen, dazuwar sie geboren, sie sollte statt Seiner Erz und Felsen beherrschen ... Er sah in die Augen seiner Schülerin, und der Haß in ihremBlickschmetterteihn zurück. Tief in ihmdämmertedieErkenntnis, daß er einen unglaublichen Fehler begangen hatte, als er sie für schwach und gehorsam gehalten hatte. Ihre Macht sprühteförmlichaus ihren Augen, und er selbst hatte ihr den Schlüsseldazu gegeben. Er hatte sie grausamunterschätzt. Für Augenblicke ruhte ihr Blick aufihm,undetwasschrumpftein ihmzusammen.Er kannte diesen Blick, nur Einer besaß ihn noch, und ihmwurde kalt. Sie war Ihmalso doch eine würdige Tochter.

Sharecha haßte. Sie haßte ihrenLehrmeister,der ihre Isha getötet hatte, als sei sie ein Opfertier. Siehaßte die Echsenmitihren starren Augen und kaltenGemütern,die sie beherrscht, gelenkt undverachtet hatten. Sie haßte Ihn, den Goldenen, weil er ihr Volk wie Ratten behandelte, tötete, wann es Ihmbeliebte und sie zu SeinemWerkzeugmachte.Und sie haßte sich selbst, ihren Ehrgeiz, ihrenMachthunger, ihrenWissensdurst.Und ihreDummheit.Sie hatte es die ganze Zeit gewußt, hatte dieAugen verschlossen und sich abgewendet. Sie haßte sich, oh, wie sie sich haßte! Sie blickte Chssa starr in die Augen und sah, daß er ihr Gefühl erkannte.

Etwas in Sharecha zerbarst, sie hörte es, fühlte es, doch nun dachte sie nichtmehr.Es war die Zeitdes Hassens. Sie hob die Hand, wiesmitausgestreckten Fingern unausweichlich auf Chssa. Dersammelteseine verbliebenen Kräfte,formtesie zu einemSchutzschild der Zauberei. Sharechalachte. Es gab eine Macht, der er nichts entgegenzusetzen hatte, gegen die er somachtloswar, wieIsha es gerade gegen ihn gewesen war. Sie fühlte, wie Kraft sieumtobte,einemgigantischenSturmegleich, der siemitrißund alles Denken, jeden Rest der Vernunft, zerfetzte. In ihr war einWort,einWortder Macht. Es bildete sich tief in ihr, wurde hochgeschleudert und stand so klar vorihreminneren Auge, als sei es dorteingemeißelt.Sie sah Chssa nocheinmalan, dann sprach sie dasWort.Der SturmderentfesseltenMacht brach aus ihr hervor, so daß sietaumelte,hüllte Chssa einund ließ seinen Schutzschildmitunter der geballten Macht des Erzes bersten. Die Luft umihnherumbegann zu knistern, zu knacken, und erstrahlte schließlich in sanften Regenbogenfarben.Wieeine zweite Haut zog sie sich umChssazusammen,verhärtete sich, verschloß Mund, Nüstern undAugen, bis sich aus der Luft anihm,umihn und in ihmein Panzer aus puremOpal gebildet hatte.

Er glich nun einer grotesken Statue, die in die Luft griff und sich dort festkrallte.

Sharecha sankzusammen.Sie fühlte sich schwach. Eben noch der Spielball von gewaltigenEnergien, war sie nun bloß und verwundbar. Sie blinzelte, umden Schweiß aus ihren Augen fernzuhalten, und tat einen tiefenAtemzug.Taubheit durchzog sie, nichteinmalihre Finger spürtesie noch. Sie fühlte nichtsmehr,konnte nichtbegreifen,woher gerade noch diesergrimmigeHaßgekommenwar. Sie blickte auf Chssa. Er war tot. Es war vorbei.

Schmerzdurchzuckte sie wie eineallesverzehrendeFlammevon Kopf bis Fuß, so daß sie sichzusammenkrümmteund auf demBoden wälzte. Ihr Haar schien aus Tausenden von Klingen zubestehen, die ihr bei jedemHerzschlag ins Fleisch schnitten, ihre Haut glühte, und jederAtemzugverbrannte ihre Lunge. In ihremGeist jedoch donnerte einSchmerz,der alle anderen übertraf:SeineStimme.

„Nein, Sharecha, nichts ist vorbei. Es beginnt gerade erst.DuhastMichverraten.Mich,derIchdichgeschaffen und erhoben habe, der Ich dir Macht gegeben habe, von der ihr Menschen nur zuträumenwußtet!“ SeineStimmesteigerte sich zueinemunerträglichen Crescendo. „ES SEI. Du hastdich von Mir abgewandt, wie deine Schwester es vor dir tat, und Mein Fluch soll auch überdichkommen.

