Ein Bauch lustwandelt durch Wien - Vincent Klink - E-Book

Ein Bauch lustwandelt durch Wien E-Book

Vincent Klink

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Beschreibung

Vincent Klink liebt Wien und die Wiener. Gemeinsam mit seiner Frau hat er die österreichische Hauptstadt erkundet. Voller Leidenschaft schreibt er über die österreichische Küche, über Wiens Geschichte und Kultur – und über die vielen schönen Kaffeehäuser, Hotels und Restaurants. Die Wiener reden langsamer, gehen langsamer und essen langsamer als die hektischen deutschen Piefkes. Was nichts anderes bedeutet als: Sie genießen. Deshalb fühlt sich der Stuttgarter Sterne-Koch Vincent Klink in Wien so wohl. Er schätzt das Verweilen in den Kaffeehäusern, könnte – wie Kaiser Franz Josef – jeden Tag Tafelspitz essen und dazu ein Ottakringer trinken. Er lustwandelt durch die Prachtstraßen, besucht die früheren Residenzen der Habsburger und übernachtet im Hotel Sacher. Ein Reise- und Kulturführer der besonderen Art mit vielen Anekdoten und ausgewählten Rezepten.

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Das Buch

Die Wiener reden langsamer, gehen langsamer und essen langsamer als die hektischen deutschen Piefkes. Was nichts anderes bedeutet als: Sie genießen. Deshalb fühlt sich der Stuttgarter Koch Vincent Klink in Wien so wohl. Er schätzt das Verweilen in den Kaffeehäusern, könnte – wie Kaiser Franz Joseph – jeden Tag Tafelspitz essen und dazu ein Ottakringer trinken. Er lustwandelt durch die Prachtstraßen, besucht die früheren Residenzen der Habsburger und übernachtet im Schloss Schönbrunn. Ein Reise- und Kulturführer der besonderen Art mit vielen Anekdoten und ausgewählten Rezepten.

Der Autor

Vincent Klink, Jahrgang 1949, führt in Stuttgart das Restaurant Wielandshöhe. Bekannt wurde er einem größeren Publikum durch die Fernsehsendungen »ARD Buffet« und »Kochkunst« (seit 1997). Er ist Autor zahlreicher Bestseller, u.a. Sitting Küchenbull (2009) und Ein Bauch spaziert durch Paris (2015).

VINCENT KLINK

Mit Fotos von Gerald von Foris und Aquarellen von Vincent Klink

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-2203-2

© 2019 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Covermotiv: Vincent Klink vor dem Gemälde Fischmarkt von Frans Snyders, um 1621, im Kunsthistorischen Museum, Wien

Alle Umschlagfotos: Gerald von Foris, München

Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin Ullstein Verlag

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
Über das Buch / Über den Autor
Titel
Impressum
Auf nach Wien!
Annäherung
Die Wachau
Das Hotel Sacher
Die Rote Bar im Sacher
Die Wiener Seele und das gekochte Rindfleisch
Wien und die Habsburger
Kaiser Franz Joseph
Kaiserin Sisi
Erzherzog Rudolf
Die Hofburg und das Café Sperl
Das Restaurant Vestibül
Palais Coburg
Franziskanerplatz
Der Stephansdom
Zum Schwarzen Kameel
Freyung, Schottenstift und Café Central
Das Looshaus
In der Hofküche
Die Silberkammer der Hofburg
Die Wiener Küche
Die Ringstraße, Orgie des Historismus
Heldenplatz und der Staatsfeind Nr. 1
Gasthaus Wolf
Das rote Wien
Beethoven und der magische Pfarrplatz in Grinzing
Sterben ist nirgends schöner
Fiaker und Spanische Hofreitschule
Wien, die Welthauptstadt der Musik
Schrammelmusik
Zawinul, mehr sog i ned
Wichtige Wiener
Gute Orte
Kaffeehäuser
Gasthäuser
Asia
Hotels
Design- & Luxushotels
Dank
Feedback an den Verlag
Empfehlungen

Auf nach Wien!

Der echte Wiener ist ein vollkommener Patriot, vor allem aber ist der Wiener auf den Wiener besonders stolz, und die edelste aller Sprachen dieser Welt ist der Wiener Dialekt, das soll zumindest André Heller gesagt haben, und der muss es ja wissen.

Die Einwohner anderer österreichischer Bundesländer sind vorwiegend ganz und gar nicht dieser Meinung. Viele Österreicher sind sich aber den deutschen Piefkes gegenüber einig, dass man mit dieser Ethnie, zumindest nördlich des Mains, nicht verwechselt werden möchte. Die Unterschiede sind auch eklatant. Das Erscheinungsbild Wiens ist von einer barocken Opulenz und die Lebensweise entsprechend. Als Institution, als unabdingbarer Platz zum Leben, gilt dem Wiener das Kaffeehaus.

In Deutschland gleicht die Bezeichnung »Lebemann« fast einem Schimpfwort, in Wien bezeichnet sie den Normalfall, das Gegenteil wäre nämlich der »Todmensch«. Es ist eine radikale Stadt, Vororthässlichkeit der extremen Art, dann aber mehrheitlich wieder verführerische Biotope mit Prachtstraßen, Prachtbauten, alles voll von Ornamenten und Üppigkeit bis hin zum Schwulst. Auch gedieh trotz – oder gerade wegen – der kaiserlichen Schwergängigkeit und Verweigerung in Sachen Fortschritt die künstlerische Sezession, die sogenannte Wiener Moderne, die sich wandelnd bis in die heutige Zeit blüht.

Vincent Klink im Stadtgarten

Die habsburgische Geschichte ist überall spürbar, nicht nur, was Taten und Bauwerke der Monarchie angeht, auch der einzelne Bürger ist davon tief geprägt, egal, ob er sich als glühender Anhänger zu erkennen gibt oder in heftiger Opposition zu allem Monarchischen steht.

Die Wiener gelten von ferne betrachtet als träge, und sie lieben gedehnte Gemütlichkeit. Letztlich ist dies aber eine Art von Heimtücke, denn in Wahrheit sind sie nachdenklich, meiden Turbulenzen und erzielen mit ihrem Ritardando oft bessere Ergebnisse als wir deutschen Hektiker. In diesem Sinne sind sie äußerst effizient. Im Gegensatz zu Deutschland, wo ständig über die nächsten Urlaubsziele geredet wird, macht der Wiener jeden Tag ein bisschen Urlaub. Dazu dienen in erster Linie Musik und Theater. Das tägliche Konzertangebot ist kaum überblickbar. Alle Konzertsäle sind proppenvoll und die Theater ebenso. Theater findet überall statt, auf unzähligen kleinen und großen Bühnen und erst recht auf der Straße. Fast jeder Wiener ist ein begabter Mime. Vertieft man sich etwas in die Politik des Landes, so glaubt man sich ebenso in ein Theaterstück versetzt. Es ist hinlänglich bekannt, dass so ziemlich die besten Schauspieler der Welt irgendwann auch mal am Wiener Burgtheater engagiert waren oder es noch sind, und mit den Politikern ist es nicht viel anders.

In Wien wird die Wirklichkeit gerne durch ein Gerücht ersetzt. Gerüchte werden bevorzugt als Gipfel der Erkenntnis gewertet, und man misstraut der klaren Eingebung. Das Volksempfinden biegt sich die Wirklichkeit in eine heimelige, angenehme Spur. Die harten Fakten werden erst mal beiseitegeschoben, um der Überprüfung zu harren, die meist nie stattfindet. Das mag für manchen irritierend sein und eine vibrierende Beklommenheit verursachen, für den südlich geprägten Menschen wie mich ist es ein Annäherungsversuch ans Paradies.

Das Wesen des Landes und der Stadt beäuge ich übrigens total subjektiv und finde es gut so, denn es entspricht auch dem Lebensgefühl der Wiener, sich der Objektivität möglichst nicht allzu weit zu nähern. Die Effektivität, die Modernität und das Zukunftsweisende dieser nur vermeintlich altmodischen Metropole sind unbestritten, werden aber öffentlich und vor allem im Ausland weniger wahrgenommen.

