Ein kleines Stück Unendlichkeit - Maja Lorim - E-Book

Ein kleines Stück Unendlichkeit E-Book

Maja Lorim

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Beschreibung

Sie ist frei und unabhängig, er an Verpflichtungen gebunden Sie will nur einen Urlaubsflirt, er unendlich viel mehr Als Lou auf dem Markt in Avignon Manu trifft, wird ihr schnell klar, unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Während Manu in den Tag hinein lebt, hat Lou ihre Zukunft durchgeplant. Ihr Studium ist beendet und im Herbst wird sie ihren Traumjob beginnen. Der Sommer in Avignon ist nur eine Zwischenstation für sie und Manu eine nette Ablenkung von den Schatten ihrer Vergangenheit. So ist wenigstens ihr Plan. Manu ist von Lou fasziniert. Sie spricht eine Seite in ihm an, die er schon lange nicht mehr gespürt hat. Die Geschichte seiner Familie lastet schwer auf ihm, doch mit Lou kann er loslassen und sich erstmals wieder eine Zukunft vorstellen. Um Zeit mit ihr zu verbringen ist er bereit, alles zu vergessen und ihre Bedingungen zu akzeptieren. Aber Gefühle lassen sich nicht abstellen und das Herz hält sich nicht an Pläne.

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Ein kleines Stück Unendlichkeit

Die Autorin

Maja Lorim lebt mit ihrer Familie im Westerwald. Nach einem turbulenten Arbeitstag und dem üblichen Familientrubel liebt sie es, mit Tee und Schokolade gewappnet in spannende, dramatische und romantische Geschichten einzutauchen. Wenn sie gerade mal nicht liest oder schreibt, hört sie mit Begeisterung Musik oder schaut originelle Filme im Kino.

Das Buch

Sie ist frei und unabhängig, er an Verpflichtungen gebundenSie will nur einen Urlaubsflirt, er unendlich viel mehr

Als Lou auf dem Markt in Avignon Manu trifft, wird ihr schnell klar, unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Während Manu in den Tag hinein lebt, hat Lou ihre Zukunft durchgeplant. Ihr Studium ist beendet und im Herbst wird sie ihren Traumjob beginnen. Der Sommer in Avignon ist nur eine Zwischenstation für sie und Manu eine nette Ablenkung von den Schatten ihrer Vergangenheit. So ist wenigstens ihr Plan.

Manu ist von Lou fasziniert. Sie spricht eine Seite in ihm an, die er schon lange nicht mehr gespürt hat. Die Geschichte seiner Familie lastet schwer auf ihm, doch mit Lou kann er loslassen und sich erstmals wieder eine Zukunft vorstellen. Um Zeit mit ihr zu verbringen ist er bereit, alles zu vergessen und ihre Bedingungen zu akzeptieren.

Aber Gefühle lassen sich nicht abstellen und das Herz hält sich nicht an Pläne.

Maja Lorim

Ein kleines Stück Unendlichkeit

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAugust 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrus.comISBN 978-3-95818-436-7

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Just three words

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 1

Lou

Eigentlich liebe ich shoppen.

Am meisten Spaß macht es natürlich, wenn ich mit einer guten Freundin unterwegs bin, erstens, weil wir dann quatschen können, und zweitens, weil ich mich manchmal nicht entscheiden kann und eine zweite Meinung brauche.

So wie jetzt.

Die rot gemusterte Stoffhose? Oder doch lieber die grüne?

Umständlich krabbele ich von der Ladefläche des Kleinlasters, der als provisorische Umkleidekabine für besonders unentschlossene Kunden dient. Viele Leute nehmen die auf dem Markt in Avignon angebotene sommerliche Bekleidung einfach mit, ohne sie auszuprobieren, aber ich bin gerade total hin- und hergerissen, denn ich finde beide Hosen toll, habe aber nur Geld für eine.

Auf der Suche nach meiner Mitbewohnerin Sophia recke ich den Hals. Eben war sie doch noch da. Ich kenne sie erst seit gestern Abend und weiß noch nichts über sie, außer dass sie Psychologie studiert, wie ich aus Deutschland kommt und einen Ferienjob im selben Hotel angenommen hat. Ihr Modegeschmack? Keine Ahnung.

Verflixt. Zwischen all den bunten Ständen mit Gemüse, Geschirrtüchern, Töpfen und Lavendelprodukten habe ich sie aus den Augen verloren.

