East End Phoenix - Der Traum vom Rockstar - Romina Gold - E-Book

East End Phoenix - Der Traum vom Rockstar E-Book

Romina Gold

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Beschreibung

Stell dir vor, dein Nachbar ist ein angehender Rockstar. Klingt gut, oder? Mir allerdings fällt der Typ mit seiner lauten Musik gewaltig auf die Nerven. Als ich mich deswegen bei ihm beschwere, grinst er nur und lädt mich zu einem seiner Gigs ein. Seitdem bin ich süchtig nach der Atmosphäre in den Rockclubs. Nach der ausgelassenen Stimmung, den treibenden Rhythmen, aber vor allem nach den langhaarigen Typen auf der Bühne, die den Laden rocken. Einer hat es mir ganz besonders angetan. Andy, der absolut megaheiße Bassist von Flaming Sword. Als er meine Gefühle erwidert, ist das der Jackpot für mich. Doch dann holt uns der Alltag ein. Andy will raus aus dem tristen Londoner East End und ein berühmter Rockmusiker werden. Für seinen Traum setzt er alles aufs Spiel, sogar unsere Beziehung. Aber nicht mit mir! Ich bin jung, lebenshungrig und sehne mich nach einem Mann, der mich aus tiefstem Herzen liebt. Julies Geschichte ist eine mitreißende Rockstar Romanze, die dich ins pulsierende London der 80er-Jahre entführt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Über dieses Buch

Über die Autorin

Eine kleine Zeitreise

East End Phoenix

Zitat

Personenliste

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Nachwort

Weitere Romane von Romina Gold

Impressum

Über dieses Buch

Stell dir vor, dein Nachbar ist ein angehender Rockstar. Klingt gut, oder? Mir allerdings fällt der Typ mit seiner lauten Musik gewaltig auf die Nerven. Als ich mich deswegen bei ihm beschwere, grinst er nur und lädt mich zu einem seiner Gigs ein.

Seitdem bin ich süchtig nach der Atmosphäre in den Rockclubs. Nach der ausgelassenen Stimmung, den treibenden Rhythmen, aber vor allem nach den langhaarigen Typen auf der Bühne, die den Laden rocken. Einer hat es mir ganz besonders angetan. Andy, der absolut megaheiße Bassist von Flaming Sword.

Als er meine Gefühle erwidert, ist das der Jackpot für mich. Doch dann holt uns der Alltag ein. Andy will raus aus dem tristen Londoner East End und ein berühmter Rockmusiker werden. Für seinen Traum setzt er alles aufs Spiel, sogar unsere Beziehung. Aber nicht mit mir! Ich bin jung, lebenshungrig und sehne mich nach einem Mann, der mich aus tiefstem Herzen liebt. Julies Geschichte ist eine mitreißende Rockstar Romanze, die dich ins pulsierende London der 80er-Jahre entführt.

Über die Autorin

Bereits als Jugendliche fand Romina Gold ihre selbsterschaffene Fantasiewelt spannender als das reale Leben. Damals begann sie, ihre Geschichten aufzuschreiben. Ihre Träume hat sie sich bis heute ebenso bewahrt wie die Leidenschaft fürs Schreiben.

Rominas Bücher sind eine Mischung aus Romantik und Abenteuer, mit denen sie ihren Lesern eine unterhaltsame Auszeit schenken möchte. Ihre schriftstellerische Bandbreite reicht von rasanten Thrillern über dramatische Beziehungsromane bis hin zu zauberhafter Fantasy, jedoch immer garniert mit einer wundervollen Liebesgeschichte.

Die Autorin lebt mit Mann und Hund im sonnigen Südwesten Deutschlands. Ihr Erlebnishunger sowie ihr Faible für fremde Länder finden sich in ihren Romanen ebenso wieder wie ihr Glaube an die wahre Liebe.

Eine kleine Zeitreise

Die 1980er-Jahre waren eine bewegende Dekade. Es war die Zeit des Kalten Krieges, der Luftverschmutzung und des Waldsterbens durch sauren Regen. Die Arbeitslosenzahlen waren hoch, die Zinsen ebenso. Jugendliche ohne Zukunftsperspektive bezeichnete man als Null-Bock-Generation.

Aber nicht alles war mies. Zumindest die Mode war bunt. Inspiriert von der Aerobic-Szene trug man Leggings in Neonfarben und glänzende Stoffe. Röhrenjeans oder Karottenhosen, Oberteile mit Schulterpolstern und schmaler Taille. Eine Menge glitzernder Schmuck rundete jedes Outfit ab. Die Rockmusik-Fans bevorzugten Denim und Leder mit Nietenverzierungen.

Kaum jemand kam ohne Dauerwelle aus. Bei den Frauen waren Lockenmähnen praktisch Pflicht, Männer trugen Vokuhila oder Minipli, manche auch beides zugleich. Der Schnauzbart durfte ebenfalls nicht fehlen.

Die musikalische Dröhnung holte man sich entweder in der Disco oder man ging zu Livekonzerten angesagter Bands. Wenn man mit seinen Freunden auf Open-Air-Festivals abhing, brachte immer jemand einen 5-Liter-Kanister Korea (Cola-Rot) mit, echte Harteier bevorzugten Asbach-Cola.

Musik kam von Schallplatten oder Kassetten (vielleicht erinnern sich manche von euch noch an diesen elenden Bandsalat). Der Traum der 80er-Jahre-Musikverrückten war ein Sony-Walkman.

Smartphones gab es keine, wenn man unterwegs telefonieren musste, ging man in eine Telefonzelle (zu der Zeit waren die in Deutschland gelb). Man unterhielt sich auch nicht per WhatsApp, sondern traf sich und machte die Gegend unsicher.

Und das Allerwichtigste: Twix hieß damals noch Raider.

Ereignisse in 1980:

Der Vulkan Mount St. Helens bricht aus

Der Zauberwürfel ist in allen Händen

John Lennon wird in New York erschossen

Ereignisse in 1981:

Erster Start eines Space Shuttles

MTV geht auf Sendung

Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana Spencer

Ereignisse in 1982:

Das erste Retortenbaby wird geboren

Der erste Commodore 64 kommt auf den Markt

Deutschland gewinnt den ESC (Nicole, ein bisschen Frieden)

Ereignisse in 1983:

Chris Hemsworth wird geboren

Henry Cavill auch :)

East End Phoenix

Der Traum vom Rockstar

Eine Rockstar Novel von Romina Gold

Zitat

All I do is sing the words that paint the picture

(Bruce Dickinson)

Personenliste

Juliette »Julie« Münzner: Freiberufliche Übersetzerin, aufgewachsen in Heidelberg, lebt im Londoner East End

Colin: Julies Nachbar, Drummer bei der Band Virgin Killers

Andy Mitchell: Bassist und Gründer der Band Flaming SwordBarbara »Barbie«: Andys Ex-Freundin Mrs. Mitchell: Andys Mutter Susan Mitchell: Andys Schwester

Nick: Gitarrist bei der Band Flaming SwordMaureen: Nicks Freundin

George: Drummer bei der Band Flaming SwordPamela: Georges Verlobte

Bob: Gitarrist bei der Band Flaming SwordShanelle: Bobs Freundin

John: Sänger bei der Band Flaming SwordTracy: Johns Freundin

Pete: Andys Freund und Sänger bei der Band Virgin KillersVicky: Petes Frau

Mark: Sänger bei der Band TykesSabrina: Marks Ex-Freundin

Kevin: Mitglied der Band RubiconTim: Mitglied der Band RubiconAlan: ehemaliges Flaming Sword-Mitglied Ted Cain: Manager von Flaming SwordRonny Barker: Tontechniker Paul: Andys Freund Elaine: Andys ehemalige Schulkameradin

Die Bands:

Flaming Sword

John – Sänger

Nick – Gitarrist

Bob – Gitarrist

Andy – Bassist

George – Drummer

Virgin Killers (Rebels)

Pete – Sänger

Barry – Gitarrist

Dave – Gitarrist

Brian – Bassist

Colin – Drummer

Tykes

Mark – Sänger

Chris – Gitarrist

Danny – Bassist

Max – Drummer

Kapitel 1

London 1981

»Geht das denn schon wieder los?« Stinksauer warf ich meinen Stift auf den Schreibtisch. Seit einigen Tagen spielte der Kerl im Stockwerk über mir Schlagzeug, bis die Wände wackelten. Er fing in schöner Regelmäßigkeit am frühen Nachmittag damit an und hörte erst volle zwei Stunden später wieder auf. Die Worte des Hausverwalters kamen mir in den Sinn. »Selbstverständlich sind alle Bewohner berufstätig und tagsüber herrscht himmlische Ruhe. Genau wie Sie es wünschen.« Himmlische Ruhe … klar!

Ich arbeitete gerade an einer wissenschaftlichen Artikelserie, aber wenn ich weiter so trödelte, würde ich es niemals bis zum Abgabetermin schaffen. Dies war mein erster Auftrag als freiberufliche Übersetzerin, weswegen ich mir selbst ziemlichen Druck machte. Ich wollte bei der Agentur einen guten Eindruck hinterlassen, außerdem hoffte ich auf eine langfristige Zusammenarbeit.

»Elende Nervensäge«, moserte ich mit einem Blick zur Zimmerdecke, dann presste ich die Hände auf meine Ohren und beugte mich über das Wörterbuch.

Der Typ war heute besonders gut in Form, denn er ließ eine regelrechte Salve an donnernden Rhythmen ab. Dagegen half auch nicht, dass ich mir die Ohren zuhielt. Mir reichte es endgültig. Wutentbrannt fegte ich aus meiner Wohnung und lief die Treppe zum zweiten Stock hinauf, um diesem Möchtegern-Rockstar mal klar zu machen, wie rücksichtslos er sich verhielt.