Der doppelköpfige habsburgische Adler hat seit Langem ausgedient, man könnte meinen, der römische Gott Janus habe seinen Platz eingenommen. Janus, der mit einem Gesicht nach vorne und mit dem anderen nach hinten schaut, das könnte der Schutzpatron der Stadt sein. Auf der einen Seite köcheln modernste Kunst und Weltanschauung, andererseits stimmt es auch, dass der Wiener dauernd im Kaffeehaus sitzt, sich der Melancholie, aber auch der Freude hingibt. Diese zahllosen Kaffeehäuser sind nicht zu verwechseln mit unseren Konditoreien, die möglichst billige Torten offerieren und Omas Kaffeekränzchen einen beheizten Raum bieten. Die Kaffeehäuser in Wien sind wirkliche Heimat, meist mehr als die eigene Wohnung. Die Wiener Literatur, man kann sie getrost zur Weltliteratur zählen, wäre ohne die manchmal stehende Luft des Kaffeehauses in dieser Art nicht möglich gewesen.

Auch trifft man sich gerne im Biergarten – wenn dort kein Bier ausgeschenkt wird, nennt sich das »Gastgarten« – oder man zieht in den grüneren Bezirk wie Grinzing oder Nussdorf unter den Kahlenberg, um in den Weinbergen den Heurigen zu genießen. Heuriger, so nennt sich der junge, leichte Wein, der Gespräche belebt und so gesund ist, dass man ihn eigentlich auf Rezept bekommen sollte. Sich mit der Familie, mit Freunden beim Heurigen zu treffen, beflügelt nach Auskunft vieler Wienerlieder die Vernunft.

Im Café Hawelka

Das Laissez-faire wohnt auf angenehmste Weise diesem Volk inne. Man fragt sich, wo nehmen die Wiener ihre ganze Zeit her, um sich außerhalb der Arbeit und der Wohnung ebenso behaust zu fühlen. Ich kann darauf keine Antwort geben, höchstens mich als Beispiel dafür anführen, dass Faulenzer durch sporadisch aufkeimendes schlechtes Gewissen ungeheure Leistungsfähigkeit zeigen können. Deshalb funktioniert in Wien alles mindestens so gut wie in den leistungsoptimierten Landstrichen dieser Welt. Kürzlich las ich, dass Wien die am wenigsten amerikanisierte Stadt der Welt sei. Ist sie genau deshalb, nach internationalem Ranking, die lebenswerteste Stadt der Welt? Oder liegt es daran, dass die meisten ihrer Bewohner so unterschiedliche Wurzeln haben, was eine besondere Melange ergibt?

Keine Stadt hat je eine solche Zuwanderung erlebt wie Wien. In dem Maße, wie die Grenzen des habsburgischen Reiches immer mehr zur Hauptstadt hin zurückgenommen werden mussten, wurden unzählige Menschen heimatlos und suchten sich eine neue in der Hauptstadt. In hohem Maße war das so nach dem Verlust der ungarischen Monarchie, den Gebietsverlusten in Tschechien, der Slowakei und auf dem restlichen Balkan, nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Das war damals so, als würde das heutige Deutschland auf die Größe Württembergs zusammenschrumpfen, und ein Großteil der gesamtdeutschen Bevölkerung würde in Stuttgart siedeln wollen.

Die Wiener selbst verunglimpfen die Landbevölkerung häufig zynisch und verweisen sie herablassend ins Parterre. Reichlich Spott gibt’s gratis, denn wie überall feiern sich die Städter gerne als Genius. Dabei sind die Wiener fast immer nicht nur Städter, sondern eben eine Melange, vulgo Tschuschen. So das hammerharte Urteil des Wiener Dichters H. C. Artmann, als er während einer Lesereise in den Achtzigerjahren einmal mein Restaurant in Schwäbisch Gmünd besuchte: »Tschuschen sans, die Wiener, allesamt!« Es dünkt amüsant, dass mit Tschuschen alles Ungarische, Slawische, Jugoslawische bis hin zum Italienischen, kurzum jeder außerhalb der Hauptstadt, verunglimpft wird. H. C. Artmann, der seine Landsleute mit linksorientierten Gedanken aufs Bissigste eintütete, nannte, wie ich mich erinnere, die Stadt Wien einmal sogar die Metropole der Mongolei. Eine Übertreibung, aber so verkehrt auch wieder nicht.

Die erste große Zuwanderung der besonderen Art fand noch im blühenden Kaiserreich statt. Wer gut kochen konnte, machte sich auf den Weg in die Hauptstadt. Durch gutes Essen wird das Wiener Dasein ohne Schmäh in die Nähe des Paradieses gerückt. Ich habe so meine Theorie: Es gibt zwei traditionelle Hochküchen auf der Welt. Damit meine ich das, was über die Mama-Küche hinausgeht, die beispielsweise Italien und Spanien so angenehm wärmt. Die französische Hochküche, die »Grande Cuisine«, entwickelte sich in der Monarchie, die alle Talente des Reiches anzog.

Am Hofe des österreichischen Kaiser- und Königshofs verhielt es sich wie in Frankreich, allerdings waren die österreichischen Monarchen längst nicht so verfressen wie die französischen. Trotzdem ist für mich die österreichische Küche eine Art Staatsküche. Dem Kaiserhaus ist dies nicht zu verdanken, sondern dem dickbäuchigen Hofstaat und den zugereisten Köchen und Köchinnen aus den Kronländern. Die Wiener Normalbürger selbst trieben und treiben ihre häusliche Kocherei auf möglichst hohes Niveau, und das Qualitätsbewusstsein aller Österreicher gegenüber Lebensmitteln ist beispielhaft und weit höher als in der Bundesrepublik.

Kommen wir nun zu meinem Bauch, meinem fein justierten Kompass durch die Kaffeehäuser, Beisln, Luxusrestaurants und all das Wohlleben, das der Puritaner weltweit für überflüssig hält, weshalb er eine höhere Stufe des Lustgewinns nicht beansprucht. Obliegt die schützende Hand über den Weinbau, beispielsweise in den USA dem Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF, deutsch: Amt für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe), so hält sich das »Land an der blauen Donau« ein »Ministerium für ein lebenswertes Österreich«. So benennt sich im Untertitel das Ministerium für Landwirtschaft.

Gefühlt kommt bei einem Spaziergang durch die Stadt alle fünfzig Meter ein Gasthaus. Richtig gut sind längst nicht alle, aber meist sind sie sehr preiswert und selten ganz schlecht. Längst ist nicht alles Nostalgie. Wir haben lieb gewonnene alte Bilder im Kopf und können uns diesen hingeben, aber richtet sich der Blick aufs Moderne, auf Kunst, Lebensart und Architektur, so kommt dieser keineswegs zu kurz. Über alle Schnitzel und Tafelspitz hinweg habe ich hier die beste vegetarische Küche genossen und auch das beste mir bekannte thailändische Restaurant besucht.

Es laufen heute auf der Welt genügend Leute mit selbst gewählter Unterernährung herum. Wien wäre die optimale Therapie und Abwehr, mir ist die Stadt das Zentrum für exquisit-effektive Baucherweiterung und geistvolle Lebenslust.

Annäherung

Vielleicht sollte ich fürs Erste nicht unbedacht ins Auge des Hurrikans stechen, mich nicht vom Flugzeug abwerfen lassen, sondern mich langsam nähern. Mir Zeit lassen, Menschen und Landschaft tastend erfühlen, meine Vorurteile abwägen, die Stadt umkreisen und abschnuppern. Also wird mit dem Auto gefahren. Fahrräder zuladen, Sack und Pack und los.

