Echo Lake - Liebe findet ihren Weg - Maggie McGinnis - E-Book
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Echo Lake - Liebe findet ihren Weg E-Book

Maggie McGinnis

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Beschreibung

Warmherzig, romantisch, wunderschön - dieser Roman macht glücklich!

Lange hat sich Gabriela auf ihren Sommerurlaub in der Karibik gefreut, doch statt am Strand liegen zu können, muss sie ihre Schülerinnen ins Sommercamp begleiten. Die Mädchen haben Mist gebaut, und das Camp ist die letzte Chance, einen Verweis von der renommierten Privatschule abzuwenden. Gabriela würde für ihre Schützlinge alles tun. Zu ihrem Entsetzen ist das Ferienlager am See jedoch weit rustikaler als gedacht: Es gibt kein fließendes Wasser, dafür allerlei Getier, und sogar ihr Zelt müssen sich die verwöhnten Mädchen selbst aufbauen.

Outdoor-Experte und Camp-Leiter Luke hat Mühe, sich sein Amüsement nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Zumal die von ihm erwartete gestrenge Lehrerin sich als attraktive, beherzte junge Frau entpuppt ...

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Inhalt

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536EpilogDanksagung

Über das Buch

Warmherzig, romantisch, wunderschön - dieser Roman macht glücklich! Lange hat sich Gabriela auf ihren Sommerurlaub in der Karibik gefreut, doch statt am Strand liegen zu können, muss sie ihre Schülerinnen ins Sommercamp begleiten. Die Mädchen haben Mist gebaut, und das Camp ist die letzte Chance, einen Verweis von der renommierten Privatschule abzuwenden. Gabriela würde für ihre Schützlinge alles tun. Zu ihrem Entsetzen ist das Ferienlager am See jedoch weit rustikaler als gedacht: Es gibt kein fließendes Wasser, dafür allerlei Getier, und sogar ihr Zelt müssen sich die verwöhnten Mädchen selbst aufbauen. Outdoor-Experte und Camp-Leiter Luke hat Mühe, sich sein Amüsement nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Zumal die von ihm erwartete gestrenge Lehrerin sich als attraktive, beherzte junge Frau entpuppt …

Über die Autorin

Maggie McGinnis lebt mit ihren Kindern und Katzen in New England. Mit ihren romantischen Liebesromanen hat sie sich in den USA einen Namen gemacht und die USA-Today-Bestsellerliste erobert. Auch für den Golden Heart Award der amerikanischen Romance-Autoren war sie bereits nominiert. Mit ihren Romanen »Zweimal ist für immer« und »Küss mich, Doc« sowie ihrer Novelle »Ein Tanz im Schnee« nimmt sie uns mit ins zauberhafte Vermont.

MAGGIE McGINNIS

Liebefindet ihrenWeg

Roman

Aus dem amerikanischen Englischvon Angela Koonen

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

 

Deutsche Erstausgabe

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2016 by Maggie McGinnis

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »She’s Got a Way« / 03 Echo Lake

Published by arrangement with St. Martin’s Press. All rights reserved.

Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anne Schünemann, Schönberg

Umschlagmotive: © shutterstock.com: Impact Photography | Salvan | ESB Professional

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

 

ISBN 978-3-7325-8630-1

www.luebbe.de

www.lesejury.de

 

Für Tante Judy,

für deinen Mut, deinen Anstand, dein Lachen …

… deine Liebe.

1

»Erstes Vergehen: Juckpulver auf dem Toilettenpapier der Direktorin.« Seufzend schaute Gabriela die vier Mädchen an, die im Aufenthaltsraum vor ihr saßen. Sie liebte sie, als wären sie ihre Töchter, aber im Moment hatte sie Lust, sie im Dienste der Geburtenkontrolle zu verleihen. Sie würden selbst die Pärchen mit dem größten Kinderwunsch zum Umdenken bewegen.

»Zweites Vergehen: Babypuder im Händetrockner.« Sie holte tief Luft. »Drittes Vergehen: die Grillen in ihrem Schlafzimmer. Und sie hat bestimmt noch nicht alle gefunden.«

Madison, die hübsche blonde Anführerin der vier, kicherte. »Die Pritchard hat das verdient, und das wissen Sie. Sie ist eine Bit–«

»Madison.« Gabi schlug einen sehr bestimmten Ton an und zog die Augenbrauen hoch. »Das reicht. Das ist alles noch nichts im Vergleich zu dem, was ihr euch gestern Nacht geleistet habt. Ihr habt keine Ahnung, welcher Ärger auf euch zukommt.«

»Sagen Sie jetzt etwa: ›Viertes Vergehen, heimlich zu einer Jungenschule im geklauten Auto abgehauen‹?« Das Mädchen verdrehte die Augen. »Weil Sie es unbedingt dramatisieren wollen?«

Gabi zog die Brauen noch weiter hoch, aber Madison zuckte bloß mit den Schultern. »Meiner Ansicht nach ist das gar keine große Sache, auch wenn Sie und die Pritch-Bitch eine daraus machen wollen. Wie immer.«

»Falsch. Das ist sogar eine verdammt große Sache. Ihr habt den Schultransporter kurzgeschlossen, um Himmels willen!«

»Aber Gabi …« Waverly versuchte es mit einem flehentlichen Tonfall, doch Gabi hob die Hand.

»Tut mir leid, Mädchen. An der Briarwood Academy herrschen strenge Verhaltensregeln, und ihr habt sie mit Füßen getreten. Der Vorstand hat heute Morgen eine Dringlichkeitssitzung einberufen, und die Direktorin hat schon mit euren Eltern telefoniert. Ihr könnt von Glück reden, wenn ihr nicht der Schule verwiesen werdet.«

Gabi hielt inne und ließ ihre Worte für einen Moment wirken. Waverley senkte die Schultern, Eve blickte gehetzt hin und her, Madison kaute auf der Unterlippe. Gut. Die Zimmergenossinnen hatten sich das ganze Jahr über in den Haaren gelegen und sich nun zum ersten Mal zusammengerauft, aber nur – welche Ironie –, um etwas auszuhecken, für das man die höhnischen kleinen Biester achtkantig rauswerfen würde.

Sam – die Frage nach ihrem richtigen Namen, nämlich Alexandra, verkniff man sich besser – blinzelte argwöhnisch. »Sie hat tatsächlich unsere … Eltern angerufen?« Beim Wort »Eltern« schwankte ihre Stimme, aber nur sie und Gabi wussten, warum.

»Nun ja, es kommt natürlich nicht infrage, dass eure Familien erst von der Polizei über den Vorfall unterrichtet werden, falls diese eingeschaltet wird.«

»Die Polizei? Aber Gabi …« Waverly griff sich erschrocken an die Kehle. »Haben Sie uns denn nicht in Schutz genommen? Das war doch nur ein Streich und nichts Kriminelles.«

Gabi schüttelte den Kopf. Waverly war vermutlich gegen ihren Willen in die Sache mit reingezogen worden, wie immer. Das Mädchen brauchte dringend mehr Rückgrat. »Muss ich tatsächlich aufzählen, welche Gesetze ihr gebrochen habt?«

Madison verdrehte erneut die Augen. »Und schon wieder dramatisieren Sie alles.«

Waverly schaute auf, ihr Blick schwamm bereits in Tränen. »Aber Sie sind unsere Hausmutter. Haben Sie in der Sache keinen Einfluss? Können Sie uns nicht helfen?«

Hausmutter. Gabi sträubten sich die Nackenhaare, wenn sie so genannt wurde. Eigentlich war sie die Leiterin aller Wohnhäuser des Internats, aber Priscilla Pritchard, die Direktorin, zog diesen antiquierten Begriff vor. Außerdem legte Priscilla großen Wert darauf, dass jeder seinen Platz in der Hierarchie kannte, und es gefiel ihr, dass Gabi trotz eines Masterabschlusses und acht Jahren Berufserfahrung unter ihr stand.

Gabi schüttelte den Kopf. »Mein Einfluss endete in dem Moment, als ihr mit euren hübschen kleinen Füßen den Campus verlassen habt. Diesmal habt ihr es zu weit getrieben und werdet die Konsequenzen tragen müssen.«

In dem Augenblick ging die Tür auf, und Priscilla Pritchard kam herein, in einer Seelenruhe … und mit der Zufriedenheit einer Katze, die gerade einen Kanarienvogel verspeist hat. Gabi verspürte ein unangenehmes Flattern im Magen. Priscilla trug das gewohnte dunkelblaue Kostüm und einen Hermès-Schal, den grünen, weil Freitag war. Ihr eleganter Haarknoten war vollkommen glatt frisiert, und obwohl sie auf die sechzig zuging, war in ihren blonden Strähnen kein Silberschimmer zu sehen – vermutlich dank eines extrem teuren Bostoner Friseurs.

