E-Book 76-80 - Patricia Vandenberg - E-Book

E-Book 76-80 E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. In dieser Box enthalten: E-Book 76: Ihr Name ist Kathrin E-Book 77: Zerstört mein Leben nicht E-Book 78: Dr. Behnisch muß schweigen E-Book 79: Ein Mädchen kam aus Übersee E-Book 80: Es fing ganz harmlos an E-Book 1: Ihr Name ist Kathrin E-Book 2: Zerstört mein Leben nicht E-Book 3: Dr. Behnisch muß schweigen E-Book 4: Ein Mädchen kam aus Übersee E-Book 5: Es fing ganz harmlos an

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Inhalt

Ihr Name ist Kathrin

Zerstört mein Leben nicht

Dr. Behnisch muß schweigen

Ein Mädchen kam aus Übersee

Es fing ganz harmlos an

Dr. Norden Bestseller – Box 15 –

E-Book 76-80

Patricia Vandenberg

Ihr Name ist Kathrin

Ihr Name

ist Katrin

Roman von Patricia Vandenberg

»Notruf, Herr Doktor«, sagte Loni, Dr. Nordens Praxishelferin, aufgeregt. »Die Wagen sind im Einsatz.«

»Wo?« fragte er.

»Bei der Unterführung.«

»Entschuldigung, Herr Mayer, bitte, haben Sie Verständnis«, sagte Dr. Norden zu seinem Patienten.

Der alte Herr nickte nur, und Dr. Norden war schon an der Tür. Bis zur Unterführung war es nicht weit, schon sechs Minuten später war er da.

Mühsam mußte er sich einen Weg durch die Neugierigen bahnen, die sich um die Unfallstelle scharten, und wieder einmal packte ihn der Zorn.

»Ich bin Arzt«, sagte er so barsch, wie es kein Patient von ihm gewohnt war. »Haben Sie nichts anderes zu tun, als hier herumzustehen?«

Man machte ihm Platz. Einige Passanten erkannten ihn und verzogen sich schnell.

Auf der Straße lag ein Mädchen, neben ihr ein Fahrrad. Ein paar Schritte entfernt standen ein Auto und ein Funkstreifenwagen. Ein junges Paar kniete bei der Verletzten, die bewußtlos war.

»Ich war es nicht«, sagte der junge Mann gerade, als Dr. Norden näher trat. »Der Kerl ist einfach weitergefahren.«

Dr. Norden hörte es, aber er kümmerte sich nicht weiter darum. Er beugte sich zu dem Mädchen hinab.

»Katrin«, sagte er bestürzt.

»Sie kennen die Verletzte?« fragte der Polizist.

»Ja«, erwiderte er kurz. Er fühlte den Puls, zog leicht die Augenlider empor, und da hob schon ein tiefer Atemzug ihre Brust. Benommen sahen die graublauen Augen ihn an.

»Dr. Norden«, flüsterte Katrin Pflüger.

»Wird alles wieder gut, Katrin«, sagte er beruhigend. Dann sah er den Polizisten an.

»Ich bringe sie in die Klinik. Sie ist nicht schwer verletzt. Ihr Name ist Katrin Pflüger. Ich bin Dr. Norden. Sorgen Sie bitte dafür, daß ich mit der Verletzten wenigstens ungehindert zum Wagen komme.«

Er hob die leichte Gestalt auf. Die Passanten verzogen sich. Es ist doch unglaublich, dachte Dr. Norden, immer haben sie es eilig, aber zum Gaffen haben sie Zeit. Tröstlich war es nur, daß die kleine Katrin nicht schwer verletzt war.

Er kannte ihre Eltern, nette, einfache Leute, die immer besorgt um das Mädchen waren. Er kannte auch Katrin, die er mehrmals behandelt hatte.

Behutsam bettete er sie auf den Rücksitz. »Ganz ruhig sein, Katrin«, sagte er. »Ich bringe dich nur vorsichtshalber in die Klinik.«

»Ich muß ins Geschäft«, murmelte sie. »Der Direktor ist so streng.«

»Machen Sie sich darum keine Sorgen«, erwiderte er. »Sie bekommen ja ein Attest.«

Dr. Daniel Norden wußte, wie gewissenhaft Katrin war und wie bedacht auf ihr Fortkommen, froh, ihre Eltern endlich entlasten zu können.

Hermann Pflüger war vor zwei Jahren durch einen Betriebsunfall Halbinvalide geworden und konnte seither nur durch Gelegenheitsarbeiten etwas zu seiner nicht gerade üppigen Rente hinzuverdienen. Lotte Pflüger hatte eine Halbtagsstellung in einem Lebensmittelgeschäft angenommen. Katrin hatte ihre Lehre als Verkäuferin gerade beendet und wurde nun besser bezahlt. Dr. Norden hatte immer bedauert, daß diesem intelligenten Mädchen keine anderen Startchancen geboten werden konnten, aber wenigstens waren die Familienverhältnisse sonst intakt. Die Pflügers hingen mit abgöttischer Liebe an ihrer Tochter, und Katrin erwiderte diese Liebe gleichermaßen.

Daniel Norden brachte Katrin zur Behnisch-Klinik. Auf seinen Freund Dieter Behnisch konnte er sich verlassen. Er würde sich sofort der Verletzten annehmen.

Dr. Dieter Behnisch kannte Katrin ebenfalls. In seiner Klinik hatte Hermann Pflüger drei Monate zugebracht, bis er wieder halbwegs genesen war.

Katrin rollten nun doch Tränen über die Wangen. Sie hatte Schmerzen.

»Es wird gleich besser, Kleine«, sagte Dr. Behnisch. Er gab ihr eine Injektion, dann sah er Dr. Norden an.

»Ich untersuche sie und erstatte dir Bericht, Daniel. Wie ist es denn passiert?«

»Sie ist angefahren worden. Genaues weiß ich noch nicht. Anscheinend hat der Schuldige Fahrerflucht begangen.«

»Diese Lumpen«, knurrte Dr. Behnisch.

*

An der Unfallstelle waren die Personalien der Zeugen aufgenommen worden. Zuverlässig war nur das junge Ehepaar, das hinter dem Wagen gefahren war, der Katrin gestreift und dann auch noch geschnitten hatte. Sie hatten glücklicherweise noch bremsen können, da sie schon gesehen hatten, daß die Ampel auf Gelb gewesen war.

Sie hießen Gerd und Renate Büchner. Der Schreck saß ihnen noch gewaltig in den Gliedern.

Es sei ein grauer Mercedes gewesen, erklärten sie. Die Nummer hätten sie sich leider nicht merken können. Sie hatten ja auch nicht geahnt, daß so etwas passieren würde.

Im Wagen hätte nur ein Mann gesessen, erklärte Renate Büchner. Zuerst hätten sie sich geärgert, daß er gar so langsam fuhr, aber dann hätte er plötzlich Gas gegeben, als das Mädchen auf die Kreuzung zufuhr.

Sie wollten sich gern als Zeugen zur Verfügung stellen, wenn der Schuldige gefunden würde, wollten dann aber gern schnell fort. Sie betrieben eine Lottoannahmestelle mit Tabakwaren und Zeitschriftenhandel, und am Freitag war da immer besonders viel zu tun.

Die Personalien waren aufgenommen, sie konnten weiterfahren. Nun hatten sie sich halbwegs beruhigt.

Im Kaufhaus Heller wurde Katrin vermißt. Zuerst von dem jungen Abteilungsleiter Robert Brehm, der Katrin nicht nur als Angestellte betrachtete, wenngleich er dies niemandem zeigte, auch ihr nicht. Er blickte immer wieder auf die Uhr. Katrin war sonst überpünktlich.

Der Geschäftsführer Rainer John kam daher. »Fräulein Pflüger immer noch nicht da?« fragte er in seiner herablassenden Art.

»Nein«, erwiderte Robert.

»Und keine Entschuldigung?« fragte der andere.

Robert schüttelte besorgt den Kopf. »Sie ist sonst sehr zuverlässig«, erklärte er, bemüht, Katrin zu verteidigen.

»Bummelei lassen wir gar nicht erst einreißen«, sagte der Geschäftsführer. »Sie soll sich bei mir melden, wenn sie kommt.«

Robert sandte ihm einen zornigen Blick nach. Er mochte diesen Mann nicht. Er war ihm von Anfang an unsympathisch gewesen. Niemand mochte ihn so recht, aber schließlich war er der Neffe des verstorbenen Inhabers.

Das Kaufhaus Heller war kein Konzern. Es war ein Familienunternehmen seit achtzig Jahren. Aber weit von der City entfernt, in der sich die Kaufhäuser aneinanderreihten, hatte er sich sehr gut behaupten können. Es florierte und besaß eine gesunde finanzielle Basis. Sebastian Heller war nie ein Risiko eingegangen.

Früh verwitwet nach einer kinderlosen Ehe, hatte er nicht wieder geheiratet. Er hatte wohl schon gespürt, daß eine unheilbare Krankheit ihn aufzehrte. Vor einem Jahr war er gestorben, aber wer nun eigentlich sein Erbe war, wußte niemand.

Sein Freund Konrad Dippmann war als Direktor und Treuhänder eingesetzt worden. Er war genauso ein Eigenbrötler wie Sebastian Heller einer gewesen war. Er führte die Geschäfte auch genauso weiter, auf solider Basis und ohne Expansionsgelüste. Er hatte strenge Prinzipien, nach denen man sich richtete, denn die Bezahlung war gut.

Auch Rainer John wurde nicht bevorzugt behandelt. Robert wußte, daß er sein Gehalt bekam wie jeder andere und keinerlei Privilegien genoß. Er spielte sich nur gern auf, wenn der Chef nicht in der Nähe war.