Wir beschließen, die Reise so zu gestalten, dass wir uns in bewährter Manier von Gasthaus zu Gasthaus hangeln. Natur ist wichtig und schön, die Menschen, die darin leben, kann man aber nicht durch die Autoscheibe erleben wie die Tiere beim Blick durchs Gitter im Zoo. Außerdem könnte es ja auch umgekehrt so sein, dass uns die Einheimischen im Auto als Käfigbewohner wahrnehmen. Wie auch immer, Volk und Sitten kann man nirgendwo besser studieren als in Gasthäusern. Dort, wo es keine gibt, lohnt sich für uns auch nicht das Verweilen.

Kurz vor München ist vorläufig Schluss. Meine Frau hat in einem Reiseführer ein gutes Gasthaus entdeckt. Wir fahren durch sattes Grün, sanfte Hügel, und immer wieder geht’s durch Schwaden von Gülle-Landluft bis nach Unterbachern zum Gasthof Weißenbeck. Schon auf dem Parkplatz ahne ich das Besondere. Man betritt nicht irgendeine Wirtschaft, sondern einen wahren Prachtgasthof. Zwischen riesigen Scheuern und dem stattlichen Wirtshaus hindurch führt ein Kiesweg zu einem zünftig schönen Gastgarten.

Der Wirt, von einer kurzen Lederhose zusammengehalten, der man die aufwendige Handfertigung ansieht, grüßt uns mit der Würde eines Landedelmanns. Der Chef ruht nicht ohne Grund so in sich, denn in der Küche regieren seine Frau und die Tochter. Nichts gegen die vielen männlichen Smutjes, aber ich liebe es, wenn in der Küche Frauen die Pfannen zum Rauchen bringen. Ich glaube, dass Frauen, pauschal gesagt, einfach gründlicher und mit mehr Herz bei der Sache sind.

Bayern an einem Sonntagmittag im Juni, da ist es ganz klar, dass man nicht einsam am Tisch sitzt. Der Laden ist gesteckt voll, aber weil wir wohlweislich vom Auto aus telefonisch reserviert haben, bekommen wir ein schönes Plätzchen. Ich ordere grundsätzlich einen Tisch, denn ich möchte den Gastwirt nicht überfallen, meinen Namen nuschle ich am Telefon gerne aber nur so dahin. Nuscheln fällt mir als Schwaben ziemlich leicht, und das verhilft mir bei solchen Gelegenheiten meist zu einem befreienden Inkognito.

Als Erstes bestelle ich ein g’scheites Bier. So ziemlich alles, was man in Bayern essen und trinken kann, ist g’scheit. Von g’scheiten Menschen ist selten die Rede. Als Nächstes wird eine g’scheite Pfannkuchensuppe bestellt. Der siedfleischverliebte bayerisch-österreichische Kulturkreis bietet sozusagen als Nebenprodukt eine Fleischbrühe, die einfach anders schmeckt, als wenn man nur Rindsknochen auslaugt. Wo kein Tafelspitz oder sonstig gekochtes Fleisch die Speisekarte adelt, gibt es folglich auch selten eine gute Fleischbrühe. Das bedeutet für mein eigenes Restaurant, dass das Personal Siedfleisch essen muss, bis es ihnen zu den Ohren rauskommt.

Langsam kehrt innere Ruhe ein. Ein bratenduftendes Gasthaus ersetzt jeden Psychotherapeuten. Wir fühlen uns gut aufgehoben, so eine Wirtschaft ist der sicherste Platz der Welt. Eine gestandene frohgesichtige Frau in einem echten Dirndl umsorgt uns. Die aggressive Busenschau, die man vom Oktoberfest kennt, findet hier nicht statt (eigentlich auch ein bisschen schade, aber das ist nicht die Meinung meiner Frau). Der Dirndlstoff ist aus echtem Leinen gewoben und nicht mit all den Blödsinnsapplikationen aufgebrezelt, wie sie diejenigen lieben, die nicht bayerisch sprechen können, aber festen Glaubens sind, ihr vorlautes »à la bavaroise« werde von Einheimischen nicht mit Unbehagen bemerkt. Der Bayer gilt ja als verbaler Grobmotoriker, aber wie duldsam er mit seinen Touristen umgeht, da wäre schon ein Generalablass angemessen.

Hier in dieser Wirtschaft ist alles echt, auch die Kundschaft, und wenn jemand zusammengesunken im Stuhl hängt, dann meditiert dort womöglich ein Vegetarier. Er hätte sich an der bayerischen Staatsgrenze längst aufgeben sollen, um sich resignierend dem Schweinshaxn-Volke unterzuordnen. Mir jedenfalls stellt die Servicedame eine g’scheite Kalbsbrust vor meine Brust, die sich zusätzlich erwartungsvoll hebt, als ich den ersten Bissen zu mir nehme und gleich danach den ersten Schluck fränkischen »Escherndorfer Lumps« hinterherschicke. Als Aperitif ein Bier und dann zum Silvaner übergehen, besser kann man seinen Tag kaum gestalten.

Wir essen wie immer nicht langsam, sondern so, wie man schafft, in gediegener Art zügig. Wir haben schließlich ein Ziel und wollen weiter. Außerdem sind wir ja nicht in einem Feinschmeckerlokal, in dem vor lauter kulinarischer Liturgie das wirkliche Essen erst beginnt, wenn man nach einer Stunde, bereits beschickert, die Hürden all dessen hinter sich hat, was man nicht bestellt hat. Amuse-Gueules sind ja bekanntlich Geschenke, aber ich will nicht beschenkt werden, denn an die Gutherzigkeit der Menschheit glaube ich nicht mehr so recht.

Es war nicht zu vermeiden, Sättigung tritt ein. Ich bestelle mir noch einen doppelten Espresso und gebe massig Zucker hinein, wie ich das von meinen italienischen Freunden gelernt habe. Dazu kommt ein Teller mit einem Stück hausgemachtem Käsekuchen. Den hat meine Frau hinterrücks bestellt, denn sie besteht auf Traditionen. Ohne Dessert käme ein Mittagessen einer Selbstdegradierung gleich, meint sie. Ehrlich gesagt, danach spannt mein Ranzen etwas, aber das ist bei mir letztlich eine Art Normalfall.

Wenig später sind wir wieder auf der Piste und rollen in Richtung Bad Birnbach. Die Fahrt auf der Autobahn, an Landshut vorbei, gestaltet sich wie ein Erholungsurlaub. Die Gattin schläft, es herrscht Ruhe im Wagen. Fast hätte ich die Ausfahrt verträumt. Das Auto zwirbelt sich in die enge Kurve, aber alles geht gut, nichts schleudert. Mithilfe des Navigationsgeräts queren wir eine liebliche Gegend, kommen an Prachtbauernhöfen vorbei, wie es sie im Württembergischen kaum gibt. Hier hat die Einheit der Höfe Vorrang. Der Älteste oder der Geeignetste bekommt den Hof. Bei der Realteilung in Württemberg wird unter den Geschwistern alles gleich geteilt, deshalb kam es ja zu den ganzen Baumstückle und der kleinteiligen Landwirtschaft, die nur als Nebenerwerb überlebensfähig ist.

Wir nähern uns dem heutigen Zielgebiet. Doch der Fluchtort für gestresste Großstädter ist schwer zu finden. Zweimal rechts abgebogen, und um ein Haar hätten wir das Ziel links liegen lassen. Es ist das Hofgut Hafnerleiten. Hotel kann man das Ensemble kaum nennen, es ist mehr ein Naturerlebnis, bestehend aus vielen kleinen Häuschen im Grünen, jeweils frei stehend zwischen Hecken, Büschen, Bäumen oder an einem kleinen Badesee. Wer die glatte Perfektion eines US-amerikanischen Fünfsternehotels schätzt, ist hier sicher nicht richtig, man muss so etwas mögen. Aber mich erfreut das Innen und Außen, Natur und Architektur fügen sich zu einem wahren Kleinod. Natürlich nicht ganz billig.

