Ein amerikanischer Albtraum - James Ellroy - E-Book

Ein amerikanischer Albtraum E-Book

James Ellroy

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Beschreibung

»Amerika als wilder Fiebertraum in Stakkato-Prosa – das kann nur der Höllenhund der Literatur.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 22. November 1963: Am Dealey Plaza fallen Schüsse. Die Hintergründe des Attentats auf John F. Kennedy werden vertuscht. Ein junger Polizist kommt mit einem Überstellungsmandat und 6000 Dollar in Dallas an – und gerät ins Epizentrum explodierender amerikanischer Träume. Eine atemlose Irrfahrt durch die wildesten Jahre der US-Geschichte beginnt.

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Das Buch

Im November 1963 kommt der junge Polizist Wayne Tedrow Jr. mit einem delikaten Auftrag nach Dallas – und gerät mitten in den Strudel sich überstürzender Ereignisse nach dem Attentat auf den Präsidenten John F. Kennedy. Doch ist dies nur der Beginn einer wahren Höllenfahrt, die Wayne an die Brennpunkte der amerikanischen Geschichte treibt …

James Ellroy nimmt in seinem unverwechselbaren Stil das Thema auf, das er in Ein amerikanischer Thriller begann. Die sechziger Jahre werden in noch nie da gewesenem Detail erfasst, die Ikonen der Epoche mischen sich mit Polizisten, Mördern, Gangstern und Provokateuren. Gemeinsam leben sie den amerikanischen Albtraum aus – faszinierend, schockierend und fesselnd: James Ellroy at his best.

Der Autor

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Allein mit dem Deutschen Krimipreis wurde Ellroy fünfmal ausgezeichnet, etliche seiner Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential und Black Dahlia.

Von James Ellroy sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die L.A.-Serie:Black Dahlia – Die Schwarze DahlieBlutschattenL.A. ConfidentialWhite Jazz

Die Underworld-Trilogie:Ein amerikanischer ThrillerEin amerikanischer AlbtraumBlut will fließen

Außerdem:Crime WaveDer Hilliker-FluchPerfidia

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,Speicherung oder Übertragungkönnen zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Januar 20104. Auflage 2012© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006© 2003 für die deutsche Ausgabe byUllstein Heyne List GmbH & Co. KG© 2001 für die deutsche Ausgabe byEcon Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München/Ullstein Verlag© 2001 by James EllroyTitel der amerikanischen Originalausgabe: The Cold Six Thousand(Alfred A. Knopf, New York)Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenTitelabbildung: © Paolo Verzone/Agence VU/laifSatz: Pinkuin Satz und Datentechnik, BerlinE-Book-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in GermanyE-Book ISBN 978-3-8437-1027-5

Für

Bill Stoner

ERSTER TEIL

ÜBERSTELLUNG

22.–25. November 1963

Wayne Tedrow Jr.

(Dallas, 22.11.63)

Sie hatten ihn nach Dallas geschickt, um einen Nigger-Luden namens Wendell Durfee umzubringen. Er war nicht sicher, ob er das bringen würde.

Der Rat der Kasinobetreiber hatte ihm den Flug bezahlt. Man hatte ihm ein Erstklassticket spendiert. Man hatte die schwarze Kasse angezapft. Man hatte ihn geschmiert. Man hatte ihm schlappe sechstausend in die Hand gedrückt.

Nicht, dass einer gesagt hätte:

Bring den Mohren um. Mach ganze Arbeit. Kassier unser Kopfgeld.

Der Flug verlief ruhig. Eine Stewardess servierte Drinks. Sie sah seine Waffe. Sie reagierte. Sie stellte doofe Fragen.

Er sagte, er arbeite im Police Department von Vegas. Er sei Leiter der Nachrichtenabteilung. Er lege Akten an und trage Informationen ein.

Sie fand das toll. Sie schmachtete ihn an.

»Was bringt Sie nach Dallas, Süßer?«

Er gab ihr Bescheid.

Ein Neger hatte auf einen Croupier beim »21« eingestochen. Er hatte den Croupier um ein Auge gebracht. Und war danach nach Big D abgehauen. Sie fand das toll. Sie servierte ihm Highballs. Die Einzelheiten behielt er für sich.

Der Croupier hatte den Angriff provoziert. Der Rat hatte das Urteil gesprochen – Tod wegen schwerer Körperverletzung.

Das Einheizen vor dem Abflug. Lieutenant Buddy Fritsch:

»Ich muss dir nicht sagen, was wir erwarten, Junge. Und muss nicht betonen, dass das deinem Vater genauso geht.«

Die Stewardess spielte Geisha. Die Stewardess rückte das hochtoupierte Haar zurecht.

»Wie heißen Sie?«

»Wayne Tedrow.«

Sie juchzte. »Dann müssen Sie der Junior sein!«

Er blickte durch sie hindurch. Er kritzelte. Er gähnte.

Sie himmelte ihn an. Sie liebte seinen Daddy. Der so oft bei ihr mitgeflogen war. Sie wusste, dass er ein bedeutender Mormone war. Und hätte zuuuuu gerne mehr über ihn gewusst.

Wayne beschrieb Wayne Senior.

Er leitete eine Küchenarbeiter-Gewerkschaft. Er sorgte für niedrige Gehälter. Er hatte Geld. Er hatte was zu melden. Er vertrieb rechtsextreme Broschüren. Er steckte mit Großkopfeten zusammen. Er kannte J. Edgar Hoover.

Der Pilot schaltete die Lautsprecheranlage ein. Dallas – pünktlich eingetroffen.

Die Stewardess rückte ihr Haar zurecht. »Sie wohnen bestimmt im Adolphus.«

Wayne schloss den Sicherheitsgurt. »Wie kommen Sie darauf?«

»Nun, Ihr Daddy hat mir gesagt, dass er stets dort absteigt.«

»Ich übernachte dort. Nicht, dass mich jemand gefragt hätte, aber dort hat man mich untergebracht.«

Die Stewardess kauerte nieder. Ihr Rock rutschte hoch. Ihr Strumpfgürtel klaffte.

»Ihr Daddy sagte, im Hotel sei ein herziges kleines Restaurant, und, na ja –«

Das Flugzeug geriet in eine Turbulenz. Die Wayne auf den Magen schlug. Er geriet ins Schwitzen. Er machte die Augen zu. Er sah Wendell Durfee.

Die Stewardess berührte ihn. Wayne machte die Augen auf.

Er sah ihre Pickel. Er sah ihre schlechten Zähne. Er roch ihr Shampoo.

»Das scheint Sie ein bisschen erschreckt zu haben, Wayne Junior.«

»Junior« machte das Maß voll.

»Lassen Sie mich in Ruhe. Ich bin nicht, was Sie suchen, und betrüge meine Frau nicht.«

13:50.

Sie landeten. Wayne stieg als Erster aus. Wayne stapfte sich das Blut in die Beine zurück.

Er ging zum Flughafengebäude. Schulmädchen verstellten den Eingang. Ein Mädchen weinte. Eines fummelte an einem Rosenkranz.

Er wand sich durch. Er folgte den Gepäckhinweisen. Leute gingen an ihm vorbei. Sie sahen fix und fertig aus.

Rote Augen. Schluchz-schluchz. Frauen mit Kleenex-Tüchern.

Wayne blieb an der Gepäckausgabe stehen. Kinder flitzten vorbei. Sie schossen mit Spielzeugpistolen. Sie lachten.

Ein Mann kam auf ihn zu – eine Prolo-Type – groß und fett. Er trug einen Stetson. Er trug große Stiefel. Er trug eine .45er mit Perlmuttgriff.

»Wenn Sie Sergeant Tedrow sind, bin ich Officer Maynard D. Moore vom Police Department Dallas.«

Sie schüttelten sich die Hand. Moore kaute Kautabak. Moore benutzte Billig-Cologne. Eine Frau ging vorbei – schluchz-schluchz – sie hatte eine knallrote Nase.

»Was ist denn los?«, fragte Wayne.

Moore lächelte. »Ein Spinner hat den Präsidenten erschossen.«

Die meisten Läden machten vorzeitig dicht. Die Staatsflagge hing auf halbmast. Einige Leute hatten die Südstaatenflagge gehisst.

Moore fuhr Wayne in die Stadt. Moore hatte einen Plan: Zuerst beim Hotel vorbeischauen / du richtest dich ein / dann machen wir den Negeraffen ausfindig.

John F. Kennedy – tot.

Der Schwarm seiner Frau.

Die fixe Idee seiner Stiefmutter. Beim Anblick von Jack wurde Janice feucht. Was Janice Wayne Senior wissen ließ. Wofür Janice büßte. Janice hinkte. Janice zeigte die Striemen auf ihren Schenkeln.

Tot war tot. Er konnte es nicht fassen. Er kam nicht damit zurecht.

Moore kaute Red-Man-Tabak. Moore spuckte den Saft zum Fenster hinaus. Ein paar Schüsse knallten. Freudenfeiern in den Vorstädten.

»Manche sind gar nicht so traurig«, sagte Moore.

Wayne zuckte mit den Schultern. Sie fuhren an einem Plakat vorbei – JFK und die UNO.

»Hast wohl heute nicht deinen gesprächigen Tag. Ich muss sagen, ich hab’s bei Überstellungsanträgen mit lustigeren Kollegen zu tun gehabt.«

Ein Schuss knallte. Ganz nah. Wayne griff an sein Halfter.

»Na, na! Du bist echt nervös, Junge!«

Wayne fummelte an der Krawatte. »Ich will’s ganz einfach hinter mir haben.«

Moore überfuhr ein Stopplicht. »Mal immer mit der Ruhe. Dauert bestimmt nicht mehr lange, bis Mr. Durfee unserm gefallenen Helden die schwarze Patschhand reichen darf.«

Wayne kurbelte sein Fenster hoch. Worauf der Duft von Moores Kölnischwasser im Wageninnern blieb.

»Bin mehrmals im Lost Wages gewesen«, sagte Moore. »Ja, ich stehe momentan beim Dunes ganz schön in der Kreide.«

Wayne zuckte mit den Schultern. Sie fuhren an einer Bushaltestelle vorbei. Eine junge Schwarze weinte.

»Ich hab auch einiges über deinen Daddy gehört. Er soll in Nevada eine ziemlich große Nummer sein.«

Ein Lastwagen überfuhr ein Stopplicht. Der Fahrer winkte mit einer Bierdose und einem Revolver.

