E-Book 381-390 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 381-390 E-Book

Toni Waidacher

0,0
25,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Ein ungeliebtes Erbe E-Book 2: Unter falschem Verdacht E-Book 3: Alles Glück der Erde E-Book 4: So hart kann ein Herz nicht sein E-Book 5: Stunden der Glückseligkeit E-Book 6: Gefangene der Liebe E-Book 7: Wenn zwei Herzen sich finden E-Book 8: Vroni muss sich entscheiden E-Book 9: Wir glauben an das Glück! E-Book 10: Liebe, die der Himmel schenkt

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1068

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Ein ungeliebtes Erbe

Unter falschem Verdacht

Alles Glück der Erde

So hart kann ein Herz nicht sein

Stunden der Glückseligkeit

Gefangene der Liebe

Wenn zwei Herzen sich finden

Vroni muss sich entscheiden

Wir glauben an das Glück!

Liebe, die der Himmel schenkt

Der Bergpfarrer – Staffel 39 –

E-Book 381-390

Toni Waidacher

Ein ungeliebtes Erbe

Felix will kein Bauer werden

Roman von Waidacher, Toni

Felix Thorwald fuhr das Auto in die Garage und blieb einen Moment sitzen. Knapp zwei Stunden Autofahrt lagen hinter ihm, und das nur für den Weg von seiner Arbeitsstätte zurück nach Hause. Kaum mehr als vierzig Kilometer, doch im abendlichen Berufsverkehr eine wahre Tortur.

Der junge Deutsche bewohnte ein Haus in Rankton, einem kleinen, beschaulichen Ort im Bundesstaat New York. Die Firma, für die der Computerspezialist arbeitete, hatte ihren Sitz direkt in der Millionenmetropole. Jeden Tag war es das gleiche Spiel – zwei Stunden hin zur Arbeit, zwei Stunden wieder zurück. Felix hatte schon oft überlegt, ob er sich nicht ein Apartment direkt in der Stadt, in der Nähe seines Arbeitsplatzes, suchen sollte. Doch ihm gefielen die Ruhe und das beinahe träge Leben Ranktons, im Gegensatz zu dem Tag und Nacht hektischen New York, und er nahm lieber die Anstrengung der täglichen Fahrerei in Kauf.

Seufzend stieg er aus. Das Garagentor schloß er mit der Fernbedienung. Ein Nachbar stand im Garten und sprengte den Rasen. Seit einem Monat hatte es kaum richtig geregnet, und Rasen und Pflanzen saugten das Wasser förmlich auf.

Felix winkte dem Gärtner einen Gruß zu und nahm die Post aus dem Briefkasten. Einen Stapel Umschläge unter den Arm geklemmt, den Aktenkoffer in der Hand, schloß er die Haustür auf und betrat den angenehm kühlen Flur.

Die Klimaanlage summte leise. Der Junggeselle nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie und setzte sich ins Wohnzimmer.

Es war mit modernen, amerikanischen Möbeln eingerichtet, nur ganz wenige Stücke, meist Bilder und Figuren, erinnerten an die deutsche Abstammung des Hausbewohners. Darunter das gerahmte Foto zweier älterer Leute. Mann und Frau, die ihre Silberhochzeit feierten.

Felix sah die Post durch. Das meiste davon waren irgendwelche Reklameschreiben, eine Arztrechnung und ein Kuvert, das sein Interesse hervorrief.

Der Absender war eine Rechtsanwaltskanzlei aus New York.

Der junge Deutsche überlegte. Schreiben von Rechtsanwälten bedeuteten in der Regel nichts Gutes. Meistens handelte es sich um Schadenersatzforderungen, die ungleich höher waren als in Deutschland. Immer bewegten sie sich im Millionenbereich.

Da er sich aber nicht bewußt war, irgendwem geschadet zu haben, riß Felix den Umschlag auf, nahm das Blatt Papier heraus und las.

Mit jeder Zeile wurden seine Augen größer.

»Das gibt’s doch gar nicht«, murmelte er im Selbstgespräch und las den Brief noch einmal.

Schließlich ließ er das Papier sinken und schaute auf das Foto seiner Eltern. Vor sechs Jahren war der Vater verstorben, die Mutter folgte ihrem Mann ein Jahr später.

Wer sollte ihm also etwas vererben?

Er las das Schreiben ein drittes Mal. Aber alles schien seine Richtigkeit zu haben. Sein Name und die Adresse stimmten, das Anwaltsbüro kannte er, zumindest dem Namen nach.

Oder wollte sich da jemand auf seine Kosten einen Scherz erlauben?

Im ersten Moment kam ihm Steve Fieldman in Verdacht. Sie arbeiteten zusammen in der Computerfirma, teilten sich dort das Büro. Steve war für seine Späße berühmt und gefürchtet, aber so geschmacklos würde er wohl doch nicht sein.

Felix steckte den Brief in seinen Aktenkoffer, bereitete sich ein kleines Abendessen zu und sah sich dann ein Footballspiel im Fernsehen an. Doch er merkte schnell, daß er sich nicht auf das Geschehen auf dem Spielfeld konzentrieren konnte. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu dem Schreiben des Anwalts ab. Schließlich nahm er es wieder aus dem Aktenkoffer und las es erneut.

Bitte ich Sie, in einer

Erbschaftsangelegenheit in

meinem Büro vorzusprechen

stand dort schwarz auf weiß.

Wer um alles in der Welt war der geheimnisvolle Erblasser?

Außer ihm gab es doch keine lebenden Verwandten der Familie Thorwald mehr.

*

»Doch, Mister Thorwald«, sagte Jack Benson mit einem Lächeln, »es gab noch einen Onkel, der vor ein paar Wochen verstorben ist. Es handelt sich um Franz Bachmann, einen Halbbruder Ihrer Mutter.«

Der Rechtsanwalt hatte Felix in seinem Büro, in der zweiunddreißigsten Etage eines Hochhauses empfangen. Sie saßen in bequemen Sesseln, und eine freundliche Sekretärin hatte Wasser und Kaffee serviert.

Der Anwalt trank einen Schluck.

»Kannten Sie Ihren Onkel nicht?« fragte er und stellte die Tasse wieder ab.

Deutlich konnte er sehen, daß es hinter der Stirn seines gutaussehenden Besuchers arbeitete, als Felix Thorwald krampfhaft versuchte, sich an Onkel Franz zu erinnern.

Allerdings mußte er dazu in Gedanken sehr tief in die Vergangenheit eintauchen.

»Doch«, nickte er schließlich, »zumindest erinnere ich mich dunkel an ihn. Wissen Sie, Mister Benson, meine Mutter hat nie viel von ihrer Familie gesprochen. Mein Vater hat mir einmal erzählt, daß es da mal etwas gegeben hat, eine Art Familienstreit oder so. Genaues weiß ich nicht. Wie gesagt, es wurde nie viel darüber gesprochen.«

»Sie stammen aus München?«

Felix nickte.

»Ja. Jedenfalls aus der Nähe.«

»Und der Ort, wo Ihr Onkel gelebt hat, heißt Sankt Johann. Ich habe, nachdem mich die deutsche Botschaft beauftragt hat, nach Ihnen zu suchen, ein bißchen im Internet gestöbert. Sankt Johann liegt in den Alpen, an der Grenze zu Österreich. Ich muß sagen, ein sehr hübsches kleines Dorf.«

Er schmunzelte.

»Sie wissen ja, wir Amerikaner stehen sehr auf alles Bayerische.«

Er trank erneut.

»Also, um es kurz zu machen: Vor vierzehn Tagen erreichte mich ein Fax aus München, ein deutscher Kollege beauftragte mich, Nachforschungen nach Felix Thorwald anzustellen, zum Zwecke, ihn von einer Erbschaft in Kenntnis zu setzen. Über die deutsche Botschaft gelang es mir, Ihre Adresse ausfindig zu machen, und nachdem ich Ihren Paß mit meinen Unterlagen verglichen habe, kann ich feststellen, daß Sie der gesuchte Felix Thorwald sind. Sie haben geerbt. Meinen Glückwunsch.«

Felix schluckte. Es war also kein dummer Scherz gewesen. Er hatte wirklich und wahrhaftig geerbt.

Aber was?

»Ihr Onkel war Farmer, also Bauer, wie es in Deutschland heißt. Er hinterläßt Ihnen seinen Hof mitsamt dem dazugehörigen Land, Vieh und Mobiliar.

Neben meinen Glückwunsch, den ich schon übermittelt habe, bleibt mir nur noch, Sie zu fragen, ob Sie bereit sind, die Erbschaft anzutreten.«

In dem markanten Gesicht des jungen Deutschen zuckte es. Beinahe hilflos hob er die Hände und ließ sie ratlos wieder fallen.

»Ich… ich weiß nicht«, antwortete er schließlich. »Was soll ich mit einem Bauernhof?«

Diese Frage stellte er kurz darauf seinem Freund und Kollegen Steve Fieldmann, als er wieder in seinem Büro der Computerfirma saß. Der Amerikaner sah Felix mit großen Augen an.

»Was du damit sollst? Na, du machst mir Spaß. Gehe zurück nach good old Germany und werde Farmer!«

Jetzt war es Felix, der den Freund ungläubig ansah.

»Farmer – ich?«

Er sah sich um. Das Büro war knapp zwölf Quadratmeter groß. Zwei Schreibtische, Aktenschränke, eine Kaffeemaschine und ein Wasserautomat. Dazu das unvermeidliche Fernsehgerät und die beiden Computerterminals. Hier drinnen verbrachte er gut und gerne zehn Stunden oder mehr am Tag.