Meine Frau und ich haben jeder ein eigenes Häuschen bezogen, und nach einer ausgiebigen Ruhepause wackeln wir gegen Abend hinauf zum Haupthaus. Dort kocht der Chef selbst, was ja nicht immer von Vorteil sein muss. Aber der Mann beherrscht sein Metier. Zur Ochsenbacke gibt es eine Flasche italienischen Rosso mit einer Bettschweregarantie von 14 Prozent. Danach geht zwar, nach einigen Schnäpsen, nicht unmittelbar das Licht aus, wir finden unsere Bettstatt noch, dann jedoch legt sich tiefer Friede bis zum Morgen über unsere Häupter.

Zum Wohlfühlprogramm des Hofguts gehört ein ergiebiges Frühstück, das erst ab neun Uhr morgens stattfindet. Als Frühaufsteher lasse ich mich im Urlaub gerne mal zum Gemächlichen sozialisieren, aber heute soll es leider nicht sein. Schon um sieben Uhr in der Früh sitzen wir putzmunter im Auto, um in nahezu fiebriger Erwartung alsbald die österreichische Grenze zu überwinden. Der Grenzübertritt findet letztlich gar nicht statt, aber die Autos vor und hinter mir schleichen trotzdem im Sonntagsfahrermodus über jene Linie, die früher einmal die Grenze war. Und hinterher wird es auch nicht besser. »Herrgott, was sind denn da für Schlafmützen auf der Straße!?« Elisabeth meint trocken: »Wir sind in Österreich, du kannst dein deutsches Piefke-Gehetztsein ablegen!« Die österreichischen Verkehrsschilder erinnern den deutschen Drängler, dass hier ein anderes Tempo herrscht. Selbst auf der Autobahn ist bei 130 Stundenkilometern Schluss. Altkanzler Kohl meinte einmal in grauer Vorzeit, so ein Schleichgang sei deutschen Touristen nicht zuzumuten. Dass man sich mit Langsamkeit wohler fühlt als mit Tempo, das lerne ich nun.

Im genießerischen Kriechgang sind wir vom Pfannkuchen- ins Frittatenland gelangt. Eine schwäbische Flädlesuppe oder eine bayerische Pfannkuchensuppe heißt in diesen Gefilden Frittatensuppe. Doch Vorsicht vor voreiligen Schlüssen: Man könnte jetzt ja meinen, ein deutscher Pfannkuchen sei den Österreichern eine Frittate. Aber weit gefehlt, das ist natürlich ein Palatschinken. Die meisten Leute glauben, so einen Pfannkuchen bzw. Palatschinken backen, das könne jeder Depp. Gerade deswegen dürfte ein wirklich guter Pfannkuchen eine Seltenheit sein. Die meisten Rezepte gehen noch auf Omas Erfahrungen zurück, und die waren von Krieg und Not geprägt. Ein Ei stellte in meiner Jugend noch einen richtigen Wert dar, galt teilweise als Zahlungsmittel: »Du gibst mir sechs Eier, und ich nagle dir die Dachrinne wieder ans Haus …«

Für einen Pfannkuchen als Suppeneinlage braucht man tatsächlich etwas weniger Eier. Das Ergebnis darf ruhig ein wenig ledrig sein, denn ein luftiger Pfannkuchen würde sich womöglich in der Brühe auflösen. Auch muss er etwas dunkler gebacken sein, damit er geschmacklich in der Brühe nicht untergeht. Ist der Pfannkuchen aber nicht Einlage, sondern Hauptgericht, sollte man dagegen nicht mit Eiern sparen.

Apfelpfannkuchen

Rezept für 2 Personen

Zutaten

2 Eier

2 EL Mehl

etwas Salz

1/8 l Milch

2 EL zerlassene, gebräunte Butter

1 wohlschmeckender Apfel, geschält und in dünne Scheiben geschnitten

1 TL Butter

1 EL Zucker

2 cl Calvados oder ein anderer Apfelschnaps

Zubereitung

Für den Teig zwei Eier in einen Mixbecher geben und schaumig rühren. Dann so viel Mehl einstreuen, dass zunächst ein dicker Brei entsteht. Eine Prise Salz zugeben und den Teig mit Milch verdünnen, bis er eine leicht flüssige Konsistenz bekommt.

Das große Küchengeheimnis ist, dass man nun zwei Esslöffel heiße, braune Butter mit dem Mixstab unterschlägt. Die Butter sorgt nicht nur für einen unvergleichlichen Geschmack, sondern dient auch als Triebmittel, das dem Pfannkuchen später eine fluffige Konsistenz beschert.

Für einen guten, luftigen Pfannkuchen ist eine beschichtete Pfanne unerlässlich. Die wahren Artisten nehmen eine gut ausgebrannte Eisenpfanne. Wem das nun nichts sagt, der belässt es bei der beschichteten.

In dieser Pfanne nun die Apfelscheiben in Butter hellbraun braten. Etwas mit Zucker bestreuen und wenden, sodass die Apfelscheiben karamellisieren und glänzen.

Die gebräunten Apfelscheibchen gleichmäßig in der Pfanne verteilen und den Pfannkuchenteig darüber verteilen. Das Ganze etwas anbacken lassen und dann mit einem beherzten Schwung den Pfannkuchen auf die andere Seite wenden. Wer diese Art des Wendens nicht beherrscht, nimmt lieber eine etwas kleinere Pfanne und wendet mithilfe einer Bratenschaufel.

Ist der Pfannkuchen gewendet, hebt man ihn mit der Bratenschaufel etwas an und schiebt einen Esslöffel Zucker unter. Bei kräftigem Feuer die Pfanne nun hin und her bewegen, sodass der Pfannkuchen in Bewegung gerät. Wenn man sieht, wie der Zucker karamellisiert und braun wird, muss es schnell gehen. Ein vorbereitetes Schnapsgläschen mit Calvados oder Apfelschnaps über den Pfannkuchen geben. Vorsicht bei offener Gasflamme!

Den Alkohol kurz verdampfen lassen, damit sich das Aroma verdichtet. Den Pfannkuchen auf einen bereitstehenden Teller gleiten lassen, fertig ist die Laube!

Mit diesen Kunstfertigkeiten sind wir schon einen gewaltigen Schritt in Richtung Wiener Mehlspeisen vorgedrungen, von denen später noch ausführlich die Rede sein soll.

Die Wachau

Wir verlassen die Autobahn, um dem Flusslauf der Donau zu folgen. Die Wachau kommt in Sicht und mit ihr das gewaltige Benediktinerkloster Melk, in das mich mein Vater schon als Kind geschleppt hat. Allein die Bibliothek dieses riesigen Bauwerks ist sehenswert. Fast noch in Sichtweite, etwas südlich von Emmersdorf, überqueren wir die Donau, um uns am nördlichen Ufer zwischen Fluss und Weinberge zu schieben. Willendorf zieht vorbei. Den Ort selbst kennen nicht viele, aber die Venus von Willendorf, eine elf Zentimeter kleine Figurine, hat es zu Weltruhm gebracht. Sie zählt zu den bedeutendsten Zeugnissen des Jungpaläolithikums. Die kugelrunde, schwerbrüstige Frau aus Kalkstein hat fast dreißigtausend Jahre auf dem Buckel, und man kann sie – schwer gesichert – im Naturhistorischen Museum der Stadt Wien besichtigen.

Bei schönstem Wetter geht mir das Herz auf. Die Wachau ist eine der lieblichsten und romantischsten Gegenden, die ich kenne. Frühere Weinreisen ließen mich in dieser Idylle schon rasten, dafür ist nun aber keine Zeit, denn die Diktatur geregelter Essenszeiten treibt uns nach Dürnstein. Das Schloss kommt in Sicht, und fast parallel zur Bundesstraße biegen wir auf die steile Zufahrt ein. Mit Augenmaß steuere ich durch das enge Schlosstor. Der Wagen wird im Hof geparkt, die Uhr zeigt »High Noon«, und wir stürzen zum Empfang des Schlosshotels, um uns anzumelden. In dem sicherlich acht Meter hohen Raum nisten in den Ecken Mauersegler. Diese langflügeligen Hochgeschwindigkeitsartisten in einer Empfangshalle sind wahrlich ein seltener Anblick. Mir sind sie irgendwie ein Sinnbild für Frieden, aber auch für Weltoffenheit und intaktes Zusammensein von Mensch und Tier. Das alles nimmt uns gleich zu Beginn sehr für dieses Hotel ein.

