E-Book 271-280 - Friederike von Buchner - E-Book

E-Book 271-280 E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. E-Book 1: Die Ruhe vor dem Sturm E-Book 2: Zwei Verehrer für Wendy E-Book 3: Er kennt keine Grenzen E-Book 4: Unruhige Tage auf der Oberländer Alm E-Book 5: Die Bedeutung von Liebe E-Book 6: Der Mann aus Norwegen E-Book 7: Toni und Anna müssen sich entscheiden E-Book 8: Wendys Alm E-Book 9: Das Komplott der Väter E-Book 10: Hat sie sich in Lukas getäuscht?

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Inhalt

Die Ruhe vor dem Sturm

Zwei Verehrer für Wendy

Er kennt keine Grenzen

Unruhige Tage auf der Oberländer Alm

Die Bedeutung von Liebe

Der Mann aus Norwegen

Toni und Anna müssen sich entscheiden

Wendys Alm

Das Komplott der Väter

Hat sie sich in Lukas getäuscht?

Toni der Hüttenwirt – Staffel 28 –

E-Book 271-280

Friederike von Buchner

Die Ruhe vor dem Sturm

Roman von von Buchner, Friederike

Am Morgen nach der Hochzeitsnacht wachte Armin zuerst auf. Tessa lag in seinem Arm und schlief fest. Selbst im Schlaf sah sie sehr glücklich aus. Ihr schönes Haar lag ausgebreitet auf dem Kissen.

Ganz vorsichtig drückte er ihr einen Kuss darauf. Er schloss für einen Augenblick die Augen und atmete den Duft ein.

Wie gut du riechst, Tessa, dachte er.

Behutsam, damit seine junge Frau nicht aufwachte, zog er seinen Arm zurück. Tessa lächelte im Schlaf. Armin stand ganz vorsichtig auf. Seine Bewegungen waren langsam wie in Zeitlupe.

Er griff nach seinen Kleidern und schlich aus dem Zimmer. Sein Herz klopfte, als er die Tür schloss, die etwas quietschte. Er wollte auf jeden Fall verhindern, dass Tessa erwachte.

Der große Raum der Ansbacher Hütte war Wohnraum und Küche zugleich. Armin zog sich schnell an. Er machte Feuer im Ofen und stellte Wasser für Kaffee auf. Er wollte Tessa später mit einem großen Becher Kaffee wecken.

Armin trat vor Hütte und ließ seinen Blick schweifen. Die Landschaft kam ihm noch schöner und lieblicher vor als die Wochen vorher. Er sah alles mit anderen Augen. Die Wiesen waren voller Blumen.

Da kam ihm eine Idee.

Eilig hastete er zurück. Er legte noch Holz ins Feuer. Dann suchte er die Dinge zusammen, die er brauchte und eilte davon.

Armin lief so schnell den Hügel hinauf, dass er oben keuchend ankam. Er musste sich mit der Hand an der Bank festhalten, um wieder zu Atem kommen.

Dann lief er auf die ungemähten Wiesen und pflückte Blumen und besonders schöne Gräser. Er häufte sie vor der Sitzbank auf. Eifrig flocht er daraus Girlanden. Dabei erinnerte er sich an ein Erlebnis aus seiner Jugend. Er war bei seiner Großtante Antonia zu Besuch gewesen. Sie flocht Girlanden aus Gräsern und zeigte ihm, wie man es macht. Den Anlass hatte er vergessen. Damals war er ärgerlich gewesen, weil er als Bub Weiberarbeit machen musste. Jetzt war er dankbar dafür. Es ging ihm leicht von der Hand und er kam schnell voran. Sicher könnte die Tante es besser, dachte er. Aber die war nicht da. Er nahm sich vor, mit Tessa zu ihr zu fahren.

Nachdem er einige Meter geflochten hatte, hängte er sich die Girlanden um den Hals und raffte die übrigen Blumen und Gräser mit beiden Armen zusammen.

Er brachte alles zum alten Heustadel, in dem der geliehene Traktor stand.

Armin beeilte sich. Er schaute immer wieder auf seine Uhr. Hoffentlich schläft Tessa noch, dachte er. Er hetzte sich ab, bis kleine Schweißperlen auf seiner Stirn standen.

Er warf einen kurzen Blick auf sein Werk und rannte dann den Hügel hinunter.

Das Kaffeewasser kochte. Schnell brühte er Kaffee auf und richtete ein Frühstück für zwei auf einem Holztablett an. Eine große rote Mohnblüte stellte er in ein Glas mit Wasser. Vorsichtig balancierte er das Tablett auf einer Hand, während er mit der anderen die Tür öffnete.

Das Tablett stellte er auf den Hocker neben dem Bett.

»Guten Morgen, Liebling! Frühstück ist fertig«, sagte er zärtlich.

Tessa räkelte sich und schlug die Augen auf. Sie strahlte Armin an. Dann richtete sie sich auf und streckte die Arme nach ihm aus.

Armin setzte sich auf die Bettkante.

Sie küssten sich.

»Guten Morgen, Armin! Guten Morgen, allerliebster Ehemann!«, flüsterte Tessa.

»Guten Morgen, allerallerliebste Ehefrau!«, flüsterte Armin und schaute er tief in die Augen.

Es folgte ein langer, langer Kuss.

»Ich habe Frühstück gemacht.«

»Du bist der perfekte Ehemann«, lobte ihn Tessa. »Ich weiß schon, warum ich mich in dich verliebt habe. Du bist der einzige Mann, mit dem ich mein Leben verbringen wollte.« Tessa senkte den Blick. »Armin, ich weiß, dass ich dich gestern mit der Hochzeit überrumpelt habe.«

Armin lachte. »Ja, das hast du. Ich gebe es zu. Du hast sehr viel Temperament, Tessa.«

»Mir war es einfach nicht möglich, noch länger auf dich zu warten. Du hast mir geschrieben, dass du mich liebst. Aber da du sehr korrekt bist, wolltest du dir erst wieder eine berufliche Zukunft aufbauen, bevor du mich heiratest. Du wolltest erst deine alten Probleme komplett bewältigt haben. Aber da habe ich nicht mitgemacht. Ich wollte keinen Tag länger auf dich warten. Ich liebe dich so, Armin.«

»Und dann hast du Nägel mit Köpfen gemacht.«

»Die Nägel habe ich handgeschmiedet mit großen, fetten Köpfen. Und die habe ich eingeschlagen, dass sie ein ganzes Leben lang halten. Ich gestehe dir, ich hatte solche Herzklopfen, bis du Ja sagtest.«

Armin küsste sie, dann schaute er sie an und lächelte verlegen.

»Wahrscheinlich war, mich zu überrumpeln, der einzige Weg.«

»Gut, dass du das einsiehst! Doch in Zukunft bereden wir alles gemeinsam und handeln zusammen«, sagte Tessa ernsthaft. Es war ein Versprechen.

Er nickte. »So sollte es in einer Ehe sein.«

»So machen wir es, Armin. Wir begegnen uns auf Augenhöhe.«

Armin griff nach dem Kaffee und schenkte Tessas Becher voll.

»Warte, ich stehe auf! Bringst du die Sachen hinaus? Ich möchte vor der Almhütte frühstücken«, und leiser fügte sie hinzu, »wenn es dir recht ist?«

»Den Wunsch erfülle ich dir gern.« Armin brachte das Frühstückstablett hinaus.

Tessa stand auf und zog sich an.

Sie setzten sich auf die Bank und frühstückten.

»Das hast du schön gemacht, mit der Mohnblume. Bist du ein Romantiker?«

»Ja, hinter der rauen Schale, die du von mir kennst, bin ich ein Romantiker.«

Tessas Antwort war ein liebevoller Kuss.

»Tessa, wir kennen uns noch wenig. Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht.«

»Schmarrn! Ich kenne dich vielleicht besser, als du denkst, Armin.« Sie gestand ihm, dass sie durch das Fernglas beobachtet und mit dem Teleobjektiv fotografiert hatte. »Außerdem habe ich auf mein Herz gehört und in deinen Augen gelesen. Schau mich mal an!«

Armin drehte den Kopf zu ihr und kam ihr ganz nah.

Tessa tat, als würde sie seinen Blick kritisch prüfen.

»Mm! Alles ist in bester Ordnung. Ich sehe keinen einzigen Schatten von Traurigkeit mehr.«

Armin lachte. »Das wäre auch schlimm, am Morgen nach unserer Hochzeitsnacht.«

Tessa schlang die Arme um seinen Hals, und sie küssten sich wieder.

»Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als dein Mann zu werden, Tessa.«

Sie streichelte ihm zärtlich die Wange.

