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Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 121: Ein teuflischer Plan E-Book 122: Florian, unser rettender Engel? E-Book 123: Hochzeit mit Hindernissen E-Book 124: Ich bringe dir das Glück zurück E-Book 125: Maria - eine erfolgreiche Frau E-Book 126: Gefallener Engel? E-Book 127: Aus einem Traum erwacht E-Book 128: Wenn sich drei Herzen finden... E-Book 129: Der Aussteiger – Senn aus Berufung? E-Book 130: Sie fanden sich in St. Johann E-Book 1: Ein teuflischer Plan E-Book 2: Florian, unser rettender Engel? E-Book 3: Hochzeit mit Hindernissen E-Book 4: Ich bringe dir das Glück zurück E-Book 5: Maria - eine erfolgreiche Frau E-Book 6: Gefallener Engel? E-Book 7: Aus einem Traum erwacht E-Book 8: Wenn sich drei Herzen finden... E-Book 9: Der Aussteiger – Senn aus Berufung? E-Book 10: Sie fanden sich in St. Johann

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Inhalt

Ein teuflischer Plan

Florian, unser rettender Engel?

Hochzeit mit Hindernissen

Ich bringe dir das Glück zurück

Maria - eine erfolgreiche Frau

Gefallener Engel?

Aus einem Traum erwacht

Wenn sich drei Herzen finden...

Der Aussteiger – Senn aus Berufung?

Sie fanden sich in St. Johann

Der Bergpfarrer – Staffel 13 –

E-Book 121-130

Toni Waidacher

Ein teuflischer Plan

Roman von Waidacher, Toni

»Ach, ist das herrlich, mal wieder in St. Johann zu sein!« schwärmte Martin Hollerer. »Ich hab’ das alles hier richtig vermißt.«

Sebastian Trenker lächelte.

»Um so schöner ist’s ja, daß es endlich geklappt hat«, erwiderte der Bergpfarrer. »Wie lang’ ist’s jetzt her? Ich mein’, es wär’ im letzten Jahr gewesen, während der Semesterferien.«

»Genau«, nickte der Student der Rechtswissenschaften. »Allerdings konnt’ ich da nur eine Woche bleiben. Viel zu kurz!«

Die beiden Männer saßen auf der Terrasse des Pfarrhauses. Martin Hollerer war vor einer Viertelstunde angekommen, und jetzt ließen sie sich den Apfelkuchen schmecken, den Sophie Tappert am Morgen gebacken hatte.

»Wo bleibt eigentlich Max?« wunderte sich der Geistliche. »Sonst riecht er’s doch schon meilenweit gegen den Wind, wenn’s Kaffee und Kuchen gibt.«

»Ihr Bruder hat angerufen«, erklärte Sophie Tappert. »Es ist eine Verkehrskontrolle angesetzt worden. Er muß durchmachen.«

»Der Arme! Na ja, Sie werden ihm gewiß ein Stück aufbewahren.«

»Darum hat er eindringlich gebeten«, schmunzelte die Haushälterin.

»Ist Max immer noch so versessen auf das gute Essen hier im Pfarrhaus?« erkundigte sich Martin. »Ich hab’ gedacht, daß er und seine Claudia inzwischen geheiratet hätten.«

»Das hatte ich auch gehofft«, sagte Sebastian. »Bisher hat er sich ja immer noch standhaft geweigert, aber inzwischen gibt es Anzeichen, daß er seine Meinung geändert haben könnte.«

»Tatsächlich?«

Der Bergpfarrer nickte.

»Ja, vor einiger Zeit hat er eine Heirat zumindest in Betracht gezogen«, antwortete er. »Ich fürcht’ nur, daß es noch ein langer Weg ist bis dahin.«

Er sah seinen jungen Gast an.

»Und was ist mit dir?« wollte er wissen. »Gibt’s kein Madl in deinem Leben?«

Martin Hollerer war vierundzwanzig Jahre alt, er hatte kurzes blondes Haar, ein gutaussehendes, offenes Gesicht und war von schlanker Gestalt. Sebastians Meinung nach hatte er eine recht große Ähnlichkeit mit Thomas Moser, dem Vikar der Kirche. Tatsächlich hätten die beiden Brüder sein können. Allerdings stammte Martin aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Ingoldstadt, während Thomas Moser aus dem Allgäu gebürtig war.

In dem Gesicht des Besuchers zuckte es, und ein dunkler Zug schien sich darüber zu legen.

»Doch, ein Madl gab’s schon«, antwortete er.

»Gab? Was ist geschehen? Ein Streit oder gar Schlimmeres?«

»Ein Streit«, erwiderte Martin. »Ein recht schlimmer. Aber dabei war er so überflüssig. Alles ist nur wegen eines dummen Streits in die Brüche gegangen.«

Er erzählte von Kathrin. Kathrin Bergmann, eine Kommilitonin. Schon über ein halbes Jahr waren sie zusammen, seit sie sich auf einer Studentenfete kennengelernt hatten. Kathrin hatte ein Jahr nach Martin ihr Jurastudium angefangen.

»Ich weiß, es war blöd, daß ich alleine losgefahren bin«, sagte Martin jetzt reuevoll. »Aber ich konnt’ einfach net aus meiner Haut. Jetzt weiß sie net einmal, wo ich überhaupt bin.«

Er zuckte resignierend die Schultern.

»Falls sie es überhaupt wissen will.«

»Manchmal tut eine Trennung auf Zeit einer Beziehung ganz gut«, gab Sebastian zu bedenken. »Da merkt man oft erst, was man an dem anderen hat.«

Martin nickte.

»Wahrscheinlich haben Sie recht, Hochwürden. Vielleicht sollte ich erst einmal ein bissel Gras über die Sache wachsen lassen, bevor ich mich wieder bei der Kathrin melde.«

Er griff nach seiner Kaffeetasse und trank.

»Jetzt bin ich ja erstmal da«, sagte er. »Vielen Dank übrigens, daß ich wieder im Pfarrhaus wohnen darf. Ich freu’ mich schon auf eine Tour mit Ihnen.«

»Das ist doch selbstverständlich, daß du bei uns wohnst«, wehrte der Geistliche den Dank ab. »Ich weiß ja aus eig’ner leidvoller Erfahrung, wie knapp das Geld bei den Studenten ist.«

»Da sprechen S’ ein wahres Wort gelassen aus. Seit wir den Euro als Währung haben, scheint mir das Geld nur so durch die Finger zu rinnen. Dabei jobbe ich noch an vier Abenden in der Woche in einer Kneipe, um ein bissel was dazu zuverdienen, damit ich der Mutter net auf der Tasche liegen muß. Ihre schmale Rente reicht ohnehin nur zum Nötigsten.«

»Wie geht’s ihr denn? Ist sie gesund?« erkundigte sich der gute Hirte von St. Johann.

»Doch, ja«, nickte Martin. »Freilich merkt sie, daß sie älter geworden ist, aber ihre Nachmittage, an denen sie mit ihren Freundinnen Sport macht, läßt sie sich net nehmen, und jetzt ist das Trio gerad’ auf einer Busreise.«

Sebastian sah auf die Uhr.

»Ich fürcht’, wir müssen uns’re Unterhaltung auf den Abend verschieben«, sagte er. »Ich hab’ noch einen dringenden Termin, den ich leider net verschieben kann.«

»Das macht nix«, meinte der Student. »Ich würd’ mich ohnehin gern’ ein bissel ausruhen.«

»Na, wo das Zimmer ist, weißt du ja«, schmunzelte der Geistliche. »Bis heut’ abend dann.«

*

Martin Hollerer bewohnte eines der beiden Gästezimmer, die im Obergeschoß des Pfarrhauses lagen. Sophie Tappert hatte das Bett neu bezogen und frische Hand­tücher herausgelegt. Das Fenster war geöffnet, und würzige Luft strömte herein, als Martin eintrat. Er stellte seine Reisetasche ab und begann, sie auszupacken. Nachdem er die Sachen in den Kleiderschrank geräumt hatte, legte er sich auf das Bett.

Ach, war das herrlich, wieder hier zu sein!

Zwölf Jahre war es jetzt her, daß er zum ersten Mal in St. Johann Urlaub gemacht hatte. Damals lebte sein Vater noch, und sie hatten in der Pension Stubler gewohnt, in der es recht preiswerte Zimmer gab. Seinerzeit hatte die Familie die Bekanntschaft Pfarrer Trenkers gemacht, und der Geistliche hatte einige Bergtouren mit ihnen unternommen.

Danach waren sie noch zweimal in dem Alpendorf. Dann wurde der Vater krank, und eine Reise war nicht mehr möglich. Nach seinem Tod mochte Martins Mutter nicht mehr in den Ort fahren, in dem die Familie so viele glückliche Stunden verlebt hatte. Der Sohn respektierte den Wunsch. Erst, als er achtzehn war und gerade mit dem Studium begonnen hatte, nutzte er die ersten Semesterferien zu einer Fahrt ins Wachnertal. Seither versuchte er, so oft es ihm möglich war, wieder herzukommen. Allerdings erforderte das Studium viel Arbeit, und Martin hatte es nur einmal im letzten Jahr geschafft, nach St. Johann zu fahren. Aber auch nur für acht Tage. Um so mehr freute er sich auf vier Wochen, die er hier verbringen würde, und der einzige Wermutstropfen, der in diese Freude fiel, war der Streit mit Kathrin.

Sehnsucht überkam ihn, als er an sie dachte, und einer plötzlichen Eingebung folgend sprang er wieder auf und griff nach seiner Jacke, die er über einen Stuhl gehängt hatte.