Das Gepäck hat noch Zeit, zuerst kommt das Dringendste, nämlich die Beseitigung des für mich ungewohnten Zustands von Hunger. Auf der Terrasse, die hoch und steil über der Donau hängt, geben wir uns einer Flasche Veltliner hin. Ich zupfe etwas Brot und werfe es den Spatzen zu. Drei Tische weiter schnappt sich ein Kellner eine meterlange Schlange, die sich vom warmen Schlossfels in den Schatten der Terrasse gewagt hat. Der Mann hat offensichtlich Übung mit solchem Viehzeug, er hantiert fast beiläufig, und ich will wohl annehmen, dass das Tier keine Giftzähne hat.

Dann wird das Essen aufgetragen, meine Sinne widmen sich dem Teller. Eigentlich geht es mir wie Kaiser Franz Joseph, Tafelspitz könnte ich jeden Tag essen. Wirklich, mit Tafelspitz, und zur Abwechslung mal ein paar Spaghetti, könnte ich ganz gut überleben. Allerdings will ich nicht nur (über-)leben, sondern mindestens hochleben, und dazu braucht es dann schon etwas mehr.

Das gekochte Rindfleisch schmeckt sehr gut und ist bekömmlich, sodass wir uns relativ frisch auf das Zimmer begeben können. Der Ausblick über die Donau hinweg auf das Dörfchen Rossatz versetzt mich fast in Euphorie. Aus reiner Gewohnheit legen wir uns zur Siesta aufs breite Barockbett. Ich gerate unvermittelt in einen schönen Traum, der sich irgendwie mit Richard Löwenherz und seinem Sänger Blondel verschwurbelt.

Als Romantiker und dilettantischer Bogenschütze habe ich über den englischen König einiges gelesen. Die wackeren Ritter des Dritten Kreuzzuges hatten von Sultan Saladin schwer eins auf die Nuss gekriegt und an ihn auch die Heilige Stadt Jerusalem verloren. 1190 hielt Saladin den strategisch wichtigen Hafen Akkon. Der Papst trieb zahlreichen Adel unter Führung von Friedrich Barbarossa, Richard Löwenherz und Philipp II. von Frankreich mit ihren Soldaten ins sogenannte Heilige Land, aber es lief alles recht schlecht. Barbarossa ertrank am 10. Juni im Flüsschen Saleph in der heutigen Südosttürkei. Ein Sterndeuter hatte ihn gewarnt, dass er ertrinken würde, sollte er sich auf den Kreuzzug begeben. Der vorsichtige Barbarossa hatte deshalb den Seeweg vermieden, was aber letztlich sein Schicksal nicht abwendete. Kaiser Barbarossa ruht natürlich mitnichten im Kyffhäuser, wie die Sage berichtet. Man vermutet Teile seiner Gebeine in der Kathedrale von Tyros im Libanon. Jenseits aller guten Küchengerüche sei noch gesagt, dass dem Herrscher die Eingeweide entnommen und mit reichlich Salz konserviert wurden. Später wurde der gepökelte Kaiser, um der Verwesung entgegenzuwirken, noch gekocht – aber wo man ihn begrub? Darüber gibt es so unendlich viele mittelalterliche Berichte, dass letztlich bis heute Verwirrung herrscht. Die Forschungen dauern an.

Der drittälteste Sohn des deutschen Kaisers Barbarossa und seiner wunderbaren Ehefrau Beatrix aus Burgund, Herzog Friedrich VI. von Schwaben, rückte nach. Das Kriegsglück war ihm nicht lange hold, nach seinem Tod befehligte der Österreicher Leopold V. das deutsche Kontingent. Saladin hielt immer noch stand, und die Belagerung von Akkon wurde fortgesetzt. Akkon nennt sich heute Akko und liegt fünfundzwanzig Kilometer nördlich von Haifa. Von der Festung am Meer ist noch einiges erhalten, was vielleicht auch den schweren staufischen Buckelquadern zu verdanken ist, die sich dem Meer heute noch entgegenstellen.

Jetzt aber endlich wieder zurück zum König von England, Richard Lionheart. Gemeinsam mit Philipp II. August, König von Frankreich, und Leopold V., Herzog von Österreich, konnte Richard die Kapitulation von Akkon erreichen. Den öffentlichen Erfolg heimste aber Richard Löwenherz ein. Feldherren und Könige sind ziemlich ausnahmslos Egomanen, und ganz klar, die Herren zerstritten sich. Leopold kam sich ein bisschen untergebuttert vor und reiste grummelnd ab. Um seine Ehre zu sanieren, ließ er den später heimreisenden Richard gefangen nehmen. Richard Löwenherz hatte den Weg nach Wien gewählt, vom Semmering kommend traf er am 21. Dezember 1192 in Erdberg ein. Dieser Wiener Stadtteil zählt heute zum 3. Bezirk und liegt ungefähr zwischen Schloss Belvedere und dem Prater.

Der englische König wurde in Ketten gelegt und auf die Burg Dürnstein geschleppt. Nach einigen Monaten der Haft wurde er an den Staufer Heinrich VI. weitergereicht. Der wackere Engländer wurde nun in der Burg Trifels eingekerkert. Im Grunde handelte es sich um astreines Kidnapping, die Auslösesumme belief sich auf sage und schreibe 22 Tonnen Silber.

Der Sänger Blondel de Nesle, Troubadour und Freund des Königs, begab sich nun auf die Suche nach dem Verschwundenen. Von Burg zu Burg ziehend, sang er Lieder, die nur Löwenherz kennen konnte, hoffend auf ein Zeichen. Dass er vor Dürnstein trällerte, ist eine Legende, wie wahrscheinlich die ganze Geschichte, die aber so schön ist, dass ich sie gerne weitergebe. Immerhin könnte es sein, dass der konspirative Gesang dem englischen König wenigstens Trost und Mut verschaffte. So viel in groben Zügen zu Dürnstein und dem dritten Kreuzzug der 1190er-Jahre, der sich natürlich wesentlich komplizierter zugetragen hat, als ich das hier geschildert habe.

Blondel schreit vor Trifels laut:

Mein König, fahr hurtig aus der Haut,

Werd schwerelos und schwebend,

Komm, wir wollen einen heben.

Im Traum rumpelte das Lied so ungereimt, dass ich unvermittelt aus dem Mittagsschlaf hochschrecke. Es wird auch höchste Zeit, denn vom Dürnsteiner Schloss zieht sich ein schöner Radweg an der Donau entlang bis nach Krems, dem Hauptort der Wachau. Die Räder werden aus dem Auto geholt, die Sättel festgeschraubt, dann geht es los. Der Weg führt zuerst zu den schönen Fassaden der Ortschaft Stein, die nahtlos in jene von Krems übergehen. Die Bausubstanz ist beeindruckend, und so konnte das Qualitätssiegel »Weltkulturerbe« nicht ausbleiben, das übrigens für die ganze Wachau gilt.

Der Hinweg fällt meist leicht, aber wie sagte schon Napoleon an der Beresina: »Mir graut vor dem Rückzug.« So weit lassen wir es gar nicht erst kommen, wir fahren zum Bahnhof, um ein Großraumtaxi zu entern. Das waggoniert uns in etwas mehr als einer Viertelstunde wieder zurück aufs Schloss Dürnstein. Die Räder werden in eine Ecke des Schlosshofes geschmissen, denn um sechs ist ein Tisch in Loiben bestellt.

