Ebenen des Narrativen in Bildimpulsen und Erzähltexten - Laura Drepper - E-Book

Ebenen des Narrativen in Bildimpulsen und Erzähltexten E-Book

Laura Drepper

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Beschreibung

Bilder, die eine Geschichte erzählen, werden in verschiedenen Kontexten als Erzählanlässe genutzt, z.B. in Vorlesesituationen, zur Sprachförderung oder als Schreibanlass. Allerdings bleibt bei der Auswahl narrativer Bilder (z.B. von Bildimpulsen oder Bildergeschichten) häufig das narratoästhetische Potential der Bildgestaltung unberücksichtigt. In dieser Arbeit werden Wirkungspotentiale von Bildern durch einen interdisziplinären Zugriff theoretisch entfaltet und in einer qualitativ-quantitativen Erzähltextanalyse empirisch untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Bildgestaltung Einfluss auf den narrativen Sprachgebrauch nimmt und bei visuellen Erzählimpulsen berücksichtigt werden sollte. Ein wichtiges Ergebnis für die deutschdidaktische Forschung und die schulische Praxis gleichermaßen stellt ein Gestaltungskontinuum für narratoästhetische Erzählimpulse dar. Es kann genutzt werden, um narrative Bilder kategoriengeleitet zu analysieren und ihr Potential für das sprachlich-ästhetische Lernen im Deutschunterricht zu bewerten.

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Laura Drepper

Ebenen des Narrativen in Bildimpulsen und Erzähltexten

Eine empirische Studie über Wirkungspotentiale von Bildern auf schriftliche Erzählfähigkeiten in der Grundschule

DOI: https://doi.org/10.24053/9783772057847

 

© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 2751-6547

 

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

 

ISBN 978-3-7720-8784-4 (Print)

ISBN 978-3-7720-0222-9 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Hinführung zum Forschungsinteresse1.1 Darstellungsformen von Bildern zum narrativen Lernen1.2 Bildverarbeitungsprozesse beim narrativen Lernen1.3 Der narrative Sprachgebrauch im interaktionalen Paradigma1.4 Aufbau der Arbeit2 Narratoästhetische Bilder2.1 Verarbeitung narratoästhetischer Bilder2.1.1 Visual Literacy2.1.2 Präattentive und attentive Bildwahrnehmung2.1.3 Interaktion von Bild und Visual Literacies2.2 Gestaltung narratoästhetischer Bilder2.2.1 Gestaltungsmöglichkeiten einer visuellen Narration2.2.2 Gestaltungsmöglichkeiten der erzählten Welt2.3 Ebenen des Narrativen in narratoästhetischen Bildern3 Erzählen3.1 Etablierung von Erzählkontexten3.1.1 Erzählen als Sprachhandlung3.1.2 Erzählen innerhalb der Verweisräume3.1.3 Erzählen als Origoverschiebung3.1.4 Erzählen als Kontinuum3.2 Narrative Gebrauchsmuster bei der Erzähltextgestaltung3.2.1 Kohäsive Mittel in Erzählungen3.3 Ebenen des Narrativen in Erzähltexten4 Narratoästhetische Erzählimpulse4.1 Verarbeitung narratoästhetischer Erzählimpulse4.1.1 Das Konzept der narrativen Perspektivierung4.1.2 Mentale Zugriffe beim Erzählen – Wahrnehmen und Vorstellen4.1.3 Beschaffenheit von Erzählimpulsen – das Reale, Imaginäre und Fiktive4.1.4 Erzählimpulse zur Etablierung von Erzählkontexten4.2 Gestaltung narratoästhetischer Erzählimpulse4.2.1 Gestaltung einer visuellen Narration4.2.2 Gestaltung der erzählten Welt5 Forschungsdesign5.1 Ziel der Studie und ForschungsfragenF1: Welche Wirkungspotentiale hat die Gestaltung narratoästhetischer Erzählimpulsen (fiktiv u. imaginär) für den narrativen Sprachgebrauch?H1: Der narrative Sprachgebrauch in Erzähltexten zum fiktiven Erzählimpuls ist stärker ausgeprägt als in Erzähltexten zum imaginären Erzählimpuls.F2: Welche Wirkungspotentiale hat die Gestaltung narratoästhetischer Erzählimpulse (fiktiv u. imaginär) für den narrativen Sprachgebrauch auf Mikro-, Meso- und Makroebene des Erzähltextes?F3: Welche Relevanz haben vorschulische Literacy-Erfahrungen beim schriftlichen Erzählen zu narratoästhetischen Erzählimpulsen (fiktiv u. imaginär)?5.2 Analyse der eingesetzten narratoästhetischen Erzählimpulse5.3 Erhebungsablauf und Stichprobe5.4 Methodische Grundlagen zur Empirischen Datenanalyse5.5 Kategoriensystem zur Analyse der Ebenen des Narrativen in Erzähltexten5.5.1 Analysekategorien auf Mikroebene des Erzähltextes5.5.2 Analysekategorien auf Mesoebene des Erzähltextes5.5.3 Analysekategorien auf Makroebene des Erzähltextes5.6 Reliabilitätsanalyse einzelner Analysekategorien5.7 Transkription der Daten6 Empirische Analyse6.1 Analyse der narrativen Gebrauchsmuster auf Mikroebene des Erzähltextes6.1.1 Qualitative Analyse der Adverbien und Adverbialphrasen6.1.2 Quantitative Analyse der Adverbien und Adverbialphrasen6.1.3 Qualitative Analyse des Junktionengebrauchs6.1.4 Quantitative Analyse des Junktionengebrauchs6.1.5 Qualitative Analyse des Tempusgebrauchs6.1.6 Quantitative Analyse des Tempusgebrauchs6.2 Analyse der narrativen Gebrauchsmuster auf Mesoebene des Erzähltextes6.2.1 Qualitative Analyse der Gebrauchsmuster zur Etablierung einer Erzählerperspektive6.2.2 Quantitative Analyse der Gebrauchsmuster zur Etablierung einer Erzählerperspektive6.2.3 Qualitative Analyse der Gebrauchsmuster zur Etablierung einer Protagonistenperspektive6.2.4 Quantitative Analyse der Gebrauchsmuster zur Etablierung einer Protagonistenperspektive6.3 Analyse der narrativen Gebrauchsmuster auf Makroebene des Erzähltextes6.3.1 Qualitative Analyse der narrativ-strukturierenden Gebrauchsmuster6.3.2 Quantitative Analyse der narrativ-strukturierenden Gebrauchsmuster6.3.3 Qualitative Analyse der poetisch-evozierenden Gebrauchsmuster6.3.4 Quantitative Analyse der poetisch-evozierenden Gebrauchsmuster6.4 Zusammenführung und Interpretation der Ergebnisse6.4.1 Mikroebene des Erzähltextes6.4.2 Mesoebene des Erzähltextes6.4.3 Makroebene des Erzähltextes7 Diskussion und Erkenntnisgewinn7.1 Diskussion der Ebenen des Narrativen im Bild7.2 Diskussion der Ebenen des Narrativen im Text7.3 Wirkungspotentiale narratoästhetischer Erzählimpulse7.4 Erkenntnisgewinn für den sprachdidaktischen Forschungsdiskurs8 Resümee und AusblickLiteraturverzeichnisAnhangGeschichten zum fiktiven ErzählimpulsGeschichten zum imaginären Erzählimpuls

Vorwort

Die vorliegende Dissertation entstand an der Universität Paderborn im Rahmen des Projekts „Entwicklung des (Recht-)Schreibens von der Primar- zur Sekundarstufe“ (ESPS). Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei allen Personen bedanken, die mir zahlreiche Anregungen gegeben und die Entstehung der Arbeit unterstützt haben.

An erster Stelle gilt ein ganz besonderer Dank meiner Erstgutachterin Frau Prof. Dr. Elvira Topalović, die mir in vielen Gesprächen auf fachlicher sowie persönlicher Ebene immer zur Seite stand. Ihre fachwissenschaftliche, fachdidaktische und empirische Expertise hat maßgeblich zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen.

Darüber hinaus danke ich Frau Prof. Dr. Tabea Becker für die wertvollen Anmerkungen sowie die Übernahme des Zweitgutachtens.

Weiterführend bedanke ich mich bei den Doktorand:innen der Literatur- und Sprachdidaktik der Universität Paderborn, welche die Arbeit in intensiven Diskussionsrunden fachlich und methodisch bereichert haben. Besonders wichtig für mich und die Entwicklung der Arbeit waren die fachlichen Gespräche mit meinen Kolleg:innen und Freund:innen Cynthia Arnold, Miriam Croft, Dr. Lara Diederichs, Hannah Marie Fernhomberg, Kira Härtel, Susanne Lang und Dr. Benjamin Jakob Uhl, die auch in privaten Kontexten immer wieder Raum gefunden haben. Sie haben mir neben wertvollen Anregungen auch geholfen, die Freude an der Arbeit nicht zu verlieren.

Außerdem möchte ich mich bei den Lehrkräften und Kindern der Projektschule bedanken, ohne welche die Entstehung der Arbeit gar nicht möglich gewesen wäre. Die Zusammenarbeit mit der Schule und die Freude der Kinder an Geschichten haben mich immer wieder in meinem Dissertationsvorhaben bestärkt.

Außerdem danke ich meiner Familie für die vielen Gespräche und Diskussionen in schöner Gemeinschaft, durch welche ich eine offene und hinterfragende Haltung einnehmen konnte. Besonders bedanken möchte ich mich bei meinen Eltern, ohne die ich nicht an dieser Stelle stehen würde. Sie haben mich und meine Brüder stets in unseren Plänen unterstützt und dazu ermutigt, neugierig zu sein und die Welt zu hinterfragen. Außerdem danke ich meiner Oma, die immer an mich geglaubt hat und mich gerade in unsicheren Momenten darin bestärkt hat, meine Stärken und Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.

Abschließend danke ich von ganzem Herzen meinem Freund Philipp, der immer geduldig und verständnisvoll hinter mir und meinen Vorhaben stand und mich liebevoll unterstützt hat.

Paderborn, im August 2022    Laura Drepper

1Hinführung zum Forschungsinteresse

Bilder dienen in den verschiedensten Kontexten als Erzählanlässe. Ob in familiären Vorlesesituationen, zur Sprachsensibilisierung in der KiTa oder als Schreibanlass in der Schule, Bilder, die Geschichten erzählen, sind vielen bereits einmal begegnet. Wer kennt nicht den „kleinen Herrn Jakob“ von Hans Jürgen Press (1981) oder die zahlreichen „Vater-Sohn-Geschichten“, die seit 1935 unter dem Pseudonym e. o. plauen erschienen sind? So manche dieser Bildergeschichten wurden auch in der Forschung eingesetzt, sei es um mündliches oder schriftliches Erzählen vorschulisches und/oder schulisch zu elizitieren (vgl. z.B. Boueke et al. 1995). In der internationalen Forschung werden Ausschnitte aus dem textlosen Bilderbuch „Frog, where are you?“ von Mercer Mayer (1969) als frog-story zum Erzählanlass (vgl. z.B. Hoel 2015). Auch Verlage werben gerne mit textlosen Bilderbüchern: Hier erzählen die Bilder die Geschichten. Ein bei Kindern beliebtes und gleichzeitig preisgekröntes Bilderbuch ohne Text ist „Die Torte ist weg!“ von Thé Tjong-Khing (2006). Der Verlag greift auf dem Cover Stimmen auf, die dem ästhetisch anspruchsvollen Bilderbuch ein sprachanregendes Potential zusprechen.