»Hier, Steve«, sagte er nachdenklich, »hier ist meine Welt. Ich bin kein Bauer, sondern Computerexperte, und von Landwirtschaft habe ich überhaupt keine Ahnung. Ich könnte noch nicht einmal eine Kuh von einem Ochsen unterscheiden.«

»Ach, dem könnte man abhelfen«, grinste der Kollege. »Mein Pa ist bestimmt bereit, dir da in einem Crashkurs Nachhilfe zu geben.«

Steve Fieldmann stammte aus Michigan, wo seine Eltern eine große Farm bewirtschafteten.

»Aber mal im Ernst«, fuhr er fort, »was ist dieser Bauernhof denn eigentlich wert? Lohnt es sich für dich, das Erbe anzutreten?«

Felix zog die Stirn kraus.

»Eine gute Frage«, erwiderte er. »Mister Benson hat mir da nicht gerade große Hoffnung gemacht. Mein Onkel muß in den letzten Jahren nicht besonders gut gewirtschaftet haben. Der Hof hat ihn wohl mehr schlecht als recht ernährt. Es bedarf schon einer nicht unbeträchtlichen Investition, um ihn wieder hochzubringen.«

Steve rieb sich die Nase.

»Na ja, da wäre es schon zu überlegen…«

Er drehte sich zu seinem Computer um und tippte etwas auf der Tastatur. Wenig später erschien ein Bild – die Homepage des bayerischen Fremdenverkehrsvereins. Der Amerikaner gab den Namen St. Johann ein, und wieder veränderte sich der Bildschirm.

»Hey, das sieht doch gar nicht so übel aus«, rief er. »Schau dir das mal an.«

Felix Thorwald setzte sich neben ihn.

›St. Johann, ein kleiner beschaulicher Ferienort in den bayerischen Alpen. Hier findet der Besucher noch Ruhe und Erholung!‹,

versprach die Werbung.

»Hm, sieht ja wirklich nicht schlecht aus«, meinte der Deutsche und las, was dort noch alles über das Dorf stand.

»Na, und an Geld mangelt es dir doch bestimmt nicht«, lachte Steve. »Warum fliegst du nicht einfach mal hinüber und stellst fest, ob es dir dort gefällt? Soviel ich weiß, hast du doch noch vier Wochen Urlaub. Und wenn du dort nicht bleiben willst, dann verkaufst du den ganzen Kram und kommst zurück.«

Er beugte sich verschwörerisch blinzelnd zu Felix.

»Mit dem Geld machen wir beide dann unsere eigene Firma auf…«

Seit sie zusammen arbeiteten, war dies ein langgehegter Wunschtraum. Gewiß verdienten sie mehr als manch anderer, aber um sich auf die eigenen Beine stellen zu können, war es immer noch nicht genug. Wenn Felix den Hof tatsächlich verkaufte, hätten sie genug zusammen, um eine eigene Firma zu gründen.

Der Gedanke war verlockend. Er verfolgte Felix Thorwald bis in den Abend hinein, als er zu Hause auf seinem Sofa saß und darüber nachdachte, ob er das Erbe annehmen oder ausschlagen sollte.

Drei Wochen habe er Zeit, sich die Angelegenheit durch den Kopf gehen zu lassen und eine Entscheidung zu treffen, hatte der Anwalt gesagt.

Felix traf sie noch an diesem Abend und reichte am nächsten Tag seinen Urlaub ein.

*

Florian Burgthaler schlurfte in die Küche und setzte sich an den Tisch. Dort stand das Frühstück bereit. Kaffee, Brot und hausgemachte Marmelade.

»Gibt’s keinen Schinken?« maulte der alte Knecht. »Ist ja grad so, als würd’ man im Gefängnis sitzen.«

Maria Hochleitner, die am Küchenschrank stand, fuhr herum. Ihre blauen Augen blitzten ärgerlich.

»Na, du hast ja Erfahrung«, sagte sie. »Wie oft bist’ denn schon gesessen?«

Florian zuckte zusammen.

»Überhaupt noch nie!«

»Und warum red’st dann so ein Zeug daher? Schlecht bist’ in all den Jahren net beköstigt worden. Jedenfalls net, solang’ ich auf dem Hof bin.«

Dennoch öffnete sie die Tür zur Speisekammer und kam wenig später mit einem Schinkenstück zurück, das sie abgeschnitten hatte. Florian grinste zufrieden.

»So ist’s recht«, meinte er. »Das ist ein ordentliches Frühstück.«

Maria setzte sich zu ihm.

»Wir müssen haushalten«, ermahnte sie ihn. »Ich hab’ keine Ahnung, wie’s weitergeht. Bis jetzt hat Pfarrer Trenker noch nichts aus Amerika gehört, aber wenn der Hoferbe herkommt, dann soll er keine leeren Vorratskammern vorfinden.«

Der Knecht kaute unverdrossen weiter.

»Und was ist, wenn niemand kommt?« fragte er. »Wenn der Hoferbe net gefunden wird, oder er das Erbe net haben will, was passiert dann?«

Auf dem hübschen Gesicht der jungen Magd zeigte sich Sorge. Sie zuckte die Schulter.

»Ja…, dann weiß ich’s auch net…«

Es war schon eine vertrackte Situation für die beiden. Seit Franz Bachmann gestorben war, wußten sie nicht, wie es weitergehen würde auf dem Hochberghof. Maria war Pfarrer Trenker dankbar, daß er sich des Nachlasses angenommen und alles in die Wege geleitet hatte, um den Hoferben ausfindig zu machen, der irgendwo in Amerika lebte. Doch die Warterei zerrte an den Nerven. Vor allem, weil niemand wußte, was geschehen würde, wenn der unbekannte Neffe des verstorbenen Bauern wirklich herkam.

Würde er den Hof behalten und bewirtschaften? Oder würde er ihn als lästigen Klotz am Bein empfinden und sich schnell davon trennen, indem er ihn verkaufte?

Für die junge Magd wäre es wohl weniger tragisch als für den Knecht. Während es für Maria nicht schwer sein sollte, wieder eine neue Stellung zu finden, würde Florian es mit seinen

sechsundsechzig Jahren nicht einfach haben. Auch wenn er fleißig war und sich seit dem Tod Franz Bachmanns von früh bis spät abrackerte und sich um die Felder und die Tiere kümmerte – in seinem Alter noch einen Bauern zu finden, der ihn einstellte, war bestimmt nicht leicht.

Über dieses Problem dachte Maria Hochleitner nach, während sie das Bauernhaus auf Hochglanz brachte, sich um den Garten kümmerte und schließlich wieder am Herd stand, um das Mittagessen zu kochen.

Wenn sich bloß Pfarrer Trenker meldete, dachte sie. Der gute Hirte von St. Johann war ihre einzige Hoffnung. Selbst wenn es eine Entscheidung gegen den Hof gab, konnte Hochwürden vielleicht mit seinen Beziehungen und Kontakten noch etwas für Florian Burgthaler tun und ihm helfen, irgendwo einen Platz zu finden.

Nachdenklich schaute die Magd aus dem Fenster. Was sie sah, ließ nicht gerade ihren Mut steigen.

Daß der Hof alt war, ließ sich nicht verleugnen. Da war er nicht der einzige im Wachnertal. Aber so heruntergekommen war wohl kein zweiter.

Ihr Blick fiel auf das Dach der Scheune. Dort wie auf dem Stall mußten unbedingt die Schindeln erneuert werden. Das Gatter, in dem tagsüber die Schweine suhlten, brach fast zusammen, und wenn sie vor dem Haus gestanden hätte, dann würde sie die abgeblätterte Farbe kaum übersehen können.

Eigentlich würde sie dem Neffen des verstorbenen Bauern nicht böse sein können, wenn er es ablehnte, dieses marode Erbe zu übernehmen. Er mußte ja erst einmal ein Vermögen hineinstecken, um aus dem Hochberghof wieder etwas zu machen.

Und wer wollte das schon tun?

*

Diese Frage beschäftigte auch Sebastian Trenker.

Der Geistliche saß in seinem Arbeitszimmer. Es war mal wieder an der Zeit gewesen, die Briefe und Papiere auf seinem Schreibtisch durchzusehen und zu ordnen. Jetzt nahm er einen Ordner zur Hand, auf den er in großen Buchstaben ›HOCHBERGHOF‹ geschrieben hatte. Der Bergpfarrer strich über die Pappe, während er sich der letzten Stunden des Bauern erinnerte.

Als er den Tod nahen fühlte, hatte Franz Bachmann nach ihm gerufen. Zu Lebzeiten war der knorrige Alte nie ein eifriger Kirchgänger gewesen, doch das hatte den Seelsorger nicht davon abgehalten, immer wieder mal den Kontakt mit dem Bauern zu suchen, und manchmal glaubte er, so etwas wie Dankbarkeit für die Besuche in den Augen Franz Bachmanns zu sehen.

Wohl nicht zuletzt wegen dieser Beziehung, die sich im Laufe der Jahre zwischen ihnen entwickelte, hatte Franz Sebastian gebeten, seinen letzten Willen zu erfüllen.

»Es gibt da noch etwas, was ich beichten muß«, hatte der Alte mit schwacher Stimme gesagt.

Mit zitternder Hand deutete er auf eine Kommode, die in seinem Schlafzimmer stand.

»In der obersten Schublade, da liegt ein Brief«, fuhr der Sterbende fort. »Er ist für meine Schwester… Ich, ich hab’ ihn nie abgeschickt. Net, weil ich net wüßt’, wo sie lebt, sondern weil ich mich geschämt hab’ für das, was ich getan hab’…«

Sebastian Trenker hatte den Brief aus der Schublade genommen.