Deiner Seele ist Ewigkeit gegeben, und ewig soll sie sein. Doch du bist Mensch, und wie die Menschen sollst du Staub sein, ein Nichts, ein NIEMAND! DemWurmgleich beginnst du jedesLeben von vorn, du erhebst dich, umzu sterben und zu vergessen. Du lehnst dich gegen Mich auf? So sollst du deinenWeggehen, denn wer sich von Mir abwendet, hat Meine Gnade nicht länger. Duhaßt Mich?So hasse Mich in der Ewigkeit, in die du gehst. Dein Haß ist es, der deine Kraft gegen Mich nutzlosmacht.Du, die dumiteinemTeil Meiner selbst untrennbarverschmolzenbist, seistverflucht in alle Ewigkeit, da du dich abwendest von Mir! Doch ich werde Mirnehmen,was Meinist!“

Sharecha spürte, daß Sein Geist in ihr war, und sie erbebte. Dann riß in ihr etwas entzwei.NamenloseSchmerzendurchtosten sie, raubten ihr den Verstand und quälten den sterbendenKörper. Sie spürte, wie ihr Fleisch starb, doch dasmindertedenSchmerznicht, er wuchs und wuchsundmarterte,was von ihrer unsterblichen Seele geblieben war.

Kapitel 1 – Schlange und Schwert

A‘Sarerhob sich verwirrt von ihremLager und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Es fiel ihrschwer, sich darauf zu besinnen, wo sie war –ebennoch waren vor ihremgeistigen Auge Schlangenvon Menschen einen steilen Berg hinaufgestolpert, getrieben von Echsenwesen ... Sie schüttelte den Kopf und unterdrückte die Erinnerungen, die ohnehinmitjedemSonnenstrahlmehrverblaßten. Siefuhr sich fast unbewußtmitden Händen über Leibund Robe, umsich zu säubern. Als die weißeSeide ihres Gewandes frei von Staub und Falten war,setztesie sich auf ihre Decke, griff nach demOpal, den sie an einemSilberkettchen amHalse trug, und konzentrierte ihren Geist. Doch dieallmorgendlicheMeditation fiel ihr schwer;immerwieder schweiften ihre Gedanken zu demseltsamenPalast, in demsie sich in ihrenTräumenaufgehalten hatte. Schließlich gab sie es auf undkümmertesich lieber umihren Hunger. Sie stieß zwei Steine gegeneinander, umden Zunder untereinemkleinen Reisighaufen zu entzünden, den siegesammelthatte. NachmehrerenfruchtlosenVersuchen hielt sie ihre Hand vor das Holz,konzentriertesich kurz auf das Bild eines kleinenFeuers, und eineFlammefuhr zwischen die Zweige, ließ sie zischen unddampfen,aber keineswegsbrennen. Es war ihr ein Rätsel, weshalb das Entfachen bei anderenimmerso einfach aussah. EinBlick auf Praios‘Auge verriet ihr, daß es schon weit nach Mittag war, und so angelte sie schulterzuckend eine kalte Fasanenkeule aus der Tasche amSattel ihres Pferdes und nagte sie nachdenklich ab.

DieTräumebeunruhigten sie. Die Zahl derermehrtesich, bei denen siemorgensgeplagt auffuhrundimmerklarere Erinnerungen an Echsenwesen, Rituale und sie selbst zurückblieben.So geht dasnichtweiter,schalt sie sich.Wenn ich weiterhin bis Mittag am Straßenrand liege, bin ich eingefundenes Fressen für Khoramsbestien oder anderes Räubergesindel.

Baldmachtesie sich wieder auf denWegund ließ Selini dabei dasTempowählen, einenmunteren,weichen Schritt, der sie schnell an den dunklenFluten des Gadang entlangtrug, gen Praios. Die langsamerblühende Landschaft nahmA‘Sarnichtwahr, nicht die dunklen Boronsschellen, die nun,nachdemder kühlste Mond des Götterlaufes vorbei war, amUfer wuchsen, noch die Rohalskappen, die nach demletzten Regen aus demBoden geschossen waren. Diese Pilze wuchsen hier imSüden fast das ganze Jahr über, wenn es denn regnete, außer imBoronmond,der Zeit des Nebels und desVergessens.

„Herrin Rondra; die man Dich auch heißt Blitz und Donner, erleuchte meinen Geist.

Herrin Rondra; die man Dich auch heißt Wut und Zorn, erfülle mein Sein.

Herrin Rondra; die man Dich auch heißt Erfüllung und Freude,nimm meinen Leib und meine Seele als Dein; denn Dein Wille ist mir Befehl und dienen will ich Dir auf ewig.“

DerKämpfer,der auf seine zwei Schwerter gestützt zwischen den Merachsträuchern gekniet hatte,erhob sich, zog die Klingen nocheinmalklirrend aneinander vorbei, umsie dann in die Scheidenauf demRücken zu stecken. Noch einige Augenblicke verharrte er, den Blick nach Nordosten, nach Nebachot gerichtet, dorthin, wo sich Rondra nach der Überlieferung vor Jahrtausenden denTulamidenoffenbart hatte.

