Riskante Gefühle - Romina Gold - E-Book

Riskante Gefühle E-Book

Romina Gold

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kann sie ihm wirklich trauen?

Seit dem Tod ihres Freundes führt Marcie ihr Bed & Breakfast in dem malerischen schottischen Küstenort Mallaig allein. Erst dem charismatischen Shane Corrigan, der die nahegelegene Whiskydestillerie wieder aufbauen will, gelingt es, sie aus ihrer Trauer zu holen. Obwohl Marcie kaum etwas von ihm weiß, verliebt sie sich leidenschaftlich in ihn. Doch als sie eines Nachts brutal niedergeschlagen wird, kommt Shanes dunkle Vergangenheit ans Licht, und Marcie weiß plötzlich nicht mehr, ob sie ihm noch trauen kann.

Ist er tatsächlich das Opfer einer Intrige, wie er behauptet, oder schwebt sie in tödlicher Gefahr?

Prickelnde Gefühle und knisternde Spannung: der neue Romantic-Suspense-Roman von Romina Gold.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 346

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Weitere Titel der Autorin:

Dangerous Hearts – Mit dir durchs Feuer

Dangerous Hearts – Mit dir gegen jede Gefahr

Dangerous Hearts – Mit dir im stärksten Sturm

Über dieses Buch

Seit dem Tod ihres Freundes führt Marcie ihr Bed & Breakfast in dem malerischen schottischen Küstenort Mallaig allein. Erst dem charismatischen Shane Corrigan, der die nahegelegene Whiskydestillerie wieder aufbauen will, gelingt es, sie aus ihrer Trauer zu holen. Obwohl Marcie kaum etwas von ihm weiß, verliebt sie sich leidenschaftlich in ihn. Doch als sie eines Nachts brutal niedergeschlagen wird, kommt Shanes dunkle Vergangenheit ans Licht, und Marcie weiß plötzlich nicht mehr, ob sie ihm noch trauen kann.

Ist er tatsächlich das Opfer einer Intrige, wie er behauptet, oder schwebt sie in tödlicher Gefahr?

Über die Autorin

Bereits als Jugendliche fand Romina Gold ihre selbsterschaffene Fantasiewelt spannender als das reale Leben. Damals begann sie, ihre Lieblingsgeschichten aufzuschreiben. Ihre Träume hat sie sich bis heute ebenso bewahrt wie die Leidenschaft fürs Schreiben.

Rominas Bücher sind eine Mischung aus Romantik und Abenteuer, mit der sie ihren Lesern eine unterhaltsame Auszeit schenken möchte. Ihre schriftstellerische Bandbreite reicht von rasanten Thrillern über dramatische Beziehungsromane bis hin zu zauberhafter Fantasy, jedoch immer garniert mit einer wundervollen Liebesgeschichte.

Die freiberufliche Autorin und Lektorin lebt mit Mann und Hund im sonnigen Südwesten Deutschlands. Ihr Erlebnishunger sowie ihr Faible für fremde Länder finden sich in ihren Romanen ebenso wieder wie ihr Glaube an die wahre Liebe.

Romina Gold

Riskante Gefühle

Eine gefährliche Love-Story

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Catherine Beck

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © starsstudio / Adobestock Images, © JINGXUAN JI/ iStock / Getty Images Plus, © Burak Can Oztas/ iStock / Getty Images Plus, ©nattaponsukjit/ iStock / Getty Images Plus

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-1551-5

be-ebooks.de

lesejury.de

Prolog

Schluchzend taumelte sie aus der Wohnung ins Treppenhaus. Ihr Körper schmerzte von den Schlägen, und die Platzwunden in ihrem Gesicht brannten, als ihre Tränen darüberliefen. Dieses Arschloch! Er hatte es noch nie leiden können, wenn sie ihm widersprach, doch bisher hatte er sie nur angeschrien oder wüste Drohungen ausgestoßen. Es war ein Schock für sie gewesen, als er sie ohne Vorwarnung an den Schultern gepackt hatte, sie schüttelte und auf sie einschlug.

Paige betastete ihre Wange und stöhnte vor Schmerz. Ihr linkes Auge begann zuzuschwellen, schon jetzt sah sie damit fast nichts mehr. Angst überflutete sie wie eine eisige Woge. Sie musste fliehen, solange sie dazu noch in der Lage war. Sie machte einige Schritte vorwärts. Ihre Kopfschmerzen verstärkten sich dabei, Übelkeit erfasste sie, und bittere Galle kroch ihre Kehle hinauf. Mühsam schluckte sie dagegen an. Alles drehte sich um sie. Ihre Knie drohten nachzugeben, haltsuchend lehnte sie sich gegen die Wand.

Du musst weg von hier! Er war ihr nicht gefolgt, aber das konnte sich jederzeit ändern. Er war so wütend auf sie gewesen ...

Sie stolperte zwei weitere Schritte voran, dann klammerte sie sich ans Geländer und stieg die Stufen hinab. Am liebsten wäre sie gerannt, doch dafür war ihr zu schwindelig. Auf dem Absatz im ersten Stock hielt sie kurz inne und wischte sich über das tränennasse Gesicht. Die Berührung trieb ihr neue Tränen in die Augen. Mach schon! Lauf!

Paige nahm die nächste Treppe in Angriff. Sie schwankte auf ihren High Heels und verfehlte die letzte Stufe. Hart schlug sie mit den Knien auf dem Fliesenboden auf. Eine Schmerzsalve schoss durch ihren Körper und vereinte sich mit den anderen Schmerzen zu einem Feuerwerk aus Pein. Beinahe wäre sie liegen geblieben. Nur die Angst trieb sie an. Sie war noch lange nicht in Sicherheit.

Ächzend kam sie auf die Beine und suchte erneut Halt am Geländer. Dann warf sie einen Blick nach oben zu der Wohnung, aus der sie eben geflohen war. Die Tür war zu, alles wirkte ruhig. Als wäre nichts geschehen. Eine trügerische Ruhe. Hatten denn die Nachbarn nichts gehört? Egal ... lauf endlich weg!

Paige hob ihre Handtasche auf, die ihr beim Sturz von der Schulter gerutscht war, und stolperte hinaus auf die Straße. Die frische Nachtluft streifte sie und kühlte ihr brennendes Gesicht. Sekundenlang blieb sie mit geschlossenen Augen stehen.

Allmählich wurden ihre panischen Gedanken klarer. Man durfte sie so nicht sehen. Sollte die Presse Wind davon bekommen, gäbe es einen riesigen Skandal. So kurz vorm Erscheinen ihres neuen Albums konnte sie das absolut nicht gebrauchen. Sie musste sich verstecken, bevor jemand sie sah. Zum Glück waren zu dieser späten Stunde kaum noch Passanten unterwegs. Doch wohin sollte sie? Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie zwar viele Bekannte hatte, es jedoch niemanden gab, den sie mitten in der Nacht um Hilfe bitten konnte. Joseph wartete in London auf sie, fünfhundert Meilen entfernt. Sie war nur nach Oban gekommen, um endgültig mit Shane Schluss zu machen. Bebend stieß sie den Atem aus. Wieso war alles derart aus dem Ruder gelaufen?