»Meinen Vater kennen viele. Und wenn alle sagen, dass sie ihn kennen, hat man’s mit der Zeit ziemlich dicke.«

Moore lächelte. »He, auf dem Gebiet scheinst du ziemlich kitzlig zu sein.«

Paraden-Konfetti. Ein Schaufensterschild: Big D liebt Jack & Jackie.

»Ich hab auch einiges über dich gehört. Manches an dir soll deinem Daddy gar nicht passen.«

»Und das wäre?«

»Sagen wir, gewisse Nigger-Freunde. Sagen wir, dass du Sonny Liston rumchauffierst, wenn er nach Vegas kommt, weil das PD Schiss hat, dass er wegen Suff und weißen Weibern Ärger kriegt, und dass du ihn magst, während du die netten Ithaker, die euer Städtchen sauber halten, nicht magst.«

Der Wagen fuhr in ein Schlagloch. Wayne knallte aufs Armaturenbrett.

Moore starrte Wayne an. Wayne starrte zurück. Einer hielt dem Blick des anderen stand. Moore überfuhr ein Stopplicht. Wayne gab als Erster nach.

Moore zwinkerte ihm zu. »Am Wochenende geht’s rund.«

Die Lobby war schick. Mit dicken Teppichen. In denen sich die Stiefelabsätze der Männer festhakten.

Die Gäste wiesen mit dem Finger nach draußen – da, da, da – die Autoparade war am Hotel vorbeigefahren. JFK war vorbeigefahren. JFK hatte gewinkt. JFK war ganz nahe gewesen.

Die Gäste unterhielten sich. Fremde sprachen Fremde an. Die Männer trugen Western-Anzüge. Die Frauen trugen Möchtegern-Jackie-Kostüme.

Frisch eingetroffene Gäste belagerten die Rezeption. Moore improvisierte. Moore führte Wayne in die Bar.

Gerammelt voll – jede Menge Barbesucher.

Ein Fernseher stand auf einem Tisch. Ein Barmann drehte die Lautstärke hoch. Moore drängte zu einer Telefonkabine. Wayne sah fern.

Die Gäste schwatzten. Die Männer trugen Hüte. Sie trugen Cowboystiefel mit hohen Absätzen. Wayne stellte sich auf die Zehen. Wayne erhob sich über die Hutränder.

Das Bild lief und blieb stehen. Tonrauschen und Wirrwarr. Polizisten. Ein magerer Knilch. Worte: »Oswald« / »Waffe« / »Roter Sympath –«

Ein Bursche fuchtelte mit einem Gewehr. Die Reporter drängten sich ran. Kameraschwenk. Da – der Knilch. Er trägt Angst und blaue Flecken zur Schau.

Der Lärm war ohrenbetäubend. Der Rauch war erstickend. Waynes Beine wurden müde.

Ein Mann hob das Glas. »Oswald gehört ein –«

Wayne stellte sich wieder auf die Füße. Eine Frau drängte an ihm vorbei – nasse Wangen und zerfließende Wimperntusche.

Wayne ging zur Telefonkabine. Moore hatte die Tür einen Spalt weit geöffnet.

»Jetzt hör mal zu, Guy«, sagte er. »Ich muss für ein Milchbubi bei ’ner Schwachsinns-Überstellung Kindermädchen spielen –«

»Schwachsinn« machte das Maß voll.

Wayne versetzte Moore einen Hieb. Moore drehte sich um. Die Hosenbeine rutschten ihm hoch.

Mist – Messer im Stiefelschaft. Ein Messingschlagring in einer Socke.

»Wendell Durfee, weißt du noch?«, fragte Wayne.

Moore stand auf. Moore wirkte wie hypnotisiert. Wayne folgte seinem Blick.

Er bemerkte den Fernseher. Er bemerkte eine Bildunterschrift. Er bemerkte ein Foto: »Gefallener Officer J. D. Tippit.«

Moore starrte. Moore fing an zu zittern. Moore schlotterte am ganzen Leib.

»Wendell Durf –«, sagte Wayne.

Moore schubste ihn beiseite. Moore rannte raus.

Der Rat hatte ihm eine Riesen-Suite gebucht. Ein Page gab begleitenden Geschichtsunterricht. JFK hatte die Suite gemocht. JFK hatte darin Weiber gefickt. Ava Gardner hatte ihm auf der Terrasse einen geblasen.

Zwei Salons. Zwei Schlafzimmer. Drei Fernseher. Schwarze Kassen. Schlappe Sechse. Bring den Nigger um, Junge.

Wayne besichtigte die Suite. Die Geschichte lebt. JFK stand auf Dallas-Schnepfen.

Er stellte die Fernseher an. Er stellte sie auf drei verschiedene Kanäle ein. Er bekam die Show dreifach mit. Er schritt zwischen den Apparaten auf und ab. Er verschaffte sich einen Durchblick.

Der Tunichtgut hieß Lee Harvey Oswald. Der Tunichtgut hatte JFK und Tippit erschossen. Tippit arbeitete beim Police Department Dallas. Beim Dallas PD kannten sich alle. Wahrscheinlich hatte ihn Moore gekannt.

Oswald war ein Linker. Oswald stand auf Fidel Castro. Oswald arbeitete in einer Schulbuchfabrik. Oswald hatte den Präsidenten in der Mittagspause umgebracht.

Das DPD hatte ihn festgenommen. In der Zentrale herrschte Hochbetrieb. Polizisten. Reporter. Die einen so kamerageil wie die anderen.

Wayne fläzte sich auf ein Sofa. Wayne schloss die Augen. Wayne sah Wendell Durfee. Wayne machte die Augen auf. Wayne sah Lee Oswald.

Er stellte den Ton ab. Er holte seine Fotos aus der Brieftasche.

Mutter – damals in Peru, Indiana.

Sie hatte Wayne Senior verlassen. Ende ’47. Wayne Senior hatte sie geschlagen. Er hatte ihr manchmal Knochen gebrochen.

Sie hatte von Wayne wissen wollen, wen er lieber habe. Worauf er »Vater« geantwortet hatte. Sie hatte ihm eine geknallt. Sie hatte geweint. Sie hatte sich bei ihm entschuldigt.

Die Ohrfeige hatte das Maß voll gemacht. Er war zu Wayne Senior gezogen.

Er hatte Mutter im Mai ’54 angerufen – unterwegs zur Army. »Kämpf nicht in blöden Kriegen«, sagte sie. »Werd kein Hasser wie Wayne Senior.«

Er hatte aufgelegt. Ein für alle Mal / endgültig / für immer.

Und dann die Stiefmutter:

Wayne Senior hatte Waynes Mutter fallen lassen. Wayne Senior hatte um Janice geworben. Wayne Senior hatte Wayne in die Ehe mitgebracht. Wayne war dreizehn. Wayne war geil. Wayne fuhr voll auf Janice ab.

Janice Lukens Tedrow zog Blicke auf sich. Sie spielte müßige Ehefrau. Sie spielte Erstklassgolf. Sie spielte 1A Clubtennis.

Wayne Senior fürchtete ihren Zorn. Sie schaute Wayne beim Erwachsenwerden zu. Sie zündelte zurück. Sie ließ Türen offen stehen. Sie sorgte dafür, dass er was zu sehen bekam. Was Wayne Senior wusste. Was Wayne Senior egal war.

Und dann war da seine Frau:

Lynette Sproul Tedrow. Auf seinem Schoß. Bei der Abschlussfeier am Brigham-Young-College.

Er ist perplex. Er hat gerade sein Chemiediplom erhalten – BYU/’59 – summa cum laude. Er wollte was erleben. Er trat dem Police Department Las Vegas bei. Scheiß-summa-cumlaude.

Er hatte Lynette in Little Rock getroffen. Im Herbst ’57. Die Central High School gibt die Rassentrennung auf. Prolos. Schwarze Jugendliche. Die Eighty-Second-Airborne Reservetruppe.

Weiße Jugendliche treiben sich rum. Einige weiße Jugendliche schnappen einem jungen Schwarzen das Sandwich weg. Lynette reicht ihm ihres. Die weißen Jugendlichen gehen zum Angriff über. Korporal Wayne Tedrow Jr. setzt zum Gegenangriff an.

Er treibt die Angreifer in die Flucht. Er schlägt einen der Ärsche nieder. Der Arsch schreit »Mami!«

Lynette verknallt sich in Wayne. Sie ist siebzehn. Er ist dreiundzwanzig. Mit ein paar Jahren College vor sich.

Sie fickten auf dem Golfplatz. Während sie von Sprinklern besprengt wurden. Was er Janice alles erzählte.

»Du und Lynette«, sagte sie, »seid beide frühreif. Und dir hat der Kampf wahrscheinlich ebenso viel Spaß gemacht wie der Sex.«

Janice kannte ihn. Janice hatte den Heimvorteil.

Wayne sah zum Fenster hinaus. Fernsehcrews streiften durch die Gegend. Reportagewagen parkten doppelreihig. Er ging durch die Suite. Er stellte alle Fernseher ab. Die drei Oswalds verschwanden.

Er holte seine Akte hervor. Lauter Fotokopien: Police Department Las Vegas / County Sheriff Dallas.

Durfee, Wendell (keine Mittelinitiale). Schwarz, männlich / Geb. 6.6.27 / Clark County, Nevada. 195 cm / 70 kg.

Anklagen wegen Zuhälterei – von März ’44 an. »Als gewohnheitsmäßiger Würfelspieler bekannt.« Keine Festnahmen außerhalb von Vegas und Dallas.

– »Als Fahrer von Cadillacs bekannt.«

– »Als Träger auffällig schicker Kleidung bekannt.«

– »Als unehelicher Vater von 13 Kindern bekannt.«

– »Als Zuhälter schwarzer Frauen, weißer Frauen, männlicher Homosexueller & mexikanischer Transvestiten bekannt.«

Zweiundzwanzigmal als Lude festgenommen. Vierzehnmal verurteilt. Neun Unterhaltsklagen in petto. Fünfmaliger Kautionsverfall.

Polizeiliche Einschätzungen: Wendell ist schlau / Wendell ist doof / Wendell hat auf den Kerl bei Binion’s eingestochen.

Der Kerl hatte Mafia-Beziehungen. Der Kerl war als Erster mit dem Messer auf Wendell losgegangen. Der Rat legte die Richtlinien fest. Und ließ sie vom Police Department Las Vegas durchsetzen.

»Bezugspersonen in Dallas County.«

Marvin Duquesne Settle / schwarz, männlich / JVA Texas State.

Fenton »Duke« Price / schwarz, männlich / JVA Texas State.