Der Lärm nahm mit jeder Stufe zu, und als ich vor seiner Wohnungstür stand, überkamen mich Zweifel. Der wilden Musik nach spielte er nicht in einer altersschwachen Jazz-Combo, sondern bei einer Truppe, die es richtig krachen ließ. Vielleicht sollte ich mich doch lieber bei der Hausverwaltung beschweren? In Gedanken verpasste ich mir einen Tritt für meine Feigheit.

Bevor mich der Mut verließ, legte ich einen Finger auf den Klingelknopf und hielt ihn gedrückt. Der Krawallbruder lärmte munter weiter. Ich begann zu zählen. Bei elf brach die Musik ab, bei dreizehn wurde die Tür aufgerissen und ein riesiger Kerl mit schwarzer Mähne stand vor mir. Ich nahm den Finger vom Drücker und schüttelte demonstrativ meine Hand aus.

Sekundenlang starrte mein Nachbar mich an. Sein verdrießlicher Gesichtsausdruck verriet deutlich, was er von der Störung hielt. »Wo brennts denn?«, grollte er.

»Bei mir. Und zwar gewaltig!« Ich stemmte die Fäuste in die Seiten und funkelte ihn an.

Er musterte mich gemächlich von oben bis unten, bevor er seinen Blick erneut auf mein Gesicht heftete und in dröhnendes Gelächter ausbrach. »Das sehe ich.«

Ich rollte mit den Augen. War ja klar, dass er auf meine feuerroten Haare anspielen musste.

»Ich brauche nichts.« Er begann, die Tür zu schließen.

Rasch legte ich meine Hand aufs Türblatt. »Moment. Ich war noch nicht fertig.«

»Bloody hell! Gehörst du zu einer dieser bekloppten Sekten?«

»Sehe ich so aus, als wollte ich dir eine Bibel andrehen? Ich wohne hier, im ersten Stock.«

»Und weiter?«

»Du nervst!«

Lässig lehnte er sich mit einer Schulter gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei rückten die Tattoos, die seine Oberarme bedeckten, in mein Blickfeld.

»Warum arbeitest du nicht?«, fragte er.

»Wie bitte?«

»Der Verwalter hat behauptet, ich könne in Ruhe proben. Angeblich sind tagsüber alle Hausbewohner auf der Arbeit.«

»Dieser Saftsack! Das Gleiche hat er mir erzählt. Also, dass alle auf der Arbeit sind, meine ich.«

Seine Mundwinkel hoben sich. »Saftsack«, nuschelte er, dann lachte er auf. »Du bist lustig.« Er streckte mir seine Pranke hin. »Ich bin Colin.«

»Julie.« Ich schüttelte seine Hand.

»Okay, Julie aus dem ersten Stock. Du hast etwas gegen meine Trommelei?«

»Grundsätzlich steh ich total auf Musik, aber nicht während meiner Arbeitszeit.«

»Mhm.« Er rieb sich über sein unrasiertes Kinn. »Ich muss täglich üben.«

»Dieser Lärm ist unterirdisch«, platzte ich heraus. »Erzähl mir mal bitte, wie ich mich dabei konzentrieren soll.«

»Was machst du denn?«

»Ich bin Übersetzerin.«

»Klingt nach einem echten Job.«

»He, sei nicht so unver…«

»Komm rein«, unterbrach er mich mit einer einladenden Geste. »Wir unterhalten uns mal ausführlich darüber.«

Mit gemischten Gefühlen trat ich ein. Was er wohl unter ausführlich darüber unterhalten verstand? Als er die Tür hinter mir zudrückte, wurde mir doch etwas mulmig. Üblicherweise ging ich nicht einfach mit Fremden in ihre Wohnung. Schon gar nicht, wenn sie so einschüchternd aussahen wie er.

Colin marschierte voran. Ich folgte ihm an mehreren offenen Zimmertüren vorbei, dabei fiel mir auf, dass die Räume genauso aufgeteilt waren wie bei mir. Rechts lag das Schlafzimmer, links befanden sich Bad und Küche, und am Ende des Flurs kam man ins Wohnzimmer mit dem kleinen Essbereich.

Da ich erst vor drei Wochen nach London gezogen war, lebte ich momentan in einer charmanten Unordnung. In seinem Wohnzimmer jedoch herrschte das pure Chaos. Ein riesiges Schlagzeug prangte in der Raummitte. Kein Wunder, dass man ihn bis auf die Straße spielen hörte. Eine schreiend rote Plüschcouch, die zum Glück größtenteils unter einem Kleiderberg verschwand, nahm den Platz vor einer Wand ein. Um einen Esstisch, auf dem zwischen Werbeprospekten und Briefen einige geöffnete Pappschachteln von einem chinesischen Take-away standen, gruppierten sich vier Stühle, an den restlichen Wänden stapelten sich Umzugskisten.

»Setz dich.« Er deutete auf die Essecke.

Obwohl ich ein Federgewicht war, sank ich vorsichtig auf den Sitz. Das Möbelstück machte keinen besonders stabilen Eindruck. Colin besaß mehr Mut, denn er ließ seine riesige Gestalt auf den Stuhl mir gegenüber fallen.

»Ich kann mir meine Zeit zwar frei einteilen«, kam ich direkt zum Thema, »aber ich habe eine Terminarbeit zu erledigen und stehe deswegen ziemlich unter Druck.«

»Verstehe ich das richtig? Du arbeitest in deiner Wohnung?«

»Ja.«

»Okay.« Er nickte. »Vormittags hast du deine Ruhe vor mir, da schlafe ich aus.«

Tolles Leben!

»Meistens beginne ich gegen zwei mit dem Lärm und probe bis um vier. Die Nachbarn haben das inzwischen akzeptiert.« Langsam beugte er sich vor, bis seine Nasenspitze fast die meine berührte. »Nur die Neuen stört es. Aber nie besonders lange.«

Den letzten Satz knurrte er regelrecht und am liebsten hätte ich mich auf der Stelle verzogen. »Na gut«, lenkte ich ein. »Wenn die anderen Hausbewohner nichts dagegen haben, finde ich mich damit ab. Die zwei Stunden halte ich das schon irgendwie aus.«

Colin setzte sich wieder gerade hin. »Tut mir leid, aber ich muss täglich üben. Egal, wann ich spiele, einer fühlt sich immer gestört.«

Er hörte sich echt zerknirscht an, und das versöhnte mich ein wenig. »Vergiss mein Gemecker. Ich kenne ja jetzt deine Übungszeiten und kann danach planen. Immerhin komme ich so in den Genuss von Livemusik. Und das auch noch für lau.«

Eine seiner Brauen schoss in die Höhe. »Ach, auf einmal ist mein Lärm ein Genuss?«

»Was bisher durch die Decke kam, klang super. Wenn ich dabei nicht arbeiten müsste …«

»Dann hör dir den Lärm doch heute Abend an.«

»Übst du da etwa auch? Jetzt übertreibst du es aber.«

»Nein, ich spiele in einer Band und wir haben später einen Auftritt. Magst du Rockmusik?«

»Rock? Du meinst … echten Rock?«, stotterte ich und konnte mein Glück kaum fassen. »Den hört man ja selten genug momentan.«

»Kleine Kostprobe gefällig?« Er sprang auf und steuerte sein Schlagzeug an.

»Kostproben bekomme ich seit Tagen«, informierte ich ihn, doch es war bereits zu spät.

Colin schwang sich auf den Drumhocker und legte los. Nach einer Weile ertappte ich meine Füße dabei, wie sie zu den treibenden Rhythmen wippten.

»Wow!«, rutschte es mir heraus, sobald die letzten Töne verklungen waren. »Du bist nicht zufällig berühmt?«

Feixend schüttelte er das lange Haar zurück und wirbelte die Drumsticks um seine Finger. »Berühmt nicht, aber gut genug, um von der Musik leben zu können.«

»Echt?«

»Yep.«

»Dann gehörst du zu einer bekannten Band?«

»Nein, ich verdiene meine Brötchen als Studiomusiker. Die Band ist mein Nebenprojekt, dort kann ich mich austoben. Wir machen Hardrock.«

»Wie cool. Überall hört man nur Punk, New Wave oder diesen Discosch…« Grinsend verschluckte ich die letzte Silbe.

»Stimmt. Rock ist zurzeit die absolute Nische. Die meisten Pubs und Musikklubs lassen gar keine Rockbands auftreten. Zum Glück gibts hier ein paar Läden, in denen wir regelmäßig spielen können. Die Leute im East End sind einfach anders drauf.«

Ich nickte. »Wo spielt ihr heute Abend?«, fragte ich.

»Im Ruskin Arms.«

»Und wo ist das? Ich wohne erst seit Kurzem in London und kenne noch nicht viel von der Stadt.«

»Kein Problem. Wenn ich nachher losgehe, hole ich dich ab, okay?«

»Super. Wann kommst du?«

»Gegen sieben.«

»Dann bis später.« Ich stand auf.

Colin erhob sich ebenfalls und trat mir in den Weg. »Übrigens, Julie, ich beiße nicht.«

»Hast du mal in einen Spiegel geschaut?«

»Das mach ich jeden Tag. Ich bin doch ein hübsches Kerlchen?«

Ich hob eine Braue, sparte mir jedoch einen Kommentar. »Eigentlich hätte ich auf deinen Anblick gefasst sein müssen bei der Musik«, sagte ich stattdessen.