Er würde sie anrufen und um Entschuldigung bitten. Vielleicht ließ sie sich sogar dazu überreden, nach St. Johann zu kommen. Pfarrer Trenker würde gewiß nichts dagegen haben, wenn sie in das andere Gästezimmer zog. Und wenn doch, konnte man es immer noch in der Pension Stubler versuchen, wo es, wie Martin wußte, ein winzig kleines Zimmer unter dem Dach gab, das manchmal als Notlösung herhalten mußte.

Allerdings suchten seine Finger vergebens in den Taschen seiner Jacke.

Kein Handy!

Fieberhaft überlegte er.

Hatte er es am Morgen in die Reisetasche gesteckt?

Unsinn, dann hätte er es eben, beim Auspacken, gefunden.

Aber wo konnte es sonst sein?

Noch einmal suchte er die Taschen durch. In Gedanken ging er alle Möglichkeiten durch. Aber es wollte ihm keine Situation einfallen, in der er telefoniert hätte. Jedenfalls nicht im Auto, und ausgestiegen war er unterwegs nur einmal.

Das konnte nur bedeuten –, er hatte es zu Hause vergessen!

Wahrscheinlich lag es auf dem Tisch seiner Studentenbude, wo er das Handy gestern abend hingelegt hatte. In der Eile heute morgen mußte er schlicht und einfach vergessen haben, es einzustecken.

So ein Mist! dachte er verärgert.

Doch dann nahm er den Umstand hin, wie er nun einmal war. Vielleicht war es ja ein Wink des Schicksals, und er sollte tatsächlich noch abwarten, bis Kathrins Zorn verraucht war.

Gut, überlegte er, dann rufe ich sie in ein paar Tagen von Hochwürdens Anschluß aus an.

Er legte sich wieder hin und war im nächsten Moment in einen leichten Schlaf gesunken.

Als es an der Tür klopfte, schreckte er wieder hoch.

»Martin, kommen S’ zum Abendessen?« hörte er die Stimme der Haushälterin.

»Ja, Frau Tappert, vielen Dank«, rief er zurück und schwang sich schmunzelnd aus dem Bett.

Es war das dritte oder vierte Mal, daß er im Pfarrhaus wohnte, wenn er in St. Johann war, und schon mehrmals hatte er die Perle des Pfarrhaushalts gebeten, ihn einfach zu duzen. Doch Sophie Tappert sagte weiterhin Sie, lediglich seinen Vornamen benutzte sie wenigstens.

Der Student ging ins Bad hinüber und erfrischte sich.

Als er wenig später die Treppe herunterkam, saßen die anderen schon am Tisch. Zu Martins Freude war auch Thomas Moser da. Er hatte ihn kennengelernt, als Thomas nach St. Johann gekommen war, um hier die Vikarsstelle anzutreten. Die beiden Männer waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen, zumal Thomas in Martin einen ebenbürtigen Gegner beim Tischtennis gefunden hatte. Der Vikar, der die meiste Zeit auf Schloß ›Hubertusbrunn‹ für die Betreuung der Jugendgruppen zuständig war, hatte mit dem Studenten schon so manches Match in der Sporthalle des Jagdschlosses ausgefochten.

»Mensch, Martin, toll, daß du mal wieder da bist«, freute er sich nun.

»Grüß dich, Thomas, altes Haus«, lachte Martin. »Na, bist’ gut im Training?«

»Von mir aus können wir gleich nach dem Abendessen zum Schloß fahren«, schlug der Vikar vor. »Dann kannst’ dich davon überzeugen.«

»Wo ist denn eigentlich der Max?« fragte Martin. »Muß er etwa immer noch den Verkehr kontrollieren?«

Wie aufs Stichwort stand der Bruder des Bergpfarrers nun in der Tür.

»Jetzt, gottlob, net mehr«, stöhnte er. »Himmel, war das ein Nachmittag!«

Er schlug dem Studenten auf die Schulter.

»Grüß dich. Schön, daß’ da bist!«

Martin nickte erfreut.

»Ich bin auch froh.«

»Dann laßt uns erstmal essen«, sagte Sebastian. »Frau Tappert hat extra zu Martins Ankunft eine gute Suppe gekocht. Die soll doch net kalt werden.«

Martin und Max setzten sich an den Tisch. Der Student schaute glücklich in die Runde. Das gefiel ihm, die herzliche Art, in der er aufgenommen wurde, die Scherze, die man miteinander machte.

Hier fühlte er sich wie zu Hause.

*

Auf den Parkplatz des Hotels ›Zum Löwen‹ fuhr ein schnittiges Cabriolet. Es war schneeweiß und hatte rote Ledersitze. Der Fahrer war ein braungebrannter Mittdreißiger, elegant gekleidet, neben ihm saß eine attraktive, brünette Frau, die offensichtlich ein paar Jahre jünger war. Sie öffnete die Beifahrertür und stieg aus. Wie ihrem Begleiter, sah man auch ihr an, daß sie die meiste Zeit wohl unter einem Solarium verbrachte; die Bräune wirkte nicht echt. Sie trug ein helles Kostüm, dessen Rock sehr viel von den schlanken Beinen sehen ließ.

Der Mann schlug die Fahrertür zu und schaute sich um.

»Meinst du wirklich, daß hier was zu holen ist?« fragte er skeptisch.

»Warte es ab«, entgegnete sie lächelnd.

»Ich weiß nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Was soll es hier schon für Schätze geben? Vielleicht Bilder mit naiver Bauernmalerei.«

»Jetzt laß uns erst mal hineingehen«, sagte Maja Grosser und ging voraus.

Wolfgang Mensbach folgte schulterzuckend.

Sie betraten die Hotelhalle. An der Rezeption stand eine junge Angestellte. Sie begrüßte das Paar freundlich.

»Herzlich willkommen in St. Johann und im Hotel ›um Löwen‹«, sagte sie. »Sie sind Frau und Herr Brandner?«

»Richtig«, nickte Maja. »Wir haben zwei Einzelzimmer bestellt.«

»Ja, genau, hier hab’ ich die Reservierung stehen«, sagte Birgit Hofländer. »Zimmer dreihundertelf und dreihundertzwölf.«

Sie drückte eine Klingel, und ein Hausbursche erschien.

»Das Gepäck von den Herrschaften«, wies die Hotelangestellte ihn an und wandte sich an die Neuankömmlinge. »Hätten S’ den Autoschlüssel? Der Franz bringt Ihnen die Koffer hinauf.«

»Es ist ein Cabriolet«, erklärte Wolfgang Mensbach, der plötzlich den Namen ›Brandner‹ trug. »Die Koffer liegen auf dem Rücksitz.«

»Gut, dann zeig’ ich Ihnen schon mal Ihre Zimmer. Wenn S’ mir bitt’ schön folgen wollen.«

Sie ging die Treppe hinauf. Die Zimmer waren groß und geräumig, sie besaßen eigene Bäder, und Fernseher, Telefon und Internetanschluß waren ganz selbstverständlich.

Maja zückte eine Geldnote und drückte sie der jungen Frau in die Hand.

»Vielen Dank. Ich wünsch’ Ihnen einen schönen Aufenthalt«, sagte Birgit und ging hinaus.

Wenig später klopfte es an der Tür. Franz kam mit den Koffern.

»Der dunkle gehört meinem Bruder«, erklärte Maja. »Ins Zimmer nebenan, bitte. Und das hier ist für Sie.«

Wieder wechselte ein Geldschein seinen Besitzer.

Maja Grosser lächelte zufrieden, als sie das dankbare Gesicht des Hausburschens sah.

Sei Hotelangestellten gegenüber immer großzügig, war ihre Devise. So versicherst du dich ihrer Dankbarkeit, und sie tun alles für dich.

Zumindest fast alles.

Sie ließ den Koffer stehen, wo er war, und ging zum Nachbarzimmer. Wolfgang Mensbach lag lang ausgestreckt auf dem Bett. Er breitete die Arme aus, als sie eintrat.

»Komm her und laß dich küssen«, verlangte er.

Maja schüttelte mit einem spöttischen Lächeln den Kopf.

»Nix da, mein Lieber. Ab jetzt sind wir Bruder und Schwester. Bärbel und Tobias Brandner aus Traunstein. Das gehört zu unserem Vorhaben. Niemand darf merken, daß das nicht stimmt, und wir müssen höllisch aufpassen, daß unsere Tarnung nicht auffliegt. Und damit wir nicht unvorsichtig werden, fangen wir gleich damit an, uns so zu benehmen, wie Bruder und Schwester es gemeinhin tun.«

»Und was ist nachts?« fragte Wolfgang. »Das merkt doch keiner, wenn wir in einem Bett…«

»Kommt überhaupt nicht in Frage!« sagte sie bestimmt.

»Es hängt alles davon ab, daß man uns abnimmt, daß wir Geschwister sind. Ich bin Fotografin, die auf der Suche nach Motiven für einen Band über bayerische Gotteshäuser ist. Du, als mein Bruder, begleitest mich.«

Wolfgang richtete sich auf.

»Nun sag’ schon«, forderte er sie auf, »was gibt’s hier so Interessantes, daß du dir diese Maskerade ausgedacht hast? Himmel, ich habe drei Jahre Knast hinter mir und will wissen, ob sich das Risiko überhaupt lohnt.«

Maja setzte sich in einen der bequemen Sessel, die zur Einrichtung des Zimmers gehörten, und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche ihres Kostüms.

»Es lohnt sich«, sagte sie, während sie ein goldenes Feuerzeug aufschnappen ließ.

Sie stieß den Rauch durch die Nase wieder aus.

»Hier, in diesem idyllischen Ort, gibt es eine Kirche, die etwas hat, was andere Kirchen nicht haben«, ließ sie sich zu einer Erklärung herab.

