Ein widerspenstiges Herz - Stephanie Laurens - E-Book

Ein widerspenstiges Herz E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Viel Herz und noch mehr Spannung

Als es für Deverell, den attraktiven Viscount Paington, Zeit wird, eine Ehefrau zu erwählen, verlässt er sich ganz auf seine Tante, die die Richtige für ihn schon finden wird.

Sie schickt ihn daraufhin zu einer Abendveranstaltung auf dem Land, auf der, wie sie behauptet, er die perfekte Frau antreffen wird: Phoebe Malleson. Und tatsächlich läuft er ihr dort über den Weg. Jedoch nicht im Ballsaal, sondern in der Bibliothek. Phoebe ist nicht die typische Frau ihrer Zeit, sie ist unkonventionell aber liebenswert und klug, und Deverell ist hingerissen. Doch die schöne junge Frau hat ihren eigenen Kopf und heiraten gehört nicht zu ihren Plänen …

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Buch

Die Gentlemen aus dem Bastion Club haben ihren Mut im Kampf gegen die Feinde Englands bewiesen. Doch nichts hat sie auf die größte Herausforderung überhaupt vorbereitet: das andere Geschlecht …

Als es für Deverell, den attraktiven Viscount Paignton, Zeit wird, eine Ehefrau zu erwählen, verlässt er sich ganz auf seine Tante, die die Richtige für ihn schon finden wird.

Sie schickt ihn daraufhin zu einer Abendveranstaltung auf dem Land, auf der, wie sie behauptet, er die perfekte Frau antreffen wird: Phoebe Malleson.

Und tatsächlich läuft er ihr dort über den Weg. Jedoch nicht im Ballsaal, sondern in der Bibliothek. Phoebe ist nicht die typische Frau ihrer Zeit, sie ist unkonventionell, aber liebenswert und klug, und Deverell ist hingerissen. Doch die schöne junge Frau hat ihren eigenen Kopf, und Heiraten gehört nicht zu ihren Plänen, obwohl auch sie in Versuchung gerät …

Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Von Stephanie Laurens bei Blanvalet lieferbar:

Hauch der Verführung · Eine Nacht wie Samt und Seide · Ein feuriger Gentleman · Geheimauftrag: Liebe · In den Armen des Spions · Eine stürmische Braut · Ein sündiges Versprechen

Stephanie Laurens

Einwiderspenstiges Herz

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Firouzeh Akhavan

Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel»To Distraction« bei Avon Books,an imprint of HaperCollinsPublishers, New York.

1. AuflageDeutsche Erstausgabe Juli 2014 beiBlanvalet Verlag, einem Unternehmen derVerlagsgruppe Random House GmbH, MünchenCopyright © 2006 by Savdek Management Proprietory Ltd.Published by arrangement with Avon, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.Copyright © 2014 für die deutsche Ausgabeby Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, MünchenUmschlagmotiv: © Johannes Wiebel | punchdesign,unter Verwendung einer Illustration von © Chris Cocozza und Shutterstock.comRedaktion: Ulrike NikelLH · Herstellung: cbSatz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-13244-6www.blanvalet.de

1

LondonEnde April 1816

»Mein lieber Junge, natürlich weiß ich genau die richtige Braut für dich.«

Audrey Deverell, eine attraktive Dame mittleren Alters mit einem unverkennbaren Hang zur Exzentrik, lehnte sich auf dem hohen Stuhl, auf dem sie hockte, weit nach hinten zurück und musterte das Bild, an dem sie gerade pinselte.

Sie kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und wiegte nachdenklich den Kopf.

Dann griff sie nach der Palette, die neben ihr auf einem Tischchen lag, strich mit dem Pinsel über eine Farbe und tupfte sie ganz zart auf eine Stelle der Leinwand, um sich anschließend mit einem zufriedenen Blick auf die erzielte Wirkung wieder gerade hinzusetzen.

Jetzt fand sie auch wieder Muße, sich ihrem Neffen zuzuwenden.

»Ich wundere mich eigentlich, warum du so lange gebraucht hast, mich danach zu fragen«, sagte sie.

Jocelyn Hubert Deverell, der siebte Viscount Paignton, den alle nur Deverell nannten, saß in einem gepolsterten Korbsessel neben den großen Fenstern, durch die die Nachmittagssonne in das Studio seiner Tante schien.

Er beobachtete, wie Audrey sich nach langem Prüfen für einen weiteren Farbton entschied, den sie geziert ihrem Werk hinzufügte. Einem Landschaftsgemälde, das eine einzelne Eiche zeigte.

Zumindest konnte er nicht mehr erkennen.

Bei seinem letzten Besuch, der mittlerweile einige Monate zurücklag, hatte es hier noch ganz anders ausgesehen, und die Malerei war noch kein Thema gewesen.

Damals beschäftigte Audrey sich hingebungsvoll mit Korbflechten, und überall im Raum verteilt standen fertige und halbfertige Proben ihres Könnens. Weshalb er heute bei seiner Ankunft ein spöttisches Grinsen nicht unterdrücken konnte, als sie ihm im typischen Gewand eines Malers entgegenkam. Den schmalen Körper in einen dunklen Malerkittel gehüllt, dazu ein schwarzes Barett auf den kupferfarbenen Locken, führte sie ihm stolz ihr neu eingerichtetes Studio vor.

Deverell ließ sich nichts anmerken.

Weder seine Verwunderung noch seine Belustigung.

Audrey hätte es ihm auch übel genommen, pflegte sie doch ihre wechselnden Passionen stets mit großer Hingabe zu betreiben.

Die einzige Schwester seines Vaters, erheblich jünger als ihre drei Brüder, war seit geraumer Zeit jenseits der Vierzig und unverheiratet. Die Bezeichnung alte Jungfer lehnte sie ab, obwohl man sie hinter vorgehaltener Hand so bezeichnete.

Sie scherte es nicht.

Ungeachtet möglichen Geredes, beschäftigte sie sich mit Dingen, wonach ihr der Sinn stand, egal was andere darüber denken mochten.

Die tonangebende Gesellschaft nahm es hin und lud sie immer wieder ein. Als eine Deverell mit Ansehen und Vermögen war sie ein überall gern gesehener Gast. Vielleicht weil sie ein bisschen Farbe und Schwung in die steifen Gesellschaften brachte, und es schien fast, als würde manche verheiratete Freundin sie wegen ihrer offen zur Schau gestellten Extravaganzen gar beneiden.

Und weil sie sich die Freiheit nahm, die sie brauchte.

Deverell mochte Audrey ebenfalls.

Schon seit seiner Jugend fühlte er sich mit ihr viel stärker verbunden als mit irgendeiner seiner anderen Tanten, von denen es von mütterlicher Seite noch fünf weitere gab, und hatte es sich angewöhnt, sich mit speziellen Anliegen bevorzugt an sie zu wenden. So auch jetzt.

Allerdings hatte er nicht mit einer so eindeutigen Antwort gerechnet.

»Die bewusste Dame …«

»Ist in jeder Hinsicht perfekt. Sie stammt aus einer hervorragenden Familie, ist attraktiv und lebhaft, leidet unter keiner Krankheit, weder geistiger noch körperlicher Art, verfügt über eine nicht unbeträchtliche Mitgift sowie eine gute Bildung und hervorragende Umgangsformen, für die ich mich persönlich verbürgen kann.«

Bei ihrer letzten Bemerkung zog der Neffe eine Augenbraue hoch. »Du stehst mit ihr in Verbindung?«

Audrey bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Sie ist eine meiner Patentöchter, von denen ich eine ganze Schar habe.«

Sie richtete den Blick erneut auf ihr Bild. »Weiß der Teufel, warum, aber viele meiner Freundinnen fanden mich offenbar prädestiniert für dieses Amt. Oder sie wollten die kinderlose Freundin in die Aufzucht der nächsten Generation einbeziehen.«

»Diese Dame …«

»Wird eine verständnisvolle Ehefrau für dich abgeben. Vertrau mir … Ich habe dein Dilemma bereits seit Monaten kommen sehen und mich mit der Angelegenheit selbstverständlich beschäftigt. Du bist jetzt zweiunddreißig, und sowohl wegen des Titels als auch wegen des Besitzes musst du auf jeden Fall heiraten. Das lässt sich nicht vermeiden, ob es dir nun passt oder nicht. Vergiss deine Onkel, die dich theoretisch beerben könnten, falls du kinderlos stirbst. Weder George noch Gisborne haben Söhne, und so ist das keine akzeptable Alternative.« Sie hörte kurz mit ihrer Pinselei auf, um ihm einen ernsten Blick zuzuwerfen. »Und es wäre ja wirklich das Letzte, wenn der ganze Besitz an Prinny ginge!«

»In der Tat.«

Die Vorstellung, dass Ländereien und Liegenschaften sowie das Vermögen – alles also, was ihm durch den Tod eines Cousins zweiten Grades unerwartet in den Schoß gefallen war – womöglich mangels eines männlichen Erben an die Krone und deren lasterhaften zukünftigen Träger gehen könnte, erfüllte den jungen Viscount mit ausgesprochenem Widerwillen.

