Dublin. Grafton Street - Ralph Ardnassak - E-Book

Dublin. Grafton Street E-Book

Ralph Ardnassak

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Beschreibung

Ein Arbeitsloser fliegt mit Frau und Schwiegereltern nach Dublin, um dort seine Tochter abzuholen. Dublin: das ist der Ort der Kämpfe des Osteraufstandes von 1916 und die Geburtsstätte der IRA - Ereignisse, mit deren menschlicher Tragik er an den historischen Orten in der Stadt immer wieder konfrontiert wird. Wird Dublin die Endstation für ihn?

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Ralph Ardnassak

Dublin. Grafton Street

Roman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Is cuma nó muc fear gan scéal.

Ein Schwein und ein Mann ohne Geschichte sind das Gleiche.

Arbeite als ob Du kein Geld verdienen müsstest.Liebe als ob Du nie verletzt wurdest.Tanze als ob niemand Dir zusieht.

Irisch

2

Edinburgh im Jahre 1868. Schottisch-gälisch nennt sich die Stadt Dùn Èideann, amtlich jedoch City of Edinburgh. Seit der Ermordung Jakobs I. im Jahre 1437 hat die Stadt Perth als offizielle Hauptstadt Schottlands abgelöst.

Die Metropole liegt an der Ostküste des Landes und an der Südseite des Firth of Forth.

Während Sir Walter Scott die Stadt romantisierend „My own romantic town“ nannte, trug sie auch offiziell den Beinamen „Auld Reekie“, was „Alte Verräucherte“ bedeutet und auf die Anwesenheit dutzender qualmender Fabrikschlote zurückgeht.

Bereits um diese Zeit, kurz vor der Jahrhundertwende, ist die Stadt ein gewaltiger Schmelztiegel. Es finden sich hier Angehörige diverser Nationalitäten und Stämme, so leben neben einer Majorität aus Schotten viele Iren, Deutsche, Polen, Italiener, Ukrainer, Pakistaner, Sikhs, Bengalen, Chinesen und Briten eng beieinander und miteinander.

Aber noch heute besuchen katholische und protestantische Kinder getrennte Schulen innerhalb des Stadtgebietes.

Es ist das Zeitalter des hemmungslosen und vollkommen empathiefreien Manchesterliberalismus. Wirtschaftstheoretiker wie Richard Cobden und John Bright proklamierten den Freihandel, weil sie in ihm den einzig möglichen Schlüssel zur Steigerung des Wohlstandes sahen. Eingriffe des Staates in die Belange der Wirtschaft, vor allem in Gestalt der Fabrikgesetze, die die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden beschränkten, die Frauen- und Kinderarbeit reglementierten, wurden massiv bekämpft, weil sie angeblich zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen würden.

Es war in etwa die Zeit des Londoner Exils von Karl Marx. Die Zeit, in der er sein Hauptwerk der wissenschaftlichen Kritik des Kapitalismus, „Das Kapital“ und damit seine Mehrwerttheorie vorbereitete.

Darüber hinaus war es eine Zeit der hemmungslosen Ausbeutung der Ware Mensch in den Fabriken der Engländer. Es war eine Zeit der Polarisierung, in der die Reichen schnell immer wohlhabender und einflussreicher, die Armen und Ausgebeuteten allerdings immer zorniger und sich ihrer entwürdigenden Lebensumstände immer stärker bewusst wurden. Es war eine Zeit der ohnmächtigen Wut, die in den rußverschmierten Gesichtern unter Tage oder in den Fabriken heranwuchs. Einer Wut, die nach einer Rechtfertigung für ein gewaltsames Handeln suchte, nach einer Theorie, die sie endlich legitimieren würde.

In dieser Zeit und in dieser Stadt wurde am 5. Juni 1868 James Connolly, irisch Séamas Ó Conghaile, als Sohn irischer Einwanderer geboren.

Gut neun Jahre zuvor war ein anderer Mann zur Welt gekommen. Ein Brite und ein Angehöriger der Oberschicht, begütert und privilegiert, ein Mann, dessen Befehl später einmal das Leben Connollys beenden würde. Dieser Mann war ein gewisser John Grenfell Maxwell. Er erblickte das Licht dieser harten und ungerechten Welt am 13. August 1859 in Toxteth Park, Liverpool.

Im Alter von 20 Jahren trat Maxwell beim 42nd Royal Highland Foot der British Army bei und begann damit eine standesgemäße und angemessene Laufbahn.

1882 nimmt er mit seiner Einheit an einem Feldzug zur Niederschlagung des Urabi-Aufstandes und zur Besetzung Ägyptens teil. Hier kämpft er in der Schlacht von Tel-el-Kebir.

In der Zeit des Neuaufbaues der ägyptischen Armee von 1883 bis 1885 nimmt er die Funktion eines Hauptmannes der Militärpolizei wahr.