»Und was soll das sein?«

»Eine Madonnenfigur, deren Wert auf irgendwo zwischen zweihundert- und dreihunderttausend Euro geschätzt wird. Und die werden wir uns holen.«

Wolfgang Mensbach pfiff durch die Zähne.

»Donnerwetter. Woher weißt du das denn?«

»Tja, wie du weißt –, Lesen bildet«, kicherte Maja. »Als du noch im Gefängnis warst, habe ich doch eine Zeitlang in meinem alten Beruf gearbeitet. Von irgendwas mußte ich ja leben. In dem Friseursalon liegen doch immer diese Zeitschriften aus, und in der Mittagspause haben wir darin herumgeblättert. Dabei bin ich auf einen interessanten Artikel gestoßen. Es war eine Serie über bayerische Klöster und Kirchen, und just in der Ausgabe, die ich in die Finger bekam, stand etwas über diese Madonna.«

Sie lächelte triumphierend.

»Aha«, nickte Wolfgang verstehend. »Darum also deine Geheimniskrämerei in den letzten Wochen.«

»Natürlich. Ich kenne dich doch«, sagte sie. »Du wärst doch zu deinen alten Kumpeln gelaufen und hättest ihnen alles brühwarm erzählt. Aber diesmal ziehen wir das Ding alleine durch. Ich habe mir alles ganz genau überlegt. Es kann gar nicht schiefgehen –, wenn wir es richtig anpacken.«

»Schön und gut«, meinte er. »Aber glaubst du nicht, daß die Madonna irgendwie gesichert ist? Mich wundert, daß noch keiner versucht hat, sie zu klauen.«

»Hat schon einer«, entgegnete Maja. »Genauer gesagt, eine ganze Bande, die sich auf sakrale Kunstgegenstände spezialisiert hatte. Aber sie sind aufgeflogen, und die Figur kam hierher zurück, und natürlich ist sie seitdem mit einer Alarmanlage gesichert.«

Wolfgangs Kinnlade klappte herunter.

»Und wie stellst du dir vor, daß wir die knacken sollen?« fragte er enttäuscht. »Darin bin ich kein Experte. Wir hätten besser doch Kurt einweihen und mitnehmen sollen. Die Alarmanlage, die er nicht überlisten kann, die gibt es nicht.«

»Kurt!« stieß sie verächtlich hervor. »Damit er den Löwenanteil kassiert und uns mit Brosamen abspeist?«

Sie schüttelte energisch den Kopf.

»Nein, wir machen es alleine, und ich habe da auch schon eine Idee.«

Sie drückte den Zigarettenrest in einen Aschenbecher und erhob sich.

»Los, steh auf!«

»Wohin willst du denn?«

»Na, was wird sich eine Fotografin wohl anschauen, die einen Fotoband über Kirchen machen will? Das Rathaus gewiß nicht.«

*

Aus dem vorgeschlagenen Tennismatch wurde nichts. Thomas Moser hatte es allerdings auch nur im Scherz gemeint. Eigentlich war er ins Pfarrhaus gekommen, um mit Sebastian Trenker Einzelheiten über den Ablauf einer größeren Veranstaltung zu besprechen, die demnächst auf Hubertusbrunn stattfinden sollte. Nun war es so spät geworden, daß der Vikar im Pfarrhaus geblieben war und dort übernachtet hatte. So saßen er und Martin Hollerer am nächsten Morgen beim Frühstück zusammen, während der Geistliche schon unterwegs war.

»Und was macht das Studium?« erkundigte sich Thomas. »Kommst’ voran?«

»Schon«, nickte Martin. »Aber wenn ich vorher gewußt hätt’, was für eine staubtrockene Angelegenheit die Juristerei ist, dann hätt’ ich mir wohl überlegt, was and’res zu studieren.«

Sie unterhielten sich eine Weile. Zwischendurch kam immer wieder Sophie Tappert und erkundigte sich fürsorglich, ob sie auch genug von allem hätten.

»Schad’, daß ich heut’ eine Menge zu tun hab’«, bedauerte der Vikar. »Sonst könnten wir uns einen schönen Tag machen. Aber vielleicht hast’ ja mal Lust, morgen oder übermorgen zum Schloß hinauszukommen.«

»Das mach’ ich ganz bestimmt«, versicherte der Student. »Und heut’ werd’ ich mal wieder die alten Stätten aufsuchen, wo ich früher mein Unwesen getrieben hab’.«

Natürlich hatte er es mit einem Schmunzeln gesagt, und Thomas Moser griff den Scherz auch gleich auf.

»Du willst sagen, wo du die ganzen Madln unglücklich gemacht hast«, grinste er. »Überhaupt, wie steht’s damit, hast’ keine Freundin?«

Martin zuckte die Schultern.

»Eigentlich schon«, antwortete er. »Allerdings haben wir im Moment Krach, und ich hab’ keine Ahnung, ob sie mich überhaupt noch will…«

Er erzählte von Kathrin Bergmann, und wie es zu diesem dummen Streit gekommen war.

»Ach, das renkt sich wieder ein«, meinte Thomas zuversichtlich. »Allerdings find’ ich es eine gute Idee, ein bissel Zeit vergehen zu lassen, bevor du dich bei ihr meldest. Das macht die dicke Luft zwischen euch bestimmt ein bissel dünner. Aber paß auf, daß du’s net auf die Spitze treibst. Länger als zwei oder drei Tage solltest’ net warten.«

Der Vikar trank seinen Kaffee aus und wischte sich den Mund mit seiner Serviette ab.

»So«, sagte er, »für mich wird’s Zeit. Also, dann bis bald.«

Martin brachte ihn zur Tür.

»Komm gut nach Hubertusbrunn«, rief er dem Vikar nach.

Dann ging er in die Küche zurück, um den Tisch abzuräumen. Aber da war Sophie Tappert schon schneller gewesen.

»Sie sind im Urlaub da«, erwiderte sie, als Martin protestierte, er habe abräumen wollen.

»Aber ein bissel mithelfen möcht’ ich schon, wenn ich umsonst hier wohnen und essen darf«, sagte er.

»Na ja, wenn S’ unbedingt wollen –, im Garten müssen die Birnen geerntet werden.«

»Prima«, nickte der Student. »Das mach’ ich sofort. Ich weiß ja, wo alles steht; Korb und Leiter.«

In der Tür blieb er stehen und drehte sich um.

»Aber sagen S’ endlich Du zu mir!«

Sophie Tappert erwiderte seinen Blick.

»Für mich sind S’ der Martin, und beim Sie bleibt es!« entgegnete die Haushälterin lächelnd, aber bestimmt.

Schulterzuckend verließ Martin die Küche und ging in den Garten. Hinter dem Pfarrhaus stand ein Schuppen, in dem die Gartengeräte untergebracht waren. Der Student nahm einen Korb, der an der Wand hing, und die Leiter. Beides brachte er zum Birnenbaum, der voller reifer Früchte hing. Er lehnte die Leiter an und kletterte, den Korb in der Rechten, hinauf.

Geschwind hatte er den Korb gefüllt und wollte ihn in die Küche bringen, als jemand ihn ansprach.

Zunächst konnte Martin niemanden sehen, obwohl er sich suchend in alle Richtungen umschaute. Erst als er den Hals reckte und über die Hecke, die den Pfarrgarten vom Friedhof abgrenzte, blickte, sah er eine junge Frau auf dem Gottesacker stehen, die ihm zuwinkte.

Donnerwetter, und was für eine Frau!

Martin bekam unwillkürlich einen trockenen Mund, als er die attraktive Frau in Augenschein nahm.

»Entschuldigen Sie, wenn ich hier so einfach über die Hecke rufe«, bat sie. »Aber ich hätte da mal eine Frage…«

Martin trat näher. Zu seinem Bedauern war sie nicht alleine, denn jetzt konnte er auch den Mann sehen, der in einigen Schritten Entfernung hinter ihr stand.

»Ja, bitt’ schön?«

»Sind Sie der Pfarrer hier?« erkundigte sie sich.

Der Student schüttelte den Kopf.

»Nein, ich wohn’ nur zufällig im Pfarrhaus«, antwortete er. »Pfarrer Trenker ist zur Zeit auch net zu sprechen. Da müßten S’ später wiederkommen.«

Die Frau sah ihn nachdenklich an. Sie schien zu überlegen, ob sie ihn von irgendwoher kannte.

»Wissen Sie, ich bin Fotografin«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Ich plane einen Fotoband über bayerische Kirchen. Und diese hier gefällt mir besonders gut. Ich wollte natürlich vorher um Erlaubnis bitten.«

»Wie gesagt, da müssen S’ später wiederkommen«, sagte Martin, während er überlegte, warum sie ihn so anlächelte.

Irgendwie war das merkwürdig; da steht sie mit ihrem Mann und flirtete regelrecht mit einem anderen. Sie legte den Kopf schief und blickte ihn verträumt an.

»Wie ist er denn so, der Herr Pfarrer?« wollte sie wissen. »Glauben Sie, daß er mir die Erlaubnis geben wird?«

»Ganz bestimmt«, nickte der Student und schielte zu dem Mann hinüber, der an einen Baum lehnte und an einer Zigarette zog.

»Na, wunderbar«, freute sie sich. »Dann werden wir am Nachmittag noch einmal wiederkommen. Sie können Hochwürden vielleicht ja schon was von unserer Absicht sagen.«

»Das mach’ ich«, versprach Martin und sah den beiden hinterher.

So ganz schlau wurde er aus ihnen nicht. Vor allem nicht aus der Frau. Klar, sie wollte in der Kirche fotografieren und sich dafür die Erlaubnis von Pfarrer Trenker holen.

Bloß, warum hatte sie ihm so schöne Augen gemacht?

Noch dazu im Beisein ihres Mannes!