Alles, nur nicht der Prince of Wales.

Zwar hatte Deverell nicht erwartet, eines Tages je die Nutznießung eines solchen Besitzes zugesprochen zu bekommen, doch nachdem es einmal passiert war, wollte er das Erbe für seine eigene Familie sichern und verhindern, dass es irgendwann einem anderen in die Finger fiel.

Vor allem nachdem er seine neuen Besitztümer in Augenschein genommen hatte.

Es nutzte alles nichts: Er musste heiraten.

So verlangte es die Stellung eines Viscount Paignton.

»Abgesehen von der Frage eines Erben …«, setzte er das Gespräch fort.

»Gibt es natürlich gesellschaftliche Verpflichtungen, die wahrzunehmen sind.« Audrey nickte, ohne von ihrer Leinwand aufzublicken. »Deine Frau muss in der Lage sein, diese Aufgabe voll und ganz zu erfüllen. Bälle, Empfänge, Dinner – das alles will vorbereitet und mit Stil durchgezogen werden.«

Deverell versuchte gar nicht erst, seine gequälte Miene zu verbergen. »Wenn die künftige Viscountess Letzteres auf ein absolut notwendiges Minimum reduzieren könnte …«

»Denk nicht einmal daran, nicht bis du wenigstens auf ein paar Ehejahre verweisen kannst. Erst dann, und selbst dann nur vielleicht, sieht man es dir nach, wenn du dich aus dem Staub machst und dich in deiner Bibliothek vergräbst. Doch bis dahin wird dir nichts anderes übrigbleiben, als die Zähne zusammenzubeißen und bei sämtlichen Pflichtveranstaltungen an ihrer Seite auszuharren und zu repräsentieren.«

Audrey blickte ihn streng und ein wenig schadenfroh an. »Neben der Planung deiner gesellschaftlichen Auftritte wird es deiner Frau obliegen, sich um deine Gesundheit zu kümmern, damit du keinen dieser Anlässe verpasst.«

Da konnte er seiner Zukünftigen ja nur viel Glück wünschen, dachte er resigniert.

»Du scheinst ja sehr genaue Vorstellungen von den Eigenschaften meiner künftigen Frau zu haben«, sagte er missmutig und schaute seine Tante mit leichtem Tadel an.

»Aber natürlich, mein Lieber. Ich kenne dich seit deiner Geburt, und ganz gleich, wie du es siehst – du bist deinem Vater sehr ähnlich, hast wie er wenig für affektiertes Gehabe und noch weniger für Hohlköpfe übrig.«

Sie wandte sich jetzt endgültig von ihrem Gemälde ab, um sich ganz auf ihn zu konzentrieren. »Und das Jahrzehnt als Geheimagent in Frankreich hat dich zusätzlich geprägt und diese Einstellung noch verstärkt. Dich vielleicht sogar ein wenig unduldsam gemacht. Aus diesem Grund halte ich es für ausgeschlossen, dass dir eine Kandidatin aus der Schar der Debütantinnen auch nur annähernd gefällt.« Sie blickte ihn fragend an. »Ich gehe davon aus, dass du das Angebot bereits gesichtet hast.«

»Schrecklich, ein Albtraum. Die Auswahl hat sich als einfältige, geschwätzige Schar von Frauenzimmern erwiesen, die mit weniger Verstand gesegnet sind als mein Pferd.«

Audrey grinste. »Ganz meine Meinung. So sehe ich das auch und kann dich nur ermuntern, dich an anderer Stelle nach einer Braut umzuschauen.«

Sie legte ihre Palette beiseite und begann die Pinsel mit einem alten Lappen zu reinigen.

Deverell legte die Stirn in Falten. »Willst du damit sagen, dass ich mich woanders hätte umsehen sollen? Weil ich mir die Suche auf dem Londoner Heiratsmarkt gleich sparen kann?«

Audrey verdrehte die Augen. »Also, wirklich, mein Lieber, ich begreife nicht, dass du so begriffsstutzig bist. Die Damen, die für dich wirklich infrage kommen – diejenigen, die keine Gänschen sind –, halten genauso wenig vom Heiratsmarkt wie du. Diese Ladys trifft man nicht bei Almack’s, wo sie sich neben einem Stück Kuchen einen passenden Mann einzuverleiben hoffen.«

So langsam fand Audrey seine Aufmerksamkeit, denn Hoffnung keimte in ihm auf, den Rest seines Lebens doch nicht mit einer langweiligen Ehefrau verbringen zu müssen.

»Dieser Ausbund an Tugend, den du als die perfekte Ehefrau für mich betrachtest – wer ist das?«, fragte er nach einer Weile.

Angelegentlich beschäftigte sie sich wieder mit ihren Pinseln, bevor sie lächelnd antwortete.

»Phoebe Malleson.«

Weder die Dame noch ihr Name sagten ihm etwas. »Bin ich ihr schon einmal begegnet?«

»Falls du dich nicht an sie erinnern kannst, lautet die Antwort Nein. Und vermutlich haben sich eure Wege bislang wirklich nicht gekreuzt. Phoebe ist vor einer Woche fünfundzwanzig geworden und meidet seit Jahren alle Anlässe, die irgendwie im Verdacht stehen, Orte für Eheanbahnung und Kuppelei zu sein.«

»Fünfundzwanzig und noch nicht verheiratet.« Sein verwunderter Blick traf den von Audrey. »Wie kommst du zu der Ansicht, dass diese Dame die perfekte Frau für mich sein könnte?«

Angesichts des nachsichtigen mütterlichen Lächelns, mit dem seine Tante ihn bedachte, kam er sich plötzlich wie ein Sechsjähriger vor.

»Schalte endlich deinen Verstand ein, Deverell. Phoebe ist genau die Richtige für dich, eben weil sie sich bislang weigerte, in den Stand der Ehe zu treten.«

Er hütete sich nachzufragen, was sie damit konkret meinte. Das war doch auch nicht normal, eine Ehe generell abzulehnen.

Und was sollte ausgerechnet er mit einer solchen Frau.

Na ja, immerhin hatte die Tante gesagt, dass die junge Dame attraktiv sei. Außerdem gab es eine recht einfache Möglichkeit, alles Wissenswerte über sie in Erfahrung zu bringen.

Indem er ein Treffen herbeiführte.

»Ich nehme an, dass Miss Malleson sich nicht in der Stadt aufhält. Wo könnte ich sie denn kennenlernen?«

»Doch, doch, sie ist sogar meist in der Stadt.« Audrey wedelte mit dem Pinsel. »Nur nicht da, wo du nach ihr suchen würdest. Sie ist ein Einzelkind, und ihre Mutter starb vor vielen Jahren. Seitdem hat sie reihum bei einer ihrer vielen Tanten gelebt, mal bei der einen, mal bei der anderen, und begleitet sie bei ihren Besuchen.«

Audrey ließ den Pinsel in ein Glas fallen und drehte sich zu ihm um.

»Seit Längerem hat sie sich entschieden, sich ganz bei einer von ihnen niederzulassen. Zufällig handelt es sich um meine liebe Freundin Edith Balmain. Mit ihr wird sie übrigens eine mehrtägige Hausgesellschaft auf Cranbrook Manor besuchen, die übermorgen beginnt.«

Sein Blick ruhte spöttisch auf Audreys Gesicht. »Welch ein Zufall! Lady Cranbrook ist doch ebenfalls eine Freundin von dir, nicht wahr?«

»Sehr richtig. Ich habe vor, morgen dorthin zu fahren.«

Sie musterte ihn prüfend und nickte anerkennend mit dem Kopf.

Was sie sah, gefiel ihr: seine breiten, in feinen Wollstoff gehüllten Schultern, sein akkurat gebundenes Halstuch, das schneeweiße Hemd, die modische Weste und seine lässig ausgestreckten langen Beine, deren Muskeln sich deutlich unter der eng sitzenden Hirschlederhose abzeichneten, die glänzend schwarzen Reitstiefel.