In aktuellen empirischen Studien der Deutschdidaktik nehmen Bildimpulse als visuelle Erzählanlässe ebenfalls eine bedeutende Rolle ein: Durch Bildimpulse werden mündliche und schriftliche Sprachdaten elizitiert, um den Erwerb narrativer Fähigkeiten nachzuzeichnen und/oder Erzählfähigkeiten sprachlich-textuell zu beschreiben (vgl. Schüler 2019, Uhl 2015). Binanzer (2018) gibt eine Übersicht an sprachdidaktischen Studien, die Einzelbilder oder Bilderfolgen als Impuls zur Elizitation des kindlichen Sprachgebrauchs einsetzen. Die Übersicht erfasst sowohl empirische Studien zum narrativen Lernen als auch Studien aus weiteren sprachdidaktisch relevanten Forschungskontexten. Die zum damaligen Zeitpunkt bemerkenswerte Anzahl von 17 empirischen Studien, die den kindlichen Sprachgebrauch oder -erwerb durch Bilder skizzieren, zeigt die Bedeutung von Bildern für die sprachdidaktische Forschung. In narrativen Kontexten kann die Bilderfolge auch spezifischer als Bildergeschichte bezeichnet werden (vgl. u.a. Scherer/Schröder 2019, 271). Verschiedene Beiträge heben die Beliebtheit einer Bildergeschichte als narratives Lernmittel in der schulischen Praxis hervor (vgl. Becker/Busche 2019, 121; Becker 2019, 361; Becker/Stude 2017, 45 f.; Wieler 2013, 255). Gleichzeitig verüben diese an der Bildergeschichte als Erzählanlass Kritik, da in Bildergeschichten die „Entdeckung der Fiktion“ (Bredel 2001, 16) ausbleibe und die Verarbeitung für Kinder „eine meist völlig unterschätzte Herausforderung“ (Becker/Stude 2017, 85) darstelle. Allerdings wird das Potential wortloser bzw. textloser Bilderbücher, deren Aufführung ebenfalls einer Bilderfolge entspricht, für sprachliche Lernprozesse gerade in inklusiven Kontexten immer wieder hervorgehoben (vgl. u.a. Becker 2019, Eder 2015, Wieler 2015). In einer entwicklungstheoretisch begründeten Überlegung stellt Becker (2019) das Potential wortloser Bilderfolgen der Kritik an Bildergeschichten gegenüber und weist darauf hin, dass narrativ-strukturierte Bilderfolgen nicht per se sprachdidaktischen Forderungen entgegenstehen:

„Entscheidend ist der bewusste Umgang mit den Methoden und Möglichkeiten, die differenzierende Verwendung vor dem Hintergrund kognitiver und entwicklungspsychologischer Zusammenhänge. Zudem können diese Ausführungen auch als Plädoyer verstanden werden, mehr Raum für Kreatives und Ästhetisches in Lehr- und Lernprozessen zu schaffen.“ (Becker 2019, 371)

Allerdings wird bei der lehrerseitigen Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen eben dieser Freiraum für Kreatives und Ästhetisches selten geschaffen. Im Gegensatz wird der Lerngegenstand häufig entsprechend dem erwachsenen Verständnis für die Kinder angepasst und auf das bereits Bekannte reduziert. Richter/Plath (2012) stellen in einer empirischen Studie zur Auswahl von Literaturwerken heraus, dass Lehrkräfte die Literaturwerke nicht anhand des narrativen und literarischen Potentials auswählen, sondern kindgemäße Literatur vorziehen. Daran angelehnt stellt Heinke (2013) die kindliche Auswahl von Bildern für den Unterricht der Auswahl der Lehrkräfte gegenüber:

„Dasselbe Argument, das Kinder FÜR ein Bild anführten, sprach für Erwachsene GEGEN den Einsatz des Bildes in der Arbeit mit Kindern. Dieses Beispiel unterstreicht die eingangs erwähnte Problematik, dass die Auswahl literarischer Stoffe – in diesem Fall die Auswahl entsprechender Illustrationen – nach vermeintlicher ‚Kindgemäßheit‘ geschieht und damit die Kinder in ihrer Kompetenz, Bilder zu entschlüsseln und auf Texte zu beziehen, unterfordert werden.“ (Heinke 2013, 17)

Die Diskrepanz zwischen der Auswahl an Lehrmaterialien und kindlicher Kompetenz wird nicht nur in literaturdidaktischer Forschung herausgestellt, sondern erweist sich ebenfalls in der Kunstdidaktik immer wieder als bedeutende Thematik (vgl. u.a. Lieber 2013a, Uhlig 2008). Lieber (2013a) spricht bei der Auswahl der Bilder für den Unterricht von „Erwachsenen als Zensur“ (ebd. 240) und stellt in einer Analyse von Grundschullehrwerken fest, dass die Auswahl an Bildern der Forderung nach Freiraum für Kreatives und Ästhetisches nicht gerecht wird: „Die Bildästhetik der verwendeten Abbildungen kann überwiegend als ,kindgemäß‘ bezeichnet werden. Es handelt sich meist um Illustrationen, die einem veralteten ästhetischen Muster folgen.“ (ebd. 241)

Im Rahmen des Kooperationsprojekts „Entwicklung des (Recht-)Schreibens von der Primar- zur Sekundarstufe“ (ESPS) der Universität Paderborn und einer Grundschule im Schulbezirk Detmold sind die Unterrichtsdaten sowie Schreibungen der Kinder aus vier Klassen (n = 95) bereits über drei Schuljahre erfasst worden. Die Dokumentation des Anfangsunterrichts zeigt, dass die Kinder bereits in den ersten zwei Schuljahren zu sieben verschiedenen Bildergeschichten eine Erzählung verfassen. Eine flüchtige Betrachtung der eingesetzten Bildergeschichten lässt erahnen, dass bei den verwendeten Bildimpulsen das Potential ästhetischer und kreativer Momente nicht ausgeschöpft wird. In der hier exemplarisch angeführten Bildergeschichte zum Thema Herbst sind die visualisierten Elemente auf das Notwendigste zum Nachvollziehen des Handlungsstrangs reduziert und die einzelnen Bilder sind nicht farblich gestaltet:

Abb. 1:

Exemplarische Bildergeschichte eingesetzt im 2. Schuljahr (Dezember)

Demnach schöpft diese Bildergeschichte das mögliche Potential zur narrativen und literarästhetischen Gestaltung nicht aus. In einer aktuellen deutschdidaktischen Studie zum schriftlichen Erzählen bei Grundschulkindern stellt Schüler (2020, 2019) die Bedeutung des narrativen Potentials des Erzählanlasses für den kindlichen Sprachgebrauch heraus:

„Es hat sich gezeigt, dass die Vielfalt der erprobten Sprachformen beim Schreiben zu Vorgaben mit narrativem Gehalt viel größer ist als das, was sich in der Schule explizit vermitteln ließe, und auch als das, was eine linguistisch fundierte Schreibentwicklungsforschung bisher in den Blick gerückt hat.“ (Schüler 2020, 15)

Anzunehmen ist, dass auch die Gestaltung visueller Erzählimpulse eine größere Bedeutung für den kindlichen Sprachgebrauch beim schriftlichen Erzählen haben könnte. Je nach ausgeschöpftem Potential bei der Gestaltung könnten narrative Bildimpulse unterschiedliche Wirkungen auf den Sprachgebrauch der Kinder haben. Ziel dieser Studie ist es, mögliche Wirkungspotentiale von Bildern für das schriftliche Erzählen theoretisch herauszuarbeiten und empirisch zu überprüfen. Dazu werden verschieden gestaltete Bilderfolgen als visuelle Erzählanlässe in einem Unterrichtssetting eingesetzt. Die übergreifende Fragestellung der Studie lautet: Welche Wirkungspotentiale haben visuelle Erzählimpulse für den narrativen Sprachgebrauch?1

Um sich möglichen Wirkungspotentialen visueller Erzählimpulse anzunähern, muss der kindliche Umgang mit Bildern genauer betrachtet werden. Schnotz (2010) verweist für das Lernen mit Bildern auf einen multidisziplinären Zugang, in dem Annahmen der Semiotik, der Kognitionspsychologie und der Instruktionsforschung vereint werden:

„Unter semiotischem Aspekt ist zu fragen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen unterschiedlichen Darstellungsformen bestehen. Unter kognitionspsychologischem Aspekt gilt es zu analysieren, wie präattentive Wahrnehmungs- und konzeptgeleitete Interpretationsprozesse bzw. wie Sehen und Verstehen interagieren und wie es im Zusammenspiel zwischen kognitivem System und verschiedenen Formen der visuellen Darstellung zum Aufbau von Wissensstrukturen kommt. Unter instruktionspsychologischem Aspekt ist schließlich zu fragen, wie die unterschiedlichen Formen visueller Darstellungen eingesetzt werden können, um den Prozess des Verstehens und des Wissenserwerbs möglichst gut zu unterstützen.“ (Schnotz 2010, 933)

In dem einleitenden Kapitel werden diese drei Perspektiven für das narrative Lernen mit Bildern konkretisiert, um daran anschließend den Aufbau der Studie zur Untersuchung von Wirkungspotentialen visueller Erzählimpulse herzuleiten. Zunächst werden verschiedene Formen von Bildern für das narrative Lernen herausgestellt. Daran anknüpfend wird die Herausforderung von Bildverarbeitungsprozessen beim narrativen Lernen aufgezeigt. Abschließend wird das Paradigma eines interaktionalen Spracherwerbs als mögliche Unterstützung für narrative Lernkontexte skizziert.

1.1Darstellungsformen von Bildern zum narrativen Lernen

In der sprachdidaktischen Forschung kann bei dem Einsatz von Bildern zum narrativen Lernen zunächst unterschieden werden, ob der visuelle Impuls einem Einzelbild oder einer Bilderfolge entspricht (vgl. Binanzer 2018; Uhl 2015, 255 f.). Beim narrativen Lernen haben beide Formen von Bildimpulsen gemeinsam, dass von ihnen der Anstoß einer Geschichte ausgeht.1 Die Geschichte kann bereits innerhalb des Bildimpulses verankert sein (Bilderfolge) oder ausgehend von diesem erschaffen werden (Einzelbilder) (vgl. Staiger 2012, 45). Demnach zeichnen sich Einzelbilder in der Regel durch eine narrative Momentaufnahme aus, wohingegen von Bilderfolgen primär eine sukzessive Abfolge narrativer Momentaufnahmen ausgeht. Ausnahmen bilden z.B. pluriszenische Bilder, in denen mehrere Momente nebeneinanderstehend abgebildet werden und so eine zeitliche Abfolge erzeugt wird (vgl. ebd.). Bilderfolgen entsprechen damit immer auch einer Kombination mehrerer Einzelbilder. Scherer/Schröder (2019) unterscheiden zur Definition von textlosen Bildererzählungen zwischen Bilderfolgen, von denen ausgehend eine noch unbekannte Narration konstruiert wird (z.B. die textlosen Bilderbücher zur Torte von Thé Tjong-Khing). In diesem Fall sprechen Scherer/Schröder (2019) von einem „Erzählen auf dem Rücken von Bildern“ (ebd. 271). Alternativ kann aufgrund kultureller Traditionen und bereits bekannter Geschichten die Narration der Bilderfolge durch visuelle Reinszenierungen erschlossen werden (z.B. bei Grimms Märchen). Diese Form der Bilderfolge repräsentiert die Narration „im Rücken der Bilder“ (ebd.).