Es verging noch eine Stunde, bis die Nachricht durchgegeben wurde, daß Katrin einen Unfall gehabt hatte. Mit zitternder Stimme hatte es Frau Pflüger telefonisch mitgeteilt.

Robert Brehm war kreidebleich geworden. Er konnte sich nicht konzentrieren. Doch heißer Zorn stieg in ihm empor, als Rainer John sagte: »Warum muß sie denn auch mit dem Rad fahren? Es gibt ja genügend öffentliche Verkehrsmittel.«

*

Dr. Norden hatte die Unglücksbotschaft den Pflügers persönlich und schonend mitgeteilt. Obgleich er erklärte, daß Katrin nur leicht verletzt sei, war die Sorge groß. Das Ehepaar hatte sich gleich auf den Weg zur Behnisch-Klinik gemacht, und erst dort war es Frau Pflüger eingefallen, daß sie Katrins Chef benachrichtigen mußte.

Frau Pflüger arbeitete nachmittags. Auf ihren Verdienst konnte sie nicht verzichten. Viel blieb ihnen ohnehin nicht übrig für Sonderausgaben, denn die Miete war erhöht worden, und alle anderen Kosten waren auch gestiegen. In vier Wochen feierte Katrin ihren achtzehnten Geburtstag, und da hatten sie ihr etwas Hübsches schenken wollen. Jetzt hatten sie nur Angst um die geliebte Tochter.

Katrin war bei Bewußtsein, als die Eltern kamen, zwar immer noch benommen, aber schon bestens versorgt.

»Ist ja nicht so schlimm, Mutti«, sagte sie tröstend. »Morgen kann ich schon nach Hause. Es sind nur Prellungen und ein paar Platzwunden.«

Die Pflügers waren stille Menschen. Sie jammerten nicht. Sie dachten nur, daß es böse hätte ausgehen können. Nun waren sie dankbar, daß sie mit Katrin sprechen konnten.

»Der gute Dr. Norden war gleich da und hat mich in die Klinik gebracht«, sagte Katrin. »Sie haben mich geröntgt und nichts weiter feststellen können.«

»Auf Dr. Behnisch ist auch Verlaß«, sagte Hermann Pflüger. Er vergaß nicht, was er diesem fürsorglichen Arzt zu verdanken hatte. Er war als Lagerist in einem Großunternehmen beschäftigt gewesen und wäre fast von einem Gabelstapler erdrückt worden, der falsch bedient worden war. Mit lebensgefährlichen inneren Verletzungen war er in die Behnisch-Klinik eingeliefert worden, aber Dr. Behnisch hatte das Wunder vollbracht und sein Leben gerettet.

Katrin streichelte seine Hand. »Du hast viel mehr durchmachen müssen, Vati«, sagte sie zärtlich. »Macht euch jetzt nur keine Sorgen um mich.«

Sie war ein tapferes Mädchen, und ein bildhübsches dazu. Sicher war auch Frau Pflüger mal ein hübsches Mädchen gewesen, aber keinesfalls so apart wie Katrin, mit dem wunderschönen Blondhaar und den großen, sprechenden Augen, dem fast klassisch zu nennenden Profil.

Mit so reichen Gaben der Natur ausgestattet, war sie weder eitel noch oberflächlich. Sie war ein vielseitig interessiertes Mädchen und hatte ein bedeutend besseres Benehmen als so manches Mädchen, das in weitaus besseren wirtschaftlichen Verhältnissen aufgewachsen war. Allerdings mußte auch gesagt werden, daß ihre Eltern alles getan hatten, um sich selbst weiterzubilden und auch Katrin zu fördern.

Katrin wollte es auch weiterbringen im Leben und deshalb so schnell wie nur möglich an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Sie war glimpflich davongekommen, aber Dr. Behnisch hielt es doch für besser, wenn sie ein paar Tage wenigstens daheim bleiben würde.

Jedenfalls konnte er seinem Freund und Kollegen Dr. Norden berichten, daß Katrin keinerlei innere Verletzungen davongetragen hatte und sie auch sonst keine Narben behalten würde.

»Wäre auch schade um das reizende Geschöpf«, meinte er abschließend.

Dieser Meinung war Daniel ebenfalls. Seine Frau Fee war sehr erschrocken, als er ihr von dem Unfall erzählte.

»Gerade jetzt, wo es ein bisserl besser für sie werden könnte«, sagte sie bedauernd.

»Ihre Stellung wird sie deshalb nicht verlieren«, äußerte sich Daniel.

»Aber dieser neue Geschäftsführer ist ein Unsympath«, stellte Fee fest. »Warum Dippmann ihn nur eingestellt hat, möchte ich wissen. Er ist zwar ein Sonderling, aber in der Auswahl der Mitarbeiter doch sehr vorsichtig.«

»Die Erklärung ist ganz einfach, mein Schatz, John ist der Neffe von Heller, und der hat wohl bestimmt, daß er einen Posten bekommen soll, wenn er selbst Wert darauf legt.«

»Woher weißt du das? Du hast mir davon nichts erzählt.«

»Weil es mir nicht wichtig erschien. Ich weiß es von Dippmann selbst, als ich ihn letzthin wegen seiner Magenbeschwerden behandelt habe. Er bemerkte recht grimmig, daß er auf diesen John leicht verzichten könne und daß seine Beschwerden wohl auf ihn zurückzuführen wären.

»Dann stehe ich mit meiner Meinung also nicht allein da«, sagte Fee zufrieden.

»Ganz gewiß nicht.«

Das konnte man laut sagen. In der Mittagspause ließen sich einige der Angestellten, die ihre Mahlzeit in einem benachbarten Restaurant einnahmen, unwillig über Rainer John aus.

Sogar die Kassiererin, Frau Heindl, die schon seit zwanzig Jahren in der Firma tätig war, regte sich über ihn auf.

»Was dieser Schnösel eigentlich will«, meinte sie, »hat von Tuten und Blasen keine Ahnung und betont nur immer wieder, daß er Akademiker sei. Ich möchte wissen, was der studiert hat. Es macht schon fast keinen Spaß mehr. Wenn ich eine andere Stellung finde, kündige ich.«

Doch sie wußte, daß das in ihrem Alter nicht so einfach sein würde, denn sie ging schon auf die Fünfzig zu.

»Nötig scheint er es doch nicht zu haben«, sagte eine junge Verkäuferin. »Er hat schon wieder einen neuen Wagen. Diesmal einen ganz tollen Renner.«

»Alles Angabe und nichts dahinter«, meinte Frau Heindl.

»Aber er ist der einzige Verwandte von Herrn Heller und wird schließlich doch mal alles erben.«

»Dann hätte er doch schon geerbt«, sagte nun Frau Heindl wieder. »Nein, der Heller war wirklich helle, der hat bestimmt ein ganz vertracktes Testament gemacht. Wenn der John der Erbe wäre, würde er sich noch viel mehr aufspielen, und den Herrn Dippmann hätte er auch schon rausgesetzt. Wenn der auch seine Mucken hat, vom Geschäft versteht er was. Na ja, dann wollen wir mal wieder, Leute. Hoffentlich ist der kleinen Pflüger nicht zuviel passiert.«

Katrin war beliebt, obgleich sie immer zurückhaltend war und auch nie an der Tischrunde teilnahm.

»Ich erkundige mich heute abend mal«, sagte Sonja Moralt. »Wir wohnen ja in der Nähe. Ich habe ihr schon ein paarmal gesagt, daß sie nicht mit dem Radl fahren soll, aber sie spart ja, wo sie nur kann.«

Sonja brauchte nicht zu sparen. Ihr Vater war Taxiunternehmer und verdiente sehr gut. Sie war Verkäuferin geworden, weil sie in der Schule keine Leuchte gewesen war, aber sehr viel Neigung für diesen Beruf zeigte. Sie war ein geselliges Mädchen, das Leben und Abwechslung brauchte und sehr kontaktfreudig war. Sie war das, was man flott nannte und verstand es auch, den Kunden etwas aufzuschwatzen, was sie eigentlich gar nicht haben wollten.

Sie war neunzehn und bereits verlobt mit dem Sohn eines Elektromeisters, der das Geschäft seines Vaters übernehmen sollte.

Obgleich sie immer schick gekleidet war, konnte sie Katrin nicht in den Schatten stellen, und das wußte sie auch. Getauscht hätte sie aber doch nicht gern mit Katrin, denn ihr angenehmes Leben war ihr lieber. In anderer Art als Katrin war sie sogar sehr nett. Und sie hatte Rainer John, der schon ein paarmal versucht hatte, mit ihr anzubandeln, gestrichen, wie sie selbst sagte.

Sie hakte sich bei Frau Heindl ein, als sie zurückgingen.

»Übrigens habe ich John neulich mit so einem Dämchen gesehen, mehr Halbwelt als Welt«, sagte sie gedämpft. »Ich will es nur nicht herumtratschen, sonst kommt es ihm zu Ohren, und dann ekelt er mich raus.«

»Na, das paßt ja zu ihm«, sagte Frau Heindl brummig, »er ist ja auch so ein Gigolo. Vielleicht hat Herr Heller für ihn eine Bewährungszeit angeordnet.«

»Ich bin ja nicht gerade ein Geisteslicht, oder wie man das nennt, aber um den nicht zu durchschauen, müßte man schon Tomaten auf den Augen haben. Jedenfalls soll er mich nicht antippen, sonst kriegt er es mit meinem Ernstel zu tun, und wo der hinhaut, da wächst kein Gras mehr.«

*

Robert Brehm hatte seine Mittagspause dazu benutzt, um Katrins Eltern aufzusuchen. Sie kamen gerade aus der Klinik, und Lotte Pflüger mußte sich fertig machen, um ins Geschäft zu gehen.