»Ich hab’ gar net gewußt, daß du eine Schwester hast.«

»Ist auch net meine richtige«, antwortete Franz.

Der Geistliche merkte, wie schwer ihm das Sprechen fiel. Er setzte sich an das Bett des Bauern und sah ihn an.

»Möchtest es mir erzählen?«

Der Alte nickte und bat um einen Schluck Wasser.

»Es ist schon lang’ her«, erzählte er anschließend. »Meine Mutter war eine verwitwete Hochberg. Sie hatte als junges Madel auf den Hof eingeheiratet. Kurz nachdem sie eine Tochter gebar, verunglückte ihr Mann tödlich. Als Witwe mit einem Kind konnte sie den Hof net allein führen und heiratete nach dem Trauerjahr den Knecht Joseph Bachmann, meinen Vater.«

»Dann ist die Vroni deine Halbschwester.«

Der Bauer nickte.

»Und was hast’ ihr angetan, daß dich so schämst?«

Franz Bachmann japste nach Luft. Seine Hände fuhren in der Luft umher, als wolle er etwas greifen, das er nicht halten konnte. Offenbar war er sehr aufgeregt und merkte nicht mehr, daß der Geistliche den Brief schon herausgenommen hatte.

»Ich… ich hab’s aufgeschrieben, Hochwürden«, sagte der Alte. »Sie finden alles… alles in der Schublade.«

Dr. Wiesinger betrat das Krankenzimmer, und Sebastian bereitete alles für den letzten Segen vor.

Franz Bachmann schaute voller Dankbarkeit auf das Kruzifix, und alle Angst war aus seinem Gesicht gewichen.

Immer wieder, wenn er sich in diesen Tagen daran erinnerte, sah der Seelsorger diesen dankbaren und friedlichen Ausdruck vor sich.

Es bedurfte schon einiger Recherchen, um herauszufinden, daß Veronika Thorwald, geborene Hochberg, in der Nähe von München verstorben war. Sebastian fuhr selber dorthin und besuchte das Grab auf dem Kirchhof. Neben ihrem Mann war Franz Bachmanns Halbschwester beigesetzt worden. Dabei fiel ihm auf, wie gepflegt die letzte Ruhestätte der Eheleute Thorwald war, und es stellte sich ihm natürlich die Frage nach den Angehörigen. Sebastian erfuhr von der Verwaltung, daß eine Gärtnerei damit beauftragt war, das Grab zu pflegen. Als er dort vorsprach, wollte man ihm keine Auskunft geben. Als er dann darauf zu sprechen kam, worum es ihm ging, erfuhr er, daß der Auftrag für die Grabpflege aus den Vereinigten Staaten käme, und einen Namen: Felix Thorwald.

Der gute Hirte von St. Johann hatte Verständnis dafür, daß man ihm aus Datenschutzgründen nicht mehr mitteilen wollte, und der Hinweis auf Amerika reichte ihm. Noch am selben Tag setzte er sich mit dem Auswärtigen Amt in Berlin in Verbindung und brachte sein Anliegen vor. Man versprach ihm, sich um die Angelegenheiten zu kümmern und die deutsche Botschaft in Amerika anzuweisen, nach einem Felix Thorwald zu suchen und ihn dann über die Erbschaft genau in Kenntnis zu setzen.

Das war vor gut vier Wochen gewesen. Seither hatte Sebastian nichts mehr in der Angelegenheit gehört.

Der Bergpfarrer horchte auf, als er die Haustür gehen hörte. Er schaute auf die Uhr.

War es wirklich schon wieder Mittagszeit geworden?

Tatsächlich. Es klopfte an der Tür, und sein jüngerer Bruder steckte seinen Kopf herein.

»Grüß dich, Max.« Sebastian nickte ihm zu.

Der Polizeibeamte trat ein.

»Wenn ich das so seh’, dann bekomm’ ich einen Schreck«, meinte er mit Blick auf den Schreibtisch. »Bei mir stapeln sich auch die Akten.«

»Na ja, zum Glück bin ich damit durch«, seufzte Pfarrer Trenker. »Jetzt kann ich mich wieder and’ren Dingen widmen. In uns’ren Berufen geht’s wohl net anders, daß ab und an auch wichtige Arbeit liegenbleibt.«

Er klopfte auf den Ordner.

»Außerdem beschäftigt das hier mich ganz besonders.«

Max Trenker wußte natürlich, wovon sein Bruder sprach. Oft hatten sie in den letzten Tagen zusammen gesessen und überlegt, wie es auf dem Hochberghof wohl weitergehen mochte.

»Hat sich noch niemand gemeldet?« fragte er.

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Uns bleibt nix and’res übrig, als Geduld zu haben«, meinte er. »Was für uns natürlich einfacher ist als für die Maria und den Florian.«

Max erhob sich.

»Das Essen ist übrigens fertig«, sagte er. »Frau Tappert hat schon aufgetragen.«

In der Pfarrkirche duftete es nach geschmortem Kraut und Fleischpflanzerl. In der Woche wurde immer an dem großen Tisch gegessen, nur wenn Gäste kamen, deckte die Haushälterin im Eßzimmer.

»Um die Maria mach ich mir indes weniger Gedanken«, nahm der Geistliche das Gespräch wieder auf. »Aber was mit dem Florian geschieht, wenn Felix Thorwald das Erbe ausschlägt oder den Hof verkauft, daran mag ich gar net denken.«

»Was würd’ denn gescheh’n, wenn er’s Erbe net antritt?« wollte Max wissen.

»Dann fällt’s dem Land Bayern zu«, antwortete sein Bruder. »Und das wird den heruntergekommenen Hof kaum weiter betreiben. Wahrscheinlich wird man versuchen, ihn meistbietend zu versteigern.«

»Wahrlich keine besonders rosigen Aussichten«, meinte der junge Polizist.

*

»Daß Sie mir ja wiederkommen und nicht in diesem Sankt Johann bleiben!« hatte George Barker gesagt. »Auf einen meiner besten Mitarbeiter will ich nur ungern verzichten.«

»Keine Angst, Boss«, erwiderte Felix lächelnd, »ich will mir das erst einmal ansehen, bevor ich eine Entscheidung treffe. Ich hoffe, Sie verstehen das.«

George Barker, Gründer und Inhaber der Firma, die Programme für Computer erstellte, nickte.

»Natürlich, Felix, dafür habe ich Verständnis. Außerdem waren Sie ja lange nicht in der Heimat. Sie wollen natürlich auch das Grab Ihrer Eltern besuchen. Machen Sie es gut.«

Über London und Frankfurt ging es nach München. Als Felix auf dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen aus dem Flieger stieg, lagen fünfzehn Stunden hinter ihm, seit er am Abend zuvor in New York losgeflogen war.

Von dort aus hatte er einen Leihwagen reserviert. Er erledigte die Formalitäten am Schalter der Verleihfirma direkt am Flughafen, und die freundliche Angestellte brachte ihn zu dem Auto.

»Gute Fahrt, Herr Thorwald«, wünschte die junge Frau und sah ihm mit einem bedauernden Blick hinterher.

Wirklich schade, dachte sie, die attraktivsten Männer bleiben doch nie!

Davon ahnte der junge Deutsche nichts, als er sich langsam durch den Verkehr tastete und endlich auf den Zubringer zur nahen Autobahn einfädelte. Als er den Wegweiser in Richtung Starnberg sah, hatte sich die Anspannung gelegt. Der Verkehr wurde ruhiger, und an der Abfahrt Leutstetten verließ er die Autobahn und fuhr über die Landstraße weiter.

Es war ein schönes Gefühl, wieder in der Heimat zu sein. Felix war das letzte Mal zur Beerdigung der Mutter hiergewesen. Danach hatte er alle Brücken hinter sich abgebrochen und sich ganz nach Amerika zurückgezogen, wo er sich schon vor ein paar Jahren eine Existenz aufgebaut hatte.

Als er jetzt die alten Häuser wiedersah, fragte er sich, was wohl aus den Freunden von früher geworden war. Mit einundzwanzig Jahren hatte er sich aufgemacht, um drüben in den Staaten sein Studium fortzusetzen. Ein paar Jahre bestand ein lockerer Kontakt zu den alten Bekannten und Weggefährten, der dann jedoch allmählich einschlief und schließlich ganz abbrach.

Geraume Zeit verweilte er am Grab der Eltern, bevor er weiterfuhr. Bis St. Johann waren es gut drei Stunden zu fahren. Als er das Ortsschild sah, klopfte sein Herz doch vor Aufregung.

Onkel Franz!

Nach seinem Besuch bei Rechtsanwalt Benson hatte Felix lange versucht, sich an den Halbbruder seiner Mutter zu erinnern, aber es wollte ihm nicht gelingen, sich ein Bild von dem Mann vorzustellen. Ganz vage fiel ihm ein, ein- oder zweimal dort zu Besuch gewesen zu sein, als er noch ein kleiner Bub war. Und jedesmal hatten die Besuche mit einem Streit geendet. Worum es dabei gegangen war, hatte er damals nicht verstanden, und später hatte seine Mutter nie wieder darüber gesprochen.

Er hatte seinen Wagen angehalten und war ausgestiegen. Interessiert sah er sich um und erkannte einige der Häuser des Dorfes wieder, die er im Internet gesehen hatte. Natürlich auch die Kirche.