»Die rote Hose ist besser«, höre ich eine angenehm raue Stimme auf Französisch sagen und drehe mich um. Unter dem Rand seines Strohhutes hinweg sieht mich ein junger Mann mit einem amüsierten Lächeln an. Er sitzt auf einem Klappstuhl hinter seinem Verkaufsstand, der so klein ist, dass er zwischen dem ausufernden Klamottenstand und dem Olivenhändler auf der anderen Seite verloren wirkt. Der Typ trägt abgeschnittene, ausgefranste Jeans und ein verwaschenes T-Shirt und hat die Hände lässig hinterm Kopf verschränkt. Seine Augen sind hinter einer kultigen Sonnenbrille mit runden Gläsern versteckt.

Ich sehe an mir herunter, um mir in Erinnerung zu rufen, welche der beiden bunt gemusterten Hosen ich gerade trage.

»Wirklich?«, frage ich in der Landessprache. »Sie ist aber sehr rot.« Wobei die bunten Kreise und farbenfroh gestalteten Mandalas die Grundfarbe in den Hintergrund drängen.

Er lacht. »Das haben rote Hosen so an sich. Sie ist aber nicht unangenehm rot, falls du davor Angst hast. Außerdem hast du schon das passende Top dazu.« Er spricht mit dem typischen Akzent der Südfranzosen, was ihn mir sofort sympathisch macht.

Prüfend zupfe ich an meinem Spaghetti-Top. Er hat recht, die Kombi rotes Top – rot-gemusterte Hose sieht perfekt abgestimmt aus.

»Das passende Top ist ein sehr gutes Argument«, erwidere ich und lächele ihn dankbar an, weil er mir die Entscheidung abgenommen hat. Dabei werfe ich einen flüchtigen Blick auf seinen Verkaufsstand. Er handelt mit Silberschmuck, aber nicht mit den typisch provenzalischen Kettchen und Armbändern, die hier an so vielen Ständen en masse angeboten werden, was wohl auch erklärt, warum sein Stand so winzig ist.

Mit einem freundlichen »Danke« drehe ich mich um und krabbele zurück in den Laster, um mich umzuziehen.

Gestern Abend bin ich in Avignon angekommen, wo es mindestens fünfzehn Grad wärmer ist als zuhause in Deutschland, weshalb ich sogar meine leichte Sommerkleidung als zu warm empfinde. Natürlich ist das nur ein Vorwand, um meine Garderobe anzupassen und ein bisschen shoppen zu gehen.

Sobald ich den Laster verlassen habe, bezahle ich, stecke den neu erworbenen Schatz in meine Umhängetasche und mache mich auf den Weg zu Sophia, die ich mittlerweile zwei Stände weiter bei den Tischdecken entdeckt habe. Als ich an dem winzigen Schmuckstand des Franzosen vorbeikomme, der mir zu der roten Hose geraten hat, werfe ich einen kurzen Blick auf die ausgestellten Stücke. Die Ohrringe, Ketten und Armbänder sind wirklich originell. Ich werde langsamer und trete dichter heran, um den Schmuck genauer zu betrachten. Natürlich bin ich mir bewusst, dass der Kerl hinter dem Stand mich mustert, er hat ja sonst nichts zu tun.

»Vielen Dank noch mal für die Entscheidungshilfe«, murmele ich, während ich eine Kette umdrehe, die ein bisschen schief hängt.

»Gern geschehen.«

Eigentlich rechne ich damit, dass er mir jeden Moment etwas aufschwatzen wird, doch er regt sich nicht, sondern lässt mich in aller Ruhe den Schmuck begutachten, so als wüsste er ganz genau, dass er keine Werbung nötig hat.

»Ist das echtes Silber?«, frage ich, weil mir das Schweigen unangenehm ist.

»Jep.«

Die Preise sind unterschiedlich. Es gibt einfache Schmuckstücke zu humanen Preisen, aber das Paar Ohrringe, das mir gut gefällt, ist recht teuer. Sehnsüchtig gleite ich mit den Fingern darüber. Vielleicht lässt er mit sich handeln? Dann müsste ich aber einen deutlichen Rabatt erzielen und das ist mir zu peinlich. Also richte ich mich wieder auf. Hinter den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille kann ich die Augen des Verkäufers nicht erkennen. Zu gerne wüsste ich, was ihm durch den Kopf geht.

»Hast du vielleicht einen Schmucktipp für mich?«, frage ich – eigentlich nur, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln.