Sie kannte Robert vom Sehen, da sie hin und wieder auch ins Kaufhaus Heller ging. Jetzt war sie sehr überrascht, ihn hier zu sehen.

»Entschuldigen Sie bitte«, begann er höflich, »ich habe von dem Unfall gehört und wollte mich nach Katrin erkundigen.«

»Das ist sehr freundlich«, erwiderte Frau Pflüger, »es ist Gott sei Dank glimpflich abgegangen. Sie darf morgen schon wieder heim, und sie will auch bald wieder ins Geschäft kommen.«

»Sie soll sich ruhig schonen«, sagte er leise. »Würden Sie ihr bitte meine besten Grüße und Genesungswünsche ausrichten?«

»Ja, sehr gern«, erwiderte Frau Pflüger, während ihr Mann den Jüngeren sehr forschend musterte.

Das Ergebnis fiel günstig für den jungen Mann aus. Hermann Pflüger war ein kritischer Mann. Mit den Sprüchemachern hatte er es gar nicht. Er war immer den geraden Weg gegangen und hatte sich nie durch Äußerlichkeiten beeindrucken lassen, auch nicht durch eine dicke Brieftasche.

Sauber und anständig, so schätzte er Robert ein, und gut aussehen tat er auch. Er schien allerhand für Katrin übrig zu haben, sonst wäre er wohl nicht selbst und auch nicht so schnell gekommen.

Es war unausbleiblich, daß sie sich eines Tages einem Mann zuwenden würde, aber er wollte darauf achten, daß sie nicht an den Falschen geriet. Katrin war sein Kleinod.

Er wollte sie glücklich sehen, und das wollte er auch noch erleben.

»Darf ich morgen noch mal vorbeischauen?« fragte Robert.

Lotte Pflüger sah ihren Mann fragend an. Der nickte, und sie war erstaunt.

»Am besten gegen Abend«, erwiderte er. »Dann ist meine Frau auch zu Hause.«

Robert dankte und verabschiedete sich. »Ganz netter Junge«, stellte Hermann Pflüger wortkarg fest.

»Und sehr tüchtig soll er auch sein«, sagte seine Frau.

Schnell machte sie ihrem Mann nun das Essen warm, das sie am Vortag schon vorgekocht hatte, und dann ging sie zu ihrem Geschäft.

Dort wußte man schon, daß Katrin verunglückt war. Eine Angestellte war an der Unfallstelle gewesen. Teilnahmsvoll erkundigte man sich, wie es Katrin gehe. Frau Pflüger war hier genauso beliebt wie Katrin im Kaufhaus. Man war erleichtert, daß nichts Schlimmeres passiert war.

Der Tag verging wie jeder andere, auch in der Praxis von Dr. Norden, der dann allerdings noch kurz nach sechs Uhr Besuch bekam.

Es war Renate Büchner, die sich nach dem Befinden von Katrin erkundigen wollte. Er erkannte sie nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit hatte an der Unfallstelle Katrin gegolten.

Sie sagte, daß sie den ganzen Tag an das Mädchen hatte denken müssen.

»Wir möchten sie besuchen und ihr eine kleine Freude bereiten«, sagte sie verlegen. »Wir haben sie morgens schon öfter gesehen. Sie fällt ja auf. Sie hat bestimmt nicht die geringste Schuld an dem Unfall gehabt, denn sie ist ganz vorschriftsmäßig und vorsichtig gefahren, Herr Doktor.«

»Ich kenne Katrin. Ich weiß, daß sie vorsichtig ist«, erwiderte er.

»Man muß diesen Kerl doch finden. Wir möchten zu gern dazu beitragen.«

»Vielleicht hilft der Zufall«, meinte Dr. Norden.

»Wir werden jedenfalls die Augen offenhalten. Wenn wir uns nur die Nummer gemerkt hätten. In welche Klinik ist sie denn gebracht worden?«

»In die Behnisch-Klinik, aber sie kann morgen schon wieder nach Hause gehen.«

Sie atmete erleichtert auf. »Gott sei Dank, daß es nicht schlimmer ausgegangen ist.«

Katrin hatte keine Ahnung, wieviel Menschen sich um sie sorgten, und erst recht nicht, daß sie Robert Brehm eine unruhevolle Nacht bereitete. Sie hatte doch noch mal ziemliche Schmerzen bekommen, und sie bekam wieder eine Injektion und versank dann in einen Tiefschlaf, der sie alles vergessen ließ.

*

Sonja Moralt war auch bei den Pflügers erschienen. Sie hatte Blumen, Süßigkeiten und ein paar Bücher für Katrin mitgebracht. Die Kolleginnen hatten gesammelt, um Katrin eine Freude zu machen.

Sie freute sich ehrlich, daß Katrin bald wieder nach Hause kommen konnte.

»Sie soll sich nur kein Bein ausreißen«, meinte sie. »Das dankt ihr keiner.« Und sie gab auch der Hoffnung Ausdruck, daß man den Schuldigen erwischen würde.

»Ist doch nett, wie man sich um Katrin kümmert«, sagte Frau Pflüger.

»Es muß immer erst was passieren«, brummte ihr Mann, »aber hinterher ist auch alles schnell vergessen. Du weißt ja, wie es bei mir war.«

»Jeder hat halt sein Päckchen zu tragen«, meinte sie einsichtig. »Wir sind uns ja auch selbst genug.«

»Eines Tages wird Katrin heiraten«, sagte er nachdenklich. »Vielleicht geht sie dann weit fort.«

Lotte Pflüger blickte stumm auf den Tisch. »Ich mag nicht daran denken«, sagte sie nach einem langen Schweigen leise.

»Es ist der Lauf der Zeit, Lotte. Wir wollen dankbar sein für die schönen Jahre mit ihr. Sie hat uns nur Freude gemacht.«

»Du sollst nicht reden, als wäre das vorbei.«

»Sie wird bald achtzehn«, sagte er gedankenvoll. »Da kann sich manches ändern.«

Lotte Pflüger sagte nichts mehr. Ihre Gedanken weilten in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft.

*

Robert Brehm wurde am nächsten Morgen zu Direktor Dippmann gerufen. Der Blick, den Rainer John ihm nachschickte, konnte man als ausgesprochen gehässig bezeichnen.

Da Robert sich keiner Schuld bewußt war, hätte ihn dieser Blick allerdings auch nicht gestört.

Man konnte den Empfang freundlich nennen, obgleich Konrad Dippmanns Gesicht undurchschaubar war wie immer.

»Nehmen Sie bitte Platz, Herr Brehm. Ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen«, wurde Robert aufgefordert. »Zuerst eine Frage: Wissen Sie, wie es der kleinen Pflüger geht?«

Wollte er nur auf den Busch klopfen? Ahnte er, daß Robert größeres Interesse an dem Mädchen hatte?

Robert wußte sehr gut, daß es zu Herrn Dippmanns Prinzipien gehörte, keine persönlichen Beziehungen innerhalb des Betriebes zwischen männlichen und weiblichen Angestellten zu tolerieren. Aber er wollte doch lieber bei der Wahrheit bleiben.

»Ich habe mich erkundigt«, gab er zu. »Es ist glücklicherweise noch verhältnismäßig gut abgegangen.«

»Freut mich«, sagte Konrad Dippmann. »Ein nettes Mädchen, und anscheinend doch auch recht tüchtig. Sie können das besser einschätzen als ich. Würden Sie mir bitte sagen, welchen Eindruck Sie von ihr während dieser wenigen Monate gewonnen haben?«

Robert war verblüfft und nun doppelt auf der Hut. Was sollte das bedeuten? Niemals zuvor hatte Dippmann eine Beurteilung von ihm über eine Angestellte verlangt.

Aber er konnte unbesorgt bei der Wahrheit bleiben. »Der Eindruck ist ausgezeichnet«, sagte er. »Man läßt sich gern von ihr beraten. Sie ist zwar sehr zurückhaltend, den Kunden gegenüber aber sehr verbindlich.«

»Also keinerlei Beanstandungen?«

»Nein.«

»Und was können Sie über Herrn John sagen?«

Das kam nun doch sehr überraschend. »Dazu möchte ich mich nicht äußern«, erwiderte Robert ruhig, »es steht mir nicht zu. Er ist mein Vorgesetzter.«

»Ihr Vorgesetzter bin ich. Wir wollen das nicht so eng sehen, Herr Brehm. Aber Ihre Zurückhaltung sagt schon einiges. Ich bin daran interessiert, daß unsere gute Atmosphäre erhalten bleibt.«

Was sollte das? Robert wußte keine Erklärung, und dazu äußerte sich Konrad Dippmann auch nicht weiter. Er besprach noch einige geschäftliche Angelegenheiten mit Robert, die er wohl hätte mit John besprechen sollen. Auch darüber mußte sich Robert wundern. Er ging ein wenig ratlos in die Verkaufsräume zurück. Es

herrschte ein ziemlicher Trubel. Man merkte, daß Monatsanfang war und das Wetter sich gebessert hatte. Pfingsten stand vor der Tür.

Rainer John trat auf ihn zu. »Was wollte Dippmann denn von Ihnen?« fragte er lauernd.

»Es betrifft nur meinen Arbeitsbereich«, erwiderte Robert kühl.

John kniff die Augen zusammen. »Spielen Sie sich bloß nicht zu sehr auf. Vielleicht ändert sich hier bald was. Man könnte auf Sie und manchen andern verzichten.«

Es konnte Robert nicht erschüttern. Er wußte, daß er mit seiner Qualifikation jederzeit eine andere Stellung finden konnte. Ihm hatte diese gefallen, weil ihm das Milieu vertraut war, auch weil er sich hier in der Nähe eine hübsche kleine Wohnung eingerichtet hatte und nicht dem Trubel der City ausgesetzt war. Aber eines wußte er genau: Wenn für Katrin hier kein Platz mehr war, dann wollte er auch nicht bleiben. Doch was Herr Dippmann so nebenbei angedeutet hatte, ließ eher darauf schließen, daß auch ihm Rainer John mißfiel.