Kapitel 1

Mallaig, West Highlands

Marcie saß am Esstisch im Erker und beobachtete das Schneetreiben. Wild umherwirbelnde Flocken glitzerten im Schein der gelblichen Straßenlaternen, hinter den Fenstern der meisten Häuser schimmerte Licht, und am Fuß des Hügels erhellte die Hafenbeleuchtung die halbmondförmige Bucht. Der Sturm fegte um ihr Cottage, in sein Heulen mischten sich das Knistern des Holzfeuers und Gingers Schnarchen. Marcie war froh, dass sie es an diesem eisigen Februarabend noch rechtzeitig nach Hause geschafft hatte, bevor das Unwetter einsetzte.

Sie nahm ihre Tasse und trank von dem Tee, der einen winterlichen Duft nach Mandeln und Vanille verbreitete, während sie dabei zusah, wie eine Schneeflocke auf der Scheibe landete und langsam schmolz. Schließlich wandte sie sich wieder ihrem Notebook zu. Zum zweiten Mal las sie die ungewöhnliche E-Mail.

Sehr geehrte Mrs. Douglas,

mein Name ist Shane Corrigan, ich bin der neue Eigentümer der Glencairn Distillery. In Kürze werde ich die Brennerei sanieren und benötige während dieser Zeit ein Zimmer in Mallaig.

Ich beabsichtige, mich in Ihrem B & B für mindestens zwei Monate einzumieten, beginnend ab dem 1. März. Das Frühstück hätte ich gern so zeitig serviert, dass ich bei Tagesanbruch auf der Baustelle sein kann.

Falls das für Sie passt, freue ich mich auf Ihre Rückmeldung.

Herzliche Grüße aus Oban

Shane Corrigan

Zwei Monate Mieteinnahmen, das kam für Marcie fast einem Lotteriegewinn gleich. Im Winterhalbjahr hatte sie so gut wie keine Einkünfte, weder in ihrem Souvenirlädchen noch in ihrem Bed & Breakfast. Die Touristenströme waren im Herbst versiegt und mit ihnen Marcies Haupteinnahmequelle. Ab und zu kauften die Bewohner des Örtchens bei ihr ein, hauptsächlich die handgestrickte Wollkleidung von den Shetlandinseln, Grußkarten oder Süßigkeiten. Die meisten der Leckereien verschenkte sie allerdings an die Kinder, die nach Schulschluss gern mal in ihren Laden gestürmt kamen, ihn mit Leben, Lachen und Fröhlichkeit füllten.

Marcie legte die Finger auf die Tastatur, um Mr. Corrigans E-Mail zu beantworten, überlegte es sich jedoch anders. Er hatte eine Handynummer angegeben. Es war einfacher, die Details persönlich mit ihm zu besprechen, statt E-Mails hin- und herzuschicken. Und sie hätte auch direkt Gewissheit, ob er tatsächlich bei ihr einziehen würde.

Sie griff nach ihrem Smartphone und tippte seine Nummer ein. Es dauerte eine ganze Weile, bis das Gespräch angenommen wurde.

»Ja?«, bellte eine Stimme über dröhnende Musik hinweg.

Die wummernden Bässe und schrillen Gitarren ließen Marcie zusammenfahren. Hatte sie sich verwählt? »Ich möchte mit Mr. Corrigan sprechen«, sagte sie laut.

»Wer ist da?«, polterte der Mann. »Woher habt ihr Schmierfinken nur immer meine Nummer?«

»Wie bitte?« Marcies schottisches Temperament flammte auf. »Ich bin Marcie Douglas!«, schrie sie, um das Getöse zu übertönen.

»Wer?«

»Marcie! Douglas! Aus! Mallaig!« Jetzt brüllte sie. »Mr. Corrigan will ein Zimmer bei mir mieten!«

Die Musik verstummte, dafür schepperte irgendwas. Glas klirrte, und sie hörte, wie die dunkle Stimme am anderen Ende einen herzhaften Fluch ausstieß.

»Sorry«, sagte der Mann gleich darauf.

Marcie holte tief Luft. »Sind Sie Shane Corrigan?«

»Ja. Entschuldigen Sie bitte, Mrs. Douglas, hier geht es gerade drunter und drüber.«

»Das war nicht zu überhören.« Sollte sie diesen Chaoten wirklich bei sich einziehen lassen? Auch noch wochenlang? Beinahe hätte sie ihm vorgeschwindelt, dass sie ausgebucht sei, doch dann dachte sie an das Geld, das sie so dringend brauchte.

Er lachte leise. »Ihrem pikierten Ton nach habe ich mich gerade von meiner besten Seite gezeigt.«

Unwillkürlich musste sie ebenfalls lachen.

»Okay. Fangen wir noch einmal von vorn an«, sagte er. »Kann ich ein Zimmer bei Ihnen mieten? Für zwei Monate, vielleicht auch länger?«

»Unter einer Bedingung.«

»Und die wäre?«

»Sie drehen Ihre schauderhafte Musik nicht bis zum Anschlag auf.«

Erneut lachte er. »Einverstanden.«

Sie stieß ein geseufztes »Danke« hervor.

»Und ist es möglich, das Frühstück sehr früh zu bekommen?«, fuhr er fort. »Auf mich wartet eine Menge Arbeit in der Brennerei.«

»Kein Problem.«

»Super, dann habe ich das schon mal aus dem Kopf. Sie sind meine Rettung.«

Er sprach die Worte mit solcher Erleichterung aus, dass Marcies letzte Bedenken verflogen. »Das höre ich wirklich gern«, sagte sie und legte einen freundlichen Klang in ihre Stimme.

»Kennen Sie die Glencairn Distillery?«, fragte er im Plauderton.

»Natürlich. Jeder in Mallaig kennt sie. Leider wird dort seit Jahren nichts mehr produziert. Haben Sie vor, wieder Whisky zu brennen?«

»Ja, aber nicht nur das. Mir schwebt ein neues Konzept vor. Da wäre einmal die Brennerei, mit Besucherzentrum, Führung und Verkostung. Eben das Übliche, was die meisten Destillerien machen. Ich will den Menschen den Whisky aber noch auf andere Weise nahebringen.«

»Wie denn?«, rutschte es Marcie heraus. Die Begeisterung in seiner Stimme hatte ihre Neugier geweckt.