Martin zuckte die Schultern, nahm den Korb mit den Birnen wieder auf und ging ins Haus hinein.

*

Maja Grosser und Wolfgang Mensbach verließen den Friedhof. Beide waren gut gelaunt. Nachdem sie lange und ausgiebig geschlafen hatten – natürlich jeder in seinem Zimmer –, wurde ausführlich gefrühstückt. Das Essen im Hotel ließ wirklich keine Wünsche offen, das hatten sie gestern abend schon festgestellt, als sie im Restaurant gespeist hatten.

Aperitif, Vorspeise, Zwischengericht, Hauptgang und Dessert. Dazu verschiedene Weine, Kaffee und Weinbrand. Sepp Reisinger bediente sie persönlich. Der Inhaber des Löwen hatte ein Gespür für Leute mit Geld. Und das Geschwisterpaar hatte offensichtlich welches, und das nicht zu knapp. Das Cabriolet gehörte gewiß nicht in die Kategorie der Mittelklassewagen. Ganz zu schweigen von den Zimmern, die jedes für sich schon ein kleines Vermögen kostete. Eine Woche hatten die Brandners gebucht, und Sepp war davon überzeugt, daß sie in dieser Woche nicht knausern würden.

Hätte er allerdings geahnt, was die beiden an dem Tisch flüsterten, hätte er sofort Max Trenker zur Hilfe gerufen…

»Was mich beruhigt, ist die Tatsache, daß wir den ganzen Kram hier nicht bezahlen müssen«, feixte Wolfgang Mensbach hinter vorgehaltener Hand.

»Still!« zischte Maja ärgerlich.

»Wieso? Ist doch wahr; wir haben doch bloß noch ein paar hundert Euro«, flüsterte er. »Das Auto ist ein Leihwagen, der hat uns ja ein Vermögen gekostet.«

»Das muß aber niemand wissen«, fuhr sie ihn an. »Himmelherrgott, hat dir die Zeit im Knast das Gehirn vernebelt? Wir treten hier als reiche Leute auf, um so besser an die Madonna heranzukommen. Dazu gehört, daß wir das

Vertrauen des Geistlichen gewinnen, und das klappt nicht, wenn

wir wie Lumpensammler aussehen.«

Den Betrag für das Essen und die Getränke ließen sie auf die Zimmerrechnung schreiben, gaben aber wieder ein großzügiges Trinkgeld für die Angestellten.

Genauso am nächsten Morgen. Auch wenn es gar nicht üblich ist, jedesmal ein Trinkgeld zu geben, so taten sie es doch.

»Die Brandners werfen mit dem Geld nur so um sich!«

Das war genau der Satz, der unter den Hotelangestellten kursieren sollte.

Nach dem Frühstück gingen sie wieder zur Kirche hinüber. Gestern hatten sie eine lange Zeit vor dem Objekt ihrer Begierde gestanden. Wolfgang schaute sich dabei ganz genau den dünnen Draht an, der hinter der Statue an der Mauer entlanglief und dann irgendwo in der Decke der Galerie verschwand.

Kurt, dachte er dabei, der würde sofort wissen, wie man die Alarmanlage ausschaltete. Doch diesmal war es Maja, die alles geplant hatte, und Wolfgang ahnte, daß es besser war, ihr alles weitere zu überlassen.

»Was meinst du denn, wieviel wir dafür bekommen können?« fragte er leise, obgleich sich keine weiteren Besucher in der Kirche aufhielten.

Auch wenn die Madonna viel Geld wert war, diesen Preis würden sie natürlich nicht bekommen. Aber es würde immer noch mehr sein, als sie bisher mit ihren Gaunereien verdient hatten.

»Keine Ahnung«, erwiderte sie. »Jedenfalls genug, um irgendwo im Süden ein neues Leben zu beginnen.«

Als sie an diesem Morgen wieder vor der Madonna standen, überlegte Maja Grosser hin und her. Es mußte einen Weg geben, die Alarmanlage auszuschalten. Schließlich tat das der Geistliche jeden Tag. Also mußte es ihr gelingen, an ihn heranzukommen und ihm das Geheimnis zu entlocken.

Aber das würde wahrscheinlich schwerer sein als gedacht.

Wenn nicht gar unmöglich!

Allerdings hatte Maja einen ganz anderen Plan. Sie erinnerte sich an die Fotos, die sie seinerzeit in einer Frauenzeitschrift entdeckt hatte. Auf einem der Bilder war auch ein junger Mann abgebildet gewesen. Sie meinte, sich an den Namen zu erinnern –, Thomas Moser. Er war der Vikar hier, also der Hilfspfarrer.

Wenn es ihr gelingen würde, sich an ihn heranzumachen und ihn zu becircen, dann vielleicht…

Zu ihrer Freude glaubte sie, den Vikar in dem Mann im Garten wiederzuerkennen, als sie und Wolfgang später von der Kirche zum Friedhof hinübergingen.

Zu ihrem Plan gehörte es natürlich auch, alle möglichen Fluchtwege in Betracht zu ziehen, falls sie während des Madonnenraubes auf frischer Tat ertappt würden. Also schauten sie sich auch auf dem Friedhof um, und da stand der junge Vikar, auf der anderen Seite der Hecke.

Daß er nicht der Pfarrer war, wußte Maja natürlich. Aber sie hielt ihre Frage für einen guten Einstieg in das Gespräch, und wie sie bemerkte, war der Herr Moser ja auch recht umgänglich.

»Wer war denn wohl der Bursche?« fragte Wolfgang Mensbach.

»Das ist Vikar Moser«, erklärte Maja.

»Vikar? Was ist denn das?«

Innerlich schüttelte die Frau den Kopf. Wolfgang mochte zwar ein gerissener Gauner sein, aber in manchen Dingen war er dümmer, als die Polizei erlaubte.

Dennoch liebte sie ihn nun mal, und alles, was sie wollte, war, ein neues Leben mit ihm zu beginnen. Also erklärte sie ihm geduldig, daß es sich bei einem Vikar um einen Hilfspfarrer handelte, einen bevollmächtigten Stellvertreter des Pfarrers an einer Kirche, der das Amt des Seelsorgers versah, wenn dieser verhindert war.

»Aha«, nickte Wolfgang, »und warum hast du mit dem so geflirtet?«

Eifersucht schwang in seiner Frage mit.

»Weil ich sein Vertrauen gewinnen will«, erwiderte Maja. »Schließlich wird er auch wissen, wie die Alarmanlage bedient wird.«

»Verstehe.«

Sie überquerten die Straße und suchten den Kaffeegarten des Hotels auf. Dort setzten sie sich an einen Tisch in der hintersten Ecke und spannen weiter an ihrem Plan.

*

Kathrin Bergmann saß mißmutig auf dem Balkon ihres Zimmers und starrte zum Himmel hinauf. Die hübsche Studentin bewohnte, zusammen mit zwei anderen Madln, eine geräumige Wohnung. Sie hatten sich alle an der Uni kennengelernt und beschlossen zusammenzuziehen, weil eine alleine die Miete nicht hätte aufbringen können.

Im Moment jedoch war Kathrin alleine; Lena und Anna, die beiden Mitbewohnerinnen, waren gestern in die Ferien gefahren. Die eine nach Hause zu ihren Eltern, die andere machte einen Kurztrip nach Tschechien.

Vor der Studentin standen auf einem kleinen Tisch ein Becher mit Tee und ein Teller, auf dem eine Semmel lag. Sie war mit Butter und Honig bestrichen, doch bisher hatte Kathrin weder den Tee noch die Semmel angerührt. Voller Wehmut dachte sie an Martin und den dummen Streit, der sie beide entzweit hatte. Sie hätte viel darum gegeben, sich wieder mit ihm zu versöhnen, doch nachdem sie sich gestern wieder beruhigt hatte, hatte sie vergeblich versucht, ihn zu erreichen. Als er sich nicht meldete, nachdem sie ihn mehrmals auf seinem Handy angerufen hatte, wandte sie sich an seine Vermieterin.

Frau Beckmann bedauerte jedoch und erklärte, daß Martin gestern schon in aller Frühe fortgefahren sei.

Also hatte Kathrin es bei seiner Mutter versucht. Allerdings auch dort ohne Erfolg, und inzwischen war ihr eingefallen, daß Martin erzählt hatte, seine Mutter wolle eine Busreise mit ihren beiden Freundinnen unternehmen, mit denen sie regelmäßig Karten spielte und zweimal in der Woche Sport machte.

Jetzt saß sie also auf dem Balkon, starrte wehmütig in den blauen Himmel und wünschte sich nichts sehnlicher, als daß Martin bei ihr wäre. Doch leider würde dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Sie hatte ja keine Ahnung, wo er steckte und wie sie ihn erreichen konnte.

Es war ihr unverständlich, wieso er sein Handy nicht einschaltete. Mindestens zehnmal hatte sie bereits auf die Mailbox gesprochen und ihn gebeten, sie zurückzurufen. Doch entweder hörte er die gespeicherten Anrufe gar nicht ab oder er ignorierte ihre Bitte.

Und dieser Gedanke tat besonders weh!

Seit sie und Martin zusammen waren, hing der Himmel voller Geigen. Die zwanzigjährige Kathrin hatte sich Knall auf Fall in den zwei Jahre älteren Martin Hollerer verliebt. Sie konnte nicht glauben, daß das nun alles wegen eines Streits zu Ende sein sollte, von dem sie gar nicht mehr wußte, wie er überhaupt angefangen hatte, und die Vorstellung, er würde sich überhaupt nie wieder bei ihr melden, trieb ihr die Tränen in die Augen.

Endlich nahm sie den Becher in die Hand und trank einen Schluck. Der Tee war schon kalt geworden, und das verstärkte nur ihr Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit.