Felix griff in die Jackentasche und holte einen Zettel hervor, auf den er sich den Namen des Geistlichen geschrieben hatte, mit dem er Kontakt aufnehmen sollte. Dieser Pfarrer Trenker war, wie ihm mitgeteilt wurde, von seinem Onkel beauftragt worden, als Nachlaßverwalter zu fungieren.

Er beschloß, den Wagen stehen zu lassen und zur Kirche hinüberzulaufen. Als er über den geharkten Kiesweg schritt, war er gespannt darauf, was ihn letztendlich erwartete.

*

Nach dem Klingeln wurde die Tür zum Pfarrhaus geöffnet und ein Mann schaute ihn fragend an.

»Bitt’ schön, kann ich Ihnen helfen?«

Der Heimgekehrte sah den Mann unsicher an.

»Ich… ich möchte Herrn Pfarrer Trenker sprechen«, antwortete er zögernd.

»Der steht vor Ihnen, Herr…«

»Thorwald, Felix Thorwald.«

Irgendwie war er noch verunsicherter als zuvor. Dieser Mann war der Pfarrer von St. Johann? Bisher hatte er sich Geistliche immer anders vorgestellt. Der hier hatte eher Ähnlichkeit mit einem Hollywood-Star – so braungebrannt und sportlich, wie er da in der Tür stand.

Sebastian lächelte insgeheim. Natürlich war ihm die Reaktion des Besuchers nicht entgangen. Aber sie war auch nichts Neues für ihn. Kaum ein Fremder, der ihn zum ersten Mal sah, mochte glauben, daß dieser schlanke, agile und großgewachsene Mann ein Diener Gottes war. Da hätte man Pfarrer Trenker wirklich eher in die Reihen prominenter Sportler oder Filmschauspieler einordnen können.

»Herr Thorwald!« rief Sebastian indes. »Das ist aber eine Freud’. Ich hab’ ja gar net gewußt, daß Sie herkommen. Warum haben S’ denn net angerufen? Ich hätt’ Sie doch vom Flughafen abgeholt.«

»Nicht nötig«, erwiderte der junge Mann. »Ich wollte mir ohnehin einen Leihwagen nehmen, um unabhängig zu sein.«

»Verstehe«, nickte der Bergpfarrer und breitete dann die Arme aus. »Aber nun erstmal – herzlich willkommen. Treten S’ ein.«

Er führte Felix durch den Flur und das Wohnzimmer hinaus in den Pfarrgarten.

»Nehmen S’ Platz, Herr Thorwald. Meine Haushälterin kocht uns gleich einen guten Kaffee. Und – als ob sie’s geahnt hätt’ – einen Apfelkuchen hat sie heut’ morgen auch gebacken.«

Er sah den Besucher forschend an.

»Oder möchten S’ lieber was Deftiges? Ein verspätetes Mittagessen?«

Felix Thorwald schüttelte den Kopf.

»Vielen Dank, wirklich nicht. Ich habe im Flugzeug gegessen. Aber zu einem Stück deutschen Apfelkuchen sage ich nicht nein. So etwas gibt’s drüben in Amerika nicht so häufig. Zwar haben sich ein paar deutsche Bäcker dort niedergelassen, aber die muß man suchen.«

»Schön«, sagte der Geistliche, »dann gibt’s heut’ abend ein kleines Festessen zu Ihrem Empfang.«

Während Sebastian in die Küche eilte, um Sophie Tappert zu bitten, Kaffee zu kochen, saß Felix auf der Terrasse des Pfarrgartens und schaute sich um.

Generationen von Seelsorgern hatten schon in diesem Haus gewohnt, das im Laufe der Zeit immer wieder mal umgebaut und verändert wurde. Und sie hatten in all den Jahren diesen herrlichen Garten angelegt, in dem es grünte und blühte. Allerdings war es jetzt, zum Sommeranfang, auch die schönste Jahreszeit, und nicht mehr lange, dann konnten die herrlichsten Früchte gepflückt werden. Erd- und Himbeeren, die alten Obstbäume trugen schwer an ihren Äpfel und Birnen,

Zwetschgen und Kirschen. Die Blumenbeete leuchteten in allen erdenklichen Farben.

»Wunderschön haben Sie es hier«, sagte Felix, als Sebastian zurückgekehrt war. »Ich habe auch ein kleines Haus in Amerika, aber mein Garten ist längst nicht so schön.«

Er zuckte die Schultern.

»Na ja, die Arbeit läßt mir nicht viel Zeit«, fügte er hinzu.

Die Haushälterin kam heraus, in den Händen ein Tablett mit Kaffee und Kuchen. Der Bergpfarrer machte Felix mit Sophie Tappert bekannt. Während sie es sich schmecken ließen, erkundigte er sich nach dem Beruf seines Besuchers.

»Entschuldigen S’ meine Neugier«, bat der Seelsorger. »Aber ich möchte mir natürlich ein Bild von Ihnen machen. Ich weiß ja nix von Ihnen, Herr Thorwald.«

»Kein Problem, Hochwürden«, entgegnete der junge Mann und erzählte von sich.

Irgendwie merkwürdig, dachte er zwischendurch, da sitze ich hier einem Mann gegenüber, von dem ich vor einer halben Stunde nur den Namen kannte, und spreche über mich und mein Leben. Aber dieser Pfarrer Trenker hat etwas an sich, das es mir leicht macht.

»Und von Ihrem verstorbenen Onkel haben S’ gar nix gewußt?« fragte Sebastian, nachdem Felix auf den Grund seines Hierseins zu sprechen gekommen war.

»Doch. Eigentlich schon. Allerdings muß ich es unbewußt verdrängt haben. Erst als ich bei dem Anwalt in New York war, fiel es mir nach und nach wieder ein. Meine Mutter hatte nie ein gutes Verhältnis zu ihrem Halbbruder.«

Der Bergpfarrer nickte.

»Ja, da gab es wohl einen dunklen Punkt in der Vergangenheit Ihrer Familie«, sagte er nachdenklich. »Franz Bachmann hat mir in seiner letzten Stunde einen Brief anvertraut, den er an Ihre Mutter zwar geschrieben, aber nie abgeschickt hatte. Der Brief liegt in meinem Arbeitszimmer. Sie bekommen ihn später. Zuerst hab’ ich da allerdings eine Frage…«

Felix hob den Kopf.

»Ja?«

»Haben S’ sich schon darüber Gedanken gemacht, was Sie mit Ihrem Erbe anfangen?«

»Nein«, antwortete er. »Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, ob ich es überhaupt annehmen werde. Anwalt Benson hat mir mitgeteilt, daß ich drei Wochen Zeit habe, mir die Sache zu überlegen. Mit dem Hof steht es nicht gut?«

»So ist es, in der Tat«, bestätigte Sebastian. »Trotzdem lohnt sich eine Investition.«

Felix Thorwald hob die Hand.

»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche«, bat er. »Aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich überhaupt mit einem Bauernhof anfangen soll. Ich bin Fachmann für Computer, entwickle Software und verdiene damit sehr viel Geld. Eigentlich bin ich nur hergekommen, um mir den Hof einmal anzusehen.«

Er zuckte die Schultern.

»Wenn sich vielleicht ein Käufer findet – das wäre eine andere Sache«, fuhr er fort. »Mein Freund und Kollege drüben in den Staaten, er träumt schon lange von einer Firma. Wenn ein Verkauf des Hofes genug bringt, daß wir uns selbständig machen können, dann hätte meine Reise hierher ihren Zweck erfüllt. Aber es müßte schon eine beträchtliche Summe sein, schließlich kämen dann ja noch bestimmte andere Verpflichtungen auf mich zu. Ich denke da an Bankschulden, Erbschaftssteuer und Ähnliches.«

Sebastian verbarg seine Enttäuschung. Natürlich hatte er gehofft, Felix Thorwald würde das Erbe antreten, um den Hof zu bewirtschaften. Gleichzeitig mußte er ihm aber Recht geben. Einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen oder mit Computern zu arbeiten, das war schon ein Unterschied. Er konnte es dem jungen Mann nicht verübeln, wenn er so dachte. Und die Aussicht, durch den Verkauf des Hofes Startkapital für eine eigene Firma zu haben, war natürlich verlockend.

Allerdings – ein Käufer war weit und breit nicht in Sicht. Vorerst zumindest nicht.

»Ich denk’, das Beste wird’s sein, Sie ruh’n sich erst einmal von dem Flug aus«, schlug Sebastian Trenker vor. »Ich geb’ Ihnen den Brief Ihres Onkels, und wenn S’ später möchten, fahr’ ich mit Ihnen zum Hochberghof hinauf.«

»Einverstanden«, nickte Felix. »Dabei fällt mir ein – ich habe überhaupt noch kein Zimmer. Sankt Johann scheint ja ein recht gefragter Urlaubsort zu sein. Mir ist es nicht gelungen, von Amerika aus etwas zu reservieren. Überall hieß es: ›Ausgebucht‹. Wissen Sie vielleicht, wo ich noch unterkommen könnte?«

»Selbstverständlich bleiben S’ hier im Pfarrhaus«, antwortete der Seelsorger. »Es sind genug Gästezimmer da, und meine Frau Tappert freut sich über jeden Esser mehr am Tisch.«

*

Die Haushälterin hatte das Zimmer schon hergerichtet, als Sebastian den Besucher hinaufführte. Bevor der Bergpfarrer wieder hinunterging, überreichte er Felix den Brief seines Onkels.

Der junge Mann stand am Fenster, den Brief in der Hand, und schaute hinaus. Die Berge schienen zum Greifen nah. Hier sah alles ganz anders aus, als in dem kleinen Ort in Amerika, der ihm zur zweiten Heimat geworden war, und einen Moment lang überlegte er, ob er hier heimisch werden könnte.