Priscilla verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Wand. »Meine Damen.«

Sie wurde von Schweigen begrüßt, was ihr Lächeln noch breiter werden ließ. Gabi schluckte. Sie hatte ein schlechtes Gefühl bei der Sache – ein noch schlechteres als vor zwölf Stunden, als sie die Feuertreppe des Pendleton-Wohnheims hochgestiegen war und sich die Mädchen geschnappt hatte.

»Ihr denkt sicherlich, dass ich hier bin, um euch allesamt rauszuwerfen«, begann Priscilla. »Und erfreulicherweise sind eure Eltern geschlossen der Ansicht, dass der Schulverweis eine angemessene Strafe ist.«

Verdammt. Sie wird es tun. Vielleicht hatten die Mädchen das tatsächlich verdient, aber Gabi ging ihr Schicksal viel zu nah, als dass sie Genugtuung empfinden konnte.

Wie auf ein stilles Zeichen hin schüttelten die Mädchen ihre defensive Haltung ab. Sie glaubten offenbar, wenigstens noch ein bisschen Macht zu behalten, wenn sie sich gleichgültig gaben. Madison und Waverly täuschten das vermutlich nicht einmal vor. Sie würden lediglich die Schule wechseln, ihr neues Zimmer in der aktuellen Designerfarbe dekorieren und von Neuem Dummheiten anstellen.

Sam und Eve würden eine Designerfarbe nicht mal erkennen, wenn sie ihnen auf den Kopf tropfte. Wenn die beiden ihren Platz in Briarwood verloren, würden sie nach Boston zurückgeschickt – zu ihren Pflegeeltern, die ihre Rückkehr vermutlich nicht weiter zur Kenntnis nähmen … sofern die beiden Mädchen überhaupt zu den vorigen Pflegeeltern kämen.

»Habt ihr schon einmal von Camp Echo Lake gehört?« Mit einem abfälligen Lächeln blickte Priscilla in die Runde. Das Flattern in Gabis Magen verstärkte sich.

Priscilla trat ein paar Schritte von der Wand weg und setzte sich vor die Mädchen auf einen Stuhl. »Das ist ein schöner Flecken Erde am Echo Lake in Vermont, nur drei Stunden von hier entfernt. Unsere Schule hat die Anlage kürzlich gekauft, und dem Vorstand ist es sehr wichtig, sie endlich zu nutzen. Zum Glück bietet sich dafür jetzt die perfekte Gelegenheit, wie mir scheint.«

Gabi ließ sich auf einen Stuhl fallen und musste die Nachricht erst einmal verdauen. Priscilla schickte die Mädchen in ein Camp?

»So.« Priscilla legte die Hände ineinander wie eine Großmutter, die ihren Enkeln freudig ein neues Auto schenkt. »Mit der Erlaubnis eurer Eltern – oder eures Vormunds – haben wir uns eine Alternative zum Schulverweis überlegt. Ihr vier werdet nächste Woche eure Zimmer nur zu den Prüfungen und zu den Mahlzeiten verlassen, und am Freitag werdet ihr eure Sachen für einen vierwöchigen Aufenthalt in Camp Echo Lake packen.«

Madison kniff die Augen zusammen. »Glaub ich nicht. Mein Vater hat dem garantiert nicht zugestimmt.«

»Hat er.« Priscilla zeigte auf jedes einzelne Mädchen. »Genau wie eure Väter. Ihr habt Glück, dass wir uns für diese Möglichkeit entschieden haben. Ihr habt sogar ganz großes Glück, dass der Vorstand nicht beschlossen hat, euch in eines der Camps zu schicken, die ich zunächst vorgeschlagen habe. Da müsstet ihr nämlich eure Kleidung, eure Seife und euer Zelt selbst herstellen.«

Gabi biss sich hart auf die Lippe. Einerseits war sie erleichtert, weil ein Schulverweis vom Tisch war, andererseits wirkte Priscilla viel zu erfreut über diese Strafe. Daher war nicht anzunehmen, dass die Mädchen den halben Sommer in einer paradiesischen Ferienanlage verbringen würden.

Die Sache musste einen Haken haben.

Eve verschränkte die Arme noch fester. »Dieses Camp Echo Lake … hat das Hütten?«

Priscilla zuckte mit den Schultern. »Ich war noch nicht dort, aber der Leiter hat mir versichert, dass die Anlagen der Situation angemessen sind.«

Gabi blickte sie prüfend an. Der Situation angemessen wären im Augenblick Zweimannzelte in Bärenterritorium mit einem Brotlaib als Kopfkissen.

Waverly blinzelte heftig. »Aber ich soll nach Paris fliegen.«

Das erinnerte Gabi an ihre eigenen Flugtickets, die an der Pinnwand über ihrem Schreibtisch hingen. Nächsten Freitagabend würde sie – nachdem sie sich von der ins Camp verbannten Schar verabschiedet hatte – in das Flugzeug nach Barbados steigen und ihre wohlverdienten Ferien im Paradies antreten. Noch schöner wäre es, wenn sie in die Flitterwochen fliegen würde – etwa mit dem Helden aus einer ihrer heiß geliebten romantischen Komödien –, aber obwohl ihr dreißigster Geburtstag kurz bevorstand, musste sie den Mann, mit dem sie es auch nach den Flitterwochen aushalten konnte, erst noch finden.

Natürlich hegte sie keine unrealistischen Erwartungen, auch wenn die Mädchen ihr vorwarfen, in einer romantischen Hollywood-Traumwelt zu leben. Sie war einfach überzeugt davon, dass sich eines Tages ein Mann als perfekt erweisen würde, wenn er nur erst unter dem richtigen Einfluss stünde. Doch bisher hatte sich dieser Wunsch nicht bewahrheitet. Und sie konnte nicht sagen, woran das lag. Jedenfalls lebte sie mit ihren neunundzwanzig Jahren in einer winzigen Wohnung im Mädcheninternat, und der Märchenprinz hatte den Weg zu ihrer Tür seltsamerweise noch nicht gefunden.

Nun flog sie also in die Karibik. Vielleicht fand sich zwischen den verliebten Pärchen, die dort ihre Flitterwochen verbrachten, an der Cocktailbar jemand wie sie, der auch nach seinem Happy End Ausschau hielt.

Na klar.

Sam zog die Knie an die Brust und rutschte tiefer in die Couchecke, in derselben Abwehrhaltung wie an ihren ersten Tagen in Briarwood. Das Mädchen konnte einen Kleinbus kurzschließen, ohne Führerschein bis über die Staatsgrenze fahren und vermutlich einen Erwachsenen unter den Tisch trinken, aber im Augenblick wirkte es verängstigt. Gabi hatte beinahe Mitleid, aber nur bis sie wieder an die vergangene Nacht dachte, in der sie stundenlang den Himmel angefleht hatte, die Mädchen mögen noch am Leben sein.

»Wie kommen wir dorthin?«, fragte Eve.

»Ihr werdet mit dem Schulbus hingebracht – diesmal unter Verwendung des Zündschlüssels.« Priscilla lächelte über die kleine Kostprobe ihres Humors. Dann blickte sie Gabi direkt an. »Ms O’Brien wird euch hinfahren.«

Gabi riss die Augen auf.

Sekunde mal. Oh. Nein. Ganz bestimmt nicht.

»Es tut mir leid, Pris… äh, Ms Pritchard. An dem Abend fliege ich in den Urlaub. Wir müssen jemand anderen dafür finden.« Sie wusste genau, dass Priscilla über ihren Urlaub im Bilde war. Sie hatte nämlich einen Monat lang darüber nachgedacht, ob sie ihr zwei Wochen unbezahlten Urlaub genehmigen könne. Oder hatte sie das an dem turbulenten Morgen vergessen?

