E-Book 281-290 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 281-290 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Verliebte Schwindler E-Book 2: Zwei Herzen suchen Liebe E-Book 3: Das Glück verspielt ... E-Book 4: Wenn das Glück in den Sternen steht E-Book 5: Ich will dir helfen! E-Book 6: Komtess Simones Glück E-Book 7: Die Frau seines Lebens E-Book 8: Sabine zieht es zurück nach St. Johann E-Book 9: Eine Zukunft für uns zwei E-Book 10: Ermittlung in Sachen Liebe

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Seitenzahl: 1185

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Verliebte Schwindler

Zwei Herzen suchen Liebe

Das Glück verspielt ...

Wenn das Glück in den Sternen steht

Ich will dir helfen!

Komtess Simones Glück

Die Frau seines Lebens

Sabine zieht es zurück nach St. Johann

Eine Zukunft für uns zwei

Ermittlung in Sachen Liebe

Der Bergpfarrer – Staffel 29 –E-Book 281-290

Toni Waidacher

Verliebte Schwindler

Herzklopfen - wie beim ersten Mal

Roman von Waidacher, Toni

Thomas Kramer fuhr an den rechten Straßenrand und stieg aus. Der Dreißigjährige reckte die Arme und unterdrückte ein Gähnen. Dabei blickte er über die herrliche Landschaft und genoss den wunderbaren Anblick, der sich ihm bot. Majestätisch erhoben sich in einiger Entfernung die Berge. Ihre schneebedeckten Gipfel schienen die Wolken zu berühren, die wie ein leichter Schleier dahinzogen und den Sonnenschein kaum behinderten.

Es musste herrlich sein, dort oben zu wandern, überlegte der junge Mann, obgleich er alles andere als ein Naturbursche war. Sein Revier waren eher die Grandhotels dieser Welt, in denen Thomas gerne die Bekanntschaft alleinstehender Frauen suchte. Vornehm gekleidet und mit besten Manieren ausgestattet, war es ihm ein Leichtes, ihnen dabei zu helfen, ihre Einsamkeit zu vergessen … Denn er hatte nicht nur eine gute Erziehung genossen, war ein blendender Unterhalter und fabelhafter Tänzer, er sah überdies auch noch umwerfend aus, sodass es nicht wunderte, dass die Frauen ihm ihre Herzen öffneten – und ihre Geldbörsen.

Denn freilich tat Thomas Kramer dies nicht ganz uneigennützig, schließlich verdiente er auf diese Weise seinen Lebensunterhalt.

Um es auf den Punkt zu bringen, er war schlicht und einfach ein Heiratsschwindler und ein erfolgreicher noch dazu!

Er kam gerade aus der Schweiz, wo er für einige Zeit am Genfer See gelebt hatte. Doch dann war ihm dort der Boden unter den Füßen zu heiß geworden, nachdem er eine millionenschwere Moskauerin ­be­circt und um einiges Bargeld erleichtert hatte. Die Dame, eine bild­hübsche Frau, denn andere kamen für Thomas Kramer ohnehin nicht infrage, hatte schließlich die Geduld verloren, nachdem er sie immer ­wieder mit Ausreden abgespeist hatte, was die offizielle Verlobung betraf. Da hatte sie ihm einen Detektiv auf den Hals gehetzt. Thomas sah sich daher genötigt, die gastliche Schweiz zu verlassen und sein Glück anderswo zu versuchen.

Dass er ausgerechnet auf das beschauliche Wachnertal verfallen war, hatte seinen Grund. In seinem Beruf war es notwendig, immer über die neuesten Trends informiert zu sein, und so hatte er herausgefunden, dass das Tal in den letzten Jahren immer häufiger Ziel von Urlaubern war, die genau in sein Beuteschema passten. Gerade erst war ein großes modernes Hotel eröffnet worden, und Thomas wollte herausfinden, ob sich ein Abstecher nach Bayern lohnte.

Er stieg wieder ein und setzte seine Fahrt fort. Eine gute Viertelstunde später hatte er St. Johann erreicht und lenkte seinen Wagen, ein Oldtimer aus England, auf den Parkplatz des Hotels. Er stieg aus und schlenderte gemächlich zum Eingang. Die Tür öffnete sich automatisch und Thomas betrat die Lobby. Ein paar Gäste hatten sich in der Sitzecke niedergelassen, am Empfang stand eine junge Frau in einem hübschen Trachtenkleid und begrüßte den Gast mit einem freundlichen Lächeln.

»Grüß Gott und herzlich willkommen im Hotel ›Zum Löwen‹«, sagte sie.

Thomas trat näher und lächelte ebenfalls.

»Guten Tag. Mein Name ist Cramm. Ich habe eine Suite reserviert.«

Die Haustochter nickte.

»Einen Moment«, bat sie und tippte etwas in ihren Computer. »Ja, da haben wir es schon. Herr Thomas Cramm aus Genf.«

»Richtig.«

Sie nahm einen Schlüssel vom Brett und klingelte nach dem ­Hausburschen. Thomas übergab ihm die Schlüssel für das Auto und folgte der jungen Frau die Treppe hinauf.

Die ›Prinzregenten-Suite‹ verfügte über einen geräumigen Wohnbereich, einem Schlafzimmer und ein großes Bad. Thomas nickte nach dem Rundgang zufrieden und gab den beiden Angestellten ein Trinkgeld. Dann trat er ans Fenster und schaute hinaus. Die Suite lag nach hinten hinaus, von der Straße war hier nichts zu hören. Der Heiratsschwindler wandte sich um und machte sich daran, seinen Koffer und die Reisetasche auszupacken. Dabei ermahnte er sich mehrfach, sich seinen neuen Namen einzuprägen. Er wählte immer ein Alias, das seinem richtigen Namen, Krämer, ähnlich war. Also Kremser oder jetzt eben Cramm, mit einem vornehmer wirkenden ›C‹ geschrieben.

Nachdem alles verstaut war, ließ er sich auf das Bett fallen und schloss die Augen. Für ein paar Sekunden sah er das Gesicht von Natascha Kurikowa vor sich. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie ihn mit einem finsteren Blick bedacht.

»Thomas Kromer«, hatte sie mit ihrer rauen und zugleich betörenden Stimme gesagt, »in zwei Tagen sind wir verlobt, oder du wirst mich kennen lernen!«

Es hatte sehr bedrohlich geklungen, obgleich sie dabei gelächelt hatte. Doch ihr finsterer Blick redete eine andere Sprache.

»Leb wohl, mein Täubchen«, murmelte er im Halbschlaf und drehte sich auf die andere Seite.

Mitten in der Nacht war er aus Genf losgefahren, hatte keine Pause eingelegt und war nun entsprechend müde. Es dauerte auch keine zehn Sekunden mehr, bis Thomas Kramer, der sich nun Cramm nannte, tief und fest schlief.

*

Ann-Kathrin Lindner passierte das Ortsschild und blickte sich neugierig um.

Lieber Himmel, wo war sie denn jetzt hingeraten!

Die Häuser mit ihren Lüftlmalereien waren ja ganz hübsch, aber ansonsten schien in St. Johann die Zeit stehen geblieben zu sein.

Die attraktive Frau, mit den blonden schulterlangen Haaren stellte das Cabrio auf dem Parkplatz ab und stieg aus. Sie schaute sich kurz um und ging schließlich zum Hoteleingang. Drinnen herrschte angenehme Kühle, offenbar gab es eine Klimaanlage, die gegen die Hitze, die von draußen hereindrängte, ankämpfte. An der Rezeption stand ein älterer Mann, der sie lächelnd ansah.

»Grüß Gott und herzlich willkommen in St. Johann«, sagte er. »Gräfin Leiderthal?«

Sie nickte.

»Richtig, Anne von Leiderthal. Ich hatte reserviert.«

Sepp Reisinger, der Inhaber des Hotels ›Zum Löwen‹, nickte.

»Ja, selbstverständlich, gnädige Frau. Die Suite ist auch schon gerichtet.«

Er gab dem Hausburschen einen Wink.

»Karl, das Gepäck der Gräfin.«

Ann-Kathrin Lindner, die sich nun Gräfin Leiderthal nannte, händigte dem Angestellten die Autoschlüssel aus und folgte dem Hotelier, der die Treppe hinaufstieg. Oben angekommen, schritten sie über einen langen Flur, auf dem sich Zimmertür an Zimmertür reihte. Dann beschrieb der Flur eine Biegung, und Sepp Reisinger blieb vor einer Tür, mit der Aufschrift ›Edelweiß-Suite‹ stehen und schloss auf.

»Bitte einzutreten«, sagte er mit einer Verbeugung und ließ der ›Gräfin‹ den Vortritt.

Anne trat ein und nickte wohlgefällig, nachdem sie sich kurz umgesehen hatte.

»Wunderbar, Herr Reisinger«, meinte sie mit einem huldvollen Lächeln.

Inzwischen war auch der Hausbursche mit dem Gepäck angekommen und stellte die beiden Koffer und eine große Reisetasche auf Annes Geheiß im Schlafzimmer ab. Sie bedankte sich mit einem Trinkgeld und wandte sich an den Hotelier.

»Wäre es möglich, einen Kaffee zu bekommen?«

Sepp Reisinger nickte sofort.

»Aber selbstverständlich«, antwortete er und deutete auf das Telefon. »Wenn Sie künftig irgendwelche Wünsche haben, drücken sie bitte die Eins, dann sind Sie mit der Rezeption verbunden, die Ihre Bestellung entgegennimmt. Ihr Kaffee wird Ihnen unverzüglich gebracht.«

Er verbeugte sich noch einmal und folgte dem Hausburschen nach draußen. Anne atmete tief durch und setzte sich in einen der bequemen Sessel, mit denen der Wohnbereich der Suite eingerichtet war. Während sie auf den Kaffee wartete, schweiften ihre Gedanken ab.