»Ich werde Whisky-Tastings anbieten und dazu mit verschiedenen Brennereien aus der Region zusammenarbeiten. Außerdem will ich Whisky-Nights veranstalten.«

»Was ist das? Davon habe ich noch nie gehört.«

»Eine Kombination aus Whiskyverkostung und Buffet, begleitet von einem Unterhaltungsprogramm. Musiker, Kabarettisten oder Schriftsteller, die aus ihren Büchern vorlesen. Inklusive Übernachtung.«

»Klingt interessant. Ich war mal bei einem Krimidinner, das hat Spaß gemacht.« Marcie lächelte bei der Erinnerung. Ihre Freundin Bonnie hatte sie zu dieser Veranstaltung mitgeschleppt. »Sie haben hoffentlich auch daran gedacht, für Ihre betrunkenen Gäste einen Fahrdienst zu organisieren«, sagte sie. »Von der Brennerei bis nach Mallaig sind es ein paar Meilen die Küstenstraße entlang. Die Strecke ist nicht ganz ungefährlich, vor allem im Dunkeln und wenn man einen sitzen hat.«

»Das brauche ich nicht. Ich werde eines der Nebengebäude zu einem Gästehaus umbauen. So können meine angesäuselten Besucher direkt ins Bett fallen.«

Marcie schluckte. Folglich würden diese Gäste den Vermietern in Mallaig entgehen. »Kennen Sie sich denn aus mit Whisky?«, fragte sie.

»Ich denke schon. Ich führe seit Jahren eine Bar.«

»Ach, und das macht Sie zum Whiskykenner?«

Ihr süffisanter Ton brachte ihn ein weiteres Mal zum Lachen. »Nicht unbedingt, allerdings habe ich ein großes Faible für Single Malts.«

Oje. Marcie unterdrückte ein Stöhnen. Ein Barmann mit Hang zum Trinken, der sich für einen Whiskyspezialisten hielt und als Brennmeister versuchen wollte. Vielleicht sollte sie die Miete im Voraus verlangen. Sie beschloss, das Thema zu wechseln. »In Ihrer Mail stand, dass Sie am ersten März bei mir einziehen wollen.«

»Richtig. Bis dahin habe ich hier hoffentlich alles erledigt. Passt der Termin für Sie?«

»Ja.«

»Gut, dann sehen wir uns in ein paar Tagen.«

Marcie verabschiedete sich, legte das Telefon beiseite und schaltete das Notebook aus. Shane Corrigan hatte nett geklungen, schien jedoch ein etwas chaotischer Typ zu sein. Die kommenden Wochen mit ihm würden sicher interessant werden.

In Gedanken bei ihrem zukünftigen Gast stellte sie ihre Teetasse auf dem Wohnzimmertisch ab, streckte sich auf der Couch aus und griff nach dem Roman, den sie heute noch zu Ende lesen wollte.

Ginger erwachte, stand auf und sah Marcie erwartungsvoll an. Zeit zum Kuscheln. Als sie auf das Sitzpolster klopfte, sprang die Hündin auf ihre Decke am Fußende des Sofas, machte es sich gemütlich und legte den Kopf auf Marcies Knie. Lächelnd schob sie die Finger in das lohfarbene und weiße Fell des Collie-Mix. Melancholie ergriff sie. Seit sieben Monaten waren sie nun allein, doch noch immer vermisste sie Harlan so heftig, als hätte er gestern erst das Haus verlassen. Ginger war ein Geschenk von ihm gewesen. Das letzte vor seinem Tod. Ohne den Welpen, der sie brauchte und für den sie sorgen konnte, hätte Marcie diese schlimme Zeit vermutlich nicht überstanden. Sie atmete tief ein, blinzelte eine Träne weg und schlug das Buch auf.

Am nächsten Morgen empfingen sie blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. Der Sturm war vorbei. Hoffentlich der letzte für diesen Winter. Marcie öffnete die Haustür, Ginger schoss mit einem freudigen Jaulen hinaus und sprang auf die Farm der McGordons zu. Wie jedes Mal entlockte die Lebensfreude ihres Hundes Marcie ein Lächeln. Sie nahm die Milchkanne von dem Tischchen neben der Tür und trat ins Freie.

Eine kühle Brise wehte ihr die Locken ins Gesicht. Tief atmete sie die salzige Seeluft ein, bevor sie sich die Haare aus der Stirn strich und in die Ferne sah. Das Meer glitzerte im milden Morgenlicht, und nur die gischtgekrönten Wellen zeugten davon, wie sehr der nächtliche Sturm die See aufgewühlt hatte. Obwohl Marcie ein Kind der Highlands war, faszinierten sie die raschen Wetterumschwünge bis heute. In Sekundenschnelle konnten Wolken aufziehen, die einen heiteren Tag in einen düsteren verwandelten und der Landschaft ihre brillanten Farben nahm. Manchmal stieg Nebel überm Meer auf und hüllte Mallaig in wattige Feuchtigkeit, meistens jedoch peitschte der Wind Regen vor sich her.

Ihr Cottage lag am Ortsrand auf einer Anhöhe, von wo aus sie über die schiefergrauen Dächer auf die Bucht blicken konnte. Oft hatte sie hier gestanden und nach Harlans Kutter Ausschau gehalten, in erwartungsvoller Sehnsucht auf seine Rückkehr. Doch eines Tages war er nicht zurückgekommen ...

Die Erinnerung an die Stunden der Ungewissheit tat noch immer weh. Aus banger Unruhe war Angst geworden, die sich schließlich zu Panik gesteigert hatte.

Marcie zwang sich, an etwas anderes zu denken. Wenn sie sich erst einmal vom Sog der Traurigkeit packen ließ, kam sie den ganzen Tag nicht mehr aus dieser Stimmung heraus.

Bellen erklang, und sie drehte sich um. Ginger und Daisy, die Border-Collie-Hündin der McGordons, jagten über die Wiese. Marcie beobachtete die beiden bei ihrem wilden Spiel, während sie dem von Heidekraut gesäumten Pfad zum Farmhaus folgte. Der Sturm hatte einen Großteil des Schnees von den niedrigen Sträuchern gefegt, lediglich vereinzelte weiße Flecken tupften das dunkle Grün.

Finley McGordon kam im selben Moment aus dem Stall, als sie die Farm erreichte.

»Morgen, Marcie!«, rief er und ging ihr entgegen.

»Hey Fin. Habt ihr die Nacht gut überstanden?«

»Aye. Und du?«

»Alles gut, dieses Mal hat es nicht reingeregnet.«

Er blieb vor ihr stehen und sah sie ernst an. »Du brauchst dringend ein neues Dach.«

Marcie hob bedrückt die Schultern.