*

Hermann und Lotte Pflüger waren am Vormittag in die Klinik gekommen, um ihre Katrin abzuholen. Sie war noch einmal gründlich untersucht worden. Dr. Behnisch hatte sie noch für eine Woche krank geschrieben. Für die nächsten Tage sollte sie möglichst viel Bettruhe haben.

Ihr Mann würde schon dafür sorgen, sagte Frau Pflüger.

»Und sollte etwas sein, rufen Sie Dr. Norden«, sagte Dr. Behnisch. »Er übernimmt die weitere Betreuung.«

Ein bißchen schwer fiel Katrin das Gehen noch, aber wehleidig war sie nie gewesen. Dr. Behnisch mußte staunen, wieviel Energie in dem zarten Mädchenkörper steckte.

Herr Pflüger winkte jedoch ein Taxi herbei. »Das wird wohl mal drin sein«, sagte er, als Katrin abwinken wollte.

Und sie hatten gerade Sonjas Vater erwischt, den Herrn Moralt, der eilfertig aus dem Wagen sprang und die Türen öffnete.

»Das wird ein Glück sein, daß Sie schon wieder auf den Beinen sind, Fräulein Pflüger«, freute er sich. »Wenn wir den Kerl erwischen, der Sie über den Haufen gefahren hat, der kann was erleben.«

Er hatte den Taxometer schon abgestellt und weigerte sich entschieden, einen Fahrpreis zu kassieren.

»Da tät’ mir die Sonja schön aufs Dach steigen«, sagte er. »Gute Besserung wünsche ich weiterhin.«

»Sie sind alle so nett«, sagte Katrin leise, und sie wiederholte es, als sie in ihrem Zimmerchen dann die Blumen, die Süßigkeiten und die Bücher sah.

»Herr Brehm war gestern auch hier und hat sich persönlich nach deinem Befinden erkundigt«, sagte Hermann Pflüger.

Katrin errötete und steckte schnell ihr feines Näschen in die Blumen.

»Gefällt er dir?« fragte Lotte.

»Er ist sehr freundlich und sehr korrekt«, erwiderte das Mädchen.

»Er macht einen guten Eindruck«, stellte ihr Vater fest.

»Jetzt essen wir«, lenkte Lotte ab. »Ich muß ja leider gleich wieder weg. Aber ich soll dich auch von unseren Leuten grüßen, Katrinchen.«

Kaum hatten sie sich an den freundlich gedeckten Tisch gesetzt, denn darauf wurde sehr viel Wert gelegt, als es an der Tür läutete.

Es war Renate Büchner, die die Adresse von Dr. Norden bekommen hatte. Sie mußte erst erklären, warum sie diesen Krankenbesuch machte, denn Katrin konnte sich nicht an sie erinnern. Auch sie brachte Schokolade mit und ein Buch.

»Aus unserem Geschäft«, sagte sie leicht verlegen. »Wir hoffen ja sehr, daß dieser Rowdy geschnappt wird, damit Sie ein Schmerzensgeld bekommen, Fräulein Pflüger. Und wenn Sie wieder wohlauf sind, schauen Sie doch mal bei uns herein. Dann ziehen Sie ein paar Lose heraus. Vielleicht ist Ihnen das Glück dabei hold.«

»Ich habe ja schon großes Glück gehabt«, sagte Katrin. »Vielen Dank.«

»Ich habe mir alles noch mal durch den Kopf gehen lassen, jetzt wo der erste Schrecken überstanden ist. Ich glaube, der Fahrer hatte helles Haar, grau oder blond. Aber beschwören könnte ich es nicht.«

Katrin hatte gar nichts mitbekommen. Es war alles so schnell gegangen. Und da sie den Schock so schnell überstanden hatte, wollte sie jetzt gar nicht daran denken, daß es sehr viel schlimmer hätte ausgehen können, wenn die Büchners nicht so schnell gebremst hätten.

»Das ist fast wie Geburtstag«, freute sie sich, als sie den kleinen Tisch betrachtete, auf dem all die Gaben aufgebaut waren.

Am Abend sollte es dann noch mehr geben. Robert Brehm kam gleich nach dem Geschäft.

Er brachte ihr ein zauberhaftes Gesteck aus zartrosa Rosen, weißem Ginster und blauen Anemonen. Dazu einen Gedichtband.

Freude und Verlegenheit bewegten Katrin so sehr, daß sie kein Wort über ihre Lippen brachte.

Er blickte auf das Pflaster an ihrer Stirn. »Tut es noch weh?« fragte er stockend.

»Nur ein bißchen. Es ist sehr nett von Ihnen, daß Sie sich persönlich bemühen, Herr Brehm.«

»Es ist mir ein Anliegen. Ich habe einen großen Schrecken bekommen. Herr Dippmann hat sich auch nach Ihnen erkundigt.«

Er war auch verlegen, daß er nach Worten suchen mußte.

»Tatsächlich?« staunte Katrin. »Und was hat Herr John gesagt?«

Er sah sie forschend an, aber er wußte nicht, was er erwidern sollte.

Katrin lachte leise auf, und das machte sie noch anmutiger.

»Ich kann es mir schon vorstellen. Er wird bemängelt haben, daß ich nicht pünktlich bin. Er hat mich doch ohnehin auf dem Kieker.«

»Vielleicht erwartet er von Ihnen mehr Entgegenkommen, Katrin«, sagte Robert leise.

»Du liebe Güte, da wird er lange warten können«, entfuhr es ihr, »ich finde ihn widerlich. Eigentlich dürfte ich das ja nicht sagen.«

»Mir können Sie es ruhig sagen. Ich teile Ihre Meinung, und ich glaube fast, daß auch Herr Dippmann dieser Meinung ist.«

»Warum setzt er ihn dann nicht vor die Tür? Er eignet sich für diesen Betrieb doch überhaupt nicht.«

»Welchen klaren Durchblick sie doch hatte! Dabei war sie noch so jung.

»Es kann ja möglich sein, daß es Herr Heller so bestimmt hat«, sagte er. »Schließlich ist John sein Neffe.«

»Es wäre schade, wenn er dieses renommierte Geschäft auf den Hund bringen würde«, überlegte Katrin, »aber wie es auch sei, ich finde dann auch woanders eine Stellung.«

»Genau das denke ich auch«, sagte er rasch. »Ich will Sie jetzt nicht zu lange aufhalten. Sie brauchen noch Ruhe.« Er wurde sehr unsicher, aber dann fragte er stockend: »Meinen Sie, daß Ihre Eltern es erlauben würden, wenn ich Sie am Samstag zu einem kleinen Ausflug abholen würde, damit Sie ein bißchen an die frische Luft kommen?«

Ihr Gesicht war in dunkle Glut getaucht, als sie nun scheu zu ihm aufblickte.

»Sie können Ihre Freizeit doch sicher angenehmer verbringen«, flüsterte sie.

»Angenehmer bestimmt nicht«, erwiderte er rasch. »Es wäre eine ganz große Freude für mich. Bisher habe ich nur noch nicht gewagt, Sie zu fragen.«

Ihr junges Herz begann stürmisch zu klopfen. Ein ganz eigenartiges, ihr unbekanntes Gefühl durchströmte sie.

»Ich glaube nicht, daß Mutti und Vati etwas dagegen haben. Sie können mir doch keinen Wunsch abschlagen.«

Er betrachtete sie wieder sinnend. Er hatte nicht den Eindruck von ihr, als hätte sie oft Wünsche geäußert. Ihm war auch noch nie ein Mädchen begegnet, das mit so inniger Liebe an den Eltern hing und für sich selbst so anspruchslos war.

Er befand sich nun zum ersten Mal in ihrem Zuhause. Eine Dreizimmerwohnung war es, mit einfachen Mitteln zu einem urgemütlichen Heim gemacht, das verriet, wieviel Wert darauf gelegt wurde.

Und hier gab es auch keine Heimlichkeiten. Katrin fragte ihre Eltern gleich.

»Wird es da nicht Ärger im Geschäft geben?« gab Hermann Pflüger zu bedenken.

»Ich denke, daß wir über unsere Freizeit selbst verfügen können«, meinte Robert. »Und wir gehen ja nicht in eine Bar. Nur zu einem kleinen Nachmittagsausflug würde ich Ihre Tochter gern einladen. Ich bitte Sie sehr herzlich, es zu erlauben.«

»Warum auch nicht«, brummte Hermann Pflüger.

»Danke, Vati«, sagte Katrin.

»Ich würde dann gegen halb drei Uhr kommen, und um fünf Uhr bringe ich Katrin wieder heim«, sagte Robert. Dann verabschiedete er sich.

»Anstand hat er, das muß man ihm lassen«, sagte Hermann Pflüger, »und du magst ihn anscheinend doch, Katrin.«

»Ich habe es ja nicht bestritten, Vati. Im Geschäft sprechen wir nur dienstlich miteinander.«

»Und privat?« fragte er.

»Privat haben wir heute zum ersten Mal miteinander gesprochen.«

Sie hatten keinen Grund, daran zu zweifeln. Katrin war so aufrichtig, daß ihr auch anzusehen war, wie sehr sie sich über Robert Brehms Einladung freute.

Nie hatte sie Heimlichkeiten vor ihnen gehabt, nie hatte sie ihnen Kummer bereitet.

Welche Eltern konnten das schon sagen?