Gestern um diese Zeit hatte sie noch im Luxushotel ›Excelsior‹, in ­Cannes, gewohnt. Beinahe sehnsüchtig dachte sie an die vergangenen drei Monate zurück, an die Partys in den Häfen von Cannes, Nizza und Monte Carlo, die Empfänge auf den teuren Jachten der Reichen und Superreichen. Und daran, wie sie und ihre Freundinnen mit schnellen Sportwagen über die Croisette gejagt waren, der breiten Prachtstraße in Cannes, mit ihren teuren Geschäften, in denen das billigste Stück, das man kaufen konnte, mehr kostete, als ein Arbeiter im Hafen von Marseille in einem Vierteljahr verdiente.

Und erst die Abende im Casino von Monte Carlo!

Gespielt hatten sie, gewonnen und verloren, und der Champagner war geflossen, und trunken waren sie im Morgengrauen barfuß am Strand spaziert und hatten den neuen Tag mit einem glückseligen Gefühl begrüßt.

Was kostet die Welt?

Ich kaufe sie!

Doch dann war dieser Traum schnell verflogen. Ein Schauspieler, den sie vor einem guten Jahr hereingelegt und um eine ziemlich hohe Summe gebracht hatte, war im Hotel aufgetaucht. Anne hatte sich bis dahin sicher gefühlt, mit dieser Begegnung war nämlich gar nicht zu rechnen gewesen, eigentlich sollte der Star gerade irgendwo in Asien einen Film drehen. Glücklicherweise hatte er sie auch nicht entdeckt. Dennoch hatte sie sofort das Hotel verlassen und in Nizza den nächstbesten Flug gebucht – der ging zufällig nach München.

Das passte durchaus in Annes Planung. In ihrem Metier musste man immer auf solche Situationen eingestellt sein, und so hatte sie schon lange für den Fall der Fälle vorgesorgt und sich eine neue Identität ausgesucht. Es war der Name eines alten preußischen Adelsgeschlechts, das ursprünglich in Mecklenburg Vorpommern beheimatet war, jetzt aber in aller Welt Familienzweige hatte. Es war nicht anzunehmen, dass jemand aus dieser kaum bekannten Adelsfamilie überhaupt noch in Deutschland anzutreffen war. Der Name schien Anne von daher gut gewählt.

Eine Haustochter klopfte und servierte den Kaffee auf einem silbernen Tablett. Anne von Leiderthal genoss ihn und ließ sich dann ein Schaumbad ein. Während sie in der Wanne lag, hoffte sie, dass sich ihr Abstecher hierher auch lohnen würde. Was sie über St. Johann und das Wachnertal herausgefunden hatte, gab durchaus Anlass zu dieser Hoffnung. Immer mehr Urlauber fuhren nach Oberbayern, und die falsche Gräfin freute sich schon darauf, die Bekanntschaft eines allein reisenden Herrn zu machen …

*

Sebastian Trenker begrüßte die junge Frau herzlich.

»Wie geht’s Ihnen, Frau Stein?«, erkundigte sich der gute Hirte von St. Johann.

Susanne Stein lächelte, indes war es eher ein gezwungenes Lächeln.

»Ehrlich gesagt, nicht besonders gut«, antwortete sie. »Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden …«

Der Bergpfarrer sah sie bestürzt an.

»Sie gehen nach Frankfurt zurück? Für immer?«

Sie nickte.

»Ja, Hochwürden, ich habe eingesehen, dass ich mit völlig falschen Erwartungen nach St. Johann gekommen bin. Für Torben …, ich meine, für Herrn Mahlberg, werde ich immer nur seine Sekretärin sein.«

»Kommen S’ erst mal herein: Frau Tappert hat grad Kaffee gekocht, und ein Stückel Kuchen ist auch da.«

Sebastian führte die Besucherin auf die Terrasse des Pfarrgartens, wo sie von der Haushälterin begrüßt wurde. Sophie Tappert hatte einen lockeren Zitronenkuchen gebacken, der besonders saftig war. So etwas Erfrischendes war gerade richtig bei diesen Temperaturen.

»Weiß Herr Mahlberg, dass Sie abreisen?«, erkundigte sich der Geistliche.

Susanne schüttelte den Kopf.

»Ich habe ihm einen Brief geschrieben, den er morgen auf dem Frühstückstisch finden wird«, erklärte sie.

Sebastian schenkte Kaffee nach.

»Und wenn ich mal mit ihm red’?«, schlug er vor. »Manchmal ist ein Wink mit dem Zaunpfahl notwendig, um die Leute aufzuwecken.«

»Ich fürchte, das ist zwecklos«, entgegnete die hübsche blonde Frau. »In diesem Fall würde ein ganzer Staketenzaun nichts nützen. Er lebt ja nur für seine Rache an Patricia Vangaalen.«

Susanne biss sich auf die Lippe und versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die ihr in die Augen steigen wollten.

»Nein«, sagte sie dann mit fester Stimme, »es ist das Beste, wenn ich nach Hause zurückkehre. Heute ist unwiderruflich mein letzter Tag hier in St. Johann, Herr Mahlberg wird schnell eine andere Sekretärin finden.«

Sie trank ihre Tasse aus und stand abrupt auf.

»Vielen Dank für alles, Hochwürden«, verabschiedete sie sich. »Ich werde Sie ganz bestimmt nie vergessen. Und Sie auch nicht, Frau Tappert. Grüßen Sie Ihren Bruder und Claudia von mir und Elena …«

Wieder lächelte sie gequält.

»Die beiden hätten meine ersten Freundinnen werden können«, setzte sie hinzu und wischte sich traurig über die Augen.

»Verzeihen Sie …«

Der Bergpfarrer nahm sie in die Arme.

»Da gibt’s nix zu verzeihen«, sagte er ruhig und er schüttelte den Kopf. »Ich find’s schad’, dass Sie so schnell aufgeben, Susanne. Alles Gute, und wenn S’ einmal einen Menschen brauchen, dann können S’ sich jederzeit an mich wenden.«

Susanne Stein nickte. Sebastian brachte sie zur Tür und schaute ihr nachdenklich hinterher.

Ihm war klar, warum sie so schnell wieder aufgebrochen war. Susanne hatte befürchtet, er könne sie zum Bleiben überreden, und vermutlich wäre sie dann nicht mehr stark genug gewesen, ihr Vorhaben durchzuführen. Dabei hätten Susanne Stein und Torben Mahlberg ganz wunderbar zueinandergepasst. Es war ein Jammer, dass der Unternehmer so auf seinen Rachefeldzug fixiert war, dass er für nichts anderes um sich herum einen Blick hatte – noch nicht einmal für die attraktive und kluge Susanne Stein. Dabei war sie, als seine ›rechte Hand‹, fast immer an seiner Seite!

Aber vielleicht war es ja gerade das!

Torben wusste augenscheinlich nicht, dass seine Sekretärin ihn liebte.

Sollte er ihm reinen Wein einschenken? Oder war es klüger, sich da nicht einzumischen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen?

Allerdings war es wieder mal ein Schicksal, auf das Patricia Vangaalen auf ungute Art Einfluss genommen hatte! Sebastian musste sich zügeln, seinem Zorn auf die skrupellose Unternehmerin nicht freien Lauf zu lassen. Auch ihm selbst hatte sie den Krieg erklärt. Bisher hatte er sich gegen ihre Attacken immer wehren können, Torben hingegen war von der ebenso schönen wie reichen Frau auf übelste Art und Weise hereingelegt worden und hatte mehrere Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen.

Auch wenn er Rache niemals gutheißen konnte, so brachte der Bergpfarrer doch auch Verständnis für Torben Mahlberg auf. Zumindest war es eine subtile Rache, die der Unternehmer ausübte. Einmal war es ihm gelungen, der ›Vangaalen Privatbank‹, ein Vermögen von mehreren Millionen Euro abzuluchsen, Geld, das er indes nicht für sich behalten, sondern etlichen wohltätigen Organisationen überall auf der Welt anonym gespendet hatte. Und dann hatte er seiner Konkurrentin im letzten Moment ein Haus samt Grundstück vor der Nase weggeschnappt, das Patricia hatte kaufen wollen.

Und in genau dieses Haus wollte Torben Mahlberg seinen Firmensitz von Frankfurt verlegen. Aus diesem Grund hatte er seine Sekretärin nach St. Johann geholt und sie gefragt, ob sie für immer ins Wachnertal ziehen wolle.

Freilich hatte Susanne Stein eine andere Hoffnung gehabt. Sie liebte ihren Chef, seit sie für ihn arbeitete. Auch als Torben Mahlberg ins Gefängnis musste, hielt sie ihm die Treue. Mehr noch, sie rettete den größten Teil seines Vermögens und transferierte es in die Schweiz, sodass er nach seiner Entlassung in die Freiheit nicht mit leeren Händen dastand.

Leider schien er die Zeichen, die sie ihm gab, nicht zu erkennen, oder er war so blind vor Hass auf Patricia Vangaalen, dass er nichts anderes mehr sehen konnte.

Sebastian hatte ihr hintergeschaut, bis Susanne Stein nicht mehr zu sehen war. Immer noch in Gedanken versunken ging er ins Pfarrhaus zurück.

»Hoffentlich macht sie nix, was sie hinterher bitter bereut«, murmelte er im Selbstgespräch.