Unbewußt hatten seine Finger mit dem Umschlag gespielt. Das Knistern des Papiers holte ihn aus seinen Gedanken. Felix setzte sich auf das Bett und riß das Kuvert auf. Der Brief war in krakeliger Handschrift abgefaßt, und er hatte Mühe, die Buchstaben zu entziffern. Franz Bachmann hatte ihn so geschrieben, wie er vermutlich auch gesprochen hatte.

Liebe Vroni,

ich weiß net, ob dieser Brief Dich jemals erreichen wird, da ich ja noch net einmal eine Anschrift von Dir hab’. Wenn ich ihn dennoch schreib’, dann aus dem Grund, daß ich eingeseh’n hab’, Dir damals Unrecht getan zu haben. Es hat lang’ gebraucht, bis ich es erkannt hab’, aber wahrscheinlich ist’s jetzt für die Reue zu spät.

Weißt’, wenn ich manchmal am Abend hier allein’ sitz’, dann wünsch’ ich mir schon, Du wärst wieder da, so wie früher, als alles noch in Ordnung war zwischen uns. Du hattest recht mit Deinen Vorwürfen. Ja, ich hab’ Dich um Dein Erbe betrogen.

Ich gesteh’ es hier, reumütig und beschämt.

Mein Vater hat den Hof von uns’rer Mutter, die leider viel zu früh von uns gegangen ist, geerbt, und eigentlich hättest Du nach seinem Tod den Hof bekommen sollen. So, wie er es zu Lebzeiten immer gesagt hat. Als Vater dann so plötzlich starb, bekam ich Angst, Du könntest mich net mehr hier haben wollen. Inzwischen warst’ ja selber verheiratet, hattest sogar schon ein Kind, den kleinen Felix.

Ja, Vroni, ich hab’ gesündigt und das Testament uns’res Vaters gefälscht, indem ich meinen Namen einsetzte. Für Dich blieb nur der Pflichtteil übrig. Ich erinner’ mich noch gut, wie oft es darüber zum Streit zwischen uns kam, bis Du dann schließlich ganz fortgeblieben bist. Damals war ich froh darüber. Heut’ wünsch’ ich mir, ich hätt’ niemals so gehandelt. Einsam bin ich geworden, ohne Dich, und wenn mein Leben einmal zu End’ geht, dann wird wohl niemand an meinem Grab weinen. Du bist ja die einzige Verwandte, die ich noch hab’ – nein, die ich hatte, denn ich hab’ dich ja verloren.

Einzig die Hoffnung, daß ich Dir eines Tages diesen Brief doch noch zukommen lassen kann, tröstet mich. Dann, Vroni, wird alles wieder gut zwischen uns. Ich wünsche mir so sehr, daß wir uns wieder vertragen können, und vor allem, daß Du mir verzeihen kannst.

Ich denk’ sehr oft an Dich und Deine Familie,

Dein Bruder Franz.

Felix Thorwald ließ den Brief sinken.

So war das also damals, dachte er. Der Bruder hat die Schwester um das Erbe betrogen. Jetzt konnte er verstehen, warum seine Mutter nie viel über ihre Familie gesprochen hatte.

Wie sehr mußte sie in all den Jahren darunter gelitten haben.

Felix versuchte, sich ein Bild von Franz Bachmann zu machen, und überlegte, ob er dem alten Mann, über dessen Tod hinaus, verzeihen konnte.

Was wäre wohl aus mir geworden, wenn Mutter damals den Hof geerbt hätte? Wäre ich dann auch später einmal nach Amerika gegangen? Oder würde ich heute ein Bauer sein?

Der junge Mann schmunzelte bei dem Gedanken. So recht vorstellen konnte er es sich nicht.

Aber wer konnte das schon so genau wissen?

Die Frage nach der Vergebung stellte er sich indes umsonst. Einzig Veronika Thorwald wäre in der Lage gewesen, ihrem Bruder zu verzeihen. Felix selber fühlte nichts gegenüber seinem verstorbenen Onkel. Nichts außer Mitleid, jetzt, nachdem er den Brief gelesen hatte. Er wollte Franz Bachmann gerne glauben, daß er bereute, was er getan hatte. Allerdings war die Einsicht um Jahre zu spät gekommen.

Ein Klopfen an der Tür riß Felix aus seinen Gedanken. Er sah auf die Uhr und stellte überrascht fest, daß bereits über eine Stunde vergangen war. Offenbar hatte er sich so sehr in den Brief vertieft, daß er gar nicht bemerkte, wie schnell die Zeit verging.

»Haben S’ sich ein bissel ausgeruht?« erkundigte sich Sebastian.

Sein Besucher fuhr sich mit einer müden Bewegung über das Gesicht. Nach dem langen Flug hatte er schon mit der Müdigkeit zu kämpfen. Allerdings hatte ihn die Reise in die Vergangenheit seiner Mutter davon abgehalten, dem Verlangen, sich hinzulegen, nachzugeben.

»Ich glaube, so richtig gut schlafen werde ich bestimmt erst heute abend«, antwortete er lächelnd.

Der Geistliche sah auf den Brief, den Felix auf dem kleinen Tisch am Bett abgelegt hatte. Dem Achtundzwanzigjährigen entging der Blick nicht.

»Ja, ich habe ihn gelesen«, sagte er. »Franz Bachmann hat seine Schwester um ihr Erbe betrogen.«

Mit wenigen Worten berichtete er, was in dem Brief stand.

»So etwas hab’ ich mir schon gedacht«, nickte Sebastian Trenker. »Was mich beruhigt ist, daß Ihr Onkel sein Handeln offenbar bitter bereute, und wenn es auch eine späte Genugtuung ist, aber immerhin kommt der Hof jetzt in die Hände seines rechtmäßigen Besitzers.«

Er sah Felix Thorwald fragend an.

»Das heißt – wenn S’ ihn haben wollen.«

Der junge Mann zuckte die Schultern.

»Sehen wir ihn uns doch erst einmal an«, meinte er.

Sie fuhren in dem Wagen, den Felix in München gemietet hatte. Unterwegs zeigte der Bergpfarrer seinem Gast die Schönheiten der Landschaft.

»Manchmal, wenn es meine Zeit zuließ, bin ich in die Rocky Mountains gefahren«, erzählte Felix. »Man kann dort wunderbar Skifahren. Aber so zum Wandern stelle ich es mir hier sehr schön vor.«

»Vielleicht können wir mal zusammen eine Tour unternehmen«, bot Sebastian an. »Ich könnt’ Ihnen wunderschöne Almen zeigen. Das gibt’s in Amerika wohl net, und schon gar net den einzigartigen Bergkäs’, den uns’re Senner auf ihren Hütten machen.«

»Zu diesem Vorschlag sage ich nicht nein«, freute sich der Hoferbe. »Das würde mir bestimmt Spaß machen.«

Er schaute begeistert auf die Berge und Almwiesen.

»Ist es eigentlich noch weit bis zum Hof?«

»Eine Viertelstunde vielleicht noch«, antwortete Sebastian. »Ich müßt’ Ihnen da aber noch etwas sagen.«

»Nämlich?«

»Also, es gibt da zwei Leut’, die auf dem Hochberghof wohnen. Eine Magd und einen Knecht.«

»Ach ja. Ich habe mich ohnehin schon gefragt, wer sich da im Moment um alles kümmert.«

Sebastian überlegte einen Moment.

»Was ich damit sagen will – von Ihrer Entscheidung hängt natürlich auch ab, was aus Maria Hochleitner und Florian Burgthaler wird.«

*

Als sein Gast sich auf das Zimmer zurückzog, hatte Sebastian auf dem Hochberghof angerufen und Maria und Florian von der Ankunft des Erben in Kenntnis gesetzt.

»Und wann können wir den Herrn Thorwald erwarten?« fragte die Magd aufgeregt.

Seit Wochen wartete sie auf diese Nachricht, doch als sie jetzt hörte, daß der Besuch schon heute stattfinden sollte, da klopfte Marias Herz vor Aufregung schneller. Unruhig lief sie durch das Haus und schaute, ob alles seine Ordnung hatte. Schnell noch die Diele gewischt und im Wohnzimmer abgestaubt.

Seit der Bauer verstorben war, hatte sie den Raum nicht mehr betreten. Früher hatten sie hier zusammen mit Franz Bachmann die Sonntage verbracht. Kaffee getrunken, sich unterhalten, über die Arbeiten der nächsten Woche gesprochen.

Als Maria jetzt in der Stube stand, fühlte sie Tränen in sich aufsteigen. Sie hatte den alten, knorrigen Bauern gemocht. Gewiß – manchmal konnte er auch unausstehlich sein, wenn nicht alles so geschah, wie er es wollte. Aber eigentlich war er ein guter Arbeitgeber gewesen, und Florian und sie waren immer gut mit ihm ausgekommen.

Maria setzte sich in den Sessel, in dem Franz Bachmann immer gesessen hatte. Ein wahres Ungetüm von einem Ohrensessel, aber gemütlich.

Pfarrer Trenker hatte nichts darüber gesagt, ob der neue Herr auf dem Hochberghof hier alles so lassen wollte wie es war.

Würden sie ihre Arbeit behalten können, oder spielte der Erbe in Gedanken schon mit dem Verkauf des Hofes?

Die junge, hübsche Magd ließ ihren Blick schweifen. Ja, es würde schon weh tun, wenn sie gehen müßte. Sie arbeitete gerne hier und hoffte inständig, daß sich daran nichts änderte.

