Ein feuriger Gentleman - Stephanie Laurens - E-Book

Ein feuriger Gentleman E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

So verführerisch, heiß und sinnlich wie ein knisterndes Kaminfeuer!

Seit einem schrecklichen Skandal will Lady Clarice von Männern nichts mehr wissen und vergräbt sich in einem Haus auf dem Land – bis Jack Warnefleet in ihr Leben tritt. Auf den ersten Blick erkennt der attraktive Exspion in Clarice die Frau, die er heiraten will. Doch die eigenwillige Schönheit denkt gar nicht daran, willenlos in seine Arme zu sinken – obwohl Jacks sinnliche Verführungskünste ungeahntes Begehren in ihr wecken …

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Seitenzahl: 708

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »A Fine Passion« bei Avon Books, an imprint of HaperCollinsPublishers, New York.
Deutsche Erstausgabe Juli 2012 bei Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, MünchenNeumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © 2005 by Savdek Management Proprietory Ltd.
Published by arrangement with Avon, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC. Copyright © 2012 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe, München Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von r.nagy/Shutterstock und von Chris Cocozza Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Redaktion: Friederike Arnold LH ∙ Herstellung: sam
ISBN 978-3-641-09986-2V003
www.blanvalet.dewww.penguinrandomhouse.de

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Copyright

1

Anfang MaiDorf Avening, Gloucestershire

Apfelblüten im Frühling.

Julius  – genannt Jack  – Warnefleet, Baron Warnefleet of Minchinbury, zügelte sein Pferd auf der Anhöhe über dem Tal von Avening und blickte zu dem von rosa und weißen Wolken eingerahmten Herrenhaus: Avening Manor. Sein erster Blick auf sein Zuhause seit sieben Jahren hätte ruhig anders ausfallen können.

Apfelblüten erinnerten ihn immer an Bräute.

Nachdem er einen letzten leicht grimmigen Blick auf die Blütenpracht geworfen hatte, schnalzte er mit den Zügeln, sodass sein grauer Wallach Challenger sich wieder in Bewegung setzte und den lang gezogenen Hügel hinabschritt. Alles, so hatte es den Anschein, hatte sich verschworen, ihn an sein Versagen zu erinnern, daran, dass er keine Braut gefunden hatte.

Avening Manor war den größten Teil seines Lebens ohne Herrin gewesen. Seine Mutter war gestorben, als er sechs Jahre alt war, und sein Vater hatte nicht wieder geheiratet.

Jack hatte die vergangenen dreizehn Jahre für König und Vaterland gekämpft, allerdings beinahe die ganze Zeit hinter den feindlichen Linien in Frankreich. Nach dem Tod seines Vaters vor sieben Jahren war er kurz nach Hause zurückgekehrt, aber nur für zwei Tage, gerade lange genug für die Beerdigung und um die Verwaltung des Besitzes in die fähigen Hände des alten Griggs zu legen, dem Gutsverwalter seines Vaters. Danach hatte er sich wieder heimlich über den Ärmelkanal nach Frankreich davonmachen müssen, wo er verschiedene Aufgaben übernommen hatte, um den französischen Handel und die Handelsbeziehungen zu stören und so dem französischen Staat Lebensblut abzuzapfen und ihn dadurch zu schwächen.

Die meisten Leuten nahmen nicht an, dass ein Major der Garde sich mit so etwas abgab.

Zusammen mit einer Gruppe hervorragender Offiziere hatte er unter einem geheimniskrämerischen Mann gearbeitet, der ihnen unter den Namen Dalziel bekannt und für alle englischen Geheimeinsätze auf fremdem Boden verantwortlich gewesen war. Weder Jack noch einer der anderen sechs Offiziere wusste, wie viele Agenten Dalziel befehligt hatte oder wie weit ihre Einsatzgebiete sich erstreckt hatten. Sie wussten jedoch, dass ihre Unternehmungen dazu beigetragen hatten, ja eine wesentliche Rolle bei dem endgültigen Sieg über Napoleon gespielt hatten.

Aber die Kriege waren nun vorüber. Zusammen mit seinen Freunden hatte sich Jack aus dem Schlachtgetümmel zurückgezogen und wollte nun sein bürgerliches Leben wieder aufnehmen. Vergangenen Oktober hatten er und seine sechs Mitstreiter, die alle mit Titel, Vermögen und der damit einhergehenden Verantwortung gesegnet waren und aus ebendiesen Gründen dringend eine Ehefrau benötigten, sich zum Bastion Club zusammengeschlossen  – einem Bollwerk gegen die Ehestifterinnen der ton, der guten Gesellschaft, eine Festung, von der sie auszogen, um mit dem Drachen der feinen Gesellschaft zu kämpfen und die holde Jungfer zu erobern, die sie sich wünschten.

Das wenigstens war ihr Plan gewesen. Allerdings war es nicht ganz so gekommen.

Tristan Wemyss war über seine Zukünftige gewissermaßen gestolpert, als er die Einrichtung des Hauses beaufsichtigte, das nun der Bastion Club war. Kurz darauf war Tony Blake praktisch noch buchstäblicher über seine Braut und einen Leichnam gestolpert. Charles St. Austell, der der Hauptstadt und seinen allzu hilfreichen weiblichen Verwandten entkommen wollte, hatte seine jetzige Frau in dem Haus seiner Vorfahren gefunden. Und jetzt war auch Jack auf der Flucht aus London, allerdings nicht wegen irgendwelcher weiblichen Verwandten.

Das Rattern von Kutschenrädern drang an seine Ohren. In einiger Entfernung konnte er eine schwarze Kutsche erkennen, die auf der Straße von Cherington fuhr. Sie überquerte die Kreuzung an der Straße nach Tetbury, der Jack folgte, und entfernte sich in Richtung Westen nach Nailsworth.

Jack fragte sich, wem die Kutsche wohl gehörte, aber er war zu lange nicht hier gewesen, als dass er eine Ahnung gehabt hätte, wer dieser Tage wen in dieser Gegend besuchte.

Bei seiner Rückkehr nach England hatte er entscheiden müssen, um welche der Dinge, für die er die Verantwortung trug, er sich zuerst kümmerte. Er war ein Einzelkind. Der Tod seines Vaters hatte ihn zum Besitzer und damit zum Alleinverantwortlichen von Avening gemacht. Natürlich kannte er den Besitz von der Pike auf  – er war hier geboren und aufgewachsen, in diesem grünen Tal im nordwestlichen Teil der Cotswolds. Avening hatte sich in den besten Händen befunden; er vertraute Griggs, so wie sein Vater vor ihm. Wesentlich dringlicher hatte er sich mit den verschiedenen Beteiligungen und verstreuten Besitzungen befassen müssen, die er völlig unerwartet von seiner Großtante Sophia geerbt hatte.

Seine Mutter war die Tochter eines Earls gewesen und sein Vater der Enkel eines Herzogs. Großtante Sophia war eine exzentrische alte Jungfer gewesen, einer der zahllosen Zweige im Familienstammbaum seines Vaters. Ihr Steckenpferd war es gewesen, ihr Vermögen zu mehren. Obwohl Jack sich nur daran erinnern konnte, sie zweimal in seinem Leben getroffen zu haben, hatte Großtante Sophia ihm bei ihrem Tod vor zwei Jahren einen beachtlichen Teil ihres Reichtums vermacht.

Als er nach England zurückgekehrt war, war es unumgänglich gewesen, sich über seine neuen Besitztümer und seine Investitionen zu informieren. Pflichtbewusst hatte er die tief verwurzelte Sehnsucht hintangestellt, nach Avening zu fahren  – um sich zu vergewissern, dass alles beim Alten war, dass nach all den Jahren sein Zuhause immer noch so war wie in seiner Erinnerung. Stattdessen hatte er die letzten sechs Monate der Aufgabe gewidmet, sich einen Überblick über seine Erbschaft zu verschaffen und daraus einen Besitz zu machen, der sich anständig verwalten ließ.

Obwohl er nun mehrere elegante Landhäuser besaß, bildete Avening immer noch den Mittelpunkt, dort war sein Zuhause, dorthin gehörte sein Herz.

Deshalb war er jetzt hier und ritt langsam die Straße entlang, während er mit seinen matten Sinnen die schmerzlich vertraute Umgebung wahrnahm, die eine lindernde Wirkung auf seine innere Unruhe, auf seine vage Unzufriedenheit, den dumpfen, aber hartnäckigen Schmerz in seinem Kopf entfaltete.

Die Unruhe und die Unzufriedenheit waren seiner Unfähigkeit geschuldet, eine passende Braut zu finden. Er hatte beschlossen, in den sauren Apfel zu beißen. Während er in London mit dem Ordnen der Erbschaft beschäftigt gewesen war, hatte er sich in der guten Gesellschaft umgesehen. Sobald die Saison begonnen hatte, hatte er angenommen, an passenden jungen Damen werde kein Mangel herrschen. Denn schließlich ging es bei dem Heiratsmarkt ja darum, nicht wahr? Stattdessen hatte er feststellen müssen, dass zwar süße und auch weniger süße Damen die Wege, Parks und Ballsäle zuhauf bevölkerten, solche Frauen jedoch, von denen er sich vorstellen konnte, sie zu heiraten, nirgends zu finden waren.