Als sie sah, wie Priscilla die Lippen aufeinanderpresste, zog sich ihr Magen zusammen. Die Mädchen drehten die Köpfe zu ihr herum. Sie wussten, wie sehr sie sich auf diesen Urlaub gefreut hatte. Das ganze Frühjahr über hatten sie Bilder von den Tropen für ihre Pinnwand ausgeschnitten. Sie hatten für sie die Ausflugstouren bis ins Einzelne geplant und ihr zehn ihrer Lieblingsfilme aufs Tablet geladen, damit sie sie am Strand schauen konnte.

Priscilla räusperte sich. »Nun, Ms O’Brien, wir müssen über Ihren Urlaub reden.«

Ein hohles Gefühl machte sich in Gabis Magen breit.

Priscilla hatte ihn wohl doch nicht vergessen.

»Internatsmädchen?« Luke Magellan schüttelte den Kopf. »Hier?«

Oliver nickte. Er lehnte sich in dem wackligen Gartenstuhl zurück und fuhr sich mit einer Hand durch den grauen Haarschopf. »Da war nichts zu machen. Briarwood hat das Camp im April gekauft. Wir gehören jetzt denen. Und ich schätze, die fangen an, es zu nutzen.«

Luke schaute über den Echo Lake, der in der Sommersonne glänzte. Am Strand war es still, am Anleger war es still, der Speisesaal war leer … und genau so hatte er sich den Sommer dieses Jahr vorgestellt. Keine Jungen auf den Reifenschaukeln oder in Paddelbooten auf dem See, niemand, der sich johlend vom Badeponton ins Wasser stürzte.

Es war vollkommen still.

Verwirrt stemmte er die Hände in die Hüften. »Ich kapiere das nicht. Zuerst kaufen sie das Gelände ganz offensichtlich zur Steuerabschreibung und versprechen, dass du das Camp weiter betreiben darfst wie seit dreißig Jahren. Dann machen sie es für den Sommer dicht und geben uns eine Liste mit zu erledigenden Arbeiten, die eindeutig zeigt, dass sie ganz andere Absichten haben. Und jetzt schicken sie uns eine Handvoll reicher Mädchen, die kurz vor dem Schulverweis stehen? Was sollen wir denn mit denen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Oliver und seufzte.

Luke lief unruhig auf dem Anleger hin und her und trat automatisch über drei lose Bohlen hinweg, die er noch nicht hatte auswechseln können. Dabei kam ihm ein Gedanke. Wenn die Briarwood-Direktorin wüsste, in welchem Zustand sich die Anlage befand, würde sie die Schülerinnen mit Sicherheit nicht herschicken. Denn deren Eltern würden sich furchtbar darüber aufregen.

Er drehte sich zu Oliver um. »Die wissen, dass wir keine Schlafplätze für sie haben, ja?«

»Wir haben Zelte«, entgegnete Oliver und zuckte mit den Schultern.

Luke schnaubte. »Klar. Du denkst, diese Briarwood-Mädels rollen hier an und finden es okay, wenn wir sie zu ihren Army-Zelten bringen?«

»Ich denke, diese Mädchen haben das Ende der Briarwood-Fahnenstange erreicht, da die Alternative offenbar der Schulverweis war. Zelte sind wohl ihr geringstes Problem.«

Luke brummte unwirsch: »Warum haben sie sie nicht einfach rausgeworfen, wenn sie es verdient haben?«

»Ich sag nur zwei Worte: reiche Eltern. Wenn du die verärgerst, siehst du die Spendengelder davonflattern. Briarwood will das Geld, also muss Briarwood die Kinder behalten.« Oliver schüttelte den Kopf. »Anscheinend hat die Schulleitung darauf bestanden, dass die Mädchen entsprechende Konsequenzen tragen. Vielleicht wird an ihnen ein Exempel statuiert, um andere potenzielle Missetäter abzuschrecken. Keine Ahnung.«

»Und dazu haben sie sich unser Camp ausgesucht.« Luke seufzte. »Sie wissen, dass außer dem Speisesaal alles kurz vor dem Zusammenbruch steht, ja? Sie wissen, dass wir beide die einzigen verbliebenen Mitarbeiter sind?«

Er fluchte leise. Natürlich wussten sie das. Schließlich gehörte ihnen das Camp jetzt.

»Ja. Und die Direktorin klang sogar erfreut, als sie das hörte.«

»Dann müssen die Mädchen sie sehr verärgert haben. Uns stehen weder finanzielle Mittel noch Personal zur Verfügung. Und sie haben keine Zeit vergeudet und mich sofort vom Camp-Leiter zum Hausmeister heruntergestuft. Wer soll die Mädchen den Sommer über beaufsichtigen? Wer soll sie davon abhalten, auf dem Gelände zu verwahrlosen?«

Oliver blickte auf seinen Zettel. »Gabriela O’Brien. Die Hausmutter. Offenbar hat sie den Kürzeren gezogen.«

Vor Lukes innerem Auge erschien das Bild einer Frau mit krausen grauen Haaren und einem weiten geblümten Kleid. Er runzelte die Stirn. Eine Hausmutter? »Und soll diese … Hausmutter die Mädchen auch beschäftigen?«

»Scheint so.«

»Also, das ist wirklich … Mist. Was sollen wir hier mit einer älteren Frau tun? Wir können die doch nicht in einem Zelt schlafen lassen, Oliver.«

»Willst du deine Hütte hergeben?«

»Bestimmt nicht, Mann. Die ist alles, was ich noch habe.« Luke rieb sich die Schläfen. »Aber ich werde sie nicht in ein Zelt stecken.«

»Tja, wüsste nicht, dass es eine andere Option gäbe. Ich kann sie schlecht bei mir im Büro schlafen lassen. Das gäbe Gerede.«

Luke lächelte, als er sich Olivers Wohnverhältnisse vor Augen rief. Das Arbeitszimmer war groß genug, um sich darin umzudrehen, solange man den Bauch einzog und die Luft anhielt. Dann fügte er an: »Wir haben keine Zeit, ihnen eine Hütte zu bauen. Nicht bei allem, was wir hier sonst noch erledigen sollen. Die werden in einer Woche hier sein.«

Oliver nickte. »Lassen wir das Ganze einfach auf uns zukommen. Vielleicht ist die O’Brien ja gar nicht so alt. Oder wenn doch, dann vielleicht der Typ, der einen schönen Sommer im Freien ohne Luxus und Glamour genießen kann.«

»Sie arbeitet an der Briarwood Academy. Das Unglamouröseste, was die dort haben, ist der Haferbrei, und selbst der ist wahrscheinlich Bio und gehackt und glutenfrei.« Luke legte die Stirn in Falten. »Unsere Auftragsliste ist einen Kilometer lang. Was wir brauchen, ist ein Arbeitskommando, kein Haufen reicher Mädchen, die sich am Strand sonnen.«

»Es sei denn, du verwandelst sie in ein Arbeitskommando«, sagte Oliver und zog bedeutungsvoll die Augenbrauen in die Höhe.

Luke warf ihm einen Blick zu. »Es ist nur der erste Schritt, Oliver. Das siehst du auch, oder?«

»Was meinst du?«

»Ich meine, dass sie uns zuerst diese Mädchen schicken und das Ganze als Notbehelf ausgeben – sie konnten sie nirgendwo anders unterbringen, bla, bla, bla. Als Nächstes hören wir dann, dass sie etwas übereilt entschieden haben, das Camp weiter als Camp für Jungen laufen zu lassen, schließlich können wir ja mit eigenen Augen sehen, wie gut es sich für die Mädchen aus dem Internat eignet. Und dann kriegen wir einen Haufen Papiere voller Juristengeschwafel zugeschickt, in denen wir von unseren jetzigen Positionen entbunden werden, weil sich die ursprüngliche Ausrichtung des Camps geändert hat. Sicherlich wünschen sie uns noch viel Glück für unsere Zukunft …«

»Bla, bla, bla?«

»Genau.« Luke nickte. »Ich sag’s dir, das riecht nach einem Plan und kein bisschen nach einer Ausnahme.«

»Na ja, es hörte sich aber schon danach an.«

»Und ich kaufe ihnen das nicht ab. Die hatten nie vor, hier ein Camp für Jungen zu betreiben, und das ist ihr erster Schritt, um die Zusage zurückzunehmen. Darauf wette ich mein neues Hausmeistergehalt.«

Oliver verdrehte die Augen. »Du bist der Einzige, der deinen Job so nennt, Luke.«

Er lachte kurz und bitter. »Tja, angesichts der Tatsache, dass ich jeden Sommer Projekte für hundert bedürftige Kinder geleitet habe und jetzt eine Liste mit Handwerkerprojekten abarbeiten muss, ist das wohl angebracht.«

Er seufzte. Zehn Jahre lang hatte er unter Olivers Leitung erlebnispädagogische Projekte für Kinder mit psychosozialen Risiken ausgearbeitet, und er war verdammt gut darin, denn er hatte alles gegeben, um so weit zu kommen. Wegen seiner eigenen Herkunft fiel es ihm leicht, das Vertrauen dieser Jungen zu gewinnen. Er half ihnen, Selbstvertrauen, Teamgeist und Verantwortungsgefühl zu entwickeln, und er nahm seine Aufgabe sehr ernst.