»Nun bist du bald mündig, mein Kind«, sagte Lotte leise.

»Ach was, Mutti, ich fühle mich gar nicht so. Und ich bleibe doch immer euer Kind.«

Lotte zuckte zusammen. Ihre Augen wurden feucht. »Für uns bleibst du das immer«, flüsterte sie.

*

Als Dr. Norden am nächsten Morgen in die Praxis kam, war das Wartezimmer schon reichlich voll. Diesmal stöhnte sogar Loni.

»Es scheint, als wäre eine Epidemie ausgebrochen«, sagte sie. »Fühlen Sie sich auch so schlapp, Herr Doktor?«

»Ich kann nicht klagen, Loni.« Er sah sie forschend an. »Machen Sie mir bloß keinen Kummer!«

»Ich kann nichts dafür, aber ich habe entsetzliche Kopfschmerzen.«

»Dann marsch nach Hause«, sagte er.

»Das geht doch nicht. Wie wollen Sie es denn hier allein schaffen? Ich nehme eine Tablette. Es wird schon besser werden.«

Aber es wurde nicht besser. Daniel rief seine Frau an, daß sie versuchen solle, eine Aushilfe zu bekommen. Er selbst hatte dazu wirklich keine Zeit.

Loni war tief bekümmert, aber sie konnte kaum noch aus den Augen schauen. Sie brauchte auch jemanden, der sie versorgte, aber sie meinte, daß sie schnell wieder auf die Beine kommen würde.

Was mit ihr los war, war noch nicht festzustellen. Daniel wollte mittags nach ihr sehen. Jedenfalls schien es ein heißer Tag zu werden, heiß im Sinne von Arbeit.

Die meisten Patienten klagten über starke Kopfschmerzen, Schwindel und Abgeschlagenheit. Bei den Kreislauflabilen kamen Herzbeschwerden hinzu. Dr. Norden wußte tatsächlich nicht, was er zuerst machen sollte, denn auch das Telefon klingelte dauernd.

Nachdem Fee dreimal vergeblich versucht hatte, eine ihr bekannte Aushilfe zu erreichen, entschloß sie sich, selbst in die Praxis zu fahren.

Das konnten die Kinder nun gar nicht verstehen, aber Lenni würde es ihnen schon erklären, meinte Fee.

Erbaut war Daniel nicht, daß sie selbst kam. Wenn es sich wirklich um ein Grippevirus handelte, der noch nicht zu diagnostizieren war, bestand die Möglichkeit, daß die Kinder auch noch angesteckt wurden, denn Fee konnte sich unmöglich so fernhalten von ihnen wie er.

»Du kannst es unmöglich allein schaffen, Daniel«, erklärte Fee. »Ich suche dir wenigstens die Karten heraus und bediene das Telefon.« Und nebenbei konnte sie dann auch noch versuchen, Molly zu erreichen. Vielleicht machte sie nur Einkäufe.

Molly, mit vollem Namen Helga Moll, war früher Sprechstundenhilfe bei Dr. Norden gewesen, als sie getrennt von ihrem Mann lebte und ihre drei Kinder ernähren mußte.

Dann aber hatte ihr Mann in ein geregeltes Leben zurückgefunden, seine Wetterei gelassen, für die er viel Geld gebraucht hatte, und die Ehe war wieder in Ordnung gekommen.

Aber als sich dort endlich jemand meldete, war es auch nur eine krächzende Stimme. Molly war auch krank, und Fee wollte da gar nicht sagen, warum sie angerufen hatte. Sie sagte nur, daß sie sich mal nach dem Befinden erkundigen wolle.

Derzeit war es alles andere als gut, und Molly bedauerte, daß der Weg zu ihnen zu weit sei, um den Herrn Doktor zu bitten, mal nach ihr zu sehen.

Nein, dazu hätte Daniel wahrhaftig keine Zeit gehabt. Aber wenn Loni mehrere Tage ausfiel, mußte unbedingt eine Vertretung für sie beschafft werden.

Endlich kam Fee die rettende Idee. Ilse Bader, die eine Zeit lang in der Behnisch-Klinik im Büro beschäftigt gewesen, dann beim Skifahren verunglückt war und lange Zeit im Unfallkrankenhaus gelegen hatte. Vielleicht war sie jetzt wieder genesen.

Sie war es! Sie freute sich schon, als Fee sich meldete. Und sie war sofort bereit, einzuspringen.

Fee sagte, daß sie ihr ein Taxi schicken würde, aber Ilse Bader erklärte, daß sie jetzt selbst einen Wagen hätte.

Schlecht konnte es ihr zumindest finanziell nicht gehen, also war es wohl ein Freundschaftsdienst, den sie den Nordens leisten wollte.

Aber Fee war erschrocken, als Ilse dann schon eine halbe Stunde später kam, im Gegensatz zu früher um Jahre gealtert und sehr ernst.

Unwillkürlich blickte Fee auf ihre linke Hand. Sie trug keinen Verlobungsring mehr.

Ilse hatte den Blick bemerkt. »Die Verlobung ist geplatzt«, sagte sie. »Ich bin jetzt richtig froh, daß ich auf andere Gedanken komme. Aber zum Plaudern ist jetzt wohl keine Zeit. Nett, daß Sie an mich gedacht haben.«

Sie fand sich schnell in die Arbeit, schneller als Fee.

»Loni ist krank geworden«, erklärte Fee, »und hier geht es hoch her. Passen Sie nur auf, daß Sie sich nicht anstecken, Ilse.«

Sie war es gewohnt, sie so zu nennen, und Ilse Bader war darüber erfreut. Ihr ernstes Gesicht hellte sich auf.

»Ich bin immun, gegen alles immun«, erwiderte sie mit einem flüchtigen Lächeln.

»Wir werden uns ein andermal unterhalten können, Ilse«, sagte Fee. »Ich fahre jetzt mal zu Loni und schaue, ob sie gut versorgt ist. Das kann ich meinem Mann abnehmen.«

Und es war gut. Die Nachbarin hatte zwar den Schlüssel, und sie schaute selbst auch gerade nach der kranken Loni, aber Fee mußte feststellen, daß Loni hohes Fieber bekommen hatte.

Sie durfte nicht allein gelassen werden und der Nachbarin, die Mann und Kinder hatte, konnte man nicht zumuten, daß sie zusätzlich noch die Krankenpflege übernahm.

Im Augenblick war Loni kaum ansprechbar. Fee war sehr besorgt. Sie war zwar selbst praktizierende Ärztin gewesen, bis die Kinder gekommen waren, aber was das für eine Grippe sein konnte, wußte sie auch nicht.

Sie rief Dr. Behnisch an. Seine Frau Jenny war am Apparat. Schnell sagte Fee, was sie auf dem Herzen hatte.

»Am besten wird sein, wenn wir sie herholen lassen«, meinte Jenny Behnisch.

Fee war froh, daß sie gleich das erwartete Verständnis fand, obgleich die Behnisch-Klinik stets an Bettenmangel litt. Aber sie wußte, daß es Loni einen Schock versetzt hätte, wenn sie in einem fremden Krankenhaus aufgewacht wäre.

Es war das erste Mal, daß Loni richtig krank war, seit sie in der Praxis tätig war. Fee machte sich große Sorgen um sie und war erleichtert, als der Krankenwagen kam.

Loni schlug die Augen auf, als sie auf die Trage gehoben wurde. Sie sah Fee an, aber ihre Gedanken waren weit fort.

Es war nur gut, daß die Behnisch-Klinik seit einigen Monaten in einem Anbau eine Isolierstation untergebracht hatte.

Zum Schutz ihrer Kinder beschloß Fee, mit zur Klinik zu fahren und durch die Schleuse zu gehen, in der die Bazillen vernichtet wurden. Dieter Behnisch hatte keine Kosten gescheut, um diese Klinik auf das Modernste auszustatten. Fee wußte Loni gut aufgehoben und hoffte nur, daß sich ihr Zustand bald bessern würde.

Als sie heimkam, ermahnte sie die Kinder eindringlich, nicht gleich auf den Papi zuzustürzen, wenn er heimkam.

»Er muß erst ins Bad und sich umkleiden«, erklärte sie.

»Hat er sich dreckig gemacht?« fragte Danny.

»Ist er hingefallen?« fragte Felix ängstlich.

Sie waren doch noch ein bißchen zu klein, um zu verstehen, wie gefährlich eine Infektionskrankheit werden konnte, aber Fee erklärte es ihnen, so gut sie konnte.

Lenni war voller Mitgefühl für Loni, mit der sie sich ausnehmend gut verstand. Beide hatten sie ihre Männer früh verloren. Lenni ihren Mann gleichzeitig mit ihrer Mutter durch einen Unfall. Lonis Mann war nach schwerer Krankheit gestorben.

Nun war Lenni aber auch sehr besorgt, daß die Kinder krank werden könnte, wenn diese Grippe um sich griff. Und es bereitete ihr auch Sorgen, daß der Doktor an diesem Tag nicht mal Zeit hatte, zum Essen zu kommen.

Daniel war recht froh, daß Fee ihm die Sorge um Loni abgenommen hatte. Er wußte tatsächlich nicht, was er zuerst machen sollte, obgleich sich Ilse Bader als wirklich tüchtige Hilfe erwies.

Bis er alle Patienten abgefertigt hatte, war es schon fast ein Uhr geworden, und eine lange Liste von erwünschten Hausbesuchen lag indessen auch schon vor.

Wieder einmal hatte er allen Grund, sich darüber Gedanken zu machen, daß die Zahl der Hausärzte immer mehr zusammenschmolz. An diesem Tag hatte er es wieder so richtig erlebt, wie schädlich es für manch einen Kranken war, den Arzt in der Praxis aufsuchen zu müssen.