Er hätte gesagt, er sei wohl zu alt und zu wählerisch, aber er war erst vierunddreißig, in bestem heiratsfähigem Alter für einen Gentleman, und er hatte keine besonderen Ansprüche an das Äußere möglicher Gattinnen. Klein oder groß, blond oder brünett, es war ihm alles gleich  – was zählte war, dass sie fraulich waren, weiche, süß duftende Haut, weibliche Rundungen hatten und wenn sie dann unter ihm lagen, ihnen diese leisen atemlosen Seufzer über die vollen Lippen kamen. Es sollte nicht allzu schwer sein, ihn zufriedenzustellen.

Doch zu seiner Enttäuschung hatte er herausgefunden, dass er die Gesellschaft von jungen Damen nicht länger als fünf Minuten ertrug. Danach begann er sich derart zu langweilen, dass es ihm schon schwerfiel, sich nur an ihre Namen zu erinnern. Aus Gründen, die er nicht begriff, besaßen sie alle nicht die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit zu erregen, geschweige denn zu fesseln. Unweigerlich begann er nur Minuten nach der Vorstellung nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen.

Darin war er gut; oder wenigstens hatte er das gedacht, bis er Miss Lydia Cowley kennengelernt hatte und ihren Drachen von Tante.

Miss Cowley war die Tochter eines wohlhabenden Fabrikbesitzers, deren Tante Verbindungen zum Adel in den Midlands hatte. Jack hatte an Miss Cowley wenig gefunden, das ihn interessierte. Im Gegenzug hatten Miss Cowley und ihre Tante allerdings eine Menge an ihm entdeckt, was sie interessierte.

Sie hatten versucht, ihm eine Falle zu stellen. In Gedanken woanders, hatte er die Gefahr erst bemerkt, als es schon zu spät war. Aber sobald er sich bewusst war, was vor sich ging, hatten seine perfekt entwickelten Überlebensinstinkte die Herrschaft übernommen, ebenjene Instinkte, die ihn am Leben gehalten und dafür gesorgt hatten, dass er bis zum Ende unter den Feinden unentdeckt geblieben war. Sie hatten gedacht, sie hätten ihn mit Miss Cowley allein in einen Salon im ersten Stock gelockt, doch als ihre Tante mit Lady Carmichael als unbeteiligte Zeugin an ihrer Seite dort eintrat, war der Salon leer und verlassen gewesen.

Verwirrt und verärgert hatte die Tante sich zurückgezogen, um nach ihrer vermissten Nichte zu suchen.

Allerdings hatte sie nicht aus dem Salonfenster geblickt, auf den schmalen Mauervorsprung an der Hauswand, wo Jack Miss Cowley an sich drückte, der schier die Augen aus dem Kopf traten, während er ihr den Mund zuhielt.

Zwei Stockwerke über dem Boden hatte er mit ihr dort gestanden, lautlos und in tödlicher Gefahr, mit unsicherem Halt unter den Füßen. Nachdem sich die Tür zum Salon wieder geschlossen hatte und die sich entfernenden Schritte verklungen waren, hatte er das Fenster von außen wieder geöffnet, sie ins Zimmer gehoben und losgelassen.

Bevor sie den Salon fluchtartig verließ, hatte sie ihn mit weit aufgerissenen Augen angestarrt und eine hastige Entschuldigung gestammelt. Er machte sich nicht die Mühe, zu verbergen, dass er begriffen hatte, was hier gespielt wurde, oder was er darüber dachte.

Er hatte alle weiteren gesellschaftlichen Verpflichtungen abgesagt und sich in den Club zurückgezogen, um über seine Lage zu grübeln. Aber dann hatte Dalziel eine Nachricht geschickt, dass Charles in Cornwall Hilfe brauchte. Diese Botschaft war ein Geschenk des Himmels. Er hatte seine Erbschaftsangelegenheiten geregelt, und als alles erledigt war, hatte er beschlossen, dass sich seine Heiratspläne auch erledigt hatten. Zusammen mit Gervase Tregarth, einem weiteren Clubmitglied, hatte er London den Rücken gekehrt und war nach Cornwall geritten, zurück in die Welt, die er verstand.

Obwohl der Einsatz in Cornwall von Erfolg gekrönt gewesen war, hatte er einen bösen Schlag auf den Kopf bekommen, seine bisher schlimmste Verletzung. Sobald der Bösewicht überwältigt und ausgeschaltet und Charles wieder zu Hause war, reiste er mit immer noch schmerzendem Kopf nach London, um sich von Pringle untersuchen zu lassen. Der erfahrene Feldchirurg, den die Mitglieder des Bastion Club gewöhnlich konsultierten, hatte ihm mitgeteilt, dass er den Schlag nur aufgrund seines dicken Schädels überlebt habe. Sonst sei nichts ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen, und in ein paar Wochen sei er wiederhergestellt.

Er blieb noch ein paar Tage länger im Club, schloss die letzten Geschäfte ab und kehrte wieder nach Cornwall zurück, rechtzeitig zu Charles’ Hochzeit.

Sie hatte vor zwei Tagen stattgefunden. Er war nach dem Hochzeitsfrühstück aufgebrochen, war durch Dartmoor nach Exeter geritten und hatte schließlich die Straße nach Bristol genommen. Dort hatte er Rast eingelegt und übernachtet. Heute am frühen Morgen war er aufgebrochen, um über die Landstraßen den restlichen Weg zu seinem Haus zurückzulegen.

Vor sieben Jahren hatte er die Sandsteinfassade des Herrenhauses zum letzten Mal gesehen und zugeschaut, wie die im Westen untergehende Sonne sie mit Gold überzog. Er wusste genau, wohin er seine Augen richten musste, um durch die Bäume, die die Auffahrt und die Obstgärten säumten, einen Blick auf die Giebel des Hauses zu erhaschen. Der Geruch von Apfelblüten hüllte ihn ein. Auch wenn er die Blüten mit Hochzeiten und Bräuten verband, bedeuteten sie für ihn vor allem eines: Heimat. Sein Herz schlug schneller, und seine Mundwinkel hoben sich, als er die Kreuzung erreichte, die die Straße nach Tetbury mit der nach Cherington und Nailsworth verband.

Zu seiner Linken lag das Dorf Avening. Er lenkte Challenger nach rechts. Er reckte den Kopf und drückte dem kräftigen Pferd die Hacken in die Flanken, galoppierte langsam die Straße entlang.

Voller Vorfreude nahm er die Kurve.

Ein kleines Stück vor ihm lag ein umgeworfener Phaeton am Straßenrand.

Das Pferd, das davor gespannt war, war so verschreckt und panisch, dass es nicht zu zügeln war; es versuchte sich aufzubäumen und scherte sich nicht weiter um die junge Dame, die seine Zügel umklammerte und sich bemühte, es zu beruhigen.

Jack erkannte die Lage auf einen Blick. Mit sich verhärtenden Zügen trieb er Challenger zu schnellerem Tempo an.

Jede Sekunde würde das gefesselte Tier ausschlagen  – und die Dame treffen.

Sie hörte das Dröhnen nahenden Hufschlags und blickte flüchtig über ihre Schulter.

Die Augen fest auf das verängstigte Pferd gerichtet, sprang Jack praktisch aus dem Sattel. Er schob die Dame aus dem Weg und fasste  – gerade als das Tier ausschlug  – nach den Zügeln.

»Oh!« Die Dame stürzte seitlich, landete in dem weichen Gras auf der anderen Seite des Straßengrabens.

Jack duckte sich, aber der eisenbeschlagene Huf streifte seinen Kopf  – genau an der Stelle, an der der Hieb ihn getroffen hatte.

Er fluchte, dann biss er sich fest auf die Lippe. Er blinzelte, bis der Schmerz nachließ, wich aus, damit er nicht umgestoßen wurde, griff nach dem Zaumzeug über dem Mundstück und übte genug Kraft aus, dass das Tier begriff, dass es keine Chance hatte. Jack redete leise und beruhigend auf das Pferd ein und versicherte ihm, dass die Gefahr vorüber war.

Der junge Braune stampfte mit den Hufen, schüttelte den Kopf. Jack ließ nicht locker und sprach weiter. Allmählich beruhigte sich das Tier.

Jack blickte rasch zu der Frau. Als er hergeritten war, hatte er sie nur von hinten gesehen  – sie hatte üppiges mahagonifarbenes Haar, das sie elegant geflochten und im Nacken zusammengerollt trug. Sie hatte ein pflaumenfarbenes Tageskleid an und war ungewöhnlich groß.

Sie lag ausgestreckt auf dem Rücken im Gras und richtete sich gerade auf die Ellbogen auf. Ihre Blicke trafen sich über den Graben hinweg.

Ihr Gesicht war von klassischer Schönheit.

Sie warf ihm mit ihren dunklen Augen einen finsteren, zornigen Blick zu.

Jack blinzelte. Sie sah aus, als wollte sie ihn am liebsten in Stücke reißen, wenigstens im übertragenen Sinn, und zwar je früher, umso besser. Er hätte noch einmal genauer hingesehen, aber das Pferd scheute, war immer noch nervös. Deshalb wandte er ihm seine Aufmerksamkeit zu und redete wieder beruhigend auf das Tier ein.

Aus den Augenwinkeln erhaschte er einen Blick auf die Unterröcke und die schlanken Fesseln, als die Dame sich erhob. Er sah wieder zu ihr, aber sie schaute nicht in seine Richtung, sondern sprang über den Graben und ging rasch an die Seite des umgeworfenen Wagens.