Ihr Grinsen wurde breiter. »Und wenn ich Maria erzähle, dass ich dich überredet habe teilzunehmen, wird sie mir die Füße küssen.«

Er verzog das Gesicht. »Wann wird Miss Malleson eintreffen?«

»Edith lässt sich bestimmt nicht einen einzigen Tag entgehen – du tust also gut daran, jede sich dir bietende Gelegenheit zu nutzen. Komm einfach übermorgen am Nachmittag an, dann wird Phoebe ganz sicher bereits da sein. Die Gesellschaft dauert vier Tage, und die solltest du nutzen.«

Sie schaute ihn streng wie eine Gouvernante an: »Komm ja nicht zu spät.«

»Ach ja?«

»Natürlich! Du gehst doch wohl nicht davon aus, dass die Sache ein Kinderspiel wird, oder?«

»Wie lange werde ich schon brauchen, um Miss Malleson einer kritischen Betrachtung zu unterziehen und mich zu entscheiden, ob ich um ihre Hand anhalte? Du hast mir schließlich selbst versichert, dass sie in jeder Hinsicht zu mir passt.«

Audreys Miene wurde ernst. Sie betrachtete ihn eine ganze Weile, ehe sie langsam den Kopf schüttelte.

»Mein lieber Junge, du hast eine völlig falsche Vorstellung. Hier geht es nicht darum, ob Phoebe dir gefällt, sondern ob du ihr gefällst. Und das lässt sich nicht so ohne Weiteres feststellen. Mit anderen Worten: Die Frage lautet nicht, ob sie die perfekte Braut für dich ist – da brauchst du dir keine Sorgen zu machen –, sondern ob du sie davon überzeugen kannst, dich als perfekten Ehemann zu betrachten.«

Er blinzelte ein paarmal.

Audrey bedachte ihn wieder mit einem gönnerhaft liebevollen Lächeln. »Du bist ja wohl nicht davon ausgegangen, dass es leicht sein wird, sich die richtige Frau zu angeln.«

Deverell, der sich die Sache genau so vorstellte, unterdrückte ein Stöhnen.

Er hätte auf Anhieb zehn Dinge nennen können, die er lieber in Angriff nehmen würde, als eine anspruchsvolle Lady zu überreden, ihm ihre Hand anzuvertrauen.

Aber irgendwann musste es sein.

Nichtsdestoweniger lenkte er, nach einem Wechselbad der Gefühle, zwei Tage später seine offene Kutsche aus der Stadt heraus auf die frisch befestigte Straße Richtung Surrey.

Zumindest war es ein schöner Morgen mit einer leichten Brise, in der der Duft von Gras und frischem Grün lag. Seine beiden Schimmel legten sich mächtig ins Geschirr, waren offensichtlich froh darüber, abseits der verkehrsreichen Straßen Londons einmal ordentlich ausgreifen zu können.

Wenngleich hin- und hergerissen, ob er Audreys Anweisung Folge leisten sollte oder nicht, betrachtete er diesen Ausflug als eine Herausforderung des Schicksals, das einen manchmal zwang, sich ins Unvermeidliche zu fügen.

Das hatte er bereits vor langer Zeit gelernt.

Und die Suche nach einer passenden Frau war nun einmal unvermeidlich und damit unaufschiebbar.

Zudem vertraute er Audrey, baute darauf, dass sie ihn verstand. Deshalb war er auch mehr als nur ein wenig neugierig, die von ihr auserkorene junge Dame kennenzulernen.

Gott wusste, dass er kläglich daran gescheitert war, auf eigene Faust eine Kandidatin, die diesem Ideal bloß annähernd entsprach, ausfindig zu machen.

Bis Audrey ihn darauf ansprach, hatte er nicht einmal in Erwägung gezogen, dass die Jahre seiner Geheimagententätigkeit im Krieg gegen Napoleon seine Erwartungshaltung verändert haben könnten. Doch sie hatte recht, denn seine Aufgaben dort waren nicht ohne Einfluss auf sein Wesen geblieben, wie er jetzt erkannte.

Sich ständig verstecken und seinen wahren Charakter verbergen zu müssen konnte nicht spurlos an einem Menschen vorbeigehen.

Zwar mochte er tief in seinem Innern noch derselbe sein wie früher, aber gewisse Charaktereigenschaften waren stärker ausgeprägt worden.

Nicht nur zu seinem Vorteil.

Die Erfahrungen in Frankreich hatten ihn härter gemacht, bestimmter und entschlossener, rücksichtsloser, ungeduldiger. Er war gezwungen gewesen, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die sich den meisten Männern in ihrem ganzen Leben nicht stellten – die verhinderten, sich selbst etwas vorzumachen.

Deverell wusste also, dass er keinen einfachen Ehemann abgeben würde. Dazu war er nicht tolerant genug, zu fordernd, und das nicht nur als Liebhaber. Wenn ihm eine Frau gehörte, erwartete er, dass sich ihr ganzes Leben um ihn drehte.

Und das würde sich kaum noch grundlegend ändern.

Das stand für ihn fest wie das Amen in der Kirche.

Tatsächlich vermochten die meisten jungen Damen seinen Charakter nur selten richtig zu deuten. Hinter der vornehmen, gelassenen Fassade brodelte es – da war er von einer beinahe unbarmherzigen Entschlossenheit und setzte alles daran, dass die Dinge so liefen, wie er es wollte. Und mochte er dabei auch lächeln und bezaubern, das Ergebnis blieb dasselbe. Ein Grund, warum er nicht überall den Ruf genoss, ein angenehmer Gentleman zu sein.

Vielen war er unheimlich.

Obwohl er andererseits als eine der gefragtesten Partien galt.

Dennoch ging er den naiven jungen Dingern nach Möglichkeit aus dem Weg, obwohl sich das manchmal schwer einrichten ließ. Er passte einfach nicht in das Beuteschema ihrer ehrgeizigen Mütter, ungeachtet der ehrgeizigen Ziele, die viele von ihnen verfolgten.

Leider wollten die kuppelnden Matronen das nicht unbedingt einsehen.

Bis er Titel und Ländereien erbte, hatte ihn das nicht sonderlich geschert. Da war er in London einer von vielen netten, betuchten jungen Gentlemen gewesen, die zur besseren Gesellschaft gehörten, und konnte sich aus dem Hintergrund einen Eindruck verschaffen.

Soweit es die Etikette erlaubte, erschien er etwa in letzter Minute zu einem Ball und stahl sich eine halbe Stunde später, nachdem er die anwesenden Damen in Augenschein genommen hatte, wieder davon.

Sein Begleiter bei diesen vorsätzlichen Unhöflichkeiten, die für beträchtliche Verwirrung sorgten, war Christian Allardyce gewesen, der Marquess of Dearne. Ein guter Freund und Kamerad aus Kriegszeiten, wie er und sechs weitere Freunde ehemaliger Geheimagent, der sich wie die anderen gezwungen sah, in die Welt der Hautevolee zurückzukehren und nach einer passenden Frau Ausschau zu halten.

Weil allen das anfangs schwerfiel, hatten sie sich vor einem Jahr zum Bastion Club zusammengeschlossen, einer Zuflucht vor den marodierenden Müttern der Londoner Gesellschaft und einem sicheren Rückzugsort.

Sie hatten sich fest vorgenommen, nicht in irgendeine Heiratsfalle zu tappen, sondern selbst zu entscheiden, wer die Richtige für sie sei. Vieren von ihnen war das Kunststück bereits gelungen, während Deverell noch mit dieser Verpflichtung haderte und die Suche halbherzig betrieb.

Jetzt war vor drei Tagen auch noch Jack Warnefleet in den heiligen Stand der Ehe getreten, und die Hochzeit in Somerset hatte ihm die Notwendigkeit des Umdenkens vor Augen geführt.

Es war Zeit, ebenfalls eine Frau zu finden.

Obwohl er es nur ungern zugab: Der Gedanke, dass die anderen nach und nach in den Hafen der Ehe einliefen, beunruhigte ihn ebenso wie die Vorstellung, allein auf seinem künftigen Wohnsitz Paignton Hall in Devon den ganzen Sommer zu verbringen und von jeder ortsansässigen Mutter mit einer Tochter, die es an den Mann zu bringen galt, verfolgt zu werden. Darüber hinaus zu unzähligen Anlässen zu erscheinen, zu lächeln, zu plaudern, zu tanzen und dabei immer auf der Hut zu sein.