Schädlich für den Kranken selbst und schädlich auch für die anderen Patienten, die bisher von der Ansteckung noch verschont waren.

Auch in diesem Beruf schien der Idealismus am Aussterben zu sein, der Drang nach dem Geldverdienen dagegen breitete sich aus.

Freilich konnte ein Facharzt in einer Stunde das Vielfache verdienen. Hausbesuche raubten Zeit und waren nicht lukrativ genug.

Daniel fand an solcher Entwicklung viel auszusetzen, aber er wußte auch sehr gut, daß er wegen seiner Einstellung von manchen Kollegen hämisch verlacht wurde. Wald- und Wiesendoktor nannten sie ihn hinter seinem Rücken, spotteten über das Sanatorium Insel der Hoffnung, neideten ihm aber andererseits die Hochachtung, die ihm von seinen Patienten in aller Öffentlichkeit entgegengebracht wurde.

Die öffentliche Diskussion über solche und solche Ärzte war entbrannt, und wenn sehr viele harte Kritik hinnehmen mußten, war man über ihn nur voll des Lobes.

Um vier Uhr mußte er eigentlich wieder in der Praxis sein, aber er schaffte es nicht. Mit einer halben Stunde Verspätung kam er dort an. Es ging weiter. Aber Ilse hatte ihm einen Kaffee aufgebrüht, und Lenni hatte eine Platte mit belegten Broten gebracht.

Inzwischen war auch ein Anruf von Herrn Dippmann gekommen. Auch er war erkrankt. Er war für Erkältungskrankheiten sehr anfällig.

Im Kaufhaus Heller griff die Grippe um sich. Allerdings war auch nicht viel Betrieb, denn nun goß es auch noch in Strömen. Dr. Norden sah für die nächsten Tage schwarz. Es bedrückte ihn, daß Dieter Behnisch ihm noch keine Besserung über Lonis Zustand mitteilen konnte.

Er fragte Ilse, wie lange er auf ihre Unterstützung rechnen könne.

»Solange Sie mich brauchen können, Herr Doktor«, war ihre Antwort. Wenigstens das war eine Beruhigung. Er hätte es jetzt wahrhaftig nicht brauchen können, eine umständliche Person um sich zu haben, die dauernd Fragen stellen würde. Er hatte nicht mal Zeit, darüber nachzudenken, was diese fröhliche, hübsche Ilse Bader so verändert hatte. Nur der Skiunfall konnte es doch nicht gewesen sein, obgleich sie lange ans Bett gefesselt gewesen war. Er dachte auch nicht darüber nach, warum sie nicht in die Behnisch-Klinik zurückgekehrt war. Es beschäftigte ihn unausgesetzt, welcher Grippevirus das sein könnte, da sich die vorsorglichen Impfungen als völlig wirkungslos herausgestellt hatten.

Freilich war auch Loni geimpft worden. Gestern war sie noch frisch und munter gewesen, und schon heute war ihr Zustand bedenklich. Eine Lungenentzündung zeigte sich bereits an, wie Dr. Behnisch gesagt hatte.

Als der letzte Patient endlich die Praxis verlassen hatte, war Dr. Norden total erschöpft. Unwillkürlich überfiel ihn der sorgenvolle Gedanke, daß auch er krank werden könnte. Nein, das durfte keinesfalls geschehen! Die Schwäche rührte wohl nur vom Hunger her. Das eine Brot, das er zwischendurch gegessen hatte, konnte ja bei der Beanspruchung nicht ausreichen.

Er rief daheim an und bat, daß Lenni ihm schnell etwas herrichten solle. Einen Besuch machte er auf dem Heimweg noch, da die Wohnung von Frau Gellert auf dem Wege lag.

Bei ihr genügte zwar schon das Wort Grippe, daß sie sich krank fühlte, aber in diesem Fall konnte es ja möglich sein, daß auch sie sich infiziert hatte. Sie war eine wunderliche alte Dame. Sie hatte an allem und jedem etwas auszusetzen. Nur Dr. Norden fand Gnade vor ihren Augen. Er war nachsichtig mit ihr, denn mit fast achtzig Jahren trug wohl auch die Vereinsamung mit dazu bei, daß der Mensch eigenartig wurde.

Sie hatte nur einen Schnupfen, ohne Fieber und andere Begleiterscheinungen. Er ließ ihr harmlose Tabletten und Tropfen da, und sie bedankte sich für seine Fürsorge. Er war froh, aus ihrer überheizten Wohnung wieder herauszukommen, aber es wäre sinnlos gewesen, ihr zu raten, die Heizung zurückzudrehen. Da wäre sie wieder mit zahlreichen Gegenargumenten gekommen.

Als er heimkam, mußte er auf den Begrüßungskuß verzichten. Vorsichtshalber, wie Fee meinte.

Die Kinder winkten ihm von der Tür her zu. »Dürfen kein Bussi geben«, sagte Danny, »wegen der Baktillen.« Er mischte Bakterien und Bazillen, aber er zauberte damit ein Lächeln um Daniels Mund.

Lenni hatte das Essen schon auf den Tisch gestellt. »Ich muß gleich weiter«, erklärte Daniel. »Umziehen lohnt sich jetzt auch nicht. Nur gut, daß Ilse einspringen konnte. Loni muß sich auskurieren.«

»Ich habe Ilse gar nicht gefragt, ob sie bleiben kann«, meinte Fee.

»Solange sie gebraucht wird«, erwiderte Daniel.

»Ihre Verlobung ist geplatzt«, warf Fee ein.

»So?« staunte er. »Ich dachte, es war die große Liebe?«

»Der Mensch denkt, und Gott lenkt«, meinte Fee. »Vielleicht tut ihr Ablenkung ganz gut.«

»Dieter hätte sie bestimmt wieder mit Kußhand genommen«, murmelte Daniel zwischen zwei Bissen.

»Dann würdest du ohne Hilfe dasitzen. Vielleicht geniert sie sich, weil sie doch wegen der bevorstehenden Heirat gekündigt hat.«

»Was mag das für ein Heini gewesen sein, der solch ein Mädchen im Stich läßt? Aber der Worte sind genug gewechselt. Ich muß wieder los, mein Schatz. Dippmann steht auch auf der Liste.«

Lenni machte ihrem Unwillen Luft, als er wieder draußen war.

»Die einen machen Feierabend, wenn die Sprechstunde vorbei ist und haben privat geheime Telefonnummern, und die anderen dürfen sich abarbeiten«, brummte sie. »Da habe ich gerade wieder einen Artikel gelesen über die Herren Ärzte, die sich darüber beklagen, daß sie zu wenig Personal haben und zu viele Patienten, aber Zeit genug haben sie, Hunderttausende nebenbei zu verdienen. Ich verstehe so was nicht.«

»Ich auch nicht, Lenni, aber wir wollen froh sein, daß es wenigstens noch ein paar Ärzte gibt, die Idealisten sind.«

Das sagte auch Herr Dippmann, der doch sonst mit jedem Lob geizte. Auch er war sehr schlecht beisammen, wie Daniel feststellen konnte.

Auch seine ebenfalls unverheiratete Schwester, die ihm den Haushalt besorgte, konnte sich nur mühsam auf den Beinen halten.

»Hoffentlich geht im Geschäft jetzt nicht alles drunter und drüber«, stöhnte Konrad Dippmann. »Wenn John sich noch mehr aufspielt, kommt nach der Grippewelle vielleicht die Kündigungswelle. Da hat mir der Wastl was Schönes aufgeladen.«

»Ein Angestellter?« tat Daniel unwissend, während er Herrn Dippmanns Blutdruck und Puls kontrollierte.

»Hellers Neffe«, erwiderte der andere. »Irgendwie war Wastl doch sentimental. Jedem seine Chance hat er wohl gemeint, aber dieser Playboy hat ja nichts im Kasten. Da muß man ja mürbe werden.«

»Wer ist denn nun eigentlich der Erbe?« fragte Daniel beiläufig.

»Wenn ich das nur wüßte. Treuhänder soll ich bleiben bis an mein Lebensende, und man fühlt ja eine Verpflichtung dem einzigen Freund gegenüber. Aber was mal wird, diese Ungewißheit, kann einem zusetzen. Es kostet mich zuviel Nerven.«

Und die psychische Belastung minderte seine Widerstandskraft, wie Dr. Norden für sich dachte. Jedenfalls brauchte auch Konrad Dippmann unbedingte Bettruhe.

»Könnten Sie mir einen Gefallen tun, Herr Doktor?« fragte der Kranke. »Würden Sie Herrn Brehm anrufen, daß er mal zu mir kommt? Wenn ich das tue, kriegt es John spitz, und das möchte ich vermeiden.«

Daniel machte sich eine Notiz. Hoffentlich vergaß er nicht in all dem Trubel, Herrn Dippmanns Bitte zu erfüllen. Aber einem Kranken konnte man ja nicht sagen, daß man mehr zu tun hatte, als Privatwünsche zu erfüllen, außerdem war er schon wegen Katrin ein bißchen neugierig, was da im Gange war. Fees Antipathie gegen Rainer John wurde also auch von Dippmann geteilt. Das stimmte ihn nachdenklich.

Todmüde kam Daniel nach elf Uhr heim. Fee ließ ein Bad einlaufen, als sie seinen Wagen kommen hörte.

»Nun riechst du ganz steril«, sagte sie neckend, als er ins Bett fiel. Die Augenlider klappten ihm zu.

»Erinnere mich morgen früh bitte daran, daß ich Herrn Brehm anrufe«, murmelte er, und dann schlief er schon.

*

Fee hatte es nicht vergessen. Sie erinnerte ihn beim Frühstück daran. »Wieso eigentlich?« fragte sie.