Er nahm ihre Hand und küsste sie. Dann lächelte er. »Der Ehering steht dir gut«, sagte er. »Du hast die Ringe gut ausgesucht, Tessa.«

»Ich kenne dich eben besser, als du denkst. Sicher wäre es schöner gewesen, wenn wir die Ringe zusammen ausgesucht hätten. Aber ich hatte Angst, dass sich alles verzögert.«

»Du hast nicht nur die Ringe ausgesucht. Du hast mich mit deinen Eltern und Bürgermeister Fellbacher überrumpelt. Außerdem hast du auf ein großes Hochzeitsfest verzichtet, mit Brautkleid, Blumen und allem, was dazu gehört.«

»Das sind doch alles nur Äußerlichkeiten, wenn man es genau nimmt. Entscheidend war, dass du mich liebst. Ich wollte den Trauschein, der mich zu deiner rechtmäßig angetrauten Frau macht. Du bist mein Leben, Armin. Es war ein unvergesslicher Augenblick, als wir uns hier vor der Almhütte das Jawort gaben. Es war etwas ganz Besonderes.«

»Ja, das war es. Wenn du damit zufrieden bist, Tessa, bin ich es auch.«

»Ich bin damit sehr zufrieden, Armin, und sehr glücklich. Sicher werden meine Eltern in München irgendwann einen kleinen Empfang geben. Das musst du über dich ergehen lassen. Aber den Zeitpunkt bestimmen wir. Jetzt bleiben wir noch eine Weile in der Almhütte und genießen unsere Zweisamkeit.«

Armin nickte. »Solange du willst, Tessa. Aber denke bitte daran, dass ich bei deinem Vater einen Arbeitsvertrag unterschrieben habe. Ich möchte so gern wieder arbeiten. Ich habe die vergangenen Wochen und Monate gelitten, weil ich nicht wusste, wie es weitergeht. Jetzt habe ich meinen Neuanfang. Außerdem hat mir dein Vater einen Vorschuss gegeben. Das heißt, er hat ihn dir ausgehändigt. Du hast ihn darum gebeten. Ich will mir das Geld verdienen, Tessa.«

Sie schaute ihn liebevoll an.

»Armin, das verstehe ich. Gerade nach dem Ärger, den du mit deinem betrügerischen Geschäftspartner hattest, dürstet es dich nach Bestätigung im Beruf.«

»Danke für dein Verständnis, Tessa! Du bist eine wunderbare Frau und du verstehst mich.«

Sie gab ihm einen Kuss. »Du hast für alles gerade gestanden. Du hast dein gesamtes Privatvermögen aufgelöst, um alles wieder gutzumachen. Dazu warst du nicht verpflichtet.«

»Juristisch war ich nicht dazu verpflichtet, Tessa. Doch ich konnte mich vor der moralischen Verpflichtung nicht drücken. Mein Gewissen hat mich dazu gedrängt. Hätte ich es nicht getan, wäre ich ein Leben lang voller Schuldgefühle gewesen. Ich hätte es nie über das Herz gebracht, so zu tun, als hätte ich keine Verantwortung, es war meine Firma. Also stehe ich auch dafür grade, auch mit meinem persönlichen Vermögen. Es war gut, dass ich in meinem Leben immer sparsam gewesen bin. Es macht mir nichts aus, dass ich von vorn anfangen muss. Ich bin gesund. Und jetzt habe sogar eine wunderbare, verständnisvolle Frau.«

»Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebendes Paar, heißt es bei Schiller. Dabei ist die Almhütte eigentlich recht groß.«

Armin lächelte. Dann wurde er blass. Ihm wurde bewusst, dass es keinen Platz gab, an den er Tessa heimbringen konnte. Er hatte sein Haus verkauft und die Eigentumswohnungen, die er als Kapitalanlage erworben hatte. Er besaß nicht einmal mehr ein Auto. Er hatte alles zu Geld gemacht, was er zu Geld machen konnte. Er sprach Tessa darauf an.

»Das ist nicht schlimm«, sagte Tessa. »Vorerst sind wir hier. Außerdem können wir im Haus meiner Eltern leben. Wenn du willst, nur wenn du willst! Mir gehört das ganze obere Stockwerk. Und wenn es zu klein ist, bauen wir an.«

Armin lachte laut. Es war ein herzliches Lachen.

»Schatz, du machst mir Spaß«, lachte er. »Nachdem ich weiß, wer du bist, wer deine Eltern sind, weiß ich genau, wo du wohnst. Die Villa deiner Eltern ist stadtbekannt. Das ist kein Haus, an das man anbauen muss. Du möchtest gern, dass wir dort wohnen?«

»Ja, das wäre sehr praktisch. Meine Eltern hätten es dann als Großeltern nicht so weit. Mama könnte sich tagsüber der Enkel annehmen und Papa auch am Abend, wenn wir ausgehen. Weißt du, ich halte nichts von Kindermädchen, Kinderfrauen oder Au-pair Mädchen. Kinder sollen in einer richtigen Familie aufwachsen.«

Tessa erzählte von ihrer unbeschwerten Kindheit.

Armin verstand immer besser, warum Tessa so bodenständig war.

»Deine Eltern sind tolle Menschen, Tessa. Ich habe sie sofort in mein Herz geschlossen. Dein Vater ist ein sehr tatkräftiger Mann.«

»Ja, das ist er. Es fiel ihm nicht leicht, mit dir zu sprechen. Er verstand mich, aber er meinte, ich sollte das mit dir regeln. Ich musste viel Überzeugungsarbeit aufbringen, ihn dazu zu bringen. Und ich schwöre dir, ich hätte mich nicht hinter Papa versteckt, wenn ich nicht solche Angst gehabt hätte, dass es mir nicht gelingen würde, dich zu überzeugen. Ich liebe dich so, Armin.«

Sie gab ihm einen Kuss.

Danach erzählte sie, dass sie sich in München oft wie Freiwild vorgekommen war. Die Burschen waren vor allem an ihrem Geld interessiert.

»Außerdem habe mich in niemanden verliebt, außer in dich, Armin. Ich hatte mir geschworen, nur aus Liebe zu heiraten. Dich liebte ich vom ersten Augenblick an.«

»Tessa, ich liebe dich. Wir werden glücklich sein. Das sage ich nicht nur so dahin. Ich weiß es, weil ich es hier drinnen fühle.« Armin legte die Hand auf sein Herz.

Sie sahen sich tief in die Augen, nahmen sich fest in die Arme und küssten sich.

Das Frühstück hatte sich lange hingezogen. Sie tranken den Kaffee aus und räumten ab. Tessa spülte das Geschirr und Armin trocknete ab.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Armin.

»Was willst du machen?«

»Tessa, ich habe dich zuerst gefragt.«

»Wir könnten zur Berghütte wandern. Toni und Anna wollen ihre Glückwünsche aussprechen und wir brauchen Proviant. Ich denke, wir holen Brot, Milch, Sahne und Käse, wie gewohnt, auf der Berghütte. Die anderen Lebensmittel kaufen wir im Tal. Ich will uns jeden Tag etwas Leckeres kochen.«

»Es ist ein Segen, dass du kochen kannst. Ich kann nur Dosen öffnen und aufwärmen«, sagte Armin.

Tessa sagte, dass sie all die Dinge beherrsche, die eine Hausfrau und Ehefrau können sollte, Kochen, Backen und vieles mehr.

»Meine Mutter legte großen Wert darauf, dass ich das alles lerne. Sie kocht jeden Tag. Wir haben zwar eine Art Haushälterin, aber Kochen tut Mama selbst. Liebe geht auch durch den Magen, hat sie mir beigebracht. Ich bin wahrscheinlich die einzige junge Frau im großen Bekannten– und Freundeskreis meiner Eltern, die das alles kann.« Tessa lachte. »Du, Armin, einmal hat jemand gesagt, ich wäre altbacken, weil ich es kann und auch mache.«

»Das war sehr dumm, so etwas zu sagen. Außerdem weiß man nie, wie das Leben spielt.«

»Das weiß bestimmt keiner besser als du, Armin. Also ich bin gerüstet, sollten wir mal von einer Villa in eine Mietwohnung ziehen müssen, ohne Personal.«

»Da habe ich wahrlich ein Juwel ergattert«, lachte Armin.

»Ich rede so dahin und mache Pläne«, sagte Tessa. »Aber du hast noch gar nicht zugestimmt, ob wir bei meinen Eltern wohnen. Bist du denn einverstanden?«

»Tessa, natürlich werden wir dort wohnen. Ich mag deine Eltern sehr. Ich bekomme eine Familie, nachdem ich so früh Waise geworden bin.«

»Stimmt ja! Das hast du in dem Brief geschrieben. Die einzige Verwandte, die dir nahesteht, ist deine Großtante Antonia. Sie hat dir die Hütte zur Verfügung gestellt. Hast du sie schon angerufen und ihr gesagt, dass es mich gibt?«

Armin schüttelte den Kopf. »Wir werden sie bald besuchen. Wir sagen es ihr persönlich und wir erzählen ihr die ganze Geschichte. Und sei gerüstet, Tessa. Sie wird nicht verstehen, dass wir nicht kirchlich geheiratet haben.«

»Das holen wir nach. Willst du deine Tante nicht einladen?«

»Das ist eine gute Idee!«

»Mach das! Wenn du willst, dann heiraten wir kirchlich, hier in Waldkogel.«

Armin strahlte. »Und wie ich will! Wir heiraten in der schönen Barockkirche, mit meinen Eltern, meiner Großtante, Toni und Anna und Mario und Bürgermeister Fellbacher.«

Tessa strich sich nachdenklich eine Haarlocke hinters Ohr.

»Was hast du?«, fragte Armin.

Tessa seufzte. »Im Augenblick haben alle auf der Berghütte Stress. Es hat etwas mit Tonis Vergangenheit zu tun, vermute ich, nach Alois’ sehr diskreten Andeutungen. Aber ich hoffe, dass bald Klarheit herrscht. Wir müssen es mit der Hochzeit nicht überstürzen. Lass deine Großtante herkommen! Sie stammt aus Waldkogel und kennt sich mit den hiesigen Hochzeitsbräuchen sicher gut aus.«

»Du bist ein Schatz, Tessa. Aber das hat noch Zeit. Ich will mit dir hier auf der Almhütte einige Tage allein sein. Das verstehst du doch?«

»Ja, das möchte ich doch auch! Gut, dann warte noch etwas mit dem Anruf oder schreibe ihr einen Brief. Außerdem können wir sie auf der Berghütte unterbringen. Sie wird sich sicherlich freuen, mit Alois über alte Zeiten zu plaudern.«

»Das ist eine sehr gute Idee, Tessa. So machen wir es.« Er lächelte sie an. »So und jetzt habe ich noch eine Überraschung.«

»Was ist es?«, rief Tessa.