Jack fiel auf, dass der Fahrer nirgends zu sehen war.

»Ist er bei Bewusstsein?«

Nach einem Moment antwortete sie:

»Nein.« Die Kutsche schwankte, als sie vergebens versuchte, sie anzuheben. »Er ist eingeklemmt. Sein Bein ist gebrochen und ein Arm vermutlich auch. Sobald das Pferd ruhig genug ist, werden Sie mir helfen müssen, ihn herauszuholen.«

Zu Jacks Erleichterung war aus ihrer Stimme keine Aufgeregtheit, geschweige denn Hysterie herauszuhören. Ihre Worte klangen forsch und ihr Ton so, als sei sie es gewohnt, Befehle zu erteilen, als erwartete sie nichts anderes, als dass man tat, was sie verlangte.

Er schaute zum Pferd.

»Ich kann das Pferd nicht loslassen, es ist noch zu nervös, aber jetzt können Sie es gewiss wieder halten. Kommen Sie und nehmen Sie die Zügel, und ich befreie den Fahrer.«

Die junge Dame richtete sich auf. Die Hände in die Hüften gestemmt, kam sie um den umgeworfenen Phaeton herum und blieb ungefähr eineinhalb Meter vor ihm stehen, betrachtete ihn aus ihren dunklen zusammengekniffenen Augen. Ihre rubinroten Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst, während sie ihr zartes Kinn energisch reckte.

Er hatte recht gehabt; sie war groß, nur ein paar Zentimeter kleiner als er.

»Seien Sie nicht albern.« Sie betrachtete ihn abschätzig. »Sie können die Kutsche nicht allein anheben und ihn gleichzeitig darunter hervorziehen.«

Jack kniff nun seinerseits die Augen zusammen. Schmerz durchbohrte seinen Kopf. Sein Tonfall war arrogant, als er erwiderte:

»Nehmen Sie einfach die Zügel und überlassen Sie den Rest mir.«

Er hielt ihr die Zügel hin.

Sie unternahm keine Anstalten, sie zu nehmen, sondern blickte ihm in die Augen.

»Spannen Sie das Pferd aus.« Ihre Worte waren ein knapper Befehl. »Wenn es erneut in Panik verfällt, werde ich es nicht halten können, und wenn es den Phaeton weiterzieht, dann wird der Fahrer noch schlimmer verletzt.« Sie drehte sich wieder zu dem Phaeton um. »Oder vielleicht lassen Sie ja die Kutsche fallen, nachdem Sie sie angehoben haben.«

Jack biss sich auf die Zunge und schluckte mannhaft seine alles andere als höfliche Erwiderung herunter. Nur weil sein Kopf pochte, sagte er sich, hatte er nicht selbst daran gedacht, das Pferd auszuspannen.

Während er das Tier leise murmelnd beschwichtigte, zog er so weit die Zügel heraus, dass er das Geschirr auf der einen Seite aufschnallen konnte. Die junge Frau kam zurück und machte sich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, an den Schnallen auf der anderen Seite zu schaffen. Sie löste die Lederstreifen, und er musterte dabei ihr Gesicht, das wie aus elfenbeinfarbenem Alabaster schien. Sie hatte erlesen geformte Züge, während ihre Miene leidenschaftslos blieb. Fein gezeichnete, gebogene Augenbrauen und dichte dunkle Wimpern umrahmten große dunkle Augen. Er war ihr noch nicht nahe genug gekommen, um sagen zu können, welche Farbe sie hatten.

Dann hatten sie das Pferd von dem Geschirr befreit. Es machte ein paar Schritte nach vorn, und die Seitenholme drohten zu Boden zu fallen.

Jack fasste danach.

»Hier, nehmen Sie die Zügel und gehen Sie mit ihm ein Stück, ich halte solange die Holme.« Wenn sie zu Boden fielen, würden die eingeklemmten Körperteile des Fahrers nur noch schlimmer gequetscht.

Sie fasste die Zügel und ging zum Kopf des Pferdes, sprach mit ihm, sodass es sie anschaute. Dann redete sie beruhigend auf es ein, während sie es sachte drängte, weiterzugehen. Jack umfasste die Holme, als das Geschirr zu Boden fiel.

Nachdem das Pferd frei war, schaute die Dame sich um. Jack blickte über seine Schulter. Challenger war zurückgekommen und stand grasend auf der anderen Straßenseite.

»Binden Sie ihn an die Hecke dort, bei meinem Pferd.«

Das tat sie, allerdings erst nachdem sie ihm einen weiteren verärgerten Blick zugeworfen hatte.

Als sie wieder zu ihm trat, hatte er die richtige Höhe für die Holme gefunden und hielt sie locker in der Hand. »Bleiben Sie hier stehen und halten Sie sie, bis ich die Kutsche aufgerichtet habe. Dann können Sie sie loslassen und zu mir kommen, um mir zu helfen, den Fahrer hervorzuziehen.«

Er ging um den Phaeton herum und sah den Fahrer zum ersten Mal. Ein junger Gentleman, der offenbar alles getan hatte, was in seiner Macht stand, um die Kutsche und das Pferd zu schonen, dabei aber zu lange auf dem Kutschbock geblieben war. Die Kutsche war zur Seite gekippt und noch ein Stück gerollt und hatte dabei eines seiner Beine eingeklemmt und schließlich gequetscht. Glücklicherweise war der Graben nicht tief und der Rand nicht steil. Die Kutsche war nicht auf dem Dach gelandet, sondern auf der Seite zum Stehen gekommen.

Jack hockte sich hin und überprüfte den Puls des Mannes. Sein Herz schlug kräftig und gleichmäßig. Er hatte sich mindestens ein Bein gebrochen. Er untersuchte ihn rasch und stellte fest, dass eine Schulter ausgekugelt, das Schlüsselbein und auch ein Arm gebrochen war. Außerdem war er schmerzhaft mit dem Kopf auf dem Boden aufgekommen. Jack zuckte zusammen, dann erhob er sich und musterte das Kutschenwrack. Das feine Holz der verzierten Seiten war gesplittert, aber die Kutsche war gut gearbeitet und die Grundkonstruktion noch intakt.

Es dauerte einen Moment, bis er die beste Stelle gefunden hatte, um das Kutschengehäuse anzuheben. Er stellte sich mit dem Rücken zur Kutsche, ging halb in die Hocke, legte die Hände an das Gehäuse. Jack blickte zu der Fremden, die sein Tun mit erstauntem Schweigen und mit widerwilliger Billigung beobachtete.

»Wenn ich sie anhebe, halten Sie die Holmen nicht zu fest. Wenn wir uns sicher sein können, dass die Kutsche hält und nicht auseinanderbricht, kommen Sie zu mir und helfen mir, ihn wegzuziehen.«

Sie nickte.

Er richtete sich auf, hob die Kutsche etwa auf Hüfthöhe an, holte tief Luft, fasste das Holz fester und beugte die Knie. Dann stemmte er die Kutsche höher und stützte sie mit seinen Schultern. Aus der Verkleidung fielen Holzstückchen heraus; Holz knirschte und knarrte, aber das Gehäuse hielt.

Ohne auf ein Wort von ihm zu warten, trat die Fremde hastig zu ihm. Sie bückte sich und wollte den Mann an den Schultern fassen.

»Nein! Eine ist auf jeden Fall ausgekugelt. Schieben Sie Ihre Hände unter seine Achseln und ziehen Sie ihn heraus.«

Bei seinem Ton versteifte sie sich, tat aber, was er sagte.

Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, konnte sich Jack ihren Gesichtsausdruck gut vorstellen. Er verlagerte sein Gewicht, versuchte die Kutsche mit einer Schulter zu halten, damit er sich vorbeugen und ihr helfen …

»Bewegen Sie sich nicht, Sie Idiot! Ich schaffe das.«

Jack verspannte sich, als hätte sie ihn geohrfeigt.

Sie sandte ihm einen trotzigen und eindeutig finsteren Blick, dann zog sie den Mann unter der Kutsche hervor.

Sein Gehör war ausgezeichnet, und er hörte sie halblaut vor sich hin schimpfen: »Ich bin schließlich keine schwache Frau, die jeden Moment in Ohnmacht fällt, Trottel.«

Völlig unerwartet zuckten seine Mundwinkel.

»Sie können jetzt loslassen.«

Der Mann lag jetzt auf dem Gras. Langsam ließ Jack die Kutsche herab, dann kam er zu ihr.

Stirnrunzelnd betrachtete sie das Gesicht des Verletzten und ließ sich neben ihm auf die Knie nieder.

»Kennen Sie ihn?« Jack kniete sich auf der anderen Seite ins Gras.

Sie schüttelte den Kopf.

»Er stammt nicht aus der Gegend hier.«

Was bedeutete, dass sie von hier kam, und das verwunderte ihn. Sie hatte jedenfalls nicht vor sieben Jahren irgendwo hier in der Nähe gelebt. Beerdigung hin oder her, sie wäre ihm aufgefallen, und er hätte sich an sie erinnert.

Methodisch begann er den Mann auf Verletzungen zu untersuchen, richtete Arme und Beine geradeaus und fand die Brüche.