»Herr Dippmann hat mich darum gebeten, damit es dieser John nicht mitbekommt.«

Da sie früher als sonst frühstückten, schliefen die Kinder noch, und sie hatten eine ungestörte Viertelstunde für sich.

Fee begleitete Daniel dann zur Tür. Es regnete immer noch. Sie drückte ihm den Schirm in die Hand. »Und wenn es auch nur ein paar Meter sind, Daniel, paß auf, daß du nicht naß wirst«, ermahnte sie ihn. »Es ist ein ganz gefährliches Wetter.«

Das wußte er auch. Lenni brachte sogar noch ein zweites Paar Schuhe, damit er wechseln konnte, wenn er nasse Füße bekam.

Ilse Bader wartete schon vor der Praxistür. »Ich habe ganz vergessen, Ihnen den Schlüssel zu geben«, entschuldigte sich Daniel.

»Ist nicht so schlimm. Es ist noch niemand da«, erwiderte sie.

Es ließ sich auch ganz ruhig an. Die Kranken blieben bei diesem gräßlichen Wetter anscheinend doch lieber im Bett. Daniel hatte ein paar Minuten Zeit, um mit Ilse zu sprechen, bis die Patienten kamen, die regelmäßig ihre Spritzen bekommen mußten.

»Wollen Sie nicht wieder in die Behnisch-Klinik zurück?« fragte er ohne lange Vorrede.

Sie schüttelte verneinend den Kopf. »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zusätzlich zu sorgen«, erwiderte sie leise.

»War es denn so schlimm?« fragte er behutsam.

»Schlimm genug«, erwiderte sie, aber dann kamen schon die ersten Patienten.

»Erinnern Sie mich bitte, daß ich gegen neun Uhr im Kaufhaus Heller anrufe, Ilse«, sagte Dr. Norden. Er sah nicht mehr, daß ihr Gesicht noch blasser wurde.

Kurz nach neun Uhr klingelte dort das Telefon. Von der Zentrale aus wurde Dr. Nordens Anruf zu Robert Brehms Büro durchgestellt, aber dieser war gerade unterwegs.

Die Sekretärin richtete ihm dann aus, daß er in der Praxis Dr. Norden anrufen möge. Ein heftiger Schrecken durchzuckte ihn, daß etwas mit Katrin sein könnte. Er rief sofort an, und als Dr. Norden sich meldete, lehnte Rainer John an der Tür und beobachtete ihn mit neugierigen Augen. Das paßte zu ihm. Robert ließ sich nicht irritieren. Er bewahrte ruhig Blut, als Dr. Norden ihm ausrichtete, daß er zu Herrn Dippmann kommen solle.

»Danke, Herr Doktor«, sagte er.

John grinste boshaft. »Wollen Sie jetzt auch krankspielen?« fragte er zynisch.

»Ich will vorbeugen«, erwiderte Robert gelassen. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht.

Rainer John lief rot an. Ihn wurmte es gewaltig, daß Robert Brem unangreifbar schien.

Robert dagegen fragte sich, was Dippmann mit ihm besprechen wolle, und warum er daraus ein Geheimnis machte. Aber immerhin war dies ein Beweis, daß John nicht sein Vertrauen genoß.

Er benutzte seine Mittagspause dazu, den Chef aufzusuchen. Konrad Dippmann war immer noch fiebrig. Seine Stimme war sehr heiser.

»Gut, daß Sie so bald kommen, Herr Brehm«, sagte er mühsam. »Es wird diesmal wohl länger dauern, bis ich wieder auf den Beinen bin. Ich wollte Ihnen sagen, daß John keine Handlungsfreiheit hat. Sollte er etwas tun oder unternehmen, was unseren Prinzipien widerspricht, möchte ich sofort benachrichtigt werden. Ich werde solche Order noch offiziell geben, aber vor allem hoffe ich, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Wieviel Krankheitsfälle haben wir?«

»Sechs, aber es ist auch ziemlich ruhig. Wir kommen zurecht.«

»Schauen Sie John auf die Finger.«

»Das wird er sich kaum gefallen lassen«, erwiderte Robert.

»Ach was, Sie machen das schon diskret. Sie können ruhig zugeben, daß Sie von ihm genauso wenig halten wie ich. Er hat sich in die Firma hineingemogelt. Ich konnte es bisher nur nicht beweisen, und ausgerechnet jetzt muß ich krank werden. Bitte, lassen Sie sich nicht provozieren. Tun Sie mir den Gefallen und werfen Sie nicht alles hin, wenn Sie sich ärgern, ich habe mich jeden Tag geärgert, aber ich habe alles geschluckt in der Hoffnung, daß sich in absehbarer Zeit einiges ändern wird.«

»Ich werde mich bemühen, Ihrem Vertrauen gerecht zu werden«, sagte Robert. »Hoffentlich geht es Ihnen bald wieder besser.«

»Das hoffe ich auch.«

*

Fee war am Vormittag in die Behnisch-Klinik gefahren. Sie durfte noch nicht zu Loni, aber ein paar Minuten konnten sie sich durch das Fenster unterhalten. Loni hatte eine verhältnismäßig ruhige Nacht gehabt. Das Fieber war gesunken. Sie war allerdings noch sehr matt.

»Es tut mir so leid«, sagte sie. »Gerade jetzt, wo soviel zu tun ist.«

»Frau Bader hilft aus«, sagte Fee beruhigend. »Ilse Bader. Sie machen sich jetzt keine Sorgen, Loni.«

Für Dieter und Jenny Behnisch war es eine Überraschung gewesen, daß Ilse Bader für Loni eingesprungen war.

»Sie hatte doch in der Lotterie gewonnen und wollte heiraten«, sagte Jenny. »Wir wußten gar nicht, daß sie wieder hier ist. Warum hat sie sich denn nicht mal bei uns blicken lassen?«

Das wußte Fee auch nicht. Ebensowenig wußte sie, daß Ilse in der Lotterie gewonnen hatte.

»Was war das eigentlich für ein Mann, mit dem sie verlobt war?« fragte sie.

»Keine Ahnung. Wir haben ihn nie zu Gesicht bekommen. Jedenfalls war es ein Mediziner«, sagte Jenny.

Zur gleichen Zeit brachte Ilse Dr. Norden eine Tasse Kaffee. Acht Patienten hatte er abgefertigt, und jetzt war Ruhe eingetreten, doch wieder wartete eine lange Liste von bettlägerigen Patienten auf ihn.

»Setzen Sie sich doch zu mir, Ilse«, sagte er freundlich. »Sagen Sie mir, wo der Schuh drückt. Es ist nicht gut, wenn man alles in sich hineinschluckt.«

»Ich bin einem Schwindler auf den Leim gegangen«, sagte sie scheinbar gleichmütig. »Er sei Arzt, hat er gesagt, dabei hatte er gerade ein paar Semester Medizin studiert. Ich hatte fünfzigtausend Euro in der Lotterie gewonnen, die er mir abgeschwindelt hat, angeblich, um eine Praxis einzurichten. Herausgekommen ist es, als ich im Unfallkrankenhaus lag. Da hat er mich einmal besucht, und der Stationsarzt kannte ihn. Er war ein netter Mensch und hat mich aufgeklärt, als ich wieder auf den Beinen war. Paul war von der Universität relegiert worden, weil er mit Rauschgift gehandelt hat. Er hat deswegen auch gesessen. Und mein Geld hat er auch durchgebracht. Verstehen Sie nun, daß ich mich verkrochen habe?«

»Sie sind nicht die einzige Frau, der so etwas passiert. Seien Sie froh, daß Sie ihn nicht geheiratet haben.«

Sie lachte heiser auf. »Diese Absicht hatte er doch gar nicht. Für ihn war es ein gefundenes Fressen, eine Dumme gefunden zu haben. Ich war ja auch so vertrauensselig und mußte gleich von meinem Gewinn erzählen. Übrigens war er mit Rainer John befreundet, der jetzt im Kaufhaus Heller Geschäftsführer ist. Deshalb war ich heute morgen so konsterniert, als Sie dort anrufen wollten. Kennen Sie John?«

»Nicht persönlich. Ich wollte auch nicht ihn sprechen. Herr Dippmann, der Direktor, ist ein Patient von mir.«

»Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich dort mal einkaufen wollte und John sah. Ich bin gleich wieder raus.«

»Kennen Sie John näher?«

»Wir waren ein paarmal mit ihm zusammen, als ich Paul noch vertraute. John mochte ich nicht. Er war so ein Nassauer, der sich immer einladen ließ. Blöd wie ich war, habe ich Paul auch noch vor ihm gewarnt, aber er hat mich ausgelacht und gesagt, daß John mal eine große Erbschaft antreten würde. Die beiden paßten zusammen wie zwei Schuhe. So, nun wissen Sie alles, Herr Doktor.«

»Haben Sie diesen Paul mal wiedergetroffen?« fragte er. »Wie heißt er denn mit vollem Namen, wenn ich fragen darf?«

»Paul von Reuchlin, klingt fein, nicht wahr?« fragte sie ironisch. »Hat mir mächtig imponiert. Eigentlich geschieht es mir ganz recht, daß ich so hereingefallen bin. Nein, getroffen habe ich ihn nie mehr.«

»Und Sie haben ihn auch nicht angezeigt?«

»Das konnte ich doch gar nicht. Ich habe ihm das Geld ja freiwillig gegeben. Sollte ich mich auch noch lächerlich machen?«

»Sie sollen jetzt aber auch nicht verbittern, Ilse«, sagte Dr. Norden.