»Musik? Aha. Vorhin war es noch Lärm.«

»Das hat wohl gesessen.«

Mit einem Schnauben trat er beiseite. »Bis später.«

»Bis dann.«

Ich verließ seine Wohnung und lief die Treppe hinunter. Vielleicht wurde der Abend mit ihm ja ganz nett, sodass ich ab und zu mit ihm weggehen konnte. Ich hatte noch keine Bekanntschaften geschlossen und mich in den vergangenen Wochen recht einsam gefühlt. Als ich meine Wohnung betrat, spielte er bereits wieder. Ich öffnete eine der Umzugskisten und räumte sie aus, denn das hatte ich schon viel zu lange vor mir hergeschoben. Colins Beat begleitete mich dabei, und plötzlich fand ich seinen Lärm gar nicht mehr so schlimm.

Kapitel 2

Kurz vor sieben klingelte Colin bei mir.

»Dein Name hört sich aber nicht englisch an.« Er deutete auf das Klingelschild.

»Münzner«, las ich vor. »Und das J. steht für Juliette. Ich komme aus Deutschland.«

»Echt? Aus welcher Ecke denn?«

»Heidelberg.«

»Heudelböörg, das kenne ich. Dort bin ich mal aufgetreten.«

»Etwa im Schwimmbad Musikklub?«

»Ja.«

»Nicht dein Ernst?«

»Doch. Ich habe drei Jahre in Frankfurt gelebt.«

»Dann sprichst du Deutsch?«

»Lieber nicht, das wäre Körperverletzung.« Colin grinste. »Können wir los?«

Ich schlüpfte in meine Jeansjacke, schloss die Wohnungstür hinter mir und wir verließen das Haus. Nach einer Weile bog Colin in eine schmale Straße ein, wo er vor einem mehrstöckigen Gebäude anhielt.

»Bin gleich wieder da, ich hole nur unseren Gitarristen ab.« Er verschwand in dem unbeleuchteten Hauseingang.

Ich blieb auf dem Bürgersteig stehen. Allein in dieser dunklen Ecke fühlte ich mich unwohl, aber große Lust, ihm zu folgen, hatte ich auch keine. Ich betrachtete die Fassade, und trotz der trüben Straßenbeleuchtung fiel mir der marode Zustand auf. Dem Mauerwerk entströmte ein muffiger Geruch, der auf feuchte Wände hindeutete. Bei der Vorstellung, hier wohnen zu müssen, überlief es mich.

Kurz darauf traten Colin und sein Bandkumpel auf die Straße.

»Hi, ich bin Barry.«

»Julie. Hallo.«

»Ich spiele Leadgitarre«, fügte er hinzu.

»Und ich bin eure neue Sängerin.«

»Was?«

»War nur Spaß. Colin ist mein Nachbar.«

Barry und Colin lachten.

Wir gingen weiter bis zu einem Eckhaus mit Backsteinfassade und spitzen Fachwerkgiebeln. Vorm Eingang parkten Motorräder, der Boden war übersät mit ausgetretenen Kippen, Rockmusik dröhnte zu uns heraus. Beim Anblick der größtenteils PS-starken Kisten musste ich an meinen Vater denken, der ein leidenschaftlicher Biker war. Ein wenig vermisste ich meine Eltern, trotz der Ablenkung, die mir London bot.

Durch eine Seitentür betraten wir das Ruskin Arms. Ich folgte Colin und Barry in ein mickriges Nebenzimmer, in dem sich zwei junge Männer aufhielten. Ich stellte mich vor.

»Ich bin Dave«, sagte der Kleinere.

»Brian.« Der Typ mit der Vokuhila und dem Schnauzer nickte mir knapp zu.

»Wo steckt Pete?«, fragte Colin.

Dave zuckte mit den Schultern. »Wir wollten ihn abholen, aber er war nicht daheim. Wahrscheinlich wieder Überstunden.«

»Wir haben ja noch ein paar Minuten bis zum Auftritt«, warf Barry ein.

»Pete ist unser Sänger«, erklärte mir Colin. »Komm mit, ich zeige dir den besten Platz im Laden, von dort hast du freie Sicht auf die Bühne.«

Ich verkniff mir die Bemerkung, dass es mir reichen würde, die Band zu hören, denn wirklich hinreißend fand ich keinen von der Truppe. Während ich mir seine Reaktion ausmalte, folgte ich ihm durch den Gastraum mit den schwarz gestrichenen Wänden. Colin führte mich zu einem Tisch, an dem zwei langhaarige Typen saßen, die ich auf Mitte zwanzig schätzte.

»Das sind Andy«, - er deutete auf den Dunkelhaarigen, anschließend auf den Blonden - »und Nick.«

»Hi, ich bin Julie.«

»Kümmert euch um die Lady, ich muss Lärm machen.«

»Lärm?«, fragte Nick, dem Colins Betonung aufgefallen war.

»Yeah. Bloody hell.« Er winkte ab und verschwand.

»Gehört ihr zur Royal Hairforce?«, scherzte ich, während ich mich setzte.

Die beiden lachten.

»Yau, wir sind Ehrenmitglieder«, sagte Andy.

Er auf jeden Fall, denn für einen Kerl hatte er traumhaft schöne lange Haare. Sie waren dicht und fielen ihm in leichten Wellen bis weit über die Schultern.

»Ihr seid Freunde von Colin?«, fragte ich.

»Kumpels und Konkurrenten.«

»Wie geht das?«

»Wir machen auch Musik«, erklärte Nick. »Andy spielt Bass und ich Gitarre.«

»Dann spielt ihr heute ebenfalls hier?«

Andy schüttelte den Kopf. »Nein, erst in ein paar Tagen wieder.«

»Gibs zu, ihr spioniert die Konkurrenz aus.«

»Nick, wir sind durchschaut.«

Während ich Andys Lächeln erwiderte, musterte ich ihn unauffällig. Seine Haarpracht umrahmte ein markantes Gesicht mit dunkelbraunen Augen, das schwarze T-Shirt zeichnete die Form seiner breiten Schultern und der straffen Taille nach. Genau mein Geschmack.

»Wie ist denn die Musik von Colins Gruppe?«, wollte ich wissen. »Riskiert man einen Hörsturz?«

Andys Lächeln verbreiterte sich zu einem flegelhaften Grinsen. »Du kennst den Bandnamen nicht, oder?«

Bei seiner Frage wurde mir bewusst, dass mir Colin den Namen tatsächlich nicht verraten hatte. »Nein.« Ich lehnte mich über die verschrammte Tischplatte in seine Richtung. »Ist er denn so schrecklich?«

»Das musst du selbst beurteilen.« Er machte eine theatralische Pause.

»Jetzt sag schon«, drängte ich.

»Sie nennen sich Virgin Killers.«

»Upps?«

Andy zwinkerte mir zu.

»Wie kommt man nur auf so was?«, murmelte ich kopfschüttelnd, während ich mich fragte, was mir, beziehungsweise meinen Ohren, an diesem Abend blühen würde.

»Ich habe dich hier noch nie gesehen«, wechselte Nick das Thema. »Woher kennst du Colin?«

»Wir wohnen im selben Haus. Ich hab ihn mir vorhin zur Brust genommen, weil er mir mit seiner Trommelei auf den Keks gegangen ist.«

»Zur Brust genommen?«, wiederholte Andy, wobei er meine zierliche Gestalt musterte. Ich konnte seine Belustigung gut verstehen, denn Colin überragte mich bestimmt um dreißig Zentimeter.

»Er stört mich seit Tagen beim Arbeiten.«

»Was machst du?«

»Ich bin Übersetzerin.«

»Führst du Touristen durch London?«, warf Nick ein.

»Nein, ich übersetze englische Texte ins Deutsche. Artikel für Zeitschriften, Bücher, Broschüren oder Dokumente. Was man mir gerade anbietet. Mein Arbeitsplatz befindet sich in meiner Wohnung, deswegen stört es mich, wenn Colin probt. Er wohnt im Stockwerk über mir und hat sein Schlagzeug im Wohnzimmer stehen.«

»Da bist du ja echt gef…« Nick verschluckte die letzte Silbe und sah mich mit einem verlegenen Schulterzucken an.

»Yeah, bin ich.« Ich grinste.

»Wie kommst du denn an deine Aufträge?«, fragte Andy.

»Ich bin bei einer Übersetzungsagentur gelistet, außerdem gehe ich direkt bei Verlagen und Firmen klinkenputzen, aber das ist ein mühseliges Geschäft.«

»Die zweite Möglichkeit kennen wir auch bestens.« Andys Miene verdüsterte sich, abrupt stand er auf und griff nach den beiden leeren Gläsern. »Was trinkst du?«

»Das englische Bier würde ich gern mal probieren.«

»Dann bist du hier richtig. Das YoungBitter ist sehr gut.« Er entfernte sich in Richtung Theke.

Ich genoss den Anblick seiner knackigen Kehrseite in der hautengen Jeans, bis er in der Menge verschwunden war. Anschließend richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Bühne, wo Colin das Schlagzeug testete. Brian, Barry und Dave schlossen ihre Gitarren an und spielten einige Takte. Von dem Sänger war immer noch nichts zu sehen. Ich hoffte, dass der Gig nicht ausfallen würde, denn ich war total neugierig auf die Rockmusik, die Colin mir versprochen hatte.

Andy kam mit drei vollen Biergläsern an unseren Tisch. Eins davon stellte er vor mir ab.

»Danke.« Ich zog den Geldbeutel aus der Innentasche meiner Jacke.

»Lass stecken«, meinte er. »Die nächste Runde geht auf dich.«

»Ist das so üblich bei euch?«

»Ja, jeder ist mal dran.«

»Okay, und wie groß ist euer Freundeskreis?«

Andy und Nick lachten, wir hoben die Gläser und prosteten uns zu.

Minuten später erlosch die Raumbeleuchtung, Scheinwerfer flammten auf und strahlten die Bühne an. Gleichzeitig erklangen die ersten Takte. Ein schlanker, hochgewachsener Typ mit langen blonden Haaren stürmte aufs Podest, stellte sich zwischen die beiden Gitarristen und begann zu singen. Das war also Pete. Mir gefiel die Musik. Virgin Killers spielten einen geradlinigen, melodischen Hardrock, der mich stellenweise an Rainbow erinnerte.