*

Ausgeschlafen und gut gelaunt ging Thomas Cramm die Treppe hinunter. Die bewundernden Blicke der weiblichen Hotelgäste nahm er zwar wahr, lächelte aber insgeheim darüber.

Er wusste, dass er gut aussah, mit seinem markanten Gesicht, der sportlichen Figur und vor allem den braunen Augen, die so verträumt blicken konnten, dass jedes Frauenherz nur so dahinschmolz.

Thomas trug eine helle Hose und ein blaues Poloshirt, dessen obere Knöpfe offen standen. Die halben Ärmel ließen ein wenig von seinen muskulösen Oberarmen sehen, ein leichtes Jackett trug er lässig über die Schultern gelegt. Er gab seinen Schlüssel ab und lächelte dabei der Haustochter zu, die am Empfang stand.

»Sagen Sie, ist es möglich, noch eine Kleinigkeit zu essen?«, erkundigte er sich.

Christel Rehrhofer nickte eifrig.

»Aber freilich, Herr Cramm«, antwortete sie. »Im Biergarten wird den ganzen Tag serviert. Wenn S’ aber lieber im Restaurant essen möchten …«

»Nein, nein«, winkte er ab, »Biergarten ist schon in Ordnung.«

Sie deutete auf eine Glastür.

»Da durch die Tür und über den Gang, dann kommen S’ direkt in den Garten.«

»Wunderbar. Vielen Dank«, lächelte er wieder, wobei er einen Geldschein auf den Empfangstresen legte.

An der Tür drehte er sich noch einmal um und zwinkerte ihr zu. Christel seufzte leise.

Schad’ nur, dass der Herr Reisinger ihnen strikt untersagt hatte, mit Gästen anzubandeln …

Thomas betrat den Biergarten und schaute sich erstaunt um. Es war früher Nachmittag, und beinahe jeder Platz schien besetzt zu sein. Eine Haustochter eilte auf ihn zu und brachte ihn an einen Tisch, der doch noch frei war. Er setzte sich und nahm dankend die Speisekarte in Empfang. Das Angebot war vielfältig und hielt die typischen Biergartenschmankerl bereit. Thomas entschied sich für ein Schwammerlgulasch mit Semmelknödel und Salat. Dazu bestellte er ein Glas Weißwein und Mineralwasser. An der Hotelwand, gleich neben der Tür, hing ein Thermometer. Er hatte einen Blick darauf geworfen.

Einunddreißig Grad im Schatten!

Kein Wunder, dass es im Biergarten brummte und die Leute bei kalten Getränken und Eisbechern Abkühlung und Erfrischung suchten.

Während er sich das köstliche Essen schmecken ließ, blickte Thomas sich unauffällig um. Auf der anderen Seite des Gartens, an den langen Festzeltgarnituren, saßen so viele Leute, dass er gar nicht unterscheiden konnte, ob darunter auch Singlefrauen waren. Allerdings kamen die wohl eher nicht in Betracht. Auf dieser Seite, mit den kleinen runden Tischen und den bequemen Stühlen, würde er vielleicht mehr Jagdglück haben.

Indes sah es damit im Moment eher mäßig aus. Einige ältere Ehepaare, Familien mit größeren Kindern und ein Mann, den man den Generaldirektor schon auf zehn Schritt Entfernung ansah, bevölkerten diesen Teil des Biergartens. Hoffentlich gab es hier überhaupt, wonach er suchte – eine sympathische, alleinstehende Frau, die nicht zu den Ärmsten zählte. Eine Frau die sich nach ein wenig männlicher Zuwendung sehnte und bereit war, ihm ihr Herz zu öffnen – samt Geldbörse, versteht sich.

Hatte er eigentlich nie ein schlechtes Gewissen gehabt, in all den Jahren? Waren ihm seine Opfer wirklich egal gewesen?

Man musste ihm zugutehalten, überlegte Thomas, während er sich diese Fragen stellte, dass er nie eine Frau um ihr ganzes Geld gebracht hatte. Er hatte immer nur so viel gefordert, um einige Monate über die Runden zu kommen, und er hatte nie Gewalt angewendet. Ja, er war sicher, von sich behaupten zu können, so etwas wie ein moderner Raubritter zu sein, der von allen Frauen, die seinen Weg kreuzten, Wegezoll verlangte.

Und andererseits hatte er ihnen dafür ja auch etwas gegeben – das Gefühl, die begehrenswerteste Frau der Welt zu sein!

Vermutlich lag die Motivation für sein Handeln tief in seiner Jugend begründet. Thomas Kramer stammte aus ärmlichen Verhältnissen, seine Mutter hatte ihn alleine großziehen müssen, nachdem der Vater schon früh verstarb. In der Schule war er so fleißig gewesen, dass Thomas leicht den Sprung aufs Gymnasium schaffte. Dort lernte er eine andere Welt kennen, als Klaus Mertens sein bester Freund wurde. Die ›Mertens AG‹ war einer der bedeutendsten Arbeitgeber in Hannover und Umgebung. Thomas kam aus dem Staunen nicht heraus, als er zum ersten Mal die Prachtvilla am Maschsee betrat. Eine gänzlich neue Welt tat sich ihm auf. Das war doch etwas ganz anderes, als das, was die Arbeiterin in einer Keksfabrik, die seine Mutter nun mal war, ihrem Kind bieten konnte.

Und dann verliebte er sich auch noch zu allem Unglück in Klaus’ ältere Schwester. Birgit Mertens spürte sehr bald, dass dieser gut aussehende Bursche sich ganz und gar an sie verloren hatte, und nutzte diesen Umstand zu ihrem eigenen Vorteil aus. Erst waren es kleine Gefälligkeiten, wie Hilfe bei den Hausarbeiten, denen er mit Feuereifer gerne nachkam, dann ließ sie sich von ihm einladen. Ins Kino, zum Eisessen, in den Zirkus. Thomas, von Haus aus ohnehin nicht begütert, opferte erst sein mageres Taschengeld und nahm schließlich einen Job als Zeitungsausträger an, um Birgits Forderung zu erfüllen. Am Ende plünderte er sogar sein Sparbuch, das seine Mutter trotz aller Geldknappheit für ihn angelegt hatte. Als Erika Kramer dahinterkam, setzte es nicht nur ein gewaltiges Donnerwetter, die resolute Frau marschierte schnurstracks in die Villa am Maschsee und stellte die Tochter zur Rede.

Das Ende vom Lied war nicht nur, dass Thomas die große Liebe seines Lebens nie mehr wiedersah, auch die Freundschaft zu Klaus ging in die Brüche. Indes hatte er seine Lektion gelernt und erkannt, dass er Birgit nur etwas bedeutet hatte, solange er ihr nützlich gewesen war. Und diese Erkenntnis beeinflusste fortan sein Verhältnis zum anderen Geschlecht. Er war der Meinung, sich zurückholen zu müssen, was man ihm genommen hatte. Hinzu kam, dass er Blut geleckt hatte, an dem Luxus, der bei den Mertens herrschte. Thomas nahm sich vor, eines Tages auch einmal so zu leben. Keine Arbeit und trotzdem Geld zu haben.

Allerdings musste er sich eingestehen, dass es ihm nicht wirklich gelungen war. Im Grunde lebte er von dem, was er von einer einsamen Frau ergaunert hatte, von der Hand in den Mund. Das ergaunerte Geld reichte immer nur einen gewissen Zeitraum. Auch wenn er sich jetzt mit dem Trinkgeld großzügig zeigte, musste er doch jeden Euro zweimal umdrehen. Es wurde höchste Zeit, dass er eine neue Frau kennen lernte.

So eine, wie die, die eben durch die Hoteltür den Biergarten betrat …

*

Ann-Kathrin Lindner hatte ausgiebig gebadet, stundenlang Schönheitspflege betrieben und noch mehr Zeit auf die sorgfältige Auswahl ihrer Garderobe verwandt.

Dann hatte sie ein leichtes Hungergefühl verspürt. Das Essen, das man ihr im Flieger der Air France serviert hatte, war eine einzige Beleidigung für die weltberühmte französische Kochkunst gewesen: zähes, trockenes Fleisch, verkochtes Gemüse und fade Kartoffeln.

Anne-Kathrin hatte es kaum angerührt und sich stattdessen auf dem Münchner Flughafen eine Laugenbrezel gekauft.

Nachdem sie den vorbestellten Mietwagen in Empfang genommen und die bayerische Landeshauptstadt hinter sich gelassen hatte, war sie nur kurz eine Raststätte angefahren und hatte einen Cappuccino getrunken. Zusammen mit dem Kaffee im Hotel war es das Einzige, was sie seit ihrer Flucht aus Frankreich zu sich genommen hatte.

Für den Nachmittag hatte die attraktive Frau ein gelbes Kleid ausgewählt, dessen Ausschnitt zum Teil von einem halb durchsichtigen Tuch bedeckt wurde. Gerade so, um nicht zu viel zu zeigen, aber doch genug, um noch etwas zu erahnen. Dazu trug ›Gräfin Leiderthal‹ flache,weiße Schuhe, eine Strickjacke hatte sie über dem Arm, eine Marken-Handtasche hing an einem Lederriemen über ihr rechte Schulter.

Sie trat in den Biergarten und blickte sich suchend um. Die neugierigen Blicke der männlichen Gäste ignorierte sie, auch den Blick des Mannes, der ihr gleich beim Betreten des Gartenlokals aufgefallen war. Er saß alleine an einem der Einzeltische, und wenn sie es recht gesehen hatte, war es der einzige Tisch, an dem noch ein Platz frei war.

Dennoch hob sie die linke Augenbraue und sah über ihn hinweg. Dann wandte sie sich der Bedienung zu, die an sie herangetreten war.