„In beiden Fällen jedoch fußt die Narration, Schrifttexten vergleichbar, auf Kohäsion und Kohärenz des sequenziell Angeordneten. Leerstellen und Polyvalenz machen den Betrachter einer Bilderfolge, der er einen Zusammenhang unterstellt, zum ko-konstruktiven Interpreten – ähnlich einem von dessen Sinnhaftigkeit überzeugten Leser eines Verbaltextes.“ (Scherer/Schröder 2019, 271)

Beide Formen von Bilderfolgen finden in schulischen Kontexten Aufmerksamkeit. Im Fokus dieser Arbeit stehen Bilderfolgen, die die Narration auf dem Rücken der Bilder präsentieren und keine bekannten Geschichten voraussetzen.

Zusammenfassend wird mit Bilderfolgen wie auch Bildimpulsen in narrativen Kontexten primär der Ausdruck einer Narration fokussiert, sodass visuelle Erzählimpulse übergreifend als narrative Bilder verstanden werden können. Die Reduzierung der Darstellung von Erzählimpulsen auf den Ausdruck einer Narration würde „die gestalterische Innovationskraft“ (Kruse/Sabisch 2013, 8) von Bildern außer Acht lassen. Die gestalterische Innovationskraft ist zurückzuführen auf eine literarästhetische Gestaltung der Bilder, die entsprechend der Ausprägung unterschiedliche Anforderungen an die Analyse und Rezeption der Bilder stellt (vgl. u.a. ebd.). Damit verbunden ist die Annahme, dass von narrativen Bildern immer auch ein literarästhetisches Potential ausgeht. Dieses zeigt sich in Lehr-Lernsituationen u.a. in produktiven Anschlussaufgaben (vgl. u.a. Hoffmann 2019, Kruse 2016, 2013, Wiprächtiger-Geppert/Mathis 2014, Scherer/Volz 2013). Bei der Analyse narrativer Bilderbücher wird der Begriff der Narratoästhetik herangezogen, um sowohl narrative als auch literarästhetische Aspekte der Bilder zu erfassen. Staiger (2019) und Kurwinkel (2017) sprechen von einer narratoästhetischen Bilderbuchanalyse. Auch in dem aktuellen Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von Kurwinkel/Schmerheim (2020) werden in visuellen, verbalen und multimodalen Kinder- und Jugendmedien neben strukturellen Merkmalen narratoästhetische Aspekte zur Darstellung des Mediums berücksichtigt. Um bei der Darstellung von Bildern zum narrativen Lernen neben der Narration außerdem das literarästhetische Gestaltungpotential zu berücksichtigen, können visuelle Erzählimpulse als narratoästhetische Bilder verstanden werden.

1.2Bildverarbeitungsprozesse beim narrativen Lernen

Die Kritik an Bildergeschichten in narrativen Kontexten kann vor allem auf die Bildverarbeitungsprozesse zurückgeführt werden. Die Überführung der visuellen Narration in eine verbale Erzählung gelingt den Kindern nur bedingt. In empirischen Studien wird diese Tatsache immer wieder darin aufgezeigt, dass Bildergeschichten beim narrativen Lernen vielmehr zu einer Bildbeschreibung und nicht zur Konstruktion einer Erzählung führen (vgl. Wieler 2013, Becker 2001, Bredel 2001). Im Vergleich verschiedener Erzählformen sieht Becker (2001) bei der Bildergeschichte als Erzählanlass die Problematik gerade in der mentalen Repräsentation der visuellen Narration: „[Kinder] begreifen die Bilder nicht als Repräsentation einer fiktionalen, kohärenten Ereignisfolge, die in einer Erzählwelt stattfindet.“ (ebd. 84) Die Herausforderung in der mentalen Repräsentation ergibt sich zum einen aus kognitiv-sprachlicher Sicht und zum anderen in der Bildverstehensleistung:

„[Die Bildergeschichte] stellt aber eine meist völlig unterschätzte Herausforderung für Kinder dar, sowohl in kognitiv-sprachlicher Hinsicht, wie die Erzählerwerbsforschung mittlerweile aufdecken konnte (Becker 2001), als auch auf der Ebene der hierfür notwendigen Bildverstehensleistung, die im Sinne eines Erfassens visueller Codes eigens gelernt werden müssen (Kümmerling-Meibauer 2012).“ (Becker/Stude 2017, 85)

Das Bildverstehen und die Konstruktion einer mentalen Repräsentation werden bei der Modellierung kognitionspsychologischer Bildverarbeitungsprozesse berücksichtigt (vgl. u.a. Schnotz 2002, Weidenmann 1988). Diese greift Dehn (2019) für das sprachliche Lernen mit Bildern auf und stellt für eine gewinnbringende Bildverarbeitung zwei Aufgaben heraus. Zunächst ist während der Bildwahrnehmung „die Fokussierung des ersten Blicks“ (ebd. 127, Hervorhebung im Original) elementar. Diese ergibt sich aus der Gestaltung der Bilder bzw. im Sinne Kümmerling-Meibauers (2012) aus den visuellen Codes im Bild und den individuellen Vorerfahrungen der Betrachter:innen. Duncker (2013) bezeichnet die Bildwahrnehmung auch als Auswahlprozesse, „in denen bestimmte Aspekte detailliert aufgenommen, andere jedoch auch übersehen und ignoriert werden.“ (Duncker 2013, 24) Während der Bildwahrnehmung ist das Festhalten an den visuellen Codes entscheidend, welches nach Dehn (2019) durch thematische Anknüpfungspunkte und Widerständigkeit geleitet wird (ebd. 127). In der Kunstdidaktik werden diese während der Bildverarbeitung auch als Ankerpunkte betrachtet (vgl. u.a. Kirchner 2013, Uhlig 2005). Durch das Festhalten an den visuellen Ankerpunkten gelangen die Betrachter:innen zu einer vertiefenden Rezeption des Bildes (vgl. Uhlig 2005). Mit dieser sind in sprachlichen Lernkontexten nach Dehn (2019) „Transformationsprozesse“ (ebd. 128, Hervorhebung im Original) möglich, in denen rekursive Imaginationen der Rezeption und Sprachbilder zur Produktion ausgehandelt werden (ebd. 128). Sprachformen in kindlichen Erzählungen zum Ausdruck literaler, ästhetischer sowie literarischer Kompetenzen stellt Schüler (2019) als Resultat von Transformationsprozessen heraus:

„Die von den Schülerinnen und Schülern erprobten Sprachformen geben Korrespondenzen zur Vorgabe zu erkennen, die zeigen, dass die Muster der Vorgaben nicht imitiert werden, sondern ein Sich-Einschreiben in Inhalte und Formen ein Transformationsprozess ist, an dem die Vorstellungsbildung maßgeblich beteiligt ist. […] [Damit] geraten Sprachformen in Lernertexten in den Blick, in denen sich die Sprachkompetenz von Schülerinnen und Schülern im Grundschulalter nicht nur als literale, sondern auch als ästhetische, literarische Kompetenz zeigt.“ (Schüler 2019, 346)

Für das narrative Lernen mit narratoästhetischen Bildern und das Evozieren eines literalen, ästhetischen und literarischen Sprachgebrauchs darf die Bildverarbeitung sich nicht auf eine Bildwahrnehmung beschränken, sondern muss rekursive Transformationsprozesse ermöglichen. Unumstritten ist in diesem Zusammenhang die Relevanz individueller Literacy-Erfahrungen der Betrachter:innen (vgl. u.a. Dehn 2019, Duncker 2013, Nikolajeva 2012, Kümmerling-Maibauer 2006). Diese lenken die Auswahl und Verarbeitung der visuellen Elemente im Bild. Die Bildverarbeitung wird somit durch die Interaktion von visuellen Codes und den Literacy-Erfahrungen bestimmt. Uhlig (2005) weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung eines soziokulturellen Kontextes hin:

„In der Hauptsache jedoch ist das Bildbedeuten und Bildverstehen individuellen und vor allem soziokulturellen sowie geschichtlichen Bedingungen unterworfen und jeweils unmittelbar in Handlungssituationen eingebunden. Dies wird in vielen bildanalytischen Methoden zugunsten eines vermeintlich kontextunabhängigen und selbst-verständlichen visuellen Bestandes übersehen.“ (Uhlig 2005, 273)

Auch in der interaktionalen Spracherwerbsforschung wird angenommen, dass Kinder Sprache immer kontextbezogen erwerben und gebrauchen (vgl. u.a. Roy et al. 2015, 2012, Behrens 2011, Tomasello 2008, Bruner 1983). Von Bedeutung für die Interaktion von visuellen Codes und individuellen Literacy-Erfahrungen beim narrativen Lernen mit Bildern sind narrative Kontextualisierungen.

1.3Der narrative Sprachgebrauch im interaktionalen Paradigma

Kindliche Sprachfähigkeiten entwickeln sich dem interaktionalen Paradigma folgend in Kommunikationssituationen mit Interaktionspartner:innen (vgl. u.a. Behrens 2011, Bruner 1983). Ausschlaggebend in der Kommunikationssituation ist der sprachliche Input. Bruner (1983) nimmt an, dass Kinder sprachliche Routinen der Kommunikationssituation für den eigenen Sprachgebrauch übernehmen (vgl. ebd. 35). Mit anderen Worten: Wiederkehrende Interaktionssituationen führen zu einem wiederkehrenden Sprachgebrauch (vgl. Behrens 2011, 266 f.), der immer in einer „cultural matrix“ (Bruner 1983, 134) eingebettet ist. Neben dem sprachlichen Input ist also auch der rahmende Kontext von Bedeutung (vgl. auch Behrens 2011, Roy et al. 2015, 2012). Die Bedeutsamkeit von Kontexten für den kindlichen Erstspracherwerb hat die Forschungsgruppe um Roy et al. (2015, 2012) in einer empirischen Studie bestätigen können. Durch eine über die ersten Lebensjahre andauernde und umfassende Beobachtung der sprachlichen Äußerungen eines Kindes im häuslichen Umfeld konnte gezeigt werden, dass ein Kind Wörter früher und häufiger gebraucht (z.B. das Wort Wasser), wenn diese mit räumlichen Kontexten (z.B. mit dem Badezimmer) verknüpft sind:

„Across words and word categories, those words that were experienced in more distinctive contexts were produced earlier. Because the distinctiveness measures, especially spatial distinctiveness, were more predictive of learning than quantity of linguistic exposure, our findings support the utility of probing the contexts within which words are used and provide a strong argument for the importance of multimodal datasets.“ (Roy et al. 2015, 5)

Damit legen Roy et al. (2015) empirisch dar, dass Spracherwerb und Sprachgebrauch durch einen rahmenden Kontext unterstützt werden. Übertragen auf das Erzählen zu visuellen Impulsen können narratoästhetische Bilder in schulpraktischen Situierungen einen narrativen Kontext erzeugen, der einen narrativen Sprachgebrauch der Kinder evoziert. In der sprachdidaktischen Forschung ist man sich weitestgehend einig, dass bei einem narrativen Sprachgebrauch auch die Literacy-Erfahrungen der Kinder bedeutend sind (vgl. u.a. Dehn/Merklinger/Schüler 2011, Kümmerling-Maibauer 2006, Weinhold 2000). Diese bilden sich durch vielfältige Formen der Interaktion in literalen und literarischen Praktiken aus (vgl. Dehn/Merklinger/Schüler 2011, Garbe 2010, Hurrelmann 2006). Betrachtet man weitere Beiträge aus dem Forschungsdiskurs sowie Einfluss- und Wirksamkeitsstudien stellt sich das Vorlesen von Bilderbüchern als eine sehr effektive Form zur Erweiterung kindlicher Literacy-Erfahrungen heraus (vgl. u.a. Becker 2014, Kümmerling-Maibauer 2014, Whitehead 2004, Whitehurst/Lonigan 1998, Wieler 1997). Ulich (2003) spricht sogar davon, dass das Bilderbuchbetrachten „erwiesenermaßen zu den wirksamsten Formen der Sprachförderung im frühen Kindesalter“ (ebd. 8) gehört. Empirisch konnten Drepper (2022), Uhl (2021) und Uhl/Drepper (2022) zeigen, dass Kinder durch gestützte Vorlesesituationen bereits vorschulisch implizites Wissen über einen narrativen Sprachgebrauch erwerben können und dieses in narrativen Kontexten anwenden. Die Übertragung des narrativen Sprachgebrauchs auf neue Kontexte lässt sich erwerbstheoretisch erklären:

„Während für die frühen Stadien des Erwerbs gilt, dass die Kinder konservativ sind und sich an das halten, was sie im Input in bestimmten Situationen hören, finden sich jedoch – je nach Bereich – auch Anzeichen für Produktivität und Kreativität: Sie abstrahieren das Gemeinsame aus mehreren Gebrauchsereignissen und können dies auf neue Kontexte generalisieren.“ (Behrens 2011, 267 f.)