»Schreiben sie ihre Songs selbst?«, schrie ich über den Lärm hinweg. Die Konservenmusik war schon laut gewesen, doch die Band setzte noch mal einen drauf.

Andy nickte. »Gefällts dir?«

Ich reckte begeistert einen Daumen in die Luft.

»Macht ihr auch Rock?«, wandte ich mich an Andy, sobald Colin und seine Bandkollegen an der Bar eine Löschpause einlegten.

»Na klar. Was denkst du denn?«

»Nun ja, an jeder Ecke hört man Punk.«

»Sehe ich wie ein Punk aus?«

Ich nutzte die Gelegenheit, um sein anziehendes Äußeres erneut abzuchecken, dann schüttelte ich den Kopf.

»Meine Band heißt Flaming Sword«, fuhr er in einer Mischung aus Begeisterung und Stolz fort.

»Seid ihr besser als Virgin Killers?«

»Wir spielen einen anderen Stil, das kann man nicht vergleichen. Wir sind allerdings genauso bekannt wie die Killers. Nur nützt uns das wenig.«

»Was meinst du?«

Mit einer ungehaltenen Kopfbewegung fegte er seine Haare nach hinten. »Unsere Gage deckt gerade mal die Kosten für den Auftritt. Instrumente, Equipment und Bühnenoutfit finanzieren wir selbst.«

»Wir bekommen zwanzig bis dreißig Pfund«, fügte Nick hinzu. »Teil das durch fünf, das reicht für ein Bier und ein Ticket für die Tube.«

»Das ist echt wenig.« Ich dachte daran, wie viele Stunden Colin mit Proben verbrachte. »Und wovon lebt ihr?«, rutschte es mir heraus.

»Wir arbeiten, vorausgesetzt, wir finden einen Job.« Andy klang angepickt. »Die meisten Arbeitgeber wollen keine Langhaarigen. Wir gelten als unzuverlässig und faul.«

»Willkommen Vorurteile.«

»Ja, und wenn deine Wohnadresse dann noch im East End liegt, wars das komplett.«

»Wieso?«

»Das East End gehört zu den ärmeren Vierteln Londons. Hier leben hauptsächlich einfache Arbeiter, kinderreiche Familien und sozial Schwache. Die Arbeitslosenquote ist entsprechend hoch, außerdem zetteln die Gewerkschaften ständig Streiks an. Das schadet der Produktivität und führt zu Entlassungen. Bist du erst mal deinen Job los, kommst du schnell in eine Abwärtsspirale. Manche wählen dann leider den unehrlichen Weg, um sich das nötige Kleingeld zu besorgen. Sie stehlen, betrügen oder dealen mit Drogen.«

Betroffen sah ich Andy an. Ich hatte zwar gewusst, dass das East End ein Arbeiterviertel war, hatte jedoch angenommen, dass es in den Docks und den Fabriken genügend Arbeitsplätze gab.

»Sorry, ich wollte dir keine Angst machen.«

»Ist schon okay. Verbrecher gibt es in jeder Stadt.«

»Die Ecke, in der du wohnst, ist sicher.« Andy schmunzelte. »East End de luxe.«

»Viele, die hier leben, haben keine Ausbildung gemacht«, warf Nick ein. »Sie können froh sein, wenn sie irgendwo als Hilfsarbeiter unterkommen. Wir hoffen, mit der Band was zu reißen.«

Plötzlich wurde mir klar, warum Colin jeden Tag stundenlang probte. Was ich für einen spaßigen Zeitvertreib gehalten hatte, war für ihn und die anderen Musiker eine Chance auf eine bessere Zukunft. Vielleicht ihre einzige …

»Zurzeit haben wir glücklicherweise alle einen Job«, riss Andy mich aus meinen Überlegungen.

»Was macht ihr?«

»Nick füllt in einem Drogeriemarkt Regale auf. Er sortiert das Klopapier nach Farben.«

»Immerhin stehe ich am Anfang der Kette.« Nick erwiderte Andys Grinsen. »Er ist bei der Müllabfuhr«, teilte er mir süffisant mit.

»Das ist eine sehr wichtige Aufgabe«, konterte Andy.

»Klar. Ohne dich wäre ganz London schon im Dreck erstickt.«

»Unser Drummer, George, schwatzt den Leuten an der Haustür Zeitschriften auf«, überging Andy Nicks Bemerkung. »Bob, der zweite Gitarrist, jobbt in einem Musikgeschäft, und John, das ist unser Sänger, fährt für eine Spedition.«

»Und abends macht ihr noch Musik«, warf ich ein. »Das ist ein guter Stoff für einen Roman.«

»Wer interessiert sich denn schon für Typen wie uns?«

»So? Bin ich etwa niemand?« Gespielt beleidigt zog ich einen Flunsch.

Nick lachte. »Andy redet immer so. Er träumt davon, mit Flaming Sword die Welt zu rocken.«

Mir entging der verärgerte Blick nicht, den Andy seinem Bandkollegen zuwarf. In diesem Moment begannen die Killers mit der zweiten Hälfte ihres Auftritts, und Andy wandte sich der Bühne zu.

Nach dem Gig kam Colin mit seinen Freunden zu uns. Wir rückten zusammen, und sie quetschten sich mit an den Tisch.

»Eure Musik ist echt klasse«, sagte ich in die Runde. »Ich habe gehört, ihr schreibt die Songs selbst.«

»Die meisten stammen von Dave und Pete«, antwortete Colin, wobei er auf die beiden deutete.

Ich sah Pete an, der sich neben mich gesetzt hatte. »Ich bin Julie, hi.«

»Hey. Du bist nicht aus dieser Gegend.«

»Beim ersten Satz schon kalt erwischt. Ist meine Aussprache so schlecht?«

»Nein, sie ist zu perfekt. Wir quatschen alle Cockney. Du hörst dich an wie die Queen.«

»Oh, danke. Du hast gerade meinen Tag gerettet.« Ich rollte mit den Augen.

»Kein Grund, gleich depressiv zu werden«, sagte Andy, der an meiner anderen Seite saß. »Cockney ist East End, das sprechen nur Einheimische.« Er lächelte mich an, und die Art, wie er mich ansah, brachte meine Haut zum Kribbeln.

»Woher kommst du?«, hakte Pete nach.

»Aus Deutschland.«

»Machst du hier Urlaub?«

»Nein, ich lebe in London.«

»Okay, dann besteht ja noch Hoffnung.«

»Worauf?«

»Dass du irgendwann richtig sprechen lernst.«

Lachend tippte ich mir an die Stirn.

Kurz vor Mitternacht beendete der Wirt unsere Runde. Offiziell hatte das Ruskin Arms bereits seit 23:00 Uhr geschlossen. Eine total mittelalterliche Auflage für eine Metropole wie London, leider war das Gesetz. Ich fand es schade, dass der Abend schon vorbei war, denn die Jungs waren nett und lustig und behandelten mich, als würden wir uns seit ewigen Zeiten kennen.

Als wir auf die Straße traten, schloss sich Andy Colin und mir an.

»Ich muss auch in die Richtung«, sagte er auf meinen fragenden Blick hin.

»Wo wohnst du?«

Er nannte mir den Straßennamen und ich nickte. Auf meinem Weg zu dem kleinen Lebensmittelladen, in dem ich gern einkaufte, war ich einige Male dort entlang gegangen.

Wenige Minuten später erreichten wir unser Wohnhaus, wo sich Andy mit einem »Gute Nacht«, und einem Lächeln in meine Richtung von uns verabschiedete.

Vor meiner Wohnungstür blieb Colin stehen, während ich aufschloss.

»Danke, dass du mich mitgenommen hast«, sagte ich.

»Yo, nichts zu danken. Es hat Spaß gemacht mit dir.«

Ich strahlte ihn an. »Mir hat der Abend auch gefallen. Ihr seid ein lustiger Haufen und eure Musik ist klasse.«

Bei meinem Lob leuchteten seine Augen auf. »Ich hol dich morgen ab. Gleiche Zeit wie heute. Bye.« Er verpasste mir einen Schulterschlag, bei dem ich fast in die Knie ging, dann lief er die Treppe hinauf.

Während ich ihm nachblickte, wurde mir bewusst, was das bedeutete. Ich würde einen weiteren Abend mit der Band verbringen, und es war möglich, dass ich Andy wiedersah. Bei der Vorstellung überkam mich ein warmes Gefühl.

Ich betrat meine Wohnung, zog im Flur Jacke und Turnschuhe aus. Hellwach von den vielen neuen Eindrücken legte ich mich auf die Couch, starrte an die Zimmerdecke und durchlebte noch einmal die letzten Stunden, die wie im Flug vergangen waren. Seit Langem hatte ich mich nicht mehr so gut amüsiert. Trotz ihres wilden Äußeren waren alle freundlich und zuvorkommend zu mir gewesen. Mich hatte nur gewundert, dass ich die einzige Frau in der Runde gewesen war. Ich nahm mir vor, Colin darauf anzusprechen. Die Männer waren etwa in meinem Alter - ich schätzte sie auf Mitte bis Ende zwanzig - und hatten doch bestimmt Freundinnen. Vielleicht lernte ich ihre Partnerinnen demnächst kennen und konnte mich mit ihnen anfreunden. Ich vermisste das Getratsche mit den Mädels aus meiner Clique. Telefonieren nach Deutschland war teuer, Briefeschreiben nur ein schwacher Ersatz für ein persönliches Gespräch.

Bei dem Gedanken an Freundinnen verspürte ich einen Hauch Enttäuschung. Andy gefiel mir außerordentlich gut, doch ein attraktiver Mann wie er war garantiert in festen Händen.