»Gibt es keinen freien Tisch mehr?«

Die Haustochter war bereits von ihrem Chef instruiert worden, der Gräfin jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Doch leider war tatsächlich alles besetzt – bis auf den einen Tisch, an dem der Gast aus der anderen Hotelsuite saß.

»Ich fürchte, nur noch dort drüben ist noch was frei«, deutete Resl Burger zaghaft auf die andere Seite.

Es waren kaum mehr als drei Schritte, bis zu seinem Tisch. Thomas Cramm hatte die elegant gekleidete Frau mit einem Blick taxiert und für infrage kommend befunden. Er hatte auch die kurze Unterhaltung mit der Bedienung gehört und stand auf. Mit einer Verbeugung und einem Lächeln deutete er auf einen der Stühle.

»Bitte sehr«, sagte er, »wenn Sie möchten, können Sie sich gerne dazusetzen.«

Anne zuckte unwillkürlich zusammen. Die Stimme ging ihr durch und durch, und eine leichte Gänsehaut fuhr ihr über den Rücken. Sie neigte den Kopf und lächelte ebenfalls.

»Vielen Dank, Herr …«

»Cramm. Thomas Cramm«, stellte er sich vor.

»Angenehm«, erwiderte sie. »Anne von Leiderthal.«

Thomas stutzte einen Moment.

»Gräfin Leiderthal?«, fragte er nach.

Sie nickte und bedankte sich dafür, dass er um den Tisch herumkam und ihr den Stuhl zurechtrückte.

»Das Pilzgericht ist sehr zu empfehlen«, bemerkte er.

Die Gräfin blickte ihn distinguiert an.

»Auf keinen Fall! Womöglich noch mit fetter Sahnesauce.«

Sie bestellte eine Tagessuppe und ein Mineralwasser.

Trotz ihrer überheblichen Art dachte Thomas Cramm gar nicht daran, so schnell wieder aufzugeben. Sicher war die Gräfin nicht unvermögend, und diese Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen.

»Sie wohnen auch hier im Hotel?«, erkundigte er sich.

Was für eine dumme Frage, sie war doch durch dieselbe Tür gekommen wie er selbst!

Zu seinem Erstaunen nickte sie.

»Heute Vormittag angekommen.«

»Tatsächlich? Ich auch. Ein schönes Dorf, dieses St. Johann. Haben Sie denn schon Gelegenheit gehabt, sich Ihren Urlaubsort anzusehen?«

»Wohl kaum«, entgegnete sie, wieder von oben herab. »Außerdem mache ich nicht Urlaub. Ein schwerer Schicksalsschlag führt mich hierher.«

Bei den letzten Worten schien ein dunkler Schatten über das schöne Gesicht zu huschen. Indes hatte sie sich sofort wieder in der Gewalt und widmete sich der Suppe, die serviert wurde. Es war eine kräftigte Rindsbrühe, mit Streifen von Kräuterpfannkuchen.

»Guten Appetit«, wünschte Thomas und betrachtete sie verstohlen.

Ihre traumhafte Figur war ihm gleich aufgefallen, als sie durch die Tür trat. Das Gesicht war geradezu edel geschnitten und die blonden Haare waren der perfekte Rahmen für ihre aparte Schönheit. Die vollen Lippen strahlten Sinnlichkeit aus und verlangten geradezu danach, geküsst zu werden. Die Gräfin trug nur wenig Schmuck, aber Thomas war sicher, dass er von einem erstklassigen Juwelier stammte, vermutlich aus Paris.

»Sie verbringen aber vermutlich Ihren Urlaub hier?«, fragte sie plötzlich.

»Ja, ich musste einfach mal ein paar Tage von zu Hause weg.«

»Wo ist denn das, wenn ich fragen darf?«

Thomas war über dieses plötzliche Interesse so irritiert, dass er wie aus der Pistole geschossen irgendetwas antwortete.

Aber wieso war er gerade auf Liechtenstein gekommen?

Dabei war es für die Gräfin noch interessanter, als er ahnte.

Liechtenstein – Steueroase, schwarze Konten, Bankgeheimnis, waren die Stichworte, die Anne von Leiderthal sofort dazu einfielen.

Na klar, der Mann war Banker!

»Das ist ja ein netter Zufall, dass wir uns hier begegnet sind«, meinte sie leutselig. »Ich verfüge in absehbarer Zeit über ein nicht unbeträchtliches Vermögen, das ich möglichst verlustfrei anlegen möchte. Sie können mir da nicht vielleicht raten?«

Thomas grinste innerlich. Liechtenstein war wohl doch nicht so dumm gewesen. Offenbar hielt sie ihn für einen Bankier oder Finanzmakler.

»Aber ja«, nickte er. »Wir können uns gerne bei Gelegenheit näher darüber unterhalten.«

»Ich will Sie aber nicht in Ihrem Urlaub damit belästigen«, versicherte sie.

Thomas beugte sich vor und blickte ihr tief in die Augen – er wusste um die Wirkung dieses Blickes …

»Aber, Gräfin«, sagte er, »Sie könnten mich niemals belästigen. Bitte, verfügen Sie über mich. Jederzeit und überall.«

Anne lächelte ihn an.

»Dann würde ich mich freuen, wenn Sie mich auf einem ersten Spaziergang durch das Dorf begleiteten.«

»Es wird mir ein Vergnügen sein«, antwortete er und triumphierte innerlich.

So schnell war er noch nie auf dem Weg zum Sieg gewesen. Er hatte das Gefühl, geradewegs auf die Zielgerade eingebogen zu sein …

*

Eine halbe Stunde später hatten sie das Dorf bereits erkundet. Indes war das auch nicht verwunderlich, St. Johann war nicht sehr groß, und außer den alten Häusern, die man bewunderte, gab es nur noch das kleine Einkaufszentrum, in dem sich zahlreiche Geschäfte eingerichtet hatten. Nachdem sie auch durch die Passage spaziert waren, standen Thomas und Anne vor dem Rathaus und schauten sich um.

»Wie ist es, Gräfin«, fragte er, »hätten Sie Lust, sich die Kirche anzusehen? Ich habe gelesen, sie soll sehr schön sein und einige wertvolle Kunstschätze beherbergen.«

Die Gräfin nickte.

»Sehr gerne. Aber bitte nur, wenn die Kirche nicht von Touristen überlaufen ist«, sagte sie zögerlich. Das Letzte, was sie brauchen konnte, waren Menschenmassen, schließlich musste sie diesen interessanten Herren mal für sich haben, um bei ihm Eindruck zu hinterlassen.

Thomas deutete auf drei Reisebusse, die an ihnen vorüber zum Dorf hinausfuhren.

»Ich vermute, die meisten befinden sich schon wieder auf dem Heimweg.«

Sie lächelte.

»Dann wollen wir das Beste hoffen.«

Sie überquerten die Straße und gingen wenig später den Kiesweg hinauf, der zum Gotteshaus führte. Eine Gruppe von Touristen kam ihnen entgegen.

»Das waren bestimmt die letzten«, meinte Thomas Cramm.

Er drückte die Klinke herunter und zog die Tür auf. Mit einer angedeuteten Verbeugung ließ er seiner Begleiterin den Vortritt.

Anne von Leiderthal betrat den Vorraum, in dem einige Regale standen, in denen Prospekte, Gemeindebriefe und Ansichtskarten der Kirche ausgestellt waren. Thomas hatte die Tür hinter sich zugezogen und stand dicht hinter der Gräfin. Anne nahm den Duft seines Rasierwassers wahr und fühlte sich in ihrer Ahnung bestätigt.

Dieser Mann musste im Geld schwimmen!

Sie kannte die Marke und wusste, dass das kleinste Fläschchen davon unerhört viel kostete.

Doch hier war nicht der richtige Ort, um einen Flirt mit ihm zu beginnen. Dazu würde sie noch Gelegenheit haben. Längst hatte sie gemerkt, dass sie Thomas Cramms Interesse erregt hatte. Sie war sicher, seine Leidenschaft noch mehr entfachen zu können, wenn sie sich erst einmal distanziert gab, wie es sich für eine Gräfin gehörte …

Erwartungsvoll schaute sie durch die Glasscheibe und öffnete die zweite Tür. Thomas folgte ihr und deutete nach oben. Anne hob den Kopf und staunte.

Hoch über den beiden Besuchern wölbte sich ein herrliches Deckenfresko. Szenen aus der Bibel waren meisterlich dargestellt, angefangen bei der Erschaffung der Welt, bis hin zur Sintflut und Noahs Arche.

»Das muss ein wahrer Künstler gewesen sein, der das geschaffen hat«, sagte Anne, ehrlich begeistert.

Trotz ihres nicht unbedingt frommen Lebenswandels hatte sie doch eine gute Erziehung und Ausbildung genossen. Nach dem Abitur studierte sie Kunstgeschichte, brach aber nach dem zweiten Semester ab und widmete sich fortan ihrer jetzigen ›Laufbahn‹.

»Dort gibt es noch mehr zu sehen«, bemerkte Thomas und deutete auf den Altar.

Atemberaubend waren aber auch die Fensterbilder, die ebenfalls Motive aus dem Alten und Neuen Testament zeigten. Anne und Thomas bewunderten sie und betrachteten auch die wunderschön geschnitzten Heiligenfiguren, die von frommen Holzschnitzern geschaffen worden waren.

Langsam gelangten sie durch den Mittelgang zum Altar hinunter, froh darüber, dass außer ihnen tatsächlich sonst keine anderen Besucher mehr da waren, und sie sich in aller Ruhe umschauen konnten.