Dann wandte er sichum,überprüfte das Sattelzeug seinerKamelstuteund bestieg sie. Mit einemSchnalzen der Zunge setzte er das Tier in Bewegung, begleitet von einem„Yalla, Khalid!“.

Hügelauf und hügelab folgte dasKameldemWeg,der sich nach Osten wand.O‘Habinhatte derKämpferschon amgestrigen Tag verlassen, einigenamenloseFlecken durchquert, die er nichtbeachtet hatte, durchquert, und nun näherte er sichder großen Handelsstraße, die vomuabhängigen Fasar in die südlichen Metropolen führte.

Der Mann saß ganz still, hielt den Führstrick desKamelslocker in der Hand. Doch unter denGesichtstüchern verbarg sich angespannteAufmerksamkeit.EinTurmfalkezog hoch obenschwebend seine Bahnen, stand dann rüttelnd imWind.DerKämpferverhielt sein Reittier, umdemVogelmitden Augen zu folgen, der soeben von einer Bö erfaßt und schwungvoll rückwärtsgeschleudert wurde. Dort hing er noch einenWimpernschlag,umdannmitdemAnlegen der Flügelpfeilschnell gen Dere zurückzuschießen.

Nachdemder Vogel zwischen den Hügeln verschwunden war, setzte derKämpferseinenWegfort.Vielleicht hatte er, in denMomentender Ehrfurcht und der Andacht, in denen er zumHimmelaufgeschaut hatte, sich gewünscht, ebenfallsmiteiner solchen Leichtigkeit die Sorgen undBeschwernisse des Derenlebens hinter sich lassen zu können. Vielleicht hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, denWindunter den Flügeln zu spüren, sich davontreiben zu lassen, dorthin, wo derSturmwindblies. Vielleicht hatte er sich insgeheimauch die Schnelligkeit und Zielstrebigkeit desFalken gewünscht, für die der Vogel so bekannt war, oder die wilde, gedankenlose Jagdfreude.

DasTrampelnvieler Pferdehufe schreckte denKämpferauf. Er versetzte dasKamelin einenschnellen Paßgang, ließ sich nach ein paar hundert Schritt von seinemRücken gleiten und verbarg es hinter einer Strauchgruppe.RhythmischesBeben des Bodens und grollendes Donnern nähertensich rasch. Von Firun kameine Gruppe Berittener durch die sanften Hügel Mhanadistans galoppiert, wohlmehrals ein halbes Dutzend. Die Reiter waren verhüllt von schwarzen Kaftanenund Tüchern, die auch die Gesichter verbargen. Auf ihre Rücken warenKhunchomergeschnallt, dietraditionellenWaffenderTulamiden.

In halsbrecherischemGalopp preschte die Schar an demVersteck vorbei, und derKämpferbemerktedie schweißbedeckten Flanken der Pferde– siemußtendiese Geschwindigkeit schon eineWeileinnehaben. Der Beobachter wunderte sich.Warumnahmendie Reiter nicht diebequemeHandelsstraße, die keine zehn Meilen östlich verlief und ebenfalls nach Süden führte?Dort gab es keine Erdhöhlen, in denen die Pferde sichwomöglichdie Beine brachen, steil abfallende Hügel, diesie kaumimGaloppnehmenkonnten, und das beschwerliche Gelände, das unweigerlich ihrTempoverlangsamte.

Doch derKämpferbestieg, nachdemsich dieStaubwolkewieder gelegt hatte, ungerührt dieKamelstute,rief sein „Yalla, Khalid!“, und bald schien er den Vorfall vergessen zu haben, denn erhatte die Handelsstraße, die sich durch das Flußtal des Gadang zog, erreicht. DasKamelplanschtein das seichteWasser,aber noch während es sich durch die Furt der Klagenkämpfte,zügelte es derReiter. Das Tier hob erstaunt den Kopf, dann sah es den Grund für den plötzlichen Halt: eine Reiterin, diegemächlichamGadang entlangritt. Die Frau hatte weißes Haar, trug einen Mantel vongleicher Farbe, und auch das Shadif, das sie ritt, war einSchimmel.Ihr Mantel und das Geschirr desPferdes waren reichmitGoldstickereiengeschmücktund glitzerten imSonnenlicht. Sorglos und inGedanken versunken folgte die Reiterin der Straße, geradezu eine Verheißung fürsämtlicheStraßenräuber, die sich eine leichte Beute erhofften – und eine reiche dazu.