Kapitel 3

Ich klappte das Wörterbuch zu und dehnte meine verspannten Schultern. Seit dem frühen Morgen saß ich am Schreibtisch, aber nun brauchte ich einen Kaffee. Ich betrat die Küche, füllte die Maschine mit Wasser und Kaffeepulver und schaltete sie ein. Während sie vor sich hinblubberte und allmählich aromatischen Kaffeeduft im Raum verbreitete, holte ich Milch aus dem Kühlschrank. Dabei entdeckte ich das Hähnchen, das ich am Vortag gekauft hatte. Offenbar in einem Moment geistiger Umnachtung. Ein ganzer Flattermann, für mich allein, daran würde ich drei Tage lang essen. Echt clever, Julie. An das Singleleben in einer eigenen Wohnung musste ich mich wirklich noch gewöhnen, denn während meines Studiums hatte ich in meinem Elternhaus gelebt.

Sobald der Kaffee fertig war, schenkte ich mir eine Tasse ein, lehnte mich gegen die Küchenzeile und trank einen Schluck. Eigentlich könnte ich Colin zum Mittagessen einladen. Kurz dachte ich über diesen Einfall nach. Ob er meine häusliche Ader doof finden würde? Ein harter Kerl wie er? Doch dann sah ich seine ungemütliche und chaotische Wohnung vor mir sowie die Take-away-Schachteln, die auf seinem Esstisch gestanden hatten. Er kochte garantiert nicht selbst, sondern ernährte sich vermutlich von Burgern oder Fish'n'Chips.

Nachdem ich das Hähnchen in den Backofen geschoben hatte, lief ich die Treppe hoch. Heute klingelte ich nicht so penetrant, immerhin bestand die Chance, dass ich in nächster Zeit öfter vor Colins Tür stehen würde. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis er, nur mit einer Jeans bekleidet, öffnete.

»Guten Morgen«, begrüßte ich ihn munter.

»Es ist mitten in der Nacht«, knurrte er.

Seine zerknautschte Gestalt brachte mich zum Schmunzeln. »Yeah, du Sonnenschein. Kommst du nachher zu mir? Ich lade dich zum Mittagessen ein.«

Sekundenlang starrte er mich an. »Du verscheißerst mich doch, oder?«

»Hach, ertappt.« Mit einer theatralischen Geste legte ich eine Hand auf mein Herz. »Das mit dem Essen war nur vorgeschoben, ich hatte Sehnsucht nach dir.«

»Kannst du überhaupt kochen?«

»Unausgeschlafen bist du ja besonders liebreizend.«

Er gähnte.

»Es gibt Hähnchen und Fritten«, fuhr ich fort.

Seine müden Augen öffneten sich ein Stückchen weiter. »Super, eins meiner Lieblingsessen.«

»Gott sei Dank.«

»Wann?«

»Um zwölf.«

»Dann bis später.« Er grinste mich an und knallte mir die Tür vor der Nase zu.

Kopfschüttelnd kehrte ich in meine Wohnung zurück. Was für ein Chaot. Sein rustikaler Charme war ein echtes Erlebnis. Nie zuvor war mir ein Kerl begegnet, der sich so benommen hatte.

Ich deckte gerade den Tisch, als Colin kam. Erstaunt musterte ich ihn. Er war frisch rasiert, der Duft eines männlich-herben Duschgels umgab ihn, und er trug ein Jeanshemd, dessen Farbe das Blau seiner Augen betonte.

»Was ist denn aus dem Höhlenmensch geworden, der mir vorhin die Tür geöffnet hat?«

»Du meinst mein zweites Ich?«, konterte er.

Ich lachte. »Du kommst gerade richtig«, sagte ich, während ich ihn ins Wohnzimmer führte. »Das Essen ist fertig. Such dir eine Platte aus, ich bin gleich wieder bei dir.«

»Okay.« Er ging vor dem Wohnzimmerschrank in die Hocke und durchstöberte meine Schallplattensammlung.

Ich kehrte in die Küche zurück, wo ich das Hähnchen aus dem Backofen holte. »Was willst du trinken?«, rief ich.

Es klimperte, als Colin den Perlenvorhang auseinanderschob, den ich am Durchgang zwischen Küche und Wohnzimmer angebracht hatte. »Ein Bier.«

»Jetzt? Es ist gerade mal Mittag.« Kopfschüttelnd sah ich ihn an. »Außer Orangensaft, Mineralwasser und Coke habe ich nichts da. Ah doch. Rotwein. Wie wärs mit einem Korea?«

»Was ist das?«

»Coke und Rotwein gemischt. Beliebtes Rockergesöff.« Ich feixte.

»Zu Hähnchen passt aber am besten Bier.«

»Du bist echt kompliziert.«

Er hob eine Braue. »Bin sofort wieder da.«

Kurze Zeit später hörte ich es in seiner Wohnung rumpeln. Als er erneut meine Küche betrat, hielt er mir einen Sixpack Carlsberg Lager unter die Nase.

»Dann ist dein Tag ja gerettet.«

»Deiner auch.« Er zwinkerte.

»Wieso?«

»Mit Standgas kann ich viel besser spielen.«

Ich rollte mit den Augen. »Stimmt, das steht mir ja noch bevor.«

Nachdem Colin die Burn von Deep Purple aufgelegt hatte, nahmen wir am Esstisch Platz.

»Du hast gestern gesagt, dass du einige Jahre in Deutschland gelebt hast«, begann ich.

»Ja. Ich bin erst kürzlich nach London zurückgekehrt.«

»Hat es dir denn in Frankfurt nicht mehr gefallen?«

»Das war nicht der Grund. Ich bin aus der Band ausgestiegen.«

Fragend sah ich ihn an.

»Eine Plattenfirma hat uns einen Vertrag angeboten. Bedingung war, dass wir unseren Look ändern und Punk spielen. So was kommt für mich nicht in die Tüte, deshalb bin ich wieder hierher zurück. In London gibts nun mal die beste Musikszene.« Er verzog das Gesicht. »Außerdem hätte ich mir nie die Haare abgeschnitten.«

»Wäre auch schade um die Pracht.«

In seine Augen trat ein erwartungsvolles Funkeln und er versuchte, meinen Blick festzuhalten.

Rasch wechselte ich das Thema. »Hau mal was auf Deutsch raus.«

»Warum?«

»Damit ich an dir rumkritisieren kann.«

Colin ließ die Hand mit dem Hühnerbein sinken, in das er gerade beißen wollte. »Ihr Frauen mit euren ewigen Ansprüchen«, brummte er auf Deutsch. »Was tut man nicht alles für ein Mittagessen.«

»Du bist der Hammer!«

»Dein Hähnchen auch.«

»Freut mich, dass es dir schmeckt.«

»Yep, könnte ich mich glatt dran gewöhnen. Kochst du regelmäßig?« Er hatte wieder auf Englisch umgeschwenkt.

»Wenn ich Lust dazu habe.«

Seine Augen leuchteten auf.

»Mir fehlt nur meistens die Zeit dafür«, sagte ich schnell, bevor er auf die Idee kam, jeden Mittag bei mir auf der Matte zu stehen.

»Ich lebe von Dosenfutter und Fertigpizza.« Er klang ein wenig weinerlich.

»Bisher hat dir das ja nicht geschadet.«

»Von wegen. Guck, ich bin schon total eingefallen.« Er sog die Wangen ein und riss die Augen auf.

Lachend ergab ich mich seiner Bettelei. »Na gut. Ab und zu bekommst du von mir was zu futtern. Dafür nimmst du mich mit zu euren Gigs.«

»Deal!« Er streckte mir die Hand hin, und ich schlug ein.

Wenig später schob ich meinen leeren Teller weg. »Andy und Nick haben mir erzählt, dass sich die meisten Bands nur mit Mühe über Wasser halten können, weil bei den Auftritten kaum was rumkommt. Ist das bei euch auch so?«

Colin fummelte eine zerknautschte Zigarettenpackung aus der Brusttasche seines Hemdes und hielt sie mir hin.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein danke. Ich habs mir vor Kurzem abgewöhnt.«

»Darf ich trotzdem?«

Ich nickte.

»Von den Auftritten in den Pubs bleibt wirklich nichts hängen«, griff er meine Frage auf, während er sich eine Zigarette anzündete. »Viele Musiker schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Andy und ich haben als Einzige in unserer Clique eine Ausbildung gemacht. Außerdem sind Instrumente und Verstärker teuer. Die paar Pfund, die wir für die Gigs bekommen, rutschen für die Unkosten wieder drauf.«

»Wieso gebt ihr euch dann diesen Riss?«, fragte ich vom Wohnzimmerschrank her, wo ich nach einem Aschenbecher suchte. »Aus reinem Spaß am Krachmachen?«

»Lärm. Es heißt Lärm.«

Ich stöhnte.

»Um bekannt zu werden, und das wird man nur, wenn man möglichst oft auftritt. Du hast ja schon mitgekriegt, dass Rock zurzeit out ist. Im Radio hört man kaum was in dieser Richtung, Plattenfirmen haben auch kein Interesse daran. Die wollen seichtes Zeug, das verkauft sich besser.«

»Aber verbissen wie ihr seid, haltet ihr an eurem Stil fest.«

»Für mich gibt es nichts anderes, und eines Tages wird diese Art Musik wieder gefragt sein.« Er zog an seiner Zigarette. »Wir hoffen alle auf den großen Durchbruch. Man kann in der Branche sehr schnell ziemlich viel Geld verdienen.«

»Der Traum vom Rockstar«, murmelte ich.