Nichts konnte für einen leidenschaftlichen Teetrinker schlimmer sein als das kaltgewordene Getränk!

Dann biß sie trotzig in die Semmel und überlegte, was sie tun sollte. So schön hatte sie sich die gemeinsamen Ferien vorgestellt, wollte Martin dazu überreden, mit ihr an die Nordsee zu fahren, und nun saß sie alleine und heulend in der Wohnung und wußte nicht ein noch aus.

Na gut, dachte sie, nachdem sie es endlich geschafft hatte, die Semmel aufzuessen und den kalten Tee zu trinken, dann fahre ich eben nach Hause. Mama und Papa werden zwar erstaunt sein, aber dann muß ich ihnen wohl von dem Streit mit Martin erzählen.

Das war noch etwas, was ihr auf dem Herzen lag. Ihre Eltern mochten Martin von Anfang an, und wie sie ihre Mutter kannte, schmiedete sie wohl schon heimlich Hochzeitspläne. Ihr jetzt sagen zu müssen, daß sie und Martin sich wohl niemals wiedersehen würden, trug nicht dazu bei, sie wieder aufzumuntern.

Mit einem Seufzer stand Kathrin auf und brachte das Geschirr in die Küche. Rasch spülte sie es ab, dann ging sie in ihr Zimmer zurück und packte ein paar Sachen zusammen. Auch wenn es ihr schwerfiel, jetzt zu fahren – vielleicht rief Martin ja doch noch an –, sie konnte den Gedanken nicht ertragen, vier Wochen alleine in der Wohnung zu sein, wo sie sich in dieser Zeit doch mit ihm an der See vergnügen wollte.

Nachdem sie gepackt hatte, schrieb Kathrin eine Nachricht für ihre Mitbewohnerinnen, für den Fall, daß Lena oder Anna vorzeitig wieder zurückkamen. Dann sollten sie wenigstens wissen, daß sie zu ihren Eltern gefahren war.

Als sie wenig später in dem kleinen Auto saß und durch die Stadt fuhr, waren ihre Gedanken bei Martin, und sie hoffte inständig, daß der unsinnige Streit, wegen nichts und wieder nichts nicht wirklich das Ende ihrer Beziehung war.

*

Alois Brandhuber, der selbsternannte Wunderheiler von St. Johann, stapfte über die morastige Wiese am Ortsrand. In der rechten Hand hielt er einen Spankorb, wie ihn Pilzsammler meistens bei sich trugen. Doch der Alte war nicht auf der Suche nach den leckeren Schwammerln, sein Ziel war der Anfang des Ainringer Waldes am Höllenbruch. Dort hatte er vor ein paar Wochen eine Entdeckung gemacht, die so sensationell war, daß Loisl sofort überlegte, wie er daraus Kapital schlagen könne.

Damals, es war eine jener Vollmondnächte, in denen er sich auf die Suche nach den Kräutern begab, die er für seine selbstgebrauten Mixturen und Kräutertees benötigte, war er auf dem Nachhauseweg an dem Wald vorbeigekommen und, einer Eingebung folgend, durch ein dichtes Gebüsch gekrochen, unter dem er ein Kraut vermutete, das er im Gespräch mit seinen ›Kunden‹ als ›Valeriana‹ bezeichnete. Es war gemeinhin als Baldriankraut bekannt, aber der Brandhuber fand es eben geheimnisvoller, mit lateinischen Bezeichnungen um sich zu werfen, was die Leute immer wieder beeindruckte.

Doch in dieser Nacht fand er das gesuchte Kraut nicht, statt dessen fiel er kopfüber in ein nasses Loch.

Im ersten Moment hatte er das Gefühl, ertrinken zu müssen. Er rappelte sich fluchend und nach Luft ringend hoch. Und dann merkte er, daß das Wasser nicht einmal bis an den Schaft seiner ausgetreten Stiefel gereicht hätte, wenn er hineingetreten wäre.

Und noch etwas bemerkte er – von dem Wasser ging ein eigenartiger Geruch aus. Es stank nach faulen Eiern; ein Hinweis auf eine Schwefelquelle!

Loisl war außer sich vor Freude. Vor seinem geistigen Auge sah er sich schon als gefeierter Entdecker der Heilquelle, denn eine solche war es zweifelsohne. St. Johann würde die Bezeichnung ›Bad‹ vorangestellt bekommen, von überallher würden Heilungssuchende hierher strömen, und die Gemeinde konnte gar nicht anders, als ihm, dem großen Sohn des Ortes, ein Denkmal zu setzen.

›Alois-Quelle‹, diesen Namen würden die Hinweisschilder tragen, die die Besucher zum Heilwasser führten. Und wer konnte es schon sagen, vielleicht mußte man früher oder später sogar eine Abfüllanlage bauen, und das ›Bad St. Johann-Heilwasser‹ trat seinen Siegeszug rund um die Welt an!

Der alte Kauz war sehr euphorisch gewesen, in jener Nacht. Aber er wußte auch, daß er Vorsicht walten lassen mußte. Vielleicht kamen die Dorfoberen, allen voran Markus Bruckner, der Bürgermeister, sonst noch auf die Idee, ihn auszubooten und den Ruhm – und Gewinn – für sich alleine einzustreichen.

Das mußte einfach verhindert werden!

Und noch etwas hatte zu geschehen, zunächst mußte er prüfen, ob das Wasser wirklich die heilende Wirkung hatte, die er sich von ihm erhoffte.

Loisl brauchte auch nicht lange zu überlegen, wer da als Kandidat in Frage kam –, natürlich Maria

Erbling, die ständig irgendwelche Wehwehchen hatte und von ihm Salben und Tees kaufte. Er mußte also etwas von dem Wasser abfüllen und es der Witwe zu trinken geben.

Gesagt, getan.

Der Wunderheiler hatte bei seinen nächtlichen Spaziergängen immer eine Taschenflasche mit Obstler dabei. Natürlich brannte er das Zeug selbst, auch wenn es verboten war. Aber bisher war Max Trenker ihm noch nicht auf die Schliche gekommen, und so machte Loisl, nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter, munter mit seiner Schnapsproduktion weiter. Er nahm die Flasche aus der Tasche seiner schmutzigen, abgetragenen Hose und trank sie in einem Zug leer. Dann hielt er sie in die Pfütze und ließ sie vollaufen.

Einen Tag später erschien Maria Erbling, wie erwartet, in seiner Hütte und verlangte nach einer Teemischung, die sie dringend benötigte; ihr Rheuma sei wieder akut, und ohne den Tee könne sie abends nicht einschlafen.

»Ich hätt’ da was Neues«, meinte Loisl, während er den Tee aus einem alten Weckglas in eine Tüte füllte.

»So? Was ist es denn?« fragte die Witwe des ehemaligen Poststellenleiters von St. Johann neugierig.

Der Alte tat geheimnisvoll. Eine phantastische Entdeckung habe er gemacht, und wenn sie wolle, dann könne Maria die erste sein, die davon profitiere.

Na, und ob sie wollte. Loisl mußte sich gar keine Mühe geben, sie zum Trinken zu überreden. Er hatte ein Schnapsglas vollgegossen und reichte es ihr.

»Puh, das schmeckt ja fürchterlich!« stieß die Witwe hervor, als sie getrunken hatte.

Sie verzog angewidert das Gesicht.

»Was ist denn das?«

Loisl setzte eine wichtige Miene auf.

»Das kann ich net verraten«, antwortete er. »Sonst wirkt’s net.«

Er reichte ihr den Tee.

»Macht fünfzig Euro und zwanzig für das Wasser«, sagte er ungerührt.

Maria Erbling schluckte. Ob wegen des Wassers, das ihr wieder hochkam, oder wegen des unverschämten Preises, war nicht eindeutig. Der Brandhuber hatte jedenfalls nicht die Absicht, ihr den Schluck für umsonst zu überlassen. In Gelddingen war er ein knallharter Geschäftsmann.

»Eine Flasche käme dich natürlich billiger«, meinte er. »Für hundertfünfzig würd’ ich sie dir geben.«

»Und wer garantiert mir, daß es auch wirklich hilft?«

Loisl grinste sie schief an.

»Bist’ schon mal von mir enttäuscht worden?«

Maria überlegte kurz. Nein, das konnte man nicht sagen. Bisher hatte die Salben und Tees ihr wunderbar geholfen, auch wenn andere, allen voran der Dr. Wiesinger, es nicht wahrhaben wollten. Sie zahlte den Betrag und nahm die Flasche mit.

Zu Loisls Überraschung tauchte sie zwei Tage später wieder in seiner Hütte auf und verlangte mehr von dem ›Wunderwasser‹, wie Maria es bezeichnete.

Loisl nickte und sagte, sie solle in zwei Stunden wiederkommen. Als sie fort war, lief er, so schnell es eben ging, zu ›seiner‹ Quelle und füllte gleich eine größere Flasche ab. Zur Tarnung legte er sie in einen Spankorb und deckte sie mit einem alten Lappen ab. Sah ihn jemand, würde er vermuten, daß der Brandhuber bei der Schwammerlsuche war.

So hatte er es auch heute gemacht. Allerdings ahnte der alte Kauz nicht, daß man ihn schon auf Schritt und Tritt beobachtete, und das sein schöner Traum von Reichtum und Berühmtheit schon bald wie eine Seifenblase zerplatzen sollte…

*

Maria Erbling besaß eine Eigenschaft, wegen der sie zu trauriger Berühmtheit gelangt war. Sie war eine Klatschtante ersten Ranges, die nichts für sich behalten konnte.