Immer noch mit einer steilen Falte zwischen den Brauen verfolgte sie sein Tun.

»Wissen Sie, was Sie da tun?«

»Ja.«

Ihre Lippen wurden schmal, aber sie widersprach ihm nicht.

Seine erste Einschätzung der Verletzungen war weitestgehend zutreffend gewesen. Mit einem raschen erfahrenen Ruck kugelte er die Schulter wieder ein, dann schiente er unter Verwendung von Holzstücken, die von der Kutsche stammten, und des Halstuches des Mannes den Arm und verband ihn und die Schulter. Dann wandte er sich dem Bein zu, das an zwei Stellen gebrochen war. Immerhin hatte er genug Holz zum Schienen.

Er blickte die Dame an.

»Ich nehme nicht an, Sie könnten in Erwägung ziehen, einen Saum Ihres Unterrockes zu opfern, oder?«

Sie schaute auf und blickte ihn an. Ihr stieg schwache Röte in die blassen Wangen.

»Oh, selbstverständlich tue ich das.«

Ihre geröteten Wangen straften ihren Ton Lügen; sie gestattete sich keine Zimperlichkeit. Einen Moment später hörte er das Reißen von Stoff.

Er stand auf und ging zur Kutsche, um nach längeren Holzstücken zu suchen. Als er zurückkehrte, lag ein langer weißer Leinenstreifen neben dem bewusstlosen jungen Mann.

Er bückte sich und machte sich ans Werk. Sie half ihm, arbeitete schweigend unter seiner Anleitung.

Jacks Erfahrung nach waren Frauen nur selten stumm.

Mit ihren Händen fasste sie dort an, wo er es ihr zeigte, und hielt die Schienen fest, und er konnte nicht umhin zu bemerken, dass ihre Hände so elegant und feingliedrig waren wie ihr Gesicht, die Handflächen waren schmal, die Haut feinporig und weiß.

Eindeutig die Hände einer Adeligen.

Er schaute kurz in ihr Gesicht, das er nun, da sie sich beide über den Mann beugten, aus nächster Nähe betrachten konnte. Auch ihre Züge waren eindeutig vornehm. Was den Rest betraf …

Er senkte den Blick wieder auf den Verletzten und zwang sich, sich auf ihn und sein gebrochenes Bein zu konzentrieren, was ihm nicht leichtfiel.

Sie hatte die Art von Figur, die man gemeinhin als üppig bezeichnete.

Wörter wie »sinnlich« fielen ihm ein, Ausdrücke wie »gut gebaut«.

Dann musste er wieder an ihren stechenden Blick von vorhin denken und fand die passende Umschreibung: gebieterisch wie die Königin Boudicca.

Sehr englisch, sehr weiblich und auch sehr kämpferisch.

Er verknotete die Enden des letzten behelfsmäßigen Verbandes. Sie hatten es dem Verletzte so angenehm wie möglich gemacht.

Boudicca setzte sich mit einem leisen Seufzen auf die Fersen.

Jack lehnte sich zurück und richtete sich auf. Er klopfte sich die Hände ab und hielt ihr eine hin.

Sie starrte an ihm vorbei die Straße hinab. Ohne ihn anzusehen  – und offensichtlich auch ohne groß nachzudenken  –, legte sie ihre Hand in seine und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen.

Sie löste sich von ihm, schaute nach unten und betrachtete ihren Patienten.

»Das Schloss ist das nächstgelegene Haus. Wie transportieren wir ihn dorthin?«

Damit hatte sie ihn erneut überrascht. Nicht nur hatte sie über sein Haus verfügt, ihre Frage war zudem rhetorisch.

Obwohl er versucht war, abzuwarten, um zu sehen, wie sie das Problem lösen würde, erbarmte er sich des bewusstlosen Mannes. »Vermutlich können wir irgendein Teil der Kutsche als eine Art Trage verwenden, auf die wir ihn legen können.«

Er ging nachsehen. Die eine Seitentür war vollkommen kaputt, die andere war zwar unversehrt, aber zu klein. Das Brett unter dem Kutschbock war zersplittert.

»Könnte das hier gehen?«

Jack drehte sich um und entdeckte Boudicca, die auf die Rückseite des Phaetons deutete. Er stellte sich zu ihr und betrachtete prüfend das lange leicht gebogene hintere Brett, das sich auf der einen Seite gelöst hatte, aber ansonsten intakt schien.

»Machen Sie einen Schritt zurück.«

Natürlich bewegte sie sich keinen Zentimeter. Mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete sie ihn, während er das Brett packte, es lockerte und dann abriss.

Er widerstand dem Drang, nachzusehen, ob sie mit der Zehenspitze ungeduldig auf den Boden tippte.

Er trug das Brett zu dem Bewusstlosen; sie folgte ihm auf dem Fuße. Gemeinsam, ohne dass mündliche Absprachen nötig gewesen wären, hoben sie den Mann auf das Brett. Boudicca legte die Beine des Mannes gerade hin, drehte sich um und verschwand hinter dem Phaeton. Eine Sekunde später kam sie zurück und hatte eine Reisetasche bei sich.

Sie ließ sie neben dem Mann fallen und bückte sich, um sie zu öffnen.

»Er hat doch bestimmt noch mehr Halstücher. Damit können wir ihn an dem Brett festbinden.«

Sich ein Nicken ersparend  – sie schaute ihn ohnehin nicht an  – ging Jack, um den Braunen zu holen. Als er zurückkam, band sie ihren Patienten gerade mit zwei Halstüchern auf die behelfsmäßige Trage. »Das sollte reichen, dass er nicht herunterrutscht.«

Jack überprüfte die Knoten, sie waren fest genug. Er beugte sich vor und schlang die langen Lederzügel um und über den immer noch bewusstlosen Mann und zog sie unter den Halstüchern durch.

Sie verfolgte jede seiner Bewegungen. Als er den letzten Zügel verknotet hatte, nickte sie mit hoheitsvoller Zustimmung. »Gut.« Sie klopfte sich den Staub aus ihren Röcken, stellte die Tasche zu Füßen des Verwundeten auf die Trage und zeigte die Straße entlang. »Das Herrenhaus ist weniger als eine Viertelmeile von hier.«

Etwa eine Viertelmeile, wobei der größte Teil der Strecke aus der langen Auffahrt bestand. Er holte Challenger und hoffte nur, dass Griggs und sein Butler Howlett dafür gesorgt hatten, dass der Weg zum Haus in bestem Zustand war.

Er führte Challenger und ging neben Boudicca, die den Braunen lockte, bis er gleichmäßig vorwärtsging. Die Zügel strafften sich, und ihre Trage wurde auf die Straße gezogen und glitt einigermaßen erschütterungsarm über den ebenen trockenen Boden.

Zufrieden, dass sie alles, was im Bereich des Möglichen lag, für den jungen Mann getan hatten, wendete Jack sich seiner Begleiterin zu. Kein Hut, keine Handschuhe. Sie musste in der Nähe leben.

»Wohnen Sie in der näheren Umgebung?«

Sie winkte nach links.

»In dem Pfarrhaus.«

Jack runzelte die Stirn.

»James Altwood war früher hier Pfarrer.«

»Das ist er noch immer.«

Jack rief sich den Anblick ihrer Finger ins Gedächtnis. Kein Ring, kein Anzeichen dafür, dass sie je einen getragen hatte. Er wartete, dass sie mehr sagte. Aber sie schwieg.

Nach einer kleinen Weile erkundigte er sich:

»Wie kam es, dass Sie hier auf der Straße unterwegs waren?«

Sie blickte ihn an, ihre Augen waren dunkelbraun, noch dunkler als ihr Haar.

»Ich war Pilze sammeln.« Wieder deutete sie nach links. »Dort drüben steht eine alte Eiche auf einer Anhöhe  – da gibt es immer welche.«

Jack kannte die Stelle.

»Ich habe den Unfall gehört, habe meinen Korb fallen lassen und bin sofort hingerannt.« Sie hob eine Hand an ihr Haar und verzog das Gesicht. »Irgendwo ist mein Hut verloren gegangen.«

Das schien sie nicht sonderlich zu bestürzen.

Eine Sekunde später blickte sie ihn von der Seite an. »Wohin waren Sie unterwegs?«

»Nach Avening Manor.«

Er schaute geradeaus, sagte nichts mehr. Er spürte ihren Blick und wie er sich schärfte, aber er weigerte sich, sie anzusehen, wobei er sich ein Lächeln verkneifen musste. Sie beide beherrschten das Spielchen, Informationen zurückzuhalten.

Sie gingen schweigend nebeneinander, es war ein herrlicher Vormittag. Es war ein seltsames Schweigen  – sie wirkten beide verschlossen, beherrscht und selbstsicher. Im Gegensatz zu anderen schien sie das Schweigen ebenso wenig einzuschüchtern wie ihn.

Er sollte sich natürlich vorstellen, aber sie hatte einfach so über sein Haus verfügt. Wenn er ihr jetzt verriet, wer er war, wäre es ihr am Ende peinlich, auch wenn er tief in seinem Inneren das Gegenteil vermutete. Er hielt sich nicht an die gesellschaftlichen Regeln, weil … weil sie anders war.

Und er wollte ihre königliche Selbstsicherheit ein wenig erschüttern.