Diese drei Dinge waren das Beste, was Oliver ihm beigebracht hatte, seit Luke seinen Fuß zum ersten Mal ins Camp Echo Lake gesetzt hatte. Damals war er als wütendes Pflegekind hergekommen und hatte es darauf angelegt, von jedem gehasst zu werden, weil das einfacher war. Da wusste man wenigstens, woran man bei anderen war.

Ihm war klar, wo solche Kinder enden konnten, wenn sie keine Hilfe bekamen, und das wünschte er keinem von ihnen, denn er hatte es am eigenen Leib erfahren müssen.

Er schaute auf den spiegelglatten See, wo zwei Segelboote auf eine kleine Brise warteten. »Also, was tun wir?«

»Wir heißen sie willkommen, zeigen ihnen, wo alles ist, und kümmern uns fröhlich um unseren eigenen Kram, nämlich die Liste. Dass sich vier Briarwood-Schülerinnen nachts vom Campus geschlichen und in diese Situation gebracht haben, ist nicht unser Problem.«

»Dabei bleibst du?« Luke zog die Augenbrauen hoch. »Du wirst kein Mitleid kriegen, wenn sich zeigt, dass die Hausmutter hier völlig überfordert ist?«

»Ist sie ja vielleicht nicht.«

»Ernsthaft?«

»Na gut. Sie wird überfordert sein.« Oliver hob beschwichtigend die Hände. »Aber sie kann sich in die Sache reinfinden. Ich bin mir sicher, sie wird sich bis zu ihrer Ankunft etwas überlegt haben.«

»Und wenn nicht?«

»Dann lassen wir sie eine Woche herumstümpern und schicken dann alle nach Hause.«

Luke seufzte. »Bist du sicher, dass sie uns nicht reinlegen? Dass wir nicht die Opfer einer neuen Realityshow sind, in der kleine Prinzessinnen in der Wildnis ausgesetzt werden, um zu sehen, welche am Ende des Sommers überlebt hat?«

»Im Augenblick rechne ich wirklich mit allem.«

»Okay, ich sag dir was – wenn der Briarwood-BMW mit einem Kamerawagen im Schlepptau vorfährt, bin ich hier weg.«

»In Ordnung.« Oliver schüttelte den Kopf. »Aber du wirst schnell sein müssen, wenn du vor mir vom Hof fahren willst.«

2

Eine Woche später betrat Luke, gefolgt von zwei Fellknäueln, mit schnellen, wütenden Schritten den Speisesaal.

Piper Bellini, vorübergehende Camp-Köchin, tauchte hinter einem Stapel Kartons in der Küche auf, warf einen Blick in sein Gesicht und tauchte wieder ab.

»Klappe, Piper.«

Sie kam hinter dem Stapel hervor. »Hab gar nichts gesagt!«

»Musstest du auch nicht.«

»Du weißt also schon, dass du aussiehst, als wolltest du jemanden umbringen?« Sie deutete auf die Hunde. »Die Gesundheitsbehörde würde ausrasten, wenn sie wüsste, dass du die hier reinlässt.«

Luke schaute auf die Welpen hinunter, die um seine Füße wuselten, und runzelte die Stirn, als wüsste er nicht so recht, wie er eigentlich zu den beiden gekommen war. Vor sechs Monaten hatte er noch einen alten schwarzen Labrador gehabt, der ihm überallhin gefolgt war. Einen Monat nachdem Duke friedlich entschlafen war, waren diese wuscheligen Dinger auf Lukes Veranda aufgekreuzt.

Piper hob einen der Welpen auf den Arm und bedeutete Luke und dem zweiten Hündchen, mit ihr die Küche zu verlassen. »Ist das Nummer eins? Oder Nummer zwei? Und wann gibst du ihnen mal einen Namen?«

»Ich überlege schon die ganze Zeit. Wie wär’s mit Ding und Dong?«

Lachend hielt sie dem kleinen Hund die Ohren zu. »Nicht nett.«

»Ping und Pong? Dings und Bums?«

»Wow. Deine Laune ist echt mies.« Piper setzte den Welpen ab und bedeutete Luke, an einem der langen Picknicktische Platz zu nehmen, die sie am vorigen Wochenende lackiert hatte. Hauptberuflich war sie Kunsttherapeutin, abends kellnerte sie im Restaurant ihrer Familie, und in der übrigen Zeit schwang sie den Pinsel, um alten Möbeln einen neuen Anstrich zu verpassen. Als Luke sie vorigen Freitag angerufen hatte, damit sie ein paar schnelle Verschönerungen vornahm, war sie innerhalb einer Stunde mit Noahs Pick-up vorbeigekommen, der mit Farbdosen in allen Regenbogenfarben beladen war.

Sie nahm das zweite Hündchen hoch und knuddelte es. »Also, wann kommen die reichen Püppchen denn an?«

»In vier Stunden.«

»Habt ihr Zelte aufgestellt?«

»Ich habe ein Zelt. Aber das müssen sie selbst aufbauen.«

Piper lächelte breit. »Das wird lustig. Wie steht’s mit einem Waschraum und Duschen?«

»Wir haben ein prima Plumpsklo. Und einen See. Wenn sie einen Waschraum mit Dusche wollen, können sie sich einen bauen. Der steht sowieso auf der Liste.«

Piper hielt beim Streicheln inne. »Gut, dass du nicht völlig verbittert bist.«

»Oh, über Verbitterung bin ich hinaus, seit Oliver den Verkauf unterschreiben musste, Piper. Das Camp sollte jetzt eigentlich randvoll sein mit unausstehlichen Jungen.«

»Besteht eine winzige Hoffnung, dass du, na ja, falschliegst? Dass Briarwood doch vorhat, Echo Lake als Jungen-Camp weiterzubetreiben, nachdem es auf Vordermann gebracht wurde?«

Luke zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Hosentasche und breitete es aus. »Die Antwort kannst du der Liste entnehmen.«

Piper nahm das Blatt und überflog es. Er wusste, sie las nun von den geplanten Duschkabinen, dem Fernsehzimmer, Hütten mit Klimaanlage und dergleichen. Aus dem rustikalen Camp am Ufer des schönen, stillen Echo Lake würde eine gewöhnliche Ferienanlage werden, die im Grunde ein besseres Internat wäre. Hunderte verwöhnte Mädchen würden hier vom nächsten Sommer an durchgeschleust. Darauf würde er seinen rechten Arm verwetten.

Und Hunderte Jungen, denen es an allem fehlte, hätten das Nachsehen.

»Schön.« Sie gab ihm das Blatt zurück. »Ich sehe, was du meinst. Was wirst du mit den Prinzessinnen machen? Willst du deine Projekte mit ihnen durchziehen?«

Luke schüttelte den Kopf. »Keine Projekte. Oliver will, dass sie sich selbst beschäftigen, und ich bin ganz seiner Meinung.«

»Ach, wirklich?«

»Ja, wirklich. Verdreh jetzt bloß nicht die Augen, Piper.«

»Und du machst dir gar keine Gedanken, was vielleicht dabei herauskommen wird?«

»Oh, und ob.« Luke seufzte. »Oliver hat vor, sie eine Woche hierzubehalten und dann heimzuschicken. Ich habe vor, die Biege zu machen, sobald sie hier ankommen.«

»Das ist der große, tapfere Luke, den ich kenne.« Piper tätschelte ihm den Arm.

»Piper?«, knurrte er.