Damit entspricht der Spracherwerb einer induktiven Theorie, worunter Behrens (2011) eine konstruktivistische Modellierung des Spracherwerbs versteht (vgl. u.a. Tomasello 2008, Goldberg 2006, Langacker 2000). Aus konstruktivistischer Perspektive beruhen komplexere sprachliche Äußerungen auf einer kontextbestimmten Schemaaktivierung. Die Annahme, dass sprachliche Konstruktionen durch den sprachlichen Input erworben werden, bezeichnet Goldberg (2006) als „the heart of the constructionist approach“ (ebd. 277). Konstruktionen werden als bedeutungstragende Einheiten verstanden, die sich durch eine Form- und Funktionsseite auszeichnen und eine linguistisch-formale und semantisch-pragmatische Verbindung darstellen (vgl. u.a. Behrens 2009, Tomasello 2008). In der sprachdidaktischen Forschung werden Konstruktionen auch als Textprozeduren modelliert. Textprozeduren werden als Form-Funktionskopplungen mit einer Inhalts- und Ausdrucksseite definiert, die in hierarchischer Struktur zunächst durch Texthandlungstypen (z.B. Erzählen) und weiterführend durch eine globale Textfunktion bestimmt werden (vgl. u.a. Rezat/Feilke 2018, Feilke 2014). Im Fokus der Textprozedurenmodellierung stehen die Zusammenhänge von Schreibprozess und Schreibprodukt, sodass die Textprozedur als „Mittlerstellung zwischen dem Prozess- und dem Produktaspekt des Schreibens“ (Feilke 2014, 11) verstanden werden kann. Ausgehend von der Annahme Feilkes (2014) einer „Textprozedurendidaktik“ (ebd. 27) hebt Steinhoff (2017) die Relevanz einer funktionalen Schreibdidaktik hervor, in der lernförderliche Aufgaben im Mittelpunkt stehen (ebd. 325). Lernförderliche Aufgaben haben als Schreibarrangements zur Aufgabe, das Ziel des Schreibens als sprachliche Handlung mit Bezug auf einen Adressaten bewusst zu machen und den Kindern geeignete sprachliche Werkzeuge an die Hand zu geben (ebd. 330). Das Potential von Schreibarrangements für lernförderliche Aufgabensituierungen konnte in empirischen Studien bestärkt werden (vgl. u.a. Anskeit 2019, Steinhoff 2017, Rüßmann et al. 2016). Zusammenführend wird mit der Textprozedurendidaktik eine Inszenierung lernförderlicher Schreibarrangements fokussiert, die Möglichkeiten zur Vermittlung und Anwendung von Textprozeduren eröffnen (vgl. Rezat/Feilke 2018). Auch visuelle Erzählimpulse, die in dieser Arbeit ausgehend von dem narrativen Sprachgebrauch auf ihre Wirkungspotentiale untersucht werden sollen, können als wichtiger Teil lernförderlicher Schreibarrangements gesehen werden. Bei der spezifischen Analyse der Wirkungspotentiale visueller Erzählimpulse steht nicht primär die Effizienz lernförderlicher Schreibarrangements mit visuellen Erzählimpulsen im Mittelpunkt. Oder anders gesagt: Mit dem narrativen Sprachgebrauch wird kein institutionell-vermittelter Sprachgebrauch durch Textprozeduren erfasst. Vielmehr werden die visuellen Erzählimpulse als Kontextualisierungen interpretiert, die den Zugriff auf einen kindlich-intuitiven Sprachgebrauch in narrativen Lernkontexten eröffnen und ihn gleichsam korpusbasiert rekonstruieren.1

Der narrative Sprachgebrauch wird in empirischen Analysen primär anhand linguistischer und sprachlich-struktureller Merkmale von Erzählungen erfasst (vgl. u.a. Uhl 2015, Augst et al. 2007, Becker 2001). Mit der aktuellen Studie von Schüler (2019) wird die Analyse literarischer und ästhetischer Sprachformen fokussiert, die bereits von Augst (2010) angeschnitten wurde. Ein konstruktionsgrammatischer Zugriff ermöglicht es, sprachwissenschaftliche, sprachdidaktische und literarästhetische Zugänge bei der Analyse narrativer Zugänge zu vereinen (vgl. auch Ziem/Lasch 2018):

„Ein wichtiges Merkmal der Konstruktionsgrammatik ist, dass ihr Interesse Gebrauchsmustern jedweder Art gilt, d.d. auch solchen mit begrenzter Allgemeingültigkeit. Es wird also der Versuch unternommen, nicht nur die ,Kerngrammatik‘ zu erklären, sondern alle sprachlichen Elemente und Strukturen – einschließlich idiomatischer Ausdrücke, irregulärer Muster, gemischter Konstruktionen und metaphorischer Extensionen – und zwar im Rahmen einer einzigen Theorie.“ (Tomasello 2008, 21)

Die Konstruktionsgrammatik fokussiert die Skizzierung des Spracherwerbs anhand grammatischer und lexikalischer Strukturen, die in spezifischen Kontexten auftreten. Ziem/Lasch (2018) bezeichnen diese als „domänenspezifische Konstruktionen“ (ebd. 395). Methodisch erfolgt ein konstruktionsgrammatischer Zugang in der Regel durch linguistische Korpusanalysen, die vorwiegend quantitativ ausgerichtet sind (vgl. u.a. Schaller 2018, 105; Behrens 2009, 437; Stefanowitsch 2008). Einer interdisziplinären Ausrichtung auf einen narrativen Sprachgebrauch ausgehend von einem visuellen Erzählanlass mit sprachdidaktischem Schwerpunkt wird die Reduzierung der Analyse des Sprachgebrauchs auf eine rein linguistische Korpusanalyse nicht gerecht. Die Vereinigung von diskurs-kulturellen und linguistischen Merkmalen eröffnet Bubenhofer (2009) mit dem Begriff der Sprachgebrauchsmuster, die als „Phänomene an der Textoberfläche“ (ebd. 52) erfasst werden und als „Indikatoren für bestimmtes soziales Handeln“ (ebd. 53) gelten können. In einer induktiven Korpusanalyse vereint Bubenhofer (2009) sowohl einen qualitativen und quantitativen Zugang als auch eine kulturelle sowie semantisch-pragmatische Perspektive auf den Sprachgebrauch (ebd. 337). Spezifisch für narrative Kontexte nutzen Bubenhofer (2018) und Bubenhofer et al. (2013) einen korpusanalytischen Zugang und stellen prototypische Sprachgebrauchsmuster eines narrativen Sprachgebrauchs von Erwachsenen heraus.

Zusammenfassend fokussiert diese Arbeit eine empirische Analyse von Sprachgebrauchsmustern, genauer noch: eine empirische Analyse narrativer Gebrauchsmuster in kindlichen Erzählungen, die ausgehend von verschieden gestalteten Bilderfolgen als Erzählimpulse entstehen. Mit dem Verständnis von Erzählimpulsen als visuelle Kontextualisierungen wird das Ziel verfolgt, Rückschlüsse zu Wirkungspotentialen von Bildern auf das schriftliche Erzählen ziehen zu können.

1.4Aufbau der Arbeit

Zur Untersuchung der Wirkungspotentiale von Bildern für das schriftliche Erzählen gliedert sich die Arbeit in zwei große Teile. Im ersten Teil werden Gestaltungsmerkmale narratoästhetischer Erzählimpulse für das schriftliche Erzählen theoretisch herausgearbeitet. Im Anschluss folgt die empirische Überprüfung der theoretisch herausgearbeiteten Annahmen anhand einer vergleichenden Analyse der Erzähltexte eines Kindes zu zwei verschieden gestalteten Erzählimpulsen.

Der theoretische Teil der Arbeit gliedert sich in drei Unterkapitel. In Kapitel 2 werden narratoästhetische Bilder genauer beleuchtet, indem die Verarbeitung und Gestaltung narratoästhetischer Bilder theoretisch aufgezeigt wird. Die Verarbeitung narratoästhetischer Bilder wird kognitionspsychologisch modelliert (vgl. u.a. Schnotz 2002, Weidenmann 1988). Von besonderer Relevanz sind in diesem Zusammenhang Visual Literacies. Zur Herleitung der verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten narratoästhetischer Bilder werden die Modellierung einer visuellen Erzählinstanz in textlosen Bilderbüchern (vgl. Krichel 2020), verschiedene Modelle zur narratoästhetischen Bilderbuchanalyse (vgl. u.a. Staiger 2019, Kurwinkel 2017, Nikolajeva 2012) und soziosemiotische Analyseansätze von Bildern (vgl. u.a. Kress/van Leeuwen 2006, Stöckl 2004) zusammengeführt. In einer abschließenden Vernetzung mentaler Verarbeitungsprozesse und verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten von narratoästhetischen Bildern sollen Ebenen des Narrativen in narratoästhetischen Bildern herausgearbeitet werden.

Im Fokus des dritten Kapitels steht das Erzählen. In Anlehnung an Topalović/Uhl (2014a) wird zunächst die Etablierung von Erzählkontexten handlungstheoretisch herausgearbeitet. Anschließend werden mit Rückgriff auf empirische Studien (vgl. u.a. Schüler 2019, Uhl 2015, Augst et al. 2007, Becker 2001) verschiedene narrative Gebrauchsmuster aufgezeigt. In einer Zusammenführung der handlungstheoretischen Merkmale des Erzählens und der verschiedenen narrativen Gebrauchsmuster können Ebenen des Narrativen in Erzähltexten unterschieden werden.

Das vierte Kapitel widmet sich narratoästhetischen Erzählimpulsen. Durch die Verbindung einer mentalen und phänomenologischen Perspektive auf die Verarbeitung von Erzählimpulsen (vgl. u.a. Zeman 2020, Zeman et al. 2017, Iser 1991, Sartre 1940 [1994]) können die Erkenntnisse des zweiten und dritten Kapitels zusammengeführt werden. Dabei setzt sich das letzte Kapitel des theoretischen Teils der Arbeit zum Ziel, die Ausprägungen verschiedener Gestaltungskategorien narratoästhetischer Erzählimpulse für das Erzählen zu modellieren.