Während all der Jahre in Frankreich hatte er jeden Tag in jeder Minute und Sekunde auf der Hut sein müssen. Aufmerksam, wachsam, ruhe- und rastlos. Er war diese Anspannung leid und wurde zusehends unzufriedener, weil er noch immer aufpassen musste, wenngleich in anderer Weise.

Es reichte ihm.

Deverell wollte, dass dieses Theater endlich ein Ende nahm, brauchte es förmlich. Wollte sich entspannen, sich wieder an einer Frau erfreuen, an ihrer Gesellschaft, ihrem Lachen, ihrem Körper, ihrem Seufzen, ohne dass beständig dunkle Hintergedanken über ihm schwebten.

Er wünschte sich eine Ehefrau.

Das schon. Ein weibliches Wesen, das sich glücklich schätzte, ihn zu heiraten, das Leben mit ihm zu teilen und ihn von der Mühsal des Junggesellendaseins zu befreien.

Im Grunde betrachtete er die Ehe mehr oder weniger als Flucht.

Der gleichmäßig widerhallende Hufschlag seiner Schimmel begleitete seine Gedanken und unterstrich seine Entschlossenheit, ernstliche Anstalten auf der Suche nach einer Frau zu machen. Für die sanfte grüne Landschaft von Surrey, die an ihm vorbeiflog, hatte er kaum einen Blick.

Bald schon erblickte er den Wegweiser nach Cranbrook. Er zügelte die Pferde, um sie Richtung Süden zu lenken, und nach einer knappen Meile tauchte ein imposantes Tor auf.

Deverell war am Ziel.

Er fuhr hindurch und trieb die Schimmel zu einem flotten Trab an. Eine sanfte Brise strich durch die Kronen der Eichen, die die Auffahrt säumten. Dann erblickte er das Herrenhaus, ein flaches, breites Gebäude aus grauem Stein, dessen Fassade mit Zinnen versehen war.

»Wollen wir etwa dorthin?«, fragte Grainger, sein Stallbursche und auf dieser Reise zugleich sein Page.

Deverell kannte den hoch aufgeschossenen, gutherzigen jungen Burschen, der gerne lachte, seit einem knappen Jahr, hatte ihn bei seinem ersten Besuch auf Paignton entdeckt und sogleich seine Begabung im Umgang mit Pferden bemerkt. Was dazu führte, dass er Grainger aus der Zahl der namenlosen Stall- und Hausjungen heraushob und ihm sogar seine preisgekrönten Vierbeiner anvertraute. Als Page allerdings fehlte ihm jegliche Routine.

»Solange wir hier sind, benimmst du dich so, wie es Mrs. Mottram auf Paignton Hall von dir erwarten würde. Tu, was man dir sagt, und schau zu, nicht unangenehm aufzufallen.«

Er spürte Graingers Blick.

»Dann soll ich Ihnen nicht helfen? Gibt’s denn nichts, was ich tun könnte, von den Schimmeln mal abgesehen, mein ich?«

Deverell wollte die Frage schon verneinen, als ihm eine möglicherweise nützliche Aufgabe für den eifrigen Grainger einfiel.

»Eventuell brauche ich dich später noch, doch in erster Linie musst du dich ruhig, freundlich und hilfsbereit gegenüber allen anderen Bediensteten zeigen und darfst niemanden stören. Halte Augen und Ohren offen, das könnte für mich hilfreich sein.« Er blickte den Jungen an. »Hast du das verstanden?«

»Aye, ja, das bekomme ich hin.«

Deverell verbarg sein Grinsen. Grainger malte sich jetzt bestimmt aus, Dienstmädchen zu begegnen, mit denen sich vielleicht nicht nur reden ließ …

Als der Wagen vor der Freitreppe zum Stehen kam, eilte sogleich ein Stallbursche herbei, der die Zügel entgegennahm und sich um das Gespann kümmerte, während der Gast die Stufen hinaufstieg. Noch ehe er das Portal erreichte, schwang die Tür weit auf, und ein großer, würdevoller Butler bat ihn mit einer Verbeugung herein.

Drinnen wurde er in den Salon geführt, einen langen Raum, in dem eine ganze Wand von hohen Glastüren eingenommen wurde, die vom Boden bis zur Decke reichten und hinaus auf die Terrasse und den dahinterliegenden Garten führten. Dort erwartete ihn die Gastgeberin gemeinsam mit seiner Tante.

Wie Audrey es vorhergesagt hatte, zeigte Lady Maria Cranbrook sich entzückt, ihn in ihrem Haus begrüßen zu dürfen, und versicherte ihm ohne Umschweife, dass seine Gegenwart für reichlich Aufregung unter den weiblichen Gästen sorgen werde.

Angesichts solcher Begeisterung lächelte er charmant, warf Audrey jedoch einen scharfen Blick zu, über den diese gleichmütig hinwegsah. Dafür nickte sie zustimmend, als ihre Freundin Maria vorschlug, gemeinsam nach draußen zu gehen, wo bereits der Großteil der Gäste promenierte und jedem Neuankömmling neugierig entgegensah.

Deverell überfielen prompt Fluchtgedanken.

Welche von den zahlreichen jungen Damen mochte die von Audrey gepriesene Phoebe sein?

Wie auch immer: Ein Rückzug kam nicht infrage, denn einige der Ladys und Gentlemen winkten ihm bereits zu, und außerdem wäre es mehr als unhöflich gewesen, so einfach wieder zu verschwinden.

Wer A sagte, musste auch B sagen.

Und so schwer konnte es kaum sein, eine Frau ausfindig zu machen und sie auf ihre Tauglichkeit als Ehefrau zu prüfen.

Schwerer, als er dachte, jedenfalls.

Bis er nämlich seine Vorstellungsrunde absolviert und sich höflich mit jedem weiblichen Wesen, ob jung oder alt, unterhalten hatte, war ihm Phoebe Malleson nicht begegnet und er mit seiner ohnehin recht begrenzten Geduld fast am Ende angelangt. Gereizt entschuldigte er sich bei einer Matrone und ihren beiden Töchtern, die ihn umringten, und stapfte davon, um seine Tante abzufangen, die ihn amüsiert anblickte.

Obwohl seine angespannten Gesichtszüge seine Verärgerung verrieten, beherrschte er sich. »Von deiner mustergültigen Dame gibt es nicht die geringste Spur.«

»Natürlich nicht, mein Lieber – ich habe dich ja gewarnt.« Audrey klopfte ihm auf den Arm, rückte näher und sagte leise: »Mit fünfundzwanzig will sie sich nichts mehr vorschreiben lassen oder ihre Zeit damit verschwenden, den anwesenden Gentlemen Interesse an einer Heirat vorzugaukeln, die sie nicht verspürt. Sie hält sich irgendwo im Haus auf, nur nicht im Pulk der übrigen Gäste. Denen geht sie lieber aus dem Weg. Genau wie du, wenn ich das mal so sagen darf.«

Er runzelte missmutig die Stirn. »Wenn sie weder an Herren noch an einer Heirat interessiert ist, warum bin ich dann hier? Das ist doch die reine Zeitverschwendung.«

»Damit sie ihren Fehler einsieht und sich eines Besseren besinnt. Mit deiner Hilfe, wie ich hoffe.« Audrey griff nach seinem Arm. »Hast du Edith Balmain schon kennengelernt, meine Freundin und Phoebes Tante?«

»Ja.«

Er sah kurz zu der munteren weißhaarigen Dame hinüber, die mit ihren flinken hellblauen Augen voll Interesse alles aufsog, was um sie herum geschah. Auf den ersten Blick war sie der Inbegriff einer ältlichen Lady, ziemlich klein, leicht gebeugt mit sanften Gesichtszügen und zurückhaltendem Wesen, doch wenn man sie eingehender betrachtete, erhielt man einen ganz anderen Eindruck von ihr.

Sie war eine scharfsinnige Beobachterin, die genau hinschaute, auch hinter die Fassade, und am Ende alles wusste einschließlich privater Dinge, welche die Leute meinten verbergen zu können. Eine interessante Person ohne Zweifel. Selbst ohne die Verwandtschaft zu der hochgelobten Phoebe wäre sie ihm aufgefallen.

Audrey war noch nicht fertig damit, ihm die Notwendigkeit seiner Anwesenheit bei dieser Hausgesellschaft schmackhaft zu machen.