»Ich weiß.« Sie lachte. »Klappe halten! Aber bevor ich das tue, kann ich nicht anders, als dich zu warnen.«

»Wovor?«

»Vor der Tatsache, dass du praktisch unfähig bist, andere Leute in deinem Territorium einfach machen zu lassen. Erst recht Fremde.«

»Tja, zum Glück für uns alle habe ich zu viel zu tun, um mich darum zu scheren.«

»Okay.« Sie seufzte. »Mach nur. Aber ich wette um eine Bellinis-Pizza, dass du am dritten Tag einknickst. Der hochnäsigen Hausmutter einer hochnäsigen Schule überlässt du dein Camp ganz bestimmt nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Das wird nicht passieren.«

»Wir werden sehen, Piper.« Er blickte über den See und ließ die Schultern hängen. »Das ist sowieso nicht mehr mein Camp.«

Vier Stunden später hörte Luke den Schulbus schon von Weitem kommen. Doch erst, als der Wagen vor dem Bürohäuschen anhielt, überwand er sich, die Kletterseile liegen zu lassen, die er gerade entwirrte. Der Bus war wie erwartet ein glänzender BMW, auf dessen Seite das Briarwood-Logo prangte. Angestrengt versuchte Luke, sich ein einladendes, tolerantes Lächeln abzuringen, während er auf dem Rasen wartete.

Je eher er hinging, desto eher wäre auch die Begrüßung vorbei. Und zumindest wurde der BMW nicht von einem Übertragungswagen begleitet.

»Sei nett«, raunte Piper, als sie sich neben ihn stellte. »Selbst wenn es dich umbringt.«

»Oh, das wird es definitiv.«

»Sei trotzdem nett.« Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf, als die hintere Doppeltür des BMW geöffnet wurde. »Ich bringe die Mädchen in den Speisesaal. Du sprichst mit der Hausmutter. Ich garantiere dir, sie will auch nicht hier sein.«

Wen interessiert’s, dachte er. Aber um sich wie ein Erwachsener zu benehmen, setzte er sein freundlichstes Lächeln auf und ging um den Wagen herum zur Fahrerseite. Als er die junge Frau sah, die gerade ausstieg, stutzte er. Das war keine alte Jungfer mit grauer Haarkrause und geblümtem Kleid. Nein. Sie hatte glatte dunkle Haare, einen Haufen goldener Armreifen am Handgelenk und Kurven an den richtigen Stellen. Blinzelnd warf er einen Blick auf die Rückbank, um sich zu vergewissern, ob die Hausmutter noch dort saß. War diese Schönheit vielleicht bloß die Fahrerin?

»Mr Magellan?« Die Frau zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. Jetzt sah er ihre ausgestreckte Hand und begriff, dass sie ihn schon einmal angesprochen hatte. Mist.

Er schüttelte ihr rasch die Hand. »Ich bin Luke.«

»Gabriela.« Sie zeigte mit dem Finger auf sich, und er riss die Augen auf.

»Moment mal. Gabriela O’Brien?«

»Ja. So wahr ich hier stehe.«

»Verzeihung.« Er lächelte. »Es ist nur … Unter einer Hausmutter hatte ich mir jemand anderen vorgestellt.«

Nein, sie war nicht im Geringsten, was er sich vorgestellt hatte. Vielmehr war sie ein Bild von einer Frau. Und sie konnte allerhöchstens dreißig sein. Sie trug eine ärmellose lilafarbene Bluse, die wahrscheinlich mehr gekostet hatte als seine Lebensmittel für diesen Monat, eine kurze Jeanshose, die bis knapp über die Knie reichte, und Riemchensandalen. Ihre Fußnägel waren pink lackiert. Von allen Frauen, die je sein Camp betreten hatten, hatte keine so wenig dort hingepasst wie sie.

»Ich habe Lockenwickler und Bademantel im Internat gelassen, da ich nicht wusste, was mich hier erwartet und wie die Ausstattung Ihrer Anlage wohl ist. Aber meine Plüschpantoffeln habe ich dabei.«

»Touché. Ich bitte um Entschuldigung.«

»Ist okay.« Sie zwinkerte. »Ich bin mit meiner Stellenbezeichnung auch nicht glücklich. Aber die Direktorin hält daran fest. Das kann ich leider nicht ändern.«

»Und wie nennen die Mädchen Sie?«

»Gabi.«

»Dann heiße ich Sie im Camp Echo Lake herzlich willkommen, Gabi. Wir pflegen hier einen sehr freundschaftlichen Umgang untereinander. Also wenn es dir nichts ausmacht, würde ich vorschlagen, dass wir ebenfalls die Förmlichkeit beiseitelassen. Wie gesagt, ich bin Luke.« Er deutete auf Piper. »Das ist Piper. Sie wird den Sommer über für uns die Küche schmeißen.«

Gabi gab ihr lächelnd die Hand. »Schön, dich kennenzulernen.« Dann bedeutete sie den Mädchen, es ihr gleichzutun. »Das sind Sam, Eve, Madison und Waverly.« Ihre Armreifen klirrten leise.

Nachdem sie sich begrüßt hatten, klatschte Piper in die Hände. »Gerade habe ich Plätzchen gebacken. Wie wär’s, wenn ich die Mädchen in den Speisesaal mitnehme, während ihr beide euch näher miteinander bekannt macht?«

Luke hörte eines der Mädchen kichern. Das Lächeln auf Gabis Gesicht verschwand für einen Moment, und sie warf der Übeltäterin einen vernichtenden Blick zu.

»Eine kleine Stärkung wäre wunderbar. Danke, Piper«, sagte sie dann an die Köchin gewandt und neigte elegant den Kopf. »Mädchen, geht bitte mit Piper hinein. Ich komme gleich nach.«

Ein unzufriedenes Gebrummel war die Antwort darauf, und Luke hätte beinahe entnervt geseufzt. Nachdem die fünf hinter dem Bürohäuschen verschwunden waren, schloss Gabi die Tür des Schulbusses und schob die Hände in die Hosentaschen.

»Danke, dass ihr uns noch aufgenommen habt. Das Camp ist wahrscheinlich schon voll, nicht wahr?«

Er schaute sie verblüfft an. »Äh, nein. Diesen Sommer zeltet hier niemand.«

»Wie bitte?« Sie runzelte die Stirn. »Was soll das bedeuten?«

»Das Camp ist geschlossen, Gabi. Auf Anweisung von Briarwood. Wir sollen erst nächsten Juni wieder öffnen. Vielleicht.«

»Aber … warum hat man das Camp schließen lassen?«

»Hier soll sich einiges verändern, bevor das Camp unter dem Namen der Schule läuft. Diesen Sommer sind eine Menge Bauarbeiten und Umgestaltungsmaßnahmen geplant. Also«, er machte eine umfassende Armbewegung, »ist es geschlossen.«

»Ich verstehe nicht …« Nervös blickte sie sich um und sah wohl jetzt erst, wie ruhig und verlassen das Gelände dalag. Er folgte ihrem Blick zum leeren Anleger, zu den angebundenen Kanus, den Lichtungen zwischen den Bäumen, wo in den Jahren zuvor Zelte gestanden hatten. »Es ist wirklich niemand hier?«

»Nur der Camp-Leiter, ich und jetzt ihr.«

»Also …« Sie wandte sich ihm wieder zu. »Ich bin verwirrt. Ms Pritchard hat die Mädchen mit einem vierwöchigen Camp-Aufenthalt bestraft. Aber das ist kein Camp. Weiß sie … Sie kann unmöglich davon gewusst haben … oder?«

Das letzte Wort kam ihr sehr leise über die Lippen, und einen Moment lang empfand Luke Mitleid mit ihr. Da hatte man sie mit diesen ungehorsamen Gören für einen Monat in die Wildnis geschickt, und sie hatte sich wahrscheinlich ein tadelloses Ferienlager am Ufer eines unberührten Sees mit makellosen Hütten und einem Speisesaal mit Vollbedienung vorgestellt.

Der Anflug von Mitleid war rasch wieder verflogen. Natürlich musste sie etwas Derartiges erwartet haben. Wer von der Briarwood Academy kam, erwartete so etwas immer. Er seufzte. Nächstes Jahr würde das Camp wohl tatsächlich solche Ansprüche erfüllen, sofern alles klappte, was die Schulleitung plante. Aber jetzt würde sie mit dem vorliebnehmen müssen, was ihnen zur Verfügung stand. Und das war nicht viel.