Gleichfalls nahm er im Stab des Sirdars Francis Grenfell an Garnet Joseph Wolseleys bekannter "Gordon Relief Expedition" zur Rettung von Gordon Pascha und zum Entsatz von Khartum von den Mahdisten im Sudan teil. Von 1885 bis 1889 war er an den Kämpfen gegen die Mahdisten als Adjutant des Sirdar beteiligt. Im Jahre 1892 heiratete Maxwell schließlich Louise Selina Bonynge.

1896 wurde die Anglo-Egyptian Nile Expeditionary Force unter dem Kommando von Horatio Herbert Kitchener, 1. Earl Kitchener of Khartoum and of Broome, dem späteren Kriegsminister, in Marsch gesetzt, um den gefürchteten Mahdi-Aufstand endlich niederzuschlagen und den Sudan zurück zu erobern. Maxwell nahm an dieser strategischen Aufgabe als Brigadekommandeur teil. Während der Schlacht von Firket befehligte er die 3. Brigade. Während der späteren Schlacht von Atbara die 1. Ägyptische Brigade. Während der Schlacht von Omdurman kommandierte er schließlich die 2. Brigade. 1897 wurde Maxwell zum Kommandeur von Nubien und 1898 zum Kommandeur von Omdurman ernannt.

In den Jahren von 1900 bis 1902 finden wir Maxwell dann als Kommandeur der 14. Brigade im Burenkrieg.

1900 wird Maxwell Militärgouverneur von Pretoria und West Transvaal. In der Folge wird er dafür mit dem Knight Commander of the Order of the Bath und dem Companion des Ordens St. Michael und St. George ausgezeichnet. Obwohl er engere Beziehungen zur südafrikanischen Propagandistin, Spionin, Prophetin und Schriftstellerin Johanna Brandt unterhielt, übte er dennoch sein Amt mit der geforderten Härte und Unnachgiebigkeit aus.

Im Jahre 1902 wurde Maxwell zum Stabschef zum Stabschef des III. Armeekorps in Irland ernannt.

Von 1904 bis 1908 diente Maxwell, gemeinsam mit dem Herzog von Connaught in Irland, in London und auf Malta.

In dieser Eigenschaft wurde er im Jahre 1907, bereits im Range eines Generalmajors, zum Stabschef des Herzogs von Connaught und zum Oberbefehlshaber im Mittelmeer.

Während der Jahre von 1908 bis 1912 finden wir Maxwell als Kommandierenden General in Ägypten.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Maxwell für kurze Zeit an die Westfront abkommandiert, wo er als Chef der britischen Mission bei der Französischen Armee diente.

Zwischen September 1914 und 1916 befehligte Maxwell die alliierten Truppen in Ägypten und verteidigte erfolgreich den Suez-Kanal. Für diese militärische Leistung wurde er zum Knight Commander des Ordens St. Michael und St. George ernannt.

1916 entsandte man Maxwell als Oberbefehlshaber nach Irland, eine Aufgabe, der er sich ohne jegliche Art von Skrupel widmen sollte, gewohnt daran, jeglichen Aufstand mit Waffengewalt niederzuschlagen.

Zu seiner entfernteren Verwandtschaft zählte die irische Nationalistin Constance Georgine Markiewicz, Countess Markiewicz, geborene Gore-Booth, dennoch war er keineswegs geneigt, sich auch nur annähernd mit der aktuellen politischen Situation in Irland und deren Hintergründen, auseinander zu setzen.

In Irland war inzwischen der Osteraufstand ausgebrochen. Ein Versuch, der Republikaner, die Unabhängigkeit von Großbritannien mit Waffengewalt durchzusetzen.

Maxwell hatte durch den damaligen britischen Premierminister Herbert Henry Asquith, genannt „H. H. Asquith“, den Befehl erhalten, den Aufstand umgehend im Keim zu ersticken.

Ohne über die möglichen politischen Konsequenzen nachzudenken, liquidierte Maxwell den Osteraufstand gewaltsam. Die gefangengenommenen Kommandeure der irischen Republikaner ließ er im Kilmainham Gaol, dem Dubliner Militärgefängnis, exekutieren.

Sobald die Exekutionen in der Öffentlichkeit bekannt wurden, kippte allerdings die Stimmung zu Gunsten der irischen Republikaner.

Der Osteraufstand gilt seither als der Wendepunkt in der Geschichte Irlands, der die Geburtsstunde der Irish Republican Army, IRA und den Beginn des langen und blutigen Weges bis zur Unabhängigkeit von Großbritannien zugleich markiert.

Für seine militärischen Erfolge zwischen 1916 und 1919 wurde Maxwell schließlich zum Knight Grand Cross of the Order of the Bath erhoben und diente als Oberbefehlshaber des Kommandos Nord in York.

Im Jahre 1919 wurde er zum General befördert.

1922 nahm er seinen Abschied von der Truppe und bereiste ausgiebig den nahen Osten.