»Ja. Deswegen veranstalte ich auch täglich diesen Lärm.«

»Die Äußerung verfolgt mich vermutlich bis ins Grab.«

»Da kannst du drauf wetten.«

Bald darauf ging Colin in seine Wohnung zurück. Wenige Minuten später hörte ich ihn trommeln. Da ich wusste, dass ich während seines Privatkonzerts nicht viel zustande bringen würde, streckte ich mich auf der Couch aus, las mir die Übersetzung von heute Morgen durch und nahm einige Verbesserungen vor. Der vergangene Abend drängte sich immer wieder in meine Gedanken und störte meine ohnehin kaum vorhandene Konzentration. Mit einem Seufzen legte ich die Blätter beiseite, schloss die Augen und ließ die Erinnerung an Andy zu. Er war mir von der ersten Sekunde an unter die Haut gegangen, doch nicht nur wegen seines guten Aussehens, sondern vor allem wegen seiner Ausstrahlung. Hinter der Fassade des toughen Rockmusikers hatte ich einen sensiblen Menschen mit Träumen und Sehnsüchten erkannt.

Wie versprochen holte mich Colin am Abend ab, und nachdem wir Barry unterwegs aufgelesen hatten, fuhren wir mit der Underground bis zur Station Maryland. Von dort aus waren es nur ein paar Minuten bis zum Cart & Horses.

Im Gastraum stand Andy am Tresen und unterhielt sich mit einem großen Typen. Bei seinem Anblick machte mein Herz einen Satz. Ich nickte Colin und Barry zu, die ohnehin in die Garderobe wollten, dann ging ich zu den beiden.

»Hey Andy.«

»Julie! Hallo.«

Er klang überrascht und erfreut zugleich, und die Art, wie er mich aus seinen samtbraunen Augen ansah, haute mich direkt um. Mein Blut fühlte sich plötzlich an wie warmer Honig, meine Wangen wurden heiß. Ich war dankbar für die schummrige Beleuchtung.

»Sie ist Colins moralische Unterstützung«, erklärte Andy seinem Kumpel.

»Eher sein schlechtes Gewissen.« Lächelnd streckte ich dem Fremden mit den schulterlangen braunen Haaren meine Hand hin. »Grüß dich.«

»Ich bin Bob, hi.«

»Unser zweiter Gitarrist«, ergänzte Andy.

»Sind die anderen aus eurer Band auch hier?«, fragte ich ihn.

»Nein.«

»Schade. Ich hätte sie gern kennengelernt.«

»Dann komm doch einfach zu unserem nächsten Gig.«

»Das mach ich. Wann spielt ihr denn?«

»Morgen. Im Ruskin Arms.«

»Super, mein Abend ist gerettet.« Ich zwinkerte ihm zu.

»Du musst uns aber anfeuern. Lasch herumsitzen und Bier trinken ist nur bei der Konkurrenz erlaubt.«

»Keine Sorge.« Ihm würde ich auf jeden Fall zujubeln, selbst wenn er Alphorn blasen würde.

Der Wirt sprach mich an, und ich bestellte ein Bier.

»Da drüben sind noch Plätze frei«, sagte Andy, als ich mein Getränk bekam.

Wir setzten uns an den Tisch am seitlichen Bühnenrand und ich erzählte Bob, wie ich Colin kennengelernt hatte. Bald darauf begannen die Killers zu spielen. Sie rockten auch heute den Laden. Zwar hätte ich mich gern unter die Fans gemischt und getanzt, doch noch lieber wollte ich in Andys Nähe sein.

Etwa eine Stunde später endete der Auftritt. Die Band kam an unseren Tisch und wir rückten zusammen.

»Was steht morgen bei euch an?«, wandte sich Andy an Colin.

»Wir haben einen Gig im Old Brewery.«

»Was? Schon wieder?«

»Yep.«

»Ihr tourt euch echt Löcher in die Socken.«

»Für Geld machen wir doch alles«, warf Pete ein.

»Kommst du mit?«, fragte Colin mich.

Ich schüttelte den Kopf. »Flaming Sword spielen im Ruskin Arms. Das höre ich mir an.«

»Okay, ich werde auch ohne deine prüfenden Blicke trommeln können.«

»Ernsthaft? Das schaffst du allein?«

Er rollte mit den Augen. »Bevor ich dich kannte, war mein Leben ein einziges Chaos.«

»Das ist es immer noch.«

Alle lachten.

Bald danach brachen wir auf. Als wir die Underground an unserer Station verließen, regnete es in Strömen. Ich stieß einen Fluch aus. Bis zu meiner Wohnung waren es rund zehn Gehminuten, ich trug nur eine dünne Jeansjacke über dem Shirt, und meine lockigen Haare würden sich dank der Feuchtigkeit kräuseln, bis ich aussah wie ein Königspudel. Auf das wechselhafte Wetter in London musste ich mich wirklich noch einstellen.

Andy bemerkte mein Bibbern, zog seine dicke Lederjacke aus und legte sie mir um die Schultern. »Zieh die an, sonst kannst du uns morgen nicht zujubeln«, meinte er gönnerhaft.

»Danke«, quetschte ich durch meine klappernden Zähne, während ich in die viel zu große, herrlich warme Jacke schlüpfte. Im Gegensatz zu mir schien ihm die Kälte nichts auszumachen, obwohl er nur ein T-Shirt trug, das der Regen in Sekundenschnelle durchweichte. Hemmungslos genoss ich den Anblick des nassen Stoffs, der an seinem Körper klebte. »Hoffentlich frierst du dir nichts ab«, sagte ich neckend.

Andy schielte mich an. »Was gibts denn so Wertvolles an mir?«

»Deine Finger.«

»Alle Elf?«

»Ach!« Ich stieß ihn mit der Schulter an und Andy schubste zurück. Dadurch verlor ich das Gleichgewicht, trat volle Kanne in eine Pfütze, die mich glucksend begrüßte, dann taumelte ich gegen Colin. Der legte einen Arm um mich. »Ich beschütze dich vor diesem Rowdy«, sagte er dabei.

»Ha! Dir wollte ich nicht im Dunkeln begegnen.«

»Aus deinem Mund klingt selbst das wie ein Kompliment«, brummte er.

Ich schnaufte.

Colin ließ seinen Arm auf meinen Schultern liegen, bis wir unser Haus erreichten. Im Eingangsbereich suchten wir Schutz vor dem Regen, und ich verabredete mich mit Andy, der mich morgen Abend abholen würde. Mit einer Geste verabschiedete er sich schließlich.

Gefolgt von Colin ging ich die Treppe hinauf. Plaudernd blieben wir vor meiner Tür stehen, wo ich gedankenverloren in der Jackentasche nach meinem Schlüssel kramte. Stattdessen fand ich einige Pfundnoten.

»Shit!« Ich starrte auf das Geld und dann an mir hinunter. »Das ist Andys Jacke. Ich bin so was von hohl. Die braucht er doch bestimmt.«

»Er wird schon nicht zerfließen«, brummte Colin.

»Dir gehen wohl nie die Sprüche aus?«

»Nö.«

»Weißt du seine Hausnummer? Ich bringe sie ihm gleich morgen vorbei.«

»Keine Ahnung. Das Haus ist rotbraun gestrichen, mit weißen Fensterrahmen und Tannen im Vorgarten.«

»Ja, das kenne ich.« Ich fischte den Schlüssel aus meiner Jeansjacke und schloss auf. »Wir sehen uns.«

»Gute Nacht.«

Im Flur wollte ich Andys Jacke an die Garderobe hängen, entschied mich jedoch um. Vielleicht brauchte er sie. Es war Anfang April und morgens noch bitterkalt. Kurzerhand zog ich die durchweichten Turnschuhe aus, schlüpfte in Stiefeletten, nahm meinen gefütterten Blouson vom Haken, schnappte mir den Schirm und machte mich auf den Weg.

Wenige Minuten später erreichte ich das kleine Haus, in dem Andy wohnte. Hinter einem der Fenster im ersten Stock schimmerte Licht durch die zugezogenen Vorhänge. Ich durchquerte den Vorgarten und drückte auf die Klingel mit dem beleuchteten Namensschild, auf dem Mitchell stand. Kurz darauf wurde die Tür von einer Frau mittleren Alters geöffnet. Das musste Andys Mutter sein.

»Guten Abend, ich bin Julie. Andy hat mir seine Jacke geliehen und sie vergessen.« Ich tippte auf das Teil, das ich noch immer trug.

»Nett, dass du sie vorbeibringst. Er hat sie schon vermisst. Komm rein.« Mrs. Mitchell erwiderte mein Lächeln, nahm mir den nassen Schirm ab und stellte ihn in einen Ständer neben der Tür, bevor sie mit einer einladenden Handbewegung zur Treppe zeigte. »Er ist oben, erste Tür links.«

Ich nickte ihr zu, stieg die steilen Stufen hoch und klopfte an.

»Ja«, erklang es von drinnen.

Ich betrat Andys Zimmer, das vom gelblichen Schein einer Tischlampe erhellt wurde. Er saß mit dem Rücken zur Tür an einem Schreibtisch, sein feuchtes Haar hing ihm ins Gesicht und er trug einen Bademantel.

»Das ging aber schnell«, sagte er ohne hochzublicken.

Seine Bemerkung irritierte mich. »Sag bloß, du kannst hellsehen.«

Andy fuhr herum. »Julie! Was machst du denn hier?«

»Überraschung! Du hast deine Jacke vergessen.«

»Äh ja, danke. Deswegen hättest du nicht extra vorbeikommen müssen, ich hätte sie mir morgen bei dir geholt. Ich freu mich natürlich, dass du da bist.«

Das war eine Aussage nach meinem Geschmack. Spontan beschloss ich, noch ein wenig zu bleiben. Ich legte meinen Blouson auf sein Bett, zog seine Jacke aus und hängte sie an einen der hohen, gedrechselten Bettpfosten, von wo aus sie munter den Boden nass tropfte. Dann trat ich neben Andy. »Was machst du da?« Ich deutete auf die Skizze, an der er bei meinem Eintreten gezeichnet hatte.