Er räusperte sich. »Bin mir nicht sicher, was dort unter Strafe verstanden wird. Und ich kann dir nicht sagen, was die Direktorin wusste. Ich habe nicht mit ihr gesprochen.«

»Sie weiß es.« Olivers tiefe Stimme erklang hinter ihm. Dann trat er neben Luke und streckte Gabi seine kräftige Hand entgegen. »Hallo. Oliver Black. Ehemaliger Camp-Leiter. Sie hat euch nicht gesagt, dass das Camp offiziell geschlossen ist?«

»Nein.« Gabi schüttelte den Kopf und erinnerte Luke an ein verängstigtes Reh im Scheinwerferkegel. »Hat sie nicht. Ich verstehe das nicht. Das wird doch niemals funktionieren. Ihr seid gar nicht betriebsfähig. Ich … Ich muss da anrufen.« Gabi holte ihr Handy aus dem Wagen, aber als sie es einschaltete, runzelte sie die Stirn. »Hier gibt es keinen Empfang?«

»Nein.«

»Habt ihr vielleicht ein Festnetztelefon, das ich benutzen könnte?«

Oliver zog ein gequältes Gesicht. »Wenn du die Direktorin anrufen willst, die wirst du nicht erreichen, fürchte ich.«

»Warum?«

»Na ja …« Er schaute von ihr zu Luke und überlegte wohl, was er sagen sollte. »Sie hat für vier Uhr einen Flug gebucht.«

»Einen was?«

Luke hörte das zornige Knurren in Gabis Stimme und hätte beinahe gelacht. Sie schloss kurz die Augen, atmete tief ein und blickte sie beide an. »Das muss ein Missverständnis sein.«

»Tut mir leid, meine Liebe. Das ist kein Missverständnis.« Oliver zeigte zu dem Weg, den Piper mit den Mädchen entlanggegangen war. »Wir haben eine Köchin angeheuert, die uns aushilft, aber es sieht so aus, als säßet ihr einen Monat bei uns fest. Bringen wir die Mädchen erst mal unter, und morgen früh können wir uns etwas einfallen lassen.«

Noch einmal holte sie tief Luft und schaute auf ihre Uhr. »Ich kann nicht mal … Es gibt keine … Wir können hier nicht bleiben.« Sie sah zu den Bäumen ringsherum, wo alles still war, außer den zwitschernden Vögeln und ein paar Eichhörnchen, die über Zweige sprangen. »Ihr habt wirklich keine Pädagogen hier?«

»Nein.«

»Keine Projektangebote? Keinen Veranstaltungsplan?« Sie zählte die Fragen an ihren Fingern ab. »Keine Wanderausflüge, keine Origami- und Schwimmkurse?«

»Nichts davon.«

»Was tut ihr dann hier, obwohl das Camp geschlossen ist?«

Luke lächelte bitter. »Ich bin … der Hausmeister. Oliver ist der ehemalige Leiter. Und im Moment besteht unsere Aufgabe darin, die Anlage für nächstes Jahr tipptopp herzurichten. Wir kommen euch also nicht in die Quere, aber ihr seid auf euch allein gestellt.«

Ein mutloser Ausdruck trat in ihr Gesicht, und wieder bekam er ein schlechtes Gewissen. Aber es war nicht seine Schuld, dass sie mit vier reichen Gören hier festsaß und sie beschäftigen musste. Auf ihn wartete genug Arbeit, und sosehr es ihm widerstrebte: Dieser umwerfenden Lady aus dem Schlamassel zu helfen war nicht seine Aufgabe.

»Also dann.« Sie straffte die Schultern und hob das Kinn. »Ich werde mich bemühen, euch auch nicht in die Quere zu kommen.«

Luke nickte. »Es tut mir leid, wenn ich jetzt schonungslos werde. Ich möchte nur, dass ganz klar ist, wie die Dinge liegen: Briarwood hat uns zwar gekauft, aber bisher nicht mit Personal ausgestattet. Wir müssen die Anlage den Vorschriften entsprechend erneuern und sind nur zu zweit. Piper Bellini hat uns angeboten, fürs Essen zu sorgen, soweit es ihr möglich ist, aber das ist alles. Du siehst ja den derzeitigen Stand der Dinge. Wir haben nicht genug Leute, um mal eben ein Vier-Wochen-Programm auf die Beine zu stellen.«

»Verstehe.« Sie nickte, aber die Zornesflecken auf ihren Wangen waren noch nicht verblasst. »Obwohl ich es eigentlich nicht verstehe. Jedenfalls ist es zu spät, um zurückzufahren, zumindest heute. Vielleicht kannst du uns unsere Hütten zeigen? Damit wir euch nicht weiter aufhalten.« Gabi nahm den Fahrzeugschlüssel in die Hand, als wollte sie in den Wagen steigen und einen Weg entlangfahren, der zu ihrer zweistöckigen Hütte mit regelmäßigem Handtuchwechsel und voll ausgestattetem Bad führte.

»Wir haben keine Hütten, Gabi.«

»Was heißt das, ›keine Hütten‹?« Sie blickte sich um, und natürlich sah sie das Bürohäuschen und die Hütte mit dem Speisesaal, aber keine anderen, denn seine eigene lag ein Stück den Hang hinauf. Auf einmal wirkte sie ängstlich, und Luke konnte förmlich beobachten, wie der Zorn von Neuem in ihr hochkochte.

Er verschränkte die Arme. »Wir haben Zelte.«

»Zelte?« Sie kniff die Augen zusammen. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch.« Er setzte sich in Bewegung und bedeutete ihr mitzukommen. »Ich zeige dir gern eures.«

Sie griff nach seinem Ellbogen und berührte ihn leicht, zog die Hand jedoch hastig zurück wie bei einem Versehen.

»Bitte sag mir, dass das ein Scherz ist.«

Er drehte sich zu ihr um und blieb stehen. »Hör zu, das ist nicht das Ritz-Camp. Bei uns wird gezeltet.«

»Okay«, sagte sie gedehnt und spähte zu beiden Seiten in den Wald. »Aber was ist mit … wilden Tieren? Die Mädchen werden mich das fragen. Was für Tiere gibt es hier?«

»Du meinst, welche ins Zelt eindringen könnten? Oder welche sich gewöhnlich nicht die Mühe machen?«

»Das ist nicht witzig, Mr Magellan.«

»Luke.«

»Das ist nicht witzig, Luke.«

Er hob beschwichtigend die Hände. »Hier gibt es viele Tiere. Aber solange die Mädchen sich an die Regeln halten, sollte das kein Problem sein.«

»Okay.« Sie atmete auf. »Und du verrätst uns diese Regeln, bevor es dunkel wird?«

»Wenn wir noch Zeit haben.« Erneut hob er die Hände. »Ich weiß. Nicht witzig. Komm mit. Ich habe euch ein bärensicheres Zelt reserviert.«

»Die gibt es?«

Er blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe gegen ihn geprallt wäre. Ihr Parfüm umhüllte ihn, und es traf ihn völlig unerwartet, wie sehr ihm der würzig-liebliche Duft gefiel. Verdammt. Er wollte an ihr gar nichts mögen, auch nicht, wie sie roch.

»Gabi, hast du mal einen Bären gesehen?«

»Nein.«

»Auf einem Foto vielleicht?«

»Natürlich.« Sie verdrehte die Augen.

»Und auch, was für Zähne er im Maul hat?«

»Äh …«

Er lächelte und ging weiter den Weg entlang. »Es gibt keine bärensicheren Zelte.«

3

»Es hieß doch, wir hätten ein Zelt.« Fünf Minuten später starrte Gabi auf eine Holzplattform umgeben von Kiefern. Widerwillig räumte sie ein, dass die Lichtung sehr schön war – hohe Bäume, ein weicher Nadelteppich und ringsherum Vogelgezwitscher.

Aber kein Zelt.

»Das liegt im Geräteschuppen.« Luke zeigte auf die Holzbohlen, die von hellorangefarbenen Nadeln bedeckt waren. »Aber hier kommt es hin.«

»Wer baut es auf?« Schon während sie das fragte, stieg in ihr Empörung auf, da sie ahnte, wie die Antwort lauten würde.

»Das sollten die Mädchen tun.«

Gabi lachte nervös, denn sie sah ihre vier Mädchen vor sich, die gezwungen waren, lauter rätselhafte Einzelteile zu einem Zelt zusammenzubauen. Das würde hinten und vorne nicht funktionieren, nicht mal mit ihrer Hilfe. Sie hatte selbst noch nie eines aufgebaut.