Das schmiedeeiserne Tor von Avening Manor tauchte rechts vor ihnen auf, flankiert von Eichen, die schon steinalt waren, als Jack auf die Welt kam. Wie gewohnt stand das Tor weit offen. Gemeinsam machten er und Boudicca mit dem Braunen einen weiten Bogen, sodass die Schlepptrage nicht unnötig in Schieflage geriet, und zogen sie verhältnismäßig sanft auf die lange, leicht ansteigende Auffahrt.

Jack schaute sich um, während sie weitergingen. Die meisten Felder im Umkreis einer Meile gehörten ihm, aber das Land hier zwischen der Auffahrt und dem rasch dahinfließenden Bach, der seine Existenz dem Fluss Frome verdankte, und die Gärten um das Haus waren die Orte, an die sich seine meisten Kindheitserinnerungen knüpften.

Sie erreichten die Anhöhe, und das Haus kam in Sicht. Er hob den Kopf, ließ seinen Blick über die Fassade schweifen; alles schien in bestem Zustand zu sein und wirkte gepflegt. Aber es war die schlichte Gediegenheit des Hauses und die willkommen heißende Ausstrahlung, die sein Herz erwärmte.

Er merkte wohl, dass Boudicca ihn beobachtete, er konnte ihren unverhohlenen neugierigen Blick spüren.

»Erwartet man Sie?«, erkundigte sie sich.

»Nein, eigentlich nicht.«

Aus den Augenwinkeln sah er ihre zusammengekniffenen Augen, dann schaute sie wieder geradeaus und beschleunigte ihre Schritte, überließ es ihm, die beiden Pferde zu führen.

Er ließ sie vorausgehen. Sie stieg die Stufen zum Eingang empor und zog an der Türglocke. Er brachte die Pferde auf dem Vorplatz zum Stehen und wartete.

Howlett öffnete die Tür und verneigte sich sogleich:

»Lady Clarice.«

Lady Clarice?

Dann entdeckte Howlett ihn. Das Lächeln, das sich auf dem Gesicht seines Butlers ausbreitete, war an und für sich schon ein Willkommensgruß. »Mylord! Willkommen daheim!«

Boudicca machte einen Schritt nach hinten, drehte sich langsam zu ihm um und schaute ihn an.

Howlett eilte nach draußen, dann erinnerte er sich und drehte sich wieder um, rief Adam, einen der Lakaien, der den Kopf aus der Tür streckte. »Geh und sag Griggs und Mrs. Connimore Bescheid! Seine Lordschaft ist zurück!«

Jack lächelte Adam an, der grinste und den Kopf neigte, ehe er wieder ins Haus verschwand. Howlett verneigte sich vor ihm und strahlte Jack an. Jack klopfte ihm auf die Schulter und fragte, ob alles in Ordnung sei. Howlett nickte. Dann verkündeten der knirschende Kies und schwere Schritte die Ankunft von Crabthorpe, dem Oberstallmeister, der allen nur als Crawler bekannt war. Als er um die Hausecke kam, entdeckte er Jack, und ein breites Grinsen trat auf sein Gesicht.

»Dachte mir schon, dass Sie es sein müssen  – sonst wird nämlich nicht so viel Aufhebens gemacht.« Dann bemerkte Crawler, dass Howlett neben der behelfsmäßigen Trage stand. »Was haben wir denn hier?«

»Sein Phaeton ist in den Straßengraben geraten und umgekippt.«

Crawler ging zu dem Butler und beugte sich über den verletzten jungen Mann. »Zweifellos ein weiterer junger Tunichtgut mit mehr Glück als Verstand.« Nach einer flüchtigen Untersuchung richtete er sich wieder auf. »Ich werde einen meiner Burschen ins Dorf schicken und Dr. Willis holen lassen.«

»Ja, tun Sie das.«

Howlett trat von der Trage weg, als ihm Boudiccas Anwesenheit wieder einfiel.

»Lady Clarice!« Howlett eilte zu ihr. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Mylady. Aber, wie Sie sehen, ist Seine Lordschaft endlich wieder heimgekehrt.«

Ein Lächeln machte Boudiccas Züge weicher, als sie Howlett ansah.

»Ja, in der Tat.« Sie musterte Jack; ihr Blick wurde hart wie Feuerstein. »Das sehe ich.«

Sein langsames, ein wenig träges Lächeln hatte Frauen von ganz England und mindestens halb Frankreich erobert. Aber auf Boudicca hatte es keinen erkennbaren Effekt.

»Mylord! Sie sind zurück!« Mrs. Connimore kam aus dem Haus gelaufen, und hinter ihr in langsamerem Tempo Griggs, sein Gutsverwalter, der sich schwer auf seinen Stock stützte.

In dem folgenden Durcheinander verlor Jack seine Begleiterin aus den Augen. Er ließ Mrs. Connimores ungestüme Umarmung und ihre endlosen Ausrufe geduldig über sich ergehen. Ihm war sofort aufgefallen, wie gebrechlich Griggs wirkte, und er war ernstlich besorgt. Wann war er so alt geworden?

Verstört und in Gedanken lenkte er Mrs. Connimores Fürsorge auf den unbekannten, immer noch bewusstlosen Mann. Sie und Howlett veranlassten unverzüglich, dass der arme Bursche in ein Gästezimmer im Haus gebracht und ins Bett gesteckt wurde.

Crawler nahm sich der beiden Pferde an und versicherte Jack, er werde ein paar Stallburschen zur Straße schicken, um die Überreste der Kutsche herzubringen.

Jack schickte Adam mit der Reisetasche ins Haus. Als sich die Situation beruhigt hatte, stellte er erstaunt fest, dass Boudicca immer noch am Eingang stand und ihn beobachtete  – er vermutete, sie wartete darauf, Rache zu nehmen.

»Ich bin gleich bei Ihnen, Griggs.« Jack lächelte und nahm Griggs am Arm, um ihm ins Haus zu helfen. »Alles scheint in bester Ordnung zu sein, und ich weiß, das habe ich Ihnen zu verdanken.«

»Oh nein, nun, alle hier haben es ja verstanden… ich kann mir denken, Ihre neuen Verpflichtungen waren ziemlich lästig … aber wir sind so froh, dass Sie heimgekommen sind.«

»Ich hätte nicht länger fortbleiben können.« Jack lächelte, als er das sagte, es war nicht wie sonst ein glattes Lächeln, sondern es kam von Herzen.

Er blieb vor der offenen Haustür stehen und drängte Griggs, vor ihm einzutreten. »Ich muss noch mit Lady Clarice sprechen.«

»Oh ja!« Derart wieder an ihre Gegenwart erinnert, blieb Griggs stehen und verneigte sich tief. »Bitte verzeihen Sie, Mylady.«

Sie lächelte herzlich und beruhigend.

»Selbstverständlich, Griggs. Machen Sie sich keine Sorgen.«

Sie hob ihren Blick und sah Jack an. Der Ausdruck in ihren Augen verriet unmissverständlich, dass sie keineswegs gewillt war, ihm so ohne Weiteres zu vergeben.

Er wartete, bis Griggs im Haus verschwunden war und der Lakai die Tür geschlossen hatte, ehe er zu ihr ging.

Sie erwiderte seinen Blick offen, aber er entdeckte in ihren dunklen Augen einen vorwurfsvollen Ausdruck.

»Sie sind Warnefleet.«

Das war keine Frage. Jack antwortete mit einem Nicken, war aber ratlos, warum sie so vorwurfsvoll klang und ihre ganze Körperhaltung Missbilligung verriet.

»Und Sie sind Lady Clarice …?«

Sie erwiderte seinen Blick einen Moment, dann sagte sie: »Altwood.«

Jack runzelte die Stirn.

Ehe er fragen konnte, fügte sie hinzu: »Jack ist ein Cousin. Ich lebe seit fast sieben Jahren bei ihm im Pfarrhaus.«

Unverheiratet. Sie vergrub sich auf dem Land. Lady Clarice Altwood. Wer…?

Es schien ihr nicht schwerzufallen, seinen Gedankengängen zu folgen. Ihre Lippen wurden schmal. »Mein Vater war der Marquis of Melton.«

Diese Information steigerte seine Faszination nur noch, aber er konnte sie schwerlich fragen, warum sie nicht verheiratet war und auf irgendeinem herzoglichen Anwesen den Haushalt führte. Dann schaute er ihr wieder in die Augen und kannte die Antwort: Diese Dame hier war kein süßes junges Ding und war es auch nie gewesen.

»Danke für Ihre Hilfe  – von jetzt an werden sich meine Leute um ihn kümmern. Ich werde eine Nachricht ins Pfarrhaus schicken, wenn wir mehr wissen.«

Sie erwiderte seinen Blick mit leicht hochgezogenen Brauen und musterte ihn unbeeindruckt. Dann sagte sie:

»Ich erinnere mich vage, gehört zu haben … wenn Sie Warnefleet sind, dann sind Sie auch der örtliche Richter. Stimmt das?«

Er runzelte die Stirn.

»Ja.«

»In diesem Fall…« Sie holte tief Luft, und zum ersten Mal bemerkte Jack einen Anflug von Verletzlichkeit  – vielleicht sogar Angst  – in ihren dunklen Augen. »Sie müssen erfahren, was dem jungen Mann zugestoßen ist, es war kein Unfall. Er hat seinen Phaeton nicht umgeworfen, sondern wurde absichtlich von einer anderen Kutsche von der Straße gedrängt.«

Das Bild der schwarzen Kutsche, die sich schnell in Richtung Nailsworth entfernt hatte, stand Jack vor Augen.