Nun kommt Leben in ihn. Er beugt sich vor und nimmt seine Sonnenbrille ab. Sein Blick ist gesenkt und auf meinen Körper ausgerichtet. Was wird das? Checkt er mich ab? Sind meine Shorts lang genug?

»Ein Fußkettchen«, sagt er schließlich und sieht zu mir auf.

Seine Augen sind von einem Blau, wie ich es nie zuvor gesehen habe und das im Kontrast zu seinen dunklen Wimpern und der sonnengebräunten Haut fast unwirklich erscheint.

»Was hältst du davon?«, hakt er nach, weil ich eine ganze Weile nichts erwidere, zu sehr bin ich von diesem Himmelblau, nein Eisblau … überhaupt nicht … Meeresblau … auch nicht … egal, auf alle Fälle bin ich abgelenkt.

»Ähm«, räuspere ich mich, »ein Fußkettchen? Wieso nicht …«

Ich fürchte, er hat mich nicht abgecheckt, sondern meine Hände und Knöchel fachmännisch auf ihre Schmückbarkeit überprüft.

Sein linker Mundwinkel wandert nach oben. »Okay, dann zeige ich dir mal was. Hast du ein bestimmtes Budget?«

Wieder räuspere ich mich. »Na ja, vielleicht so ein Drittel von dem Preis dieser Ohrringe?«

»Alles klar.« Es scheint ihn weder zu verwundern noch zu stören. Er steht auf und kniet sich auf den Boden, um in einem Rucksack unter der als Verkaufstisch dienenden, aufgebockten Platte zu kramen. Dabei stößt er mit dem Strohhut gegen die Tischkante, nimmt ihn ab und legt ihn achtlos auf seine Exponate. Dichtes, hellbraunes Haar fällt ihm in die Stirn und sieht unglaublich weich und glänzend aus. Wie es sich wohl anfühlt?

Der junge Mann steht auf und lässt ein zierliches Silberkettchen über seine Finger gleiten. Mir fällt auf, wie schlank, feingliedrig und braungebrannt seine Hände sind. Ich atme tief ein und gebe mir Mühe, mich auf den Schmuck zu konzentrieren. Das Kettchen ist wunderschön. Zwei parallel geführte Ketten werden in regelmäßigen Abständen von filigran gearbeiteten Spiralen zusammengehalten. Ohne nachzudenken strecke ich die Hand aus und gleite mit den Fingerspitzen über die kleinen Spiralen, um sie gerade auszurichten.

»Das ist sehr schön«, flüstere ich ehrfürchtig, denn ich mag diesen Stil.

»Möchtest du es anprobieren?«

Ich beiße mir auf die Lippe und grinse ihn an. Er grinst zurück, wobei seine weißen Zähne aufblitzen. Ohne eine Antwort abzuwarten, kniet er sich wieder hin und klopft mit der flachen Hand auf eine Kiste neben dem Verkaufstisch. Ich werte das mal als Aufforderung, meinen Fuß darauf abzustellen. Behutsam legt er mir das Kettchen an, wobei seine Finger angenehm warm über meine Haut streifen. Mein Blick fällt auf seinen Fuß und die Flipflops, die er trägt. Zwischen seinen Zehen, dort wo die Sonne nicht so gut hinkommt, ist die Haut deutlich heller.

Er steht auf, beäugt sein Werk und legt zufrieden den Kopf schief. Dabei fährt er sich mit der Hand durch das dichte Haar, weil es ihm sonst bis in die Augen fällt.

Ich habe nicht sehr oft … eigentlich noch nie Fußkettchen getragen. Warum nicht, das verstehe ich im Augenblick selbst nicht mehr, denn das Kettchen sieht zauberhaft an meinem Knöchel aus.

»Gefällt es dir?«, fragt er mich, beugt sich dann noch einmal vor, weil sich das Kettchen verdreht hat, und rückt es zurecht. Da ihm das Haar schon wieder in die Stirn fällt, greift er nach seinem Hut, streicht das Haar zurück und setzt den Hut so auf, dass nur noch ein paar Strähnen zu sehen sind.

»Sehr sogar«, gebe ich zu und drehe verzückt mein Bein, um das Kettchen von allen Seiten betrachten zu können. »Was kostet es denn?«

»Ach hier steckst du?«

Die Stimme meiner Mitbewohnerin trifft mich überraschend. Ich hatte sie völlig vergessen.