Annes Blick fiel auf ein Gemälde, das an der Wand, unter der Galerie hing. Es war ein Porträt des Gottessohnes. Gethsemane, stand auf einem kleinen Schild daneben. Es zeigte Jesus Christus am Abend vor der Kreuzigung, im Gebet versunken. Dem unbekannten Künstler war es meisterhaft gelungen, das Wissen um die Unabänderlichkeit seines Schicksals im Gesicht des Erlösers wiederzugeben.

»Wirklich beeindruckend«, sagte sie leise.

Thomas, der neben ihr stand, nickte beifällig. Er deutete auf eine weitere Skulptur zwischen Altarraum und Seitenschiff. Auf einem Sockel stand dort eine Madonna, die so schlicht war, dass genau diese Einfachheit jeden Betrachter ergriffen dastehen ließ. Das Gesicht war so fein gearbeitet, als lebe die Figur. Jeder Faltenwurf ihres Gewands, der Heiligenschein, das polierte, dunkle Holz, eben jedes Detail wies auf einen wahren Meister der Holzschnitzkunst hin.

»Ich habe gelesen, dass diese Madonna sehr wertvoll ist«, bemerkte Thomas Cramm. »So wertvoll, dass man sie sogar schon einmal geraubt hat.«

Anne betrachtete die Mutter Gottes genauer.

»Ja, sie ist wohl schon sehr alt«, sagte sie. »Das und die hervorragende Arbeit machen ihren Wert aus. Hier war wirklich ein Meister seines Faches am Werk. Mich wundert nur, dass die Figur nun gänzlich unbewacht hier steht.«

Ihr Begleiter lächelte.

»Das scheint nur so«, widersprach er. »In dem Informationsblatt steht, dass die Madonna durch eine moderne Alarmanlage gesichert ist.«

»Bravo«, ließ sich eine Stimme hinter ihnen vernehmen. »Das hätt’ ich net besser erklären können.«

Verwundert drehten sie sich um und sahen sich einem großen schlanken Mann gegenüber, der aus der Tür zur Sakristei getreten war. Er kam lächelnd zu ihnen.

»Grüß Gott«, sagte er. »Ich bin Pfarrer Trenker. Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen, sich unsre schöne Kirche anzuschauen.«

Die Verwirrung, die den beiden Besuchern ins Gesicht geschrieben stand, amüsierte den Bergpfarrer wieder einmal. Tatsächlich blickte ihn das Paar an, als könne es nicht begreifen, dass dieser Mann hier ein Priester war.

Indes war ihr Erstaunen auch nicht verwunderlich, denn der gute Hirte von St. Johann sah tatsächlich nicht so aus, wie man sich einen Mann Gottes gemeinhin vorstellt. Groß und schlank, mit einer sportlichen, durchtrainierten Figur ausgestattet und einem markanten Gesicht, das von vielen Aufenthalten im Freien stets eine leichte, natürliche Bräune zeigte, hätte man ihn eher für einen berühmten Sportler oder gar Schauspieler halten können.

Thomas stellte sich und seine Begleiterin vor.

»Gräfin Leiderthal und ich haben uns heute zufällig im Hotel kennen gelernt«, ergänzte er.

Sebastian nickte verstehend, und bot ihnen an, sie ein wenig herumzuführen. Die beiden Besucher nahmen das Angebot dankend an und kamen so in den Genuss einer äußerst interessanten Führung, denn schließlich kannte sich niemand besser in seiner Kirche besser aus, als Pfarrer Trenker selbst.

»Dann wünsch’ ich Ihnen noch einen schönen Aufenthalt«, verabschiedete er sich nach dem Rundgang.

Anne und Thomas bedankten sich und gingen den Kiesweg hinunter.

*

»Auch Ihnen vielen Dank, für die nette Gesellschaft«, sagte die Gräfin, als sie wieder am Hotel angekommen waren.

Er lächelte.

»Ich habe die Stunden mit Ihnen sehr genossen«, versicherte Thomas Cramm.

Einen Moment standen sie stumm da und sahen sich an.

»Vielleicht könnte man sich heute Abend noch einmal treffen?«, hoffte er.

Anne von Leiderthal neigte zustimmend den Kopf.

»Ich werde uns einen Tisch reservieren«, sagte Thomas. »Wo ist es Ihnen lieber, im Restaurant oder im Biergarten?«

Sie lächelte.

»Im Biergarten dürfte es bei diesem Wetter angenehmer sein«, antwortete sie.

»Dann kümmre ich mich gleich darum«, versprach er und stieg einige Minuten später die Treppe hinauf.

In seiner Suite angekommen, öffnete er seinen tragbaren Computer und wählte sich ins Internet ein. Als er als Stichwort den Begriff ›Adelsfamilie von Leiderthal‹ in die Suchmaschine eingab, hatte er in Sekunden mehr als eintausend Seiten, auf denen etwas über die Gräfin und ihre Familie zu finden war.

Thomas hatte sich das Jackett ausgezogen und eine Flasche Mineralwasser aus der Minibar geholt. Langsam trank er, während er die Seiten durchblätterte.

Die Adelsfamilie besaß ein Schloss in Mecklenburg Vorpommern, las er. Nach dem letzten Krieg flohen die Adligen mit allem, was sie mitnehmen konnten, in den Westen. Das Schloss wurde zu einem Kinderheim umfunktioniert. Erst nach der Wende erlangte die Familie ihren Besitz zurück, allerdings war das Schloss unbewohnbar und wurde seit mehr als zehn Jahren aufwändig renoviert. Die Familie selbst war in alle Winde verstreut worden. Ein Zweig lebte in den Vereinigten Staaten, ein anderer in Australien, ein dritter in Südafrika. Ihnen allen war gemein, dass sie Winzer geworden waren. Sehr erfolgreich sogar, die Erzeugnisse wurden immer wieder auf internationalen Messen mit Goldmedaillen ausgezeichnet. In Deutschland allerdings schien niemand mehr von ihnen zu leben. Wie auf der Seite, die sich mit dem Schloss und der Familiengeschichte befasste, zu lesen war, würde der Besitz in Norddeutschland erst dann wieder bezogen werden, wenn die umfangreiche Renovierung abgeschlossen war.

Nach gut zwei Stunden Recherche reckte Thomas den verspannten Körper. Die Augen taten ihm von Schauen auf den Monitor weh, und sein Rücken schmerzte vom krummen Sitzen.

Er stand auf und ging ans Fenster. Eine gewisse Enttäuschung bemächtigte sich seiner. Er hatte so viel über die Familie erfahren, aber nichts über Anne von Leiderthal.

Warum nicht?

Er zerbrach sich den Kopf darüber. Vielleicht war sie ja gar keine echte Gräfin, also von Geburt, sondern es erst durch Heirat geworden. Er hatte keine Ahnung, wie so etwas gehandhabt wurde, möglicherweise tauchten die Namen dieser Angehörigen nicht sofort in der Ahnentafel auf. Andererseits trug Anne keinen Ehering, darauf hatte er als Erstes geachtet.

Oder war sie vielleicht geschieden?

Dann war ihr Name ganz sicher aus dem Stammbaum derer von Leiderthal gestrichen worden.

Hatte sie das gemeint, als sie von einem schweren Schicksalsschlag sprach?

Thomas warf einen Blick auf die Uhr. Es wurde Zeit, sich für die Verabredung umzuziehen. Und was immer das Geheimnis dieser Frau war, er würde es herausfinden. Die ihm so unverhofft in den Schoß gefallene Legende, er sei ein Liechtensteiner Bankier, würde ihm dabei gute Dienste leisten. Das Interesse der Gräfin an ›seinem Beruf‹, war ihm nicht entgangen.

*

Susanne Stein verließ ihr Hotelzimmer und ging die Treppe hinunter. Torben Mahlberg stand von seinem Sessel in der Lobby auf und kam ihr entgegen.

»Guten Abend«, sagte er. »Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Tag?«

Die Sekretärin nickte.

»Viele Dank«, antwortete Susanne. »Und waren Sie erfolgreich?«

»Das kann man wohl sagen«, erwiderte der Unternehmer. »Das Geschäft mit den Schweizern ist unter Dach und Fach. Im nächsten Sommer wird ganz Japan mit echtem Schweizer Käse überschwemmt.«

Im- und Export war ein neuer Geschäftszweig der Mahlberg Unternehmensgruppe. Früher hatte Torben mit Baumaschinen gehandelt und selbst auch durch eine eigene Firma bauen lassen. Damals war er mit Patricia Vangaalen in Kontakt gekommen …

Vor zwei Tagen war er in die Schweiz gefahren, um dort mit einem Käseproduzenten zu verhandeln. Seine Kontakte nach Fernost hatten zu einer Anfrage eines japanischen Lebensmittelkonzerns geführt. Europäische Delikatessen eroberten langsam aber stetig den dortigen Markt. Nachdem zuerst deutsches Bier, dann das Oktoberfest und schließlich gar deutsche Weihnachten zu einem Verkaufsschlager geworden waren, suchte man nach weiteren Spezialitäten aus der westlichen Welt.

»Das ist ja sehr erfreulich«, bemerkte Susanne und bedankte sich mit einem Kopfnicken dafür, dass er ihr die Tür zum Biergarten aufhielt.

Sie hatte die zwei Tage ohne ihren Chef dazu genutzt, gründlich über ihre Zukunft nachzudenken und war zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Zweck hatte, weiter darauf zu hoffen, dass er endlich erkannte, was er ihr bedeutete. Solange Torben Mahlberg im Gefängnis gesessen hatte, war ihre Hoffnung das Einzige, was ihr Kraft gab. Doch nach seiner Entlassung hatte sie erkennen müssen, dass er all sein Denken und Streben nur auf die Rache an der Frau ausgerichtet hatte, die schuld an seinem Schicksal war.