Im empirischen Teil der Arbeit wird in Kapitel 5 zunächst das Forschungsdesign vorgestellt. In diesem werden die Forschungsfragen vor dem Hintergrund der theoretischen Annahmen spezifiziert. Außerdem können ausgehend von der theoretischen Modellierung der Gestaltungskategorien narratoästhetischer Erzählimpulse die zwei eingesetzten Bilderfolgen der Studie analysiert werden. Zum Abschluss des Forschungsdesigns werden die Kategorien zur Analyse der kindlichen Erzähltexte mit Bezug zum dritten Kapitel der Arbeit aufgezeigt und die von subjektiven Interpretationen geprägten Kategorien auf ihre Reliabilität überprüft. Das sechste Kapitel der Arbeit widmet sich der empirischen Analyse und präsentiert die Ergebnisse der Erzähltextanalyse, die entsprechend den Ebenen des Narrativen strukturiert angeführt und interpretiert werden. In Kapitel 7 werden die empirischen Ergebnisse in Bezug zur theoretischen Modellierung gesetzt, um daraus mögliche Konsequenzen für den sprachdidaktischen Forschungsdiskurs zu skizzieren und zu diskutieren. Den Abschluss bildet das achte Kapitel, in dem ein Resümee der Arbeit gezogen wird.

2Narratoästhetische Bilder

Es können in der Kunstwissenschaft zur Entstehung des Bildnarrativs zwei verschieden ausgerichtete Theorien angeführt werden, die sich in ihren Perspektiven auf das Bildnarrativ unterscheiden (vgl. Dolle-Weinkauff 2014, Rowe 1996).

Rowe (1996) fokussiert eine soziosemiotische Perspektive und beschreibt das Bildnarrativ durch die Interaktion von Bildproduzent:innen und Bildrezipient:innen: Die Künstler:innen nehmen bei der Bildgestaltung wissentlich oder unwissentlich eine lenkende Rolle ein, indem individuelle Standpunkte während des Gestaltungsprozesses in die erzählenden Bilder hineingebracht werden. Gleichzeitig fließt bei der Betrachtung und Interpretation der erzählenden Bilder immer auch die persönliche Auffassung der Bildrezipient:innen mit ein. Das Bildnarrativ entsteht demnach in Interaktion zwischen Bildproduzent:innen und Bildrezipient:innen (vgl. ebd. 232). Im Gegensatz dazu beschreibt Dolle-Weinkauff (2014) die Entstehung des Bildnarrativs stärker von der Bildwissenschaft ausgerichtet. Dolle-Weinkauff (2014) betrachtet das Bildnarrativ als einen Gesamttext, der sich aus einzelnen Einheiten bzw. Panels zusammensetzt und in kleinster Form auf eine einzelne Einheit bzw. ein Panel beschränkt sein kann. Um aus mehreren Einheiten die gesamte Bildnarration abzuleiten, stellt sich eine einheitliche Struktur von Ort, Zeit und Handlung als „eine wesentliche Bedingung für das Funktionieren des Einzelbildes als Sequenz in Bildgeschichte oder Comic“ (ebd. 82) heraus. Dies kann durch verschiedene Bildgestaltungstechniken und Darstellungsmöglichkeiten sichergestellt werden. Nach Dolle-Weinkauff (2014) resultiert das Bildnarrativ somit stärker aus den verschiedenen Merkmalen und Techniken der Bildgestaltung.

Diese beiden Perspektiven auf die Entstehung eines Bildnarrativs lassen darauf schließen, dass für narratoästhetische Bilder somit zwei Aspekte von Bedeutung sind: die Interaktion von Bildproduzent:innen und Bildrezipienten:innen während der Bildverarbeitungsprozesse und eine narratoästhetische Bildgestaltung.

2.1Verarbeitung narratoästhetischer Bilder

Bei der Bildverarbeitung kann zwischen verschiedenen Bildtypen unterschieden werden (vgl. u.a. Dehn 2019, Staiger 2012, Stöckl 2004, Singer 2004). Dehn (2019) differenziert zum einen zwischen „materiellen, sichtbaren Bildern“ und „mentalen, inneren Bildern“ (ebd. 121). Während die materiellen Bilder als gegenständliche Objekte existieren, entstehen mentale Bilder durch „Wahrscheinlichkeitsberechnungen und Inferenzen“ (Singer 2004, 75) oder vereinfacht gesprochen durch „Imaginationen“ (Dehn 2019, 121). In der Bildlinguistik wird eine dritte Charakterisierung von Bildern angeführt: „sprachliche Bilder“ (Klemm/Stöckl 2011, 9). Sprachliche Bilder sind bei der Textgestaltung von Bedeutung und bringen Assoziationen der Verfasser:innen zum Ausdruck.

„Zum grundlegenden Credo einer ‚Bildlinguistik‘ gehört auch unbedingt die erkenntnisleitende Annahme, dass materielle (d.d. visuelle) Bilder, sprachliche Bilder (d.d. anschauungsorientierte, bildlich-bildhafte Ausdrücke, Metaphern) und mentale Bilder (Vorstellungen, Anschauungen) unauflösbar verknüpft sind und in ihrer Verbindung bedacht werden müssen.“ (ebd.)

Auch für das Erzählen zu Bildimpulsen ist die Verknüpfung sprachlicher, materieller und mentaler Bilder von Bedeutung: Ausgangspunkt beim Erzählen zu Bildimpulsen sind materielle Bilder, die von den Erzählenden während des Rezeptionsprozesses verarbeitet werden. Es entstehen mentale Bilder. Die mentalen Bilder sind Grundlage für die Erzähltextgestaltung. Bei der Erzähltextgestaltung können Assoziationen zu den materiellen Bildern in sprachlichen Bildern zum Ausdruck kommen. Die Verknüpfung sprachlicher, materieller und mentaler Bilder äußert sich somit an verschiedenen Stellen des Bildrezeptionsprozesses.

Bildrezeptionsprozesse durchlaufen Kinder im alltäglichen Leben zwar regelmäßig, dennoch ist die Fähigkeit, Bilder zu rezipieren, nicht selbstverständlich. Bildrezeptionsfähigkeiten müssen ähnlich wie Sprach- und Lesefähigkeiten zunächst erworben werden (vgl. Kruse 2015, Duncker 2013). Dies wird bereits deutlich, wenn man die Titel neuer Sammelbänder anführt: „Bilderbuch und literar-ästhetische Bildung: aktuelle Forschungsperspektiven“ (Scherer/Volz/Wiprächtiger-Geppert 2015), „Bildliteralität und Ästhetische Alphabetisierung“ (Duncker/Lieber 2013b), „Lehren und Lernen mit Bildern: ein Handbuch zur Bilddidaktik“ (Lieber 2013b). Auch die Tatsache, dass der Bilderwerb in Kursen zur Visual Literacy – vor allem in den USA – Teil des Schulunterrichts geworden ist, verdeutlicht die hohen Anforderungen der Bildrezeption (vgl. z.B. Krapp/Weidenmann 2006, 451). Im deutschsprachigen Raum findet der Bilderwerb in den Curricula der Grundschule bisher keine Aufmerksamkeit und auch in der sprachdidaktischen Forschung spielen bildrezeptive Fähigkeiten keine nennenswerte Rolle. Allerdings sind in der Kunstdidaktik kindliche Bildrezeptionsprozesse regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen (vgl. u.a. Duncker 2013, Uhlig 2005, Kirchner 1999). Einen möglichen Ausgangspunkt stellen dazu Forschungen zur Bildrezeptionsfähigkeit im Diskurs der Kognitionspsychologie dar, die diese schon sehr lange als Gegenstand der Forschung betrachten (vgl. u.a. Kintsch 1979, van Dijk/Kintsch 1983, Schnotz/Bannert 1999). Dabei konnte die Hirn- und Kognitionsforschung zeigen, dass mental ablaufende Prozesse bei der Bildrezeption hoch komplex sind und nicht auf ein einfaches Bildersehen reduziert werden können (vgl. u.a. Mitchell 2008, Singer 2004): „Unsere Wahrnehmungen […] sind vielmehr das Ergebnis hochkomplexer Konstruktionen und Interpretationsprozesse, die sich sehr stark auf gespeichertes Vorwissen stützen.“ (ebd. 65) Um die Komplexität der Bildrezeptionsprozesse genauer darzulegen, ist demnach das individuell gespeicherte Vorwissen von Bedeutung. In Forschungen mit didaktischer Ausrichtung zeichnet sich das individuelle Vorwissen bei der Bildrezeption durch Visual Literacies aus (vgl. u.a. Dehn 2019, Nikolajeva 2012, Kümmerling-Maibauer 2006).

2.1.1Visual Literacy

Das Spektrum an Forschungsausrichtungen zur Visual Literacy ist weitreichend und für Disziplinen wie die Kognitionspsychologie, die Psycholinguistik oder die Soziologie bereits seit mehr als 50 Jahren relevant. Die Didaktiken der Kunst-, Literatur- sowie Sprachwissenschaft sehen die Visual-Literacy-Forschung hingegen als „a relatively new insight of pedagogy“ (Nikolajeva 2003, 241). Forschungen zur Visual Literacy werden dort erst seit dem 21. Jahrhundert vermehrt berücksichtigt.1 Geprägt ist die Visual-Literacy-Forschung über das letzte Jahrhundert somit von vielen unterschiedlichen Forschungsdisziplinen, worauf u.a. Serafini (2017) in einem Beitrag zum aktuellen Forschungsstand von Visual Literacy hinweist:

„Theories of visual literacy and associated research and pedagogy draw from a wide range of disciplines including art history, semiotics, media and cultural studies, communication studies, visual ethnography and anthropology, social semiotics, new literacies studies, cognitive psychology, and critical theory.“ (Serafini 2017, 1)

Der fachwissenschaftliche und fachdidaktische Diskurs unterscheidet sich allerdings nicht nur durch die zeitliche Orientierung auf Visual Literacy, sondern auch in den Forschungsschwerpunkten zur Visual Literacy. In den Fachwissenschaften wird bei einer Visual-Literacy-Forschung überwiegend die Verarbeitung von Bildern forciert. Der Schwerpunkt von didaktischen Ausrichtungen auf die Visual-Literacy-Forschung beschäftigt sich mit notwendigen Fähigkeiten bei der Bildverarbeitung und dem Erwerb dieser Fähigkeiten als Visual Literacies. Eine Zusammenführung beider Forschungsausrichtungen ermöglicht einen umfassenden Blick auf Visual Literacy.