Nach einer Weile raffte sie sich auf. Hochwürdens Anruf war am frühen Nachmittag gekommen. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis der neue Besitzer auftauchte. Die Magd lief hinaus, als sie den Traktor auf den Hof fahren hörte. Florian Burgthaler kam vom Feld.

»Schnell«, rief Maria, »beeil dich! Der neue Bauer kann jeden Moment hier sein.«

Der Knecht nahm die Nachricht gelassen auf.

»Wenn schon«, entgegnete er. »Deswegen werd’ ich auch net schneller fertig.«

Die Magd sah ihn an. Natürlich trug Florian seine Arbeitskleidung.

»Willst’ dich net wenigstens umzieh’n?« fragte sie.

»Warum? Ich mach doch keinen Kirchgang«, gab er verwundert zurück.

»Was soll denn der Herr Thorwald von dir denken, wenn du so ’rumläufst?«

Der Knecht machte sich daran, den Pflug vom Traktor abzubauen.

»Na, hoffentlich, daß ich meine Arbeit mach’«, erwiderte er und ließ sich überhaupt nicht weiter stören.

Maria rang hilflos die Hände.

»Geh, Florian, es ist doch wirklich wichtig, daß wir einen guten Eindruck machen«, sagte sie bittend. »Schau dich doch mal um. Wenn schon net der Hof herausgeputzt ist, dann sollten wir den Herrn Thorwald wenigstens gleich mit uns’rem Anblick erschrecken.«

Der Knecht hatte die Maschine abgebaut und schob sie unter das Dach der Scheune.

»Na schön«, meinte er schließlich. »Wenn du wirklich solch großen Wert darauf legst, will ich dir den Gefallen mal tun.«

Maria lächelte.

»Danke, Florian«, freute sie sich. »Du bekommst nachher auch ein großes Stück Schinken zum Abendbrot.«

Sie warf einen Blick auf die Uhr.

Du lieber Himmel, jetzt konnte es aber wirklich jeden Augenblick soweit sein. Rasch lief sie ins Gesindehaus und zog sich um. Sie hatte gerade noch einen prüfenden Blick in den Spiegel geworfen und ihre Haare zurechtgezupft, als ein dunkles Auto auf den Hof fuhr.

Florian kam aus seiner Kammer, als sie ihre Tür hinter sich schloß.

»Er ist da«, sagte sie aufgeregt.

»Na, dann mal los. Er wird uns schon net fressen.«

*

Sebastian und Felix waren ausgestiegen. Der junge Mann schaute sich neugierig um.

»Ja, ich glaube, ich erkenne ein bißchen was wieder«, meinte er nach einer Weile. »Ich war ja noch sehr klein damals, als meine Eltern und ich den Hof besucht haben. Allerdings…«

Er sah zum Stall, zur Scheune, erkannte die fehlenden Schindeln auf den Dächern, die abgeblätterten Farben.

»Es hat sich einiges verändert«, fuhr er fort. »Aber nicht zum Vorteil.«

»Dreiundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit«, sagte der Geistliche. »Natürlich verändert sich da viel. Und wenn’s Geld fehlt, dann läßt man’s eben so, wie’s ist.

Ihr Onkel hat immer darauf geachtet, daß genügend Futter für die Tiere da ist. Die waren ihm am wichtigsten.«

Felix nickte verstehend.

»Dabei hab’ ich immer gedacht, so ein Bauernhof produziert das Futter für seine Tiere selbst.«

»Das wär’ der Idealfall. Aber meistens muß immer noch was dazugekauft werden. Net jedes Jahr fällt die Ernte gleich gut aus. Außerdem brauchen Milchkühe net nur Gras. Im Winter muß man immer dazufüttern.«

Sebastian sah zum Gesindehaus hinüber, dessen Tür sich öffnete.

»Ah, da sind ja die beiden«, sagte er und deutete auf die Magd und den Knecht, die eben herauskamen.

Fast ein wenig schüchtern traten die beiden näher. Der gute Hirte von St. Johann übernahm es, sie miteinander bekannt zu machen.

»Das ist also Felix Thorwald, der Neffe von Franz Bachmann. Und das hier ist Maria Hochleitner, die Magd, und Florian Burgthaler, der Hofknecht.«

Sie reichten sich die Hände, und Maria fühlte, wie ihre Knie weich wurden.

Schon vor der Tür hatte sie den Atem angehalten, als sie den neuen Besitzer des Hofes sah. Einfach zu sagen, Felix Thorwald sei ein fesches Mannsbild, wäre untertrieben. Hochgewachsen, mit einem Lächeln in dem markanten Gesicht, stand er vor ihr. Eine Reihe schneeweißer Zähne blitzte, als er ihr die Hand gab. Das Herz der Magd trommelte einen wilden Rhythmus, als sie sich in die Augen sahen.

»Hallo, wie geht es Ihnen?« erkundigte sich Felix.

»Na ja, es gibt halt viel zu tun. Wird Zeit, daß wieder ein Bauer auf dem Hof ist«, antwortete Florian, noch bevor Maria den Mund aufmachen konnte.

Ärgerlich gab sie ihm einen Stoß gegen die Schulter.

»Red doch net so daher«, sagte sie kopfschüttelnd.

»Oh, ich denke, daß Herr Burgthaler nicht so unrecht hat mit dem, was er sagt«, meinte Felix zu ihrer Überraschung. »Ich kann mir schon vorstellen, daß es noch mehr Arbeit ist, wenn zwei Hände fehlen. Aber warum haben Sie nicht noch jemanden eingestellt?«

Maria machte große Augen.

Einen weiteren Knecht einstellen? Darauf wäre sie im Leben nicht gekommen. Erst einmal war sie nur die Magd hier und nicht die Bäuerin. Zweitens war überhaupt kein Geld dazu da, noch eine Arbeitskraft zu bezahlen.

»Ich denk’, das ist in erster Linie ein finanzielles Problem«, erklärte Sebastian Trenker denn auch gleich.

Kurz nach der Beisetzung Franz Bachmanns, als er und die beiden Leute vom Hochberghof sich beraten hatten, wie es weitergehen sollte, da hatten sie auch kurz mit diesem Gedanken gespielt. Doch schon gleich darauf verwarfen sie ihn wieder. Als Nachlaßverwalter hatte der Bergpfarrer Einsicht in die Konten des Verstorbenen erhalten und schnell festgestellt, daß für einen zweiten Knecht gar kein Geld da war.

»Ich denk’, wir schau’n uns erst einmal um«, schlug er vor. »Und da kann Florian uns am besten erklären, wo was ist und wie es so auf einem Bauernhof zugeht. Maria ist vielleicht so freundlich und kocht uns inzwischen einen Kaffee.«

Die junge Magd nickte und lief ins Haus. Sie war heilfroh über diesen Vorschlag. Kam sie so doch für einen Moment aus Felix Thorwalds Blickfeld und hatte Zeit, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen.

Immer noch schlug ihr Herz wie verrückt, und ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Nie in ihrem Leben war sie einem Mann wie diesem begegnet. Es war nicht nur die weltgewandte Art, die modische Kleidung, der äußere Anschein. Maria spürte, daß Felix sie in seinen Bann gezogen hatte, und wenn sie sich auch noch so sehr dagegen wehrte, so war ihr doch bewußt, daß es keinen Zweck hatte, sich dagegen zu sträuben.

Ob sie es wahrhaben wollte oder nicht – sie hatte sich in den Erben des Hochberghofes verliebt!

*

»Im Moment sind die Küh’ draußen auf der Wiese«, sagte Florian Burgthaler.

Sie hatten die Scheune besichtigt und waren weiter zum Stall gegangen. Felix war über die Ordnung und Sauberkeit überrascht, die hier drinnen herrschten.

Ganz im Gegensatz zu draußen.

»Frischgemolkene Milch ist sehr empfindlich gegenüber Bakterien«, erklärte der Knecht weiter. »Da muß peinliche Sauberkeit herrschen. Es wird morgens und abends gemolken.«

»Wie viele Kühe gibt es denn?« wollte Felix wissen.

»Auf der Wiese steh’n zwanzig«, antwortete Florian. »Und droben auf der Alm noch einmal dreißig.«

»Fünfzig Stück!«

Der Hoferbe war beeindruckt.

»Und die versorgen Sie ganz alleine?«

»Die Tiere, die auf der Alm steh’n, werden von einem Senner versorgt«, erklärte Sebastian Trenker. »Der macht aus der Milch auch Käse.«

»Genau«, nickte Florian. »Einmal im Monat fahr’ ich hinauf und hol’ den fertigen Käse. Die Milch, die hier gemolken wird, holt ein Tankwagen der Molkereigenossenschaft und bringt sie in die Stadt.«

»Und zehn Schweine gibt es auch«, sagte Felix, als sie später vor dem Gatter standen, hinter dem die Tiere fröhlich im Boden nach etwas Eßbarem wühlten.

»Schon. Aber das war mehr das Hobby von Ihrem Onkel«, erzählte der Knecht. »Er hat gern Hausgeschlachtetes gegessen, und manchmal auch was davon verkauft.«

Er deutete um sich.

»So, ich glaub’, ich hab’ Ihnen soweit alles gezeigt. Wenn S’ jetzt auch noch die Felder sehen wollen, müßten wir’s Auto nehmen.«

Er zeigte auf einen alten Mercedes, der neben der Scheune stand.

»Schön schaut er net mehr aus, aber er tut’s noch«, meinte er.