»Mein lieber Deverell, wenn es einen Mann unter all den hier versammelten Gentlemen gibt, dem ich es zutraue, Phoebe von ihrer albernen, vorgefassten Meinung abzubringen, dann bist du es«, erklärte sie mit einem selbstzufriedenen Lächeln. »Und wenn du es schaffst, irgendwie ihre Aufmerksamkeit zu erringen, dann sollte die größte Hürde bereits überwunden sein. Da bin ich mir sicher. Außerdem bist du ein Mann mit Erfahrung und solltest auch eine so selbstbewusste Frau wie sie für dich gewinnen können.«

»Eines ist mir trotz deiner Lobpreisungen noch immer nicht ganz klar: Warum hegst du nicht die geringsten Zweifel, dass sie die Richtige für mich ist? Vielleicht jagt sie mich ja zum Teufel.«

»Sobald du ihr begegnet bist und sie ein wenig kennengelernt hast, wirst du verstehen, was ich meine«, erklärte seine Tante orakelhaft.

Deverell resignierte.

Mehr würde er ihr nicht entlocken können, und so beugte er sich mit einem vernehmlichen Seufzer über ihre Hand und begab sich ins Haus, um Ausschau nach Miss Malleson zu halten.

Leute aufzuspüren war eine seiner Stärken – das lag Geheimagenten einfach im Blut, selbst den ehemaligen noch.

Als Erstes befragte er den Butler und erfuhr von ihm, dass Miss Malleson garantiert nicht ausgefahren sei – sonst hätte er eine Kutsche bereitstellen müssen – und sich folglich im Haus oder in der näheren Umgebung aufhalte. Eine Auflistung der möglichen Orte, die sie bevorzugte, lieferte der beflissene Stripes gleich mit. Sie könne im Wintergarten sein, in der Orangerie, im Labyrinth, in der Hauskapelle, im Billardzimmer oder in der Bibliothek.

Deverell machte sich auf die Suche.

In der genannten Reihenfolge.

Als er am Ende die getäfelte Tür zur Bibliothek öffnete, wurde er endlich fündig und erkannte gleich zwei Dinge auf einen Schlag. Dass er die Gesuchte und keine andere vor sich hatte und dass seine pauschale Meinung von Frauen einer Revision bedurfte.

Phoebe Malleson war weiß Gott keine typische Vertreterin ihrer Zunft. Das sah er auf den ersten Blick.

Leise trat er näher und betrachtete sie.

Kopf und Schultern an ein mit Fransen verziertes Kissen gelehnt, lag sie auf einer vor einem hohen Fenster stehenden Chaiselongue und war so in ihr Buch vertieft, dass sie ihn zunächst nicht bemerkte. Das hereinströmende Licht ließ ihr kastanien- bis mahagonifarbenes Haar, das sie zu einem Kranz aufgesteckt trug, intensiv rotgolden leuchten.

Er nutzte er die Gelegenheit, sie genauer zu mustern.

Gemessen an der Länge ihrer sittsam unter dünnen hellblauen Röcken verborgenen Beine schätzte er sie ein kleines bisschen größer ein als den Durchschnitt. Sie besaß eine schlanke Figur, hatte dabei aber offenbar wohlgeformte Hüften und einen straffen Busen. Ihr Hals war lang, ihre Haut blass und zart. Ihr energisches Kinn jedoch verriet einen entschlossenes Charakter.

Sein Blick umfasste ihr Gesicht, das ihm außerordentlich ausdrucksvoll erschien. Eine breite Stirn, eine gerade Nase, große Augen, deren Farbe er nicht zu erkennen vermochte, dichte Wimpern und ein vielleicht eine Spur zu großer Mund mit vollen roten Lippen. Ein Gesamtbild, das den Eindruck von Lebendigkeit, von Lebens- und Willenskraft vermittelte. Lauter Attribute, die er bei anderen jungen Damen nie wahrgenommen hatte.

Audrey hatte recht gehabt. Man brauchte Phoebe Malleson nur zu sehen, um eine unwiderstehliche Neugier zu verspüren sowie den Wunsch, mehr über sie zu erfahren und herauszufinden, was in so einer ungewöhnlichen Frau vorging.

Auf einem niedrigen Tisch vor der Chaiselongue stand ein Teller mit Obst, nach dem sie jetzt, ohne von ihrem Buch aufzuschauen, eine Hand ausstreckte. Geschickt zupfte sie Trauben von ihren Stängeln, führte sie genießerisch zum Mund und schob die saftigen Beeren langsam zwischen ihre sinnlichen Lippen.

Gebannt beobachtete Deverell sie und trat unwillkürlich von einem Bein aufs andere. Die junge Frau hob ihr Gesicht.

Phoebe Mary Malleson wirkte ziemlich überrascht, als sie eine elegante gestreifte Weste sah, in der ein recht großer und kräftiger Gentleman steckte. Sie blinzelte. Wie war es ihm gelungen, sich unbemerkt so nah an sie heranzuschleichen?

Jedenfalls, das stellte sie sogleich fest, besaß er die atemberaubendsten grünen Augen, die sie je gesehen hatte und die sie aus dem Gleichgewicht brachten. Erinnerungen an die geheimnisvolle Tiefe eines Bergsees, dessen Farbe zwischen hell und dunkel changierte. Sie wollte wegschauen, doch irgendetwas hielt sie zurück.

Wer zum Teufel war er?

Besser gesagt, flüsterte ihre innere Stimme, was war er?

Der Anflug eines eigenartigen Schauderns kroch ihr über den Rücken, und zugleich konnte sie nicht aufhören, ihn anzustarren, fühlte sich wie gebannt, wie hypnotisiert.

Beunruhigt über die lächerliche und für sie neue Tatsache, dass sie so leicht zu beeindrucken war, zwang sie sich endlich, den Blick von ihm abzuwenden, und setzte sich mit einem Räuspern auf.

»Guten Tag.« Wenigstens klang ihre Stimme wie immer gelassen und beruhigend fest. »Ich glaube, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden.«

In ihrem letzten Satz schwang ein deutlich hörbares Maß an Hochmut mit. Höflich, kalt und distanziert. Und leicht vorwurfsvoll. Schließlich wagte sie es, unter gesenkten Wimpern hervorzuspähen, um ihr Gegenüber eingehender zu mustern.

Er war wirklich groß und kräftig, dabei jedoch wohlproportioniert. Alles stand im richtigen Verhältnis zueinander. Seine modische, dezent elegante Kleidung war mit Sicherheit ebenso teuer wie erlesen, und eine Aura gebändigter Kraft umgab ihn.

Seine klaren und markanten Züge kennzeichneten ihn zweifelsfrei als ein Mitglied ihrer Klasse, obwohl seine Züge eine nicht zu übersehende Härte, ja, einen gewissen Zynismus verrieten, der nicht zu einem sorglosen Dandy der Oberschicht passte. Seine Lippen zuckten leicht.

Vor Spott oder vor Belustigung?

»Ich fürchte, ich bin Ihnen gegenüber im Vorteil, Miss Malleson«, sagte er und fixierte sie mit seinen irritierend grünen Augen. »Ich bin Deverell.«

Mit einem leichten Stirnrunzeln blickte sie zur Seite. »Deverell?« Sie klopfte mit den Fingernägeln auf ihr Buch. »Ach ja, Sie müssen Audreys Neffe sein.«

Er trat näher und reichte ihr die Hand, die sie zögernd ergriff, und mit festem Griff zog er sie auf die Beine, um sich anschließend mit einer eleganten Bewegung zu verbeugen.

»Sehr richtig. Deverell oder Paignton, ganz nach Belieben.«

Phoebe erwies ihm zwar ihre Reverenz mit dem für junge Damen obligatorischen Knicks, vermied es jedoch in Anbetracht seiner eindrucksvollen und seltsam einschüchternden männlichen Präsenz, ihn dabei anzusehen. »Äh … Ja, ich hörte davon, dass Sie zu diesem Titel gekommen sind.«

Warum war er hier und störte ihren Frieden? Um ihn schnell wieder loszuwerden, blickte sie demonstrativ zu den Regalen hinüber. »Suchen Sie ein bestimmtes Buch?«

»Nein.«

Unverändert hielt er ihre Hand. Phoebe holte tief Luft und schaute in seine Augen, die aus der Nähe betrachtet noch faszinierender, noch fesselnder waren. Sie konnte ihn bloß anstarren und sich in diesen smaragdfarbenen Tiefen verlieren …

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie sich seine Lippen verzogen.

»Ich bin Ihretwegen hier«, sagte er lässig.