Der Gedanke an ein Leben mit einer Frau, die ihn liebte, die sich eine Zukunft mit ihm wünschte, hatte da keinen Platz. Und so bitter diese Erkenntnis auch war, Susanne war bereit die Konsequenzen daraus zu ziehen. Aus diesem Grund hatte sie sich heute Nachmittag von Pfarrer Trenker verabschiedet und würde morgen früh nach Frankfurt zurückkehren.

Freilich fiel es ihr nicht leicht!

Auch dem guten Hirten von St. Johann verdankte sie eine schöne Zeit im Wachnertal. Sie würde die wunderbare Bergtour, die sie zusammen unternommen hatten, nie vergessen und von dem Erlebnis noch lange zehren.

Dabei hatte es erst so ausgesehen, als würde nichts mehr aus dem Aufstieg, denn an dem geplanten Termin ereignete sich ein Zwischenfall, der Pfarrer Trenker ganz in Anspruch nahm. Andrea Klein, Kindermädchen im Hause der Familie Wiesinger, wurde in einen Kriminalfall verwickelt, der am Ende noch in Entführung und Geiselnahme gipfelte. Glücklicherweise ging dann doch alles gut aus, der Entführer stürzte bei seiner Flucht in eine Felsspalte und musste von Pfarrer Trenker gerettet werden, das Kindermädchen blieb Gott sei Dank unverletzt.

»So in Gedanken versunken?«

Torbens Stimme riss sie aus ihrer Erinnerung. Susanne lächelte.

»Ich musste gerade an die Geschichte mit der Andrea denken«, sagte sie. »Und daran, dass unsere Bergtour um ein Haar geplatzt wäre.«

»Ja, das war sehr aufregend. Zum Glück ging es ja gut aus, und unsere Tour haben wir doch noch gemacht.«

Er beugte sich vor und schmunzelte.

»Aber ob ich immer so früh aufstehen muss, weiß ich nicht …«, setzte er hinzu.

Susanne lachte.

»Ja, das ist auch nicht wirklich meine Zeit«, meinte die Sekretärin.

Es war noch dunkel gewesen, als sie aus der Hoteltür traten. Im selben Moment kam Pfarrer Trenker über die Straße.

»Grüß Gott«, lächelte er. »Habt ihr ausgeschlafen, dann kann’s ja losgeh’n.«

Tags zuvor waren sie noch einmal im Pfarrhaus gewesen. Torben hatte noch die geliehene Wanderkleidung im Hotel gehabt, Susanne hingegen war überhaupt nicht ausgerüstet. Indes gab es im Pfarrhaus einen größeren Fundus an Ausrüstung, der den vergesslichen Urlaubern zu verdanken war, die immer wieder irgendwelche Sachen im Hotel oder den Pensionen liegen ließen. Wenn der Besitzer nicht mehr auszumachen war und sich auch nach einer angemessenen Aufbewahrungszeit niemand meldete und Anspruch auf die Fundstücke erhob, wurden sie verschenkt. Im Laufe der Jahre hatte sich im Pfarrhaus genug angesammelt, um eine ganze Reisegruppe damit auszustatten. Sebastian Trenker fand immer noch jemanden, der dafür Verwendung hatte, so wie Susanne Stein in diesem Fall.

Der Bergpfarrer reichte Torben ­einen der beiden Rucksäcke, die er mitgebracht hatte. Der Unter­nehmer war schon einmal mit ihm aufgestiegen und wusste, dass sich in dem Rucksack der Proviant befand.

Durch das noch schlafende Dorf gingen sie zum Höllenbruch und weiter zur Hohen Riest, von wo die einzelnen Wanderwege zu den verschiedenen Almen abzweigten. Indes nahm Sebastian Trenker keine der üblichen Routen, er hatte schon lange seine eigene Tour.

»Die ist zwar länger und auch net so bequem, dafür sieht man aber mehr und findet schönere Motive zum Fotografieren«, erklärte er immer seinen Begleitern.

Susanne hatte ihren Fotoapparat mitgenommen, aber noch war es zu dunkel, um Bilder zu machen. Stattdessen freute sie sich über ein Reh, das über die Wiese lief und im angrenzenden Bergwald verschwand. Torben, der neben ihr ging, erzählte, dass sie bald noch mehr Tiere zu sehen bekämen.

Nach gut zwei Stunden gab der Geistliche das Zeichen zur Rast. Die Sonne war aufgegangen, und ihre Strahlen wärmten schon so stark, dass die Wanderer getrost ihre Jacken ausziehen konnten. Indes achtete Sebastian darauf, dass sie sich Gesicht und Arme gründlich mit Sonnenschutzmittel eincremten.

Die Frühschicht im Hotel hatte ihnen bereits eine Kleinigkeit serviert, damit sie nicht mit leerem Magen losmarschieren mussten. Doch inzwischen waren sie von dem Aufstieg richtig hungrig geworden. Sebastian hatte Torben Mahlberg den Rucksack abgenommen und packte nun aus, was seine Haushälterin alles mitgegeben hatte.

*

Es war immer wieder ein Erlebnis, wenn nach der ersten Etappe der Kaffee in den Bechern dampfte, und der erste beißende Hunger gestillt wurde, während ringsherum die Natur zum Leben erwachte. Susanne stellte erstaunt fest, dass sie noch nie so viel gegessen hatte, wie an diesem Morgen.

»Das macht die gute Bergluft«, meinte Sebastian. »Die regt den Hunger an.«

Susanne stand auf, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Die Rast fand immer auf einem Felsplateau statt. Susanne ging bis an den Rand und schaute hinunter. Im Tal konnte sie das Dorf sehen. St. Johann wirkte wie aus einer Spielzeuglandschaft, winzig klein waren Häuser, Menschen und Tiere. Sie drehte sich um, und ihr Blick fiel auf Torben, der sich mit Pfarrer Trenker unterhielt.

Wie sehr liebte sie diesen Mann!

Als hätte er ihren Blick gespürt, schaute er zu ihr hinüber und winkte lächelnd.

»Wir müssen weiter«, rief er.

Susanne nickte und ging wieder zurück, um beim Einpacken der Sachen zu helfen.

»Jetzt dauert’s net mehr lang«, sagte der Geistliche, als sie gut weitere drei Stunden gewandert waren.

Er deutete auf einen Hügel. Torben Mahlberg nickte.

»Da oben ist es«, sagte er zu seiner Sekretärin. »Sie werden staunen, Susanne!«

Das tat die junge Frau wirklich, als sie auf dem Hügel stand und in die Senke schaute, in der die Kandererhütte lag. Es war ein Bild wie von einer Ansichtskarte, das sich ihr bot. Die majestätischen Berge ragten weit in den Himmel, die Sennerhütte schien sich daran zu schmiegen. Auf den Bergwiesen standen etliche Kühe und Ziegen, und zwei Hütehunde liefen um die Tiere herum und bewachten sie.

Franz Thurecker musste trotz seines Alters Adleraugen haben, denn der alte Senner erkannte den guten Hirten von St. Johann schon von Weitem und winkte ihm und seinen Begleitern zu. Sebastian winkte zurück.

»Grüß dich, Franz«, lächelte der Geistliche, als sie herangekommen waren. »Den Herr Mahlberg kennst’ ja schon, und das hier ist seine Sekretärin, die Frau Stein.«

Der Senner begrüßte sie herzlich und zählte auf, was er an diesem Tag alles Leckeres zum Mittag vorbereitet hatte.

»Wären Ihnen die Lammfilets recht?«

Immer noch schwelgte sie in Erinnerungen an diesen herrlichen gemeinsam verbrachten Tag.

»Susanne!«

Die junge Frau schreckte auf und lief vor Verlegenheit rot an.

»Bitte entschuldigen Sie, Herr Mahlberg«, bat sie. »Ich weiß wirklich nicht, wo ich mit meinen Gedanken bin.«

Ihr Chef lächelte milde.

»Wenn es denn schöne Gedanken sind, dann seien sie Ihnen gegönnt«, entgegnete er. »Ich hatte gefragt, ob ich für uns die Lammfilets bestellen soll?«

Susanne Stein nickte.

»Ich verlasse mich da ganz auf Sie«, lautete ihre Antwort.

Torben Mahlberg war nicht nur ein Genießer, sondern auch ein begnadeter Hobbykoch. In das Haus, das gerade renoviert wurde, wollte er eine Küche einbauen lassen, die so manchen Profi vor Neid erblassen lassen würde.

Susanne genoss das Essen nicht so wie an den Abenden zuvor. Immer wieder musste sie sich zwingen, nicht an den nächsten Morgen zu denken …

Sie versuchte, sich zu konzentrieren. Torben war ohnehin schon verwundert genug. So geistesabwesend kannte er seine Sekretärin überhaupt nicht.

Sie schob also die Gedanken an die Bergtour beiseite, auch den an die romantische Kutschfahrt und das Picknick auf der Bergwiese und war bemüht, die Unterhaltung nicht einseitig werden zu lassen. Einmal nur blieb sie stumm, als ihr Chef davon sprach, dass er umgehend eine Wohnung oder ein kleines Haus für sie suchen wolle. Susanne nickte nur stumm, antwortete aber nichts darauf. Dann lobte sie schnell das Essen und wechselte so das Thema.

Einmal schaute sie auf. Ein junges Paar saß am Nachbartisch und unterhielt sich angeregt. Susanne saß so, dass sie beide im Blick hatte und ihre Gesichter sah.

Und vor allem sah sie die verliebten Blicke, die die zwei sich zuwarfen.

Ganz bestimmt war das Paar in diesem Augenblick sehr viel glücklicher, als sie.