»Sind Sie sich sicher?«

»Ja.« Clarice Adele Altwood verschränkte die Arme und unterdrückte energisch einen Schauder. Schwäche zu zeigen war nicht ihre Art, und sie wollte verdammt sein, wenn Warnefleet, der heimgekehrte Sohn, der über mehr Charme verfügte, als gut für ihn war, bemerkte, wie erschüttert sie war. »Ich habe nicht selbst gesehen, wie die Kutsche umkippte, es waren ja die Geräusche, die mich darauf aufmerksam gemacht haben, aber als ich an die Straße kam, war die andere Kutsche stehen geblieben, und der Mann, der sie gefahren hatte, war abgestiegen. Er wollte gerade um den Wagen herum zu dem Fahrer gehen, als er meine Schritte hörte und stehen blieb. Er schaute sich um und sah mich. Er hat mich einen Moment lang angestarrt, dann drehte er sich um und eilte zu seiner Kutsche zurück, stieg wieder ein und trieb seine Pferde an, er fuhr einfach weg.«

Sie konnte die Szene immer noch vor sich sehen, sie hatte sich ihr eingebrannt. Immer noch spürte sie die Bedrohung, die von dem großen kräftigen Mann ausgegangen war, wie er dagestanden und fieberhaft überlegt hatte… Sie blinzelte und konzentrierte sich wieder auf den Mann vor ihr, sah ihm in die grün-goldfarbenen Augen. »Ich könnte beschwören, dass der Mann in der anderen Kutsche vorhatte, den Gentleman aus dem Phaeton zu töten  – zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte.«

2

»Ich bin hier auf die Straße gekommen, durch diese Lücke in der Hecke.« Clarice deutete auf die Stelle, dann schaute sie zu der kaputten Kutsche, die knapp hundert Meter entfernt war. »Ich blieb stehen, überrascht, eine weitere Kutsche zu sehen, dann fiel mir wieder ein, dass ich Schreien und Rufe gehört hatte, der junge Mann hat geflucht, denke ich.«

Sie blickte ihn an und rechnete immer noch damit, dass er den arroganten Mann herauskehrte, ihr den Kopf tätschelte und ihr versicherte, dass alles in Ordnung sei, und im selben Moment alles, was sie gesehen, ja, gespürt hatte, als Hirngespinst abtat. Stattdessen hörte er ihr aufmerksam zu, und seine Miene war so grimmig, wie sie es sich nur wünschen konnte.

Statt ihre Beobachtungen dunkler Machenschaften als unbedeutend zu verwerfen, hatte er sie angesehen und gebeten, ihn zu dem Schauplatz zurückzubegleiten. Er hatte nicht versucht, ihren Arm zu nehmen, sondern war neben ihr die Auffahrt entlanggegangen. Er hatte Crabthorpes Stallburschen aufgetragen, am Tor zu warten, bis er mit der Untersuchung des Phaetons fertig war. Danach hatte er sie aufgefordert, ihm zu zeigen, wo sie die Straße betreten hatte.

Mit zusammengekniffenen Augen stand er neben ihr, schaute auf die zerstörte Kutsche.

»Beschreiben Sie mir bitte den Mann.«

An jedem anderen Tag, bei jedem anderen Mann hätte sie sich an dem barschen Befehl gestört; heute und bei ihm war sie einfach nur froh, dass er ihr angemessen aufmerksam zuhörte.

»Recht hochgewachsen  – größer als ich. Ungefähr Ihre Größe. Er war schwer gebaut, hatte kräftige Arme und Beine. Kurz geschnittenes helles Haar, vielleicht grau meliert, aber da bin ich mir nicht sicher.«

Sie verschränkte die Arme und starrte die Straße entlang, rief sich die Szene wieder ins Gedächtnis. »Er hatte einen grauen Überrock an, gut geschnitten, aber nicht von bester Qualität. Seine Stiefel waren braun und solide gearbeitet, aber nicht von Hoby’s oder hohe Soldatenstiefel. Er trug gelbbraune Handschuhe. Seine Haut war blass und sein Gesicht eher rundlich.« Sie blickte Warnefleet an. »Das ist alles, woran ich mich erinnere.«

Er nickte.

»Er ging gerade um den Phaeton herum, als er Sie näher kommen hörte, er blieb stehen und sah Sie an.« Er schaute ihr in die Augen. »Sie sagten, er habe Sie angestarrt.«

Sie erwiderte seinen Blick einen Moment lang, dann sah sie wieder die Straße entlang.

»Ja. Er starrte einfach… dachte nach. Er überlegte.« Sie widerstand dem Drang, sich mit den Händen die Arme zu reiben, um die Kälte zu vertreiben, die sie unwillkürlich wieder zu spüren meinte, wenn sie an diesen Augenblick dachte.

»Dann drehte er sich um und ging?«

»Ja.«

»Kein Zeichen, dass er Sie bemerkt hat, hat er nicht die Hand gehoben?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er machte einfach kehrt, begab sich zu seiner Kutsche zurück und fuhr weg.«

Er führte sie über die Straße, aber auf der anderen Seite, sie gingen nebeneinander.

»Was war es für eine Kutsche?«

»Sie war klein und schwarz, von hinten konnte ich nicht mehr sehen. Es könnte eine dieser kleinen Kutschen gewesen sein, die Gasthöfe vermieten.«

»Haben Sie die Pferde gesehen?«

»Nein.«

»Warum glauben Sie, dass die schwarze Kutsche den Phaeton von der Straße gedrängt hat?«

Sie war sich sicher, dass genau das geschehen war, aber woher wusste sie das? Sie holte tief Luft.

»Drei Dinge: Erstens habe ich das Fluchen unmittelbar vor dem Zusammenprall gehört. Der junge Mann fluchte nicht über sein Pferd, einen Vogel oder die Sonne, sondern über jemanden. Außerdem hatte er furchtbare Angst, das habe ich ebenfalls gehört. Ich war nicht überrascht, den Zusammenprall zu hören, und ebenso wenig, die verunglückte Kutsche zu sehen.«

Sie schaute kurz in das harte Gesicht ihres Fragestellers. Er hatte scharfe ernste Züge, so aristokratisch wie ihre eigenen, und sie erkannte, dass er sich konzentrierte und jedes Wort von ihr aufnahm. »Ich habe erst auf meine Umgebung geachtet, als ich ihn fluchen hörte. Daher hatte ich auch nicht bemerkt, dass es zwei Kutschen waren, ehrlich gesagt war mir vorher gar nichts aufgefallen.« Sie schaute nach vorn. »Aber der zweite Grund, weswegen ich mir so sicher bin, dass der andere Fahrer den Unfall absichtlich herbeigeführt hat, war die Position seiner Kutsche. Er hatte in der Mitte der Straße angehalten, aber schräg zu dem Phaeton, weil er sich auf derselben Seite wie der Phaeton befunden hatte.«

Sie waren beinahe an dem Kutschenwrack angekommen; sie wurde langsamer. »Und schließlich …« Sie blieb stehen. Warnefleet blieb auch stehen und blickte sie an. Nach einem Moment sah sie ihm ins Gesicht. Das schuldete sie dem verletzten Mann, dass sie alles berichtete, was sie beobachtet hatte. »Der Fahrer der anderen Kutsche ging entschlossen zu dem Phaeton. Er war nicht aufgeregt oder besorgt. Er führte nichts Gutes im Schilde.« Sie blickte über die Straße zu dem Wrack. »Er hatte vor, das zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte.«

Sie wartete darauf, dass Warnefleet eine abschätzige Bemerkung machte, ihr sagte, dass ihre Phantasie mit ihr durchging, und sie wappnete sich, ihre Einschätzung der Lage zu verteidigen.

»Wo war die Kutsche stehen geblieben?«

Sie blinzelte verwundert, dann deutete sie auf eine Stelle, ein paar Meter weiter.

»Ungefähr dort.«

Jack nickte.

»Warten Sie hier.«

Er machte sich wenig Illusionen, dass sie tun würde, was er sagte, aber wenigstens ließ sie ihn vorausgehen, blieb mehrere Schritte hinter ihm, während er die Straße an der Stelle, die sie ihm gezeigt hatte, nach Spuren absuchte.

Einen Meter weiter fand er, wonach er gesucht hatte. Er ging in die Hocke und untersuchte die Furchen, die die Kutschenräder im Staub hinterlassen hatten, als der Fahrer gebremst hatte. Er drehte sich um und blickte zu dem Kutschenwrack zurück, schätzte die Entfernung und die Position der Kutsche ab.

Dann stand er wieder auf und ging um die Stelle herum, wo die Kutsche gestanden hatte, sich sehr wohl des Umstandes bewusst, dass Boudicca ihm mehr oder weniger buchstäblich auf dem Fuße folgte. Die Augen auf den Boden gerichtet, suchte er weiter, während er sich langsam auf den Phaeton zubewegte. Er war hier entlanggeritten, sie hatte den Braunen hier vom Phaeton weggeführt, daher hatte er nicht viel Hoffnung … aber das Schicksal war ihnen hold. Er hockte sich wieder hin und betrachtete den Stiefelabdruck, das war alles, was von dem unbekannten Fahrer übrig war.