»Schau mal, wie findest du das Kettchen?«, frage ich sie, doch sie zieht die Stirn kraus.

»Echt jetzt?«, fragt sie auf Deutsch, sodass der Verkäufer uns nicht verstehen kann, was ich ein bisschen unhöflich finde. »Ausgerechnet ein Fußkettchen? Von so einem Billigstand?«

Ich laufe knallrot an und hoffe inständig, dass der Schmuckhändler kein Deutsch versteht. Als ich zu ihm aufsehe, wirkt er verwirrt, aber zum Glück nicht verärgert.

Sophia packt mich am Arm und zieht mich dicht an sich heran. »Du weißt schon, was es bedeutet, dass er dir ausgerechnet ein Fußkettchen verkaufen will, oder?«, flüstert sie beschwörend.

»Ähm … nein?«

»Nimm es nicht. Lass uns gehen.«

Plötzlich bin ich verunsichert und durchforste in Windeseile mein Gehirn: Schlagwörter »Fußkettchen« und »tiefere Bedeutung«. Bei Google würde ich gewiss etwas finden, aber in meinem Kopf herrscht diesbezüglich Leere.

Und Geld habe ich sowieso nicht übrig. Also stelle ich meinen Fuß wieder auf die Kiste, nehme das Kettchen ab und reiche es dem Verkäufer, der verständnislos zwischen Sophia und mir hin- und hersieht.

»Ich … ähm … überlege es mir noch einmal«, antworte ich auf Französisch. »Das Kettchen ist wirklich sehr schön, aber ich bin total pleite.«

Darum habe ich mir ja auch gerade eine Hose gekauft. Oh, wie peinlich!

»Schade, aber kein Problem«, erwidert er und nimmt das Schmuckstück entgegen. Er lässt es in ein kleines Samttäschchen gleiten und verschließt es.

Wirklich schade. Das Kettchen hat mir sehr gut gefallen.

Als er aufsieht, begegnen sich unsere Blicke. Wow! Dieses Blau.

Ich lächle entschuldigend und lasse mich von Sophia weiterziehen.

Doppelt schade. Der Typ hat mir auch gut gefallen.

»Also jetzt bin ich aber neugierig. Was hat es denn mit diesem Fußkettchen auf sich, dass ich es nicht kaufen sollte?«, frage ich Sophia, sobald wir außer Hörweite sind.

»Na, du kennst doch bestimmt die psychoanalytische Deutung von Aschenputtel, oder?«

»Die was?«

»Weißt du echt nicht, wovon ich rede?«

Ich ärgere mich darüber, dass ich mich dumm fühle, dabei ist Sophia diejenige, die Psychologie studiert, nicht ich.

»Die Bedeutung des Schuhs?«, fragt sie noch einmal nach und als ich immer noch nicht antworte, plappert sie drauflos. »Dass der Prinz Aschenputtel den Schuh anzieht, ist ein Symbol für den Akt.«

Ich werde langsamer, denn ich schaffe es nicht, neben Sophia herzugehen und gleichzeitig ihre Theorien zu verarbeiten.

»Du meinst … du meinst …«, stammele ich.

»Den körperlichen Akt. Ja. Sex. Der Schuh steht für die Vagina und der Fuß, der in den Schuh schlüpft … na? Findest du das selbst heraus?«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch, dann muss ich laut lachen.

»Das ist eine weit verbreitete Theorie«, meckert Sophia und stapft so schnell weiter, dass ich ein paar Schritte laufen muss, um sie wieder einzuholen.

»Das mag ja sein«, räume ich ein, auch wenn ich finde, dass durch diese gewöhnungsbedürftige Theorie mein Lieblingskindermärchen furchtbar an Charme verliert. »Was ist denn dann mit Schuhverkäufern? Sind das alles Lustmolche? Außerdem hat mir der Typ keinen Schuh angezogen, sondern ein Fußkettchen.«

»Das ist noch schlimmer! Fußkettchen! Denkst du nicht an Fesseln und Besitzergreifen?«

»Nö, überhaupt nicht«, grinse ich. Ich denke, dass das Kettchen wunderschön und der Verkäufer ziemlich interessant war.

Vielleicht hat er das Kettchen ja nächste Woche noch immer im Angebot?

Kapitel 2

Lou

Meine Pläne, den Wochenmarkt sieben Tage später erneut aufzusuchen, um nach dem Verkäufer mitsamt Kettchen Ausschau zu halten, geraten bereits am nächsten Tag in den Hintergrund. Mein erster Arbeitstag steht an und wie sich bald herausstellt, hat er es in sich.