Er starb, hoch dekoriert und geadelt, im Jahre 1929 als Sir John Grenfell Maxwell KGCB KCMG in Kapstadt.

Er zeichnet verantwortlich für alle 15 Hinrichtungen, die geheim in der Zeit zwischen dem 3. und 15. Mai 1916 durch Erschießen vollstreckt wurden und damit für den Tod an Thomas J. Clarke, Eamonn Ceannt, Cornelius Colbert, James Connolly, Edward Daly, Sean Heuston, Thomas Kent, John MacBride, Sean MacDermott, Thomas MacDonagh, Michael Mallin, Michael O'Hanrahan, Patrick Pearse, William Pearse und Joseph Mary Plunkett.

3

Er saß oben in seinem Arbeitszimmer, das vollgestopft war mit alten, deaktivierten Jagdwaffen und mit alten Büchern, alles Dinge, die er sehr liebte, während seine Frau unten die Reise vorbereitete, die Koffer packte und immer wieder mit ihren Eltern darüber telefonierte, wie viele Koffer mitgenommen werden sollten und wo der Treffpunkt sein würde.

Er aber saß allein oben, in seinem Arbeitszimmer, vor dem PC. Er surfte im Internet. Er war auf der Website von youtube.com und er hörte sich dort immer wieder die Hymne der IRA an, The official Anthem of the IRA. Er klopfte den Rhythmus mit dem rechten Fuß mit, der in einem übel nach Fußschweiß stinkenden und fleckigem Filzpantoffel steckte:

„In aid of men like Connolly, Barney an McCannTo fight and die until they drive the British from our landsYoung and old side by side fighting day by dayThey are the Army of the People - the Official IRA…”

Entschlossen klimperte ein Banjo die alte, aber scheinbar immer noch aktuelle Hymne und noch entschlossener schien die Stimme des Sängers zu klingen, der das Lied intonierte. Ihm wurde bewusst, dass der Takt für einen Marschschritt gemacht worden war. Und der Gedanke, an der Spitze einer Formation zu diesen Klängen und im Jubel einer riesigen Menschenmenge eine Straße hinunter zu gehen, eine schwarze Motorradkappe über dem Kopf, die ihn somit unkenntlich machte und in einer gefleckten Tarnjacke, die MPi geschultert und die rechte Hand erhoben und zu Faust geballt, ließ ihm Schauer der Begeisterung über den Rücken laufen und überzog seine beiden Arme mit einer dichten Gänsehaut.

Immer wieder hörte er den kraftvollen Marschgesang zu dem Banjo, und obwohl der Song nur knapp zweieinhalb Minuten ausmachte, rief seine Frau schon ärgerlich von unten die Treppe hinauf: „Na fein! Der Herr hört sich schon wieder Musik an und ich kann alleine packen! Der Herr Arbeitslose ist ja derart intensiv beschäftigt, dass er seine voll berufstätige Frau auch noch als Putze und Packerin benutzen muss!“

Er versteckte das Bier, das er sich heimlich eingeschenkt hatte, damit sie nichts davon bemerkte, hinter dem Bildschirm seines Computers und schaltete den Song aus. Das Banjo und die kraftvolle Stimme verstummten.

Bereits seit seinen Kindertagen sagte man ihm einen geradezu fanatischen Gerechtigkeitssinn nach. Und seit seiner unerwartet eingetretenen Arbeitslosigkeit engagierte er sich stärker denn je für alles Unterdrückte und Ausgegrenzte, für jeden, der gegen das System der Profitmacherei aufbegehrte. Warum, das wusste er selbst nicht zu sagen. Vielleicht deswegen, weil er sich selbst für einen Unterdrückten und Ausgegrenzten hielt, für jemanden, der gerade dabei war, durch alle sozialen Maschen dieser Gesellschaft zu fallen.

So hatte er sich während der freien Zeit, die er ja nun reichlich zur Verfügung hatte, gründlich mit der Geschichte der RAF und der IRA beschäftigt. In romantisierender Schwärmerei identifizierte er sich in Tagträumen, während er sein Bier trank, mit den Mitgliedern beider Organisationen. Die IRA war ihm schließlich sympathischer. Warum, wusste er nicht zu sagen. Vielleicht, weil sie nicht geschlagen worden war, nicht besiegt und zu einem unrühmlichen Ende gekommen, wie die RAF.

Er schrak zusammen. Seine Frau war die Treppe hinauf gekommen und stand nun in herausfordernder Haltung auf der Schwelle des Arbeitszimmers.

„Glaub ja nicht, dass ich Deine Schmutzwäsche wasche!“, rief sie in den Raum. Er spürte so etwas wie Angst in sich aufsteigen, Angst vor weiteren Sanktionen; Angst, dass sie ihn einfach verlassen könnte.