»Rory und ich helfen dir.«

»Das ist wirklich nett von euch.« Finleys Sohn Rory hatte ihr in der vergangenen Woche erneut seine Hilfe angeboten, doch Marcie zögerte noch immer, sie anzunehmen. »Du kennst mein Problem.«

Mit einer bedauernden Geste nickte er. »Trotzdem solltest du das nicht länger aufschieben, sonst wirds irgendwann richtig teuer. Lass es mich an einem der nächsten trockenen Tage wenigstens ausbessern.«

»Na gut, einverstanden. Ab März habe ich einen Langzeitmieter, dann kann ich dich auch bezahlen.« Ihr Grinsen misslang.

Finley legte den Kopf schief. »Langzeitmieter? Was is'n das für einer?«

»Er lebt in Oban und führt dort eine Bar.«

»Und was treibt der hier?«

»Er hat die Glencairn Distillery gekauft und will sie herrichten.«

»Wozu? Was hat er damit vor?«

»Er plant, wieder Whisky zu brennen.« Marcie erzählte Finley von Mr. Corrigans Ideen für die Destillerie.

»Diese verdammten Städter. Kommen hierher, krempeln alles um und verdienen sich dumm und dämlich an unserer schönen Gegend.« McGordon spuckte aus.

»Leider haben wir außer schöner Gegend kaum was zu bieten. Von der Fischerei und der Schafzucht kann doch fast niemand mehr leben. Wir brauchen den Tourismus.«

»Aye.« Finley sammelte erneut Spucke, überlegte es sich jedoch anders und schluckte. »Wie lange bleibt der Bursche bei dir?«

»Zwei Monate vermutlich.«

»Gut, dann nimm ihn ordentlich aus. Diese verdammten Städter ...« Er grinste durchtrieben und zeigte dabei seine Zahnlücke.

»Ich hole meine Milch«, wechselte Marcie das Thema. »Ist Tibby im Haus?«

»Mhm.«

»Bis morgen, Fin.«

Er nickte ihr zu und pfiff nach seinem Hund. Daisy schoss um die Ecke des Stallgebäudes, dicht gefolgt von Ginger. McGordon öffnete das Gatter, Daisy flitzte in den Pferch und trieb die Schafherde hinaus. Währenddessen trottete Ginger an Marcies Seite zur Haustür. Der Inhalt von Tibbys Kühlschrank war wesentlich interessanter für sie als die Schafe.

»Tibby?«, rief Marcie, sobald sie den Flur betreten hatte.

»In der Küche!«

»Guten Morgen.«

Finleys Frau sah von ihrer Arbeit auf und lächelte Marcie an. »Morgen, Liebes. Steht dein Häuschen noch?«

»Ja, alles in Ordnung.«

»Gott sei Dank. Na, Ginger.« Tibby beugte sich zu ihr und streichelte sie. »Ich hab was für dich.« Sie zog die Kühlschranktür auf, nahm einen Ring Fleischwurst heraus und schnitt ein großzügiges Stück davon ab, das sie häppchenweise an die Hündin verfütterte. »Willst du frühstücken?«, wandte sie sich an Marcie. »Ich habe gestern Brot gebacken, und der Kaffee ist noch heiß.«

»Nein, danke, ich esse später.«

»Du bist viel zu dünn, Mädchen.« Tibby musterte sie von oben bis unten.

Marcie zuckte die Schultern. Harlans Tod hatte nicht nur in ihrem Herzen deutliche Spuren hinterlassen. »Nächste Woche habe ich einen Gast und brauche dann Eier, Würstchen, Käse. Das Übliche fürs Frühstück«, lenkte sie von sich ab.

»Wird gemacht. Wie lange bleibt er?«

»Zwei Monate.«

Tibby zog die Brauen hoch. »Sag bloß, er ist ein berühmter Schriftsteller, der in deinem Cottage seinen nächsten Roman schreibt.«

»Nein.« Marcie erzählte ihr von Shane Corrigan.

»Soso, ein Städter, der den Einheimischen Konkurrenz macht.« Tibby wirkte wenig begeistert von Mr. Corrigans Plänen.

»Er macht doch niemandem Konkurrenz. Die Glencairn Distillery ist die einzige Brennerei in der Gegend. Ich finde es schön, dass sie endlich wieder in Betrieb genommen wird.«

»Du hast gerade gesagt, er will auch Übernachtungen anbieten.«

»Bis es so weit kommt, hat er vielleicht schon aufgegeben«, sagte Marcie betont munter. Tibbys und Finleys Reaktionen gaben ihr zu denken. Ganz unrecht hatten sie nicht. »Warst du in letzter Zeit mal dort? Die Gebäude gehören von Grund auf saniert, die Außenanlage ist die reinste Wildnis. Es dauert bestimmt Jahre, bis alles so weit hergerichtet ist, dass er Gäste bewirten kann. Ich sehe es positiv. Zuerst mal braucht er Handwerker für die Renovierung, außerdem Personal für die Brennerei und seine anderen hochtrabenden Ideen. Das sind Jobs, über die viele hier froh sein werden. Aber das Beste ist: Er wird wochenlang deine Köstlichkeiten essen.« Sie grinste Tibby an.

»Vielleicht ist er ja ganz nett.« Tibby gab Ginger das letzte Stückchen Fleischwurst, wusch sich die Hände, dann nahm sie Marcies Milchkanne und füllte sie. »Brauchst du noch was?«

»Sechs Eier und einen kleinen Schafskäse.«

Gleich darauf verabschiedete sie sich und verließ den Hof.

Zu Hause angekommen, verstaute Marcie ihre Einkäufe im Kühlschrank, anschließend machte sie sich auf den Weg in den Ort, wo sich ihr Andenkenlädchen befand. Auch wenn zurzeit nichts los war, öffnete sie das Geschäft. Lieber hielt sie sich in ihrem Laden auf, wo ab und zu jemand vorbeischaute, als allein in ihrem Cottage zu sitzen.

Marcie schloss die Tür auf, knipste das Licht an und füllte Gingers Wassernapf in der winzigen Küche hinter dem Verkaufsraum. Die Hündin kuschelte sich inzwischen auf ihrer Decke unter dem Tresen ein. Nachdem Marcie Tee gekocht und den Kanonenofen angeheizt hatte, staubte sie die Ausstellungsstücke im Schaufenster ab und arrangierte sie neu. Das hatte sie zwar gestern schon getan, doch sie musste sich mit irgendwas beschäftigen. Danach sortierte sie die Regenschirme mit den Tartanmustern und die dazu passenden Umhängetaschen, faltete Schals, Schultertücher sowie die Strickwaren neu. Gerade polierte sie einen Silberarmreif mit keltischen Ornamenten, als das Windspiel über der Tür erklang.