»Es ist nichts Großes. Nimm deine Wanderjacke, dann gehen wir hin! Es ist ganz in der Nähe.«

»Okay!«

Sie banden die Wanderjacken auf die Rucksäcke, denn es war ein warmer Tag. Dann gingen sie los.

Sie liefen Hand in Hand den Hügel hinauf.

»Ich bin sehr gespannt, Armin«, lachte Tessa.

Armin schmunzelte.

»Nun sag schon, wo führst du mich hin?«, fragte Tessa. »Wenn wir weit wandern, hätten wir Proviant mitnehmen sollen. Die Berghütte kann es nicht sein. Sie liegt in der anderen Richtung.«

Armin schmunzelte nur. Er führte sie, quer über die Wiese, zum Heustadel.

»So, da sind wir«, sagte Armin und öffnete die Tür. »Liebe Tessa Ansbacher, ich lade dich zu einer Spazierfahrt ein, hinunter nach Waldkogel. Ich bin dein glücklicher und stolzer Ehemann. Jeder in Waldkogel soll es wissen und sehen.«

»Armin, sieht der Traktor schön aus! Wann hast du ihn geschmückt?«

Tessa stand vor dem offenen Tor und betrachtete voller Freude den alten Traktor.

Armin hatte um die Windschutzscheibe und um die Sitzlehnen, auf den Radkappen, Girlanden gewunden und angebunden. Auf der langen Motorhaube lag ein Bündel aus Wiesenblumen und Gräsern.

»Darf ich Frau Ansbacher die Hand reichen, damit sie bequem aufsteigen kann?«

»Aber gern, Herr Ansbacher!«

Doch bevor Armin hinaufklettern und Tessa die Hand reichen und sie heraufziehen konnte, fiel sie ihm um den Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.

»Ich dachte«, sagte Armin, »Brautpaare fahren in geschmückten Autos oder Kutschen zur Trauung. Okay, du bist mit einem Hubschrauber zur Ansbacher Hütte gekommen, aber jetzt fahren wir ins Dorf, gehen einkaufen und besuchen Martin. Dann fahren wir hinauf auf die Oberländer Alm und wandern zur Berghütte.«

»Du bist großartig«, sagte Tessa. Dann warf sie die Arme hoch und schrie: »Schaut alle, was ich für einen wunderbaren Mann habe!«

Armin lachte. »Leider gibt es keine Zuschauer. Aber die werden wir drunten in Waldkogel haben.«

»Die Berge sind hier und die Gämsen auf der anderen Talseite und der Himmel über uns. Ich bin sicher, dass die Engel vom Engelssteig uns sehen. Übrigens, kennst du die Legenden über die Engel vom Engelssteig?«

»Sicher kenne ich sie. Meine Großtante hat mir viele Geschichten erzählt.« Er wurde rot. »Tessa, ich gestehe, dass ich mit den Engeln gesprochen habe, nachdem ich den Brief an dich geschrieben hatte. Ich habe sie um Hilfe gebeten. Ich wünschte mir, dass du auf mich wartest.«

Tessa streichelte Armin die Wange. »Ich habe auch mit den Engeln geredet, bevor mich deine Zeilen erreichten. Ich denke, die Engel haben für uns beide ein gutes Wort im Himmel eingelegt.«

»Das haben sie. Und jetzt sind wir Mann und Frau. Dass du mich einfach so heiratest, damit hatte ich allerdings nicht gerechnet. Es ist ein Wunder. Es kommt mir immer noch wie ein Wunder vor, Tessa. Ich lebe wie in einem Traum.«

»Soll ich dich kneifen? Es ist kein Traum.«

»Nein, ist kein Traum. Mein Leben hat eine solch unerwartete Wendung genommen, dass ich denke, es ist wirklich ein Wunder. Ich war so niedergeschlagen und wusste nicht, wie es weitergehen soll. Ich war in der Hölle. Jetzt bin ich im Himmel – im siebten Himmel.« Armins Stimme klang sehr bewegt. »Wunder gibt es. Das Wunder der Liebe ist uns beiden zuteil geworden.«

Sie nahmen sich fest in die Arme und küssten sich.

Dann kletterte Armin auf den Traktor und holte Tessa zu sich herauf. Er nahm sie auf seinen Schoß. Dann fuhren sie los, in Richtung Tal.

Auf der Hauptstraße fuhr Armin bewusst langsam und hupte ständig. Die Fußgänger schauten sich um und winkten. Die Autofahrer, die ihnen entgegen kamen, stimmten ein fröhliches Hupkonzert an. Die Fenster an den Häusern gingen auf. Leute winkten ihnen zu.

»Wir haben geheiratet!«, schrie Armin jedem zu. »Schaut alle her! Das ist Tessa, meine Frau!«

»Glückwunsch!« und »Alles Gute für euch!«, rief man ihnen zu.

Armin hielt, mitten auf dem Hof, vor der Praxis von Doktor Martin Engler. Er hupte solange, bis Martin, Katja und die alte Wally herausgelaufen kamen, gefolgt von den Patienten, die im Wartezimmer gesessen hatten.

»Ihr habt euch gefunden?«, fragte Martin, als er den geschmückten Traktor sah.

»Wir haben gestern am frühen Abend geheiratet. Martin, darf ich dir Tessa Ansbacher vorstellen, meine Frau?«, rief Armin laut.

Dann sprang er vom Traktor. Tessa ließ sich in seine Arme fallen.

»Mei, ist das wirklich wahr? Ihr seid Mann und Frau?«, fragte Martin erstaunt nach.

»Ja, es ist so! Du kannst uns gratulieren. Ihr könnt uns alle gratulieren«, sagte Armin.

»Mei, da muss ein Wunder geschehen sein«, sagte Walli. »Siehst du, Armin, ich habe es dir gesagt, es kommt immer etwas Besseres nach. Nach jedem tiefen Tal kommt wieder ein Gipfel. Weißt du noch, wie du mir dein Herz ausgeschüttet hast? Was bist traurig und niedergeschlagen gewesen!«

»Das ist jetzt vorbei«, sagte Armin. »Dafür hat Tessa gesorgt.«

Wally schloss zuerst Armin und dann Tessa in die Arme. Sie hatte feuchte Augen. »Mei, wie freue ich mich. Das müssen wir feiern.«

Katja und Martin sprachen ihre Glückwünsche aus.

Dann wandte sich Doktor Martin Engler an die Patienten. »Wie ihr seht, muss jetzt gefeiert werden. Also meine Frage: Wer ist so krank, dass er unbedingt jetzt zu mir in die Sprechstunde muss? Arm hoch!«

Alle lachten. Nacheinander kamen sie auf das Paar zu und sprachen ihre Glückwünsche aus, dann gingen sie.

Martin, Katja, Walli und das Brautpaar gingen in die große Wohnküche. Martin holte den Obstler und schenkte ein. Sie hoben die Gläser.

»Stopp! Ich hätte beinahe jemand vergessen. Pfarrer Zandler sitzt im Behandlungszimmer«, sagte Martin und rannte davon.

Pfarrer Zandler hatte durch die Vorhänge alles mit angesehen und sich wieder angezogen. Er ließ sich einmal in Jahr von Martin gründlich untersuchen.

Martin betrat mit rotem Kopf das Sprechzimmer. »Ich habe noch nie einen Patienten vergessen. Mei, ist mir das peinlich!«

Pfarrer Zandler lachte. »Ich weiß Bescheid. Fritz Fellbacher hat mir erzählt, dass er gestern vor der Ansbacher Hütte ein Paar getraut hat. Ich kenne die ganze Geschichte. Jetzt musst du mit den beiden feiern, Martin. Für die Untersuchung komme ich gern an einem anderen Tag zu dir.«

Doktor Martin Engler lud Pfarrer Zandler ein, mit dem Paar anzustoßen. Sie gingen hinüber in die Wohnküche.

Katja und Walli hatten inzwischen den Tisch gedeckt. Es gab eine kleine improvisierte Feier mit einer herzhaften Brotzeit. Zuerst stießen sie an und wünschten dem Paar Glück.

»Herr Pfarrer, wir wollen noch kirchlich heiraten«, sagte Armin. »Dafür kommt nur Ihre schöne Barockkirche in Frage. In Waldkogel haben wir uns gefunden. Hier liegt auch ein Teil meiner Wurzeln.«

Armin und Tessa erklärten, welche Pläne sie hatten.

Wally bot sofort an, dass Armins Großtante Antonia bei ihr wohnen könne.

»Ihr könnt hier auf dem Hof feiern«, sagte Martin. »Und ihr fahrt mit dem Traktor zur Kirche.«

Während der Brotzeit erzählten Armin und Tessa abwechselnd, wie sie sich verliebt hatten und ein Paar wurden.

»Das war kein einfacher Weg für euch«, sagte Pfarrer Zandler. Er ermahnte Armin in väterlichem Ton, nicht mehr an die schwierige Vergangenheit zu denken, sondern nur noch an die gemeinsame Zukunft.