Ich habe einen über die Uni in Deutschland vermittelten Job als Zimmermädchen angenommen, weil er mir eine tolle Möglichkeit bietet, meine Sprachkenntnisse aufzufrischen. In zwei Monaten werde ich dann nach Berlin gehen, wo ich als Übersetzerin arbeiten möchte. Ich habe sogar schon eine Wohnung und auch ein paar Aufträge in Aussicht und freue mich riesig auf diesen neuen Lebensabschnitt.

Nach den anstrengenden Abschlussprüfungen wollte ich noch einmal die südfranzösische Lebensart genießen, bevor ich in die Berufswelt einsteige. Dass der Job physisch so anstrengend werden könnte, daran habe ich überhaupt nicht gedacht.

Jeannette, meine Kollegin, die mich einweist, nimmt ihre Aufgabe zu 500 Prozent ernst und so muss ich mein allererstes Bett sage und schreibe zwölfmal neu beziehen, bevor sie zufrieden ist. Warum schlafen die Franzosen nicht unter ganz normalen Bettdecken wie wir? Diese Lakenwirtschaft mit Tagesdecke ist der absolute Horror.

Dass wir nach meinem elfmaligen Scheitern in Zeitverzug sind, macht den folgenden Tagesablauf nicht unbedingt leichter. Ich reinige das Bad, bis es blitzt und funkelt, trotzdem findet Jeanette noch ein blondes Haar auf den dunklen Fliesen. Außerdem habe ich vergessen, die Kissen auf den Sesseln aufzuschütteln und auf dem Türöffner befindet sich die Spur eines Fingerabdrucks. Absolutes No-Go. Die frischen Blumen in der Vase sind nicht nett genug angerichtet, bei den Gästeartikeln war ich zu großzügig, ein Handtuch hängt schief … wirklich nur ein ganz kleines bisschen. Die Mängelliste ist schier unendlich.

Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich in einem Fünf-Sterne-Hotel gelandet bin, in dem alles perfekt sein muss.

Als ich abends nach Hause komme, falle ich wie ein Stein ins Bett.

Am nächsten Tag kämpfe ich gegen den Muskelkater, der sich ungelogen überall in meinem Körper eingenistet hat. Stillschweigend ärgere ich mich, dass ich zu Hause nicht mehr Sport getrieben habe. Andererseits hätte mich wohl kein Sport der Welt auf diesen Marathon unter Jeanettes Argusaugen vorbereiten können.

Immerhin hat sie am Abend des zweiten Tages ein winziges Lob für mich:

»Das war ja heute nicht mehr ganz so lahm wie gestern.«

In unserer Wohnung angekommen, lasse ich mich wie ein Sack Kartoffeln auf einen der klapprigen Stühle in der Küche plumpsen, wo Gaëlle, unsere Vermieterin, gerade eine Melone zerlegt. Sie ist so eine typische Französin, klein, zierlich und voller Energie. Ihre dunkelroten Haare hat sie zu einem hohen Dutt zusammengefasst, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst haben. Sie zwinkert mir zu und reicht mir ein Stück der orangefarbenen Frucht, das ich dankbar annehme. Hmm, köstlich.

»Na?«, fragt sie grinsend. »Ich wette, du spürst Muskeln, von denen du nicht einmal wusstest, dass du sie hast.«

Gaëlle arbeitet ebenfalls als Zimmermädchen in unserem Hotel, allerdings ist das ihr richtiger Job. Ihre für sie allein viel zu große Altbauwohnung mitten in der Innenstadt, die sie von einer Großtante geerbt hat, vermietet sie während des Semesters an Studenten und in den Sommermonaten an Leute wie Sophia und mich, die vorübergehende Praktika oder Ferienjobs angenommen haben.

»Ganz genau«, nuschele ich, weil ich die Zähne in meinem Melonenstück vergraben habe.

»Jeanette ist anstrengend, aber wenn du durch ihr Coaching durch bist, kann dir nichts mehr passieren. In ein oder zwei Tagen hat sie dich zum perfekten Zimmermädchen ausgebildet«, versucht sie mich aufzumuntern.