Die Frau würdigte dasseltsameGespann imFluß keinesBlickes,sondernverschwandzwischendenhellenLehmhäusernvon Belew.

Nicht nur die Gestalt, das Äußere der Frau, hatten denKämpfererstaunt; sondern auch dieTatsache, daß ein so reiches und anscheinend unrondrianischesWeiballein, ohne Bewachung undDienerschaft,seinesWegesritt. Aufein entrüstetesSchnaufenseines Reittieres hin trieb derKämpferes aus der Furt heraus, dann in RichtungPraios. SeinWegführte in die gleiche Richtungwie der der Reiterin, und so konnte er nach einer kurzenWegstreckesehen, daß die weißeShadifstute vor einemGasthaus angebunden war. Er beschloß, den Mittag ebenfalls in demÖrtchen zu verbringen. So führte er Khalid an den hellen Brunnen, tränkte sie und setzte sich in den Schatten eines Hauses.

Der Tag, an demA‘Saral‘Abastrain demkleinen Dörfchen Belew eintraf, umdort zu rasten, warkein besonderer Tag. Es war der sechzehnte desTsamondes,jenes Monats also, in demdie PflanzenihrenWinterschlafbeenden und die ersten zaghaft grünen Blätter nach demSonnenlichtausstrecken. In demKaiserreich imNorden, imMittelreich, schrieben die Menschen das 24. Jahr der Regierung Hals, denn sie hielten ihren jeweils herrschenden Kaiser für den größten und wichtigsten.

Dort, wo sich einst das alte Bosparan erstreckt hatte, zähltemandie Jahre selbstverständlich nichtnach den Kaisern des Mittelreiches, von denenmansich unter großen Opfernfreigekämpfthatte.Hier galt der Fall Bosparans als dasumwälzendsteEreignis in der Geschichte des Landes, und sosagteman›1017nach BosparansFall‹,denn so lange lag dasGemetzelder›Neureicher‹unter denBosparanern zurück.

Novadis,Al‘Anfaner,Andergaster und Trahelier,siealle trotzten ihrenehemaligenMutterstaaten(denn sie hatten fast alleeinmalzu beiden Reichen gehört) und zählten ihre eigene Zeit – nachRastullahs oder Golgaris Erscheinen, nach ihrer Unabhängigkeit oder ähnlich wichtigen Dingen. DiemeistenTulamidenallerdings hielten nichts von solchen Verwirrungen. SeitmandasDiamanteneSultanat verloren (nicht aber vergessen) hatte und von Bosparan regiert worden war,zähltemannach demFall Bosparans, und auch, als diese Herrschaft bröckelte und die eigenenStadtpotentaten schneller wechselten als die Jahre, sahmankeinen Grund zu einerUmstellung.Sicherlich, die›Güldenländer‹(so benannt nach demKontinent, aus demihre Vorfahren einstausgewandert waren, und umsie von den in Aventurien eingeborenenTulamidenzu unterscheiden),hatten grausamgeherrscht, die alten Götter verboten und die Schätze des Landes in ihre Paläste geschleppt. Doch die Natur des Menschen ist undbleibtdie Gewohnheit, so wie es die des Steinesist, unabdingbar amselben Fleck zu liegen, bis ein Mensch oder Tier ein Einsehen hat und ihnmiteinemheftigen Tritt an einen neuen, ungewohnten Ort zu befördern.

Der Gewohnheit zufolge war jener Tag also der sechzehnte Tsa des Jahres 1017 nach Bosparans Fall, und es war wahrlich kein besonderer Tag, an demdie verschiedensten Augenpaare die Magierinmitden hellen Haaren dabei beobachteten, wie sie in das kleine Örtchen Belew (das selbstauch nichts Besonderes war) ritt.

Eines dieser Augenpaare war das Yetos, desKämpfers,der aus verschiedenen Gründen auf sieaufmerksamgeworden war: Eine einsamdahinreitende, schutzlose Frau sahmanhierzulande nichthäufig, und ihmschwante, daß er, seinemEid vor Rondragemäß,bald in die Lage geräte, dieserLeichtsinnigen seine Hilfe angedeihen zu lassen. Zudemverwunderte ihn ihr Aussehen, von demer nicht entscheiden konnte, ob er es besonders anziehend oder besonders seltsamfinden sollte – oder beides, infremdartigerSchönheit vereint.

Auf einer Bodenwelle amOrtsausgang, verdecktdurchein nahes Zedernwäldchen, wartete fast einDutzend Reiter darauf, daß die weiße Frau Belewwieder verließ. Verhüllt von schwarzen Kaftanen undTüchern,saßensieregungslosundschweigendaufihrenzähen,kleinenPferdchen,diegeduldig den Befehlen ihrer Herren gehorchten und auf den erlösenden Schenkeldruck, den schrillen Ruf oder gar einen Gertenhieb warteten, der das gespannteWartenbeendete.