Nicht zu irgendeinem Gasthaus zieht es uns, es ist der Gastgarten des Weinguts Knoll, der auf uns wartet. Es gibt in Österreich unzählige gute Winzer, zu den zehn Besten aber dürfte das Weingut Emmerich Knoll gehören. Vor dreißig Jahren war ich mal mit einem Gastrosophie- und Weinspezialisten beim alten Emmerich zu Besuch, der heute immer noch jugendlich wirkt. Es war um das Erwägen eines neuen, moderneren Etiketten-Design gegangen. Ich erinnere mich noch genau, dass ich mit der Coca-Cola-Flasche argumentierte, dass man also einen hohen Wiedererkennungswert nicht leichtfertig aufgeben sollte. Der Weinfex und ich, wir waren sicher nicht die Einzigen, die den heiligen Urban nicht sterben lassen wollten. Er wacht in barocker Anmutung heute noch über die Bouteillen.

Wir gehen an den großzügigen Gasträumen entlang, und ein flinker Kellner führt uns an den gedeckten Tisch unter einem Apfelbaum. Hier stimmt alles. Ein üppiger Brotkorb wird auf eine blau karierte Leinendecke gestellt, ich wähle als Vorspeise Kutteln und Kalbsfuß in Weißwein, Elisabeth Spanferkelsülze mit Kernöl und danach mal wieder eine gebratene Forelle mit Blattspinat und Petersilien-Erdäpfeln. Mir wird zum Hauptgang gekochtes Rindfleisch serviert, dazu gibt es Fisolen. Ich muss kurz überlegen, was Fisolen sind, es fällt mir dann aber gleich wieder ein. Hinter dem Wort verbergen sich grüne Bohnen. Die Österreicher haben ganz eigene Bezeichnungen für Lebensmittel, darauf werde ich später noch genauer zurückkommen.

Zum Schluss erfreut uns eine reichhaltige Variation von österreichischem Käse. Bis das alles vertilgt ist, braucht es, sozusagen für den ersten Durst, eine Flasche »Steinfeder«. Die Wachauer Veltlinerweine helfen dem geneigten Trinker mit einer Dreiklassengesellschaft durch jegliche Dürre in der Kehle. Der »Steinfeder« gibt sich leicht, er bringt es kaum über zehn Volumenprozent, er beschwingt und ist letztlich ein Erfrischungsgetränk. Etwas dichter, meist auch mit einer Umdrehung mehr Alkohol, das wäre der »Federspiel«. Damit die Weinjournalisten und Ranking-Trinker sich sozial nach unten abgrenzen können, wird noch die Klassifizierung »Smaragd« gekeltert. Aber Schluss mit überheblicher Ironie, der wirkliche Veltliner-Aficionado landet zwangsläufig beim Gehaltvollsten. Dazu braucht es die besten Lagen, hohes Mostgewicht und auch eine erheblich längere Reifezeit. Alle guten Weingüter lassen ihre Weine bis zum natürlichen Gärstillstand durchgären. Da kommen dann in »Smaragdlagen« gerne mal 14 ruhig stellende Prozente zusammen. Es ist der willkommene Stoff für disziplinierte Genießer, aber auch für Wirkungstrinker.

So, und jetzt gilt es noch, der Wachauer Marille ein Loblied zu singen. Destilliert werden nur die wirklich baumreifen Früchte, die frühestens ab Juni zu haben sind. Was ich sehr liebe, das sind weiche, getrocknete Aprikosen, also Marillen, über Nacht in Aprikosenschnaps eingelegt. Diese dann in einen Topfenteig eingemauert und in Vanillemilch pochiert, das ist das Höchste. Deshalb bestelle ich mir nach dem Käse noch Topfenknödel mit Marillenröster, also mit etwas eingedicktem Aprikosenkompott.

Das Essen alleine sorgt schon für Überschwang, doch die sich flach senkende Sonne, die durch die Obstbäume sprenkelt und helle Flecken auf den Rasen wirft, erinnert mich heftig an den Beginn der modernen Malerei, als Impressionisten mit Pleinair-Malerei die Sonne einfingen. Ich beobachte ein paar Kinder, die auf dem Rasen und zwischen den Obstbäumen herumhüpfen. Was heutzutage selten ist: Sie tollen nicht in Jeans oder Neonklamotten durch die Idylle, sondern in sonntäglichem Häs, mit spitzenbesetzten Kleidchen, ein Bub trägt sogar eine rot gestreifte Fliege. Auch bei den Erwachsenen sehe ich viele Strohhüte und Trachten, sodass ich mich kaum des Eindrucks zu erwehren vermag, mich im 19. Jahrhundert zu befinden. Diesen Glücksmoment versüßt mir ein Glas gelber Muskateller, dann will ich noch eins, und dann möchte Frau Elisabeth auch noch eins, und das setzt sich fort, bis uns der Taxifahrer aus den Träumen reißt und wir gerade noch rechtzeitig einen geordneten Rückzug ins Hotel antreten können.

Die Nacht plagt uns nicht mit Träumen, und der Morgen dringt erst in unser Gemüt, als sich jenseits der Donau die Weinberge von der Sonne in Szene setzen lassen. Wir lassen uns das Frühstück aufs Zimmer bringen. So ein Fürstenzimmer ist natürlich nicht billig, aber unser Beruf verbietet Urlaube, die länger als fünf Tage dauern, und auch das nicht allzu oft. Lieber kurz und schön als lang und fad. Erholung brauchen wir sowieso nicht, und wenn, dann gelingt mir das am besten, wenn ich mein Auge über die Gästeschar der Wielandshöhe schweifen lasse.

Bei Kaiserwetter rollen wir weiter an der Donau entlang, doch bei Krems sticht uns der Hafer, und wir beschließen, das Kamptal hinaufzufahren. Früher zählte das schöne Tal mit den hervorragenden Weinen auch zur Gebietsbezeichnung Wachau.

2003 trat eine neue Weinverordnung in Kraft, das staatlich überwachte Gütesiegel »DAC«, ausgeschrieben wirkt es geradezu schlagwetternd: »Districtus Austriae Controllatus«. Es werden darin für das jeweilige Weingebiet die typischen Weinsorten verankert. Also Kremstal, Kamptal, Traisental, Neusiedler See, Mittelburgenland, Schilcherland (das wäre die Steiermark) und so weiter und so fort. Die typischen Traubensorten der Gegend um die Wachau sind der Grüne Veltliner und der Riesling. Sehr erfreulich hat die Stadt Wien mit ihrem »Gemischten Satz«, auf den wir noch zu sprechen kommen, 2013 auch eine eigene DAC-Banderole an den Flaschen. Alle DAC-Weine müssen den gesetzlichen Vorschriften des Qualitätsweins entsprechen. In Deutschland gibt es ähnliche Regeln. Es sei aber gesagt, dass es auch grandiose Weine außerhalb dieser Bemusterung gibt. Nur entsprechen sie dann nicht der landestypischen Erwartung, sondern oft zum Ärger der Weinkontrolleure beispielsweise einer burgundischen oder Bordeaux-Vinifizierung.

Und vor lauter Weinpredigt wären wir jetzt fast am Weingut Bründlmayer vorbeigefahren. Willi Bründlmayer führt das berühmte Familienweingut zusammen mit seiner Frau Edwige, dem ältesten Sohn Vincent, Thomas Klinger und Andreas Wickhoff, Master of Wine. Sehr ausgeschlafene Leute, die in Weinbergbearbeitung und Kellerwirtschaft auf dem absoluten Stand unserer Zeit sind. Ein exquisites Heurigenlokal wird auch betrieben, und neben der Verkostung der berühmten Weine werden auch drei luxuriöse Gästezimmer bereitgehalten, alles zeigt sich sehr modern und chic. Überhaupt findet man nirgends schmiedeeisernen Mist oder sonstig besoffen machende Applikationen und Verneigungen vor tiefgelegter Touristengeschmacklosigkeit. Diesbezüglich ist die Wachau aber sowieso eine Frischluftoase der gehobenen Lebensart.