In den ursprünglichen – meist fachwissenschaftlichen – Forschungskontexten wurde Visual Literacy als eine visuelle Bildgrammatik definiert: „In summary, these early definitions focused on the ability to access, analyze, evaluate, and communicate information in a variety of forms as the most important aspects of visual literacy.“ (Serafini 2017, 5) Hierunter können u.a. die reinen mentalen Verarbeitungsprozesse beim Betrachten von Bildern gefasst werden (vgl. ebd. 2). Diese ursprüngliche Auffassung von Visual Literacy beschränkt sich auf ein formelhaftes Lernen und Anwenden bildspezifischer Elemente. Dies hat zur Folge, dass die Komplexität und Mehrdimensionalität von Bildern für den Verstehensprozess unberücksichtigt bleiben. Allerdings wird in neueren Studien und Theorien immer wieder herausgestellt, dass Bilder nicht auf ein einziges Zeichen reduziert werden können, sondern „stets eine Verknüpfung mehrerer ,Codes‘ und ,Modalitäten‘“ (Klemm/Stöckl 2011, 10) sind. Die entscheidende Wendung ging aus den Arbeiten von Kress/van Leeuwen (2006) in „Reading Images. The Grammar of Visual Disgn“ hervor, die als eine der ersten Forschergruppen die Multimodalität von Bildern herausstellen. In den Vordergrund rückt damit eine semiotisch-multimodale Perspektive auf Bilder. Die Annahme von multimodalen Bildern geht einher mit einem höheren Deutungs- und Interpretationspotential der Bilder, das im Bildverstehensprozess von den Betrachter:innen rezipiert werden muss. Die Beschaffenheit der Bilder und somit auch das Deutungs- und Interpretationspotential ist auf die Bildproduzent:innen zurückzuführen. Kress/van Leeuwen (2006) verstehen den Interpretationsprozess multimodaler Bilder auch als eine kommunikative Interaktion zwischen Bildproduzent:innen und Bildrezipient:innen und sprechen bei der Modellierung von Bildinteraktionsprozessen von einem „social semiotic approach“ (ebd. 13):

„Communication requires that participants make their messages maximally understandable in a particular context. They therefore choose forms of expression which they believe to be maximally transparent to other participants. […] They choose the nearest, most plausible form they know for the expression of what they have in mind. The requirements of communication are no different in more usual circumstances, they are simply less apparent.“ (ebd. 13)

Zusammenfassend wird Visual Literacy aus einer soziosemiotischen Perspektive also als visueller Interaktionsprozess von Bildproduzent:innen und Bildrezipient:innen durch multimodale Zeichen vor einem rahmenden Kontext verstanden. Dieses Verständnis von Visual Literacy als visueller Interaktionsprozess kommt dem interaktiven Ansätzen zum kindlichen Spracherwerb gleich (vgl. u.a. Roy et al. 2015, 2012, Behrens 2011, Bruner 1983). Dies lässt darauf schließen, dass Interaktionsprozesse als Visual Literacy ähnlich wie der Sprachgebrauch immer auch vor den kulturellen Kontexten – oder auch in einer „cultural matrix“ (Bruner 1983, 134) – stattfinden. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass der Erwerb von Visual Literacies durch eine kulturelle Matrix gestützt werden könnte.

Speziell der kindliche Erwerb von Visual Literacies wird in Forschungen der Kunst-, Literatur- und Sprachdidaktik fokussiert (vgl. u.a. Nickel 2018, Stiller 2013, Nikolajeva 2012, Kümmerling-Maibauer 2006). In diesem Zusammenhang wird auch von Visual-Literacy-Kompetenzen gesprochen (vgl. Stiller 2013):

„Mit dem Terminus visual literacy fasst man […] diejenigen Kompetenzen zusammen, die jemand befähigen, ausgehend von Bildwahrnehmungen folgerichtige Rückschlüsse zu ziehen und diese in angemessene kommunikative Handlungsweisen oder genießendes Erleben zu überführen.“ (ebd. 280)

Bei der Definition der Visual-Literacy-Kompetenzen wird neben der reinen Fähigkeit zum Bildrezipieren somit auch eine funktionale Perspektive von Visual Literacies angesprochen. Ein funktionaler Aspekt der Visual Literacies geht über das Bilderinterpretieren hinaus und fokussiert einen handelnden Umgang mit den Erkenntnissen aus Bildrezeptionsprozessen. Duncker/Lieber (2013a) sprechen auch von „Bilder verstehen“ (ebd. 19) und „Bilder erzeugen“ (ebd. 20) als zwei Facetten der Visual-Literacy-Kompetenz. In dem Bildererzeugen bzw. dem handelnden Umgang mit Visual Literacies liegt das Potential für sprachliche und literarische Lernprozesse, welches in verschiedenen Forschungen bereits aufgezeigt werden konnte (vgl. u.a. Schüler 2020, Dehn 2019, Staiger 2019, Uhlig 2016). Im Kontext sprachlicher Lernprozesse beschreibt Dehn (2019) zwei Aufgaben während der Bildverarbeitung, um das Potential Visual Literacies ausschöpfen zu können. Zunächst müssen bildliche Elemente selektiert werden und Anknüpfungspunkte für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Bild gefunden werden. Dehn (2019) spricht von einer „Fokussierung des ersten Blicks“ (ebd. 123). Die zweite Aufgabe beschreibt Transformationsprozesse, in denen visuelle und sprachliche Aushandlungen stattfinden. Diese zeugen von einem handelnden Umgang der Visual Literacies (vgl. ebd.). Ausschlaggebend für visuelle und sprachliche Aushandlungen während der Transformationsprozesse sind mentale Repräsentationen, die aus dem wahrgenommenen Bild konstruiert werden. Diese können auch als innere Bilder bzw. Imaginationen bezeichnet werden (vgl. u.a. Dehn 2019, Uhlig 2012). Imagination können entweder auf den wahrgenommenen visuellen Elementen des Bildes beruhen oder durch angestoßene Assoziationen zu visuellem Vorwissen entstehen. Assoziative Imaginationen erfordern demnach mehr Erfahrungen mit Visual Literacies als Imaginationen, die durch eine direkte Abbildung der visuellen Elemente entstehen. Uhlig (2012) spricht bei assoziativen Imaginationen auch von einem fiktiven Bild:

„Imaginationen sind mentale Repräsentationen. Re-präsentiert werden kann nur etwas, das zuvor wahrgenommen wurde. Insofern geht der Imagination die Wahrnehmung voraus. Eine Imagination ist ein inneres Bild dessen, was wir gesehen haben oder was wir sehen könnten. Wir können etwas imaginieren, das wir bereits kennen oder etwas, das wir so vorher noch nicht gesehen haben, das aber sichtbar sein könnte. In beiden Fällen ist Imagination eine konstruktive, interpretative Leistung. Das fiktive Bild, das sich nicht aus der direkten Wahrnehmung speist, greift weniger auf die unmittelbare Anschauung als vielmehr auf visuelles Wissen zurück.“ (Uhlig 2012, 117)

Auslöser für die mentale Konstruktion von beiden Ausprägungen der Imaginationen sind materielle Bilder. Materiellen Bildern kann anhand spezifischer Elemente aber keine feste Imagination zugeschrieben werden. Nach Klenz (2013) können Bilder viel mehr als „Auslöser für mentale Konstruktionsprozesse“ (ebd. 91) verstanden werden. Schnotz (2006) nimmt für das Textlesen an, dass der Texte nicht als „Träger von Bedeutungen“ (ebd. 237) verstanden werden kann. Die Textkonstruktionsprozesse werden dabei gleichermaßen durch „externe Textinformationen“ (ebd.) und „interne Vorwissensinformationen“ (ebd.) gesteuert. Vergleichbar mit Textverstehensprozessen sind somit auch Bildverstehensprozesse gelenkt durch die Interaktion visueller Aktivierungsmerkmale und individueller Vorerfahrungen der Betrachter:innen. Dehn (2019) spricht im Kontext des Bildverstehens bei den individuellen Vorerfahrungen von einem Welt- und Handlungswissen der Betrachter:innen:

„Wenn Sehen nicht als Vorgang des Abbildens, sondern als Konstruktionsprozess betrachtet wird, hat das Wissen für das Bildverstehen eine wichtige Funktion. Ob wir ein Foto, ein Gemälde, eine Landkarte, ein Diagramm, eine Tabelle betrachten, immer beziehen wir, was wir sehen, auf unser Welt- und Handlungswissen. Beides bestimmt auch das Textverstehen; Welt- und Handlungswissen sind spezifisch für die Kontexte, in denen wir Bilder sehen.“ (ebd. 123)

Auch in den kognitionspsychologischen Modellierungen der Bildwahrnehmung wird diese durch Welt- und Handlungswissen gelenkt (vgl. u.a. Weidenmann 1988). Das Welt- und Handlungswissen wird durch mentale Strukturen repräsentiert und in der kognitiven Bildverstehensforschung vorrangig als Schemata bezeichnet. Der Begriff des Schemas ist auf die kognitive Psychologie zurückzuführen (vgl. u.a. Bartlett 1932, Piaget 1976) und wird im soziologischen Forschungsdiskurs oft auch als frame bezeichnet (vgl. Goffman 1974). Die Begriffe frame und Schema werden überwiegend synonym verstanden, wobei einige Forschungen frames auch als ein Bündel an Schemata definieren und sich dabei auf die frame-Konstrukte beziehen (vgl. Toniolo 2019). Für die Bildwahrnehmungsprozesse hat der Schemabegriff ausgehend von Friedmans (1979) Forschung um „framing pictures“ an Bedeutung gewonnen. Friedman (1979) konnte zeigen, dass frames bzw. Schemata den Wahrnehmungsprozess von Bildern beeinflussen. Weidenmann (1988) erklärt am Beispiel des Gesichter-Schemas den Begriff des Schemas:

„Schemata sind mentale Strukturen höherer Ordnung, die – als Resultat von früheren Verarbeitungsprozessen – einen Realitätsbereich prototypisch repräsentieren. Bestimmte ,obligatorische‘ Elemente eines Schemas bzw. kognitiven Rahmens sind invariant; andere, ,fakultative‘ Elemente sind quasi Leerstellen, die dann durch die Wahrnehmung eines Realitätsbereiches spezifisch ausgefüllt werden. Das Schema ,Gesicht‘ mag z.B. obligatorisch aus den Elementen ,Punkt, Punkt, Komma, Strich‘ bestehen; ein Wahrnehmungsmuster, das diesen Elementen entspricht, ,instanziert‘ das Gesichter-Schema. Andere Elemente wie z.B. Augenfarbe, Nasenform usw. werden als fakultative Schema-Elemente jeweils durch die konkrete Wahrnehmung ausgefüllt. Wie alle Schemata ist auch das Gesicht-Schema in gewisser Hinsicht elastisch.“ (ebd. 25 f.)

Speziell für ein Lernen mit Bildern spricht Weidenmann (1994) bei Schemata auch von „Wissenstypen“ (ebd. 28) und fasst darunter neben Schemata außerdem noch Skripts und mentale Modelle. Skripts sind gespeicherte Vorstellungen zu alltäglich vorkommenden Handlungsabläufen. Mentale Modelle können als „Vorstellungen zu komplexen Abläufen und Zusammenhängen“ (ebd. 29) verstanden werden. Hierunter fallen z.B. Bedienungsanweisungen bei Werkzeugen. Zusammenfassend können alle mentalen Realisierungen der Wissenstypen nach Dehn (2019) auch als innere Bilder verstanden werden:

„Die inneren Bilder sind – in ästhetischer Perspektive – Resonanzen auf Erfahrungen und Erinnerungen, auf Bilder und Episoden der Lebenswelt. […] Das psychologische Modell des Bildverstehens nennt das Schemata und Skripts.“ (Dehn 2019, 123)

Im Zusammenhang mit den individuellen Erfahrungen wird gerade im kunstdidaktischen Forschungsdiskurs zu Bildrezeptionsprozessen auch der Begriff der ästhetischen Erfahrungen gebraucht (vgl. Uhlig 2013, 2005, Duncker 2013, Kirchner 2013, 1999). Zusammenfassend haben ästhetische Erfahrungen, innere Bilder, Imaginationen und auch Schemata gemeinsam, dass sie individuelle, mentale Ressourcen der Betrachter:innen beschreiben, die durch Erfahrungen mit Visual Literacies innerhalb der individuellen Lebenswelt (cultural matrix) entstehen. Sie können übergreifend demnach als individuelle Visual-Literacy-Erfahrungen verstanden werden.