„Der Löwenhäuptige behüte uns!“ flüsterte derAnführer, der als einziger einen schwarzenShadifhengstritt. „Seht, Brüder, dieVerdammteist zurückgekehrt.Wiedie Augen des blindenRases sahen, wird sich unser Schicksal erfüllen.“

Die anderen Reiter schwiegen, während ihrer aller Blicke keinenWimpernschlaglang von derhellen Gestalt auf der Straße wichen.

Dann erhob ein zweiter dieStimme:„Wassoll geschehen, Bruder?Es ist, wie dieWarnungenderAlten uns berichten, wie derRases gesehen.Wasgibt es nun für uns zu tun?“

Shaïr, der Anführer, überlegte kurz, tastete hilfesuchend nach demAmulettmitdemLuchskopf, dasan einemLederriemenumseinen Hals lag. Dann gab er seine Befehle: „Rankan, du wirstmitmirkommen.Wirfolgen der Verfluchten, umzu sehen, ob sie wirklich denWegzur Höhlenimmt.

Jerhed, du führst die anderen zurück und berichtest demRas,daß die Zeitgekommenist.“

Er wendete sich imSattel halbum,legte die rechte Hand rituell an die linke Schulter und zitierte:„Vergißniemals.“

Jerhed, der Angesprochene, antwortete ebenfallsmitGruß und Geste: „Vergißniemals,Bruder.“Dann stieg er aus demSattel und führte das Pferd zwischen dieBäume,umnicht durch unbedachteStaubwolken dasAugenmerkder Verfolgten auf sichzu ziehen, die auf der Straße einhertrabte.

Die zwei Verhülltenfolgtender Reiterin wie Schatten.Immerbedacht,niemalsihreAufmerksamkeitzu erregen, bewegten sie sich entlang der Straße,malnahe, wenn BodenwellenoderBaumgruppenSichtschutz boten,malferner, wenn das Gelände offen war. Es war nicht daserste Mal, daß siegemeinsamritten, imGegenteil, sie hatten durch viele Taten großen Respektvoreinander gewonnen, der sich durch die Jahre zu einer tiefen Freundschaft entwickelt hatte.

Inzwischen wußten sie sich sogar fast ohneWortezu verständigen, einWinkoder ein wissenderBlickwechsel genügte, umsich auf einegemeinsameVorgehensweise zu einigen.

Auf einemHügel zügelte Shaïr sein Pferd und saß einenMomentschweigend auf demShadif, derunter seinemfesten Griff absolut still und gehorsamverharrte. „Rankan, Freund“, sprach er dann leise, „fast glaube ich, daß der löwenhäuptige Drache heute gnädig ist!“ und deutete auf zwei Gestalten, die hinter demHügel, außerhalb des Blickfeldes der weißen Reiterin, sich in eifrigen Vorbereitungen ergingen.

Der Angesprochene antwortete nicht, sondernheftetedie Augen auf die Frau, die nun arglos denHügelumrundete.

„Vergißniemals!“knurrte er.

DerHimmelwar klar und rein, doch bald zog dieDämmerungherauf, und die Reiterin hüllte sich,in Gedanken versunken, tiefer in den weißenMantel.Darumstürzte sie fast vomPferd, als Selinierschreckt stieg und nervös vor einer dunklen Gestalt auf demBoden hin und her tänzelte.A‘Sarblickte auf das Bündel, daszusammengekrümmtauf demBoden lag.Ein Mensch?Sie ließ Selinieinige Schritte rückwärts weichen, verhielt die Stute dann und faßte besorgt zu dem Lederbeutelchen, das zwischen ihren Brüsten unter demStoff ihres Gewandes lag. Durch die Seide ertastete sie den kleinen, harten Gegenstand und war beruhigt. Sie blickte sichmißtrauischum.Warhier Blut geflossen?Wares eine Falle?EinenMomentlang erwog sie, einfach weiterzureiten, umden kostbarenDiamantennicht in Gefahr zubringen.Doch der Körper des Mannes lag wie leblosda, undA‘Sarvertraute ihren Kräften.

Selini wand sich schnaubend unter demZügel, wurde vonA‘Sarjedoch eisern zumStillstandgebracht. „Eine novadische Shadif fürchtet sich?Das sage ich Rastullah ...“ sieschmunzelte,schlang dann die Zügel durch den Sattelringund ließ sich vorsichtig hinuntergleiten. DieSchimmelstutelief sofort auf demWegzurück, außer Reichweite.A‘Sarfluchte leise einige brüskeBeleidigungen und näherte sich dann der Gestalt auf demBoden.Es soll hier Straßenräubergeben.Vorsorglich legte sie die rechte Hand an die linke Schulter undsammelteihre Gedanken für einenZauber. Sie stupstemitdemFuß in das reglose Bündel, keuchte imselben Augenblick entsetzt aufund verlor das Gleichgewicht, als der Mann sie zahnlos angrinste und ihr Bein hochriß.