Alfonzo John Jefferson / schwarz, männlich, Wilmington Road 4219 / Dallas, 8, Texas. »Glücksspielpartner von Wendell Durfee.«

Bedingt ins County entlassen: (§ 92.04 Texas State Code) 14.9.60-14.9.65. Angestellt bei: Abfüllunternehmen Dr. Pepper. Hinweis: »Proband hat während bedingter Freilassung Bußzahlungen zu leisten, d.h.: jeden 3. Freitag (Zahltag bei Dr. Pepper) ans Bewährungsamt des County Sheriff.«

Donnell George Lundy / schwarz, männlich / JVA Texas State.

Manuel »Bobo« Herrara / mexikanisch, männlich / JVA Tex –.

Das Telefon klingelte. Wayne nahm ab.

»Ja?«

»Ich bin’s, Junge. Dein neuer bester Freund.«

Wayne griff zum Revolverhalfter. »Wo bist du?«

»An keinem guten Ort. Aber ich treffe dich um zwanzig Uhr.«

»Wo?«

»Im Carousel Club. Sei pünktlich, dann schnappen wir uns den Krauskopf.«

Wayne legte auf. Wayne bekam das Flattern.

Wendell, ich will dich nicht umbringen.

Ward J. Littell

(Dallas, 22.11.63)

Die Limousine wartet. Auf der Rollbahn. Neues Modell, FBI-Schwarz.

Das Flugzeug rollte aus. An der Air-Force-One vorbei. Deren Hecktür von Marines umstellt war. Der Pilot schaltete den Motor ab. Das Flugzeug machte einen Bremsschlenker. Die Treppe klappte aus und auf.

Littell stieg aus. Die Ohren gingen auf. Die Beine entkrampften.

Sie hatten schnell gearbeitet. Sie hatten ihm einen Flugplan zusammengestellt. Sie hatten ihn in einem spartanischen Zweisitzer nach Dallas geflogen.

Mr. Hoover hatte angerufen – aus Washington D.C. nach L.A.

»Der Präsident wurde erschossen«, hatte er gesagt. »Ich will, dass Sie nach Dallas fliegen und die Untersuchung überwachen.«

Der Anschlag war um 12:30 erfolgt. Jetzt war es 16:10. Mr. Hoover hatte um 12:40 angerufen. Mr. Hoover hatte die Nachricht erhalten und umgehend angerufen.

Littell rannte los. Der Chauffeur hielt die Tür offen. Der Rücksitz roch muffig. Die Fenster waren getönt. Der Flughafen Love Field war eintönig.

Strichmännchen. Gepäckteams. Reporter und Charterflugzeuge.

Der Fahrer fuhr los. Littell bemerkte eine Schachtel auf dem Sitz. Er öffnete sie. Er kippte sie aus.

Ein Special-Agent-Abzeichen. Ein FBI-Ausweis mit Foto. Eine FBI-Standard-.38er samt Halfter.

Sein altes Foto. Seine alte Waffe.

Er hatte sie ’60 zurückgegeben. Mr. Hoover hatte ihn zum Rücktritt gezwungen. Nun standen ihm Tarnutensilien zur Verfügung – neue und alte – und er war zum Schein wieder eingestellt.

Mr. Hoover hatte besagte Utensilien bereit liegen. In Dallas. Mr. Hoover hatte den Anschlag vorhergesehen.

Er hatte den Ort gekannt. Er hatte den zeitlichen Ablauf geahnt. Er hatte den Anschlag stillschweigend gebilligt. Er ahnte, dass Littell daran beteiligt war. Er ahnte, dass Littell daran lag, Gerede im Keim zu ersticken.

Littell blickte aus dem Fenster. Die getönten Scheiben verzerrten grotesk. Wolken implodierten. Gebäude schwankten. Menschen verwischten.

Er hatte sich ein Radio gekauft. Er hatte es beim Anflug angedreht. Er hatte die grundlegenden Fakten mitbekommen:

Ein Tatverdächtiger gefasst – ein junger Kerl – ein eingefleischter Linker. Den Guy Banister gelinkt hatte. Der Junge hatte einen Polizisten umgebracht. Zwei Polizisten hatten Auftrag gehabt, ihn umzubringen. Teil zwei war schief gegangen. Der zweite Polizist hatte seinen Auftrag vermasselt.

Littell schnallte das Halfter um. Littell studierte seinen Ausweis.

Damals Polizist und Rechtsanwalt. Heute Mafia-Anwalt. Vom Hoover-Feind zum Hoover-Freund. Inhaber einer Ein-Mann-Rechtsanwalts-Praxis mit drei Kunden:

Howard Hughes / Jimmy Hoffa / Carlos Marcello.

Er hatte bei Carlos angerufen. In Los Angeles war es jetzt zehn Uhr vormittags. Carlos war glücklich. Carlos hatte Bobby K.s Auslieferungsverfügung unterlaufen.

Bobby hatte Carlos in New Orleans vor Gericht gestellt. Carlos besaß New Orleans. In New Orleans war Carlos sicher vor Geschworenen.

Die Hybris der Kennedys:

Die Geschworenen sprechen Carlos frei. Bobby schmollt. Eine Stunde später ist Jack tot.

Die Straßen wirkten ausgestorben. Fenster huschten vorbei. Zehntausend TV-Schirme leuchteten.

Das war seine Show.

Er hatte den Plan entwickelt. Mit Hilfe von Pete Bondurant. Carlos hatte ihn abgesegnet und ihn Guy Banisters Team übertragen. Guy hatte seinen Plan überarbeitet. Guy hatte seinen Plan verändert. Guy hatte seinen Plan vermasselt.

Pete war in Dallas. Pete war frisch verheiratet. Pete wohnte im Hotel Adolphus. Guy B. wohnte dort. Guy B. war ganz in der Nähe.

Littell zählte Fenster. Alle durch die Tönung verzerrt. Flecken und Schmieren. Er geriet ins Sinnen.

Mit Pete reden. Oswald umbringen. Sicherstellen, dass man nur an einen Schützen glaubt.

Die Limousine erreichte die Innenstadt von Dallas. Littell steckte sein Abzeichen an.

Dealey-Plaza. Das Gebäude des Police Departments liegt in der Nähe. Ausschau halten nach:

Dem Book-Building / einer Hertz-Reklame / Griechischen Säulen.

Da –

Die Säulen. Das Reklameschild. Trauernde Menschen an der Houston, Ecke Elm. Ein Hot-Dog-Verkäufer. Schluchzende Nonnen.

Littell schloss die Augen. Der Fahrer bog rechts ab. Der Fahrer fuhr eine Rampe runter. Der Fahrer stoppte scharf und unvermittelt. Die hinteren Fenster glitten nach unten.

Jemand hustete. Jemand sagte: »Mr. Littell?«

Littell machte die Augen auf. Er sah eine Kellergarage. Ein Jung-FBIler stand vor ihm. Völlig verspannt.

»Sir, ich bin Special Agent Burdick, und … tja, der Diensthabende meint, Sie sollen gleich raufkommen und sich die Zeugen ansehen.«

Littell nahm die Aktentasche. Der Revolver scheuerte an der Hüfte. Er stieg aus. Er streckte sich. Er putzte sich die Brille.

Burdick blieb ihm auf den Fersen. Burdick bedrängte ihn. Sie gingen zu einem Lastenaufzug. Burdick drückte die 3.

»Ich muss sagen, das ist das reinste Irrenhaus hier, Sir. Einige sprechen von zwei Schützen, andere von drei, von vier, sie können sich nicht mal einigen, woher die Schüsse –«

»Haben Sie die Zeugen isoliert?«

»Tja … nein.«

»Wer befragt sie?«

Der Bursche stotterte. Der Bursche schluckte leer.

»Welche Behörden, Junge?«

»Nun, da sind mal wir, das Police Department Dallas, die Leute vom Sheriff, und ich –«

Die Tür ging auf. Lauter Lärm brauste auf. Die Wachstube war gerammelt voll.

Littell blickte sich um. Burdick wurde unruhig. Littell ignorierte ihn.

Die Zeugen waren unruhig. Die Zeugen trugen Namensschilder. Die Zeugen hockten auf einer einzigen Bank.

Gut dreißig Leute: schwatzend. Zappelnd. Fakten durcheinander bringend.

Kojen an der Rückwand. Polizisten und Zivilisten – Verhöre abarbeitend. Genervte Polizisten und geschockte Bürger.

Vierzig Schreibtische. Vierzig Telefone. Vierzig laute Polizisten. Eigenartige Abzeichen auf Anzugjacken. Umgestürzte Papierkörbe. Behördendurcheinander und –

»Sir, können wir –«

Littell ging rüber. Littell überprüfte die Bank. Die Zeugen rutschten hin und her. Die Zeugen rauchten. Volle Aschenbecher kippelten.

Ich sah dies / ich das / sein Kopf hat Wumms gemacht! Ein Plauderfest – schlechte Arbeit – Massenzeugen-Befragungsdurcheinander.

Littell hielt nach Ausnahmen Ausschau. Nach was Solidem / nach glaubwürdig wirkenden Zeugen.

Er nahm Abstand. Er musterte die ganze Bank. Er bemerkte eine Frau: dunkle Haare / gut aussehend. Gut fünfunddreißig.

Sie saß still. Sie blieb ruhig. Sie schaute auf eine Ausgangstür. Sie sah Littell. Sie blickte weg. Sie zuckte mit keiner Wimper.

Burdick brachte ihm ein Telefon. Burdick mimte tonlos: »Er«.

Littell griff zum Hörer. Die Schnur straffte sich.

»Fassen Sie sich kurz«, sagte Mr. Hoover.

Littell hielt sich das freie Ohr zu. Der Geräuschpegel dämpfte sich um die Hälfte.

»Die Anfangsphase der Untersuchung verlief chaotisch. Mehr steht für mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht fest.«

»Ich bin weder überrascht noch enttäuscht und absolut sicher, dass Oswald die Tat allein durchgeführt hat. Sie sorgen dafür, dass Namen potentiell peinlicher Zeugen verschwinden, die diese These in Frage stellen.«

»Ja, Sir«, sagte Littell.

Burdick hielt ein Klemmbrett hoch. An das Notizzettel geheftet waren. Zeugenlisten / Zeugenaussagen / angeheftete Fahrausweise.

Die Verbindung wurde beendet. Burdick nahm ihm das Telefon aus der Hand. Littell nahm ihm das Klemmbrett ab. Es war dick angeschwollen. Die Klemme wackelte.