»Aber trotzdem war es gut, selbst die schlimme Zeit«, sagte Armin. »Wenn es nicht geschehen wäre, hätte ich mich nicht in Waldkogel verkrochen und Tessa und ich wären uns nicht begegnet.«

»Genauso ist es«, stimmte ihm Martin zu.

»Dann gebt mir den Termin bekannt und kommt zum Traugespräch ins Pfarrhaus«, sagte Pfarrer Zandler.

Nach dem Essen verabschiedete sich das Brautpaar.

»Fahrt ihr noch etwas herum?«, fragte Walli.

»Ja«, antwortete Tessa. »Wir wollen noch einkaufen. Anschließend fahren wir zur Oberländer Alm und wandern hinauf auf die Berghütte. Dort wollen wir noch ein bisserl feiern. Ich will meine Kammer räumen. Ich habe alle meine Sachen noch dort.«

»Könnt ihr Toni eine Nachricht mitnehmen? Ich will ihn nicht anrufen. Er soll Gelegenheit haben, in Ruhe darüber nachzudenken, bevor er mir antwortet«, sagte Pfarrer Zandler.

Tessa und Armin fanden sich gern bereit, eine Nachricht für Toni mitzunehmen.

Pfarrer Zandler ging mit Martin ins Sprechzimmer, um Toni ein paar Zeilen zu schreiben. Er kam mit einem Umschlag heraus.

»Den gebt ihr Toni so, dass es niemand sieht. Kann ich mich auf euch verlassen? Es ist wichtig.«

Sie versprachen es. Armin steckte den Brief ein.

Sie kletterten auf den Traktor und fuhren los. Martin, Katja, Walli und Pfarrer Zandler winkten.

Anschließend verabschiedete sich Pfarrer Zandler. Auf dem Weg zum Pfarrhaus dachte er an Toni und Wendy. Er hatte sich bis weit nach Mitternacht mit Wendy unterhalten. Jetzt musste Toni den nächsten Schritt tun.

Wendy war bereit, sich mit Toni auszusprechen. Mehr konnte Pfarrer Zandler nicht tun.

Tessa und Armin gingen einkaufen. Als sie den Trachten- und Andenkenladen Boller betraten, stürmte Veronika Boller auf sie zu.

»Herzlichen Glückwunsch zur Vermählung!«, rief sie. »Tessa, du hast ja ein großes Geheimnis daraus gemacht, dass du verliebt bist. Du bist schon Monate hier und nie hab ich dich zusammen mit dem Burschen gesehen.«

Tessa lachte laut. »Veronika, eine heimliche Liebe ist eine besonders kostbare Liebe. Danke für die Glückwünsche!«

Veronika sprach Armin ebenfalls ihre Glückwünsche aus.

Tessa wusste, dass Veronika etwas neugierig war, deshalb wollte sie das Gespräch nicht weiter ausdehnen. »Veronika, wir haben nicht viel Zeit. Wir wollen rauf zur Berghütte. Armins Eltern haben sich dort einquartiert und wir wollen noch etwas feiern. Jetzt kaufen wir erst mal Lebensmittel ein.«

Aber Veronika Boller ließ sich so schnell nicht abschütteln. »Aber kirchlich geheiratet habt ihr nicht, stimmt es?«, fragte sie nach.

»Das stimmt. Aber das werden wir noch tun«, antwortete Armin. »Und jetzt komm bitte, Tessa!«

Armin ging in den hinteren Teil des Ladens. Dort führten die Bollers Lebensmittel und Dinge für den täglichen Bedarf im Haushalt.

Tessa lächelte Veronika an und folgte ihm schnell.

»Wenn Veronika nicht so neugierig wäre, wäre es besser«, flüsterte Armin Tessa leise zu.

»Stimmt, aber sie meint es nicht böse. Dass hier in Waldkogel jemand geheiratet hat und sie es nicht wusste, das ärgerte sie, Armin.«

»Außerdem bin ich für sie der geheimnisvolle Fremde, der nie ihre Fragen beantwortet hat. Ich war zwei oder drei Mal hier einkaufen. Danach habe ich lieber Toni gebeten, mir die Sachen zu besorgen.«

Armin und Tessa nahmen sich je einen Einkaufskorb.

»Hausfrau, walte deines Amtes!«, forderte Armin sie mit einem Augenzwinkern auf.

Sie kicherten beide wie zwei übermütige Schulkinder. Dann gingen sie an den Regalen entlang und legten die Waren in die Körbe. Es dauerte nicht lange, dann waren sie fertig.

Tessa winkte Veronika und rief ihr ein ›Pfüat di‹ zu. Dann eilte sie aus dem Laden. Armin verlangte die Rechnung.

Natürlich stellte Veronika Armin Fragen. Aber er tat, als hätte er sie nicht gehört. Er zahlte und packte die Sachen in die beiden Rucksäcke.

Veronika sah Armin nach, wie er aus dem Laden eilte. Sie schüttelte den Kopf. »Franz, was für einen seltsamen, wortkargen Burschen sich die Tessa da geangelt hat«, sagte sie zu ihrem Mann.

»Wenn sie ihn liebt, warum nicht?«

Das war alles, was Franz dazu äußerte.

Tessa und Armin fuhren mit dem Traktor hinauf auf die Oberländer Alm. Sie parkten und wollten gleich den Pfad hinauf auf die Berghütte einschlagen. Die Rucksäcke mit den Einkäufen ließen sie auf dem Traktor. Sie nahmen nur eine Flasche Wasser mit.

»Tessa, komm her und stelle uns deinen Bursche vor!«, rief Hildegard Oberländer.

»Wir müssen ihnen kurz guten Tag sagen, Armin.«

Sie drehten sich um und gingen auf Hilda und Wenzel zu.

»Das ist Armin, mein Mann«, stellte ihn Tessa vor.

»Den Armin haben wir hier schon vorbeigehen gesehen«, sagte Wenzel.

»Euch alles Liebe und Gute, ein langes, glückliches Leben!«, wünschte ihnen Hilda. Sie schüttelte beiden die Hände. Dann sprach Wenzel seine Glückwünsche aus.

»Woher wisst ihr, dass wir geheiratet haben?«, fragte Tessa verwundert.

»Heute Morgen kam ein Wandergeselle von der Berghütte herunter. Er hat nach dem Fußweg gefragt. Da hat er es uns erzählt. Der Mario war euer Trauzeuge. Er freut sich, dass ihr ihm die Patenschaft angeboten habt. Er hat einen Kaffee mit uns getrunken und uns alles erzählt. Ach, er ist ja selbst so verliebt. Hoffentlich findet er sein Madl!«

»Das wird er schon«, sagte Armin. »Mario ist ein hilfsbereiter und lieber Mensch. Der Himmel wird ihm seinen Herzenswunsch erfüllen. Er hat mitgeholfen, dass wir uns fanden. Das muss belohnt werden.«

»Du sagst es, Armin«, stimmte ihm Hilda zu. »Aber zuerst muss er Arbeit finden. Es gibt Vorschriften für die Burschen, die auf der Walz sind. Ich wollte ihn noch fragen, wie er das macht. Aber wir sprachen dann doch nur von euch.«

Armin wusste Bescheid. Er erklärte es kurz. »In jedem Ort gehen die Wandergesellen zuerst aufs Rathaus und holen sich einen Stempel in ihr Wanderbuch. Oft bekommen sie auch noch ein kleines Verzehrgeld. Es kann auch sein, besonders in kleineren Ortschaften, dass der Bürgermeister weiß, welcher Meister Hilfe sucht. Außerdem gibt es in jeder Stadt einen Treffpunkt für Wandergesellen. Seit alters her ist es Brauch, dass sich Wandergesellen um zwölf Uhr vor das Rathaus stellen. Früher wussten das die Meister. Dann gingen sie dorthin, wenn sie einen Gesellen suchten. Wandergesellen dürfen nur sechs Monate bei einem Meister arbeiten, dann müssen sie wechseln.«

»Heute rufen die Meister das Arbeitsamt an, wenn sie jemanden suchen«, sagte Wenzel.

»Das stimmt«, sagte Armin. »Die Wandergesellen, die weiterzogen, gingen auch zum Rathaus, um den wartenden Kollegen mitzuteilen, wo sie vorsprechen konnten. Diese Art der Stellenvermittlung klappte sehr gut, sagte Mario. Ich bin sicher, wir werden bald etwas von ihm hören. Wandergesellen dürfen kein Handy mitführen. Aber ich habe ihm einige Telefonnummern gegeben, unter denen er mich erreichen kann.«

»Das ist sehr interessant«, sagte Hilda. »Es ist Sommer und es wird viel gebaut. Mario macht einen guten Eindruck. Er wird sicher Arbeit finden.«

Tessa und Armin wechselten noch einige freundliche Worte, dann machten sie sich auf den Weg hinauf zur Berghütte.

»Als Mario mir auf der Berghütte deinen Brief gab, habe ich ihn sofort gelesen, dann bin ich davon gestürzt, Armin. Das ärgert mich jetzt. Ich hätte ein paar freundliche Worte mit ihm wechseln sollen. Das tut mir jetzt leid. Gestern Abend kam ich auch nicht dazu.«

»Mario wird dir das nachsehen, Tessa. Er hatte bestimmt nicht erwartet, dass du dich an deinem Hochzeitstag lange mit ihm unterhältst. Wir werden sicherlich bald etwas von ihm hören. Außerdem bleibt er in der Gegend, weil er hier seine Daniela sucht.«

Hand in Hand gingen sie weiter den Pfad zur Berghütte hinauf.