»Hey Marcie.«

»Hallo Bonnie.«

Ihre Freundin zog die bunte Beanie vom Kopf und fuhr sich durch das kurze schwarze Haar, dann stellte sie ihren Korb ab und umarmte Marcie. »Alles klar bei dir? Das war vielleicht ein Sturm heute Nacht.«

»Zum Glück ist nichts passiert. Ist bei euch auch alles okay?«

»Ja. Hi Ginger.« Bonnie kraulte die Hündin, die zu ihr gekommen war und sich an ihr Bein drückte. Anschließend nahm sie den Armreif, den Marcie bei ihrem Eintreten auf die Theke gelegt hatte, und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern. »Ich hab was Neues dabei«, sagte sie leise, »aber wie's aussieht, hast du genug von dem Zeug.«

»Red keinen Unsinn, in der Vitrine ist noch eine Menge Platz.« Marcie strich Bonnie sanft über den Arm. Es tat ihr leid, dass sie nicht mehr von den Schmuckstücken verkaufte, die ihre Freundin herstellte. Anfangs war es nur ein Hobby gewesen, doch Bonnie besaß Geschick fürs Silberschmieden, und ihre Entwürfe waren außergewöhnlich. Sie fertigte keltischen Schmuck nach historischen Vorlagen, und ebenso moderne Stücke. Manche davon sahen wie winzige Skulpturen aus.

»Zeig mal, was du gemacht hast«, forderte Marcie sie auf.

Bonnie bückte sich nach ihrem Korb und reichte Marcie ein Kästchen. Sie klappte den Deckel hoch. Auf dem dunkelroten Samt lag ein Anhänger aus gehämmertem Silber in Form einer Spirale mit einem schimmernden Onyx in der Mitte. Marcie nahm das Schmuckstück und hielt es ins Licht, wo der silbrige Glanz besonders schön zur Geltung kam. Das Gebilde war so filigran, dass der Stein zu schweben schien. »Eine wunderschöne Arbeit«, sagte sie.

»Ich habe zum ersten Mal einen Edelstein verarbeitet.«

Marcie lächelte. »Der Anhänger ist traumhaft. Willst du ihn tatsächlich verkaufen?«

»Ja. Ich kann nicht jedes Teil behalten, das mir besonders gut gefällt.«

»Dann lege ihn in die Vitrine.« Sie gab Bonnie den Schmuck zurück.

Diese arrangierte ihn auf einem kleinen Samtkissen und pinnte ein Kärtchen mit dem Preis daran. »Ich habe Pie mitgebracht«, sagte sie anschließend. »Frisch aus dem Ofen, mit Lauch und Lachs.« Bonnie holte eine Plastikdose aus ihrem Korb, stellte sie auf die Theke und öffnete sie. »Ich konnte Mum zwei Stücke abluchsen.«

Wenn sie Zeit dafür fand, tauchte Bonnie gegen Mittag im Laden auf und versorgte Marcie mit etwas Essbarem. Sie hatte kurz nach Harlans Tod damit angefangen, und mittlerweile war der gemeinsame Lunch für sie zu einer lieben Gewohnheit geworden.

Ein köstlicher Duft stieg Marcie in die Nase. »Das riecht vielleicht lecker, deine Mum hat sich mal wieder selbst übertroffen.« Sie betrat den Nebenraum, füllte eine Tasse mit Tee für Bonnie und nahm Teller, Besteck und Servietten aus dem Schränkchen über dem Spülbecken. »Gehts Lennox besser?«

»Ja, er ist heute in die Schule gegangen. Zum Glück.« Grinsend legte Bonnie die Piestücke auf die Teller. »Er ist unausstehlich, wenn er das Bett hüten muss.«

»Weil er genauso quirlig ist wie du.« Marcie zog den Hocker unter der Theke hervor und setzte sich.

Bonnie war alleinerziehend und musste ihren Tagesablauf gut organisieren. Glücklicherweise hatte sie Unterstützung durch ihre Eltern, in deren Bäckerei sie mitarbeitete.

Bonnie nahm in dem alten, mit Brokat bezogenen Ohrensessel neben dem Kanonenofen Platz und stellte den Teller auf ihrem Schoß ab.

»Ab nächste Woche habe ich einen Gast«, sagte Marcie.

»Schön. Wie lange bleibt er denn?«

»Mindestens zwei Monate.«

»Wie bitte?«

Marcie berichtete ihr von Shane Corrigans Anfrage und seinen Plänen für die Glencairn Distillery.

Bonnie pfiff leise. »Er hat die alte Brennerei gekauft? Das nenne ich mutig. Hast du ihn mal gegoogelt?«

»Nein.«

»Wieso nicht?«

»Warum sollte ich?«

»Dich interessiert nicht, wie er aussieht? Du meine Güte. Wenn sich bei mir ein Kerl wochenlang einnisten will, wäre das das Erste, was ich checken würde.«

»Kannst du gern machen.« Marcie schob sich ein Stück Pie in den Mund.

Bonnie griff nach ihrem Handy. »Buchstabier mal seinen Namen.«

Wenig später hielt sie Marcie ein Foto unter die Nase, auf dem mehrere Personen in eleganter Kleidung abgebildet waren.

»Paige und Shane Corrigan«, zitierte Bonnie die Bildunterschrift und verzog den Mund. »Gut aussehend und verheiratet. War ja klar.«

Marcie nahm ihr das Smartphone aus der Hand, vergrößerte den Bildausschnitt und betrachtete ihn genau. Shane Corrigan war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit dunklen Haaren und kantigem Gesicht. Der Anzug stand ihm gut, doch auf Marcie wirkte er wie verkleidet. Er war der Typ für karierte Holzfällerhemden, Jeans und derbe Boots. Ein Naturbursche, der sich in den Highlands oder auf den Steilklippen den rauen Wind um die Nase wehen ließ. Die blonde Frau an seiner Seite trug ein extravagantes scharlachrotes Minikleid, das die Zierlichkeit ihrer Figur unterstrich.

»Das Bild ist fast vier Jahre alt«, sagte sie, nachdem sie den dazugehörigen Zeitungsartikel vorgelesen hatte, in dem es um die Verleihung mehrerer Preise an Unternehmer aus Oban ging. Mr. Corrigan war für das innovative Konzept seiner Szenebar The Wizard ausgezeichnet worden.

»Na und? Er wird sich nicht sonderlich verändert haben.« Bonnie legte den Kopf schief. »Wieso reist er ohne seine Frau? Er kommt doch allein, oder?«

»So habe ich es zumindest verstanden.«

»Vermutlich hat sie keine Lust, sich bei der Renovierung die Fingernägel abzubrechen. Sie sieht ziemlich aufgetakelt aus, findest du nicht auch?« Bonnie nahm ihr Handy, betrachtete das Foto noch einmal und setzte sich wieder. »Zu schade, dass er in festen Händen ist. Ich hätte sonst mein Glück bei ihm probiert.«

»Wird Zeit, dass die Saison beginnt und du den Touristen schöne Augen machen kannst«, neckte Marcie.