*

Anne von Leiderthal trug ein rotes Abendkleid, mit dem sie schon im Casino von Monte Carlo für Aufsehen gesorgt hatte. Thomas hielt unwillkürlich den Atem an, als sie Treppe förmlich herunterschwebte.

Indes war er auch elegant gekleidet und bot einen Anblick, der jedes Frauenherz höher schlagen ließ. Er stand in der Halle am Fuße der Treppe und wartete auf sie. Mit einem formvollendeten Handkuss begrüßte er die Gräfin und überreichte ihr eine in Zellophan eingepackte Orchidee, die er sich von einer Hotelangestellten hatte besorgen lassen.

Hoffentlich lohnte die Investition, ging es ihm durch den Kopf, als er an den Preis dachte, den die Blume gekostet hatte.

»Sie verwöhnen mich, Herr Cramm«, lächelte Anne. »Die Orchidee ist wunderschön. Herzlichen Dank.«

Er verbeugte sich galant und nahm ihren Arm.

»Sie ist nichts, im Vergleich mit Ihnen«, sagte er und schaute ihr dabei tief in die Augen.

Der Tisch stand so, dass sie ungestört waren, nur ein anderes Paar saß noch in der Ecke. Sepp Reisinger, der am Nebentisch bedient hatte, kam zu ihnen und begrüßte sie herzlich. Die Gäste bestellten die von ihm empfohlene Bachforelle, die mit Mandeln in Butter gebraten wurde und mit Kartoffeln und Salat serviert wurde. Der leichte Weißwein schmeckte hervorragend dazu.

Zunächst drehte sich die Unterhaltung um belanglose Themen. Dann räusperte Thomas Cramm sich und blickte die Gräfin offen an.

»Ich möchte nicht indiskret sein«, sagte er, »aber Sie sprachen doch heute Nachmittag von einem Schicksalsschlag, der Sie hierhergeführt habe … Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, dann verfügen Sie bitte über mich.«

Anne von Leiderthal sah ihn beinahe zärtlich an, ein Blick, der ihm einen angenehmen Schauer über den Rücken laufen ließ.

»Sie sind sehr großzügig, Herr Cramm«, erwiderte sie. »Es ist tatsächlich so, dass ich Hilfe gebrauchen könnte …«

Sie zögerte kunstvoll und schüttelte dann den Kopf.

»Aber nein, es ist nicht richtig, Sie damit zu behelligen«, setzte sie hinzu. »Ich werde es schon irgendwie schaffen.«

Was sie schaffen musste, verriet sie nicht. Stattdessen hob sie ihr Glas und prostete ihm zu.

»Wunderbar frisch die Forelle, nicht wahr?«

Anne hatte das Thema absichtlich nicht weiter vertieft. Schließlich kannte sie Thomas Cramm erst ein paar Stunden und konnte schlecht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Wenn sie bei ihm Geld locker machen wollte, musste sie Geduld haben. Besser, als zu schnell durchs Ziel zu galoppieren. Dass sie sein Interesse geweckt hatte, war ihr schon lange klar geworden. Nun galt es, dieses Interesse aufrechtzuerhalten und – wenn möglich – noch weiter zu steigern.

»In der Tat«, stimmte er ihrer Bemerkung über den Fisch zu, während er sprach, überlegte Thomas, ob er vielleicht zu schnell vorgeprescht war, als er sich nach dem Schicksalsschlag erkundigt hatte. Manche Menschen reagierten mit Ablehnung, wenn man seine Hilfe anbot. Vielleicht war es etwas zu Persönliches, was Gräfin Leiderthal nicht mit jedem teilen wollte.

»Sagen Sie«, wechselte er das Thema, »haben Sie morgen schon etwas vor?«

Anne schüttelte den Kopf.

»Eigentlich nicht. Warum fragen Sie?«

Thomas zuckte die Schultern.

»Ich wollte Sie fragen, ob wir vielleicht zusammen etwas unternehmen wollen?«, antwortete er.

Die angebliche Gräfin zerschnitt eine Tomatenscheibe auf ihrem Salatteller. Sie blickte kurz auf, neigte den Kopf und schürzte die Lippen.

»Warum nicht? Allerdings weiß ich gar nicht, was man hier so unternehmen könnte.«

Da hatte Thomas allerdings schon vorgesorgt. In der Filiale der Sparkasse fand eine Ausstellung eines örtlichen Kunstmalers statt, und für den Nachmittag war ein Platzkonzert einer Blaskapelle angekündigt. Beides würde wohl aber kaum das Interesse der jungen Gräfin finden. Aber ganz in der Nähe gab es einen See. Zwar war es nicht sehr schicklich, die Dame zum Schwimmen einzuladen, aber man konnte am Achsteinsee auch Boote mieten.

»Ein Ausflug an einen See?«, sagte Anne, nachdem sie seinen Vorschlag gehört hatte. »Ja, ich glaube, das könnte mir sehr gefallen. Ist es ein Badesee?«

Thomas nickte.

»Aber man kann dort auch Boote mieten.«

Sie lächelte schelmisch.

»Wieso, können Sie nicht schwimmen?«

Sie lachten beide herzlich.

»Doch, doch«, versicherte er. »Ich dachte nur, es wäre ein wenig vermessen, Sie zum Schwimmen einzuladen.«

Anne schüttelte unbekümmert den Kopf.

»Warum? Wir sind doch im Urlaub – Sie zumindest. Und ich glaube, dass ich im Badeanzug keine schlechte Figur mache.«

Thomas war überzeugt, dass sie traumhaft aussehen würde – allerdings sagte er das nicht.

Mit Hinweis auf eben diese Figur lehnte Anne von Leiderthal ein Dessert ab. Stattdessen tranken sie Espresso und unterhielten sich. Die Gräfin wollte alles über Liechtenstein wissen, und Thomas konnte von Glück sagen, dass er einiges über den Zwergstaat wusste. Er kannte sogar den Namen des regierenden Fürsten und beeindruckte seine Begleiterin mit seinem Wissen über bestimmte Bankgeschäfte. Zwar hatte er sich dieses Wissen nur angelesen, doch immerhin klang er so überzeugend, dass Anne ganz sicher war, einen richtig guten Fang gemacht zu haben.

*

Gut gelaunt ging Torben Mahlberg zum Frühstück. Es war ein strahlend blauer Tag, und der Wetterbericht versprach, dass es auch in der nächsten Zeit so bleiben würde.

Der Unternehmer betrat das Frühstückszimmer und grüßte freundlich die Haustochter.

»Grüß Gott, Herr Mahlberg«, antwortete Katharina Hochleitner. »Kaffee wie immer?«

Torben nickte. Es war spät geworden gestern Abend. Erst hatte er noch lange mit Susanne Stein im Biergarten gesessen und hinterher stundenlang im Internet recherchiert. Aber es hatte sich gelohnt. Im Kopf war ein Konzept fertig, das er beim nächsten Zusammentreffen den japanischen Geschäftspartnern unterbreiten wollte – wenn man in Fernost schon das Münchner Oktoberfest kopierte, und das mit offenbar großem Erfolg, dann musste doch auch eine original bayerische Sennhütte bei den Japanern einschlagen. Berge gab es dort schließlich genug, und wenn man geführte Touren anbot, gekoppelt mit einem deftigen Essen auf der Hütte, dann würden die Wanderer in Scharen solche Touren buchen. Das Konzept würde er ihnen liefern – vielleicht sogar mit echten Bayern …

Die Idee war ihm schon bei seinem ersten Besuch auf der Thureckeralm gekommen. Als er in der vergangenen Woche erneut dort oben war, hatte Torben sich konkretere Gedanken gemacht. Er war gespannt, wie die asiatischen Geschäftspartner auf seinen Vorschlag reagieren würden.

Jedenfalls konnte er jetzt einen starken Kaffee gebrauchen.

»Möchten S’ auch ein Ei?«, erkundigte sich die Bedienung.

Torben schürzte die Lippen.

»Etwas Rührei, vielleicht«, antwortete er. »Aber warten Sie ruhig noch einen Moment, bis Frau Stein auch herunterkommt. Sicher isst sie auch gerne etwas Rührei.«

Katharina Hochleitner sah ihn so erstaunt an, dass Torben verwirrt war.

»Was haben Sie denn?«, fragte er.

Kathi hob die Schultern.

»Entschuldigen S’ bitt’ schön«, antwortete sie, »aber die Frau Stein ist doch abgereist …«

»Was sagen Sie?«

Mahlberg war sicher, nicht richtig gehört zu haben.

»Abgereist?«

»Ja, heut’ in der Früh«, nickte die Bedienung. »Haben S’ das net gewusst?«

Torben schaute zum Tisch hinüber, an dem er und Susanne immer gesessen hatten. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er nur noch für eine Person gedeckt war.

Ein Kuvert lag auf dem Teller …

Mit zwei Schritten war er am Tisch und nahm den Brief in die Hand. Er trug keinen Absender, vorne stand nur sein Name darauf.

Immer noch total verwirrt, ließ er sich auf einen Stuhl sinken und öffnete den Umschlag. Sein Herzschlag schien auszusetzen, als er das Papier herauszog und als Erstes das Wort ›Kündigung‹ las.

Kathi Hochleitner stand abwartend in zwei Schritt Entfernung, den Kaffee auf einem Tablett, und sah den Gast unsicher an. Herr Mahlberg gehörte zu den V.I.P.’s des Hauses, den besonders wichtigen Personen. Da konnte man nicht einfach so stören.