»Gibt es dazu eine Anleitung?«

»Nein. Nur viele Teile. Aber sie werden das schon hinkriegen. Zelte sind nicht so kompliziert.«

»Du meinst also, die Mädchen sollten zum Einstieg ins Camp-Leben ihre Unterkunft selbst errichten?«

Er holte scharf Luft. »Sie werden keine Unterkunft errichten, sondern ein Zelt aufbauen.«

Ihr kam ein anderer Gedanke. Wenn es keine Hütten gab, wo waren dann die Waschräume? »Nur aus Neugier: Wo sind die Toiletten?«

Sie sah ein winziges Lächeln über Lukes Gesicht huschen, als er den Weg hinunterzeigte. »Komm mit.«

Sie gingen dreißig Schritte über eine kleine Anhöhe, dann blieb er stehen.

»Da drüben.«

Gabi holte entsetzt Luft, als sie die winzige Holzhütte abseits des Weges sah. An ihr hatte sich wohl kürzlich jemand mit Pinsel und Farbe ausgetobt, sie war also frisch gestrichen und hübsch bunt, aber das war ein Klohäuschen. Ein Klohäuschen!

»Das ist keine Toilette.«

»Doch, das ist eine.«

»Uns wurde gesagt …«

»Hör zu.« Luke hob beide Hände. »Ich kenne die Person nicht, die die Vereinbarungen getroffen hat, und ich weiß auch nicht, was ihr angestellt habt, um bei uns zu landen, aber etwas anderes als das können wir euch nicht anbieten. Niemandem in Briarwood ist weisgemacht worden, wir hätten hier Hütten und Waschräume. Wir haben Zelte und Klohäuschen. Und der Speisesaal existiert nur, weil die Gesundheitsbehörde einen Fußboden und Fenster verlangt hat, wo Essen serviert wird.«

»Reizend.«

»Piper sagt, sie hat das Klohäuschen für weibliche Bedürfnisse hergerichtet. Was das heißt, weiß ich nicht, und ich will es auch gar nicht wissen, aber das wird für die Mädchen genügen. Es gibt zwei Kabinen, und ihr seid fünf. So ist das nun mal beim Zelten, Gabi. Du kannst von Glück reden, dass du ihnen nicht beibringen musst, wie man sich von dem ernährt, was der Wald hergibt.«

»Noch reizender, vielen Dank.« Gabi stemmte die Hände in die Hüften und blickte sich fassungslos um. Sie kannte jene Person, die die Vereinbarungen getroffen hatte, sehr gut – und konnte sich die boshafte Schadenfreude vorstellen, die Priscilla jetzt empfand, während sie bei einem Gläschen Weißwein auf ihrem Platz in der ersten Klasse saß und sich ausmalte, wie Gabi im Camp ankam und feststellte, dass es weder Hütten noch richtige Toiletten gab und nicht mal …

»Moment. Wo werden wir duschen?«

Luke zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Im See.«

»Das ist nicht witzig.«

»Und nicht gelogen.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Weißt du was? Wenn die Handwerker nicht bei unserem Wohnheim angerollt wären, als wir abfuhren, wäre ich jetzt sehr versucht, die Mädchen in den Wagen zu laden und heute noch zurückzufahren.«

Er zuckte mit den Schultern, als könnte ihm nichts gleichgültiger sein, und das machte sie noch wütender.

»Das ist deine Entscheidung.«

Seufzend dachte sie an die Hinweisschilder zur Helmpflicht an den Türen. Sie saß hier fest.

Gabi beäugte ihn einen Moment lang. Er hoffte wohl, dass sie genau das täte – aufgab, noch ehe sie eine Stunde in diesem dämlichen Camp verbracht hatte. Er ärgerte sich offensichtlich, weil sie und die Mädchen ihm den ruhigen Sommer verdarben, und wahrscheinlich sähe er nichts lieber, als wenn sie sich jetzt umdrehte und heimführe. Er hatte sie bereits als zimperliche reiche Gören abgestempelt, die mit seinem Camp sowieso nicht klarkamen. Ihre Abreise würde das nur beweisen.

Aus irgendeinem Grund brachte sie das mehr auf die Palme als der Rest der Situation, was in diesem Moment wirklich etwas heißen wollte.

»Wir werden bleiben, danke.« Sie hob das Kinn. Die Mädchen würden das verflixte Zelt eben aufbauen müssen. Und sie würde ihnen helfen. Die Sanitäranlagen würden sie hoffentlich erst später entdecken. »Wenn du mir den Schuppen und die Zeltteile zeigst, können wir anfangen.«

»Gern.« Er hielt einen Moment lang inne, dann schlug er den Rückweg ein. Gabi folgte ihm. Um sie herum sah sie nichts als Bäume.

»Und wo steht dein Zelt?«

Lächelnd drehte er den Kopf zu ihr und zwinkerte. »Ich habe eine Hütte.«

»Okay, lasst uns die Teile ausbreiten, dann sehen wir sicher, wie sie zusammengehören.« Gabi zeigte auf den Haufen Stangen. »Waverly und Sam, wie wär’s, wenn ihr die Stangen der Länge nach sortiert, und Madison und Eve, ihr breitet die Zeltplanen aus?«

»Ich fasse das Zeug nicht an.« Madison schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme. »Wer weiß, wo das gelegen hat?«

»In einem Geräteschuppen, da hat es gelegen.« Gabi zeigte in die entsprechende Richtung. »Jetzt breitet sie aus.«

Madison stöhnte angewidert. »Haben wir Handschuhe oder so was? Igitt. Mein Vater wird wütend sein, wenn er das erfährt.«

»Glaubst du das wirklich?« Gabi zog die Augenbrauen hoch. »Soll ich dir mal die Gründe für unsere derzeitige Lage verraten?«

»Nein. Eigentlich nicht.« Madison deutete mit dem Kinn auf die Zeltplanen. »Denn offenbar wussten Sie über unsere gesamte Lage einen Scheiß.«

Gabi nickte und sah, dass Eve bei Madisons Wortwahl die Augen aufriss. »Das muss ich tatsächlich zugeben. Und ich sehe dieses eine Mal über deinen Ausdruck und deine Haltung hinweg, weil wir alle müde sind und vor einer ungewohnten Herausforderung stehen. Aber ich sag euch was: Ratet mal, wer ganz genau wusste, was wir hier vorfinden würden.«

Sam schnaubte. »Die Pritch-Bitch, die wusste das.«

»Genau. Aber hör auf, sie so zu nennen. Und wer wusste es noch?« Gabi sah die Mädchen der Reihe nach an. »Eure Eltern und euer Vormund. Ihnen gegenüber musste Ms Pritchard nämlich ehrlich sein, weil sie ihre Einwilligung brauchte.«

Kurz ließ sie die Informationen wirken. Dann lächelte sie mit zusammengekniffenen Lippen. »Die hat sie von allen bekommen, sonst wären wir jetzt nicht hier.«

»Unmöglich«, widersprach Waverly mit dünner Stimme. »Meine Mutter hat sich furchtbar aufgeregt, sie hat gesagt, dass sie auf keinen Fall einwilligt.«

»Hat sie aber. Tut mir leid, Waverly.« Gabi zeigte zum Parkplatz. »Ich habe die Einwilligungen unterschrieben im Auto liegen. Wenn die jemand sehen möchte.«

Für ein paar Augenblicke verstummte das Brummeln, während die Mädchen verarbeiteten, was Gabi gesagt hatte. Ja, Priscilla hatte genau gewusst, was sie ihnen antat. Die Eltern hatten es gewusst, und Luke und Oliver ebenfalls. Die einzigen Ahnungslosen, die nun einen Monat in der Plumpsklo-Hölle verbringen würden, waren Gabi und ihre Mädchen.

»Also gut. Machen wir uns an die Arbeit.« Sie wandte sich den Zeltstangen zu. »Wenn das Ding bis zur Dunkelheit stehen soll, müssen wir uns ranhalten.«

Die Mädchen murrten, aber ein paar Minuten später hatten sie die Bauteile geordnet und überlegten, welche Stangen in welche Zeltbahn geschoben werden mussten, als Luke aufkreuzte.

Er verschränkte die Arme und betrachtete die Szene mit einem schiefen Lächeln. »Wie läuft es, Ladys?«

»Gut.« Madison zwinkerte. »Aber wir könnten Hilfe gebrauchen. Keiner von uns hat schon mal ein Zelt aufbauen müssen.«

»Ach so.« Luke rührte sich nicht. »Na, dann würde ich sagen, ist es höchste Zeit, dass ihr das lernt.« Er wandte sich Gabi zu. »Kann ich dich kurz sprechen?«

Sie ging mit ihm den Weg entlang, und als sie außer Sicht waren, die Mädchen aber noch hören konnten, hielt Luke an und verschränkte die Arme. Sie fragte sich, ob das seine übliche Körperhaltung war oder ob sie die bei ihm provozierte.