Es dauerte einen Moment, bis seine Worte zu ihrem Gehirn durchdrangen, ohne jedoch für sie einen Sinn zu ergeben. Lediglich seine Stimme klang bedeutungs- wie geheimnisvoll und hätte sie auf die richtige Fährte führen können.

Eigentlich, doch so etwas zog sie gar nicht in Betracht.

Und eine vernünftige Reaktion auf seine Worte wollte ihr auch nicht einfallen.

»Hat meine Tante nach mir gefragt?«

Eine dümmliche Frage, denn Edith würde kaum einen fremden Mann nach ihr schicken.

Seine dunklen, leicht geschwungenen Augenbrauen hoben sich spöttisch. »Nicht dass ich wüsste.«

Ihre Augenlider flatterten, und sie blickte durch das Fenster in den Garten hinaus.

»Oder werde ich zum Tee gebeten?«, fügte sie hinzu, um sogleich zu merken, dass das Aufgabe des Butlers wäre.

Wenigstens gelang es ihr bei dieser Gelegenheit, ihre Finger aus seiner Umklammerung zu lösen.

Deverell schaute er auf die Uhr auf dem Kaminsims. »Vermutlich werden Sie in Kürze wirklich zum Tee gerufen, aber nicht von mir.«

Bevor sie weitere Peinlichkeiten von sich gab, schwieg sie lieber. Nur eines war ihr nach wie vor schleierhaft: Was um Himmels willen wollte dieser Fremde von ihr?

Sie kniff die Augen zusammen und starrte ihn an. »Warum sind Sie dann hier?«

Er schenkte ihr ein charmantes kleines Lächeln. »Das war Audreys Vorschlag.«

»Ihre Tante?« Sie sah ihn mit fragendem und zugleich strengem Blick an. Offenbar nahm sie ihm nicht ab, dass er sich von jemandem herumkommandieren ließ.

Um seine Mundwinkel zuckte es. »Ja, Audrey.«

»Und wieso?«

»Weil sie vermutlich der Meinung war, es sei empfehlenswert für mich, Sie kennenzulernen.«

Sie zog die Brauen hoch. »Und: Ist es so?«

Sein Lächeln wurde breiter und, wenngleich kaum merklich, spöttischer. »Das wird sich ohne Frage noch zeigen.«

Eine Ahnung erwachte in ihr.

Sie hielt seinem Blick stand, während die Gedanken in ihrem Kopf rasten. Erinnerungen daran, was sie über ihn gehört hatte: wenig Konkretes und nichts, was sie auf seine ungeheure und überwältigende Wirkung seiner körperlichen Nähe vorbereitet hätte.

Im Grunde genommen wusste sie lediglich, dass er wohlhabend war, einen Titel geerbt hatte und nicht zuletzt deshalb eine Frau brauchte. Eigentlich bedurfte es keiner großen geistigen Anstrengungen, um zu erkennen, warum Audrey sie zusammengeführt hatte. Doch entgegen aller Hoffnungen ihrer Taufpatin war sie nicht an der ihr zugedachten Position der Viscountess Paignton interessiert.

Wie also konnte sie ihn am besten loswerden?

Indem sie ihm unverblümt sagte, er solle verschwinden? Eine Vorgehensweise, die bei Männern wie ihm wahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt wurde. Davon zumindest ging sie trotz ihrer nicht allzu reichen Erfahrung aus. Er würde sie entweder nicht ernst nehmen oder, was noch schlimmer wäre, ihre Ablehnung als Herausforderung betrachten.

Nein. An dem Ort, wo sie sich gerade aufhielten, musste sie einen anderen Weg wählen, um mit ihm fertigzuwerden. Und sie hatte auch schon eine Idee.

»Vielleicht«, sagte sie und blickte ihn provozierend an, »sollten wir uns jetzt den anderen zum Tee anschließen.«

Seine Augen flackerten, während er ihre Miene erforschte, um ihre Hintergedanken zu erraten.

»Wie Sie wünschen«, sagte er vage und neigte den Kopf.

Noch ehe er ihr seinen Arm anbieten und sie damit zu mehr Nähe als von ihr erwünscht nötigen konnte, bedachte sie ihn mit einem triumphierenden Lächeln und wandte sich der Terrassentür zu.

»Wir können hier langgehen.«

Mit diesen Worten schritt sie betont heiter vor ihm nach draußen.

2

Für seine Verhältnisse erheblich verwirrt, folgte Deverell der jungen Frau, die jetzt schwungvoll die Glastür aufstieß, nach draußen. Sie betraten eine der kleineren Terrassen, von der ein paar Stufen nach unten in den Garten führten.

Er hatte eine Verbindung gespürt. Jenen Funken, der in dem Moment zwischen ihnen übersprang, als sich ihre Blicke begegneten – und er war sich sicher, dass sie dasselbe empfand, obwohl sie nur geblinzelt und jegliche Gefühlsregung unterdrückt hatte.

Und ihn nach Kräften ignorierte.

Deverell war es nicht gewohnt, dass eine Frau sich wie sie verhielt und sich dermaßen vehement gegen seine Anziehungskraft sträubte. Gleichzeitig konnte er sich nicht daran erinnern, jemals bereits im ersten Moment so stark von einem weiblichen Wesen in den Bann gezogen worden zu sein.

Ohne sich umzublicken, schlug sie den Weg ein, der um das ganze Gebäude herumführte.

»Sie sind das erste Mal hier, nicht wahr? Maria, Lady Cranbrook, schart gerne eine bunte Gästeschar um sich.«

Er folgte ihr zu der gepflegten Rasenfläche, die man von der Hauptterrasse vor dem Salon aus erreichte und wo sich die anderen Gäste versammelt hatten. Deverell schaute nachdenklich hinüber zu den alten Bäumen, die jenseits des Grüns in einen Wald übergingen.

Phoebe gab sich beinahe aufgesetzt munter. »Ich bin sicher, dass Sie in den nächsten Tagen eine Menge interessanter Dinge erleben werden. Maria veranstaltet normalerweise immer ein Picknick in den Hügeln, und es werden ein paar herrliche Ausritte stattfinden.«

Sie sprach über die Schulter und legte ein Tempo vor, als müsse sie schnellstmöglich seiner Gegenwart entfliehen und sich in den Schutz der Herde begeben. Doch auch wenn sie es eindeutig darauf anlegte, war er nicht willens, sie entwischen zu lassen.

Sie redete ohne Unterlass, verwies auf die Herrlichkeit der Grünanlagen und rühmte einen in der Nähe stehenden kleinen Pavillon, der bloß dekorativ, ansonsten jedoch nutzlos war.

Ihm hingegen war ihr Anblick lieber.

Seine erste Einschätzung ihrer Figur wurde bei näherem Betrachten erfreulicherweise noch übertroffen. In der Tat war sie recht groß für eine Frau, was vor allem an der Länge ihrer Beine lag, und reichte ihm etwa bis zum Kinn. Zwar schlank, offenbarte ihr Körper unter dem Musselinkleid ansprechende Rundungen, und er erkannte, dass sie ihre Korsage mehr als angemessen ausfüllte.

Ihr blaues Kleid mit dem runden Ausschnitt, der weder prüde noch zu freizügig wirkte, bezeichnete er für sich als damenhaft. Es bewies, dass seine Trägerin sich ihrer Weiblichkeit sehr wohl bewusst war, ohne sie demonstrativ zur Schau stellen zu wollen.

Zu Deverells besonderen Talenten gehörte die Fähigkeit, Menschen problemlos zu schlüsseln, ihren Charakter, ihre Eigenschaften. Dazu reichten ihm meist ein kurzer Blick und wenige Worte. Und was er auf Anhieb in Phoebe entdeckte, spiegelte Audreys Beurteilung wider: Sie besaß nicht das geringste Interesse an Männern und rechnete außerdem nicht damit, es in näherer Zukunft zu entwickeln.

Na schön, ohne Zweifel eine Herausforderung, vor die er sich gestellt sah.

Andererseits gab der zwischen ihnen übergesprungene Funke Anlass zur Hoffnung. Und in Anbetracht dessen, was er mittlerweile als Ursache für seine wachsende innere Unruhe und die lähmende Unlust erkannt hatte, war er alles andere als abgeneigt, sich um Phoebe Malleson zu bemühen.

Vielleicht würde sie Überdruss und Langeweile ja vertreiben.

Indem sie ihm ihre Hand zur Ehe reichte.

Jedenfalls beschloss er, sich der Sache mit vollem Einsatz zu widmen.