Einen Moment lang genießen wir schweigend unsere Frucht. Nach dem langen Tag bin ich sogar zu müde zum Reden. Ein bisschen beneide ich unsere vierte Mitbewohnerin Suse, die an der Rezeption gelandet ist. Allerdings muss ich zugeben, dass sie dort sehr gut hinpasst mit ihren langen, blonden Haaren, der Porzellanhaut und ihrer Modelfigur. Ich wäre auf einer solchen Position deutlich weniger dekorativ und eloquent, fürchte ich.

Gaëlle zieht sich die Tageszeitung heran und blättert mit wenig Interesse durch die Seiten, bis ein Artikel ihre Aufmerksamkeit bündelt.

»Hey, Vol’in Hood hat wieder zugeschlagen.«

»Was? Wer?«

»Vol’in Hood, das ist ein Dieb oder eine Gruppe von Dieben, die zurzeit in Avignon und Umgebung ihr Unwesen treiben. Sie bestehlen die Reichen und verteilen ihre Beute an bedürftige Menschen. Alleinerziehende Mütter, alte Personen mit zu geringer Rente, Arbeitslose … Jedenfalls wird in den Social-Media-Kanälen behauptet, dass es so ist. Dort sind Vol’in Hood echte Helden.«

»Vol’in? Das klingt wie …«

»Wie Drive-in, Holiday-in, als wäre es eine Bagatelle, eben kurz in eine Villa einzusteigen und Millionäre um ein paar hundert Scheine zu erleichtern. Das ist ja das Coole an ihnen.«

»Hmm, du hörst dich so an, als würdest du sie bewundern.«

Gaëlle zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Die Artikel sind immer spannend.« Sie klappt die Zeitung zu und schiebt sie ans andere Ende des Tisches.

»Ich treffe mich übrigens gleich noch mit ein paar Freunden zum Skaten. Hast du Lust mitzukommen?«

»Skaten? Inliner?«, hake ich nach.

»Nein, das gute alte Skateboard. In der Nähe gibt es eine Halfpipe, da treffen wir uns öfters mit meinem Bruder und ein paar Freunden und experimentieren.«

»Ehrlich gesagt dachte ich, dass heutzutage kaum noch jemand Skateboard fährt.«

Sie lacht und wischt sich einen Tropfen Melone vom Kinn. »Oh doch, und wie! Also, was meinst du? Kommst du mit?«

Kauend winke ich ab. »Ein anderes Mal vielleicht. Danke für das Angebot, aber heute bin ich zu erledigt.«

Die nächsten Tage sind ähnlich heftig, doch ich kann auch nicht leugnen, dass ich dank Jeanettes Drill allmählich eine gewisse Routine entwickle. Es geht bergauf.

Am vierten Abend schaffe ich es, mit meinen Mitbewohnerinnen zusammen einen gemütlichen Abend zu verbringen, ohne am Küchentisch einzuschlafen. Wir leeren eine Flasche Bordeaux, genießen Baguette mit Oliven-Tapenade und andere regionale Köstlichkeiten, quatschen über das Studium und die Männer, die wir an der Uni kennen und lieben oder hassen gelernt haben. So gerne ich an diesen Abschnitt meines Lebens zurückdenke, so sehr möchte ich den Mann, der mich während dieser Zeit begleitet hat, vergessen, was mir dank des Weins heute Abend auch die meiste Zeit gelingt.

Gaëlle und Suse mag ich schon richtig gern, doch mit Sophia tue ich mich schwer. Während wir drei zunehmend unkontrolliert vor uns hin kichern, präsentiert sie uns psychoanalytische Theorien und erzählt von angesehenen Psychologen, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Nicht dass es mich nicht interessiert, ich finde Psychologie extrem spannend, aber nach zwei Gläsern Wein fehlt mir die Fähigkeit, mich auf so komplizierte Themen einzulassen. Sophia scheint es nicht zu bemerken.

Wenn unsere Dienstpläne im Hotel es erlauben, verabrede ich mich mit Suse oder Gaëlle zum Mittagessen oder für unsere Nachmittagspause auf dem für das Personal reservierten Teil der Dachterrasse, wo wir über neue Gäste oder den Housekeeper quatschen, den wir nicht leiden können, weil er arrogant und cholerisch ist.

Am Donnerstag mache ich mich um kurz vor vier auf den Weg dorthin. Die Suite, die ich für den folgenden Tag grundgereinigt habe, ist fertig und selbst nach dreifachem Prüfen konnte ich kein Staubkörnchen oder Fingerabdrückchen mehr entdecken. Ich bin zufrieden mit meiner geleisteten Arbeit und wenn ich das nötige Geld hätte, würde ich die Räumlichkeiten zu gerne für ein paar Tage beziehen.