*

Mario ließ sich im Rathaus von Kirchwalden den Stempel in sein Wanderbuch geben. Dann bummelte er durch die kleine Kreisstadt. Dabei hielt er Ausschau nach Baustellen, um eventuell einen Meister anzusprechen.

Gegen Mittag ging er zurück zum Rathaus. Dort wartete er, ob er vielleicht einen anderen Wanderburschen treffen würde. Und so war es auch. Er wurde mit Lutz bekannt. Lutz war auch Mitglied seiner Zunft und kam aus Nürnberg. Er hatte seine Walz noch nicht lange begonnen, war viel im Norden unterwegs gewesen und wollte jetzt über die Alpen, um Auslandserfahrung zu sammeln. Mario konnte ihm wichtige Ratschläge geben und ließ ihn einen Blick in sein Wanderbuch werfen.

Sie waren tief ins Gespräch vertieft, als sie eine Frau ansprach.

»Sucht ihr Arbeit?«, fragte sie.

»Ja, wir suchen Arbeit, bei einem ehrenwerten Meister, wie es Brauch ist«, sagte Mario.

»Ich kenne mich in den Gepflogenheiten nicht gut aus. Ich bin keine Meisterin. Deshalb kenne ich nicht die Worte, die gesprochen werden müssen. Aber mein Mann ist Meister. Wir haben einen kleinen Zimmermann- und Dachdeckerbetrieb. Mein Mann hat viel Arbeit und ihr könnt ihn gern fragen. Er arbeitet gerade, nicht weit von hier, in einer Seitenstraße.«

»Das hören wir gern, Frau Meisterin«, antwortete Lutz.

Mario und Lutz schauten sich an und lächelten.

»Wir sprechen gern beim Meister vor und stellen unser Können unter Beweis«, ergänzte Mario.

»Das ist schön. Dann kommt mit, wenn ihr wollt. Ich bringe euch zu meinem Mann.«

»Wir danken, Frau Meisterin«, sagte Mario artig.

Lutz und Mario folgten der Meisterin. Sie führte sie in eine Seitenstraße. Dort lag hinter einer Einfahrt ein großer Biergarten. Das Rückgebäude war eingerüstet. Oben auf dem Dach standen zwei Männer in der typischen Kluft, wie man die Arbeitskleidung der Zimmer und Dachdecker nennt. Sie trugen die Hosen, mit dem weiten Schlag, weiße Hemden, die schwarze Weste mit den Perlmuttknöpfen, Manchester genannt, und Hüte mit breiter Krempe.

»Helmut, schau mal, wen ich dir mitgebracht habe!«, rief sie zu ihrem Mann hinauf.

Ein Mann mittleren Alters schaute herunter. Seine Mimik veränderte sich sofort, als er die beiden Wandergesellen sah. Er rief einen Gruß herunter. Dann sprach er kurz mit dem anderen Mann, der Ziegel auf die Dachlatten auflegte. Danach kletterte er die Leitern herab.

»Grüß Gott, ich bin der Meister, Helmut Krämer.«

»Grüß Gott, ehrenwerter Meister! Wir sind zwei ehrenwerte Gesellen und suchen bei einem ehrenwerten Meister Anstellung und, wenn es geht Unterkunft und Verpflegung.«

Helmut Krämer grinste.

»Das habt ihr schön gesagt, ihr ehrenwerten Gesellen. Aber reden wir Klartext, ohne Schnickschnack. Ja, ich kann vier helfende Hände und zwei tüchtige Burschen gebrauchen. Wenn ihr wollt, könnt ihr auf der Stelle anfangen. Wir arbeiten normalerweise bis zum Angelusläuten. Bei schönem Wetter oft länger, besonders, wenn es eilig ist. Danach könnt ihr mit mir heimkommen. Meine Frau, die Frau Meisterin, um in der Sprache der Zunft zu bleiben...« Er schmunzelte über die alte Redensart. »Sie tischt euch gutes Essen auf. Einen Platz zum Ruhen findet sich auch. Wollt ihr?«

Lutz und Mario warfen sich einen Blick zu und nickten.

»Meister Krämer, hier sind unsere Wanderbücher, wenn ihr einen Blick hineinwerfen wollt«, sagte Lutz.

Mario und Lutz hielten ihm ihre Wanderbücher hin, in denen alles eingetragen war, wo sie und wie lange sie in Meisterbetrieben gearbeitet hatten und wie zufrieden mit ihnen die Meister gewesen waren.

»Die schaue ich mir heute Abend in Ruhe an. Rauf aufs Dach und zeigt, was ihr könnt!«, sagte Helmut Krämer. »Wie ihr anpackt, das sagt mehr als alles, was auf dem Papier steht. Über die Vergütung reden wir auch heute Abend. Jetzt muss geschafft werden. Der Bauherr macht Druck.«

Mario und Lutz lehnten ihre Wanderstöcke, Staude genannt, gegen die Hauswand. Sie hoben ihre Bündel über den Kopf. Nach der Tradition war der Charlottenburger, das viereckige Tuch, als Rolle gewickelt und wurde auf dem Rücken getragen. Das enthielt ihre Habseligkeiten, Wäsche zum Wechseln und einen Schlafsack.

»Aufi«, sagte Krämer.

Sie kletterten hinter Helmut Krämer auf das Dach. Er sagte ihnen, was zu machen war. Mario und Lutz zogen ihre breitrandigen Hüte, auch Stenz genannt, tiefer in die Stirn und packten an. Der Meister beobachtete die beiden Neuen aus dem Augenwinkel heraus. Sie machten sich gut.

So ging das, mit einer kurze Pause, bis zum Abend. Dann war das Dach fast fertig. Die Sonne stand schon tief, als der Meister das Signal gab.

»Feierabend!«, rief Krämer.

Alle kletterten vom Dach. Der Angestellte verabschiedete sich, stieg in sein Auto und fuhr davon.

»So ihr beiden, ihr habt gut gearbeitet. Wie wäre es mit einem schönen kühlen Bier?«

Mario und Lutz waren einverstanden. Zusammen setzten sie sich an einen Tisch unter dem Baum, der in der Mitte des Biergartens stand.

»Sind wir die einzigen Gäste?«, fragte Mario.

»Ja, das sind wir. Bis die Dacharbeiten fertig sind, ist der Biergarten geschlossen. Deshalb müssen die Arbeiten bis nächste Woche beendet sein. Mit dem Gebäude sind wir morgen Abend durch, dann kommt das Haupthaus dran.«

Der Inhaber und Bauherr brachte drei große Bier. Sie stießen an und tranken.

Dann schaute sich Krämer die Wanderbücher an. Er las sorgfältig.

»Jeder von euch ist ganz schön herumgekommen, der eine im Norden, der andere mehr im südlichen Ausland. Und warum seid ihr jetzt ausgerechnet in Kirchwalden?«, fragte Krämer.

Lutz erzählte, dass er nach Italien wollte, auf der Route des alten Pilgerwegs. Kirchwalden lag an der Strecke.

»Hier habe ich Mario getroffen und dann hat uns Frau Meisterin angesprochen. Da dachte, ich bleibe eine Weile.«

»Gut so, du kannst bleiben, Lutz. Du hast dich bewährt. Ich bin zufrieden.«

Dann schaute er Mario an. »Und was ist dein Grund? Du bist bald fertig mit deiner Walz, wie ich deinem Wanderbuch entnehme.«

Mario rieb sich das Kinn. Er war verlegen.

»Das ist so, ich habe viel in Italien und Spanien gearbeitet und in Südfrankreich. Wir waren vier Wandergesellen, die unterwegs waren. Als wir in einem Wald Rast machten, lernten wir zwei junge Frauen kennen. Sie waren auch unterwegs, aber sie gehörten keiner Zunft an, sie waren einfache Wanderinnen. Daniela und Michaela hießen sie. Die Tradition besagt, dass ein Wandergeselle nicht anbändeln darf. Wir wanderten mehrere Tage zusammen weiter nach Süden. Ich hatte mich in Daniela verliebt. Gefühle lassen sich nicht einfach so abstellen. Also sprach ich sie an. Ich sagte ihr, dass ich mich in sie verliebt habe und dass meine Gefühle so heftig seien, dass ich sogar bereit sei die Walz abzubrechen. Daniela schüttelte den Kopf. Sie meinte, es wäre ein Strohfeuer. Wir redeten und redeten. Sie gab mir ihre Adresse. Wenn meine Walz zu Ende sei, sollte ich sie aufsuchen. Und wenn ich dann immer noch in sie verliebt sei, würden wir weitersehen. Das war in meinem ersten Jahr.«

Mario seufzte tief.

»Leider habe ich den Zettel verloren. Ich weiß nur, dass sie Daniela heißt und hier aus der Gegend ist. Es gab in all den Jahren keinen Tag, an dem ich nicht an sie gedacht habe. Deshalb bin ich hier in Kirchwalden. Danach bin ich mit der Walz fertig und gehe heim, nach drei Jahren und einem Tag, wie es vorgeschrieben ist. Ich hoffe, dass der Zufall oder die göttliche Vorsehung mir Daniela über den Weg schickt. Ich werde nach Abschluss meiner Walz hierher zurückkehren und sie suchen, wenn ich sie bis dahin nicht gefunden habe. Danach bin ich frei und ich kann sie besser kennenlernen und sie mich. Ja, Daniela heißt sie. Sie ist ein liebes, fesches Madl. Ich bin sicher, sie hat auch Gefallen an mir gefunden.« Mario seufzte tief. »So, das war meine Geschichte.«

»Darauf wollen wir trinken«, sagte Krämer. »Lieber Mario, auf das Ende deiner Walz, auf die Liebe und darauf, dass du Daniela findest!«

Sie prosteten sich zu und tranken.