Er ging die Zettel durch.

Zweizeiler. Konfiszierte Fahrausweise. Damit die Zeugen nicht davonliefen. Unbestimmte Mitteilungen. 3 / 4 / 5 / 6 Schüsse / 1 / 2 / 3 Richtungen.

Der Staketenzaun. Das Book-Building. Die Dreifachunterführung. Schüsse von vorn. Fehlschüsse. Schüsse von hinten.

Littell überprüfte die Fahrausweisbilder.

Zeuge Nr. 6: Schüsse an der Houston, Ecke Elm. Zeuge Nr. 9: Schüsse vom Freeway. Die ruhige Frau: 2 Schüsse / 2 Richtungen. Ihre Personalangaben: Arden Smith / West Mockingbird Lane.

Der Rauch war schlimm. Littell trat zurück. Der Rauch ließ ihn niesen. Er stolperte in einen Schreibtisch. Er ließ die Liste fallen. Er ging zu den Zeugenkojen.

Burdick folgte ihm. Der Geräuschpegel stieg ums Doppelte. Littell überprüfte die Zeugenkojen.

Miese Arbeit – keine Tonbandgeräte / keine Stenographen.

Er überprüfte Zeugenkoje Nr. 1. Ein dünner Polizist vor einem dünnen Jungen. Der Junge lachte. Eine Mordsgaudi. Daddy hat für Nixon gestimmt.

Littell überprüfte Koje Nr. 2. Ein dicker Polizist vor einem dicken Mann.

»Mr. Bowers«, sagte der Polizist, »ich stelle nicht in Abrede, was Sie mir sagen.«

Mr. Bowers trug eine Eisenbahnerkappe. Mr. Bowers rutschte hin und her.

»Zum zehnten Mal, damit ich endlich heimkomme. Ich war oben im Turm hinter dem Zaun auf dem Rasen. Ich habe gesehen, wie dort etwa … Scheiße … eine halbe Stunde vor den Schüssen zwei Wagen rumgefahren sind und wie zwei Männer genau am Rand des Zauns gestanden haben, und gerade, als ich die Schüsse hörte, habe ich exakt an der Stelle einen Lichtblitz gesehen.«

Der Polizist kritzelte. Bowers streifte seine Zigarette ab. Littell studierte ihn. Littell wurde flau im Magen.

Er kannte die geplante Schussfolge nicht. Er kannte glaubwürdige Zeugen. Bowers blieb eisern bei seiner Geschichte. Bowers war gut.

Burdick tippte Littell an. Littell drehte sich blitzartig um. Littell stieß ihn von sich.

»Was ist denn?«

Burdick trat zurück. »Nun, ich habe gerade gehört, dass das Police Department Dallas die drei Burschen, Landstreicher oder so, in einem Bahnwagen hinter dem Zaun festgenommen hat, und zwar etwa eine halbe Stunde nach den Schüssen. Wir haben sie in der Sammelzelle.«

Littell wurde noch flauer zumute.

»Ich will sie sehen«, sagte Littell.

Burdick ging voran. Sie gingen an den Zeugenkojen vorbei. Sie gingen an einem Pausenraum vorbei. Flure kreuzten sich. Sie bogen nach links ab. Sie kamen an einen Maschendraht-Gitterkäfig.

Eine Gegensprechanlage dröhnte: »Agent Burdick. Bitte zum Eingang.«

»Die meinen mich«, sagte Burdick.

Littell nickte. Burdick machte kehrt. Burdick duckte sich in Startposition und verschwand. Littell fasste in den Maschendraht. Das Licht war schlecht. Er kniff die Augen zusammen.

Er sah zwei Vagabunden. Er sah Chuck Rogers.

Chuck war Petes Mann. Fürs Grobe / und für CIA-Kontakte. Chuck arbeitete eng mit Guy B. zusammen.

Rogers sah Littell. Die Vagabunden ignorierten ihn. Rogers lächelte. Littell berührte sein Abzeichen. Rogers mimte pantomimisch einen Gewehrschuss.

Er bewegte die Lippen. Er sagte stumm: »Wumm!«

Littell zog sich zurück.

Littell ging in den Flur zurück. Er hielt sich rechts. Er kreuzte einen Flur. Er bog ein. Er erblickte eine Seitentür.

Er drückte sie auf. Er sah eine Feuerleiter und Leitersprossen. Auf der anderen Seite des Flurs: ein Klo und eine Tür mit der Aufschrift »Gefängniswärter«.

Die Klotür ging auf. Mr. Bowers trat heraus. Er streckte sich. Er zog sich den Hosenschlitz zu. Er rückte sich das Gemächte zurecht.

Er sah Littell. Er kniff die Augen zusammen. Er musterte das Abzeichen.

»FBI, richtig?«

»Richtig.«

»Na, da bin ich aber froh, dass ich Sie antreffe, weil’s noch was gibt, was ich beim anderen vergessen habe.«

Littell lächelte. »Ich werd’s ausrichten.«

Bowers kratzte sich am Hals. »OK, schön. Sagen Sie ihm, ich hätte gesehen, wie die Bullen die Tippelbrüder aus dem Heuwagen geholt haben, und einer von denen sah genauso aus wie einer der Burschen, die ich am Zaun gesehen habe.«

Littell zog sein Notizbuch raus.

Er kritzelte. Er verschmierte ein bisschen Tinte. Ihm zitterte die Hand. Das Notizbuch zitterte.

»Also Jackie tut mir echt Leid«, sagte Bowers.

Littell lächelte. Bowers lächelte. Bowers fasste sich an die Mütze. Er spielte mit ein paar Münzen. Er zögerte. Er ging laaaaangsam weg.

Littell schaute auf seinen Rücken.

Bowers schlenderte weiter. Bowers wandte sich nach rechts. Bowers betrat den Hauptflur. Littell streckte die Hände. Littell atmete auf.

Er machte sich an der »Gefängniswärter-Tür« zu schaffen. Er fummelte am Türknauf. Er zwängte ihn auf.

Die Tür öffnete sich. Littell trat ein.

Dreieinhalb mal dreieinhalb Meter – und kein Mensch. Ein Schreibtisch / ein Stuhl / eine Schlüsselwand.

An eine Korkpinnwand geheftete Zettel:

Obdachlosenakten – »Doyle« / »Paolino« / »Abrahams« – keine Fahndungsfotos angeheftet.

Das hieß: Rogers hatte einen falschen Ausweis dabei. Rogers war mit den anderen festgenommen worden.

Ein Schlüssel hing am Gestell – Zellengröße / dickes Messing.

Littell nahm die Akten. Littell steckte sie ein. Littell nahm den Schlüssel. Er schluckte leer. Er schritt dreist in den Flur. Er ging zum Zellenkäfig.

Er schloss die Tür auf. Rogers übernahm bei den Tippelbrüdern das Kommando. Er bereitete sie vor. Er machte pssssst. Er gab klare Anweisungen.

Wir kriegen Hilfe – tut einfach, was ich sage.

Die Tippelbrüder hockten zusammen. Die Tippelbrüder kamen raus. Die Tippelbrüder schlichen an der Wand entlang.

Littell ging davon.

Er kam in den Hauptflur. Er stellte sich vor die Wachstube. Er verstellte die Sicht. Er gab Rogers ein Zeichen. Er wies mit dem Finger. Zur Feuertür – los.

Er hörte Schritte. Die Tippelbrüder quiekten. Die Tippelbrüder kicherten laut. Die Feuertür ächzte. Ein Tippelbruder schrie: »Halleluja!« Die Feuertür fiel ins Schloss.

Littell spürte einen Luftzug. Der Schweiß gefror ihm am Leibe. Sein Puls raste.

Er ging in die Wachstube zurück. Ihm zitterten die Knie. Er schrammte an Schreibtischen vorbei. Er lief in Wände. Er stieß mit Polizisten zusammen.

Die Zeugenbank war eingenebelt. Zwanzig Zigaretten dampften. Arden Smith war weg.

Littell blickte sich um. Littell suchte die Schreibtische ab. Littell sah die Zeugenliste.

Er nahm sie. Er überprüfte Aussagen und Fahrausweise. Arden Smiths Packen – weg.

Er überprüfte die Kojen. Er überprüfte den Flur. Er überprüfte das Mittelfenster.

Da – Arden Smith. Sie ist auf der Straße. Sie geht schnell. Sie läuft davon.

Sie überquerte Houston. Fahrer wichen ihr knapp aus. Sie erreichte Dealey Plaza.

Littell kniff die Augen zusammen.

Er verlor sie aus dem Blick. Jacks Trauergäste verstellten ihm die Sicht.

Pete Bondurant

(Dallas, 22.11.63)

Die Hochzeitssuite. Die Super-Bumsabsteige.

Vergoldete Tapeten. Amoretten. Rosa Teppiche und rosa Stühle. Ein Bettvorleger aus Möchtegern-Fell – Babyhintern-Rosa.

Pete schaute zu, wie Barb schlief.

Ihre Beine glitten durchs Bett. Sie trat wild um sich. Sie zerwühlte die Betttücher.

Barbara Jane Lindscott Jahelka Bondurant.

Er hatte sie früh nach Hause gebracht. Er hatte die Suite dicht gemacht. Er hatte die Nachrichten ausgesperrt. Sie wird aufwachen. Sie wird die Nachrichten mitkriegen. Sie wird Bescheid wissen.

Ich habe Jack ’62 gefickt. Glanzlos und kurzzeitig. Du hast Abhörwanzen in ein paar Zimmern versteckt. Du hast seine Stimme mitgekriegt. Du hast mitgeschnitten. Der Nötigungsversuch ging schief. Deine Freunde haben umdisponiert. Stattdessen habt ihr Jack getötet.

Pete verschob seinen Stuhl. Pete bekam einen neuen Blickwinkel. Barb wälzte sich zur Seite. Ihr Haar flog hoch.

Sie hatte Jack nicht geliebt. Sie hatte Jack bedient. Sie hatte bei einer Nötigung mitgemacht. Nicht bei einem Mord.

18:10.

Jack müsste tot sein. Guys Junge dito. Chuck Rogers hatte ein Flugzeug bereit stehen. Das Team müsste aus dem Land sein.

Barb zuckte. Pete kämpfte gegen Kopfweh an. Pete warf sich Aspirin und Scotch rein.

Er bekam üble Kopfwehanfälle – chronische – seit dem Nötigungsversuch an Jack. Die Nötigung war schief gegangen. Er hatte der Mafia Heroin geklaut. Mit Hilfe eines CIA-Mannes.