Hiermit kündige ich mein Arbeitsverhältnis mit der Firma Mahlberg KG., zum Ersten des nächsten Monats. Da mir noch ein Resturlaub von drei Wochen zusteht, tritt die Kündigung mit sofortiger Wirkung in Kraft. In Frankfurt übergebe ich die Geschäfte an meine derzeitige Stellvertreterin …

Torben las nicht weiter, er saß da wie betäubt und blickte nicht auf, als die Haustochter sich räusperte.

»Der Kaffee, Herr Mahlberg …?«

Endlich reagierte er, schaute Kathi an und nickte.

Sie stellte die Kanne auf den Tisch.

»Soll ich mit dem Servieren noch warten?«, fragte sie taktvoll.

»Äh, ja … Ich denke, das Rührei stornieren wir«, erwiderte der Unternehmer geistesabwesend. »Der Kaffee reicht erst mal. Vielen Dank.«

Kathi Hochleitner bückte sich und hob ein Blatt auf.

»Das ist heruntergefallen.«

Torben nahm das Papier, offenbar war es heruntergefallen, ohne dass er es bemerkt hatte. Es war ein Brief von Susanne, in dem sie ihm die Gründe für diesen Schritt erklärte. Er las ihn, und mit jeder Zeile schnürte es ihm die Kehle zu.

Was waren das für persönliche Gründe, die sie für ihre Kündigung anführte?

Im ersten Moment hatte Torben gedacht, dass er irgendetwas gesagt oder getan hatte, was Susanne Stein dazu veranlasst hatte. Doch persönliche Gründe hatten ja nichts mit ihm zu tun. Indes konnte das alles Mögliche sein.

Nur warum hatte sie sich ihm nicht anvertraut?

Lange genug arbeitete sie doch nun schon für ihn, und er hatte immer gedacht, dass ihr Verhältnis ein anderes war, als normalerweise üblich, zwischen Angestellter und Arbeitgeber.

Gab es da vielleicht einen Mann, der den Umzug von Frankfurt nach St. Johann nicht mitmachen wollte?

Eigentlich konnte er sich das gar nicht vorstellen. Susanne hatte nie über ihr Privatleben gesprochen, und er war davon ausgegangen, dass sie nicht gebunden war. Ansonsten hätte sie die vielen Überstunden wohl nicht geschafft, ohne daheim Ärger zu bekommen. Ihm war schon klar, dass diese Frau mehr für ihn getan hatte, als jede andere Sekretärin es tun würde.

Aber was wusste er eigentlich von ihr? Wie lebte sie, welchen Umgang pflegte sie? Wer waren ihre Freunde, mit wem verbrachte sie ihre freie Zeit?

Torben schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und lehnte sich zurück. Nichts wusste er, nicht die geringste Kleinigkeit aus dem Privatleben von Susanne Stein. Dabei arbeitete sie schon so lange für ihn. Achtzehn war sie, als sie bei ihm angefangen hatte. Intelligent und von schneller Auffassungsgabe hatte sie schon bald die ganzen Firmenabläufe erkannt und hier und da sogar verbessert. Schnell hatte Torben sie auch mit heiklen Aufgaben betraut, und auch die hatte sie gemeistert. Wenn sie ihn zu Konferenzen oder Arbeitsessen begleitet hatte, waren seine Geschäftspartner immer hellauf von dieser klugen und schönen jungen Frau begeistert gewesen. Er konnte sicher sein, dass es so manches Mal nicht zu einem Abschluss gekommen wäre, hätte bei den Verhandlungen nicht Susanne neben ihm gesessen.

Und schließlich ihr ›Meisterstück‹, als er durch die Intrigen Patricia Vangaalens ins Gefängnis musste, und sie eigenmächtig gehandelt und ihm so sein Vermögen gerettet hatte!

Torben Mahlberg trank den inzwischen kalt gewordenen Kaffee aus und stand auf. Er konnte jetzt nicht frühstücken, er musste erst einmal einen klaren Gedanken fassen und das verdauen, was ihm gerade widerfahren war.

*

Thomas Cramm verließ seine Suite und lief leichtfüßig, eine fröhliche Melodie pfeifend, die Treppe hinunter. An der Rezeption warf er einen kurzen Blick in die Tageszeitung, bis die junge Angestellte aus dem kleinen Büro hinter dem Empfang kam.

»Grüß Gott, Herr Cramm«, sagte sie. »Sie wollen sich bestimmt nach dem Picknickkorb erkundigen?«

»Ja, genau«, nickte er. »Es wird alles pünktlich fertig sein?«

Am Abend zuvor hatte er den Korb noch in Auftrag gegeben.

»Selbstverständlich. Ein Korb mit einer Brotzeit, Getränken und Obst. Eine Decke ist auch mit dabei. Sie können alles nach dem Frühstück bei mir abholen.«

»Herzlichen Dank«, strahlte er sie an und schob einen Geldschein über die Theke.

Im Frühstücksraum saßen nur noch wenige Gäste. Vermutlich waren die anderen schon zu einer Wanderung oder Spaziergang unterwegs. Thomas nickte der Haustochter zu und setzte sich. Der Tisch war für zwei Personen gedeckt, auch das hatte er gestern Abend noch arrangiert. Die Bedienung hatte gerade den Kaffee serviert, als die Gräfin eintrat.

Er erhob sich und ging ihr entgegen.

»Guten Morgen«, begrüßte er sie. »Sie sehen zauberhaft aus!«

Anne von Leiderthal lächelte.

»Schmeichler!«, entgegnete sie und dankte mit einem Kopfnicken dafür, dass er ihr den Stuhl zurechtrückte. »Es war übrigens ein zauberhafter Abend gestern. Vielen Dank dafür.«

»Mit diesem Lob machen Sie mich sehr glücklich«, sagte Thomas und sah sie verliebt an.

Und ein recht teurer Abend dazu, dachte er dabei und überschlug noch einmal rasch seine Finanzen.

Glücklicherweise hatte er einen gewissen Kreditrahmen, den er allerdings nicht voll ausschöpfen wollte. Schließlich würde selbst die geduldigste Bank irgendwann ihr Geld zurückhaben wollen. Ganz abgesehen von dem horrenden Zinsensatz, den sie für den Überziehungskredit nahm.

Doch jetzt sollte das Geld erst einmal keine große Rolle spielen. Was er hier investierte, würde sich doppelt und dreifach auszahlen. Mit ihrer Annahme, er wäre ein Banker aus Liechtenstein, hatte die Gräfin ihm geradezu den Ball in die Hände gespielt. Auf dieser Annahme gedachte Thomas seinen Plan aufzubauen. Nicht mehr lange und er würde ihr ein Investitionsmodell vorschlagen, das sie nicht ablehnen konnte.

Geld hatte die Adelsfamilie genug, in der Liste der reichsten Leute der Welt, positionierten sich die von Leiderthals weit in den oberen Bereichen. Der Weinanbau und der Handel war nur ein Geschäftszweig. Wie er noch in der Nacht recherchiert hatte, gab es kaum einen Unternehmenszweig, in dem die Adelsfamilie nicht tätig war. Zwar war die Familie in alle Welt verstreut, doch es gab so etwas wie eine Schaltzentrale, in der alle Fäden zusammenliefen.

Wenn er das Interesse der Gräfin an seinem Vorschlag wecken konnte, dann hatte Thomas Cramm für den Rest seines Lebens ausgesorgt!

Wie nicht anders erwartet war das Frühstück im Hotel ›Zum Löwen‹ großartig, doch sie ließen sich nicht viel Zeit dazu. Das herrliche Wetter verlockte dazu hinauszugehen, und vermutlich würden immer mehr Leute an den See fahren, je weiter der Tag voranschritt.

Thomas übernahm es, zu chauffieren. Sein Oldtimer bekam von der Gräfin anerkennende Blicke. Anne von Leiderthal war sicher, wieder einmal einen guten Fang gemacht zu haben.

Bis zum Achsteinsee waren es nur ein paar Kilometer, dorthin zu finden war leicht, denn die Strecke war gut ausgeschildert.

Anne hatte sich anhand der Prospekte in ihrer Suite informiert und was sie über den Badesee gelesen hatte, klang recht vielversprechend. Noch am Morgen hatte sie sich nicht entscheiden können, den Badeanzug einzupacken, oder den Bikini, mit dem sie am Strand von Cannes die Blicke der Männer auf sich gezogen hatte. Schließlich entschied sie sich für Letzteres, denn zwar war sie überzeugt, Thomas Cramm um den Finger wickeln zu können, dennoch konnte es nicht schaden, hier und da die Waffen einer Frau einzusetzen …

Als sie ihr Ziel erreicht hatten, staunte sie erst einmal über den vollen Parkplatz.

»So früh schon alles voll?«, bemerkte die Gräfin verblüfft.

Sie mussten eine Weile suchen, bis sie dann doch noch eine Lücke fanden, in der sie ihren Wagen abstellen konnten. Thomas nahm den Korb aus dem Kofferraum und schloss das Auto ab.

Der erstklassige Service hatte dafür gesorgt, dass sie weder Hunger, noch Durst würden leiden müssen. Neben den belegten Broten, mit Käse und kaltem Braten, befanden sich in dem Korb auch noch Flaschen mit Getränken, in mundgerechte Stücke geschnittenes Obst, in einer Plastikdose gut verpackt, sowie eine Decke für die Liegewiese.

Anne und Thomas gingen über den Parkplatz und kamen an einem großen Campingplatz vorüber, auf dem etliche Zelte und Wohnwagen standen. Sie hatten gelesen, dass der Achsteinsee ein beliebtes Ausflugsziel war, und dass zahlreiche Camper Jahr für Jahr gerne wieder hierherkamen. Als sie dann die Liegewiese erreichte, wussten sie, warum.