Boudiccas Beobachtungen waren zutreffend gewesen. Der Abdruck stammte von einem gewöhnlichen lederbesohlten Stiefel eines Gentleman, der fast dieselbe Größe hatte wie er. Der überall etwa gleich tiefe Abdruck legte die Vermutung nahe, dass ihr Träger nicht sonderlich aufgeregt gewesen war. Entschlossen, hatte sie gesagt, und genau so sah es aus.

Mit zur Seite geneigtem Kopf hatte sie ihn beobachtet. Als er aufstand, hob sie die Brauen.

»Was können Sie daraus schließen?«

Er sah sie an, fing ihren Blick auf.

»Dass Sie eine genaue, umsichtige und verlässliche Beobachterin sind.«

Er sah, wie überrascht sie über diese Antwort war, was das Kompliment umso lohnenswerter machte.

Allerdings erholte sie sich rasch.

»Also stimmen Sie mir zu, dass der Fahrer der Kutsche ein unheilvolles Ziel verfolgte und wahrscheinlich den jungen Mann ermorden wollte?«

Er spürte, wie seine Züge sich verhärteten.

»Er hatte jedenfalls nicht vor, Hilfe zu leisten, denn dann wäre er nicht weitergefahren.« Er blickte von dem verunglückten Phaeton zu der Stelle, an der die Kutsche angehalten hatte. »Und Sie haben noch in einem weiteren Punkt recht: Der Fahrer hat den Phaeton absichtlich von der Straße gedrängt.«

Das war es, was sie hatte hören wollen, doch ihm entging nicht der Schauer, der sie unwillkürlich durchfuhr, obwohl sie sich abwandte, um ihn zu verbergen. Ehe er nachdenken konnte, hatte er schon einen Schritt auf sie zugemacht. Sein Selbsterhaltungstrieb machte sich bemerkbar und gebot ihm, innezuhalten. Er wusste es besser und berührte sie nicht, um sie in die Arme zu nehmen  – obwohl er genau das wollte.

Die Erkenntnis ließ ihn innerlich die Stirn runzeln. Er hatte nie zuvor eine Frau kennengelernt, die so widerborstig und unabhängig war wie Boudicca und bei der eher zu erwarten war, dass sie jeden Trost, den er ihr bot, schroff zurückwies. Und das nur, weil dieses Angebot bedeutet hätte, dass er ihre Schwäche bemerkt hatte… Mit leiser Selbstironie stellte er fest, dass er sie bestens verstand, er hatte nur noch nie zuvor eine Frau getroffen, die so dachte.

»Kommen Sie.« Er musste sich davon abhalten, sie am Ellbogen zu fassen, und wandelte die Bewegung ab, indem er in die andere Richtung winkte. »Ich bringe Sie zum Pfarrhaus.«

Sie zögerte, aber dann setzte sie sich in Bewegung. Nach einem Augenblick hob sie den Kopf.

»Das brauchen Sie nicht zu tun. Ich werde mich kaum verlaufen.«

»Trotzdem.« Er gab den wartenden Stallburschen ein Zeichen, und sie liefen zu dem Phaeton. »Davon abgesehen sollte ich James besuchen und ihn wissen lassen, dass ich zurück bin.«

»Ich werde es ihm gewiss sagen.«

»Das wäre nicht dasselbe.«

Er wartete, aber sie widersprach nicht. Als sie die Lücke in der Hecke erreichten und sie ihn hindurchführte, verrieten ihm ihre dunklen Augen, dass sie wusste, er würde jedes Argument, das sie vorbrachte, entkräften.

Ein kleiner Sieg, aber er schmeckte süß.

Auf der anderen Seite der Hecke fiel das Feld zu einer Senke hin ab, dann stieg es wieder an zu dem Hügel mit der alten Eiche. Sobald sie die Hecke hinter sich gelassen hatten, schaute Clarice sich um. Schließlich entdeckte sie ihren Hut an den Zweigen eines Baumes in der Nähe der Hecke. Ohne eine Bemerkung ging sie ihn holen.

Warnefleet folgte ihr schweigend.

Clarice schritt durch das hohe Gras, während sie sich überdeutlich bewusst war, dass ihre Sinne auf den schlanken, breitschultrigen und muskulösen Mann ein paar Schritte hinter ihr konzentriert waren. Vor ihrem geistigen Auge konnte sie mühelos nicht nur sein gut geschnittenes Gesicht, das unbarmherzige Züge annehmen konnte, und seinen großen, kräftigen Körper heraufbeschwören, dessen Bewegungen elegant, aber kontrolliert kraftvoll waren, sondern auch  – und das erschien ihr besonders verräterisch, beunruhigend und erregend  – die Ausstrahlung, die ihn wie einen Mantel umgab. Exotisch, gefährlich und auf irritierende Weise verlockend. Und noch rätselhafter war das Gefühl, dass er sie sah  – ihr wahres Ich erkannte  – und nicht die Flucht ergriffen hatte.

Nichts von alldem erklärte jedoch hinreichend ihre körperliche Reaktion auf ihn, die plötzliche Anspannung, die sie ergriff und ihre Nerven dermaßen strapazierte, weil er sie nicht berührte.

Eine derartige Empfänglichkeit war ihr völlig fremd; sie hatte davon zwar gehört und gesehen, wie andere Damen ihr zum Opfer gefallen waren, aber von sich kannte sie das nicht.

So eine Reaktion war überhaupt nicht ihre Art.

Dann wiederum war er nicht das gewöhnliche arrogante Mannsbild. Natürlich war sie nicht so dumm, ihn für arrogant zu halten, aber sie hatte noch nie zuvor jemanden wie ihn getroffen.

Als sie den Baum mit dem Hut erreichten, blieb sie stehen und starrte ihn an. Er baumelte über ihrem Kopf, schwang leise in der lauen Brise hin und her. Sie reckte sich, aber sie kam nicht an ihn heran. Sie hüpfte, aber verfehlte ihn. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, aber es fehlte immer noch ein Zentimeter.

Über ihrem Kopf erschien eine Hand und pflückte den Hut vom Zweig.

Ihr stockte der Atem. Sie hatte nicht gewusst, dass er so dicht hinter ihr war.

Sie wirbelte herum. Ihr Stiefel verfing sich in dem hohen Gras, und sie fiel hin.

Genau gegen ihn.

Er fing sie auf, stützte sie, sodass sie Brust an Brust standen.

Ihre Lungen verkrampften sich, und sie schaute ihn mit einem erstickten Keuchen an.

Verlegenheit hätte sie überwältigen müssen, außer dass dafür kein Platz mehr in ihrem Kopf war. Gefühle und Empfindungen wallten auf und überschwemmten sie, fesselten ihre Gedanken in einem Netz neuer Erfahrungen und Sinneswahrnehmungen.

Sie war schon vorher von Männern in den Armen gehalten worden, aber es war nie zuvor so wie jetzt gewesen. Nie hatte sich die Brust, gegen die sich ihr Busen drückte, so hart angefühlt, und nie war der Arm um sie so stählern gewesen. Nie hatten so große Hände sie so sachte oder so sicher gehalten. Nie hatten ihre Sinne geseufzt, als hätte sie den Himmel gefunden.

Nie hatte sich ihr Puls beschleunigt, nie war ihre Haut so heiß geworden.

Sie starrte in seine Augen, Grün und Gold verschmolzen zu einem Haselnussbraun, umrahmt von langen Wimpern und leicht gesenkten Lidern, und spürte … Stärke. Eine Stärke, die so groß war wie ihre eigene und nicht aus Muskeln und Knochen, sondern aus Verstand und Entschlossenheit bestand. Eine Stärke, die sich nicht auf die körperliche Ebene beschränkte, sondern sich auch auf andere Bereiche erstreckte.

Die Richtung ihrer Gedanken erschreckte sie.

Sie blinzelte, schüttelte die Gedanken ab und sah ihn an, in seine Augen, sein Gesicht.

Und merkte, dass er sie eindringlich beobachtete.

Er hatte sich nicht bewegt und keinen Versuch unternommen, sie loszulassen und auf ihre Füße zu stellen.

Der Ausdruck in seinen Augen war unverhohlen raubtierhaft und interessiert. Und er gab sich nicht die geringste Mühe, es zu verbergen. Das Bild, das sich ihr aufdrängte, war das eines großen kräftigen Raubtieres, das seine nächste Mahlzeit betrachtete.

Aber er machte keine Anstalten, sie festzuhalten. Er wartete, was sie tun würde.

Aber sie wusste es besser und drehte sich nicht um und lief weg.

Sie räusperte sich und stellte fest, dass ihre Hände auf seinen Schultern lagen, und trat zurück. Er ließ sie los, einfach so, beobachtete sie aber weiter.

Sie reckte ihr Kinn, erwiderte seinen Blick und griff nach ihrem Hut, forderte ihn heraus, aus diesem zufälligen Augenblick zu machen, was er wollte.

»Danke.«

Ehe sie ihren Hut fassen und ihm aus den Fingern nehmen konnte, setzte er ihn ihr auf den Kopf.

Und lächelte. Langsam, bedeutungsvoll.