Visual-Literacy-Erfahrungen sind im Zusammenhang mit Bildverstehensprozessen von großer Relevanz. Weidenmann (1988, 26) unterscheidet dazu Top-down- und Bottom-up-Prozesse: Zum einen können durch Visual-Literacy-Erfahrungen die Bildverstehensprozesse gelenkt werden (top-down). Außerdem können aus Bildverstehensprozessen neue Visual-Literacy-Erfahrungen erzeugt werden (bottom-up). In dem psychologischen Modell des Bildverstehens nach Weidenmann (1988) wird die Relevanz der Visual-Literacy-Erfahrungen während der Bildrezeption durch verschiedene Formen des Bildverstehens herausgestellt. Diese Modellierung wird von Dehn (2019) aufgegriffen, um für das sprachliche Lernen mit Bildern zwischen einer präattentiven und attentiven Bildwahrnehmung zu unterscheiden.

2.1.2Präattentive und attentive Bildwahrnehmung

Die Unterscheidung einer präattentiven und attentiven Bildwahrnehmung ist auf die Modellierung der mental ablaufenden Prozesse des Bildverstehens von Weidenmann (1988) zurückzuführen. Die Betrachter:innen verfolgen beim Bildverstehen das Ziel, die einzelnen visuellen Bildelemente zu erfassen und das gesamte Bild zu verstehen. Dabei soll das Verständnis des ganzen Bildes durch möglichst wenig Aufwand erzeugt werden. Weidenmann (1988) schreibt den Betrachter:innen auch den vorherrschenden Drang zur „Normalisierung eines Bildes“ (ebd. 118) zu, bei dem vergleichbar mit der Wahrnehmung von Bildern im Alltag das Bildverständnis automatisiert erschlossen werden kann. Notwendig für ein automatisiertes Bildverstehen sind bereits bestehende Schemata bzw. die individuellen Visual-Literacy-Erfahrungen. Dehn (2019) spricht von einem präattentiven Prozess, der sich durch ein „unwillkürliches Generieren von Bedeutung“ (ebd. 122), die Bezugnahme auf „Erwartungen, Erfahrungen [und] Wissen“ (ebd.) und ein „automatisches Normalisieren“ (ebd.) auszeichnet. Zusammenfassend werden bei der präattentiven Bildwahrnehmung die Bildinhalte durch bereits vorhandene Visual-Literacy-Erfahrungen automatisiert erfasst und es finden kaum komplexe Interpretations- oder Deutungsprozesse statt.

Erst wenn der gesamte Bildinhalt nicht automatisiert erschlossen werden kann, müssen die Bildinhalte durch komplexe Verstehensprozesse interpretiert werden. Weidenmann (1988) spricht von einer Progressionsphase während der Bildwahrnehmung:

„Demnach wird ein Verstehensprozeß auch über eine erste automatische Normalisierung (Initialphase) hinaus fortgesetzt (Progressionsphase), wenn das Subjekt eine über einen tolerierbaren Schwellenwert reichende Ambiguität perzipiert und/oder die bereits aktivierten Schemata, Konzepte usw. hohe Assoziationsstärken zu anderen Konzepten aufweisen, sodaß die Aktivierung weiterer ‚Knoten‘ einschließlich ihrer kognitiven, emotionalen, motorischen Inhalte und Ladungen angeregt wird.“ (ebd. 120)

Voraussetzung für komplexe Verstehensprozesse sind demnach Uneindeutigkeiten zwischen den Bildelementen und den individuellen Visual-Literacy-Erfahrungen. Diese Ambiguität führt dazu, dass die Betrachter:innen erst durch komplexe Verstehensprozesse zu einem umfassenden Bildverständnis kommen. Dehn (2019) spricht in diesem Zusammenhang von einer attentiven Bildwahrnehmung. Die attentive Bildwahrnehmung unterscheidet sich nach Dehn (2019) durch den Umgang mit den bereits vorhandenen Visual-Literacy-Erfahrungen. Zum einen kann das Bild gezielt durch die Kombination bestehender Schemata, Skripts und mentaler Modelle verarbeitet werden. In diesem Fall können die Bildverstehensprozesse auch als „rekursive Prozesse“ (ebd. 122) verstanden werden, die so lange ablaufen, „bis Kohärenz festgestellt und Normalisierung gefunden ist“ (ebd.).

Kann die Ambiguität nicht durch rekursive Prozesse aufgelöst werden, ist durch den Rückgriff auf Visual-Literacy-Erfahrungen eine Konstruktion neuer mentaler Modelle notwendig. Die neuen mentalen Modelle ermöglichen es, den Bildinhalt umfassend zu erschließen, und stehen gleichzeitig für weitere Bildverstehensprozesse als individuelle Ressourcen zur Verfügung. Dehn (2019) spricht daher auch von Prozessen des Behaltens.

Attentive Prozesse der Bildverarbeitung fokussieren somit vor allem den handelnden Umgang mit Visual Literacies. Für diese spielen aber auch die Bilder selbst eine entscheidende Rolle und können verschiedene Funktionen einnehmen. Nach Weidemann (1994) können Bilder Visual Literacies entweder aktivieren, ersetzen oder konstruieren (vgl. Weidenmann 1994, 36). Aktivieren Bilder bereits ausgebautes Vorwissen, müssen die visuellen Elemente den Betrachter:innen aus der individuellen Lebenswelt oder durch Erfahrungen und Erlebnisse bekannt sein. Soll durch die Bilder ein bekanntes, aber eventuell fehlerhaftes Schema bzw. mentales Modell revidiert werden, nehmen Bilder eine ersetzende Funktion ein. Die Darstellung im Bild widerspricht dabei bereits bekannten Schemata oder mentalen Modellen der Betrachter:innen. Verfolgt der Einsatz eins Bildes eine Konstruktionsfunktion, sollen durch die Kombination mit Visual-Literacy-Erfahrungen neue Schemata konstruiert werden: „Bilder dieser Art sind Hilfen, um ein Skript oder ein mentales Modell – aus bereits bekannten Elementen zusammenzusetzen. Man kann deshalb von einer Konstruktionsfunktion der Bilder sprechen.“ (ebd. 31) Wobei die Konstruktionsfunktion nicht ausschließt, dass auch bereits bestehende Schemata, Skripts und Modelle aktiviert werden. So beschreibt Weidenmann (1994) durch die Kombination aus bereits bestehenden, aktivierten Schemata und Modellen, die Konstruktion eines neuen Modells (vgl. ebd. 31 f.).

In Bezug auf die Modellierung der Bildverstehensprozesse kann geschlussfolgert werden, dass materielle Bilder mit verschiedenen Funktionen unterschiedliche Bildverstehensprozesse auslösen können. Präattentive Prozesse zeichnen sich durch eine automatisierte Erfassung visueller Bildelemente aus. Es kann angenommen werden, dass von den Bildern hierzu vorrangig eine aktivierende Funktion ausgeht. Die Bildinhalte werden durch Rückgriff auf Visual Literacies automatisch erfasst. Komplexe Verstehensprozesse führen aufgrund von Ambiguitäten in den Bildern dazu, dass die Bildinhalte immer erst durch einen handelnden Umgang mit den Visual-Literacy-Erfahrungen erfasst werden können. In diesem Zusammenhang kann den Bildern eine ersetzende oder konstruierende Funktion zugeschrieben werden. Gemeinsam haben die Abläufe von Bildverstehensprozessen, dass während der Bildverarbeitung die Interaktion visueller Elemente im Bild und individueller Visual Literacies von Bedeutung ist.

2.1.3Interaktion von Bild und Visual Literacies

Die Interaktion von Bild und Visual Literacies bei der Bildverarbeitung wird von Schnotz/Bannert (1999) parallel zur Textverarbeitung herausgestellt. Schnotz/Bannert (1999) modellieren kognitive Bildkonstruktionsprozesse innerhalb eines Modells zur Bild-Text-Interaktion. Ziel des integrativen Modells ist es, das Zusammenspiel von Text- und Bildverarbeitungsprozessen beim Erfassen multimodaler Texte zu untersuchen und das Text-Bildverstehen zu beleuchten. Den Ausgangspunkt der Verarbeitungsprozesse bilden das materielle Bild1 und der materielle Text. Kerngedanke der Modellierung zum Text-Bild-Verstehen ist die Abbildung der Text- sowie Bildinhalte in Form von mentalen Repräsentationen, die die Grundlage für die Konstruktion eines mentalen Modells zum Text- bzw. Bildverständnis bieten. Der globale Ablauf des Textverstehens- und Bildverstehensprozesses ist dabei ähnlich: Ausgehend vom materiellen Gegenstand bildet sich eine mentale Repräsentation des Textes bzw. des Bildes. Schnotz/Bannert (1999) sprechen von einer Textoberflächenrepräsentation bzw. der visuellen Wahrnehmung/Vorstellung. Ausgehend von diesen mentalen Repräsentationen können schemageleitete, d.d. in Interaktion mit Visual Literacies, mentale Modell konstruiert werden. Die mentalen Modelle entsprechen der Interpretation des Text- bzw. Bildinhaltes – dem Text- bzw. Bildverstehen. Während der Konstruktionsprozesse der mentalen Modelle nehmen sowohl die textuellen als auch die visuellen Repräsentationen wechselseitig Einfluss. Schnotz (2010, 930) visualisiert den Ablauf nach Schnotz/Bannert (1999):

Abb. 2:

Integratives Modell des Text-Bild-Verstehens nach Schnotz/Bannert (1999)

Zusammenfassend modellieren Schnotz/Bannert (1999) die Text- und Bildverarbeitungsprozesse in einem vergleichbaren Aufbau, indem beide Prozesse zunächst in einer mentalen Repräsentation und schlussendlich in einem mentalen Modell enden. Visuelle Verarbeitungsprozesse durch den Begriff des Lesens mit verbalen Verarbeitungsprozessen gleichzusetzen, ist in einigen Definitionen zur Visual Literacy nicht unüblich, wie es z.B. Avgerinou (2007) beschreibt: „In the context of human, intentional visual communication, visual literacy refers to a group of largely acquired abilities, i. e. the abilities to understand (read), and to use (write) images, as well as to think and learn in terms of images.“ (ebd. 18) In diesem Zusammenhang ergibt sich für die Modellierung von Bildverarbeitungsprozessen die Anschlussfähigkeit an Konzepte der Sprach- und Literaturdidaktik zur Textverarbeitung. Die Charakteristika von Bildverarbeitungsprozessen sowie die Interaktion von Visual Literacies und den visuellen Bildelementen können durch die Zusammenführung der kognitiven Modellierung des (Text-)Bildverstehens von Schnotz (2002, 2010) und der kognitiven Modellierung der Textleseprozesse in didaktischen Forschungen (vgl. u.a. Rosebrock/Nix 2014, Coltheart 2005, Scheerer-Neumann 2003) herausgestellt werden. Staiger (2020) weist allerdings darauf hin, dass dabei die Gefahr besteht, „die Logik der Sprache über die Eigenlogik des Bildes zu stellen“ (ebd. 67). Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, sollten zur Modellierung der Bildverarbeitungsprozesse die entscheidenden Unterschiede zwischen Text- und Bildverarbeitungsprozessen berücksichtigt werden.