Der Aufprall raubte ihr denAtem,und schon war der Mann über ihr.Wiein weiter Ferne hörte siegaloppierenden Hufschlag und derbetulamidischeFlüche. Sie spürte, wie ihreArmevon starkenHänden neben ihremKopf in eisernemGriff gehalten wurden, ihre Konzentration für denIgnifaxius, den sie hatte wirken wollen, zerstob inSchmerzen.Sie roch den stinkenden Atemundden Schweiß, sah nur die grinsendeGrimasseüber sich. Panischstemmtesie sich gegen dasGewicht des Mannes, umihn beiseite zu wälzen, dochmitfast spielerischer Leichtigkeit hielt er sie,bis ihre Kräfte versiegten und sie schlaff zurückfiel.

„Woist dein Herr, Schönchen?“ Der Gestank verschlug ihr fast den Atemund sie wandte keuchenddas Gesicht ab. Der Mann hielt ihreArmemiteiner Hand und packtemitder anderen ihr Kinn,drehte ihren Kopf brutal zurück. „Siehmichan,Weib!Woist dein Herr?Ein so feines Mädchen istihmdoch sicher fünfzig Maravedis wert!“ Er lachte rauh, und ein weiterer Mann, den sie jetzt erstbemerkte,stimmteein. „Ob ermerkt,wenn sein Besitz etwas ... abgenutzt ist?“A‘Sarsah, wie derMann sich die fiebrigen Lippen leckte.Wiedererklang heiseres Lachen, gierige Blicke suchtenihren Körper. Die beidenmußtenVerstoßene derWüstenvölkersein, die wegen niedererVerbrechen ihreStämmehatten verlassenmüssen.

Zorn durchfluteteA‘SarsGeist.Fünfzig Maravedis!Unter demGriffschmerztenihreArme,und siespürte Blut ihr Kinn hinabrinnen.Fünfzig jämmerliche Maravedis!Der Zorn wallte in ihrempor,machtesie blind und raubte ihr fast das Bewußtsein. Sie verdrehte ihre Hand, ertastete dasHandgelenk des Kerls und stieß ihmausschmerzenderKehle ein krächzendes „HÖLLENPEIN!“entgegen.

Der Mann starrte ihr ungläubig in die Augen, als die ersteWellederSchmerzenseinen Leibdurchzuckte. Die Magierin spürte, wie sich sein Körper wieder und wieder über ihrverkrampfte,seine Nägel gruben sich in ihre Handgelenke, und sie schrie auf. Sie wand sich verzweifelt, umfreizukommen,und seineverkrampftenKrallenhinterließeneine blutige Spur auf ihremArm.

EineWaffezischte, gleißender Stahl fuhr an ihrvorbei, als sie zur Seite kroch. Neben ihr war einKeuchen zu hören, als die Klinge in den Leib eines Räubers fuhr, dann hörte sie ihn röcheln.A‘Sarwarf sich herumund sah, daß einevermummteGestalt, in jeder Hand ein Schwert, gerade demzweiten Kerl eine seinerWaffenin den Körperrammte,der daraufhin ebenso zu Boden fiel wie seinKamerad.

A‘Sartastete nach demkleinen Dolch an ihrer Seite, doch als sie dort nur einen Riß in ihrer Robespürte, wich sie verzweifelt vor demMann zurück, der nunmiterhobenen Schwertern auf siezukam.DerKämpfersteckte klirrend ein Schwert nach demanderen in die Scheiden auf seinemRücken zurück. „Du hast vonmirnichts zu befürchten, Frau. Ich habe einen Schwur getan,HilflosenmeineHilfe zu gewähren, nicht, sie zu berauben. Aber sprich:Werbist du, und wo istdein Herr?“ Die Spannung wich ausA‘SarKörper, und sie ließ sich zurückfallen und lachte – daßihr auch alle Männer die gleiche Frage stellenmußten!Sie lachte, bis ihr die Tränen in die Augenstiegen, lachte, bis sie sich fragte, worüber sielachte, während sie hier dreckig und blutend im Staub saß.

Sie richtete sich auf und strich sich die Haare aus demGesicht. Als sie aufsah, traf ihr Blick den desVermummten,der abzuwägen schien, ob sie über ihn lachte, über seinen breiten garethischenAkzent oder ob sie, wie diemeistenFrauen, vollends krank imGeiste sei.