„Du hattest Zeit genug, Deine Wäsche zu waschen!“, fuhr sie in anklagendem Ton fort: „Und was hast Du getan? Nichts! Die Dachrinne wolltest Du auch längst sauber machen und das alte, schmutzige Bad wolltest Du sanieren lassen! Du wolltest dieses Haus! Ich wollte es nicht! Ich hab Dir von Anfang an gesagt, dass ein Haus mit andauernder Arbeit verbunden und ein Geldgrab ist! Du hast es gewusst und Du hattest mir versprochen, mich nicht mit all der Arbeit allein zu lassen. Aber, was machst Du nun? Gar nichts machst Du! Nichts weiter jedenfalls, als Bier zu saufen und den ganzen Tag vor dem Computer herum sitzen, um Dich selbst zu bedauern! Ich ertrage das nicht länger! Hörst Du, was ich sage? Ich ertrage das alles nicht länger!“

Er saß stumm und bewegungslos am Schreibtisch und er starrte nur auf den blau schimmernden Desktop seines Computers.

Die Frau, die immer noch in der Tür des Arbeitszimmers stand, hatte sich jetzt in eine Art von Raserei hineingesteigert.

„Alles hier ist schmutzig und verdreckt!“, schrie sie: „Schmutzig, verdreckt und verkommen! Genau, wie Du! Ich habe es satt! Ich ertrage es nicht mehr! Diese Ehe ist für mich ein und für alle Mal beendet!“

Nachdem sie es heraus geschrien hatte, zog sie sie sich den breiten goldenen Ehering vom Finger und warf ihn wütend in den Raum. Es gab ein leises, durch den Teppich gedämpftes Lingen und der goldene Ehering rollte über den Teppich und kam an der Scheuerleiste unter dem Bücherregal zum Stillstand.

Während er sie die Treppe hinunter laufen hörte, hielt er voller Angst den Atem an. Es war die Angst, sie könne ihn nun endgültig verlassen und seiner Einsamkeit ausliefern. Es war eine Angst, vergleichbar derjenigen, wie sie kleine Kinder empfinden, die nachts allein und im Dunkel des Zimmers zurückbleiben müssen, während die Mutter fortgegangen ist, unerreichbar, um sich irgendwo, fern im Ungewissen zu vergnügen. Es war eine Angst, wie sie vielleicht ein Mensch empfinden musste, der nach einem Atomkrieg allein und als letztes Lebewesen auf der Erde zurück geblieben war. Das allerletzte lebende Individuum auf dieser Welt, ja, vielleicht in diesem Universum.

Doch, obwohl er diese furchtbare, nagende Angst in sich verspürte, so wagte er es dennoch nicht, ihr hinterher zu laufen und sie aufzuhalten. Aber er lauschte, ängstlich und mit angehaltenem Atem, ob sie die Eingangstür hinter sich zuschlagen würde. Zu seiner beinahe grenzenlosen Erleichterung hörte er nicht das harte Schlagen der schweren Eingangstür. Er wusste, sie würde jetzt unten in der Küche sitzen, um zu rauchen. Und nach einer Weile hörte er, wiederum erleichtert, wie sie damit fortfuhr, die Koffer zu packen.

Er war vollkommen von ihr abhängig und sie wusste das. Er hing an ihr, wie ein ungeliebtes Kind an seiner Mutter, um deren Liebe es Tag um Tag kämpft, sie aber dennoch niemals erreichen wird.

Er war eine verlorene Seele, die einsam und gebrochen irgendwo im Dunkel des Seins herumgeisterte um dort vergebens darauf zu warten, irgendwann einmal erlöst zu werden.

4

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts suchten Missernten und Hungersnöte immer wieder die Menschen in Irland heim. Die englischen Herren regierten mit Repressalien.

In der Folge schrumpfte die Bevölkerung von gut 6,5 Millionen beträchtlich.

Etwa 80 Prozent der Iren waren auf die Kartoffel als einziges Nahrungsmittel angewiesen. Die gnadenlose Politik der britischen Großgrundbesitzer und die ausbrechende Kartoffelfäule führten zur großen Hungersnot von 1845 bis 1849. Ungefähr 1,5 Millionen Iren verhungerten. Viele wanderten nach Amerika aus. Trotz der dramatischen Zustände verschleppten die britischen Behörden bewusst alle Maßnahmen, die zur Eindämmung der Hungersnot hätten getroffen werden können.

Die Große Hungernot ging als Great Famine oder Irish potato famine, irisch An Gorta Mór, in die Geschichte ein. Die damals noch neuartige und weitgehend unbekannte Kartoffelfäule, Phytophthora infestans, eine Pilzerkrankung, führte zu zahlreichen Kartoffelmissernten und vernichtete das Hauptnahrungsmittel der irischen Bevölkerung.

Während gut 12 Prozent der irischen Einwohner in der Folge verhungerten, gelang etwa 2 Millionen die Auswanderung.