Dass sie sein Interesse dermaßen rasch und heftig zu erregen vermochte, bestärkte ihn nur in diesem Vorsatz. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann eine Lady ihn jemals so neugierig gemacht oder seinen Eroberungsdrang in einem solchen Maße angefacht hatte. Und dass sie die gegenseitige Anziehungskraft eindeutig zu verbergen suchte, spornte ihn nur noch mehr an.

Dann waren sie bei den anderen Gästen eingetroffen, die teilweise bereits an den weiß gedeckten Tischen Platz genommen hatte, um den Tee einzunehmen.

»Sicherlich haben Sie sich schon umgesehen und sich mit vielen bekannt gemacht. Ansonsten halten Sie sich an Peter Mellors. Er ist ein enger Freund des Hauses und kann Ihnen bestimmt alle Fragen beantworten, sollten Sie welche haben.«

Lieber würde er sie fragen, dachte er und wartete gespannt darauf, wohin sie ihn führte und was sie mit ihm vorhatte.

Wie sie ihn loszuwerden gedachte.

Seine Erwartungen hinsichtlich der nächsten vier Tage stiegen, galt es doch, die spröde Phoebe zu erobern. Jagdfieber brach prickelnd bei ihm aus. Es versprach eine ausgesprochen vergnügliche Zeit zu werden.

Er nahm sich vor, Audrey für ihren Einsatz zu danken.

Phoebe marschierte hocherhobenen Hauptes zu den Tischen und kam Deverell vor wie ein General beim Besuch seiner Truppen. Oder wie Moses, vor dem sich das Rote Meer teilte, denn respektvoll traten die anderen zur Seite, als sie mit ihm im Gefolge aufkreuzte.

Er selbst hielt sich dicht hinter ihr und bedachte alle mit einem freundlichen Lächeln, ohne sein spezielles Interesse zu verbergen. Sollten die Gäste doch merken, dass sie es mit jemandem zu tun hatten, der Phoebe Malleson zur Strecke zu bringen gedachte.

Sie eilte auf den Butler zu, der hinter einem Serviertisch stand und einen reich verzierten Silbersamowar bediente. Bevor sie etwas sagen konnte, ergriff Deverell das Wort. »Eine Tasse für Miss Malleson bitte.«

Sie warf ihm einen empörten Blick zu, nahm jedoch den Tee widerspruchslos und höflich entgegen.

»Und Sie, Sir?«

Deverell begegnete Stripes Blick. Der Mann wusste ganz genau, dass er nicht der Typ war, der sich mit Tee begnügte. Andererseits …

»Gerne«, sagte er deshalb und nahm die dargebotene Tasse in Empfang, obwohl Phoebe ihn argwöhnisch musterte und sich von ihm wegdrehte. Dann huschte ihr Blick über die Gäste, ehe sie sich gezielt auf eine der Gruppen zubewegte. Er folgte ihr automatisch.

»Mrs. Hildebrand. Leonora, Tabitha. Mr. Hinckley.«

Phoebe blickte Deverell an, als er neben sie trat. »Ich nehme an, Sie haben bereits die Bekanntschaft von Viscount Paignton gemacht?«

Die Damen, deren Blicke bereits an ihm klebten, zeigten ihr strahlendstes Lächeln. Mr. Hinckley neigte den Kopf.

»Ich habe Seiner Lordschaft gerade die vielen Vergnügungen beschrieben, mit denen wir uns während unseres Aufenthalts hier für gewöhnlich die Zeit vertreiben.« Sie lächelte Leonora Hildebrand, einer attraktiven Blondine, zu. »Du bist so eine hervorragende Reiterin, meine Liebe – planst du eventuell für heute Nachmittag einen Ausritt?«

Eigentlich nicht, doch als Leonora ihn mit ihren blauen Augen ansah, wusste Deverell, dass sie ihre Meinung ändern würde.

Und er erkannte, worauf Phoebe es anlegte.

Nämlich darauf, mannstolle junge Ladys auf ihn zu hetzen.

Zumindest hier ging ihre Rechnung auf, denn prompt antwortete Leonora mit schmelzender Stimme, während ihr Blick förmlich an seinem Gesicht klebte.

»Daran hatte ich selbst bereits gedacht. Vielleicht könnten wir ja eine kleine Gruppe bilden?«, flötete sie.

Mit einem Lächeln, das geistesabwesend wirkte, nahm er noch einen Schluck Tee, ohne auf den Vorschlag zu reagieren. Woraufhin Leonora sich an Hinckley wandte, der nur allzu gerne bereit war, in die Bresche zu springen.

»Wir könnten zur Furt reiten. Bis dahin ist es nicht weit, sodass wir zum Abendessen auf jeden Fall rechtzeitig zurück wären.«

Begeistert richtete er seinen Blick auf Mrs. Hildebrand.

Leonoras Mutter, der Deverells demonstrative Gleichgültigkeit nicht entgangen war, ließ sich zu einem Lächeln herab. »In der Tat. Frische Luft und Bewegung sind genau das, was der Doktor der armen Leonora gegen die Schwermut verordnet hat, unter der sie in den letzten Wochen gelitten hat. Ich muss feststellen, London wird in letzter Zeit geradezu überschwemmt von anmaßenden Bürgerlichen und ausgemusterten Offizieren.«

Das galt ihm, aber Deverell war es egal. Sein Urteil über Leonora und Mrs. Hildebrand stand bereits fest.

»Können wir Sie dafür begeistern, sich uns anzuschließen, Paignton?«, fragte Hinckley ihn.

Er tat, als müsse er überlegen. »So verlockend es klingt, ich denke nein. Ich bin gerade erst eingetroffen und will mich erst einmal hier in der Nähe umsehen.«

Hinckley ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken und wandte sich Phoebe zu. »Miss Malleson?«

Phoebe blickte kurz zu Deverell. Ihr Verstand drängte sie, Ja zu sagen, um seiner Gegenwart zu entgehen, doch einer Eingebung folgend, entschied sie sich anders. Überdies traute sie es ihm zu, in letzter Minute seine Meinung doch noch zu ändern und sich für eine Teilnahme am Ausritt zu entscheiden.

Dann hätte sie ihn womöglich noch dichter auf der Pelle als hier im Haus.

»Vielen Dank, nein. Vielleicht fragen Sie Mr. Manning und Miss Pilborough, die sich beide sehr fürs Reiten begeistern«, erklärte sie und fügte an Deverell gerichtet hinzu: »Sie wollten sich doch mit Mr. Mellors unterhalten. Ich sehe ihn da drüben.«

Dann schenkte sie den anderen dreien ein strahlendes Lächeln. »Wenn Sie mich entschuldigen?«, sagte sie und manövrierte Deverell zu der Gruppe, in der sich Peter Mellors sowie seine bildschöne Schwester Deidre befanden.

Nachdem er an Leonora offensichtlich keinen Gefallen fand, musste sie ihm eben eine andere junge Dame zuzuführen versuchen, damit er sie in Ruhe ließ.

Ihr Leben war schon turbulent genug. Da konnte sie es absolut nicht brauchen, dass ihr ein heiratswütiger Kerl nachstellte.

Schon gar nicht so einer wie er.

Irgendetwas war doch da gewesen mit dem Militär, erinnerte sie sich dunkel. Irgendwelche Geheimaufträge jedenfalls. Undenkbar. Das wäre ja das Allerletzte.

Was nämlich niemand oder so gut wie niemand wusste: Phoebe hatte sich einer Aufgabe verschrieben, mit der sie sich teilweise hart am Rande der Legalität bewegte.

Da hielt sie einen professionellen Spion vorsichtshalber lieber aus ihrem Umfeld fern. Allein der Gedanke, er könnte ihr unter Umständen auf die Finger schauen, jagte ihr einen Schrecken durch die Glieder.

Vor Besorgnis. Weswegen sonst wohl?

Hoffentlich machte Deidre mehr Eindruck auf ihn als Leonora. Immerhin schaute sie bereits die ganze Zeit über verstohlen zu ihm herüber und wandte sich ihnen jetzt mit einem hocherfreuten Lächeln zu. Trat sogar ein Stück zur Seite, um neben sich Platz zu machen, und Deverell blieb nichts anderes übrig, als sich von Phoebe in die entstandene Lücke schieben zu lassen.