Mit zitternden Hand berührte sie erst Stirn, dann Lippen, eine Geste, die daheimin Fasar Begrüßungs– oderZustimmungsformelwar, und sprach dann, das Zittern ihrerStimmeunterdrückend: „Ich binmeineigener Herr.“

„KeinWeibist sein eigener Herr“, sprach derVermummte,nachdemer ein Feuer entzündet, seinKamelabgesattelt,Wassererhitzt hatte und nun ihren Armverband. „Es sei denn, sie wäre SharisadoderAchmad‘sunni!“Er griff den fetten Leib einer Schlange vomPacksattel und ließ ihn vor ihr zuBodenfallen–A‘Sarwich erschreckt zurück. Seine Augen blitzten verächtlich. „Sie ist tot.“ Siebetrachtete den leblosen Körper, der nicht, wie die toten Straßenräuber flußaufwärts,mitdenSchwertern getötet schien.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht kochen.“ Der Mann schaute ein wenig ungläubig drein, schüttelte verwundert den Kopf. Dann nahmer schulterzuckend die Schlange und schlitzte siemitseinemDolch auf. „Ich sagte es dir bereits,Fremder.Ich habe keinen Herren. Ich habe Sklaven, diesolche Arbeiten fürmichverrichten.“

A‘Sarbetrachtete imflackernden Schein des Feuers die Verbände an ihrenArmen.„In einer solchenSituation scheintmirdie Anwendung desHöllenpeinnicht ungefährlich“,murmeltesie in sichhinein.

„Ja, niederhöllisch gefährlich, wenn einWeiballein,ungeschütztundoffensichtlichmitvielGoldinden Taschen die Straßen entlangreitet“, stieß der Mann hervor. „Besonders bei einer so schwachen Frau wie dir.“ Ermustertesieaufmerksam,während siemitNadel und Faden ihre Robe richtete.„Du bist keineAhmad‘sunni.Du könntest eine Sharisad sein. Aber du bist nicht schön genug.“ Sieblickte ruckartig auf und spürte wieder den heißenZorn in sich aufwallen. Arglos fuhr er fort:

„Nun, du bist wahrlich auch nicht häßlich, aber eine ordentliche Frau hat schwarze Haare, und braune Augen.“ Er warf ihr einen fast scheuenBlick zu. „Und nicht ... weiße.“ Sie blickte wieder auf ihre Nadel und fluchte, als sie sich indenFinger stach. Ein Tropfen Blut quoll hervor. Siesteckte den Finger gedankenverloren in den Mund und lutschte daran. Als sie wieder aufblickte, sah sie, wie er siemißtrauischbeobachtete.„Wenigstensdein Blut ist rot.“

DerKämpfergarte die Schlange vorsichtig inseinerPfanne. Zwischendurch fuhr erimmerwiedermiteinemLappen über die Schwertklinge, umsie zufetten. Verstohlen beobachtete er die Frau, diesichumständlichmühte,den Riß in ihremKleid zu flicken. Viel Erfahrungmitder Nadel hatte sieoffenbar nicht, denn die weiße Seide war inzwischenmitblutigen Flecken bedeckt, ihr Fingerzerstochen. Ermustertesie aus demSchutz seiner Tücher. Sie war ihmeinerseitsunheimlich,andererseitsmochteer die Augen nicht von ihr wenden, denn sie war so wunderschön wie dieHerrinnen der Djinnen aus den Märchen. Er erinnerte sich seiner eigenenWorte,die er vorhingesprochen hatte: daß sienämlichnicht schön sei. Doch wie er sie so betrachtete, war ihr Anblickwohl imersten Augenblick nur zu seltsamund irritierend, umdie Schönheit wirklich zu bewundern. Das schneeweiße Haar bewegte sich so leicht imWind,als hätte es kein Gewicht oder ... unterlägenichtSumusallesumfassendemGriff. VoneigentümlicherFarbe waren auch die Augen, doch Yetomeinte,daß sie wohl von hellemBlau seinmüßten.Der Körper wirkte sehr zerbrechlich undschwach, und der Mann hatte den Eindruck, daß die helle Haut fast durchscheinend war. Ihr Alter war schwer zu schätzen, denn die Augen wirkten, als hätten sie schon viele Dinge gesehen, die den verklärenden Schleier der Jugend zerrissen hatten, doch Yeto entschied, daß sie keinesfalls über dreißigSommerzählen konnte, eher fünfundzwanzig.

Er begegnete ihremBlick und konnte seine Augen nichtmehrlösen, das regenbogenfarbeneFunkeln hinter den hellen Iriskreisen zog ihn in den Bann. „Ich bin Magierin.“ Er sah sie lächeln, und wurde das Gefühl nicht los, in die Falle getappt zu sein. Er bot all seinenWillenauf, sich ausihremNetz zu lösen, und Schweißperlen traten auf seine Stirn, doch war es ihr Blick, der ihn freigab. Er schlug verwirrt die Augen nieder.„MannenntmichA‘Saral‘Abastra.IchkommeausFasar.“Wiederheftete sie ihre Augen auf ihn.„Werbist du?“ forderte sie.