Kemper Cathcart Boyd.

Sie waren très befreundet gewesen. Sie hatten sich mit Gangstern rumgetrieben. Sie hatten sich mit Sam zusammengetan. Sie hatten für Carlos M. gearbeitet. Sie hatten für Santo Trafficante gearbeitet. Alle hassten sie die Roten Socken. Alle liebten sie Kuba. Alle hassten sie den Bart.

Geld und Einfluss – unterschiedliche Ziele. Schnappen wir uns den Bart. Schnappen wir uns unsere Kasinos wieder.

Santo und Sam sicherten sich ab. Sie krochen Castro in den Arsch. Sie kauften seinem Bruder Raúl H ab. Carlos hielt sich raus. Carlos verriet La Causa nicht.

Pete und Boyd hatten den Stoff gestohlen. Sam und Santo kamen dahinter. Wie Pete erfuhr. Sie hatten Geschäftsbeziehungen zu Castro.

Carlos hielt sich raus. Geschäft war Geschäft. Firmenregeln gingen vor politischen Zielen.

Alle hassten sie Bobby. Alle hassten sie Jack. Jack hatte sie in der Schweinebucht verraten. Jack hatte Exil-Kubaner-Lager gestürmt. Jack war dem Bart um den Bart gestrichen.

Bobby hatte Carlos aus den Staaten ausweisen lassen. Bobby war très intensiv gegen die Firma vorgegangen. Carlos hasste Jack und Bobby – molto bravissimo.

Ward Littell hasste sie. Ward hatte Carlos zurückgeschmuggelt. Ward hatte ihm das Faktotum gemacht. Ward hatte seinen Ausweisungsfall übernommen.

Ward hatte vorgeschlagen, Jack umzulegen. Was Carlos guthieß. Er hatte Santo und Sam darauf angesprochen.

Sie pflichteten bei.

Santo und Sam hatten Pläne. Sie wollten Pete und Boyd umlegen. Wir wollen unseren Stoff zurück. Wir wollen Rache.

Ward sprach mit Carlos und Sam. Ward setzte sich für Pete ein. Santo und Sam zogen das Todesurteil zurück.

Unter einer Bedingung:

Wir lassen euch am Leben. Ihr schuldet uns was. Und jetzt legt ihr Jack K. um.

Guy Banister arbeitete einen Anschlagplan aus. Der dem von Littell glich. Es gab jede Menge Anschlagpläne. Jack verärgerte mucho Hitzköpfe. Der Schwanzlutscher war erledigt.

Guy hatte Beziehungen. Guy kannte Carlos. Guy kannte Exilkubaner. Guy kannte Großkopfete mit Geld. Guy war ein 1A Strippenzieher. Guy kam Wards Plan zuvor.

Er seifte Carlos ein. Carlos gab sein OK. Carlos kippte Wards Plan. Durcheinander. Personalwechsel. Ein paar Burschen von Pete und Ward schlossen sich Guys Mannschaft an.

Pleiten und Pannen – in letzter Minute – die von Pete und Boyd ausgebügelt wurden.

Santo und Sam hassten Boyd. Sie erneuerten das Todesurteil. Kemper Boyd – mort sans doute.

Barb bewegte sich. Pete hielt den Atem an. Das Aspirin wirkte. Das Kopfweh verschwand.

Santo und Sam ließen ihn am Leben. Carlos mochte ihn. Carlos fuhr auf La Causa ab. Die Jungs hatten Pläne. An denen er sich vielleicht beteiligen konnte.

Er hatte für Howard Hughes gearbeitet – von ’52 bis ’60. Er hatte ihm den Zuhälter gemacht. Er hatte ihm Stoff besorgt. Er hatte ihm als Schläger gedient.

Ward Littell war der Anwalt von Hughes. Hughes wollte Las Vegas aufkaufen. Hughes gierte nach dem Vegas-Strip. Hughes gierte nach sämtlichen Hotelkasinos.

Hughes hatte einen Kaufplan. Dessen Umsetzung Jahre dauern würde. Auch die Jungs hatten einen Plan:

Verkaufen wir Las Vegas. Ziehen wir Howard Hughes über den Tisch. Wir behalten unsere Mitarbeiter. Wir lassen Hughes Weißbluten. Las Vegas gehört uns trotzdem.

Ward gehörte Carlos. Wards Auftrag: Den Deal zustande bringen, und zwar in unserem Sinne.

Pete gehörte den Jungs. Sie gaben ihm zu verstehen:

Geh nach Vegas. Setz dich mit Ward zusammen. Bereite den Hughes-Deal vor. Du verstehst was vom Schlägergeschäft. Du kennst dich mit Heroin aus. Vielleicht überdenken wir unsere Keine-Drogen-Bestimmung. Vielleicht lassen wir dich an Schwarze dealen.

Vielleicht bringen wir dich nicht um. Vielleicht bringen wir deine Twist-Queen nicht um.

Barb hatte ihre Abendkleider liegen lassen. Mit blauen und grünen Glitzersteinen. Sie hatte zwei Abend-Shows vor sich. Seine Frau, deren Auftritte vom Trio ihres Ex begleitet wurden.

Ein trauriges Zimmer. Eine traurige Barb. Ein schöner Gruß an Jack.

Dem Anschlag waren Gerüchte vorangegangen. Die Leute in der Firma schwatzten. Die Leute in der Firma wussten Bescheid. Hesh Ryskind hatte sich im Adolphus eingemietet. Hesh hatte Krebs. Hesh wollte sich an Schadenfreude weiden und sterben.

Hesh schaute sich die Parade an. Hesh starb um 13:00. Hesh ging zeitgleich mit Jack drauf.

Pete berührte das Bett. Rosa Betttücher und rotes Haar – die Farben taten einander weh.

Es klingelte – in der B-Moll-Fassung von Eyes of Texas. Barb schlief weiter. Pete ging zur Tür. Die er einen Spaltbreit öffnete.

Scheiße – Guy Banister.

Guy war verschwitzt. Guy war Anfang sechzig. Guy hatte Herzinfarkte.

Pete trat vor die Tür. Pete zog sie zu. Guy fuchtelte mit einem hohen Highball-Glas.

»Komm. Mein Zimmer ist am Ende des Flurs.«

Pete folgte ihm. Die Teppiche schlugen Funken. Guy schloss seine Tür auf und verriegelte sie hinter ihnen.

Guy griff nach einer Flasche – Old Crow Bond – die Pete ihm rasch wegnahm.

»Sag, dass beide tot sind und dass es zu keiner Panne kam.«

Guy schwenkte sein Glas. »König John der Erste ist tot, aber mein Junge hat einen Polizisten getötet und wurde festgenommen.«

Der Boden wankte. Pete stellte sich aufrecht hin.

»Der Polizist, der ihn hätte umbringen sollen?«

Guy gierte nach der Flasche. Pete stellte sie weg.

»Richtig, Tippit«, sagte Guy. »Mein Junge hat die Waffe gezogen und ihn in Oak Cliff umgelegt.«

»Weiß dein Junge, wie du heißt?«

Guy zog den Korken aus der Flasche. »Nein, ich habe nur über einen Mittelsmann mit ihm zu tun gehabt.«

Pete versetzte der Wand einen Hieb. Gipsstückchen bröckelten ab. Guy verschüttete ein bisschen Schnaps.

»Aber dein Junge weiß, wie der Mittelsmann heißt. Der Mittelsmann weiß, wie du heißt, und früher oder später nennt dein Junge Namen. Ist das scheiß-halbwegs richtig?«

Guy schenkte sich einen Drink ein. Ihm zitterte die Hand. Pete hockte sich rittlings auf einen Stuhl. Sein Kopfweh meldete sich wieder. Er zündete sich eine Zigarette an. Ihm zitterte die Hand.

»Wir müssen ihn umbringen.«

Guy tupfte die Pfütze auf. »Tippit hatte einen Helfer, wollte aber alleine vorgehen. Die Aufgabe hätte zwei Mann erfordert, und das müssen wir jetzt ausbaden.«

Pete quetschte die Rücklehne zusammen. Die Streben wackelten. Eine Strebe löste sich.

»Sag mir nicht, was wir hätten tun sollen. Sag mir, wie wir an deinen Jungen rankommen.«

Guy setzte sich aufs Bett. Guy streckte sich wohlig aus.

»Ich hab den Auftrag an Tippits Helfer weitergegeben.«

»Und?« fragte Pete.

»Und er hat Zugang zum Gefängnis, und ist fies genug für den Job, und hat bei den Kasinos Schulden, was heißt, dass er der Firma verpflichtet ist.«

»Da ist noch was«, sagte Pete. »Du versuchst, mich einzuseifen.«

»Also …«

»Also, Scheiße, was?«

»Also er ist ein zäher Kerl und will nicht, und steckt gerade in irgendeiner Außendienstmitarbeit mit einem Bullen aus Vegas fest.«

Pete ließ die Knöchel knacken. »Wir bringen es ihm bei.«

»Ich denke nicht. Er ist ein zäher Kerl.«

Pete schnippte die Zigarette weg. Die Guy exakt traf. Guy schrie auf. Guy drückte sie aus. Er verbrannte sein Kopfkissen.

Pete hustete. »Dich legt Carlos als Ersten um, wenn dein Junge singt.«

Ein Fernseher wurde angestellt – ein Stockwerk tiefer. Die Wände übermittelten Klänge: »Die Nation trauert« / »tapfere First Lady«.

»Ich habe Angst«, sagte Guy.

»Dein erstes gescheites Wort heute Abend.«

»Immerhin, wir haben ihn erwischt. Wir haben es der Welt gezeigt.«

Der alte Arsch strahlte. Schweißperlen und ein mieses Grinsen.