Nachdem sich alle begrüßt hatten, ergriff sie das Wort. »Peter, mein Lieber, ich habe Viscount Paignton gerade davon vorgeschwärmt, wie gut du das Haus und die Umgebung kennst. Er war noch nie hier und könnte jemanden brauchen, der ihm das eine oder andere zeigt.«

Mellors grinste gutmütig und nickte Deverell zu. »Fragen Sie nur, Mann. Ich helfe gerne.«

»Nun, das Billardzimmer habe ich bereits gefunden. Und falls mir darüber hinaus etwas einfällt, wende ich mich mit Vergnügen an Sie.«

»Na, prima. Womit Sie den wichtigsten Raum des Hauses entdeckt hätten«, sagte Peter mit einem Augenzwinkern. »Wir – na ja, die meisten Gentlemen wenigstens – treffen uns für gewöhnlich nach dem Abendessen auf ein paar Runden.«

»Nachdem Sie Ihren Pflichten im Salon nachgekommen sind, hoffe ich doch.«

Mrs. Morrison, eine eindrucksvolle Matrone, beäugte Peter mit gespielter Missbilligung, aus der schnell Ernst werden konnte, falls er jetzt etwas Falsches sagte.

»Aber natürlich«, schwor er grinsend. »Das versteht sich schließlich von selbst.«

»Das will ich Ihnen auch geraten haben.« Mrs. Morrison verstand in dieser Hinsicht keinen Spaß. »Das Letzte, was wir wollen, ist nämlich, dass die Herren uns allein lassen«, fügte sie erklärend für Deverell hinzu.

»Bei diesem erlesenen Kreis attraktiver Damen kann ich mir nicht vorstellen, dass Ihnen ein solch trübes Schicksal widerfährt.«

Seine schlagfertige, mit einem charmanten Lächeln und einer Hand auf dem Herzen vorgetragene Antwort entlockte der gestrengen Matrone ein wohlwollendes Nicken.

»Haben Sie die Absicht, die ganzen vier Tage über zu bleiben?«

»So ist es geplant.«

»Natürlich nur, wenn Sie nicht vorher abberufen werden«, warf Deidre Mellors ein.

Die ausgesprochen hübsche junge Dame mit glänzend braunem Haar meldete sich zu Wort in dem unverkennbaren Bemühen, seine Aufmerksamkeit zu erringen, und setzte dabei gekonnt und fast ein wenig schamlos ihre bezaubernden Haselnussaugen ein.

»Wie ich hörte, befinden sich Ihre neuen Ländereien in Devon. Es ist bestimmt nicht leicht, sich in die Verwaltung eines so großen Erbes einzuarbeiten.«

»Nun, so schwierig, wie man vielleicht meint, war es wiederum nicht. Ich habe hervorragende Leute vor Ort, die mir zur Hand gegangen sind.«

»Dann werden Sie den Sommer wohl dort unten verbringen?«

»Nein, das hatte ich eigentlich nicht vor.«

Deverells Antwort wirkte zerstreut, denn ihm lag nichts an Deidres Interesse. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Phoebe, die sich leider wegdrehte, um sich mit Mrs. Morrison zu unterhalten. Worüber, das war nicht zu verstehen.

»Ich habe erst noch ein paar Dinge zu erledigen, ehe ich mich für den Sommer zurückziehen kann«, sagte er deshalb lahm zu Deidre.

»Ach ja?«

Als die braunen Augen verdächtig zu leuchten begannen, hielt er es für ratsam, das Thema zu wechseln.

»Wird hier viel gejagt?«, fragte er mit einem unverbindlichen Blick in die Runde.

Peter verzog das Gesicht. »Zu dieser Jahreszeit gibt es kaum Wild.« Er sah kurz Edgar Thomas an, der neben ihm stand. »Allerdings könnten wir ein Turnier veranstalten.«

»Aber ja nicht mit Pistolen«, wandte Deidre sofort ein, »sondern mit Pfeil und Bogen, damit wir Damen ebenfalls teilnehmen können.«

Als Deverell lächelte, nahmen die anderen das als Zustimmung und begannen auf der Stelle, einen Wettkampf im Bogenschießen zu planen.

Wie lästig.

Ihm war ein solches Turnier herzlich gleichgültig. Mehr noch störte es seine Pläne, die ganz auf Phoebe und ihre Eroberung gerichtet waren.

Sie dachte jedoch anders, denn sie versuchte soeben, sich heimlich aus dem Staub zu machen. Zumindest verabschiedete sie sich gerade unauffällig bei Mrs. Morrison.

»Wollen Sie sich nicht ebenfalls an Pfeil und Bogen versuchen, Mylord?« Deidre schaute ihn unverblümt an.

»Ich habe fest vor, ein Ziel anzuvisieren«, antwortete er kryptisch und lächelte unverbindlich.

Das Ziel, auf das er es abgesehen hatte, befand sich zu seinem Bedauern bereits außer Hörweite.

Da Deidre die Anspielung sichtlich nicht verstanden hatte und er keine langen Diskussionen wünschte, nickte er Peter und Edgar zu. »In Ordnung, setzen Sie mich auf die Teilnehmerliste. Aber wenn Sie mich bitte jetzt entschuldigen …«

Obwohl Deidre sichtlich enttäuscht war, unternahm niemand den Versuch, ihn zurückzuhalten, und so konnte er sich an Phoebes Fersen heften.

Seine Zielperson, seine Beute.

Als sie ihn kommen sah, unterdrückte sie ein gereiztes Seufzen und überlegte bereits, welche junge Dame noch interessant für ihn sein könnte. Deidre hatte sich ebenso wie Leonora als Reinfall erwiesen.

Bevorzugte er etwa Kandidatinnen im Debütantinnenalter?

Nein, denn kurz darauf erreichte ihre Verzweiflung einen neuen Höhepunkt.

Die ganz jungen Ladys, die sie ihm vorstellte, hatten nämlich dafür gesorgt, dass er jetzt endgültig wie eine Klette an ihr hing. Darüber hinaus war ihr inzwischen der Verdacht gekommen, dass er sich viel zu widerspruchslos von ihr herumführen ließ. Dafür war er einfach nicht der Typ.

Sie begann seine Absichten zu durchschauen.

Durch nichts und niemanden würde er sich von ihr ablenken lassen. Ganz gleich wie aufgeschlossen und kontaktfreudig er sich auch geben mochte, seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich ihr.

Phoebe lief eine Gänsehaut über den Rücken.

Wütend auf sich selbst, weil er es schaffte, solche Empfindungen bei ihr auszulösen, entfernte sie sich energischen Schrittes von der letzten Gästegruppe – wohl wissend, dass er jetzt umso dichter neben ihr herschlich und mit seiner Nähe all ihre Sinne in Aufruhr versetzte.

Unter einem Baum, der sie vor neugierigen Blicken verbarg, blieb sie unvermittelt stehen und wirbelte herum, fixierte ihn mit gereizter Miene.

»Audrey hat mir erzählt, dass Sie Major bei der Garde waren und bei Waterloo gekämpft haben. Stimmt das?«

Seine grünen Augen begegneten ihren, und die Erheiterung, die sie darin aufblitzen sah, brachte sie zum Kochen.

»Zusammen mit einer ganzen Armee.«

»Aha. Nachdem Sie offenbar mit Bonapartes besten Leuten aufgeräumt haben, ist es mir schleierhaft, dass ein so liebes Ding wie Heather Jenkings – die letzte junge Dame, Sie wissen schon – Sie zu Tode erschrecken konnte.«

Seine dunklen Brauen zogen sich verwundert zusammen. »Zu Tode erschrecken?«

»Na ja, auf jeden Fall sorgte sie dafür, dass Sie verstummten.« Sie wedelte in Richtung des um Heather versammelten Grüppchens. »Sie standen da wie eine Sphinx und brachten außer einem Hallo und einem Auf Wiedersehen und einigen knappen Antworten kein Wort heraus.«

Er sah sie freundlich, wenngleich leicht amüsiert an. »Zu schweigen schien mir das Klügste zu sein. Besser, als mir meine Langeweile anmerken zu lassen.«

Sie runzelte die Stirn. »Heather hat Sie gelangweilt?«

»Alle jungen Damen langweilen mich. Die gute Heather war höchstens besonders einfältig.«

Während sie seine ausdruckslose Miene zu ergründen versuchte, presste sie die Lippen aufeinander. Rief sich in Erinnerung, dass sie nicht mehr als junge Dame durchging.

Vorsichtig erwiderte sie: »Ich verstehe, dass Sie eher eine reifere Frau suchen. Heißt es zumindest.« Als sein durchdringender Blick sie traf, fügte sie hastig hinzu: »Jeder weiß das und geht davon aus, dass Sie exakt aus diesem Grund hergekommen sind. Um Ausschau zu halten.«

ENDE DER LESEPROBE