Nach dem Rundgang durch das Bründlmayer’sche Gut beschließen wir, noch weiter hinauf im Waldviertel bis an die tschechische Grenze vorzudringen. Auf tschechischem Gebiet, kurz vor Znaim, sichten wir zahlreiche Puffs, aber noch schlimmer, eine monströse Verschandelung der Häuser mit allem, was die Billigbaumärkte im Programm haben und woran man schier erblindet.

Eigentlich hatten wir in Znaim zu Mittag essen wollen. Das Znaimer Gulasch soll hervorragend sein. Dann fiel mir aber ein, dass Essiggurken das Gericht so unverwechselbar machen. Das ist nicht mein Ding. Gibt man eine überflüssige Zutat zu einer Speise, so wird die zwar mehr, aber nicht zwingend besser.

Vor Znaim flüchtend kommen wir an einem Erlebnispark vorbei, bei dessen Anblick meine Frau Schmerzensschreie ausstößt. Mit sinkendem Mut und steigendem Hunger kehren wir nach Österreich zurück, wo nach einigen Kilometern eine Wirtschaft mit dem seltsamen Namen »Hausgnost – Gasthaus an der Kreuzung« unsere Aufmerksamkeit erregt.

Ein ganz normales Gasthaus, aber mit einer Küche, dass wir aus dem Staunen gar nicht rauskommen. Wir starten mit zwei Bier, wie immer, dann kommen eine Literflasche Veltliner und eine große Flasche Mineralwasser. Als Autofahrer verdünne ich mir den Wein mit Mineralwasser, hier nennt man das »einen Gespritzten«. Aber ein Glas muss ich natürlich ohne probieren und bereue es nicht. Der Veltliner ist hervorragend, als leichter Landwein deklariert, und der ganze Liter kostet nur 9,20 Euro. Darauf folgt als kulinarische Eröffnung eine Spargelsülze, die Sterneniveau hat, aber von der Portionsgröße her Handwerkerwünschen entspricht. Die Sülze kostet gerade mal 6,20 Euro. Mir ist ein Rätsel, wie der Wirt überlebt, und das anscheinend schon lange. Als Hauptgang wird uns Schulterscherzl serviert, durchwachsene Rinder- oder Ochsenschulter, in Brühe zart gekocht. Zum Abschluss wird ein Kännchen Mocca geordert, und, als die Rechnung kommt, steht für zwei rundum gesättigte Schwaben die Zahl 56 auf dem Zettel. Schnäppchen, Rabattgeilheit und Ähnliches sind gar nicht unser Ding. Trotzdem erfreut es, wenn der Geldbeutel mal geschont wird. Ja, auf dem platten Land lässt es sich in Österreich gut leben.

Wir fahren aus der Ortschaft Guntersdorf hinaus und biegen nach einigen Kilometern auf einen Feldweg ein. Die Decke wird herausgeholt, und wir geben uns einer kurzen Siesta hin. Dann überlegen wir, wie unsere Reise weitergehen soll. Eigentlich wollen wir möglichst schnell nach Wien, aber das ist nicht so einfach. Wir sind mitten im sanft hügeligen Weinviertel mit seinen ins Erdreich eingegrabenen Weinkellern. An kleinen Abhängen und Wegen reiht sich ein weiß gekalktes Häuschen an das andere. Es sind sogenannte Presshäuser, sie beherbergen die Weinpresse und alles, was man zur Weinherstellung benötigt. Dahinter zieht sich der Weinberg bis zur nächsten Parzelle, dazwischen lassen kleine Pfade die Herzen von Wanderfreunden höherschlagen.

Wir entschließen uns, an der Hauptstraße nach Wien kurz in Hollabrunn zu rasten. Wenn wir nicht so gehfaul wären, könnte man den Hollabrunner Kellerkatzenweg abschnüren. Katzentatzen markieren den Pfad, der auf vier Kilometern zu 190 Weinkellern führt. In den Kellergassenhäuschen lagerte im Dachstuhl einst auch das Korn, und zahlreiche Katzen hielten die Mäuse dezimiert. Kellerkatze bezeichnet hier aber noch etwas anderes: In den Ritzen der tiefen Keller bildet sich mit den Jahren ein schwarzer, samtener Schimmelteppich. Dieser sorgt für ausgeglichene Feuchtigkeit der oft riesigen, in den Löss gegrabenen Gewölbe und heißt Kellerkatze.

Nach dem kurzen Schlenker über Hollabrunn geht es weiter, der Weg führt uns auf einer bequemen Straße über Stockerau nach Klosterneuburg, das einen Halt wert wäre. Uns drängt es jedoch zügig weiter zu unserem eigentlichen Ziel, wo ein ganz besonderes Hotel auf uns wartet.

Das Hotel Sacher

Wer sich in Wien überhaupt nichts anschauen möchte, sich gar nicht bewegen will, wer Wien ganz aus dem Clubsessel zu erfahren sucht, der könnte in diesem Hotel trotzdem so ziemlich das ganze Wesen der Stadt erfühlen. Die Geschichte des Hauses ist sehr mit der Kaiserzeit verbandelt. Dementsprechend ist das Interieur einem Palasthotel gemäß, nicht modern, aber mit allen technischen Annehmlichkeiten trotzdem perfekt. Sicher gibt es Leute, die für einen Aufenthalt in diesem feinen Kokon kein Geld übrig haben, und alle Welt redet heute ja vom Preis-Leistungs-Verhältnis. Trotz der Zimmerpreise von 350 Euro aufwärts nenne ich das Hotel günstig, denn es wird viel geboten. Ungefähr auf jeden Gast kommen zwei geschulte Fachkräfte, nicht irgendwelche Jobber. Ein Besuch im Hotel Sacher ist unvergesslich und für mich ergiebiger als 14 Tage an irgendeinem Strand abzuhängen. Aber was red ich, des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

Als 15-Jährigen führte mein Vater mich und meinen Bruder ins Restaurant des Sacher im ersten Stock. Damals erfuhr ich schon, wo in Sachen Tafelspitz der Hammer hängt. Der Vater reiste jährlich nach Wien, um dem Frauenkloster und Mädchenpensionat Sacré Cœur Bericht zu erstatten. Die verstorbene Mutter einer Klosterschwester hatte meinen Vater mit der Testamentsvollstreckung und der Verwaltung ihres Hauses in Schwäbisch Gmünd beauftragt, das mit ihrem Tod an das Kloster überging. So geriet ich schon als junger Kerl in den Bannkreis dieser phänomenalen Stadt.

Im Salon des Hotels Sacher

Ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Bruder und ich, mit kurzen, weißen Hemdchen veredelt, die am Kragen von einer Krawatte zusammengehalten waren, durch das Portal des Hotels Sacher schritten. Die Krawatten hatte Vater gleich ums Eck im Herrenbekleidungsgeschäft Jungmann & Neffe gekauft. Das Geschäft gibt es noch heute, und es hält Bekleidung und Accessoires für den Herren in einer Auswahl bereit, die dem Angebot der Läden in der Londoner Jermyn Street nicht nachstehen.

55 Jahre später fahre ich mit unserem zerschrammten VW vor das Portal des Sacher, und Frau Elisabeth und ich werden empfangen, als wären wir ein Königspaar. Illusionen zu verkaufen, dürfte der wichtigste Punkt sein, den ein Gastronom schon immer erfüllen musste.

Die Empfangshalle des Hotels ist nicht groß, aber von erlesenstem historischem Interieur. Da ziehe ich mir doch lieber gleich ein Jackett an, während die Wagenmeister – Männer im tressenbesetzten, Sacher-roten Uniformrock und mit Zylinder – Fahrräder und Koffer entladen. In warmem Kardinalsrot tun die hilfreichen Mannen ihren Dienst und geleiten uns zum Empfang. Elisabeth meldet uns an, ich begutachte derweil den unglaublich schönen Marmorboden, der sich in der Mitte des Raumes mit schwarzem Stein zu einem ziselierten Stern vereinigt.