»Erzähl mir den Rest.«

»Wie wär’s mit einem Toast auf unseren gefallenen –«

»Was ist mit Rogers und dem Scharfschützen?«

Guy hustete. »OK, zuerst die Arbeit. Mr. Hoover hat Littell einfliegen lassen, sobald er vom Anschlag hörte, und ich habe ihn im Police Department Dallas gesehen. Polizisten haben Rogers bei einer Großfahndung verhaftet, aber Littell hat ihn rausgelassen und die Akten an sich genommen. Er hatte falsche Papiere dabei, daher glaube ich nicht, dass es in der Hinsicht noch Probleme geben wird.«

Pannen / Abhilfen –

»Und der Scharfschütze. Ist der weg?«

»Da ist alles klar. Er hat’s zur McAllen geschafft und die Grenze zu Fuß überquert. Er hat mir eine Nachricht in meiner Wohnung in New Orleans hinterlassen, und ich habe ihn angerufen und habe gehört, dass alles glatt ging.«

»Was ist mit Rog –«

»In einem Motel in Forth Worth. Littell sagt, die Zeugen seien verwirrt und würden unterschiedliche Geschichten erzählen, und Mr. Hoover sei versessen auf den Nachweis, dass es ausschließlich mein Junge war. Littell sagt, dass wir uns nur wegen dem einen Burschen Sorgen machen müssen.«

»Weiter«, sagte Pete. »Mach’s mir nicht so schwer.«

»Also gut. Littell sagt, ein Eisenbahner habe Rogers halbwegs identifiziert, daher plädiere ich nachdrücklich dafür, ihn umzulegen.«

Pete schüttelte den Kopf. »Zu dicht am Anschlag. Der soll wieder zur Arbeit, als ob nichts gewesen wäre.«

»Dann schüchterst du ihn ein.«

»Nein. Das soll der Helfer machen. Er soll eine Polizistenshow abziehen.«

Der Fernseher dröhnte – »Eine Nation trauert« / »einziger Killer«.

Guy verschränkte die Arme. »Da ist noch was.«

»Ich höre.«

»Also gut. Ich hab mit dem Scharfschützen gesprochen. Er meint, dass Jack Ruby eventuell ahnt, was gespielt wird.«

Ruby: Mafia-Kassierer / Zuhälter / Littells alter Spitzel / Strip-Club-Besi –

»Ich hatte das Team in einem Unterschlupf in Oklahoma untergebracht. Rogers rief bei Ruby an und bestellte ein bisschen Unterhaltung. Der Scharfschütze sagte, er sei mit zwei Mädchen und einem Helfer erschienen und habe die Gewehre an der Hinterwand gesehen und – warte – reg dich nicht auf ich habe dem Helfer gesagt, er solle sich Ruby vorknöpfen und rausfinden, was er weiß.«

Das Zimmer wankte. Erdbebenstärke. Pete hielt stand.

»Wir werden sie vielleicht umlegen müssen«, sagte Guy.

»Nein«, sagte Pete.

Guy bekam wieder Farbe ins Gesicht. Herzinfarkt Nr. 3 im Anmarsch.

»Nein? Der Große sagt nein? Der Große sagt nein, als ob er nicht wüsste, was die Jungs einander erzählen, nämlich dass ihm die Freude am Leben in der Firma vergangen ist?«

Pete stand auf. Pete ließ seine Daumen knacken. Pete streckte die Hände. Pete packte den Stuhl. Pete zog daran. Pete riss den Stuhl in Stücke.

Guy machte in die Hosen. Guy war scheiß-sternhagelvoll. Der Fleck vergrößerte sich. Aus seinem Hosenschlitz quoll Flüssigkeit. Er benässte das Laken.

Pete ging raus. Der Flur wankte. Die Wände hielten ihn aufrecht. Er ging zurück zu seiner Suite. Er blieb drei Meter davor stehen. Er hörte den Fernseher.

Er hörte Barb schluchzen. Er hörte, wie Barb Stühle gegen die Wand schmiss.

(Dallas, 22.11.63)

Hundescheiße auf dem Laufsteg. Eine Stripperin, die dem Haufen auswich. Willkommen im Carousel Club.

Polizisten klatschten Beifall. Polizisten juchzten. Polizisten gaben den Ton an. Geschlossene Gesellschaft. Der Besitzer liebte Jackie. Der Besitzer liebte JFK.

Wir wollen um ihn trauern. Geteilte Tsores sind halbe Tsores. Wir wollen ihm unseren Respekt erweisen.

Polizeimarke genügt. Der Besitzer mochte Polizisten. Ihr Gastgeber – Jack Ruby.

Wayne war einfach reinspaziert. Wayne hatte Maynard Moore erwähnt. Ruby hatte ihm einen Platz zugewiesen. Dallas-Polizisten fielen groß aus. Wegen der hohen Stiefelabsätze. Wayne war 1,87. An die Burschen vom DPD reichte er nicht heran.

Am Laufsteg eine Musikerempore. Ein Sax und ein Schlagzeug. Zwei Stripperinnen strippten. Die Blonde sah aus wie Lynette. Die Brünette wie Janice.

Moore hatte sich verspätet. Der Club war laut. Die Combo spielte Night Train. Wayne trank ein 7-Up. Die Musik schaffte ihn. Er geriet beim Schlagzeugschnarren ins Sinnen.

Der ältere Kollege – ärger als Wendell Durfee. Der ältere Kollege – der eine Waffe als Belastungsindiz einschmuggelt.

Eine Stripperin wackelte vorbei. Mit einem Mini-Dreieck am Leibe. Man konnte den Stoppelansatz sehen. Ein Polizist zerriss ihr die Bikinischnur. Sie wackelte ihm mit der Hüfte zu.

Ruby bearbeitete den Saal.

Er leerte Aschenbecher. Er schmiss Reste weg. Er lockte seinen Hund vom Laufsteg. Er schenkte ein. Er zündete Zigaretten an. Er schimpfte.

Ein Arsch hatte seinen Präsidenten umgebracht. Ein Beatnik-Arsch. Seine Buchhalterin hatte ihn sitzen lassen. War einfach durchgebrannt. Für seine Freunde hatte sie sich nie entbrennen können.

Er hatte Steuerschulden. Arden hatte gesagt, sie wolle ihm helfen. Arden war ein Miststück. Arden log und klaute. Arden hatte eine falsche Adresse. Ein Beatnik hatte seinen Helden erschossen.

Maynard Moore kam rein.

Er juchzte. Er stieß den Südstaaten-Schlachtruf aus. Er ließ seinen Hut durchs Lokal segeln. Eine Stripperin fing ihn auf.

Moore ging auf Ruby zu. Ruby fluchte leise. Der Hund sprang hinzu. Moore packte den Köter. Moore küsste ihn. Moore kniff ihm in den Schwanz.

Ruby grunzte. Boychik – du bringst mich um.

Moore ließ den Hund fallen. Moore packte Ruby am Kragen. Er schubste ihn rum. Er zupfte an Rubys Halsketten-Mesusa. Er schlug ihm den Hut vom Kopf.

Wayne schaute den beiden zu. Moore ging ernsthaft gegen Ruby los.

Er riss ihn an der Krawatte. Er ließ seine Hosenträger schnappen. Er bohrte ihm Finger in den Brustkorb. Ruby wand sich. Ruby stolperte in einen Präser-Automaten.

Moore machte ihn fertig. Ruby zog ein Taschentuch raus. Ruby tupfte sich die Stirn ab.

Wayne trat dazu. Wayne hörte Moore aus nächster Nähe mit.

»Pete ist in der Stadt. Den Leuten wird kaum passen, was du wissen könntest, da wirst du so manchem einen Gefallen schuldig sein.«

Wayne hustete. Moore wandte sich um. Ruby umklammerte seine Halsketten-Mesusa.

Moore lächelte. »Wayne, das ist Jack. Jack ist ein Yankee, aber wir haben ihn trotzdem gern.«

Moore hatte was Dringendes in Plano zu erledigen. Wayne sagte OK. Scheißen wir drauf. Lassen wir’s fürs Erste – verschieben wir Wendell D.

Kaum Verkehr auf der Straße. Eine sanfte Brise. Moore fuhr seinen Privatschlitten. Einen Chevy 409 – Lake-Auspuff und Slick-Reifen –, der den Stemmons Freeway runter raaaaste.

Wayne klammerte sich am Haltegriff fest. Moore schluckte Everclear-Schnaps. Der Alkoholdunst stach in Augen und Nase.

Das Radio heulte. Ein Prediger legte los:

John F-für-f-errückt Kennedy war dem Roten Papst hörig. Er hat seine Seele an die Verjudeten Nationen verpfändet. Gott segne Lee H-wie-Held Oswald.

Wayne drehte die Lautstärke runter. Moore lachte.

»Die Wahrheit kannst du nicht ertragen, da fällt der Apfel weit vom Stamm.«

Wayne ließ ihn auflaufen. »Sind beim DPD alle wie du, oder haben sie in deinem Fall auf den Intelligenztest verzichtet?«

Moore zwinkerte ihm zu. »Das DPD fährt auf der rechten Straßenseite. Wir haben ein paar Klanbrüder und ein paar John Bircher. Wie heißt es so schön in den Traktaten, die dein Daddy vertreibt: ›Bist du rot oder rot-weiß-blau?‹«

Wayne spürte den Regen. »Die Traktate bringen ihm was ein. Und den siehst du nie in einem Leintuch die Hauptstraße von Schweinebacke, Texas, runtermarschieren.«

»Allerdings nicht, zu seiner ewigen Schande.«

Der Regen kam. Der Regen ging. Wayne geriet ins Sinnen. Der Alkoholdunst stach ihn in die Nase. Der Wagen dröhnte. Er bedachte die jüngsten Vorgänge.

Vegas West: Vorsätzliche Körperverletzung / acht Klagen anhängig. Ein Weißer schlägt farbige Nutten zusammen.

Er pflegte sie aufzulesen. Er pflegte sie nach Hause zu bringen. Er pflegte sie zusammenzuschlagen und Schnappschüsse zu machen – was im Police Department Las Vegas alle kalt ließ.

Ihn nicht. Was er Wayne Senior sagte. Was Wayne Senior nicht ernst nahm.

Moore bog vom Freeway ab. Moore kreuzte durch Seitenstraßen. Er schaltete das Suchlicht an. Er leuchtete Straßennamen ab. Er fand eine Reihe von Parzellen.

Er fuhr dem Straßenrand entlang. Er las Briefkasten-Namen. Er fand den Briefkasten. Er fuhr ganz nach rechts und blieb stehen.

Wayne kniff die Augen zusammen. Wayne sah den Namen: »Bowers.«

Wayne streckte sich. Moore streckte sich. Moore nahm eine Sandwichtüte.

»Dauert keine zwei Minuten.«

Wayne gähnte. Moore stieg aus. Wayne stieg aus und lehnte sich an den Wagen.

Das Haus wirkte ärmlich. Der Rasen war braun. Die Fassadenfarbe blätterte ab und der Gips bröckelte weg.

Moore ging zum Eingang. Moore klingelte. Ein Mann machte auf. Moore zeigte die Polizeimarke vor. Moore schubste ihn durch die Tür. Moore trat die Tür zu.

Wayne streckte und reckte sich. Wayne sah sich genüsslich den Wagen an.