»Meinst du, dass Daniela sich noch an dich erinnert?«, fragte Lutz.

»Das hoffe ich. Und ich hoffe, dass sie auf mich gewartet hat. Ich habe ihr in die Augen gesehen. Darin waren Zuneigung und Liebe. Mehr kann ich nicht sagen. Sie hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Es klingt vielleicht kitschig, aber so war es. Für mich war es Liebe auf den ersten Blick. Ich will Daniela finden. Ich muss sie finden. Seit dem Augenblick, als wir uns verabschiedeten, male ich mir aus, wie ich an ihrer Tür klingele. Ich stelle mir vor, wie es sein wird, wenn wir uns wiedersehen. Ich habe meine Walz bald beendet. Immer wenn es mal schwierig war, habe ich an Daniela gedacht. Lutz, du weißt, wie das ist, bei Regen oder Schnee unterwegs zu sein, wenn man am Abend keine Unterkunft findet und unterm freien Himmel schlafen muss, wenn man nass bis auf die Haut ist, hungrig und durstig oder im Sommer unter der Hitze leidet.«

Lutz lächelte und nickte Mario zu.

»Dann dachte ich immer an Daniela«, fuhr Mario fort, »und die Welt sah sofort schöner aus. Ich sagte mir, ich bin auf dem Weg zu ihr.«

»Dich hat es mächtig erwischt«, sagte Lutz voller Mitgefühl.

»Ja, so ist es. Als ich feststellte, dass ich den Zettel mit ihrer Adresse verloren habe, war ich am Boden zerstört. Es schlug mir auf das Gemüt. Die Welt sah traurig und grau aus. Doch dann fing ich mich wieder. Ich nahm mir vor, sie zu finden. So, das ist alles, was ich zu sagen habe.«

Lutz und Helmut Krämer schwiegen eine Weile. Dann drückte Helmut seine Anteilnahme aus. »Das wird schon werden«, lächelte der Meister. Er erzählte von seiner Walz, die er als junger Geselle gemacht hatte. Dabei hatte er seine jetzige Frau kennengelernt.

»Ich hatte es aber einfacher als du. Sie war die Tochter eines Meisters, mit dem ich mich gut verstand. Als ich nach drei Jahren und einem Tag wieder daheim bei meinen Eltern war, hier in Kirchwalden, wurde natürlich gefeiert und das ordentlich, wie ich zugeben muss. Nachdem ich meinen Rausch ausgeschlafen hatte, fuhr ich mit dem Auto meines Vaters zu ihr, die Ringe in der Tasche. Ich machte ihr einen Antrag und sie wurde meine Frau.«

»Mei, das gibt mir Hoffnung«, sagte Mario.

Helmut Krämer nickte. Er gab zu, dass er unterwegs oft in Sorge war, ob sie auf ihn warten würde.

»Das sind ganz normale Gedanken, Mario. Jedem Wanderburschen geht es so. Suche deine Daniela! Wenn du sie findest, weißt du, ob sie gewartet hat. Hat sie nicht gewartet, dann ist es auch gut. Dann weißt du, dass sie es nicht wert war, auch wenn es dir das Herz zerreißt.«

Mario nickte. Sie hoben die Bierseidel und tranken aus.

Helmut Krämers Lieferwagen parkte vor der Baustelle. Sie stiegen ein und fuhren los.

Die Meisterin hatte mit einem herzhaften Essen schon gewartet. Lutz und Mario wussten, dass sie eine gute Stelle gefunden hatten. Sie konnten in einem Raum des Lagers übernachten. Dort lagen schöne Matratzen und sie hatten eine eigene Sanitäreinrichtung.

Die Abendsonne versank hinter den Bergen, als sich Lutz und Mario auf ihre Matrazen legten.

»Dann träume von deiner Daniela, Mario«, sagte Lutz.

»Das werde ich, das werde ich«, murmelte Mario schon fast im Schlaf.

*

Wenn die Arbeit des Tages beendet war, nach der abendlichen Brotzeit, saß Wendy normalerweise noch mit Hilda und Wenzel vor der Oberländer Almhütte. An diesem Abend nicht. Wendy war in ihrer Kammer und machte sich fein.

Als sie herauskam trug sie Jeans und eine blaue Bluse. Die bunt gemusterte Strickjacke, ein Geschenk von Hilda und Wenzel, hatte sie um die Schulter gelegt.

»Mei, siehst du fesch aus, Wendy!«, sagte Wenzel.

Wendy errötete. Verlegen schob sie sich eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr. »Ich mache noch einen Spaziergang. Es kann spät werden, bis ich zurück bin.«

Wenzel und Hilda warfen sich Blicke zu. Ihnen war nicht entgangen, dass Wendy in der letzten Nacht ebenfalls spät heimgekommen war. Sie wussten nicht, dass sie sich lange mit Pfarrer Zandler unterhalten hatte. Er hatte Wendy angehalten, als sie in dem von Katja Engler geliehenen Auto auf dem Weg zur Oberländerländer Alm war.

»Spazieren?«, sagte Hilda erstaunt. »Ich denke, du fährst in Katjas Auto nach Kirchwalden in die Disko. Deswegen musst du keinen roten Kopf bekommen. Du musst unter junge Leute, Wendy.«

»Ich fahre nicht nach Kirchwalden«, sagte Wendy.

Sie fühlte sich verpflichtet, eine Antwort zu geben. Aber sie wollte auch nicht zu viel sagen. Sicherlich würde sie ihnen in den nächsten Tagen sagen müssen, wer ihr Vater war, und aus welchem Grund sie eine Stelle in Waldkogel gesucht hatte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie es ihnen gegenüber verschwiegen hatte.

»Ich… ich habe noch etwas zu tun«, stotterte sie. »Es kann spät werden. Ich werde leise sein, damit ich euch nicht wecke.«

Die beiden grinsten.

»Du schaust aus, als würdest du dich mit einem Burschen treffen«, schmunzelte Wenzel. »So alt sind wir nicht, um nicht zu wissen, dass sich junge Verliebte gern im Mondschein küssen. Das freut mich für dich.«

Wendy wurde noch verlegener. Sie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

»Nein, nein, so ist das nicht. Aber jetzt muss ich wirklich los. Pfüat euch!«

Sie hatte schon viele Redensarten der Berge gelernt.

»Wenzel, lass Wendy in Ruhe! Siehst du nicht, wie du das Madl in Verlegenheit bringst? Ich wünsche dir einen schönen Abend, Wendy«, sagte Hilda.

Wendy stieg in Katjas Auto, das hinter der Berghütte stand. Der Motor heulte auf und sie fuhr davon.

»Sie hat zu viel Gas gegeben, Hilda.«

»Ich habe es gehört. Wendy ist ganz schön nervös. Wer immer der Bursche ist, ich hoffe, dass sie glücklich wird. Wenn nicht, dann bekommt er es mit mir zu tun, Wenzel.«

»Und mit mir! Dann ziehen wir ihm das Fell über die Ohren, Hilda.«

»Du sagst es, Wenzel.«

Wendy fuhr zum Bergsee. Dort parkte sie ihr Auto hinten beim Wald. Sie ging zu einer Bank am Ufer und setzte sich.

Ihr Herz klopfte. Sie fühlte, wie verkrampft sie war. Viele Jahre hatte sie sich die Begegnung ausgemalt. Sie hatte sich die Worte zurechtgelegt. Aber jetzt war ihr Kopf leer. Sie war so aufgeregt, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte.

Ihr Blick schweifte über den Bergsee, die Oberfläche war glatt wie ein Spiegel. Es wehte kein Wind. Der Mond schien silbern und spiegelte sich im Wasser.

Wendy schaute hinauf zum Gipfelkreuz des Engelssteigs.

Wenzel und Hilda hatten ihr von den gegenüberliegenden Bergen erzählt, dem ›Engelssteig‹ und dem ›Höllentor‹.

Wendy erinnerte sich. Die Legende war tröstlich. Es war ein schöner Gedanke, dass die Engel Sorgen, Kummer, Nöte und Gebete der Menschen einsammelten. Sie trugen sie jede Nacht über eine Leiter hinauf in den Himmel. Diese Leiter war für Menschen unsichtbar. Die Engel konnten nicht fliegen, weil die schweren Rucksäcke zwischen ihren Flügel sie daran hinderten. Oben im Himmel warteten der Herrgott, sein Bub der Jesus und dessen Mutter, die heilige Maria mit allen Heiligen und Seligen. Sie nahmen den Inhalt der Rucksäcke in Empfang.

Hilda und Wenzel hatten ihr von vielen Wundern erzählt. Die waren geschehen, nachdem eine schwarze Wolke über dem anderen Berg, dem ›Höllentor‹, gestanden hatte. Auf dem Berg, so glaubten die Waldkogeler, gab es ein Tor, einen Zugang zur Hölle. Dann und wann kam der Teufel heraus und sah über das Tal und die Berge. Anschließend stand eine tiefschwarze Wolke überm Gipfel. Sie war ein Zeichen für ein drohendes Unglück, einen Wettersturz oder ein schlimmes Ereignis im Leben eines Menschen.