Felix lächelte unwillkürlich. Das traf wohl auf alles zu, was er hier zu sehen bekommen hatte. Alles machte einen alten, manchmal heruntergekommenen Eindruck, doch irgendwie schien es immer noch zu funktionieren.

»Ich glaube, das mit den Feldern wird nicht nötig sein«, antwortete er. »Es genügt mir, wenn ich weiß, wie groß sie sind. Wie ich erfahren habe, gehört auch ein Bergwald dazu?«

»Ja, aber den hat der Bauer verpachtet. Ich weiß net, wie lang’ der Pachtvertrag noch läuft.«

»Ich denk’, das steht in den Papieren, die wir uns gleich noch ansehen werden«, erklärte Sebastian. »Lassen S’ uns doch erst einmal ins Haus geh’n.«

Maria hatte den Tisch in der Diele gedeckt. Neben Kaffee und Tassen stand auch eine Platte mit Rührkuchen darauf. Felix blieb einen Moment auf der Schwelle stehen, bevor er eintrat. Sein Blick fiel genau auf ein Foto an der Wand neben der Treppe. Es zeigte den Halbbruder seiner Mutter – Franz Bachmann.

In diesem Moment erinnerte er sich ganz genau an den letzten Besuch hier auf dem Hof, vor mehr als zwanzig Jahren.

Er schüttelte die Erinnerung ab. Onkel Franz war tot, und Tote sollte man ruhen lassen. Was auch immer er getan hatte – in seinem Brief sprach er von Reue, und Felix war bereit, ihm zu vergeben, wie es auch seine Mutter getan haben würde, wenn dieser Brief sie je erreicht hätte.

Er lächelte die Magd an und setzte sich. Während Maria einschenkte, versuchte sie, sich nicht anmerken zu lassen, wie aufgeregt sie war. Dennoch konnte sie nicht verhindern, daß ihre Hände zitterten, und die Tassen klirrten auf den Untertellern.

»Haben S’ sich denn schon überlegt, was Sie jetzt anfangen werden?« fragte sie und war über sich und ihren Mut dazu erstaunt.

Felix Thorwald hatte sich zurückgelehnt. Er probierte von dem Kuchen.

»So hat ihn meine Mutter auch immer gebacken«, sagte er und schenkte Maria ein strahlendes Lächeln.

Dann schüttelte er den Kopf.

»Nein«, beantwortete er ihre Frage. »Ich habe mich noch nicht entschieden. Aber ich glaube, das wäre von Amerika aus auch zuviel verlangt. Allerdings muß ich gestehen, daß mich der Anblick des Hofes nicht gerade ermutigt.«

Die Magd war enttäuscht, ließ es sich aber nicht anmerken. Es ging ihr ja nicht so sehr um sie selbst, als vielmehr um Florian.

»Es braucht natürlich seine Zeit, den Hof wieder auf Vordermann zu bringen«, mischte sich Sebastian Trenker in das Gespräch.

Er wandte sich direkt an Felix.

»Allerdings müßten S’ sich schon jetzt und hier entscheiden, ob Sie das Erbe antreten. Was immer Sie dann damit anfangen – und ich glaub’, darum geht’s der Maria bei ihrer Frage –, das ist dann eine andere Sach’.«

Der junge Mann hatte schon geraume Zeit überlegt, was er tun solle. Am einfachsten wäre es natürlich gewesen, das Erbe auszuschlagen und nach dem Urlaub zurück nach Amerika zu fliegen. Wenn er sich das hier alles anschaute, dann wußte er, ohne ein Experte zu sein, daß es eine Menge Geld kosten würde, den Hof zu sanieren.

Auf der anderen Seite klangen ihm immer noch die Worte seines Freundes und Arbeitskollegen Steve in den Ohren. Wenn er den Hof zu einem guten Preis verkaufen konnte, wäre das der Beginn eines neuen Lebensabschnittes als Inhaber einer eigenen Firma.

Felix Thorwald holte tief Luft. Er war sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt. Es wäre unsinnig, das Erbe nicht anzunehmen, das war die eine Seite. Andererseits lud er die Verantwortung für zwei Menschen auf sich, wenn er annahm.

Es herrschte eine gespannte Atmosphäre. Drei Augenpaare sahen ihn fragend an. Er brauchte eine ganze Weile, bis er schließlich nickte.

»Ich bin bereit, die Erbschaft anzutreten«, erklärte er endlich.

Erleichterung machte sich auf den Gesichtern der anderen breit. Doch er hob die Hand.

»Was allerdings nicht heißt, daß ich den Hof auch behalten werde«, setzte er hinzu.

»Das sollen S’ auch net jetzt entscheiden«, sagte Pfarrer Trenker. »Ich denk’, dazu haben S’ später noch genügend Zeit.«

Felix sah, wie enttäuscht die Magd war, während der Knecht eher gleichgültig aussah.

»Natürlich werde ich mich bemühen, für Sie neue Arbeitsplätze zu finden, sollte ich mich für einen Verkauf entscheiden«, beeilte er sich zu versichern.

Maria antwortete nichts darauf. Sie erhob sich und verschwand in der Küche. Dort stellte sie sich an das Fenster und versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, während sie hinausschaute.

Achtzehn Jahre war sie gerade geworden, als sie ihre Stelle auf dem Hochberghof antrat. Seitdem waren sieben Jahre vergangen, und hier hatte sie nicht nur Arbeit gefunden, der Hof war ihr auch zur Heimat geworden. Die Aussicht, ihn jetzt verlassen zu müssen, stimmte die junge Frau traurig.

Aber da war auch noch etwas anderes. Wie ein Blitz hatte die Liebe eingeschlagen, aber Hoffnung, daß sie sich auch erfüllen würde, gab es nicht.

*

»Wissen Sie eigentlich, warum mein Onkel nie geheiratet hat?« erkundigte sich Felix Thorwald auf der Rückfahrt nach St. Johann.

»Na ja, es hat da wohl mal ein Madel gegeben, an das Franz Bachmann sein Herz verlor«, erzählte Sebastian. »Ihr Onkel hat sich net oft in meiner Kirche sehen lassen. Dafür hab’ ich ihn um so öfter besucht. Wir haben dann immer schöne Gespräche geführt, und einmal hat er mir anvertraut, daß das Madel, von dem ich eben sprach, einen anderen Burschen ihm vorgezogen hat. Seitdem wollt’ er sich net mehr binden. Wahrscheinlich hatte er Angst, nochmals enttäuscht zu werden.«

Nach dem Kaffeetrinken waren sie in das Wohnzimmer gegangen, und der Geistliche hatte dem neuen Hofbesitzer alle erforderlichen Unterlagen gezeigt.

Die Bankauszüge waren alles andere als erfreulich, und das, was noch an Bargeld vorhanden war, reichte gerade mal die nächsten drei Monate, um die Löhne für Maria und Florian zu zahlen und die Betriebskosten für den Hof zu decken. Von einem Überschuß für die notwendigen Reparaturen konnte keine Rede sein.

Jetzt, im Auto, überlegte Felix, ob er nicht doch zu voreilig gewesen war. Auf dem Hof lastete eine nicht unerhebliche Hypothek, und er hatte mit seinem Erbe auch die Schulden übernommen. Wenn er wirklich die Absicht hätte, ein neues Leben als Bauer zu beginnen, dann würde er dringend die Unterstützung eines landwirtschaftlichen Unternehmensberaters brauchen, der eine betriebswirtschaftliche Analyse erstellte, und spätestens bei der Durchsicht der Bücher abgewinkt haben würde.

Als absoluter Laie hatte Felix überhaupt keine Chance, jemals einen Gewinn zu erwirtschaften. Selbst wenn er lernfähig war und in Florian einen tüchtigen Meister haben würde, alleine konnten sie es nicht schaffen, den Hochberghof wieder auf die Beine zu bringen.

Damit war die Sache im Grunde schon entschieden. Er würde sich nach einem Käufer umsehen und dann schleunigst in die Staaten zurückkehren.

Im Pfarrhaus wurden sie von einem köstlichen Duft empfangen, der aus der Küche in den Flur drang. Sophie Tappert stand am Herd und kochte.

»Das riecht ja wunderbar«, sagte Felix zu seinem Gastgeber.

Im Eßzimmer war bereits gedeckt. Max öffnete eine Weinflasche. Sebastian machte seinen Bruder und den Gast miteinander bekannt.

»Wir können schon anfangen«, rief die Haushälterin und trat kurz darauf, mit einem Tablett in der Hand, ins Eßzimmer.

Darauf standen Tassen, gefüllt mit einer hellen Cremesuppe, die leicht nach Knoblauch duftete.

»Sagen Sie nicht, das wäre Bärlauchsuppe«, lachte Felix. »Die gab’s zu Hause immer. Im Frühjahr.«

»Gut geraten«, schmunzelte Sophie Tappert. »Eigentlich ist die Saison schon lang’ vorbei. Aber ich frier’ immer einen großen Vorrat ein.«

Der köstlichen Suppe folgte ein gebratenes Perlhuhn, dessen Füllung aus einer Semmelmasse bestand, die sonst auch für die Herstellung von Knödeln genommen wurde. Die Rahmsauce hatte die Perle des Pfarrhaushalts mit einem guten Stück Portwein verfeinert, und der bunte Salat stammte natürlich aus dem Pfarrgarten.