In St. Johann ging die Weisheit um, daß man, wenn man wollte, daß etwas schnell unter die Leute kam, es Maria nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen mußte und dann sicher sein konnte, daß sich die Angelegenheit wie ein Lauffeuer herumsprechen würde.

So hatte Maria Erbling denn auch nicht mit der Entdeckung des Brandhuber-Loisl hinterm Berg gehalten, sondern sie jedem, ob er es hören wollte oder nicht, unter die Nase gerieben. Erst wollte ihr keiner glauben, doch dann gelangte die Geschichte auch ins Rathaus. Genauer gesagt, in die Amtsstube des Bürgermeisters.

Markus Bruckner war stolz auf den Ort und steckte seine ganze Kraft und Zeit in die Arbeit als Bürgermeister.

Allerdings fehlte ihm auch etwas in St. Johann. Seiner Meinung nach mußte viel mehr für den Tourismus getan werden. Mehr Urlauber würden zwangsläufig die Wirtschaft ankurbeln.

Und was hatte er sich nicht schon alles ausgedacht!

Da war der Plan, ein großes Hotel zu bauen, mit allen Schikanen. Betten bis für sechshundert Gäste. Oder die Absicht, aus Schloß Hubertusbrunn eine internationale Spielbank zu machen. Ein idealer Standort für ein Casino, so abgelegen im Wald, schließlich wollten viele Leute nicht, daß andere sahen, wenn sie ihr Geld verjuxten. Dann wiederum hatte er sich überlegt, ein Kurheim zu errichten, eine Diskothek mußte her, ein großes Schwimmbad, Spaßbad, wie es neuerdings hieß, und, und, und…

Doch leider waren alle seine Bemühungen bisher für die Katz gewesen, denn es gab immer wieder einen, der sich querstellte und seine Pläne durchkreuzte.

Pfarrer Trenker!

Der Name alleine war schon ein rotes Tuch für den Bruckner-Markus.

Nicht, daß er Hochwürden wirklich gehaßt hätte. Als Seelsorger konnte er sich keinen besseren Mann wünschen. Aber Markus war eben der Meinung, daß ein Geistlicher sich auf sein Amt in der Kirche beschränken solle. In der Politik habe er nichts zu suchen.

Leider hielt sich der Bergpfarrer nicht an diese Vorstellung, und seit er in den Gemeinderat gewählt worden war, mischte er auch kräftig mit.

Leider auf der falschen Seite, wie Markus bedauerte.

Nicht nur, daß Pfarrer Trenker ständig seine Bemühungen, aus St. Johann einen modernen, weltoffenen Urlaubsort zu machen, unterlief, der Bürgermeister mußte feststellen, daß seither auch Mitglieder seiner eigenen Fraktion die Disziplin verweigerten und gegen seine Anträge stimmten. Sie standen somit auf der Seite des Geistlichen.

Als er von der Geschichte mit dem angeblichen Heilwasser erfuhr, wollte Markus Bruckner sie erst ins Reich der Phantasie abtun. Schließlich kannte man ja die Gerüchte, die Maria Erbling in Umlauf brachte. Doch dann saß er eines Tages nachdenklich in seinem Büro im Rathaus und dachte intensiver darüber nach.

Was, wenn doch was an der Sache war?

Dann stellten sich mehrere Fragen:

Hatte der Loisl ihr das Wasser wirklich verkauft?

Diese Frage konnte schnell beantwortet werden, denn es war ja bekannt, daß die Witwe lieber zum Brandhuber rannte, als sich in die Hände des Dorfarztes zu begeben.

Woher aber hatte der Loisl das Wasser?

Wahrscheinlich hatte er es irgendwo entdeckt. Man mußte ihm also nur noch nachschleichen. Früher oder später würde man auf die Quelle stoßen –, wenn es wirklich eine gab.

Blieb die letzte Frage – wenn es sie gab, wie konnte man sie nutzen, um daraus für St. Johann Kapital schlagen?

Plötzlich wurde Markus Bruckner von einer hektischen Aktivität überfallen. Er sprang auf, suchte aus einem Schrank eine Karte heraus, auf der der Ort und seine Umgebung verzeichnet waren. Lange studierte der Bürgermeister die Karte, fuhr immer wieder mit dem Finger über diesen und jenen Punkt und sank schließlich resignierend in seinen Sessel zurück.

So hatte es keinen Zweck. Der Ursprung der Quelle konnte überall und nirgends sein. Auf diese Art kam er nicht weiter. Er mußte den Brandhuber beobachten, auch wenn es Tage dauern konnte, bis der Alte den Platz wieder aufsuchte.

Es dauerte wirklich lange, bis der Wunderheiler sich wieder auf den Weg machte. Daß er verfolgt wurde, ahnte Loisl nicht, und sein Schrecken war groß, als sich hinter ihm jemand durch das dichte Buschwerk zwängte.

»Ah, da schau her«, grinste Markus Bruckner. »Das ist also die Wunderquelle, aus der du dein Heilwasser schöpfst.«

Der Brandhuber starrte ihn böse an.

»Ich hab’ sie entdeckt«, sagte er, ärgerlich darüber, daß das Geheimnis nun gelüftet war, »und du wirst sie mir net streitig machen, Bürgermeister!«

»Abwarten«, entgegnete Markus Bruckner und zupfte sich ein paar Blätter von Jacke und Hose.

Dann strich er sich über den Schnauzbart, der sein Gesicht zierte, und kniete sich nieder.

»Ist ja net mehr als eine Pfütze«, meinte er mit hörbarer Enttäuschung in der Stimme.

»Aber sie füllt sich immer wieder auf«, sagte Loisl triumphierend. »Man braucht bloß ein bissel zu graben, dann kommt das Wasser hoch.«

Der Bürgermeister steckte einen Finger hinein und kostete.

»Pfui Teufel, das schmeckt ja wie faule Eier!«

»Das ist der Schwefel«, klärte der Brandhuber ihn auf. »Das Wasser enthält Schwefel. Davon kommt ja auch seine heilende Kraft.«

Markus hatte sich wieder aufgerichtet. Er wischte sich die Hand mit einem Taschentuch ab und starrte nachdenklich auf die Pfütze zu seinen Füßen.

»Für deine Gedanken, da würd’ ich jetzt was geben, sie zu kennen«, ließ sich der Wunderheiler vernehmen.

Der Bürgermeister grinste.

»Schön, angenommen, es handelt sich wirklich um gesundes Wasser, das Krankheiten lindern oder gar heilen kann…«

»Net angenommen«, unterbrach Loisl ihn barsch, »es kann heilen. Das hat’s ja schon bei der Maria bewiesen.«

Markus hob die Hand.

»Also gut, es kann also heilen«, fuhr er fort. »Dann bleibt die Frage, wie man die Quelle kommerziell nutzen kann.«

»Sie gehört mir!« stieß der Alte hervor. »Ich hab’ sie entdeckt und ich hab’ allein’ das Recht, das Wasser zu verkaufen.«

Der Bruckner-Markus hatte mit solch einem Einwand gerechnet.

»Gemach, Loisl, gemach«, erwiderte er. »Das hier ist Gemeindegrund, folglich gehört die Quelle der Gemeinde und net dir. Es sei denn, du erhebst Anspruch auf dieses Waldstück. Aber das kannst’ gar net, weil außer dem Acker um deine Hütte dir gar nix gehört. Also hör’ auf, solche Sprüche zu machen. Wenn, dann wird die Quelle von uns genutzt und ausgebeutet.«

Vor seinem geistigen Auge sah er schon, ähnlich wie Loisl vor ein paar Wochen, die Dimensionen, die das Ganze annehmen konnte.

Heilwasser in Flaschen, ein Kurbad, Touristen, die von überall herkamen, um an der Quelle zu gesunden.

Dem Aufstieg St. Johanns in die erste Liga der Kurorte schien nichts mehr im Wege zu stehen.

»Ich hab’s geahnt«, schimpfte der Brandhuber derweil. »Ihr Politiker seid zu nix and’rem gut, als den armen Leuten noch das Blut auszusaugen!«

»Jetzt reg’ dich net auf«, sagte Markus. »Du bekommst schon deinen Anteil. Als Entdecker der Quelle wirst’ schon net leer ausgehen.«

Ob er diese Versprechen jemals halten würde, war in diesem Moment egal. Ihm kam es darauf an, daß der Alte jetzt keinen Aufstand machte. Noch mußte die Sache geheimgehalten werde.

»An wieviel denkst’ denn da so?« wollte Loisl wissen.

»Das werden wir schon seh’n.« Der Bürgermeister schüttelte unwillig den Kopf und schob dann den Wunderheiler durch das Gebüsch.

Als sie auf den Pfad traten, kam ihnen ein junger Bursche entgegen, der auf dem Weg nach St. Johann zu sein schien. Im ersten Moment erschrak Markus Bruckner.

Nicht auszudenken, wenn ihn hier jemand zusammen mit dem alten Kauz sah!

Doch der Bursche war kein Einheimischer. Offenbar handelte es sich um einen Touristen auf einem längeren Spaziergang. Er nickte ihnen zu und rief ein freundliches Grüß Gott.

Die beiden Männer warteten, bis er vorübergegangen war. Dann nahm der Bürgermeister Loisl am Arm.

»Das muß alles vorerst noch unter uns bleiben!« sagte er eindringlich. »Niemand, hörst du, niemand darf etwas davon erfahren. Vor allem net der Pfarrer!«

Der Wunderheiler grinste.