Er trat in die Slicks. Er befummelte die Auspuffröhren. Er öffnete die Motorhaube. Er schnüffelte an den Zylinderventilen. Er identifizierte den Geruch. Er dekodierte die Oxydzusammensetzung.

Du bist jetzt Polizist. Ein guter. Aber immer noch ein Chemiker.

Jemand schrie. Wayne schlug die Haube zu. Was Schrei Nr. 2 übertönte.

Hunde bellten. Vorhänge wurden aufgerissen. Nachbarn musterten das Bowers-Haus.

Moore trat heraus.

Er grinste. Er schwankte ein bisschen. Er wischte sich Blut vom Hemd.

Sie fuhren zurück nach Big D. Moore kaute Red-Man-Tabak. Er stellte das Radio auf Wolfman Jack. Er imitierte dessen Geheul. Er sang wortgenau die Rhythm-&-Blues-Songs mit.

Sie erreichten die Schwarzenstadt. Sie fanden die Hütte des Burschen: Vier Wände – Sperrholz und Kleister.

Moore parkte auf dem Rasen. Moore schrammte einen 1A Lincoln. Dessen Seitenfenster runtergekurbelt waren. Das Interieur schimmerte.

Moore spuckte Tabaksaft. Moore sprühte die Sitze gründlich ein.

»Die werden bestimmt noch einen Wagen nach Kennedy benennen. Worauf jeder Nigger im Zoo rauben und vergewaltigen wird, um sich einen zu beschaffen.«

Wayne ging zur Tür. Moore blieb zurück. Die Tür stand offen. Wayne blickte rein. Er sah einen Farbigen.

Der Bursche hatte sich niedergekauert. Der Bursche arbeitete. Der Bursche machte sich an seinem Fernseher zu schaffen. Er klopfte auf den Senderknopf. Er zupfte am Antennenkabel. Er intensivierte Statik und Gries.

Wayne klopfte. Moore ging rein. Moore musterte das Schrein-Regal:

Ein beleuchteter JFK. Bobby-Silhouetten. Eine Martin-Luther-King-Puppe.

Der Bursche sah sie. Er stand auf. Er erschauerte. Er fiel in sich zusammen.

Wayne trat ein. »Sind Sie Mr. Jefferson?«

Moore spuckte Tabaksaft. Moore sprühte einen Stuhl ein.

»Das ist der Junge. Alias Jeff, alias Jeffy – meinst du, ich mach meine Hausaufgaben nicht?«

»Das bin ich. Jawohl, Sir«, sagte Jeff.

Wayne lächelte. »Es geht nicht um Sie. Wir suchen einen Freund –«

»Wo nehmt ihr Leute eigentlich all die Präsidentennamen her? Jeder zweite Bursche, den ich einbuchte, hat einen nobleren Namen als ich.«

»Jawohl, Sir, das trifft zu, aber ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll, daher –«

»Ich habe einen Jungen namens Roosevelt D. McKinley hopsgenommen, der nicht mal wusste, wo seine Mama den Namen geklaut hatte, was echt ’ne Sauerei ist.«

Jeff zuckte mit den Schultern. Moore machte ihn nach. Moore ließ sich zusammenfallen. Er rollte mit den Augen. Er zog einen schweren Schlagstock.

Der Fernseher blitzte auf. Ein Bild erschien. Da – Lee H. Oswald.

Moore spuckte den Fernseher ein. »Das ist der Bursche, nach dem ihr eure Schwarzäffchen benennen solltet. Er hat meinen Freund J. D. Tippit umgebracht, einen Weißen mit Glied am Leibe, und mir tut’s weh, an seinem Todestag mit einem wie dir das Zimmer teilen zu müssen.«

Jeff zuckte mit den Schultern. Jeff blickte zu Wayne. Moore wirbelte mit dem Schlagstock. Der Fernseher fiel aus. Faule Röhren knackten.

Jeff wurde unruhig. Ihm zitterten die Knie. Wayne berührte ihn an der Schulter. Moore machte ihn nach. Moore wackelte mit den Hüften.

»Ihr zwei Bubis seid ein so süüüßes Paar. Gleich werdet ihr Händchen halten.«

Das machte das Maß –

Wayne schubste Moore weg. Moore stolperte. Moore riss eine Lampe um. Jeff zitterte wie Espenlaub. Wayne schubste ihn in die Küche.

Sie passten eben noch rein. Die Spüle drängte sie zusammen. Wayne trat die Türe zu.

»Wendell Durfee ist auf der Flucht. Er flieht stets nach Dallas, also sagen Sie, was Sie wissen.«

»Sir, ich weiß nicht –«

»Nennen Sie mich nicht ›Sir‹, sagen Sie einfach, was Sie wissen.«

»Sir, will sagen, Mister, ich weiß nicht, wo Wendell steckt. Ungelogen, ungeflogen.«

»Sie machen mir was vor. Lassen Sie’s, oder ich übergebe Sie dem Spinner.«

»Ich verscheißer Sie nicht, Mister. Ich weiß nicht, wo Wendell steckt.«

Die Wände zitterten. Irgendwas zerbrach im anderen Zimmer. Wayne erkannte das Geräusch:

Schlagstockhiebe. Gehärteter Stahl trifft auf Sperrholz und Kleister.

Jeff zitterte. Jeff schluckte. Jeff zupfte an einem Nagelhäutchen.

»Versuchen wir’s mal anders rum«, sagte Wayne. »Sie arbeiten bei Dr. Pepper. Sie hatten heute Zahltag.«

»Das stimmt. Ungelogen, unge –«

»Und Sie haben Ihre Bewährungszahlung geleistet.«

»Hab ich, ganz richtig –«

»Nun haben Sie ein bisschen Geld übrig. Das Ihnen in der Tasche juckt. Wendell ist Ihr Glücksspielkumpel. Irgendwo findet ein Zahltags-Würfelspiel statt, auf das Sie mich hinweisen können.«

Jeff saugte am Nagelhäutchen. Jeff schluckte.

»Und wieso bin ich jetzt nicht dort?«

»Weil Sie Wendell praktisch Ihr ganzes Geld geliehen haben.«

Glas splitterte. Wayne identifizierte das Geräusch: Ein Schlagstockhieb / ein Fernseher im Eimer.

»Wendell Durfee. Sagen Sie mir, wo er steckt, oder ich sage Tex, Sie hätten es mit weißen Kleinkindern getrieben.«

Jeff zündete sich eine Zigarette an. Jeff verschluckte sich am Rauch. Jeff hustete Rauch.

»Liddy Baines ist mit Wendell gegangen. Die hat gewusst, dass ich ihm Geld schulde und ist vorbeigekommen und hat gesagt, dass er nach Mexiko verschwinden will. Ich hab ihr, bis auf fünf Dollar, meinen ganzen Zahltag ausgehändigt.«

Holz brach. Die Wände zitterten. Der Boden zitterte.

»Die Adresse?«

»71st, Ecke Dunkirk. Das zweite kleine weiße Haus nach der Kreuzung.«

»Und das Würfelspiel?«

»83rd, Ecke Clifford. Die Seitenstraße beim Lager.«

Wayne öffnete die Tür. Jeff stellte sich hinter ihn. Jeff ging in Startposition. Moore sah Wayne. Moore verbeugte sich. Moore zwinkerte ihm zu.

Der Fernseher war schwarz. Der Schrein zu Staub zerborsten. Die Wände nur noch Pampe und Splitter.

Es wurde ernst.

Moore hatte die Belastungspistole. Moore hatte eine Pumpgun. Moore kannte einen Pathologen, der ihm einen Gefallen schuldete. Der die Wundbeschreibung frisieren würde.

Waynes Hals schnürte sich zu. Wayne bekam die Flattersause. Waynes Hodensack schrumpelte zusammen.

Sie fuhren los. Tief in die Schwarzenstadt. Sie sahen bei Liddy Baines vorbei. Niemand zu Hause – Liddy, wo bist du?

Sie fanden eine Telefonzelle. Moore rief bei der Leitstelle an. Er holte Liddy Baines Daten. Keine Suchmeldung / kein Haftbefehl / kein Fahrzeugschein.

Sie fuhren zur 83rd, Ecke Clifford. Sie fuhren an Schrottplätzen und Mülldeponien vorbei. An Schnapsläden und Blutspendensammelstellen. An Mohammeds Moschee Nr. 12.

Sie fuhren an der Seitenstraße vorbei. Sie konnten kurz reinschauen: Straßenlampen / Gesichter / eine ausgebreitete Decke am Boden.

Ein dicker Mann beim Würfeln. Ein massiger Mann schlug sich an die Stirn. Ein dünner Mann strich Banknoten ein.

Moore blieb an der 82nd stehen. Moore griff zur Pumpgun. Wayne zog den Revolver. Moore steckte sich Stöpsel in die Ohren.

»Wenn er da ist, nehmen wir ihn fest. Dann bringen wir ihn in die Sticks und nieten ihn um.«

Wayne versuchte zu sprechen. Die Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nur quieken. Moore zwinkerte ihm zu. Moore grunzte, haha.

Sie gingen rüber. Sie schmiegten sich in die Schatten. Sie kauerten nieder. Die Luft wurde trocken. Der Boden fiel ab. Wayne geriet ins Rutschen.

Sie erreichten die Seitenstraße. Wayne hörte Spielerjargon. Wayne sah Wendell Durfee.

Die Beine versagten ihm. Er geriet ins Stolpern. Er trat eine Bierbüchse weg. Die Würfelspieler schreckten auf.

Ist was?

Wer da?

Mama, bist du’s?

Moore zielte. Moore feuerte. Moore überrumpelte drei Männer. Er feuerte ihnen auf die Beine. Er zerschoss ihnen die Decke. Er zerfetzte ihnen das Geld.

Flintenknall – Großkaliberdröhnen – Dezibelbombe aus nächster Nähe.

Die Wayne umwarf. Wayne wurde taub. Wayne wurde pulverblind. Moore schoss auf eine Mülltonne. Die Type floh.

Wayne rieb sich die Augen. Wayne konnte halbwegs wieder sehen. Würfelspieler schrien. Würfelspieler machten sich aus dem Staub. Wendell Durfee rannte.

Moore zielte hoch. Moore traf eine Mauer. Schrotkugeln sprangen pfeifend ab. Sie trafen Durfees Hut. Sie trennten ihm das Hutband durch. Sie sträubten ihm die Feder.

Durfee rannte. Wayne rannte ihm nach.