Wo liegen die Ursachen und die Vorgeschichte dieser tragischen Ereignisse, die oft als „Irish Holocaust“ bezeichnet wurden?

Seit 1541 steht das Land vollkommen unter britischer Herrschaft. Der Grund und Boden Irlands gehört englischen Großgrundbesitzern. Bereits unter Heinrich VIII. hatte es sogenannte „Plantanions“, Anpflanzungen, Ansiedlungen, gegeben. Historische Maßnahmen Großbritanniens, um englische und walisische Einwanderer auf Großbritanniens Nachbarinseln anzusiedeln und diese damit zu kolonisieren.

Besonders unter Elisabeth I. wurden die Versuche intensiviert, britische Siedler nach Irland zu verbringen. Dies geschah insbesondere in den fruchtbaren und ertragreichen Landstrichen der heutigen Counties Offaly und Laois sowie in Munster und Ulster.

Allein das Gebiet um Connacht blieb verschont, weil es sich für eine intensive Landwirtschaft nicht eignete.

Nach der irischen Niederlage im neunjährigen Krieg, 1594 bis 1603, der auch als Tyrone's Rebellion bekannt wurde, flohen die irischen Earls, um der drohenden Inhaftierung zu entgehen. Flight of the Earls, irisch Imeacht na nIarlaí oder Teitheadh na nIarlaí, bezeichnet die Flucht des mächtigen Earls Hugh O'Neill (2. Earl of Tyrone) und Rory O'Donnell (1. Earl of Tyrconnell) gemeinsam mit ihren Angehörigen.

Diese Flucht gilt allgemein als das Ende der gälischen Aristokratie in Irland.

Nun wurden englische und schottische Bauern protestantischen Glaubens in der Region von Ulster angesiedelt.

Elisabeth I. von England setzte im Jahre 1600 Lord Mountjoy als neuen Lord Deputy in Irland ein. Mountjoy veranlasste im Norden Irlands die vollständige Vernichtung der Ernten und ließ die Viehherden beschlagnahmen, um den Aufständischen ihre Nahrungsgrundlagen komplett zu entziehen.

Diese Ansiedlungen sollten als eine der Hauptursachen für den heutigen Nordirlandkonflikt in die irische Geschichte eingehen.

Der Grund und Boden Irlands gehörte also seit den Plantanions den protestantischen englischen Großgrundbesitzern, während die katholischen irischen Bauern als kleine Pächter das Land der Großgrundbesitzer bearbeiten dürfen, um darauf Getreide und Kartoffeln anzubauen und kleine Mengen an Vieh zu halten.

Getreide und Vieh dienten als Pachtzahlung an die Großgrundbesitzer und wurden nach England verbracht, während die einfach, schnell und billig anzubauenden Kartoffeln das Grundnahrungsmittel der irischen Bevölkerung wurden.

Ein winziges Stück Land war ausreichend, um eine Großfamilie allein auf der Basis von Kartoffeln zu ernähren.

Im Gefolge der Katholikenemanzipation hatte die katholische irische Bevölkerung ab 1778 zwar das Recht erhalten, Land zu besitzen. Jedoch bestand dieses Recht nur auf dem Papier, da tatsächlich niemand über die Geldmittel verfügte, um Land erwerben zu können.

Weil inzwischen mehr als 70 Prozent der irischen Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten, wurde das zur Verfügung stehende Pachtland nun immer knapper. Eine Regierungskommission unter der Führung des Earls of Devon fand heraus, dass, um in Irland zu überleben, mindestens 8 Morgen Land bewirtschaftet werden mussten. Nur 7 Prozent aller in Irland verfügbaren Pachtgrundstücke waren größer als 30 Morgen, aber 45 Prozent waren kleiner als 5 Morgen. Außerhalb der Landwirtschaft gab es praktisch keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit, da eine Industrie faktisch nicht vorhanden war und Großbritannien die Etablierung industrieller Strukturen zielstrebig blockierte.

Der Kartoffelanbau und das in Irland damals übliche Gebaren, jung zu heiraten und stets viele Kinder zu bekommen, hatten zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion geführt, die die Knappheit von Pachtland noch verschärfte.

Viele Sprösslinge einer Familie hatten keine andere Option, als sich Brot und Kartoffeln zu stehlen oder sich dauerhaft als Häftlinge in den Gefängnissen des Landes aufzuhalten, wo es wenigstens 3 Mahlzeiten am Tag und ein Dach über dem Kopf gab. Es gab Jugendliche, die gezielt kleinere Straftaten begingen, um in die australischen Sträflingskolonien deportiert zu werden. Sie zogen ein andauerndes Leben in Unfreiheit dem Hungertod vor.