»Ich habe echt Nachholbedarf. Der Winter war lang und kalt. Leider kommen die Touristen zwar gern wegen der tollen Gegend zu uns, dauerhaft bleiben will aber keiner. Bis ich einen Mann finde, bin ich alt und grau.«

Ihr herzerweichendes Seufzen entlockte Marcie ein Lächeln. »Geht das Gejammer schon wieder los. Wie alt bist du noch mal?«

»Genauso steinalt wie du. Fünf-und-dreißig«, sagte Bonnie gedehnt. »Wir sind zwei einsame, verlassene Frauen, die dazu verdammt sind, in diesem elenden Kaff zu versauern.« Sie seufzte erneut. »Wenn ich nur von hier wegkönnte.«

Obwohl Bonnie theatralisch klang, wusste Marcie, dass eine Menge Wahrheit in ihren Worten steckte. Ihre Freundin sehnte sich nach einem anderen Leben. Sie träumte davon, sich mit einer Schmuckwerkstatt selbstständig zu machen, war jedoch an den Ort gebunden. Der Familienbetrieb ernährte sie, und ihre Eltern halfen ihr bei der Betreuung ihres achtjährigen Sohns. Marcie dagegen war frei, sie könnte ihr Häuschen verkaufen und in einer Stadt neu anfangen. Aber das wollte sie nicht. Mallaig war mehr als ihr Zuhause, es war ihr Seelenort. Hier war sie geboren und aufgewachsen, hatte wundervolle Jahre erlebt, und sie schätzte den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft. Sie war ein Teil davon. Die Menschen aus dem Ort hatten sie nach Harlans Tod aufgefangen und ihr Halt gegeben.

Der Gedanke an ihn weckte wie so oft die Erinnerung an die gemeinsame Zukunft, die sie sich erträumt hatte. Obwohl sie Harlan erst seit einigen Monaten gekannt hatte, war sie sicher gewesen, dass sie mit ihm den Rest ihres Lebens verbringen wollte.

Die Ladentür ging auf, und das Klingeln riss Marcie aus ihrer trübsinnigen Stimmung. Als sie hochsah, blickte sie in kühle sturmgraue Augen.

Kapitel 2

Melodische Töne erklangen, als Shane die Tür des Andenkenladens öffnete. In die wohlige Wärme, die ihm entgegenschlug, mischte sich aromatischer Essensduft. Rasch schloss er die Tür hinter sich und sperrte den eisigen Wind aus.

»Guten Tag. Ich möchte zu Marcie Douglas.« Er schaute von der Frau mit der roten Lockenmähne zu der schwarzhaarigen. Beide starrten ihn an, als hätte ein Gespenst den Raum betreten. Er wusste, wie mitgenommen er aussah. Übernächtigt und von den Ereignissen der vergangenen Monate gezeichnet, die Haare zu lang, unrasiert ... doch dass er eine solche Reaktion auslöste, irritierte ihn.

Für einen Moment herrschte Schweigen.

»Das bin ich.« Die Rothaarige stand auf und kam um den Tresen herum.

»Ich bin Shane Corrigan, wir hatten telefoniert.« Er streckte ihr die Hand hin.

»Herzlich willkommen, Mr. Corrigan. Ich hatte erst nächste Woche mit Ihnen gerechnet.« Ihr Händedruck war fest, ihr Lächeln sympathisch und ihr Blick sanft.

»Es gab eine kurzfristige Planänderung, die meine Anwesenheit in der Brennerei erfordert. Kann ich heute schon bei Ihnen einziehen, oder komme ich ungelegen?«

»Ich muss das Zimmer noch vorbereiten ... aber ja, Sie können es sofort haben. Passt es Ihnen am Nachmittag?«

Er nickte. »Natürlich. Ich fahre gleich weiter und bin erst am Abend zurück. Lassen Sie sich Zeit.« Shane lächelte sie an. »Ich wollte nur sichergehen, dass ich ein Bett für die Nacht habe.«

»Das bekommen Sie.«

Erneut fing ihr Lächeln seinen Blick ein, und er sah sie eine Sekunde zu lang an. Schließlich lenkte ihn eine Bewegung von der Betrachtung ihres aparten Gesichts mit den farngrünen Augen ab. Ein Collie umrundete die Theke und trottete auf ihn zu.

»Das ist Ginger«, sagte Mrs. Douglas. »Sie tut niemandem was.«

»Ich mag Hunde, ich bin mit ihnen aufgewachsen.« Shane hielt der Hündin die Hand hin, und sie schnüffelte daran. Freundlich sah sie ihn an, er beugte sich zu ihr und kraulte sie hinter einem Ohr.

»Perfekt. Dann vertragen Sie sich hoffentlich gut mit ihr.«

»Ganz bestimmt. Hunde lieben mich.« Er richtete sich wieder auf. »Sie und Ginger werden mich kaum zu Gesicht bekommen. Ich bin die meiste Zeit auf der Baustelle.«

»Okay.« Sie deutete auf die Frau, die aufgestanden war und sich neben sie gestellt hatte. »Das ist meine Freundin, Bonnie Steward.«

»Hier auf dem Land werden zuerst die Tiere vorgestellt, dann die Menschen.« Bonnie Steward zwinkerte Shane zu und knuffte Mrs. Douglas in die Seite.

Er gab ihr ebenfalls die Hand. »Guten Tag, Mrs. Steward. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Miss Steward, bitte, aber Bonnie reicht.« Ihr Lächeln war breit und ansteckend, ihre dunklen Augen blitzten.

Obwohl sie sympathisch wirkte, fühlte sich Shane unter ihrem direkten Blick unbehaglich. So ging es ihm oft in letzter Zeit. Er konnte Freundlichkeit nicht mehr unbedarft hinnehmen, nachdem ihm so viel Misstrauen und Verachtung entgegengeschlagen waren.

»Marcie hat mir erzählt, dass Sie für eine Weile hier sein werden«, fuhr sie fort.

»Ja. Ich bin der neue Eigentümer der Glencairn Distillery. In den kommenden Monaten wird sie saniert, solange wohne ich in Mallaig.«

»Meinen Eltern gehört die Bäckerei im Ort, ich helfe im Laden. Falls Sie Lunchpakete brauchen, können Sie die bei uns bestellen.«

Das war ein guter Vorschlag, denn die Brennerei lag einsam in einem Tal, mehrere Meilen von Mallaig entfernt.

»Danke für das Angebot, darauf komme ich gern zurück.« Erneut sah Shane Mrs. Douglas an. »Ich muss weiter. Wann passt es Ihnen heute Abend?«

»Wann passt es Ihnen?« Mit einer Geste umfasste sie das Souvenirlädchen. »Ich kann jederzeit schließen. Außerhalb der Saison ist nichts los.«

»Sagen wir gegen fünf?«

»Einverstanden.«

»Dann bis später.« Er wandte sich Mrs. Douglas' Freundin zu. »Auf Wiedersehen, Miss Steward.«

»Bonnie«, korrigierte sie ihn. »Wir werden uns in nächster Zeit garantiert öfter sehen. Sie essen abends doch bestimmt im Pub, oder?«

Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht. »Das habe ich vor«, sagte er nach einem Moment.