Wendy hielt stille Zwiesprache mit den Engeln. Sie bat um Hilfe.

›Steht mir bei, liebe Engel! Ich will die richtigen Worte finden. So lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet und mich danach gesehnt. Ich habe einen weiten Weg auf mich genommen, um den anderen Teil meiner Wurzeln zu finden. Jetzt ist es soweit. Doch statt mich zu freuen und voller glücklicher Erwartung zu sein, umklammert Angst mein Herz. Ich will alles richtig machen. Ich habe Angst, dass ich enttäuscht werde. Alle bisherigen Begegnungen mit ihm, haben mir sehr, sehr wehgetan. Ich hatte etwas anderes erwartet, nicht diese feindselige Abweisung.‹

Während Wendy ihren Blick fest auf das Gipfelkreuz richtete und mit den Engeln Zwiesprache hielt, wurden ihre Augen feucht. Sie wischte sich mit den Fingern die Tränen ab, die an ihren Wimpern klebten und ihr die Wangen herunter liefen.

Wendy steckte ihre Hand in die Hosentasche und umklammerte fest das Taschenmesser. Sie musste sich an etwas festhalten.

Das Taschenmesser, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, hatte sie nach Waldkogel gebracht. Es war die einzige Verbindung, bis auf die Geschichten, die ihr ihre Mutter erzählt hatte. Jeden Abend, wenn Jette sie ins Bett gebracht hatte, wollte sie die gleiche Gutenachtgeschichte hören, von dem jungen Paar, das sich in der Mittsommernacht gefunden und wieder verloren hatte. Ihre Mutter schilderte den jungen Mann als einen besonders freundlichen und lieben Menschen. Für Wendy war er ein strahlender Märchenprinz, den ein böses Schicksal von seiner Liebsten trennte. Er war aus einem fernen Land mit hohen Bergen gekommen, weil er die Mittsommernacht erleben wollte. So hatte Jette die Liebe zu diesem Mann an ihre Tochter weitergegeben. Von dem Taschenmesser hatte sie aber nie erzählt und auch den Namen Waldkogel nie erwähnt, auch nicht, dass sie selbst die junge Frau gewesen war.

›Oh, ihr Engel steht mir bei, bitte! Lasst mich die richtigen Worte finden! Rührt sein Herz! Lasst ihn fühlen, dass ich nicht anders konnte. Ich musste herkommen. Ich musste ihn sehen und mit ihm sprechen. Ich hatte fest daran geglaubt, dass er mich sofort erkennen und sich freuen würde. ‹

Wendy kramte ein Taschentuch aus der Schultertasche. Sie schnäuzte sich die Nase und wischte sich die Augen.

Es blieb ihr nichts anderes, als mit klopfendem Herzen zu warten.

Toni war auf dem Weg ins Tal. Er fuhr betont langsam. Es zog ihn zum Bergsee, aber zugleich sträubte sich etwas in seinem Innern. Danach würde alles anders sein. Obwohl er von Martin, Alois und Pfarrer Zandler schon so viel erfahren hatte, würde es eine entscheidende Begegnung sein.

Wenn Franziska Toni und Anna nicht belauscht hätte, wäre der Druck nicht so groß gewesen. Aber was geschehen war, war geschehen. Die Chance, die Sache auf andere Weise zu regeln, war ihm genommen worden. Franziska und Sebastian forderten Klarheit und Anna auch.

Als Toni am Ende des Milchpfades angelangt war, warf er einen Blick auf sein Elternhaus.

Meine Eltern haben keine Ahnung. Wie werden sie es aufnehmen? Wie wird es Maria, meine Schwester, und ihre Familie aufnehmen?

Das fragte sich Toni mit bangem Herzen. Nach dem Treffen am Bergsee würde sich sein Leben verändern und nicht nur sein Leben.

Tonis Herz klopfte. Er fühlte sich schlecht. Er schaltete den Motor aus. Er blieb eine Weile stehen, legte die Arme auf das Lenkrad des Geländewagens und versuchte, sich zu beruhigen.

Das war sehr schwer.

Und es wurde noch schwerer, als Tonis Vater, Xaver Baumberger, aus der Tür des Wirtshauses mit der kleinen Pension trat. Er sah Tonis Auto und kam über die Straße auf ihn zu.

»Grüß Gott, Toni!«

»Grüß Gott, Vater!«

»Wolltest du uns besuchen? Das ist schön. Überlegst du, wo du parken sollst? Warte, ich fahre mein Auto weg, dann hast du Platz.«

»Danke, aber das ist nicht nötig. Ich bin verabredet.«

»So? Mit wem?«

Toni war froh, dass es dunkel war. Er hoffte, dass sein Vater nicht bemerkte, dass er rot wurde.

»Ich bin auf dem Weg zum Martin«, log Toni. »Ich habe angehalten, weil ich etwas vergessen habe.«

In seiner Not erfand Toni schnell eine Geschichte, die glaubwürdig klang. »Alois' Medikamente gehen zu Ende. Er hat mich gebeten, Martin zu sagen, dass er ein neues Rezept braucht. Aber Martin wird schon wissen, welche Pillen Alois nimmt. Außerdem ist es nicht so wichtig. Eigentlich ist Alois gesund. Ich bewundere ihn, wie fit er in seinem Alter ist.«

Xaver Baumberger lächelte und sagte: »Ja, der Alois ist ein Urgestein. Den haut so leicht nichts um. Und seit er wieder Kontakt mit seiner Familie hat, scheint die Zeit rückwärts für ihn zu laufen. Besonders der regelmäßige Besuch von Charlotte und Sophie tut ihm gut. Seine Enkelinnen sind ein Jungbrunnen für Alois.«

»Ja, so ist es. Wir freuen uns alle für ihn«, sagte Toni. »Mit Charlottes Eltern hat er guten Kontakt. Emil kommt mindestens einmal im Monat mit seiner Frau zu Besuch. Es ist bedauerlich, dass das Verhältnis zu seinem Ältesten noch so verkrampft ist. Harald ist darüber nicht sehr glücklich. Aber seiner Frau und seinem Buben gefällt es nicht, dass die Familie wieder in Kontakt zu Alois steht.«

Xaver nickte.

»Ja, der Harald muss auf mehreren Schultern Wasser tragen. Er will es nicht mit seiner Frau verderben und seinem Buben. Leider kommt Kuno sehr nach seiner Mutter, vom Charakter her. Er ist genauso gierig wie Karola. Sophie, das Nesthäkchen, ist ganz anders. Sie lässt sich nichts mehr vorschreiben. Sie hat sich auf eigene Füße gestellt und eine Wohnung in Charlottes Nachbarschaft genommen. Die Sophie ist flügge geworden.«

»Alois hat Geduld. Er hofft, dass es besser und besser wird. Im Augenblick sehnt er die Taufe herbei. Emil und Monika kommen. Sie sind ja die Großeltern. Sophie wird Patin von Charlottes und Magnus Kindern. Ob Harald kommt, steht noch in den Sternen. Und wenn er kommt, dann ist es fraglich, ob Karola ihn begleitet. Wie du weißt, hat Kuno es abgelehnt. Patenonkel zu werden, nachdem er erfuhr, dass die Taufe unter freiem Himmel stattfindet, oben vor der Berghütte.«

»Der Kuno ist ein Depp, ein dummer Hornochse ist er«, schimpfte Xaver Baumberger. »Mei, es kann immer mal zu einem Streit in der Verwandtschaft kommen, aber Blut ist dicker als Wasser. Karola und Kuno sollten endlich die alte Fehde begraben.«

Toni antwortete nicht. Er schaute seinen Vater auch nicht an.

»Sag mal, hörst du mir zu, Toni? Ich habe den Eindruck, dass du mit deinen Gedanken ganz woanders bist.«

»Entschuldige, ich dachte gerade an die Taufe«, sagte Toni.

Das war eine Notlüge. Wieder hatte er sich gefragt, wie die Familie die Neuigkeit aufnehmen würde. Gern hätte er seinem Vater sein Herz ausgeschüttet, aber dafür war es noch zu früh.

»Gibt es schon einen Termin für die Taufe?«, fragte Xaver.

»Sie haben verschiedene Termine ausgesucht. Jetzt geht es darum, dass alle Zeit haben.«

»Lass es uns wissen, wann die Taufe stattfindet! An dem Tag bleibt das Wirtshaus geschlossen, und wir kommen rauf auf die Berghütte.«

»Das ist schön, dann wird sich Alois freuen.«

»Sicher, aber es wird auch noch mehr Arbeit für dich und Anna geben. Sebastian ist Patenonkel. Er muss bei den Festgästen bleiben, genau wie Alois. Mutter und ich dachten, wir helfen euch ein bisserl. Wir lösen euch stundenweise ab, damit ihr auch mitfeiern könnt.«

»Ihr wärt eine große Hilfe«, sagte Toni freudig.

»Mach kein Aufheben darum! Wir sind eine Familie, da ist man füreinander da.«

Toni schluckte. Er hoffte, dass das auch nach dem Geständnis so bleiben würde, das er bald seinen Eltern würde machen müssen.

»Ich muss dann mal, Vater. Gruß an Mutter!«

»Ja, ich will dich nicht aufhalten. Ich habe auch zu tun. Der Wirtsraum ist voller Gäste. Grüße mir Martin. Und einen schönen Abend!«

Toni ließ den Motor anspringen. Xaver Baumberger ging zurück ins Haus.