Die selbstgewählte Abhängigkeit von der Kartoffel führte zu einer weit verbreiteten Monokultur, mit all ihren Nachteilen. Dem Boden fehlte die Abwechslung durch den Anbau anderer Kulturen und er konnte sich in der Folge nicht mehr erholen, so dass auf Kartoffeln spezialisierte Erreger es leicht hatten, sich in den überstrapazierten Böden auszubreiten und diese großflächig zu infizieren.

Bereits lange vor 1845 hatte es in Irland erste, allerdings noch lokal begrenzte, Warnungen in Gestalt von Hungersnöten und Ernteausfällen gegeben.

1740 bis 1741 hatte bereits eine Hungersnot vergleichbaren Ausmaßes grassiert. Allein zwischen 1816 und 1842 zählte man 14 Kartoffel-Missernten in Irland.

Den Grund für diese fatalen Ereignisse sucht man heutzutage vor allem im Ausbruch des Vulkans Tambora auf der östlich von Java gelegenen Insel Sumbawa in Indonesien im Jahre 1815, ein Ereignis globalen Ausmaßes, das etwa 100.000 Opfer forderte und globale Klimaveränderungen, wie etwa das „Jahr ohne Sommer“ 1816, hervorrief.

Besonders auf der nördlichen Hemisphäre kam es infolge zahlreicher Missernten und einer erhöhten Sterblichkeit unter den Nutztieren zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts.

Gerade in Irland wurde durch Dauerregen der sandige, trocken-luftige Boden vernichtet, den die Kartoffel für ihr optimales Gedeihen reklamiert. Krankheitserreger wurden ausgeschwemmt und großflächig im Boden verteilt, eine Voraussetzung der sich anbahnenden Ernte-Katastrophe.

Im Jahre 1842 trat völlig unerwartet und zunächst in Nordamerika eine bis dahin unbekannte Erkrankung der Kartoffel auf, die die gesamte Ernte bedrohte.

Die Krankheit, die die Engländer als „Blight“ bezeichneten, wurde bald unter der Bezeichnung „Kartoffelfäule“ gefürchtet und bekannt. Es handelte sich dabei um eine Pilzerkrankung, die die Knollen verfaulen ließ und deren Sporen sich mit dem Wind verbreiteten. Diese Sporen gediehen besonders gut in kaltem, feuchten Klima.

Nicht alle Kartoffelsorten waren für diesen Pilz anfällig. Seinerzeit baute man in Irland jedoch nur zwei Kartoffelsorten an, die beide anfällig für den Pilz waren.

Demnach ideale Bedingungen für die Ausbreitung der Kartoffelfäule.

Aus Nordamerika gelangte der Pilz nach Europa, wo bereits für den Spätsommer 1845 Ernteausfälle bei Kartoffeln für die Niederlande, Belgien und Frankreich vorhergesagt wurden.

Ab August erkannte man auch in England Pflanzenschäden. Im September ließen in Irland Blattverfärbungen der Kartoffelpflanzen darauf schließen, dass auch die dortige Ernte betroffen sein könnte. Man hoffte jedoch darauf, dass der weitaus größte Teil nicht befallen sein würde.

Mit Beginn der Erntezeit, im Oktober, wurde jedoch offenbar, dass de facto die gesamte Kartoffelernte des Jahres vernichtet worden war.

Wo immer Menschen Not leiden und hungern, da ist die Politik gefordert, denn schließlich ist sie kein Selbstzweck, sondern dafür ins Leben gerufen, das Dasein der Menschen zu organisieren und erträglich zu gestalten, Leid abzumildern und Elend zu lindern, so zumindest sagt es die Theorie.

Die wirtschaftspolitische Maxime jener Zeit war das Prinzip des laissez-faire, wonach der Staat sich so wenig, als nur möglich, in wirtschaftliche Entscheidungen, in den Handel und die Regularien der Verteilung von Nahrungsmitteln einzumischen hatte.

Sinnvoll und angebracht wären wirtschaftspolitische Entscheidungen gewesen, die sich bereits bei früheren Missernten als zweckmäßig erwiesen hatten, wie beispielsweise ein Verbot des Exportes von irischem Getreide oder die Einschränkung der üblichen Destillation von Lebensmitteln zu Alkohol. Allein diesmal, unter der Ägide des laissez-faire, unterblieben solche wirtschaftspolitischen Entscheidungen vollständig.

Die europaweiten Missernten hatten gegen Ende der 40-er Jahre des 19. Jahrhunderts zu einer signifikant steigenden Nachfrage nach Weizen geführt und während viele europäische Länder unter dem Eindruck drohender Hungersnöte nun den Export von Lebensmitteln einschränkten oder sogar vollständig unterbanden, exportierten Irland und Großbritannien nun weit mehr Weizen als in den Jahren zuvor.

Während Hunderttausende Iren im Lande verhungerten, wurden während der fünfjährigen Notzeit gewaltige Mengen an Lebensmitteln außer Landes und nach England verbracht.