Er sah sie herausfordernd an. »Glaubst du, dass das Zelt bis zum Einbruch der Nacht steht?«

Sie erwiderte seinen Blick mindestens ebenso herausfordernd. »Könnte es, wenn wir ein wenig Hilfe bekämen.«

Daraufhin wurde seine Miene nachdenklich. »Eine Frage: Was erhoffst du dir konkret von den vier Wochen bei uns?«

»Wie bitte?« Gabi schaute ihn verständnislos an. »Das ist eine ziemlich umfassende Frage.«

»Jep.«

Sie seufzte innerlich. »Offen gestanden habe ich im Moment nur ein Ziel: die nächste Nacht zu überleben und nicht von den Kreaturen, die am Waldrand lauern, gefressen zu werden. Davon abgesehen weiß ich es noch nicht.«

Er lächelte, und sie wünschte, er sähe dabei nicht dermaßen gut aus. »Möchtest du einen Rat?«

»Wenn er den Aufbau des Zeltes betrifft, ja.«

»Tut er. Und er ist simpel. Du musst das die Mädchen wirklich allein tun lassen.«

»Warum?« Sie hatte Mühe, nicht gereizt zu klingen. Wer war er, dass er meinte, ihr raten zu können, wie sie ihre Schülerinnen behandeln sollte? Dieser Mann kannte keine von ihnen.

Er zuckte mit den Schultern. »Na ja, mir steht hier kein Urteil zu, aber wie mir scheint, haben sie etwas so Schlimmes angestellt, dass jemand der Ansicht ist, sie hätten vier Wochen in der Hölle verdient – denn genau das wird es für sie. Und wir beide wissen, dass du ebenfalls hierbleiben musst. Wenn du die Mädchen hier verhätschelst, werden sie in vier Wochen noch genauso sein wie vorher. Wenn du dagegen die Samthandschuhe ausziehst und sie nicht mehr wie Prinzessinnen behandelst, können sie sich zu ihrem Vorteil verändern. Und das klappt umso besser, wenn du es vom ersten Tag an tust. Mehr sage ich nicht.«

Gabi starrte ihn an und verschränkte ihrerseits die Arme. Eine Unverschämtheit.

»Bei allem Respekt, du kennst die Mädchen doch gar nicht und mich auch nicht. Ich weiß es zu schätzen, dass du mir einen guten Rat geben willst, aber wenn es dir nichts ausmacht, werde ich das entscheiden. Wir werden das Zelt gemeinsam aufbauen.«

»Wie du meinst.« Er hob die Hände zu der klassischen Wollte-dich-nur warnen-Geste, was sie noch mehr ärgerte. »Viel Glück«, sagte er, dann wandte er sich ab. Doch sie sah noch sein leicht amüsiertes Lächeln, das ihr schon die ganze Zeit auf die Nerven ging.

Na warte!

»Samthandschuhe«, murmelte Gabi, als sie zur Lichtung zurücklief. »Dem zeige ich, was Samthandschuhe sind.«

Als sie die kleine Anhöhe hinaufgestiegen war, sah sie die Mädchen auf der Plattform sitzen, und keines rührte einen Finger, um das Zelt aufzubauen.

Großartig.

Sie war an die Bequemlichkeit der vier gewöhnt. Die erlebte und bekämpfte sie tagtäglich. Doch jetzt, mitten im Wald, wo es in den nächsten zwei Stunden dunkel werden und sich allerhand Viecher anschleichen würden, brachte sie diese Bequemlichkeit auf die Palme. So wütend war sie nicht mehr gewesen seit … tja, seit vorigem Freitag, als sie erfuhr, dass sie ihren Urlaub abschreiben musste.

Sie gab wirklich ungern zu, dass Luke recht haben könnte, aber dass sie da alle herumsaßen und auf sie warteten, damit sie das Denken übernahm, machte sie furchtbar wütend. Die Mädchen hatten sich den Schlamassel eingebrockt, und sie würden die Konsequenzen tragen.

Konsequenz Nummer eins: das verdammte Zelt aufbauen.

»Mensch, Gabi. Nett, dass Sie zurückkommen«, sagte Madison, als Gabi die Lichtung betrat. »Es wird nämlich bald dunkel.«

Gabi zog die Augenbrauen hoch und nickte langsam. »Warum baut ihr dann nicht das Zelt auf?«

»Wir wissen nicht, wie das gehen soll«, jammerte Waverly.

»Tja«, Gabi holte tief Luft, »wenn ihr heute Nacht irgendwo schlafen wollt, werdet ihr es hinkriegen müssen. Ich muss noch mal in Olivers Büro und ein paar Telefonate führen. Ihr kümmert euch in der Zeit um das Zelt. Irgendwelche Fragen?«

»Sie gehen?«, keuchte Eve und betrachtete die auf der Plattform verstreuten Bauteile. »Sie können uns doch nicht einfach alleinlassen.«

»Kann ich und werde ich. Luke meinte, die Bären streunen erst durch die Gegend, wenn es dunkel ist, aber ich will nicht unbedingt austesten, ob seine Behauptung stimmt. Je eher das Zelt steht, desto besser, nicht wahr?«

Luke hatte nichts dergleichen gesagt. Soweit sie wusste, schliefen Bären nachts in ihren gemütlichen Höhlen. Aber das wussten die Mädchen nicht. Gabi wandte sich ab und ließ sie mit ihrer Verblüffung allein. Resolut lief sie den Hügel hinauf, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Natürlich musste sie niemanden anrufen, aber das wussten die Mädchen auch nicht. Ihre zwei Freundinnen, die sie in Briarwood hatte, unternahmen an der Küste von Maine eine Kajak-Tour, sonst hätte sie die beiden anrufen können. Dann hätte sie ihnen von der ersten Höllenstunde im Camp Echo Lake erzählt … von dem Camp, das eigentlich geschlossen war … von Zelten mit so großen Löchern darin, dass sie sicher innerhalb einer Woche eine Gallone Blut an die Mücken verlieren würde … von einem großen, attraktiven Hausmeister, der so von sich eingenommen war, dass er ihr bereits Ratschläge erteilte, wie sie ihre Aufgabe bewältigen sollte.

Sie schlug sich eine Mücke vom Arm, dann fiel ihr Blick auf den Schultransporter. Gut. Sie würde im Auto warten, bis die Mädchen mit dem Zelt fertig waren. Und es würde eine Menge Selbstbeherrschung kosten, nicht einfach abzuhauen.

Als sie sich hinters Steuer setzte, schreckte sie zusammen, weil sie plötzlich eine Stimme hörte.

»Du willst schon flüchten?«, fragte Luke. Er schlenderte vom Bürohäuschen auf den Wagen zu, noch dasselbe belustigte Lächeln im Gesicht, und sie hasste es, wie schön sein Bartschatten seine Kinnlinie betonte und wie anerkennend sie das bemerkte. Obendrein hatte er dichte dunkelbraune Haare – die geradezu darum bettelten, dass eine Frau mit den Fingern hindurchstrich.

Verlegen wandte sie den Blick ab. Dann hielt sie den Zündschlüssel hoch. »Erwischt.«

»Ich dachte wirklich, du würdest wenigstens noch eine Stunde durchhalten.«

»Nö.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin raus. Die Mädchen gehören dir. Du fürchtest dich ja nicht vor ein paar Teenagern, oder?«

»Und ob. Die würde jeder fürchten, der bei Verstand ist.«

»Na, du wirst schon klarkommen.« Sie steckte den Schlüssel in die Zündung, und er trat an ihr Fenster und stützte die Arme auf.

»Du willst nicht wirklich weg.«

»Wetten?«

Er grinste. »Du kannst gar nicht.«

»Wieso nicht?«

»Weil du ein viel zu schlechtes Gewissen hättest, zum Beispiel.«

Gabi schüttelte den Kopf. »Im Moment nicht, nein.«

»Mag sein.« Er neigte den Kopf zur Seite. »Aber nach zehn Kilometern würdest du es dir noch mal überlegen. Das weißt du selbst.«