Seltsamerweise ist die Dachterrasse um diese Uhrzeit meistens leer, weil ein Großteil der Angestellten die uns zur Verfügung stehende klimatisierte Lounge mit Kaffeevollautomaten vorzieht. Auch heute habe ich die Terrasse für mich allein. Das denke ich zumindest im ersten Moment, als ich mit meinem Espresso in der Hand durch die Fenstertür schlüpfe. Doch dann entdecke ich einen Mann, der mit dem Rücken zu mir auf der Brüstung sitzt und den Blick über die Dächer der Altstadt schweifen lässt. Zuerst fällt mir das dichte braune Haar auf, das, obwohl es widerspenstig in alle Richtungen steht, in der Sonne glänzt. Ich stutze. Das ist doch nicht möglich, oder? Ich muss mich irren. Allerdings erkenne ich auch den Rucksack wieder, aus dem heute ein Skateboard hervorragt.

Mein Herz macht einen freudigen Hüpfer und in meinem Bauch beginnt es angenehm zu kribbeln. Ob sich das Fußkettchen noch immer in dem Rucksack befindet?

Ich gehe auf den Schmuckverkäufer zu und stelle meine Tasse auf der Brüstung ab.

»Eigentlich ist dieser Teil der Terrasse für das Personal reserviert«, sage ich mit einem Schmunzeln, um ein Gespräch in Gang zu bringen.

Er dreht den Kopf zu mir, wobei Zigarettenrauch zwischen seinen Lippen hervordringt. Bei dem strengen, süßlichen Geruch wird mir mulmig und mein Schmunzeln bricht in sich zusammen. Seine Augen sind gerötet und der abweisende Ausdruck in seinem Gesicht hat nichts mit dem des entspannten Schmuckverkäufers gemeinsam.

»Und was wirst du jetzt tun? Die Security rufen?«, fragt er und hebt den Joint für einen weiteren Zug an seine Lippen. Ist Kiffen inzwischen eigentlich in Frankreich erlaubt? Da ich selbst keine Joints rauche, habe ich den Fortschritt der angekündigten Legalisierung nicht weiter verfolgt. Instinktiv weiche ich einen Schritt zurück. Um illegale Aktivitäten jeglicher Art mache ich seit meinen jüngsten, viel zu schmerzhaften Erfahrungen einen großen Bogen.

Ich beobachte, wie seine Lippen sich um die Zigarette schließen und er einen tiefen Zug nimmt. Es enttäuscht mich, dass er mich nicht wiederzuerkennen scheint, und die Tatsache, dass er kifft, stört mich, obwohl er natürlich tun und lassen kann, was er will. Als er die Hand sinken lässt, fällt mir auf, wie sehr sie zittert, dabei dachte ich, dass Kiffen entspannt.

Ich sehe auf in seine unglaublich blauen Augen, die trotz der Rötung wunderschön sind. Doch heute sprühen sie nicht vor Lebenslust. Sie lächeln nicht. Allmählich frage ich mich, ob ich es mit demselben Mann wie auf dem Markt zu tun habe. Vielleicht hat er einen depressiven Zwillingsbruder? Er mustert mich, wartet offensichtlich auf eine Antwort, doch bevor mir etwas einfällt, bekommen wir Gesellschaft.

»Monsieur Duplétis?«

Überrascht fahre ich herum und entdecke einen der Pagen am Eingang zur Dachterrasse.

»Madame de Castequère empfängt Sie jetzt.«

Der Schmuckverkäufer nickt ihm zu und drückt seine »Zigarette« auf den Steinen der Brüstung aus. Dann schwingt er seine Beine hinüber, springt auf die Terrasse und bückt sich nach seinem Rucksack. Vielleicht macht er einen Schritt nach vorn, vielleicht liegt es an dem Schwung. Als er sich wieder aufrichtet, steht er jedenfalls plötzlich ganz dicht vor mir und sieht mich aus seinen strahlend blauen Augen herausfordernd an.

»Wer weiß, vielleicht gehöre ich ja zum Personal«, raunt er mir zu. Dann schultert er den Rucksack und geht auf den Pagen zu. Im Gegensatz zu unserem Treffen auf dem Wochenmarkt trägt er lange Jeans und ein Hemd. Auch seine Körperhaltung ist eine andere, denn sein Kopf ist gesenkt.