Der britische Premierminister Sir Robert Peel, 2. Baronet Peel of Clanfield, der als Begründer der Konservativen Partei gilt, ergriff im November 1845 zögerlich Gegenmaßnahmen, indem er ohne Zustimmung des Kabinetts für 100.000 britische Pfund Mais in den Vereinigten Staaten orderte. Dieser Mais sollte in Irland zu Selbstkosten verkauft werden. Tatsächlich jedoch wurde dieser Mais auf Anweisung der staatlichen Relief Commission zu Marktpreisen angeboten, so dass kaum ein Ire sich dieses Nahrungsmittel tatsächlich leisten konnte.

Die Relief Commission führte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein und koordinierte diese, während in der politischen Landschaft Großbritanniens ein Streit um die Abschaffung der Einfuhrzölle für Getreide, die sogenannten Corn Laws, entbrannte.

Als schließlich für das Jahr 1846 eine noch weitaus schlechtere Kartoffelernte prognostiziert wurde, konnte Premierminister Peel endlich die Abschaffung der Corn Laws durchsetzen, verlor jedoch die Unterstützung seiner Partei, so dass die regierende Tory-Partei durch die Whigs abgelöst wurden und John Russell, ein entschiedener Protagonist und Befürworter des laissez-faire, zum Premierminister gewählt wurde.

Die Whigs ignorierten das Hungersterben in Irland und fürchteten stattdessen eine zunehmende Abhängigkeit Irlands von Subventionen und staatlichen Hilfen.

Viele radikale Anhänger des Freihandels hatten inzwischen Sitze im britischen Parlament gewonnen, wo sie mit Nachdruck für eine Reduzierung der Staatsausgaben zu Gunsten des notleidenden Irlands votierten. Auf ihr Betreiben hin wurde die Relief Commission schließlich abgeschafft und Irland allein für die Finanzierung sämtlicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verantwortlich gemacht.

Das Wetter des Jahres 1846 gestaltete sich überaus ungünstig, so dass nun nicht mehr nur die Kartoffel-, sondern auch die Weizen- und die Haferernte schlecht ausfiel.

Ungeachtet dessen waren die kleinen irischen Pächter dazu verpflichtet, weiterhin die volle Pachtsumme zu entrichten und dazu Getreide und Vieh verkaufen, das nach England abtransportiert wurde.

Zeitgenossen berichteten davon, dass auf jedes Schiff, das Nahrungsmittel nach Irland brachte, mehrere Schiffe kamen, die Nahrungsmittel unter militärischer Bewachung aus Irland ausführten.

Pächter, die nicht mehr in der Lage waren, ihre Pachtsumme zu entrichten, wurden von Grund und Boden vertrieben, häufig wurden ihre Häuser abgerissen oder verbrannt.

Eine große im Auftrag der britischen Landlords angeordnete polizeiliche Vertreibungsaktion war „Ballinglass Incident“, wobei die etwa 300 Einwohner des irischen Dorfes Ballinglass, obwohl sie in der Lage gewesen wären, die Pacht zu entrichten, auf Betreiben der Großgrundbesitzerin Mrs. Gerrard, die auf den Ländereien eine Viehfarm errichten wollte, durch Polizei und Armee von ihren Ländereien vertrieben und ihre Häuser und Anwesen demoliert wurden. Den Nachbarn war verboten worden, den Vertriebenen Obdach zu gewähren.

So erging es Abertausenden.

Zwar war auch in Irland das englische Armengesetz „Poor Law“ seit 1838 offiziell eingeführt worden, jedoch sah dieses Gesetz keinerlei direkte materielle Hilfe für die Hungernden und Notleidenden vor.

Allein in den fürchterlichen „Work houses“, den Armenhäusern, konnten die Betroffenen unterkommen, wobei diese allerdings mehr Gefängnissen oder Todeslagern glichen.

Mit voller Absicht abschreckend eingerichtet, sollten sie Bedürftige eher verschrecken und davon abhalten, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Seit 1847 musste Irland nun selbst für seine Armenhäuser aufkommen, mit der Konsequenz, dass die ansteigende Flut der Insassen nun permanent unterernährt war und dabei noch härteste körperliche Arbeiten verrichten musste.

Unter entsetzlichsten hygienischen Bedingungen grassierten Seuchen in den Armenhäusern, deren Todesrate nun bei annähernd 5 Prozent der Insassen lag.

Das Frühjahr 1847 brachte starke Schneefälle, die das Überleben der geschwächten Bevölkerung immer weiter erschwerten. Der Typhus grassierte und der größte Teil der irischen Bevölkerung war derart geschwächt, dass er nicht mehr in der Lage war, einer geregelten Arbeit nachzugehen, um sich die staatliche Unterstützung zu verdienen. Überall im Lande, an Sümpfen und Tümpeln, an Straßen, Gassen und Wegen und auf den Feldern, lagen Sterbende, für die jedwede Art von Hilfe zu spät gekommen wäre.