Toni bog in die Hauptstraße ein. Er fuhr langsam, immer den Blick auf den Rückspiegel gerichtet. Der Weg zu Martin führte die Hauptstraße entlang. Aber sein Ziel war der Bergsee. Toni wollte vermeiden, dass sein Vater bemerkte, dass er in die schmale Gasse abbog, die in den Weg überging, der zum Bergsee führte.

Toni rollte langsam den Weg entlang, der parallel zum Ufer entlanglief. Im Lichtkegel der Scheinwerfer erkannte er Katjas Auto. Toni hatte am Mittag heimlich mit Pfarrer Zandler telefoniert, nachdem ihm Armin den Brief zugesteckt hatte. Darin hatte gestanden, dass Wendy mit einem Treffen zur späten Abendstunde am Bergsee einverstanden war. Toni hatte auch erfahren, dass Katja Wendy ihr Auto geliehen hatte, bis Martin einen Gebrauchtwagen für Wenzel und Hilda gefunden hatte.

Toni parkte dahinter und stieg aus.

Es war nicht weit bis zu der Bank, auf der Wendy saß. Aber der kurze Weg fiel Toni unendlich schwer. Sein Gang war fast schleppend wie bei uralten Leuten. Sein Herz raste. Sein Puls flatterte.

Er erreichte die Bank.

»Grüß Gott, Wendy!«, sagte er fast tonlos. Seine Stimme schwankte.

»Guten Abend, Herr Baumberger!«, antwortete Wendy. Sie sah ihn nur kurz an, blickte dann über den Bergsee.

»Darf ich mich setzen?«, fragte Toni unsicher.

Wendy lud ihn durch eine Handbewegung ein, Platz zu nehmen.

Toni räusperte sich. Er wollte etwas sagen. Aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Er öffnete mehrmals den Mund, um einen Satz zu beginnen, aber er brachte keinen Ton heraus.

Er räusperte sich wieder, dann durchsuchte er seine Taschen.

Wendy bemerkte es. Sie wühlte in ihrer Handtasche und legte ein Hustenbonbon auf das Stück freie Bank zwischen ihnen.

»Danke!«, flüsterte Toni bewegt.

»Gern geschehen!«

Das Bonbon schmeckte nach Eukalyptus und Honig.

»Wie beginnt man in ein solches Gespräch?«, fragte Toni. »Das hat einem keiner beigebracht.«

»Das stimmt, Herr Baumberger.«

»Wendy, kannst dich nicht überwinden, mich zu duzen?«, fragte Toni vorsichtig.

Wendy schwieg.

»Wendy, sag Toni zu mir, bitte! Du weißt sicher, dass Anna und ich zwei Kinder adoptiert haben, Franziska und Sebastian. Sie reden mich mit Toni an und Anna mit Anna. Nur ganz selten sagen sie Mama oder Papa.«

Wendy schwieg weiter.

»Wendy, ich würde mich sehr freuen, wenn du Toni sagen würdest. Ich verstehe, dass der Mann, den du Papa oder Vater nennst, Ole Hansen ist. Er hat dich großgezogen. Er hat das Recht auf die Anrede. Wie nennst du Ole? Sagst du ›far‹ oder ›pappa‹, wie es in Norwegen üblich ist?«

»Mal so oder mal so… aber seit einigen Jahren sage ich einfach Ole zu ihm. Seit ich weiß, dass er nicht mein leiblicher Vater ist.« Wendy hatte leise gesprochen.

Toni bemerkte, dass sie genauso unsicher war wie er.

»Wendy, ich habe nichts von deiner Existenz gewusst«, sagte Toni mit bewegter Stimme.

»Das ist mir inzwischen klar«, sagte Wendy. »Pfarrer Zandler hat gestern Abend lange mit mir gesprochen. Du seiest erschrocken, als du mich sahst. Aber du hättest nicht gewusst, warum du so heftig reagiert hattest. Du hättest dich erst an meine Mutter erinnert, als dir Alois von dem Taschenmesser erzählte.«

»Das stimmt! Ich hatte eine Sperre im Kopf.«

»Eine psychologisch begründete Blockade, sagte Pfarrer Zandler.

»Ja, so war es.«, sagte Toni. Er seufzte tief. »Wendy, das war keine Ausrede. Im Gegenteil, ich war in den letzten Wochen sehr unglücklich. Ich hatte dieses seltsame Bauchgefühl, das ich nicht zuordnen konnte. Es löste Ängste in mir aus, wie ich sie nicht von mir kannte. Sie hatten mit dir zu tun, Wendy. Aber warum? Es gab keinen vernünftigen Grund. Ich wurde mir selbst ein Fremder. Ich war nicht mehr der Toni, den nichts erschüttern konnte. Ich war nicht mehr Ich. Deshalb war ich so ablehnend dir gegenüber.«

»Du warst richtig garstig, Toni.«

Toni freute sich, dass Wendy ihn endlich duzte.

»Und«, fuhr sie fort, »deine Reaktion hat die ganze Angelegenheit für mich sehr erschwert. Ich hatte einen Plan.«

»Erzähle ihn mir, bitte.«

»Okay! Ich dachte, du würdest die Ähnlichkeit mit meiner Mutter sehen.«

»Ja, du bist ihr sehr ähnlich. Wahrscheinlich war das der Grund für mein Verhalten, als ich dich sah. Aber es war mir nicht bewusst. Bitte, erzähle weiter, ich wollte dich nicht unterbrechen. Wie war dein Plan?«

»Ich hatte mir das so vorgestellt: Wir werden einander vorgestellt. Du sagst, ich erinnere dich an eine junge Norwegerin, die du vor vielen Jahren kanntest. Ich frage nach ihrem Namen. Du erwiderst, sie hieß Jette. Ich frage weiter, was erinnert dich an sie und wie lange ist das her? Du antwortest. Ich sage dann, der Vorname meiner Mutter ist Jette, und ein Jahr nachdem du in Norwegen warst, wurde ich geboren. Dann füge ich hinzu, Ole Hansen ist nicht mein leiblicher Vater. Ich erzähle dann von dem Taschenmesser, das ich als Vermächtnis bekommen habe. Es besitzt eine Schnitzerei mit dem Namenszug Waldkogel. Meine Mutter hatte nur angedeutet, welche Bewandtnis es mit dem Messer hat. Vor ein paar Jahren erfuhr ich den Rest von Ole. Ich wollte dir alles schildern, wie ich es erfahren habe.«

»Du kannst es mir immer noch erzählen.«

»Nein, deine Geschichte will ich zuerst hören.«

Wendy hatte hochrote Wangen. Sie schaute über den See, während sie Toni zuhörte.

»Okay, das war so: Meine Eltern, Xaver und Meta Baumberger, haben das Gasthaus ›Zum Baumberger‹ und vermieten einige wenige Zimmer. Schon als ich ein kleiner Bub war, kamen jedes Jahr Familien aus Norwegen zu Besuch. Ich und meine ältere Schwester Maria, sie wird Ria gerufen, freundeten uns mit den Kindern der Familien an. Ich war ein junger Bursche, als ich zum ersten Mal nach Norwegen in Urlaub fuhr. Es gefiel mir dort sehr. Die Berge sind wunderschön und gleichzeitig gibt es die See. Die Fjorde begeisterten mich. Ich fuhr jedes Jahr hin, oft zusammen mit meinem Freund Doktor Martin Engler oder mit meiner Schwester. In einem Jahr konnte Martin nicht mitfahren, weil er ein Praktikum in einem Krankenhaus machen musste. Meine Schwester hatte kein Interesse. Sie war frisch verliebt und wollte bei ihrem Liebsten bleiben. Deshalb fuhr ich allein.«

Toni seufzte bei der Erinnerung.

»Ich wohnte bei meinen norwegischen Freunden. Dann kam die Mittsommernacht. Wir feierten am Ufer. Um den Mittsommernachtsbaum herum gab es Musik, Tanz, köstliches Essen und reichlich Getränke. Es war ein ausgelassenes Fest. Aus dem ganzen Umland kamen die jungen Leute zum Strand. Da sah ich Jette. Es war Liebe auf den ersten Blick. Deine Mutter sprach sehr gut Deutsch. Wir tanzten, tranken, sangen und alberten vergnügt herum. Und wir küssten uns. Jeder spürte die Liebe des anderen, und so kam es, dass wir uns irgendwann in der Nacht ein stilles, abseits gelegenes Plätzchen suchten. Wir waren zärtlich zueinander und dann liebten wir uns. Es war für jeden von uns das erste Mal. Ich machte deiner Mutter einen Heiratsantrag und sie nahm ihn an. Wir blieben bis zum Morgen. Dann wanderten wir engumschlungen zurück zum Festplatz, der fast leer war. Meine Freunde waren nach Hause gegangen. Nach vielen Küssen trennten wir uns. Ich wollte deiner Mutter eine Freude machen und schenkte ihr das einzig Kostbare, das ich bei mir hatte, mein Taschenmesser. Es bedeutete mir sehr viel. Es war ein Geschenk von Alois. Wir verabredeten uns. Deine Mutter war selbst Gast in der Gegend, bei den Eltern einer Freundin. Jette wollte zu mir kommen und mich bei meinen Freunden abholen. Wir hatten vor, Verlobungsringe zu kaufen. Deine Mutter stieg in ihr Auto und fuhr davon.«

Toni seufzte. Sein Schmerz war deutlich herauszuhören.