»Mir ist nun wohler, seit ich hier bin«, sagte sie. »Wie gewonnen, so zerronnen.«

»Den Skiurlaub haben Sie doch mit ihm gemeinsam verbracht?«

Sie nickte. »Skifahren konnte er, das muß man ihm lassen«, sagte sie sarkastisch.

»Und wie kam es eigentlich zu dem Unfall?«

»So genau weiß ich das gar nicht. Er fuhr voraus, ich hinterher, und dann kam mir jemand in die Quere. Es ging alles so schnell. Mir war es halt in den Kopf gestiegen. Ich wollte ja immer einen Arzt heiraten. Frau von Reuchlin, hätte doch vornehm geklungen«, lachte sie bitter auf. »Schwamm drüber.«

Nun kannte er ihre Geschichte. Sie würde wohl noch einige Zeit brauchen, um darüber hinwegzukommen, aber sie war noch jung genug, um die Welt bald wieder in hellerem Licht sehen zu können.

John dagegen rückte in ein immer dunkleres Licht. Sollte er tatsächlich Sebastian Hellers Erbe sein?

*

Die Grippewelle hielt an. Robert Brehm erwischte sie glücklicherweise nicht. Das Wochenende, dem er mit Ungeduld entgegenblickte, kam heran. Und der Himmel hatte sich aufgeklärt.

Pünktlich um halb drei Uhr erschien er bei den Pflügers, um Katrin abzuholen. Sie war noch ein bißchen blaß, aber sonst recht frohgemut. Auch sie freute sich sehr auf diesen Ausflug.

Sinnend blickte Lotte Pflüger den beiden jungen Menschen nach.

»Herr Brehm scheint sich ernsthaft für Katrin zu interessieren«, sagte sie leise.

»Wäre keine schlechte Partie«, bemerkte ihr Mann. »Anständig, fleißig, und weit gebracht hat er es auch schon in jungen Jahren.«

»Du siehst das so nüchtern, Hermann.«

»Das muß man auch. Wenn sie ihn nicht mögen tät’, würde sie nicht mit ihm ausgehen. Und wir wissen schließlich, woran sie bei ihm ist. Es muß alles eine solide Basis haben. Viel mitgeben können wir ihr nicht, Lotte. Er wird auch wissen, woran er ist. Er ist nicht so einer, der nur auf ein Abenteuer aus ist.«

Das war Robert nun ganz gewiß nicht. Er war glücklich, daß er mit Katrin beisammen sein konnte, und sie saß ganz still neben ihm und schaute mit leuchtenden Augen zum Fenster hinaus.

Er fuhr zu den Osterseen. Er war dort schon oft allein gewesen, und im Frühling fand er es am schönsten. Schnell hatte sich die Luft erwärmt, da die Sonne nun vom Himmel lachte.

»Wollen wir ein Stück gehen?« fragte Robert.

»Aber gern. Es ist zwar schön, daß man mit dem Auto so schnell aus der Stadt kommt, aber genießen kann man die Natur doch mehr auf Schusters Rappen«, erwiderte Katrin fröhlich.

Sie sah bezaubernd aus. Er konnte sich gar nicht satt sehen an ihr. Sie fühlte seinen Blick, und ihr Gesicht wurde in rosige Glut getaucht.

»Wie geht es im Geschäft?« fragte sie, um sich selbst auf andere Gedanken zu bringen und das Klopfen ihres Herzens zu beschwichtigen.

»Inzwischen sind es acht Krankheitsfälle, aber wir kommen noch zurecht«, erwiderte er.

»Am Montag bin ich ja wieder da«, sagte sie.

»Ich freue mich darüber, aber jetzt wollen wir nicht vom Geschäft sprechen, Katrin. Wir wollen die paar Stunden genießen. Aber ich hoffe, daß wir uns noch öfter außerhalb des Geschäftes sehen werden.«

Nun wurde seine Stimme schon freier. »Ich hoffe noch mehr«, fuhr er fort, und unwillkürlich griff er nach ihrer Hand.

Katrins Herz begann nun noch stürmischer zu klopfen. Wie elektrisiert war sie, und eine atemlose Spannung erfüllte sie.

»Meinen Sie, daß neun Jahre Altersunterschied zuviel sind?« fragte Robert stockend.

Katrin wagte nicht, ihn anzublicken. »Vati ist zehn Jahre älter als Mutti«, flüsterte sie, »und ich finde das gut.«

Robert legte seinen Arm jetzt um ihre Schultern, und er spürte, wie sie zitterte.

»Ich meine es ernst, sehr ernst, Katrin. Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick«, sagte er leise.

Sie hob ihren Kopf und blickte ihn an. »Liebe«, wiederholte sie gedankenverloren. Ihr Mund lächelte, ein sehnsüchtiger Schimmer war in ihren Augen.

Er zog sie fester an sich. »Ich möchte, daß du meine Frau wirst, Katrin.«

»Ich bin doch nur ein einfaches Mädchen«, sagte sie stockend.

»Du bist das liebste, zauberhafteste Mädchen«, sagte er zärtlich.

Ihre Augen schimmerten feucht. »Ich kann die Eltern doch nicht sobald allein lassen. Sie haben soviel für mich getan und haben es nie leicht gehabt. Ich möchte auch etwas für sie tun.«

»Das können wir doch gemeinsam, Katrin. Du sollst wissen, daß ich dafür Verständnis habe. Es soll alles leichter für dich werden. Ich habe schreckliche Angst um dich gehabt. Weißt du, ich kann nicht viele Worte machen, um dir zu schildern, was ich fühle.« Er beugte sich herab und küßte sie zart auf die bebenden Lippen, und da war es Katrin, als schwebe sie auf Wolken.

Ihre Arme legten sich um seinen Hals, wie von selbst kam das.

»Ich kann es noch gar nicht glauben«, flüsterte sie. »Bestimmt träume ich jetzt nur.«

»Es wird wundervolle Wirklichkeit werden, mein ­Liebes«, sagte er weich. »Jetzt ist es auch für mich noch wie ein Traum, daß ich dich in meinen Armen halten kann. Du ahnst nicht, wie sehr ich mich danach gesehnt habe.«

Ganz unschuldsvoll war ihr Blick, als sie ihn nun wieder ansah. »Woher konntest du denn wissen, daß ich davon träumte?« fragte sie zaghaft.

»Wissen konnte ich es gar nicht«, lächelte Robert. »Dazu warst du viel zu reserviert. Aber so ist eben die Liebe, Katrin. Sie hofft, und ich darf jetzt doch hoffen?«

»Nun weißt du es doch schon, daß ich dich liebhabe«, erwiderte sie.

Mit einem glücklichen Lachen hob er sie empor, so federleicht wie sie war, und drückte sie an sich.

Eng aneinandergeschmiegt gingen sie weiter, und die Zeit eilte dahin. Ganz erschrocken war Robert, als er auf seine Armbanduhr blickte.

»Jetzt muß ich dich aber heimbringen, sonst habe ich bei deinen Eltern gleich verspielt. Und eigentlich wollte ich mit dir doch noch irgendwo Kaffee trinken.«

»Man soll Menschenansammlungen meiden, wenn die Grippe grassiert«, sagte sie schelmisch, »und so war es auch viel schöner.«

Er küßte sie wieder. »Ich werde mich im Geschäft gehörig zusammennehmen müssen«, seufzte er. »Aber lange halte ich das bestimmt nicht durch.«

»John darf auf keinen Fall etwas merken«, meinte Katrin. »Dann hätte er endlich einen Grund, an dir herumzumäkeln. Du bist ihm ein Dorn im Auge.«

Wie klar sie das erkannte! Sie überraschte ihn noch mehr, als sie erklärte, daß sie ihm wohl auch ein Dorn im Auge sei.

»Er ist beleidigt, weil du ihn nicht anhimmelst«, stellte er fest.

»Wer himmelt ihn denn schon an?« fragte sie darauf. »Ist es nicht eigenartig, daß niemand ihn mag? Mir läuft immer eine Gänsehaut über den Rücken, wenn er nur in meine Nähe kommt.«

»Er soll ja nicht wagen, dich anzurühren«, ereiferte sich Robert.

»Das würde ich ihm auch nicht raten«, lachte Katrin hell auf. »Aber er mag mich gar nicht, Robby.«

Lieb sagte sie diesen Kosenamen, doch der nachdenkliche Ernst in diesen Worten machte ihn stutzig.

»Wie kommst du darauf?« fragte er.

»Das ist so ein Gefühl, das man nicht erklären kann. Aber so ist es mir auch lieber.«

Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, als sie zu seinem Wagen zurückgingen. »Ich bin jetzt sehr glücklich, Robby.«

Seine Lippen streichelten ihre Schläfe und ihr seidiges Haar. »Wir werden dieses Glück festhalten, geliebte kleine Katrin«, sagte er innig.

Mit einer halben Stunde Verspätung kamen sie daheim an, aber Katrin hatte kein schlechtes Gewissen.

»Nicht böse sein, Mutti, es war so schön«, rief sie aus, als Lotte Pflüger die Wohnungstür öffnete. »Darf Robby morgen zum Kaffee zu uns kommen?«

So unbekümmert kam es über ihre Lippen, als wäre es ganz selbstverständlich, daß sie ihn beim Vornamen nannte. Frau Pflüger sah Robert verwirrt an. Ein wenig verlegen war er schon.

»Wenn er mit dem Gugelhupf zufrieden ist, soll er ruhig kommen«, mischte sich Hermann ein.

»Mutti backt einen guten Gugelhupf«, sagte Katrin lachend.

»Sie sind herzlich eingeladen, Herr Brehm«, sagte Lotte.

»Herzlichen Dank, ich komme sehr gern.«

Der Blick, mit dem Robert Katrin zum Abschied bedachte, und sein Lächeln sprachen Bände.