Das Innere des Hotels zieht mich magisch an, und ich nase den anschließenden Salon aus, der mit vorherrschender Wandbespannung aus rotem Seidendamast alle Sorgen, Hektik und Lärm vor der Türe draußen vergessen lässt. Man sollte ja glauben, dass solches Karminpigment irgendwann in den Augen schmerzt, aber tatsächlich sendet es eine strahlende Fröhlichkeit aus.

Wo bleibt die Frau? Ich gehe zurück in die Empfangshalle und stelle fest, dass sie sich von den charmanten Concierges nicht losreißen kann. Es gibt ja Leute, die haben vor solch feudalen Kästen erhebliche Schwellenangst. Dafür gibt es hier keinen Grund, die Herren am Empfang sind einfach hilfsbereit, wissend, warmherzig, trotzdem zurückhaltend und korrekt, sodass das Zuhausefühlen sofort eintritt. Oder – eigentlich doch nicht, denn hier sieht es gar nicht aus wie zu Hause, und wir fühlen uns auch gar nicht so. Es gab mal einen Wirt, ich glaube, ich war es, der sagte: »Liebe Gäste, ihr sollt euch nicht wie zu Hause fühlen, nein, keineswegs, sondern viel besser sollt ihr euch fühlen, sonst hättet ihr ja gleich daheimbleiben können.«

Vom Empfang gelangt man durch den bereits erkundeten roten Salon zu den Aufzügen. In modernen Vertreterhotels nennt man diesen Raum Lobby, doch was für ein krudes Wort für einen opulenten Salon im Grande-Dame-Stil mit dezent erhellenden Kronleuchtern. Der Aufzug verhilft uns ohne Herzkasperl und Keuchen hinauf ins vierte Stockwerk. Zimmer kann man das Gemach nicht nennen, das wäre ein bisschen zu mickrig angedeutet. In solcherart Räumlichkeit könnte man in Deutschland würdevoll Bundesverdienstkreuze ausloben. Alles ist in gedecktem Weiß gehalten und sonnendurchflutet.

Für mich zählt dieses Hotel zum Weltkulturerbe, auf alle Fälle ist es eine Weltmarke, eine Firma, die sich widrigsten Zeiten seit 1876 entgegenstemmte und heute glänzender dasteht als je zuvor. Das alles ist von Beginn an einer tüchtigen Frau zu verdanken: Anna Fuchs zählte gerade mal zwanzig Lenze, als sie, die Tochter eines Fleischhauers aus der Leopoldstadt, den Dienst als Hilfskraft im Hotel Sacher antrat. Dort arbeitete sie vier Jahre, in deren Verlauf sie sich als resolute, hervorragend koordinierte Kraft unentbehrlich machte und nicht nur aus diesen Gründen die Aufmerksamkeit des Sacher-Chefs Eduard erregte.

Die beiden ehelichten 1880, die Wiener Häme- und Tratschgesellschaft spottete über die Liaison von Metzgerstochter, vulgo Tafelspitz, und Sachertorte. Zwölf Jahre später starb der Gatte reichlich verfrüht. Mit 33 Jahren stand nun Anna Sacher dem Hotel vor. Als ein Gast sich einmal nach dem Direktor erkundigte, bekam er von Madame den Satz an den Kopf geworfen: »Der Herr im Hause bin ich!«

Die Witwe lebte nach Feierabend im Grünen, im südlich von Wien gelegenen Baden. Täglich fuhr sie mit dem Fiaker zur Arbeit und ließ zwischenzeitlich bis zu hundert französische Bulldoggen in der Obhut eines Bediensteten. Tierliebe rangierte bei ihr vor Menschenfreundlichkeit, für ihre Gäste blieb jedoch reichlich Empathie, was dem Hotel eine stabile Blüte bescherte.

Lange Zeit galt das Sacher als das konservativste Hotel Wiens. Bis zum Ersten Weltkrieg achtete die Witwe streng auf die Auswahl der Gäste. Manche schlugen dort für Wochen und Monate ihre Zelte auf. Nicht nur der Hochadel und reiche Offiziere nächtigten unter der Obhut der zigarrenrauchenden Witwe. Diskretion war obligat, und die nutzte beispielsweise sehr häufig der Theatermann Max Reinhardt. Auch kuriose Vögel hielten hier Hof. Erzherzog Otto, »der Schöne« genannt, war bekannt für unzählige Frauenaffären und reizte die Sacher-Gastlichkeit bis aufs Äußerste. Als Neffe des Kaisers, des jüngeren Bruders des späteren Thronfolgers Franz Ferdinand, der in Sarajewo erschossen wurde, leistete er sich einmal ein ganz besonderes Highlight. Eines Abends champagnisierte »der schöne Otto« mit Ballettmädchen in einem Sacher-Separee. Es ging hoch her, was dem Kaiser zu Ohren kam. Der strenge Regent ließ einen Befehl depeschieren, der Neffe möge unverzüglich in die Hofburg kommen, unverzüglich, »grad so, wie er ist!«. Daraufhin marschierte ein schön und groß gewachsener Herr in Reitstiefeln, mit dem Orden vom Goldenen Vlies um den Hals, mit umgehängtem Degen und weißen Handschuhen über die Ringstraße. Die genannten herrschaftlichen Devotionalien hatte er angelegt, aber ansonsten strahlte er splitterfasernackt wie einst Adam im Paradies. Man kann nachvollziehen, dass der Kaiser dieses Hotel nie betreten hat. Auch wenn man annehmen kann, dass dieser Vorfall zu den Legenden zählen könnte und der schrecklich verleumderische Wiener Klatsch dafür Pate stand.

Dass Karl Kraus sich hier oft als Stammgast zeigte, ist hingegen belegt. Für ihn war ein Essen im Sacher eine Möglichkeit, die Realität der sogenannten besseren Gesellschaft ins scharfe Auge zu fassen. Wobei das Hotel keineswegs nur Wünsche der k.u.k.-Oberschicht bediente. Alleine speisenden Frauen wurde ebenfalls guter Service geboten, in der damaligen Zeit galt das als sensationell. Aber Achtung, ich las auch, dass die zigarrenrauchende Despotin Anna Sacher alleine reisende Frauen nicht akzeptierte. Wahrscheinlich ist das aber nur ein weiteres Wiener Gerücht, und dazu fällt mir eine Notiz von André Heller ein, der – seinen im Konzerthaus schmorenden Vater zitierend – sich das Herz immer mit einem Whiskyflachmann schützte und Wahrhaftiges röchelte: »Man kann sich, wenn man unter die Wiener geraten ist, gar nicht genug desinfizieren.«

Die lange Wirtschaftskrise von 1873 bis 1896 überstand das Hotel mit einigen Blessuren. Der verlorene Erste Weltkrieg war jedoch ein echter Schlag ins Kontor. Das reiche, kultivierte Wien rekrutierte sich ungefähr zu achtzig Prozent aus jüdischen Handels-, Industrie- und Bankermagnaten. Allesamt von Fahnentreue zum Kaiser geprägt, hatten viele sich zu Kriegsanleihen hinreißen lassen, und so verloren fast alle wohlhabenden Bewohner der Ringstraßenpalais ihr Vermögen. Man konnte nicht mehr von Rezession oder Bankrott sprechen, was da stattfand, wäre mit Vernichtung treffend bezeichnet.

Dem Hotel Sacher war damit ein großer Teil der Klientel weggebrochen, was die eigentlich seelenstabile und tüchtige Hoteliersfrau in Depressionen drückte. Sie verlor jeden Elan und auch irgendwann die Übersicht. Mit sich und der Welt hadernd, umgeben von dichtem Zigarrenqualm, verließ sie nur noch ungern ihr Büro. Erst nach ihrem Tod 1930 wurde bekannt, dass das Haus hoch verschuldet war, vier Jahre später ging es in Konkurs.

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