»Dann gehen Sie am besten ins Steam Inn. Direkt am Hafen.« Sie lachte auf. »In unserem winzigen Ort liegt praktisch alles am Hafen, Sie können es gar nicht verfehlen. Es gibt super Essen und an manchen Freitagen Livemusik. Ich arbeite dort abends als Bedienung.« Bonnie begleitete ihre Worte erneut mit einem Zwinkern.

Shane nickte ihr zu, bevor er mit einem knappen Abschiedsgruß den Laden verließ. In seinem Wagen atmete er tief durch. Nichts lag ihm ferner, als Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch offensichtlich war es dafür bereits zu spät. Bonnie Stewards Interesse an ihm hätte selbst ein Blinder bemerkt. Shane war nicht hierhergekommen, um neue Freundschaften zu schließen oder eine Frau kennenzulernen. Er würde sich auf seine Arbeit in der Whiskybrennerei konzentrieren und ansonsten von allem fernhalten.

Seine Gedanken schweiften zu Mrs. Douglas. Bei ihrem Telefonat war sie ihm lockerer und aufgeschlossener vorgekommen als eben. Im Gegensatz zu Miss Steward schien sie eine eher zurückhaltende Frau zu sein. Er hoffte, dass ihre Familie ebenfalls ruhig war. Shane hatte ihr B & B ausgewählt, weil es am Ortsrand lag und nur zwei Gästezimmer besaß.

Er startete den Motor, verließ Mallaig und fuhr die Küstenstraße entlang. Immer wieder rüttelten Böen seinen alten Land Rover durch, als wollten sie ihn daran erinnern, dass die Winterstürme noch nicht überstanden waren. Der verdammte Sturm war auch der Grund für seine Anwesenheit. Fergus Lachlan, der früher in der Brennerei gearbeitet hatte und regelmäßig nach dem Rechten sah, hatte ihn am Morgen angerufen, weil in der Nacht ein Teil des Dachs abgedeckt worden war. Glücklicherweise nur bei einem Nebengebäude. Trotzdem wollte sich Shane den Schaden mit eigenen Augen ansehen und mit dem Dachdecker, den Fergus kurzfristig hatte auftreiben können, das weitere Vorgehen persönlich besprechen.

Nach einigen Meilen bog er von der Küstenstraße ab und folgte der Single Track Road, die zwischen heidebewachsenen Hügeln zur Brennerei führte. Schließlich erreichte er die Talsenke, in der die Glencairn Distillery lag.

Langsam fuhr Shane die von uralten Bäumen gesäumte Zufahrt entlang, die von Ästen und Zweigen übersät war. Der Sturm musste heftig gewütet haben, wenn sogar an dieser geschützt liegenden Stelle so viel kaputtgegangen war. Er verringerte seine Geschwindigkeit noch weiter und spähte durch die Frontscheibe zu den Baumkronen hinauf, die den Weg wie ein Kuppeldach überspannten. Nicht nur die Brennerei brauchte eine Sanierung, die Außenanlagen hatten Pflege ebenso nötig. Es gab eine Menge für ihn zu tun.

Der Weg endete an der geschotterten Fläche vor der Destillerie. Trotz des heiteren Tages wirkten die Gebäude mit ihrer abblätternden weißen Farbe und den schiefergedeckten Dächern trist. Der vertrocknete Efeu, der sich um die Pfosten des Vordachs beim Visitor Centre rankte, verstärkte den trostlosen Eindruck noch. Einziger Blickfang waren die beiden Türme der ehemaligen Mälzerei mit ihren dekorativen Pagodendächern.

Shane parkte und stieg aus. Bald würde die Brennerei aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Wenn erst mal die Fassaden gereinigt und frisch gestrichen wären, sähen die Gebäude schon wesentlich einladender aus. In seiner Fantasie sah er, wie Holzfässer über den Hof gerollt wurden, hörte, wie sich seine Mitarbeiter scherzhafte Worte zuriefen, und atmete den Geruch des Torffeuers ein. Obwohl er sich auf diese Herausforderung freute, bohrten gleichzeitig leise Zweifel in ihm. Hatte er sich in seiner Hast, Oban und seine Vergangenheit hinter sich zu lassen, nicht doch zu viel aufgeladen? Was verstand er denn von der Whiskybrennerei? Und würde sein außergewöhnliches Konzept überhaupt aufgehen? Würden genug Touristen kommen, damit sich der ganze Aufwand rentierte? Zu den bekannten Brennereien karrten die Reiseveranstalter Busladungen voller Gäste, er aber musste sich erst einmal einen Namen machen. Die Konkurrenz in diesem Sektor war verdammt groß. Alles, was er sich im Lauf der Jahre aufgebaut hatte, schien plötzlich nichts mehr wert zu sein.

»Hallo!« Fergus Lachlans Ruf holte ihn aus seinen düsteren Gedanken. Der Mann kam über den Parkplatz auf ihn zu.

Shane streckte ihm die Hand hin. »Hallo Fergus.«

»Mr. Corrigan.« Fergus weigerte sich beständig, Shane ebenfalls mit Vornamen anzusprechen, obwohl er es ihm mehrere Male angeboten hatte. »Gute Fahrt gehabt?«

»Ja, danke.«

Sie gingen am Visitor Centre entlang. »Haben Sie in der Zwischenzeit sonst noch Schäden festgestellt?«, fragte Shane.

»Dadrinnen« – Fergus nickte in Richtung des Gebäudes – »ist eine undichte Stelle an einem Fenster. Nichts Wildes, ich bin gerade dabei, sie auszubessern.«

»Danke, dass Sie sich darum kümmern.«

»Dieses Jahr haben wir Glück mit dem Wetter«, fuhr Fergus fort. »Es gab Zeiten, da waren wir monatelang eingeschneit. Ich erinnere mich noch an einen Winter, da lag der Schnee fünf Fuß hoch. Mein Großvater war nur vier Fuß zehn groß, den habe ich erst im März wieder gesehen.«

Shane lachte. Er liebte Lachlans trockenen schottischen Humor.

Sobald sie um die Ecke bogen, sah Shane, was der Sturm angerichtet hatte. Das Dach des Verwaltungsgebäudes war fast vollständig abgedeckt worden, die freie Fläche davor übersät mit zerbrochenem Schiefer. Kopfschüttelnd betrachtete er den Schaden. »Wie sieht es drinnen aus?«

»Es hat geschneit. Die ganze Nacht.« Fergus schob die Hände in seine Hosentaschen.

Mehr brauchte er nicht zu sagen. Shane warf einen Blick auf seine Uhr. »Sie meinten, Mr. MacPherson wird gegen eins hier sein?«, vergewisserte er sich. Ian MacPherson war der Dachdecker.