»Denkst’, ich bin blöd?« fragte er. »Natürlich werd’ ich meine Klappe halten. Aber, daß dir eines klar ist, Bruckner, ich bin beteiligt!«

»Freilich«, nickte Markus unwillig. »Ich hab’s doch gesagt. Und jetzt mach’, daß du nach Haus’ kommst. Ich geh’ andersrum ins Dorf zurück.«

»Ist gut«, nickte Loisl und machte plötzlich ein nachdenkliches Gesicht. »Und was ist, wenn die Maria net dichthält?«

»Wenn schon.« Der Bürgermeister zuckte die Schultern. »Der glaubt doch ohnehin keiner mehr ein Wort.«

*

»Ist der Bruckner eigentlich immer noch Bürgermeister?« erkundigte sich Martin Hollerer beim Mittagessen im Pfarrhaus.

Sebastian sah ihn erstaunt an.

»Ja, warum fragst?«

»Weil ich ihn und euren Wunderheiler vorhin zusammen gesehen hab’«, antwortete der Student.

»Was? Der Bruckner und der Brandhuber?« rief Max. »Was haben die denn miteinander zu schaffen?«

»Das möcht’ ich auch gern’ wissen«, sagte der Bergpfarrer. »Wenn die beiden zusammen sind, kann’s nix Gutes bedeuten. Wo hast’ sie denn gesehen?«

»Am Waldrand, zwischen dem Dorf und dem Höllenbruch«, beschrieb Martin die Stelle. »Sie kamen aus dem Gebüsch gekrochen, wie die Pilzsucher auf der Jagd nach Eierschwammerl. Der Brandhuber hatte sogar einen Spankorb dabei.«

»Ich kann mir net vorstellen, daß die beiden zusammen auf Schwammerlsuche geh’n«, meinte Max.

»Ich auch net«, stimmte Sebastian seinem Bruder zu. »Die beiden hecken doch irgendwas aus.«

Er machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Aber was?« setzte er hinzu.

»Vielleicht hat’s was mit dem angeblichen Heilwasser zu tun«, sinnierte der Polizeibeamte.

»Was für ein Heilwasser?« fragte der Student.

Sebastian erzählte von dem Gerücht, das seit einiger Zeit in St. Johann die Runde machte.

»Angeblich heilt es jedes Zipperlein«, schloß er. »Aber das behauptet der Brandhuber von allen seinen ›Wundersachen‹.«

»Da fällt mir noch was ein«, sagte Martin. »Aber das hat nix mit der Angelegenheit zu tun. Als ich heut’ vormittag im Garten war, hat mich eine Frau angesprochen. Sie stand drüben auf dem Friedhof und hielt mich wohl für den Pfarrer. Sie möchte in der Kirche fotografieren und wollte dafür um Erlaubnis bitten.«

Der Bergpfarrer zuckte die Schultern. »Die Urlauber fotografieren doch tagtäglich«, meinte er. »Wenn ich für jedes Foto nur einen Cent nehmen würd’, dann hätten wir mehr Geld eingenommen, als sie im Opferstock zurücklassen.«

»Nein, nein.« Der Student schüttelte den Kopf. »Das war keine Urlauberin. Sie will einen Fotoband über bayerische Kirchen machen, sagt sie.«

»Ach so, das ist natürlich etwas anderes«, nickte Sebastian verstehend. »Dann will sie wahrscheinlich am Abend fotografieren, wenn keine Leute mehr in der Kirche sind.«

»Ich hab’ ihr gesagt, sie solle später noch mal wiederkommen.«

In diesem Moment klingelte es, wie aufs Stichwort, an der Haustür.

»Ich geh’ schon«, sagte Sebastian. »Vielleicht ist sie’s ja.«

Er ging zur Tür und öffnete. Vor ihm stand eine junge, attraktive Frau, die ihn anlächelte.

»Ich glaube, heute ist nicht mein Glückstag«, sagte sie. »Heute vormittag war ich schon einmal hier und wollte den Herrn Pfarrer sprechen. Und jetzt scheine ich schon wieder Pech zu haben.«

»Wenn Sie den Pfarrer sprechen wollen, dann haben Sie Glück«, erwiderte der Geistliche.

»Ach, ist er da?«

»Er steht vor Ihnen.«

Maja Grosser machte große Augen. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit, daß dieser gutaussehende braungebrannte Mann Pfarrer war.

Der sah ja noch besser aus als dieser Bursche heute morgen!

»Entschuldigen Sie«, bat sie. »Ich habe ja nicht gewußt, daß…«

Sebastian überging ihre Verlegenheit. Es war nicht das erste Mal, daß jemand, der ihn nicht kannte, so erstaunt war. Die meisten hielten den großen, schlanken Mann mit der durchtrainierten Figur eher für einen Filmstar, Sportler oder sonst wie Prominenten.

»Sie müssen sich net entschuldigen«, meinte er. »Wahrscheinlich liegt es daran, daß ich im Moment keine Soutane trage, daß man net den Geistlichen in mir vermutet. Pfarrer Trenker, mein Name. Was kann ich für Sie tun?«

»Jetzt muß ich mich doch entschuldigen«, beharrte sie. »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Bärbel Brandner und bin Fotografin. Vielleicht hat Ihnen ja schon der Vikar erzählt, daß ich gerne in der Kirche fotografieren möchte. Für einen Fotoband.«

»Ich weiß Bescheid«, antwortete Sebastian und war einen Moment verwundert, daß sie Martin Hollerer für den Vikar Moser gehalten hatte.

Dann fiel ihm allerdings die große Ähnlichkeit der beiden ein, und damit war für ihn der Irrtum aufgeklärt.

»Da spricht nix dagegen, Frau Brandner«, sagte er. »Vielleicht sollten wir mal in die Kirche hin-übergehen. Oder haben S’ sich dort schon ein bissel umgesehen?«

»Ja, wir waren schon dort«, nickte sie. »Aber es wäre wirklich schön, wenn Sie uns vielleicht noch ein paar Details erklären könnten.«

»Freilich. Sie sprechen in der Mehrzahl –, dann sind S’ net allein da?«

»Mein Bruder begleitet mich«, erklärte die Frau. »Er wartet übrigens dort drüben.«

Sie zeigte zur Kirche hinüber. Sebastian sah einen Mann davor stehen, der eine Zigarette rauchte. Als sie hinübergingen, warf er sie auf den Boden und trat sie aus.

Maja entging nicht der Blick, den Pfarrer Trenker auf Wolfgang warf. Sie gab ihrem Begleiter einen Stoß in die Seite, Wolfgang bückte sich schnell und hob die Kippe wieder auf. Mit einem Grinsen steckte er sie in die Jackentasche.

»Entschuldigung.«

»Das ist mein Bruder Tobias –, Pfarrer Trenker«, machte die Frau sie miteinander bekannt.

Sebastian verzichtete darauf, dem Mann die Hand zu schütteln, und nickte ihm nur zu. Dann öffnete er die Kirchentür und ließ den beiden den Vortritt.

*

»In welchem Verlag soll denn der Bildband erscheinen?« erkundigte sich Sebastian, als sie in der Kirche standen.

Maja Grosser zögerte einen Moment, ehe sie antwortete.

»Das steht noch nicht fest«, erklärte sie dann.

Der Bergpfarrer nickte.

»Dann arbeiten Sie also erst einmal ohne festen Auftrag?«

»Ja, aber ich bin sicher, daß ich einen Verlag finden werde.«

Sie gingen zum Altar hinunter.

»Also, diese Kirche ist wirklich eine der schönsten, die ich je gesehen habe«, sagte die Frau.

Wolfgang, der neben ihr ging, schwieg. Sebastian überlegte derweil, was ihm an diesen Menschen seltsam vorkam. Der Mann schien auf den ersten Blick nicht besonders interessiert an dem, was es zu sehen gab. Er blickte eher gelangweilt umher. Dabei hätte er doch zumindest irgendein Interesse zeigen müssen. Schließlich war seine Schwester bei den Vorbereitungen für ein besonderes Projekt, und wenn er sie dazu begleitete, dann war es schon ungewöhnlich, wie er sich jetzt gab.

Der Geistliche nahm Tobias Brandner näher in Augenschein. Er sah wie einer aus, der sich keine Sorgen um sein tägliches Brot machen mußte. Die Kleidung, die er trug, war bestimmt nicht von der Stange gekauft, genauso wenig wie die goldene Uhr, die an seinem Handgelenk blitzte.

Allerdings sah sie ein wenig protzig aus.

Na ja, dachte Sebastian, wer’s sich leisten kann…

»Hier, direkt vor dem Altar, dachte ich, könnte man das Stativ aufstellen«, erklärte Maja Grosser. »Mit dem Weitwinkelobjektiv gibt das sicher ein schönes Bild vom Eingang, mit der Orgel darüber.«

Sebastian versuchte, es sich vorzustellen.

»Und dann natürlich die Heiligenfiguren«, fuhr die Frau fort. »Die würde ich gerne jede einzeln fotografieren.«

Sie deutete auf die Madonnenstatue unter der Galerie.

»Ein herrliches Stück«, meinte sie. »Und man weiß gar nichts über den Künstler?«

Der Bergpfarrer schüttelte den Kopf.

»Leider net«, antwortete er. »Ich habe schon oft nach Unterlagen gesucht. Aber das Kirchenarchiv gibt nix darüber her.«

»Die ist doch bestimmt sehr wertvoll, oder?« ließ sich Wolfgang Mensbach, der sich jetzt Brandner nannte, erstmals vernehmen. »Haben Sie da keine Angst, daß sie gestohlen werden könnte?«

Sebastian dachte sich nichts weiter bei dieser Frage. Sie war ihm schon häufiger gestellt worden, und er erzählte zum wiederholten Male die Geschichte vom dreisten Kirchenraub, der vor ein paar Jahren geschehen war.

»Inzwischen ist die Madonna durch eine Alarmanlage gesichert«, erklärte er. »Hebt man sie auch nur einen Zentimeter vom Sockel herunter, wird der Alarm ausgelöst.«

Maja warf ihrem ›Bruder‹ einen bedeutsamen Blick zu, der Sebastian Trenker allerdings entging, dann zeigte sie auf das Bild, das neben der Statue hing.