„Zwar mündet in beiden Symbolsystemen der Verstehensprozeß in ein mehr oder weniger kohärentes mentales Modell – und dies ist die gemeinsame Basis von Sprachverstehen und Bildverstehen –, die Anforderungsstruktur beider Symbolsysteme ist jedoch so unterschiedlich, daß auch die Leistung des verstehenden Subjekts in wesentlichen Aspekten unterschiedlich modelliert werden muß.“ (Weidenmann 1988, 121)

In erster Linie liegt der Unterschied zu Textverarbeitungsprozessen für das Bildverstehen somit in der komplexen Beschaffenheit von Bildern, die sich während der Bildverarbeitungsprozesse in der Interaktion visueller Bildelemente und Visual Literacies zeigt. In diesem Zusammenhang werden die Abläufe der beiden Teilprozesse, die zunächst zur Konstruktion einer mentalen Repräsentation und anschließend zur Konstruktion eines mentalen Modells führen, differenziert betrachtet. Der Kunstdidaktiker Sowa (2012) spricht für das Bildverstehen bei der mentalen Verarbeitung narratoästhetischer Bilder von Hierarchien:

„Die das Denken fundierende Leistung der Einbildungskraft/Imagination zeigt sich in der Bildung von Kohärenzen zwischen unterscheidbaren mentalen Komplexen. Die Struktur dieser Bildung lässt sich in Hierarchien untergliedern: ,Niedere‘ Einheiten wie die Gestaltimagination werden auf höherer Ebene zu größeren Sinn- und Gestaltkomplexen organisiert. Der spezifische Typus des narrativen Imaginierens ordnet Person-, Ding- und Raumvorstellungen in ein Gefüge ein, das als zeitlicher Ablauf strukturiert ist.“ (ebd. 357)

In Anlehnung an die kognitiven Abläufe während des kindlichen Leseprozesses können die Teilprozesse der Bildkonstruktionsprozesse vereinfacht durch ein automatisiertes Rekodieren und ein bedeutungserschließendes Dekodieren beschrieben werden. Mit Bezug auf das Mehrebenenmodell des Lesens von Rosebrock/Nix (2014) sind es die hierarchieniedrigen und hierarchiehöheren Abläufe auf der Prozessebene (ebd. 12 ff.).

Die hierarchieniedrigen Teilprozesse der Bildverarbeitung beschreiben in erster Linie das basale Erfassen der materiellen Bildvorlage. Darunter können das Identifizieren von Elementen, wie Figuren, Gegenständen oder auch Farben auf dem materiellen Bild, und das Herstellen von Zusammenhängen dieser bildlichen Elemente gefasst werden. Schnotz (2002) spricht von einer „perzeptiven Encodierung“ (ebd. 70), womit er sich auf das präattentive Wahrnehmen nach Weidenmann (1988) bezieht (vgl. Kapitel 2.1.2). Es handelt sich bei den hierarchieniedrigen Prozessen des Bilderkonstruierens somit um ungesteuerte und automatisiert ablaufende Prozesse. Ein entscheidender Unterschied zwischen den Bild- und Leseprozessen auf hierarchieniedriger Ebene liegt in der Reihenfolge und Anzahl der zu recodierenden Elemente. Nach Staiger (2019) erfolgen die Teilprozesse des Textverstehens linear und aufeinander aufbauend (bottom up), wohingegen die Teilprozesse des Bildverstehens simultan und ganzheitlich (top down) modelliert werden können (vgl. ebd. 21). Die Reihenfolge beim verbalen Leseprozess ergibt sich demnach aus dem Schriftsystem, sodass der Text linear von links nach rechts entschlüsselt wird. Beim Bildverstehen wird die Reihenfolge der zu recodierenden visuellen Elemente nach Krichel (2020) durch Aktivierungsmerkmale innerhalb des Bildes bestimmt. Für textlose Bilderbücher sieht Krichel (2020) das Aktivierungspotential vor allem bei den Hauptfiguren und deren Raumumgebung der Geschichte: „Die Leserichtung und Leseart der Bilder ergibt sich aus der Fokussierung der Hauptfiguren und deren unmittelbaren Umgebung.“ (ebd. 56) Damit einher geht auch die Relevanz der Visual Literacies: Im präattentiven Prozess können zunächst nur die visuellen Elemente wahrgenommen werden, die durch bekannte Schemata, Skripts und mentale Modelle bereits verinnerlicht sind (vgl. Schnotz 2010, 929). Somit ist die Reihenfolge der visuellen Elemente, die bei den hierarchieniedrigen Teilprozessen wahrgenommen und entschlüsselt werden, durch eine Interaktion von visuellen Aktivierungsmerkmalen und den individuellen Visual Literacies bestimmt. Ausgehend von den präattentiv wahrgenommenen Bildelementen wird schließlich eine mentale Repräsentation bzw. „visuelle Wahrnehmung/Vorstellung“ (Schnotz 2002, 69) des materiellen Bildes konstruiert. Zusammenfassend kann die Interaktion von Bild und Visual Literacies bei den hierarchieniedrigen Teilprozessen des Bildverstehens eher als ein automatisiertes Erkennen mit dem Ergebnis einer einfachen Bildwiedergabe als visuelle Wahrnehmung/Vorstellung beschrieben werden.

Schnotz (2002) versteht die visuelle Wahrnehmung/Vorstellung des Bildes als Ausgangspunkt für den zweiten Teilprozess des mentalen Bildverstehens. Er beschreibt diese Teilprozesse als „semantische Encodierung“ (ebd. 71), wobei es sich um Deutungs- und Interpretationsprozesse zur Herstellung von Inferenzen zwischen den einzelnen Bildelementen (z.B. Figuren, Objekt, Raumelemente) handelt. Diese ablaufenden Teilprozesse sind vergleichbar mit den hierarchiehöheren Prozessen beim Textlesen: Superstrukturen erkennen und Darstellungsstrategien identifizieren (vgl. Rosebrock/Nix 2014, 14 f.). Nach Schnotz (2002) sind diese hierarchiehöheren Prozesse des Bildverstehens durch das Erzeugen von Imaginationen und Herstellen von Inferenzen geprägt, wobei Imaginationen als mentale Repräsentationen visueller Elemente oder Assoziationen zu bereits vergangenen Bildverarbeitungen verstanden werden können (vgl. Kapitel 2.2.1). Somit erfordern Inferenzen ein Erschließen von Zusammenhängen zwischen einzelnen Imaginationen, wozu nach Schnotz (2002) ebenfalls zeitlich vorausgegangene Bildverarbeitungserfahrungen notwendig sind. Speziell bei der Inferenzbildung von narratoästhetischen Bildern zeichnen sich vorausgegangene Bildverarbeitungserfahrungen durch „kognitive Schemata der alltäglichen Wahrnehmung“ (ebd. 71) aus. In diesem Verständnis können die Bildverarbeitungserfahrungen auch als Visual Literacies verstanden werden. Bestärkend für die Inferenzbildung und anlog für die hierarchiehöheren Prozesse des Bildverstehens erscheinen in diesem Zusammenhang reichhaltige Erfahrungen an Visual Literacies. Aus kunstdidaktischer Perspektive ist für diesen Teilprozess der Bildverarbeitung gerade das Potential des Bildes von besonderer Relevanz: Das Bild muss erst Anregungen für tiefere Rezeptionsprozesse bieten, damit in einer vertiefenden Rezeption die Interpretation des Kunstwerks möglich ist (vgl. Kirchner 2013, 266). Somit reichen umfangreiche Visual-Literacy-Erfahrungen alleine nicht für eine Inferenzbildung aus, vielmehr müssen die visuellen Elemente im Bild einen handelnden Umgang mit diesen erst anstoßen. Nach Weidenmann (1988) sind dazu visuelle Elemente entscheidend, die mehrdeutig sind und Ambiguitäten hervorrufen (vgl. Kapitel 2.1.2). Ambiguitäten ermöglichen Freiraum für individuelle Deutungs- und Interpretationsprozesse. Weidenmann (1988) und Schnotz (2002) sprechen von einem indikatorischen Bildverstehen. Die Inferenzbildung resultiert demnach aus der Interaktion mehrdeutiger Bildelemente und einem handelnden Umgang mit Visual Literacies.

Zusammenfassend differenzieren sich die kognitiven Teilprozesse der Bildverarbeitung durch den Grad der Interaktion von Bildelementen und Visual Literacies. Auf hierarchiehöherer Ebene ist für die Interpretation und Deutung visueller Codes und Zusammenhänge eine starke Interaktion von externen Bildinformationen und individuellen Visual Literacies notwendig. Das hierarchieniedrige Bildverstehen entspricht einem routinierten Erkennen, da sich die Interaktion der Bildinhalte und Visual Literacies vorrangig auf „automatisierte visuelle Routinen“ (Schnotz 2002, 70 f.) beschränkt. Aus Perspektive der Kunstdidaktik führt Uhlig (2005) eine grundschulspezifische Rezeptionsmethodik zum Umgang mit Gegenwartskunst an und nimmt an, dass die rezipierten Bildelemente in der Einstiegsphase nicht nur auf bereits Bekanntes reduziert werden können: „Diese Ankerpunkte finden sich nicht nur in Bekanntem, das wieder entdeckt wird, sondern vor allem in Neuem, Fremden, Unbekanntem, das Kinder neugierig macht und zur genauen Betrachtung herausfordert.“ (ebd. 147) Die Auffassung hierarchieniedriger Teilprozesse des Bildverstehens als ein automatisiertes Erfassen bekannter Bildelemente kann mit Perspektive der Kunstdidaktik somit konkretisiert werden, um auf diese Weise die Einflussnahme der Bildelemente als visuelle Ankerpunkte stärker hervorzuheben: Es werden auf hierarchieniedriger Ebene der Bildverarbeitung zum einen visuelle Ankerpunkte als Bekanntes automatisiert erfasst und zum anderen visuelle Ankerpunkte aus Neugierde für ein vertiefendes Rezipieren des Bildes wahrgenommen. An diesen visuellen Ankerpunkten knüpft nach Uhlig (2005) die Phase der vertiefenden Rezeption an, in der die Betrachter:innen die visuellen Elemente, die ihre Neugierde und ihr Interesse erweckt haben, genauer erkunden und interpretieren. Die vertiefende Rezeption kann als hierarchiehöherer Teilprozess verstanden werden, in dem visuelle Elemente verknüpft und Zusammenhänge durch den Rückgriff auf Visual Literacies interpretiert werden. Damit stellt sich die Bedeutung der visuellen Beschaffenheit der Bildelemente für den Grad der Interaktion mit Visual Literacies heraus: Bei einem automatisierten Erfassen ist das Verstehen bekannter Bildelemente als visuelle Ankerpunkte durch den Rückgriff auf Visual Literacies bereits möglich. Mehrdeutige und unbekannte Bildelemente hingegen werden als visuelle Ankerpunkte zunächst wahrgenommen und anschließend auf hierarchiehöherer Ebene durch einen handelnden Umgang mit den individuellen Visual Literacies interpretiert. Die Bildverstehensprozesse enden in einem Verständnis der Bildinhalte, das nach Uhlig (2005) in einer dritten Transformationsphase zur Eröffnung selbstreflexiver und kreativer Prozesse führt. In Bezug auf sprachliche Lernprozesse können hierzu nach Dehn (2019) Anschlussaufgaben angeführt werden, die in Transformationsprozessen eine visuelle und sprachliche Aushandlung evozieren. Bei der Verarbeitung narratoästhetischer Bilder ergibt sich demnach ein Potential für sprachliche Lernprozesse, wenn die Bildelemente als visuelle Ankerpunkte fungieren und einen handelnden Umgang mit Visual Literacies anstoßen, der Freiräume für Interpretations- und Deutungsprozesse eröffnet. Von besonderer Relevanz stellt sich dabei die Gestaltung narratoästhetischer Bilder heraus:

„Sinnenstiftende Deutungsbewegungen tragen in Korrespondenz mit der Werkstruktur zum Erschließen des Sinns bei. Dabei sind Deutungen keineswegs beliebig, sondern an die materiellen, kompositorischen und motivischen Vorgaben des künstlerischen Objekts gebunden.“ (Kirchner 2013, 262)

2.2Gestaltung narratoästhetischer Bilder