Sein Blick hielt demihren stand, als er sagte: „Ichbin Yeto sal Dschadir vomOrden deral‘Sajid.“Doch er hatte dasunbestimmteGefühl, daß sie das bereits wußte.

A‘Sarverspürte eine Unrast, die sie kaumstillhalten ließ. Sie hattefrühweiterreisen wollen.Mißmutigsah sie aufzu demfinsterenHimmel,der eigentlich den Mittag darstellen sollte. Aus dengrauenWolkenmassenergossen sich schwereStröme,diemitspülten,wasmitzureißenwar. Nurgut, daß der Krieger einen Platz gefunden hatte, der relativ trocken blieb. Mit einemgrellen Blitz zerrissen dieWolkenwiedereinmal,das trostlose Land flackerte einige Augenblicke lang ingleißendemWeiß.A‘Sarerschien es, als blicke sie aus unendlicher Ferne aufSumusLeib; sie sahdie feuchten Flußniederung des Gadang nicht weit imWesten,der sich nunimmerschneller durchsein uraltes Bett wälzte. Das Bild schien unwirklich. Dannumfaßtesie wieder die Dunkelheit, undknallender Donner folgte.

Sie hatten auf demOstufer gelagert, dort, wo sichdie Straße durch die Auen schlängelte, die der Gadang alljährlich wieder überspülte. Diese Frühjahrsfluten – die imnächsten Mond, imPhex, den Fluß unpassierbarmachenwürden – hatten dazu geführt, daß sich einmeilenbreitesBand vorFruchtbarkeit strotzenderWiesenund Felder entlang des Gadang zog, bis sich die Hügel imOstensteil in Richtung des Gor–Plateaus, imWestenzu den vielgepriesenenWeinhügelnMhanadistansaufwarfen. So hattenA‘Sarund der Verhüllte noch durch die feuchtenWiesenhastenmüssen,bissie die Hügel erreichten, diemitspärlichen, aber weit ausladendenBäumenund dornigenSträuchern wenigstens etwas Schutz vor denRegenmassenboten.

A‘Sarging zurück in den Schutz derBäume.Ihre Kleider waren durchgeweicht, undallmählichkroch ihr Eiseskälte in die Glieder. Sie hockte sichan die trockenste Stelle und fuhr sich wiedermitden Händen über die Robe.

„Ohne Seife, Bürste, Bad ...“murmeltesie dabei. Nur gut, daß der Zauber Leib und Robe nicht nurreinigte, sondern auch trocknete. Doch ein neuerlicherWindstoßfuhr heulend unter die Zweige undschüttelte sie tüchtig durch, so daß die Tropfen, die das Blätterdach bis jetzt abgefangen hatte, herunterprasselten.A‘Sarschloß die Augen.Wasmachtees schon?

Yeto saß die ganze Zeit still und ergeben in seine Regenhaut gewickelt auf einemFleck. Seine Tücher verbargen sein Gesicht nun fast vollständig.A‘Sarkauerte sich ebenfalls hin und zog dieWachshautüber denKopf.Sollten sie hier doch sitzen, bis Rohal wieder unter den Lebendenweilte!

Yeto beobachtete dieBäumeund die Schatten dazwischen. Er fühlte sich unwohl, und diesesGefühl überwand er ambesten dadurch, daß er sich davon überzeugte, daß alles in Ordnung war. Er war froh, daß die Magierin nuneinmalstillsaß – gerade hatte sie sich noch wie besessen gebärdet.

Nun schien sie nichteinmalmehrzu wissen, daß er neben ihr hockte, sah nicht auf, sprach keinWort,schien überhaupt fast zu schlafen.

In ihrer Gegenwart beschlich Yeto eineseltsameVerwirrung, wenn er sich dabei ertappte, wie erüber eine ihrer Gesten lächelte, ihren Augenaufschlag versonnen bewunderte oder die Art, wie sie ihr weißes Haar zurückstrich. Frauen waren denal‘Sajidzwar nicht verboten, doch einer solchenwar er noch nie begegnet. Er kannte starke undaufrechteAchmad‘sunni,die wie er das Schwert zuführen wußten, verspielte und koketteSharisadim,die der Göttin RahjamitihremTanz huldigten,Hausweiber und Handwerkerinnen, Sklavinnen und Freie – doch keine war so ... zerrissen ... wieA‘Sar.Ihre Laune konnte von einemMomentzumnächstenumzuschlagen,als wohnten zweiSeelen in ihrer Brust.

Yeto fühlte einseltsamesKribbeln zwischen den Schulterblättern und erstarrte. Er sah sichvorsichtigum.Wardort, imDunkel derBäume,