»Das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite.«

Wenn sie ein schwaches Frauenzimmer gewesen wäre und sich leicht durch ein gut aussehendes Gesicht, den Körper eines Kriegers oder ein verheißungsvolles Lächeln hätte ablenken lassen, das ihre wildesten Träume überstieg, hätte sie sich nach dem Zwischenfall mit ihrem Hut zweifellos auf dem Weg zum Pfarrhaus in Schweigen gehüllt.

Stattdessen fühlte sie sich genötigt, sich mit ihm zu unterhalten, und sei es nur, um Warnefleet klarzumachen, dass sie nicht empfänglich für ihn war. Es war die Art von Unterhaltung, die ihn auf seinen Platz verwies und keinen Zweifel an ihrer Meinung über ihn ließ; an ihrer Meinung hatte sich nämlich durch das eben Geschehene nichts geändert.

»Mylord, haben Sie vor, länger auf Avening zu bleiben?« An der alten Eiche vor ihnen lehnte ihr liegen gelassener Korb.

Er antwortete nicht sofort, sondern erwiderte nach einer kleinen Pause:

»Avening ist mein Zuhause. Ich bin hier aufgewachsen.«

»Ja, das weiß ich: Aber Sie sind jahrelang fort gewesen  – soweit ich es verstanden habe, halten Sie sich wegen Ihrer Interessen eher in der Hauptstadt auf.« Sie betonte das Wort »Interessen«, um ihn wissen zu lassen, dass sie eine gute Vorstellung davon hatte, welche Interessen Männer wie ihn in der Stadt hielten.

Sie duckte sich unter den niedrigeren Zweigen der Eiche hindurch und trat in den kühlen Schatten.

Er blieb hinter ihr.

»Manche Interessen lassen sich besser in der Stadt verfolgen, das stimmt gewiss.« Sein Tonfall klang lässig, aber als er weitersprach, spürte sie eine unbeirrbare Stärke. »Aber kein vernünftiger Mann würde zulassen, dass Geschäfte ihn in London festhalten, und die meisten anderen Interessen sind nicht notwendigerweise an einen bestimmten Ort gebunden.«

Er betonte ebenfalls das Wort »Interessen«; es war leicht zu erkennen, dass er glaubte, dass sie bluffte.

»Ach ja?« Sie bückte sich und hob den Korb auf, dann richtete sie sich auf, schaute ihm in die Augen. »Allerdings würde ich sagen, dass es Ihnen schwerfallen dürfte, Ihre anderen Interessen hierher zu verlagern, ins Herrenhaus oder ins Dorf. Wenn Sie ihre Angelegenheiten hier erledigt haben, werden Sie sicherlich wieder abreisen. Daher auch meine Frage: Wie lange haben Sie vor zu bleiben?«

Jack erwiderte ihren Blick. Nach einem Moment sagte er ruhig: »Sie machen mir so gar nicht den Eindruck, als ob Sie zu den Frauen gehörten, die zu wilden Phantastereien neigen.«

Ihre dunklen Augen blitzten; sie reckte ihr Kinn.

»Das tue ich auch nicht.«

Er nickte freundlich. Dann griff er nach dem Korb und nahm ihn ihr ab. Sie überließ ihn ihm, ohne weiter darüber nachzudenken, sie war zu abgelenkt und erbost.

»Das hatte ich mir gedacht«, pflichtete er ihr mit außerordentlicher Gelassenheit bei. »Das ist auch der Grund, warum ich mir alles angehört habe, was Sie über den Unfall zu berichten hatten, der in Wahrheit kein Unfall war. Sie hatten damit recht.«

»Selbstverständlich.« Sie schaute ihn mit zusammengezogenen Brauen an. »Ich bilde mir nichts ein.«

»Ach ja?« Er fing den Blick aus ihren dunklen Augen auf, hielt ihn einen bedeutungsschwangeren Moment und fragte dann ruhig: »Also was, Lady Clarice, haben Sie gegen mich vorzubringen? Was für eine Meinung haben Sie von mir?«

Sie sah die Falle, musste zugeben, dass sie hineingetreten war. Leichte Röte stieg ihr in die Wangen  – sie war verärgert, nicht verlegen. Reinster Alabaster  – ihr Teint erinnerte ihn an Sahne, glatt und köstlich, und es juckte ihn in den Fingern, ihre Haut zu berühren und zu streicheln. Sie zu fühlen und dafür zu sorgen, dass sie nicht aus Verärgerung errötete.

Sie musste einen Hinweis auf seine Gedanken in seinen Augen gelesen haben, denn sie hob ihr Kinn. Die Geste wirkte fast ein wenig trotzig.

»In Ihrem Fall, Mylord, war nicht viel Phantasie nötig. Ihr Verhalten in den vergangenen Jahren spricht eine ausreichend deutliche Sprache.«

Er hatte recht, aus irgendeinem rätselhaften Grund empfand sie Verachtung für ihn, obwohl sie sich nie zuvor begegnet waren, geschweige denn miteinander gesprochen hatten.

»Worauf genau spielen Sie an?«

Sein Tonfall hätte die meisten gewarnt, dass sie sich auf sehr dünnes Eis wagten. Er war sich sicher, dass sie die Warnung vernommen hatte, sie richtig deutete und sie, als ihre Augen aufblitzten, einfach abtat.

»Ich kann verstehen, dass es, solange Ihr Vater lebte, keinen zwingenden Grund für Sie gab, Ihren Militärdienst verkürzen.«

»Besonders, da das Land sich im Krieg befand.«

Ihre Lippen wurden schmal, aber sie neigte den Kopf, nahm den Punkt zur Kenntnis und ließ den Einwand gelten.

»Allerdings«, sie drehte sich um und trat aus dem Schatten unter dem Baum, schlug den Weg zum Pfarrhaus ein, einem niedrigen, weitläufigen Gebäude, das zum Teil von der Hecke am Feldrand auf der anderen Seite verdeckt wurde, »hätten Sie, nachdem Ihr Vater verstorben war, heimkehren sollen. Ein Anwesen wie Avening Manor, ein Dorf wie Avening braucht jemanden, der die Zügel in der Hand hält. Aber nein, Sie zogen es vor, ein abwesender Grundbesitzer zu sein und es Griggs zu überlassen, die Verpflichtungen zu schultern, die eigentlich Sie tragen sollten. Er hat seine Sache gut gemacht, aber er ist nicht mehr jung, die Jahre fordern ihren Tribut.«

Jack, der neben ihr ging, runzelte die Stirn.

»Ich war … bei meinem Regiment.« Er war in Frankreich gewesen, allein, aber er sah keinen Grund, ihr das zu verraten. »Ich konnte nicht einfach den Dienst quittieren …«

»Aber natürlich hätten Sie das gekonnt. Viele andere haben es ja auch getan.« Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »In unseren Kreisen treten die ältesten Söhne, die einmal erben werden, gar nicht erst in die Armee ein. Und wenn ich auch weiß, dass Ihr Vater unerwartet gestorben ist, so wäre ihr Platz nach seinem Tod hier gewesen, nicht in«, sie machte eine abfällige Handbewegung, »Tunbridge Wells oder wo auch immer Sie stationiert waren und den schneidigen Offizier gespielt haben.«

In Frankreich. Allein. Jack biss sich auf die Zunge. Was hatte er getan, um diese Standpauke zu verdienen? Warum hatte er sie dazu quasi aufgefordert und, noch entscheidender, warum duldete er es?

Warum erteilte er ihr nicht einfach eine vernichtende Abfuhr, verwies sie an ihren Platz und machte ihr klar, dass es ihr nicht zustand, ihn zu verurteilen?

Er sah sie an. Mit erhobenem Kopf, die Nase in der Luft  – hochnäsig, im wahrsten Sinne des Wortes  – schritt sie elegant und anmutig neben ihm aus. Sie hatte lange Beine und ging selbstsicher. Sie konnte gut mit ihm Schritt halten.

Boudicca zu schlagen wäre nicht leicht, und aus irgendeinem unerklärlichen Grund wollte er ihr lieber nicht auf einem wie auch immer gearteten Kampfplatz begegnen.

Er wollte mit ihr zusammenkommen, aber auf ganz anderem Gebiet  – auf Seidenlaken und einer weichen Matratze, in die sie sinken würde … er blinzelte und schaute nach vorn.

»Dann kam Toulouse, aber Sie haben es selbst da nicht für nötig befunden, nach Hause zu kommen. Zweifellos haben Sie die Siegesfeiern zu sehr genossen, um einen Gedanken an all jene zu verschwenden, die die ganzen Jahre hier für Sie gearbeitet, Sie unterstützt haben.«

Er hatte die Monate der voreiligen Siegesfeiern in Frankreich verbracht. Allein. So wie Dalziel und mehrere andere auch hatte er dem zu leicht errungenen Frieden nicht getraut. Aus der Ferne hatte er Elba im Auge behalten und als Erster die Nachricht von Napoleons Flucht weitergeleitet. Er biss sich auf die Zunge, seine Kiefermuskeln traten hervor.

»Erschwerend kommt noch hinzu«, verkündete sie, und jede Silbe troff vor Verachtung, die sich auch in ihren dunklen Augen widerspiegelte, »dass Sie, als alles in Waterloo schließlich zu Ende war, die Sache nur noch schlimmer gemacht haben, weil Sie in London geblieben sind, höchstwahrscheinlich, um alles nachzuholen, was Sie während ihrer Abwesenheit verpasst hatten.«