Er schob mir das Blatt hin, auf dem eine Burgruine zu sehen war. Davor saß ein Ritter in schwarzer Rüstung auf einem Pferd und hielt ein brennendes Schwert in die Höhe. Über der Szenerie prangte der Bandname in Rot- und Orangetönen. Die einzelnen Buchstaben sahen aus wie Flammen.

»Das ist eine tolle Idee«, sagte ich. »Das Motiv passt perfekt zu Flaming Sword.«

»Ich bin noch nicht ganz fertig damit.«

»Es sieht trotzdem schon super aus. Du hast es voll drauf mit dem Zeichnen.«

»Das ist mein Beruf.«

Erstaunt sah ich Andy an. »Du entwirfst Cover? Dann war das mit der Müllabfuhr ein Scherz?«

»Nein, der Müllkutscher stimmt. Ich bin Werbegrafiker, arbeite jedoch nicht mehr in der Branche.«

»Wieso nicht?«

»Ich habe ein Grafik- und Designstudium begonnen.«

»Du studierst? Aber eben hast du doch gesagt …«

»Das Studium habe ich abgebrochen«, fiel er mir ins Wort.

»Warum?«

Andy seufzte. »Du bist furchtbar neugierig.«

»Ja, weil ich alles über dich wissen will.« Ich war kein bisschen schüchtern, dafür interessierte ich mich zu sehr für ihn.

Nervös schielte er zur Tür. »Meine Mum wird gleich reinkommen, sie weiß nichts davon, ich erzähle dir das ein anderes Mal.«

»Okay.« Leicht verwirrt von seinem merkwürdigen Verhalten wandte ich mich wieder der Zeichnung zu. »Du hast wirklich Talent. Warum probierst du es nicht als Maler?«

»Die Musik macht mir mehr Spaß. Ist doch egal, es sind beides brotlose Künste.«

»Das ist aber eine echt lahme Begründung.«

Andys Entgegnung wurde von einem Klopfen unterbrochen.

»Hast du noch weitere Kleidungsstücke verliehen?«, neckte ich ihn.

»Klar, mit der Masche locke ich die Frauen in mein Haus.« Er stand auf und öffnete die Tür.

Seine Mutter betrat das Zimmer mit einem Tablett, auf dem sie zwei dampfende Becher balancierte.

»Du magst doch bestimmt auch eine heiße Schokolade?«, wandte sie sich an mich, während Andy ihr das Tablett abnahm und auf den Schreibtisch stellte. »Das ist das Richtige bei dem nasskalten Wetter.«

»Danke, gern. Etwas zum Aufwärmen kann ich gebrauchen.«

Sie nickte mir freundlich zu und ließ uns allein.

»Nett, deine Mum.« Ich griff nach einem der Keramikbecher.

»Heiße Schokolade ist ihr Allheilmittel.«

»Nun, du warst ja auch nass bis auf die Knochen.«

Andy durchquerte den Raum, nahm ein Bündel Kleidung von einem Stuhl und legte es aufs Bett. Mein Blick klebte an seiner Gestalt. Der Bademantel umspannte seine breiten Schultern und endete knapp oberhalb der Knie. Meine Fantasie ging mit mir durch. Ob er darunter nackt war? Als er mit dem Stuhl auf mich zukam und ihn an den Schreibtisch stellte, sah ich rasch woanders hin. Er setzte sich wieder, und ich nahm ebenfalls Platz.

»Erzähl mir was von dir«, bat er. »Wir hatten noch gar keine Gelegenheit für ein ausführliches Gespräch.«

Ich pustete über das dampfende Getränk, während ich ihn ansah. Erneut fiel mir der warme Schimmer in seinen braunen Augen auf. Die Intimität der Situation wurde mir bewusst, Hitze stieg in mir hoch. Fahrig wandte ich mich ab und strich mir die Locken aus der Stirn. »Was willst du wissen?«

»Wie wäre es zum Auftakt mit ein paar Eckdaten?«

»Na gut. Juliette Münzner, Übersetzerin, aber das weißt du ja schon. Ich bin in Heidelberg aufgewachsen, dreiundzwanzig Jahre alt und einen Meter achtundfünfzig groß.«

»Interessante Vorstellung.« Sein träges Lächeln bescherte mir ein wohliges Prickeln.

»Sonst noch Fragen?« Etwas Dümmlicheres fiel mir auf die Schnelle nicht ein, ich verspürte nur das Bedürfnis zu plappern, um die spannungsgeladene Atmosphäre aufzulockern. »Meine Sommersprossen habe ich nicht gezählt«, platzte ich heraus, als er mich weiterhin unverwandt ansah.

»Dann werde ich sie zählen.« Er beugte sich zu mir.

O ja, und bitte nicht nur die in meinem Gesicht.

Andy sah mir tief in die Augen. Ich hielt seinen samtigen Blick fest und wünschte mir, er würde noch ein Stückchen näher kommen. Leider richtete er sich in diesem Moment wieder auf. »Darf ich dich mal zeichnen?«

Langsam atmete ich aus. »Wenn du willst, aber du vergeudest deine Zeit. Ich habe ein Allerweltsgesicht.«

»Du redest vielleicht einen Stuss. Ich finde deine Gesichtszüge inspirierend.«

»Inspirierend … aha.«

»Und du hast wunderschöne Augen. Ein so helles, strahlendes Blau sieht man nur selten.«

Damit hatte er recht. Meine Augenfarbe war das Auffälligste an mir. Huskyaugen hatte ein Ex-Freund sie genannt.

Andys Blick umfasste meine Gestalt, verweilte kurz auf meinen Brüsten und Beinen, und glitt dann wieder nach oben. Meine Haut begann zu kribbeln. Wie es wohl wäre, anstelle seiner Blicke seine Hände auf meinem Körper zu fühlen?

»Kannst du morgen Nachmittag vorbeikommen?« Er ließ nicht locker.

»Na gut. Passt dir drei Uhr?«, stimmte ich zu, weil ich ihn unbedingt wiedersehen wollte. »Da würde ich Colins Lärm entkommen.«

»Geht klar. Wenn das Wetter mitspielt, zeichne ich dich im Garten, mit den Tannen als Hintergrund.«

»Wie wärs mit den Tannen im Vordergrund?«, witzelte ich.

Er verzog das Gesicht, ging jedoch nicht auf meine Bemerkung ein. »Ich habe schon eine Idee, wie ich dich am besten in Szene setze.«

»Wie du meinst, großer Künstler.« Um von mir abzulenken, sah ich mich in dem Zimmer um, dessen Wände mit Postern tapeziert waren. Ich erkannte Jimi Hendrix, Black Sabbath, Deep Purple, Led Zeppelin, Jethro Tull, UFO und Jim Morrison.

»Deine Vorbilder?«, fragte ich.

»Meine Inspiration. Kennst du was von denen?«

»Einiges. Mein Vater hört Led Zeppelin, Nazareth, Deep Purple, das hat meinen Musikgeschmack geprägt. Dieses Mainstreamzeug, das in den Hitparaden rauf- und runtergenudelt wird, hat mir noch nie gefallen.«

Andy seufzte. »Du bist ja eine Traumfrau.«

Ich kicherte, während mein Herz einen Salto schlug. Obwohl ich überhaupt keine Lust verspürte zu gehen, stand ich auf, denn Andys Nähe weckte Gefühle in mir, die mich verwirrten und über die ich in Ruhe nachdenken musste. »Ich mache mich auf den Heimweg, wir sehen uns morgen.«

»Du solltest um diese Uhrzeit nicht allein draußen herumlaufen.«

»Ach was, die paar Meter.«

»Nichts da. Ich begleite dich.«

»Das ist doch Unsinn. Du hast dich gerade eben trockengelegt, außerdem brauche ich keinen Bodyguard.« Schnell wandte ich mich um und nahm meine Jacke, die ich vorhin auf dem Bett abgelegt hatte. Seine Nähe jagte glühende Lava durch meine Adern und ich musste hier raus, bevor ich in Flammen aufging.

Als ich herumfuhr, um ihm ein »Bye!«, zuzurufen, prallte ich gegen seinen Körper, da er mittlerweile direkt hinter mir stand. Ich verlor das Gleichgewicht und schnappte nach dem erstbesten Halt. Seinem Bademantel. Andy packte meine Arme, sein fester Griff stützte mich. Für einen Moment lehnte ich mich an ihn.

»Hast du dir wehgetan?«, fragte er. Seine Stimme klang mehrere Nuancen dunkler als sonst.

»Alles in Ordnung.« Ich wich einen Schritt zurück, und er ließ mich los. Anschließend band er den Gürtel seines Bademantels zu, der aufgegangen war, als ich mich in den Stoff gekrallt hatte. Schade. Zu gern hätte ich noch ein wenig länger seine perfekte Figur betrachtet.

»Ich ziehe mir schnell was an, dann können wir los.«

»Du musst nicht …«, begann ich.

»Keine Widerrede«, fiel er mir ins Wort. »Ich bringe dich heim.«

Er öffnete den Wandschrank, holte eine Jeans und einen Pullover heraus und ging aus dem Zimmer. Ich stieß heftig die Luft aus. O Mann! Mit Puddingknien trat ich ans Fenster, konzentrierte mich auf die nächtliche Straße und die gegenüberliegende Häuserreihe, während ich versuchte, meine flatternden Nerven zu beruhigen.

Andy kam angezogen zurück, schlüpfte in seine Jacke und wir verließen das Haus. Es regnete nicht mehr, was ich sehr bedauerte, denn ich hätte mich zu gern mit ihm unter meinen Schirm gedrängt. Noch immer meinte ich, seinen kräftigen Körper zu spüren und seine starken Hände, die mich auffingen.