Er streckte den Revolver aus und zielte. Durfee zielte rückwärts. Sie feuerten. Lichtblitze erhellten die Nebenstraße. Schüsse trafen die Mauern.

Wayne sah sie. Wayne spürte sie. Hören konnte Wayne sie nicht.

Er schoss. Daneben. Durfee schoss. Daneben. Mündungsflammen. Schallwellen. Kein echter Ton auch nur halbwegs wahrnehmbar.

Sie rannten. Sie blieben stehen. Sie feuerten. Sie liefen aus Leibeskräften.

Wayne drückte sechsmal ab – ein volles Zylindermagazin. Durfee drückte achtmal ab – ein voller Ladestreifen.

Die Mündungsfeuer hörten auf. Kein Licht. Kein Richtungs –

Wayne stolperte.

Er rutschte aus. Er fiel. Er traf auf Kies. Er bekam Straßendreck in den Mund. Er roch Kordit. Er leckte Zigarrenkippen und Schmutz.

Er rollte ab. Er sah Blaulichter. Er sah rote rotierende Warnlichter. Zwei Streifenwagen – hinter ihm – DPD-Fords.

Er nahm einige Geräusche wahr. Er stand auf. Er kam zu Atem. Er ging zurück. Seine Füße scharrten. Er konnte hören.

Moore stand dort. Polizisten standen dort. Die Würfelspieler lagen am Boden. Sie trugen Handschellen / Fußschellen / sie waren fix und fertig.

Zerfetzte Hosen. Schrotverletzungen und Fleischwunden – Schnitte bis auf den blanken Knochen.

Sie zappelten. Wayne hörte fetzenhafte Schreie.

Moore trat zu ihm. Moore sagte was. Moore schrie.

Wayne verstand »Bowers«. In seinen Ohren ging was auf. Er konnte ganze Geräusche wahrnehmen.

Moore zeigte seine Sandwichtüte. Moore zog sie auf. Wayne sah Blut und Knorpel. Wayne sah einen Männerdaumen.

(Dallas, 23.11.63)

Schaufensterkränze / Flaggen / Dekorationen auf Fenstersimsen. 08:00 – ein Tag später – die Glenwood Apartments lieben Jack. Zwei Stockwerke. Zwölf Vorderfenster. Blumen und JFK-Spielzeug.

Littell lehnte sich an seinen Wagen. Vor ihm lag die Fassade. Die Sonne schien ihm ins Gesicht. Er hatte Arden Smiths Wagen ausfindig gemacht. Er hatte ihren U-Haul-Lieferwagen ausfindig gemacht.

Er hatte einen FBI-Wagen geborgt. Er hatte Arden Smith überprüft. Sie war sauber. Er hatte ihre Fahrzeug-Daten erhalten. Er hatte ihren Chevy gefunden.

Sie wirkte schuldig. Sie war beim Attentat dabei gewesen. Sie war aus dem Police Department geflohen. Der U-Haul-Lieferwagen schrie nach FLUCHT.

Sie wohnte in 2D. Er hatte den Hof überprüft. Ihre Fenster lagen nach innen – keine Flaggen / kein Krimskrams / kein Schrein.

Er hatte bis Mitternacht gearbeitet. Er hatte sich einen Arbeitsplatz organisiert. Stockwerk 3 war ein Irrenhaus. Die Polizisten hatten Oswald im Dauerverhör. Kamerateams waren auf Motivsuche.

Sein Tippelbruder-Trick hatte geklappt. Rogers war entkommen. Die Tippelbrüder waren sauber entwischt. Er hatte Guy B. getroffen. Er hatte ihn angewiesen, sich Lee Bowers vorzunehmen.

Er hatte die Zeugenaussagen gelesen. Er hatte die Polizeiprotokolle gelesen. Sie wirkten zweideutig. Mr. Hoover würde Weisungen erlassen. Agenten würden sie umsetzen. Schlüssige Indizien auf den Einzeltäter sich ansammeln.

Oswald war ein Problem. Hatte Guy gesagt. Guy hatte ihn als »Spinner« bezeichnet.

Lee hatte nicht geschossen. Das hatte der Scharfschütze getan. Besagter Scharfschütze hatte von Lees Ausguck aus geschossen. Rogers hatte vom Zaun aus geschossen.

Lee kannte Guys Mittelsmann. Oswald wurde die ganze Nacht vom FBI und DPD bearbeitet. Er hatte keine Namen genannt. Guy meinte zu wissen, warum.

Der Junge war aufmerksamkeitsgeil. Der Junge war durchgeknallt. Der Junge genoss den Einzelplatz im Rampenlicht.

Littell sah auf die Uhr – 08:16 – Sonne und tiefhängende Wolken.

Er zählte Flaggen. Er zählte Kränze. Die Leute von Glenwood liebten Jack. Er wusste, wieso. Auch er hatte einst Jack geliebt. Er hatte einst Bobby geliebt.

Jack war er nie begegnet. Bobby einmal.

Er hatte für die Brüder arbeiten wollen. Kemper Boyd hatte sich für ihn eingesetzt. Doch er war Bobby nicht gut genug gewesen. Boyd hatte auf mehreren Hochzeiten getanzt. Boyd hatte für Jack und Bobby gearbeitet. Und zugleich für die CIA.

Boyd hatte Littell einen Job verschafft. Ward – darf ich dir Carlos Marcello vorstellen?

Carlos hasste Jack und Bobby. Jack und Bobby hatten Littell abblitzen lassen. Littell hatte seinen eigenen Hass entwickelt. Er arbeitete ihn immer feiner aus.

Er hasste Jack. Er kannte Jack. Genau genug, um nicht von der Fassade geblendet zu werden. Jack war aalglatt. Jack hatte Stil. Anstand hatte Jack nicht.

Bobby war der Inbegriff von Anstand. Bobby lebte Anstand vor. Bobby pflegte Bösewichte zu bestrafen. Jetzt hasste er Bobby. Bobby hatte ihn abblitzen lassen. Bobby hatte seinem Respekt keinen Wert beigemessen.

Mr. Hoover hatte Mafia-Treffpunkte mit Abhörwanzen versehen. Mr. Hoover hatte Hinweise mitbekommen. Er hatte den Anschlag geahnt. Er hatte Jack nichts gesagt. Er hatte Bobby nichts gesagt.

Mr. Hoover kannte Littell. Mr. Hoover wusste um seinen Hass. Mr. Hoover trieb ihn dazu, Bobby wehzutun.

Littell hatte Beweise. Die Joseph P. Kennedy wegen langjähriger Zusammenarbeit mit der Mafia belasteten. Er hatte Bobby getroffen – eine halbe Stunde lang – vor fünf Tagen erst.

Er war in seinem Büro gewesen. Er hatte ihm ein Tonband vorgespielt. Das Band belastete Joe Kennedy. Bobby war klug. Bobby konnte das Band mit dem Anschlag in Zusammenhang bringen. Bobby konnte das Band als Drohung interpretieren.

Kein Wort über ein Mafia-Attentat. Den Namen Kennedy nicht in den Schmutz ziehen. Den Heiligen Jack nicht in den Schmutz ziehen. Fühl dich verstrickt. Fühl dich mitschuldig. Fühl dich miiiiies.

Dein Mafia-Feldzug hat deinen Bruder umgebracht. Wir haben Jack umgebracht, um dir eins auszuwischen.

Littell schaute sich eine Nachrichtensendung an. Gestern spät nachts – Air-Force-One landet in Washington. Bobby steigt aus. Bobby geht sicheren Schritts. Bobby tröstet Jackie.

Littell hatte Kemper Boyd umgebracht. Auf Befehl von Carlos. Littell hatte Boyd donnerstags erschossen. Das hatte wehgetan. Er war den Jungs was schuldig gewesen. Nun war er mit den Jungs quitt.

Er sah Bobby mit Jackie. Das schmerzte mehr als Boyd.

Arden Smith trat durch die Tür.

Sie ging schnell. Sie hatte eine Schultertasche übergehängt. Sie trug Röcke und Betttücher. Littell ging quer über den Platz. Arden Smith sah auf. Littell wies ihr seinen Ausweis vor.

»Ja?«

»Dealey Plaza, wissen Sie noch? Sie waren Zeugin des Attentats.«

Sie lehnte sich an den Lieferwagen. Sie ließ die Schultertasche zu Boden fallen. Sie senkte die Röcke.

»Ich habe Ihnen auf der Wache zugeschaut. Sie haben Ihre Chancen überdacht und eine Entscheidung getroffen, und ich muss zugeben, dass ich beeindruckt bin. Aber Sie müssen erklären, wieso Sie –«

»Was ich zu sagen hatte, war überflüssig. Fünf oder sechs Leute haben mir zugehört und ich wollte die Geschichte hinter mich bringen.«

Littell lehnte sich an den Wagen. »Und jetzt ziehen Sie um.«

»Nur für kurze Zeit.«

»Verlassen Sie Dallas?«

»Ja, aber das hat nichts mit –«

»Ich bin überzeugt, dass das nichts mit dem zu tun hat, was Sie während der Parade sahen, ich will nur wissen, wieso Sie Ihre vorläufige Aussage samt Fahrausweis aus der Zeugenliste gestohlen haben und ungenehmigt gegangen sind.«

Sie kämmte die Haare zurück. »Nun, Mr. –«

»Littell.«

»Mr. Littell, ich habe versucht, meinen staatsbürgerlichen Pflichten nachzukommen. Ich bin zum Police Department gegangen und wollte dort eine anonyme Erklärung hinterlassen, aber ein Officer hat mich festgehalten. Nun, ich hatte einen schweren Schock, und wollte nur noch nach Hause und packen.«

Ihre Stimme funktionierte. Sie klang sicher und südstaatlich. Sie klang kultiviert.

Littell lächelte: »Können wir reingehen? Ich unterhalte mich ungern hier draußen.«

»Bitte sehr, wenn Ihnen der Zustand meiner Wohnung nichts ausmacht.«

Littell lächelte. Sie lächelte. Sie ging ihm voran. Kinder rannten vorbei. Sie schossen mit Spielzeugpistolen. Ein Junge schrie: »Erschieß mich nicht, Lee!«

Die Tür stand auf. Im Wohnzimmer herrschte Durcheinander. Im Wohnzimmer standen Kisten und auf Umzugsrollen gestellte Möbel.

Sie zog die Tür zu. Sie rückte Stühle zurecht. Sie nahm eine Kaffeetasse. Sie setzten sich. Sie zündete sich eine Zigarette an. Sie balancierte die Tasse.