»Aye, er müsste jeden Moment kommen.«

Shane betrat das Gebäude und schaute sich um. Seine Schritte auf dem Fliesenboden hallten in den leeren Räumen wider. Das Erdgeschoss sah gut aus, doch im ersten Stock hatte der geschmolzene Schnee auf dem Dielenboden mehrere Wasserlachen hinterlassen. Er sah zum Dach hoch und seufzte. Fergus, der ihm gefolgt war, gab ein bedauerndes Grunzen von sich.

Das Dröhnen eines Motors drang schwach zu ihnen herein.

»Das ist Ian«, sagte Fergus. »Ich bring ihn her.« Er wandte sich der Treppe zu und ließ Shane allein.

Bedrückt ging er ins nächste Zimmer. Das kleine Gebäude sollte sein neues Zuhause werden. Sein Rückzugsort. Seit die Presse wie ein Schwarm blutsaugender Insekten über ihn hergefallen war, wusste er Privatsphäre zu schätzen. Er würde es nicht noch mal zulassen, dass andere in seinem Leben herumwühlten und intime Details an die Öffentlichkeit zerrten. Shane trat an eines der Fenster. In der Ferne konnte er das Meer glitzern sehen. Ruhe und Einsamkeit ... nie hätte er geglaubt, dass er sich einmal so sehr danach sehnen würde. Bisher hatte er sich gern mit Menschen umgeben. Er liebte das Gedränge und den Lärm im The Wizard, seiner Bar in Oban, die Gespräche mit den Gästen, den Umgang mit seinen Angestellten. Hatte es geliebt ... Vergangenheit ... und das alles verdankte er Paige. Allein der Gedanke an sie trieb einen glühenden Stachel in sein Herz. Shane schloss die Augen und drängte gewaltsam die altbekannte Wut zurück, die in ihm hochzuwallen drohte.

Schritte auf der Treppe und Stimmengewirr holten ihn wieder in die Gegenwart. Er wandte dem Fenster den Rücken zu. Fergus kam mit MacPherson die letzten Stufen herauf. Sie blieben auf dem Treppenabsatz stehen, Shane begrüßte den Mann, anschließend gingen sie durch die einzelnen Räume.

»Meine Leute legen später Planen übers Gebälk«, sagte der Dachdecker nach dem Rundgang zu Shane. »Damit machen wir erst mal dicht. Sobald das Wetter es zulässt, decken wir das Dach neu ein.«

»Danke, dass Sie mir so kurzfristig helfen können.«

»Keine Ursache.«

Es war fast sechs, als Shane die Destillerie verließ. Auf seine Bitte hin hatte sich Mr. MacPherson die Dächer der anderen Gebäude ebenfalls angesehen, im Anschluss war Shane allein auf dem Gelände herumgewandert und in Gedanken noch einmal die einzelnen Sanierungsschritte durchgegangen. Er brannte darauf, endlich anzufangen und sich ein neues Zuhause zu schaffen.

Müde steuerte er seinen Wagen die schmale Straße hinauf, die zu Marcie Douglas' Cottage führte. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass er sich mit ihr für fünf Uhr verabredet hatte.

Aus den Erkerfenstern im Erdgeschoss schimmerte Licht, das schwach den kleinen Vorgarten erhellte. Der gelbliche Schein wirkte wie ein Willkommensgruß auf Shane. Er stellte den Wagen am Straßenrand ab, nahm seine Reisetasche, in die er nach Fergus' Anruf hastig das Nötigste gestopft hatte, den Aktenkoffer und das Notebook und ging auf die Eingangstür zu. Der feine Kies, mit dem der Weg bestreut war, knirschte unter seinen Sohlen. Er klopfte an.

Ginger bellte, und Sekunden später zog Mrs. Douglas die Tür auf.

»Mrs. Douglas.« Er lächelte sie an. »Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung, ich wurde auf der Baustelle aufgehalten.«

»Das macht doch nichts. Kommen Sie rein.« Sie unterstrich ihre Aufforderung mit einer einladenden Geste, und Shane betrat den Flur.

»Kann ich Ihnen was abnehmen?« Sie streckte die Hand nach seiner Notebooktasche aus.

»Das geht schon, danke.«

»Wie Sie wollen.« Sie schloss die Tür hinter ihm und zeigte zur Treppe. »Die Gästezimmer sind oben, und hier serviere ich das Frühstück.« Mrs. Douglas deutete auf die erste Tür links. »Mein Wohnzimmer. Die Tür daneben führt in die Küche, falls Sie mal was in den Kühlschrank stellen möchten oder Geschirr brauchen. Die Räume auf der rechten Seite sind privat.«

»Okay.« Er nickte ihr zu.

»Dann zeige ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer.«

Shane folgte ihr die steilen Stufen hinauf, die unter ihren Schritten knarrten. Unwillkürlich fühlte er sich in seine Kindheit zurückversetzt, auf die Farm seiner Eltern in Irland.

Oben angekommen, blieb Mrs. Douglas vor zwei sich gegenüberliegenden Türen stehen. »Das sind die Gästezimmer, das Bad ist am Ende des Flurs.« Sie nickte in die Richtung, bevor sie die linke Tür öffnete und die Deckenlampe einschaltete. »Von hier aus haben Sie einen wundervollen Blick auf die Bucht, und die Sonnenuntergänge sind einfach traumhaft.«

Shane stellte sein Gepäck ab und sah sich in dem Raum mit der niedrigen Holzbalkendecke um. Die Einrichtung bestand aus einem Doppelbett, einem Kleiderschrank, zwei Sesseln, die sich um den kleinen runden Tisch gruppierten, und einem Sideboard. Darauf standen ein Fernseher, ein Wasserkocher sowie ein Tablett mit zwei Tassen, zwei Gläsern und einem Sortiment an Teebeuteln, Instantkaffee, Zucker und Milch.

»Ein Zimmer mit Meerblick«, sagte er. »Besser hätte ich es nicht treffen können.« Er lächelte sie an. »Ist es Ihnen recht, wenn ich die Möbel etwas umräume? Ich bräuchte eine Arbeitsecke.«

Für einen Moment wirkte sie irritiert. »Richten Sie sich so ein, wie Sie sich wohlfühlen.«

»Danke.« Shane überlegte kurz. »Einer der Sessel kann raus, dann reicht der Platz für einen Beistelltisch.«

»Brauchen Sie ihn denn nicht?«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich habe leider keinen Aufenthaltsraum für Gäste.« Sie klang zögerlich. »Wie ich eben schon gesagt habe, serviere ich das Frühstück in meinem Wohnzimmer, dort befindet sich eine kleine Essecke. Falls Sie Besuch bekommen, sind Sie auf Ihr Zimmer angewiesen.«