»Alles okay mit dir?«, riss er mich aus meinen Fantasien.

»Ja, keine Sorge, ich bin nicht aus Zucker.«

»Zuckerpüppchen«, raunte er.

»Hah«, stöhnte ich. »Du bist echt albern.«

»Soll das ein Kompliment sein?« Er schaute mich so treuherzig an, dass ich kichern musste.

»Ich habe noch mehr Komplimente auf Lager.«

»Mein Bedarf für heute ist gedeckt. Ich nehme lieber etwas anderes.«

»Was denn?«

Andy blieb stehen, und ich tat es ihm gleich. »Wie wärs mit einer Umarmung?«

Der Vorschlag gefiel mir außerordentlich gut. Ich schlang die Arme um seinen Hals, er beugte sich zu mir, schmiegte seine Wange an meine und hauchte einen Kuss darauf. Bevor ich reagieren konnte, hatte er sich bereits wieder aufgerichtet.

»Noch einen Wunsch?«, bot ich an.

»Wie viele habe ich denn?«

»Drei.«

»Mhm.«

»Jeden Tag.«

»Du bist mir eine.« Belustigt legte er seinen Arm um meine Schultern.

So setzten wir unseren Weg fort, bis wir mein Haus erreichten. Vorm Eingang blieben wir stehen. Andy ließ mich los. Ich verspürte eine Leere, als das köstliche Gewicht seines Arms und die anziehende Nähe seines Körpers so plötzlich verschwanden.

»Träum was Schönes«, sagte er mit einem Lächeln. Bevor ich ihn hereinbitten konnte, drehte er sich um und stiefelte davon.

Wie bedröppelt stand ich da und sah ihm nach, bis er um die Ecke bog. Sein männlicher Duft hing mir in der Nase, die Erinnerung an seine halbentblößte Gestalt wirbelte meine Hormone durcheinander. Ich hatte mich in ihn verknallt … aber so was von.

Kapitel 4

Heute ging mir die Arbeit nur zäh von der Hand. Mehrmals ertappte ich mich dabei, wie ich verträumt aus dem Fenster starrte und an den gestrigen Abend dachte. Die erotische Spannung, die zwischen Andy und mir aufgekeimt war, hatte mir eine unruhige Nacht beschert und beherrschte auch jetzt noch meine Sinne. Ich konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen.

Zur verabredeten Zeit betrat ich den Garten der Mitchells, wo Andy auf einer Holzbank lag, die zu beiden Seiten von Kletterrosen umrahmt wurde. Amüsiert betrachtete ich seine lange Gestalt. Er hatte die Lider geschlossen und genoss die Frühlingssonne.

»Wenn ich ein Prinz wäre und du die Prinzessin, würde ich dich wach küssen«, sagte ich leise.

Langsam schlug er die Augen auf. »Tu dir keinen Zwang an, ich habe nichts gegen die feministische Variante.«

Seine Ausdrucksweise brachte mich zum Lachen, doch ich zögerte, ihn beim Wort zu nehmen.

»Ah, du ziehst die liegende Position vor?« Er schwang die Beine von der Bank und sprang auf. »Bitte sehr«, meinte er mit einer einladenden Handbewegung.

Verlegen wich ich seinem herausfordernden Blick aus. »Du wolltest mich zeichnen.«

»Ja. Wir fangen mit der Dornröschenpose an.« Sein freches Grinsen wurde noch einen Tick breiter. »Leg dich schon mal hin, ich hole mein Zeug«, sagte er und verschwand im Haus.

Seine charmant-dreiste Art gefiel mir, erschreckte mich jedoch auch ein wenig. Ich würde den Teufel tun und mich auf die Gartenbank drapieren. Wie sah das denn aus? Ich atmete tief durch, schaute mich um und entschied mich für eine Stelle vor den Tannen. Mit untergeschlagenen Beinen setzte ich mich ins warme Gras und holte meine Arbeitsutensilien aus meiner Umhängetasche. Gleich darauf erschien Andy wieder.

»Was ist mit der Bank?«, fragte er.

»Ich habe eine Holzallergie.«

Lachend ließ er sich mir gegenüber auf dem Rasen nieder. »Okay, ist angekommen.«

»Kann ich arbeiten, während du zeichnest?« Mit dem Kugelschreiber tippte ich auf den Schreibblock in meinem Schoß.

»Klar. Nur bitte den Kopf nicht zu weit senken.« Er musterte mich, bevor er die ersten Striche aufs Papier warf. »Wieso bist du Übersetzerin geworden?«

»Familiäre Vorbelastung. Meine Mutter ist Französin und ich bin zweisprachig aufgewachsen.«

»Verstehe. Deshalb sprichst du deinen Vornamen französisch aus.«

»Richtig.«

»Aber du machst doch englische Übersetzungen, oder habe ich das falsch verstanden?«

»Nein, stimmt schon. Der Markt für englischsprachige Literatur ist wesentlich größer. Obwohl ich auch mein Diplom in Französisch habe.«

Er ließ den Bleistift sinken. »Warum bist du nicht Stewardess geworden mit dem Sprachtalent und deinem Aussehen?«

»Ich bin zu klein dafür.«

Versonnen sah er mich an, und sekundenlang tauchten unsere Blicke ineinander.

»Deine Farbe trocknet ein«, brachte ich hervor.

»Wie bitte?«

»Ich sagte, deine …«

»Ja, schon gut.« Mit einem Kopfschütteln betrachtete er den Bleistift in seiner Hand. »Du bist echt schräg drauf«, äußerte er grinsend, dann konzentrierte er sich erneut auf die Skizze.

»Hast du Urlaub?«, fragte ich.

»Nein. Wir arbeiten Akkord. Sobald wir mit der Tagestour durch sind, können wir gehen. Heute lief es gut.«

»Und wie erklärst du deiner Mum, dass du so früh von der Uni zurück bist?«

»Gar nicht. Ich bin ihr keine Rechenschaft schuldig.«

Die Äußerung berührte mich unangenehm und erinnerte mich an sein seltsames Verhalten am vergangenen Abend. Wieso ließ er seine Mutter in dem Glauben, er würde studieren? Er war doch wirklich alt genug, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

»Hast du eigentlich kein schlechtes Gewissen bei dieser Schwindelei?«, rutschte es mir heraus.

Einige Sekunden herrschte Schweigen.

»Meine Mum ist glücklich mit ihrer Vorstellung von einem studierenden Sohn«, murmelte er, »und ich bin mit meiner Musik zufrieden.«

Es war offensichtlich, dass Andy dieses Thema Unbehagen bereitete. Da ich die angenehme Stimmung nicht verderben wollte, lächelte ich entschuldigend. »Sorry, das geht mich nichts an.«

»Irgendwann erzähle ich dir die ganze Geschichte. Jetzt habe ich da wirklich keine Lust drauf.«

Er sah mich lange an, und sein Blick brachte die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Tanzen. Mit einem Lächeln wandte ich mich wieder meinen Unterlagen zu.

Wir arbeiteten an unseren Werken, bis Andy aufstand, zu mir kam und mir die Skizze hinhielt.

Ich betrachtete sie eingehend. »Gut getroffen, vor allem die Tanne.«

»Kunstbanause.«

»Von wegen. Ich weiß genau, was mir gefällt.« Ich zwinkerte ihm zu.

»Willst du es?«, fragte er.

»Was?«

»Das Bild. Ansonsten hänge ich es über mein Bett.«

Die Erwähnung seines Bettes beschwor den gestrigen Abend herauf. Wie er mich festgehalten hatte … Wie nahe ich ihm gewesen war … Der Anblick seines halb nackten Körpers. Eine wohlige Wärme durchströmte mich, doch trotz des Gefühlsaufruhrs in meinem Inneren gelang mir eine lässige Antwort. »Ja bitte, aber mit Autogramm.«

Andy setzte sich neben mich, kritzelte seinen Namen aufs Papier, dann überreichte er mir die Zeichnung.

»Danke.«

»Bekomme ich eine Belohnung für meine Mühe?«

Sein erwartungsvoller Gesichtsausdruck entlockte mir ein Lächeln. »Es ist immer das Gleiche mit euch Männern. Nichts macht ihr umsonst. Was möchtest du denn?«

»Das überlasse ich dir.«

»Mhm.« Ich steckte die Zeichnung zwischen die Seiten des Schreibblocks, stützte die Ellenbogen auf meine Knie, legte mein Kinn in beide Hände und tat, als müsste ich über seine Bemerkung nachdenken.

Andy wartete einen Moment, dann umfasste er eines meiner Handgelenke und zog mich näher an sich. Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Er schob eine Hand in meinen Nacken, drehte den Kopf ein wenig und seine Lippen streiften meine. Die Berührung jagte wie ein Stromstoß durch mich hindurch. Seufzend schloss ich die Augen. Er rückte noch dichter an mich heran und drückte mich schließlich in den nach Frühling duftenden Rasen. Das Gewicht seines kräftigen Körpers auf dem meinen zu spüren, weckte prickelnde Lust in mir. Andys Kuss wurde drängender, ich öffnete die Lippen und ergab mich seinem Ansturm. Zeit und Raum vermischten sich zu einem bunten Wirbel, der angefüllt war mit überwältigenden Gefühlen.

Als sich Andy aufrichtete, tauchte ich langsam aus dem sinnlichen Rausch auf. Verliebt schaute er auf mich herunter, während er sich eine meiner Haarsträhnen um den Finger wickelte.

»Genügt das als Belohnung?« Meine Stimme klang heiser.

»Fürs Erste.«

»Du bist wirklich unersättlich.«

»Wie war das mit den drei Wünschen?«

Ich lachte, Andy sprang auf und zog mich hoch. »Wollen wir los?«

Ich checkte meine Armbanduhr. »So spät schon?«, rutschte es mir heraus.