Um Kosten zu sparen, beendete die britische Regierung im Frühjahr 1847 die staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, war jedoch entgegen ihrer Absicht auf Grund der hohen Todesraten dazu gezwungen, nun staatliche Suppenküchen in Irland einzurichten.

Im Sommer nahmen etwa 3 Millionen Menschen diese Suppenküchen in Anspruch, um zu überleben.

Der Leiter des britischen Schatzamtes, Sir Charles Trevelyan, erklärte die Hungersnot im September 1847 offiziell für beendet und stellte die Kreditvergabe an die Suppenküchen ein. Dessen ungeachtet ging das Elend weiter.

Auch 1848 und 1849 fielen die Kartoffelernten aus. Bereits im Jahre 1848 versuchte eine Bewegung unter William Smith O’Brien und Charles Gavan Duffy, die sich „Junges Irland“ nannte, die Unabhängigkeit von Großbritannien zu erkämpfen. Schlecht organisiert und mangelhaft ausgerüstet wurde der Aufstand rasch militärisch niedergeschlagen und beendet.

Das Ende der irischen Hungersnot mag zwischen 1849 und 1851 eingetreten sein, die Armut und die politischen Folgen waren mit dem Ende des Sterbens jedoch keineswegs beendet.

Neben den schätzungsweise fast 2 Millionen Iren, die auf den sogenannten coffin ships ,„Sargschiffe“, geplagt von Krankheiten und Seuchen nach Nordamerika oder Australien ausreisten, zog es zahlreiche Iren in die großen Industriezentren Englands und Schottlands.

Dies mag der Grund für die Eltern von James Connolly gewesen sein, ihre irische Heimat zu verlassen und sich in Edinburgh anzusiedeln.

Wer auch immer die Auswanderung überlebte, der gehörte in seiner neuen Heimat zum Bodensatz der jeweiligen Gesellschaft und hatte durch Herkunft und Konfession bedingt mit zahlreichen Vorurteilen zu kämpfen.

Stets nahmen sie schwerste und schmutzigste Arbeit zu niedrigsten Löhnen an, mussten den brennenden Hass der angestammten Arbeiterklasse ertragen, die sie als Konkurrenz empfanden und behandelten.

Die irischen Männer arbeiteten im Bergbau, beim Bau von Eisenbahnlinien und Kanälen, die Frauen in Textilfabriken oder als Dienstbotinnen.

Wo auch immer sie sich niederließen, stets waren ihre Gemeinschaften durch ein starkes und unauslöschliches Gefühl des Zusammenhaltes geprägt.

In der Folge der großen Hungersnot ging die uralte irische, gälische Sprache beinahe völlig zu Grunde und mit ihr zahllose alte Bräuche, Tänze und Lieder.

Die Hungersnot gebar zudem das starke Bestreben der Iren, sich vollkommen von England zu lösen. Wäre vor der Hungersnot eine friedliche Lösung, erzielt am Verhandlungstisch, von der jahrhundertelangen englischen Fremdherrschaft noch möglich und denkbar gewesen, so galt seitdem die Gewaltanwendung zur Lösung von England als legitimes, ja einzig mögliches Mittel.

Dies war die Welt, dies waren die grausamen Lebensumstände, in die der junge James Connolly am 5. Juni 1868 hinein geboren wurde.

5

Sie hatte die Sachen für ihre gemeinsame Reise nun gepackt und die Koffer lagen offen im Flur ihres gemeinsamen kleinen Reihenhauses im Erdgeschoss. Er würde seine paar Klamotten, sein Rasierzeug, einen Schlafanzug, die Zahnbürste und frische Unterwäsche nebst Socken für 7 Tage in eine ALDI-Tüten packen und das Ganze in einem der Koffer verstauen.

Sie waren jetzt ganze 23 Jahre lang verheiratet. Sie hatten eine erwachsene Tochter, sie hatten ihr gemeinsames Reihenhäuschen. Und der Gedanke, sie könne sich jetzt auf einmal, nach 23 Jahren und nach all dem, was sie gemeinsam erreicht hatten, plötzlich von ihm scheiden lassen, erschien ihm aberwitzig, aber doch gleichermaßen bedrohlich.

Der Ehering, den sie sich vom Finger gezogen und ihm hingeworfen hatte, schimmerte auf dem Bücherregal wie eine unergründliche, aber allgegenwärtige Drohung. Alles war möglich, selbst das Aberwitzigste und Unvorstellbare.

Er war sich beinahe sicher, dass sie sich vor der gemeinsamen Reise, die seit Langem geplant und gebucht worden war, keineswegs von ihm trennen würde, weil sie sein Geld brauchte und weil sie nach außen hin zumindest den Anschein der Normalität wahren wollte. Im Grunde aber konnte er sich selbst dessen nicht gewiss sein und all diese Dinge blieben nichts weiter, als Hypothesen und Annahmen.