»So gut habe ich lange nicht mehr gegessen«, lobte Felix zwischendurch. »Wissen Sie, drüben in den Staaten, da stelle ich mir abends schnell ein Fertiggericht in die Mikrowelle, und tagsüber bestellen wir meistens etwas bei einem Lieferservice. Wenn wir im Büro sitzen, bleibt keine Zeit, essen zu gehen.«

Sophie Tappert hatte vor Grausen das Gesicht verzogen, als sie das Wort Mikrowelle hörte. Ihr Stolz als Haushälterin hätte niemals zugelassen, daß so ein Gerät in ihre Küche käme.

Das waren ja schöne Sitten da in Amerika. Da konnte man nur dankbar sein, daß man in einem Land lebte, in dem auf eine hohe Eßkultur noch Wert gelegt wurde.

Der Gast im Pfarrhaus staunte indes, wieviel der Bruder des Geistlichen essen konnte. Während alle anderen ihre Bestecke schon aus der Hand gelegt hatten, ließ Max es sich immer noch schmecken. Dabei zeigte sich an seinem Körper nicht ein einziges Gramm Fett. Im Gegenteil, der junge Polizist war genauso schlank wie Pfarrer Trenker.

Das denkwürdige Abendessen wurde mit einem Dessert beschlossen, das im Pfarrhaus immer wieder großen Anklang fand – es war ein Obstsalat aus frischen Früchten, den Sophie Tappert mit einer Spur frisch geriebenen Ingwers würzte.

Nach dem Essen verabschiedete Max sich bald mit dem Hinweis, daß in seinem Büro noch Arbeit auf ihn wartete. Sebastian und sein Gast setzten sich nach draußen. Es war mild, und die Sonne schickte sich gerade erst an, unterzugehen.

»Bestimmt werden S’ heut’ net so spät schlafen geh’n«, meinte der Bergpfarrer. »Es liegen ja ereignisreiche Stunden hinter Ihnen, Herr Thorwald.«

Der junge Mann nickte.

»In der Tat, und langsam spüre ich auch, wie müde ich bin«, antwortete der frischgebackene Bauernhofbesitzer.

»Morgen sollten wir dann allerdings recht früh in die Stadt fahren und beim Nachlaßgericht vorsprechen«, schlug Sebastian vor. »Übermorgen können wir dann vielleicht einen Aufstieg in Augenschein nehmen. Was halten S’ davon?«

»Sehr gern, Hochwürden«, nickte Felix begeistert. »Ich möchte mich aber erst einmal bei Ihnen für alles bedanken. Nicht nur für das, was Sie für mich tun, sondern auch für meinen Onkel getan haben. Ich glaube, im Grunde war er ein sehr einsamer Mann, und Ihre Besuche und die Gespräche mit Ihnen müssen ihm sehr viel bedeutet haben. Sonst hätte er sich Ihnen nicht so anvertraut.«

Der junge Mann trank sein Glas aus.

»Allerdings ist es auch nicht schwer, sich Ihnen zu offenbaren«, lächelte er. »Ich bin wirklich froh, Sie kennengelernt zu haben, und ich möchte Sie bitten, mich beim Vornamen zu nennen.«

»Sehr gern«, freute sich der Geistliche über das Angebot.

Als Felix bald darauf in seinem Bett lag, da ließ er die Ereignisse der letzten Stunden noch einmal Revue passieren.

Ich habe einen Bauernhof, dachte er schmunzelnd. Wer hätte das jemals gedacht?

Vielleicht sollte er es mit Humor nehmen. Aber gleichzeitig wurde ihm wieder die Verantwortung bewußt, die er auf sich geladen hatte.

Einmal kurz spielte er es in Gedanken durch.

Er verdiente als Computerexperte viel Geld. Mehr als er ausgeben konnte. Einen Großteil hatte er in sichere Aktien angelegt, und die Dividende vergrößerten sein Vermögen. Bei jeder Bank würde er darauf ein Darlehen bekommen. Geld, das für den maroden Bauernhof die Rettung bedeuten konnte.

Andererseits wäre eine solche Entscheidung ein totaler Schnitt in seinem Leben.

Wollte er das wirklich?

Felix richtete sich im Bett auf und schaltete die kleine Lampe daneben ein. Die junge Frau und der Knecht kamen ihm in den Sinn. Wenn er den Hof verkaufte, standen sie auf der Straße.

Aber mußte er sich wirklich um sie Gedanken machen? Jeden Tag wurden Leute entlassen und waren gezwungen, sich nach einer anderen Arbeit umzusehen. So hart es für den Betreffenden auch sein mochte.

Seufzend löschte er das Licht und legte sich wieder in das Kissen. Das Gesicht der Magd stand plötzlich vor ihm, und Felix dachte gleichzeitig an Eileen, die hübsche, junge Kollegin aus der anderen Abteilung, mit der er einige Male ausgegangen war. Aber irgendwie gelang es ihm nicht, sie sich bildlich vorzustellen. Maria konnte er klar und deutlich erkennen, während die Amerikanerin wie hinter einer Nebelwand zu sehen war.

Er drehte sich auf die Seite und versuchte den Gedanken an die Magd abzuschütteln. Doch so richtig wollte es ihm nicht gelingen.

*

»Himmelherrgott noch einmal! Was läuft’s denn umeinand’ wie ein Huhn, das keinen Kopf mehr hat?« schimpfte Florian Burgthaler.

Er saß in der Küche des Bauernhauses und wartete auf das Mittagessen. Maria, sonst die Pünktlichkeit in Person, hatte es noch nicht geschafft, etwas auf den Tisch zu bringen.

»Entschuldige«, bat sie. »Ich weiß auch net, was heut’ mit mir los ist.«

Aber damit sagte sie nicht ganz die Wahrheit. Seit Felix Thorwald gestern den Hof besucht hatte, war ihr Leben nicht mehr so wie früher. Die halbe Nacht hatte die Magd nicht geschlafen, und als der Wecker klingelte, hatte sie das Gefühl, eben erst ins Bett gegangen zu sein.

Florian schaute indes mißmutiger denn je. Schon mit dem Frühstück hatte es nicht geklappt. Viel zu spät hatte Maria es fertig gehabt, so daß der Knecht sich kurzerhand ein belegtes Brot machte und es unterwegs aß, auf der Fahrt mit dem Traktor zum Feld hinaus.

»Was ist denn bloß los mit dir?« forschte er nach. »So kenn’ ich dich ja gar net.«

Er hob schnuppernd die Nase. Auf dem Küchenherd stand ein Topf, in dem Kartoffeln kochten.

»Riechst nix?«

Maria wirbelte herum. Aus dem Kartoffeltopf stieg eine graue Rauchwolke auf, und es roch angebrannt. Blitzschnell riß sie ein Geschirrtuch vom Haken und nahm den Topf vom Feuer.

»Auch das noch!«

Sie war verzweifelt. Es schien, als wolle dieser Tag ihr zeigen, daß sie am besten im Bett geblieben wäre.

Die hübsche Magd stellte den schmorenden Topf in das Spülbecken und ließ kaltes Wasser darüber laufen. Vorsichtig öffnete sie den Deckel und nahm die oberste Schicht ab.

Dem Himmel sei Dank, wenigstens die hatte sie retten können.

»Willst’ mir net verraten, warum du so durcheinander bist?« fragte Florian, als sie wenig später beim Essen saßen. »Ist’s wegen dem neuen Bauern?«

»Hast recht«, nickte sie, ohne den wahren Grund zu nennen, warum ihr heute absolut nichts gelingen wollte. »Der Herr Thorwald scheint den Hof net behalten zu wollen.«

»Na und?« meinte der Knecht zu ihrer Verblüffung. »Dir kann’s doch egal sein. Du find’st ja überall eine neue Arbeitsstelle.«

Maria sah ihn verwundert an.

»Und was ist mit dir? Willst’ dich in deinem Alter noch auf die Suche nach einem Bauern machen, der dich nimmt?«

Florian zuckte die Schultern.

»Weißt’, Maria, da mach’ ich mir keine Gedanken«, erwiderte er. »Wenn’s ganz arg kommt, dann hör’ ich auf mit der Arbeit. Das Rentenalter hab’ ich ja erreicht. Vielleicht such’ ich mir ein kleines Häusl und genieß meinen Lebensabend.«

»Na, das hast’ dir ja wirklich schon was überlegt. Und ich hab’ geglaubt, du würdest vor Kummer und Sorgen net in Schlaf kommen.«

Daß der alte Knecht so abgeklärt über seine Situation nachgedacht hatte, erstaunte sie wirklich. Aber um so besser, wenn Florian schon jetzt wußte, wie es mit ihm weitergehen sollte.

Sie hingegen wollte den Gedanken an einen Abschied vom Hochberghof am liebsten ganz verdrängen. Was konnte man nicht alles daraus machen! Wenn sie doch nur einmal Gelegenheit hätte, mit Felix Thorwald zu reden und ihm darzulegen, wie sie darüber dachte.

Schon Franz Bachmann hatte auf den Einsatz von künstlichen Düngemitteln verzichtet, die Felder waren nach ökologischen und umweltverträglichen Gesichtspunkten beackert worden, und wenn man auch nicht unbedingt von einem Bio-Bauernhof reden konnte, so waren doch alle Voraussetzungen gegeben, aus dem Hochberghof einen solchen zu machen. Immer mehr Menschen stiegen auf gesunde Naturkost um, der beste Beweis dafür war doch, daß beinahe jedes größere Lebensmittelunternehmen eine eigene Bio-Marke im Angebot hatte. Hinzu kam, daß die Leute gerne auf einem Bauernhof einkauften, der solche Waren anbot.

Ökologischer Landbau und Selbstvermarktung – das war nach Marias Meinung eine Chance, aus dem maroden Bauernhof wieder ein gesundes Unternehmen zu machen.