»Das ist aber auch wunderschön!«

Der Geistliche nickte und erklärte, daß der Wert des Gemäldes, das den Gottessohn darstellte, zwar nicht den der Madonna habe, aber ebenfalls schon über zweihundert Jahre alt sei.

Er führte die beiden Besucher weiter herum, erklärte ihnen, wen die Figuren im einzelnen darstellten, und wunderte sich ein wenig, daß die Frau, die einen Bildband über bayerische Kirchen veröffentlichen wollte, so gar keine Ahnung hatte. Ein wenig, so würde er vermutet haben, hätte man sich doch darüber informieren müssen, wenn man solch ein Projekt beabsichtigte, und ihm kam ein leiser Verdacht, Bärbel Brandner sei gar keine professionelle Fotografin…

Vielleicht, so überlegte er, war sie einfach nur eine reiche Frau, die mit ihrem Geld nichts anzufangen wußte und es nun in ein Buch investierte. Möglicherweise wollte sie sich damit ein wenig aus ihrer Langeweile befreien.

Was diesen Verdacht unterstützte, war die Tatsache, daß weder sie noch ihr Bruder einen Fotoapparat dabei hatten…

Sebastian fragte sich, ob er nicht hier seine Zeit mit zwei Müßiggänger vergeudete.

»Ja«, sagte er schließlich, um das Ganze abzukürzen, »ich glaube, ich habe Ihnen inzwischen alles gezeigt. Ihrer Arbeit steht nun nix mehr im Wege. Ich möcht’ Sie allerdings doch bitten, net während der Gottesdienste zu fotografieren.«

»Selbstverständlich nicht, Hochwürden«, nickte die Frau und setzte ein gewinnendes Lächeln auf. »Ich hatte ohnehin vor, erst am Abend herzukommen. Wann wird denn die Kirche geschlossen?«

»Überhaupt net. Sie ist Tag und Nacht geöffnet.«

»Na, das ist doch prima. Dann werde ich heute abend nach der Spätmesse die ersten Fotos machen.«

»Dann viel Erfolg«, wünschte Sebastian und verabschiedete sich.

Als sie alleine waren, sah Maja Wolfgang triumphierend an.

»Na, klappt doch prima.«

»Ich weiß nicht«, meinte er skeptisch. »Du hast doch gehört, was er gesagt hat: Nur einen Zentimeter anheben, und der Alarm geht los.«

»Wenn er eingeschaltete ist.«

»Trotzdem…, mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß wir erwischt werden könnten…«

Maja trat zu ihm und legte eine Hand auf seinen Arm. »Wir schaffen es, Wolfgang!« beschwor sie ihn. »Denk doch nur an das Geld, mit dem wir ein neues Leben beginnen werden!«

Er zog sie an sich, und sie ließ es geschehen, trotz ihrer Tarnung, hier als Bruder und Schwester aufzutreten.

»Ich liebe dich«, sagte Wolfgang mit einer Zärtlichkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte.

Maja gab ihm einen Kuß.

»Ich liebe dich doch auch«, erwiderte sie lächelnd.

Dann stoben sie auseinander, als die Kirchentür aufging und Touristen mit Fotoapparaten und Videokameras hereinkamen. Rasch stellten sie sich so, als betrachteten sie das Kreuz über dem Altar. Nach ein paar Minuten drehten sie sich dann um und gingen hinaus.

*

»Der Vikar ist es«, sagte Maja, als sie im Kaffeegarten des Hotels bei einem späten Mittagessen saßen, »an den müssen wir uns halten.«

»Schön und gut«, nickte Wolfgang Mensbach. »Aber wie wollen wir das anstellen?«

»Wir gar nicht«, erwiderte die Frau, während sie das saftig gebratene Steak zerteilte, das vor ihr auf dem Teller lag. »Ich werde mich um den hübschen Burschen kümmern.«

Wolfgang ließ die Gabel sinken, die er gerade zum Mund führen wollte. Eifersucht flammte in seinen Augen auf.

»Untersteh dich!« stieß er hervor.

»Keine Sorge«, beruhigte sie ihn. »Das gehört alles zum Plan…«

Maja Grosser sah sich um. Im Moment waren nur ein paar Tische besetzt, und sie konnten sich zwanglos unterhalten, ohne Gefahr zu laufen, von jemandem gehört zu werden.

»Schatz, du weißt doch, daß ich es nur für uns tue«, setzte sie hinzu. »Außerdem –, bin ich dir nicht all die Jahre treu geblieben, als du im Gefängnis warst?«

Wolfgang Mensbach nickte.

Doch, Maja war treu gewesen. Immer wieder hatte sie es in ihren Briefen betont. Regelmäßig hatte sie ihn besucht, und dann hatten sie von einer gemeinsamen Zukunft gesprochen.

»Laß mich nur machen«, hatte sie gesagt.

Und wenn er abends in seiner Zelle lag und vor Sehnsucht nicht einschlafen konnte, dann hatte er versucht, sich vorzustellen, wie diese Zukunft wohl aussehen würde. Endlich kam der Tag, an dem er entlassen wurde. Maja hatte ihn am Gefängnistor erwartet. Zu Hause war ein liebevoll zubereitetes Menü der schönste Willkommensgruß gewesen, und dann hatte sie ihren Plan in allen Einzelheiten ausgebreitet.

Nein, Maja würde nichts mit diesem Burschen anfangen. Jedenfalls nichts Ernsthaftes. Alles, was sie tat, diente lediglich dazu, dem Vikar Informationen zu entlocken.

»Wir müssen ihn beobachten«, erklärte sie weiter. »Solange er im Pfarrhaus ist, kommen wir nicht an ihn heran. Aber er wird ja nicht da eingesperrt sein. Ich werde versuchen, mich an ihn heranzumachen.«

Sie lächelte spöttisch.

»Bei mir ist noch jeder schwach geworden…«

»Wieviel Zeit haben wir eigentlich?«

Sie zuckte die Schultern.

»Ich habe erstmal zwei Wochen einkalkuliert«, meinte sie. »Aber je eher es klappt, um so besser. Wir müssen abwarten, wie sich alles entwickelt.«

»Und was ist, wenn der Wirt uns eine Zwischenrechnung präsentiert? Soviel haben wir doch sicher nicht mehr. Die Zimmer kosten ja ein Heidengeld.«

»Was glaubst du wohl, warum ich so mit dem Trinkgeld um mich werfe?« erwiderte Maja. »Der Herr Reisinger wird sich hüten, zwischendurch Geld von uns zu verlangen. Seine Angestellten dürften kaum damit hinter dem Berg halten, daß wir so großzügig sind.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, da brauchst du dir keine Gedanken machen.«

»Na gut, aber was ist, wenn wir die Madonna haben? Wem willst du sie verkaufen?«

Sie hatten bisher über viele Details gesprochen. So auch über ihren Fluchtweg, den sie nehmen würden, wenn sie die Madonna geraubt hatten. Die Polizei würde wahrscheinlich annehmen, daß sie sich ins Ausland abgesetzt hätten. Österreich war naheliegend, schließlich grenzte es ja an das Wachnertal. Maja Grosser war allerdings raffinierter und hatte ein Versteck, nur wenige Kilometer von München entfernt, ausgesucht. Dort würden sie auch den Mittelsmann eines Kunstliebhabers treffen, mit dem sie Kontakt aufgenommen hatte und der nur auf ihren Anruf wartete. Wer dieser Mittelsmann war, hatte Maja Wolfgang allerdings bisher verschwiegen.

»Das ist schon geregelt«, antwortete sie auf seine Frage. »Sobald wir von hier verschwunden sind, tauchen wir für einige Zeit unter. Dann rufe ich den Vermittler an.«

Wolfgang sah sie bewundernd an. Eine tolle Frau hatte er. Ihre ganzen Ersparnisse hatte sie in das Unternehmen gesteckt und machte ihm immer wieder Mut, wenn er die ganze Sache zu schwarz sah.

»Mensch, ich kann’s gar nicht abwarten, bis wir endlich in der Sonne liegen«, träumte er. »Fernab von allen Sorgen.«

»Es wird bald soweit sein«, sagte sie zuversichtlich. »Aber bis dahin müssen wir uns eben gedulden.«

Sie hatten ihre Mahlzeit beendet und saßen zurückgelehnt und rauchend auf ihren Stühlen. Nach einer Tasse Kaffee stand Wolfgang Mensbach auf.

»Dann werde ich mal auf meinen Beobachtungsposten gehen«, verabschiedete er sich. »Bis dann, ›Schwesterherz‹.«

Sie schmunzelte und trank ihren Kaffee aus. Dann winkte sie der Bedienung, ließ den Betrag wieder auf die Zimmerrechnung schreiben und gab ein großzügiges Trinkgeld.

Als Maja Grosser sich wenig später auf das Bett in ihrer Suite legte, stand Wolfgang Mensbach, zwischen den Bäumen versteckt, auf dem Friedhof und beobachtete das Pfarrhaus.

Zunächst einmal tat sich nichts. Einmal sah er den Geistlichen durch den Garten spazieren. Dann trat eine Frau aus der Tür, in der er die Haushälterin vermutete. Schließlich kamen Pfarrer Trenker und der junge Vikar auf die Terrasse. Wolfgangs Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, als die beiden sich setzten und gemütlich Kaffee tranken. Endlich, inzwischen war über eine Stunde vergangen, und der heimliche Beobachter hatte immer wieder mal seinen Standort wechseln müssen, weil Besucher auf den Friedhof kamen, erhob sich der Vikar.