Lange Zeit nachdem er im Flur verschwunden ist, starre ich noch immer auf die Fenstertür, als würde ich erwarten, ihn noch einmal zu sehen. Als würde ich hoffen, der sympathische Mann vom Wochenmarkt könne noch einmal erscheinen und nicht dieser kühle, abweisende Verschnitt von ihm.

Verwirrt lehne ich mich an die Brüstung und greife nach meiner Tasse mit dem inzwischen kalten Espresso. Jetzt ist es meine Hand, die zittert, und das verwirrt mich noch mehr als dieses seltsame Aufeinandertreffen. In den vergangenen Tagen habe ich des Öfteren an diesen Typen gedacht. Während ich Waschbecken geschrubbt und Laken gewechselt habe, habe ich mir vorgestellt, wie ich ihm auf dem Wochenmarkt ein weiteres Mal begegne und hoffentlich genug Geld dabei habe, um dieses Fußkettchen zu kaufen, das mir so gut gefallen hat. Vielleicht hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich von Sophia habe verunsichern lassen und den Schmuckstand fast schon fluchtartig verlassen habe. Vielleicht waren es auch diese lachenden, blauen Augen in dem sonnengebräunten Gesicht, die mir keine Ruhe gelassen haben. Aber eins ist klar: So hatte ich mir ein Wiedersehen ganz bestimmt nicht vorgestellt.

»Was ist denn mit dir los? Geht es dir nicht gut?«

Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass Suse die Terrasse betreten hat. Trotz der Hitze sieht sie aus wie aus dem Ei gepellt, das blonde Haar zu einer eleganten Frisur hochgesteckt und mit dezentem Make-up, das ihre makellose Haut betont.

»Was? Doch, doch, alles in Ordnung. Sag mal, weißt du etwas über eine Madame de … de Castillère oder so?«

»Madame de Castequère?«

»Ja, ich glaube, so heißt sie.«

Suse hebt die Hand und reibt ihre Finger aneinander. »Steinreich. Irgendwo jenseits der Fünfzig. Gehört zur Oberschicht und ich glaube, sie ist sogar adlig. Kommt mehrmals im Jahr für ein paar Tage nach Avignon und bewohnt eine der teuersten Suiten. Warum fragst du?«

»Nur so«, murmele ich und nippe an meinem kalten Kaffee. Warum erwartet diese reiche Frau jenseits der Fünfzig einen mindestens dreißig Jahre jüngeren Schmuckverkäufer in ihrer Suite? Was sollte seine Andeutung, dass er zum Personal gehören könnte? Ohne dass ich etwas dagegen tun kann, stellt meine engstirnige Weltsicht sofort einen ganz bestimmten Bezug zwischen den beiden her und der gefällt mir überhaupt nicht. Er ist zu jung für sie, schätzungsweise Anfang zwanzig. Sein seltsamer Zustand, die geröteten Augen, die zitternden Hände … Vielleicht wollte er nicht zu diesem »Rendezvous« gehen?

Ich schließe die Augen und reibe mir über die Stirn. Warum kümmert es mich überhaupt, was dieser Typ macht? Er hat sich auf die Personalterrasse geschlichen, um einen Joint zu rauchen. Das riecht nach einem Mann mit Geheimnissen, um den ich einen Bogen machen sollte. Gerade erst bin ich auf die Nase gefallen und nur mit einer riesigen Portion Glück einer Katastrophe entkommen.

Ich weiß nichts über diesen Kerl, der außerdem nicht einmal besonders freundlich zu mir war. Jedenfalls heute nicht.

Wenn er nur nicht diese wunderschönen blauen Augen hätte …

Nach meiner Schicht kehre ich nicht direkt in unsere Wohnung zurück, sondern schlendere durch die Boutiquen der Innenstadt auf der Suche nach … ja, wonach eigentlich? Ich weiß es nicht, aber ich will dieses Treffen auf der Dachterrasse aus meinem Kopf bekommen. Es ärgert mich, dass ich Gedanken an diesen Typen verschwende, der mich so frostig abserviert hat, obwohl ich nur ein wenig mit ihm plaudern und ihn nach dem Kettchen fragen wollte. Shoppen hilft ja in so einigen Lebenslagen und so hoffentlich auch in dieser.

In einer winzigen Boutique entdecke ich ein weißes Häkelkleid für den Strand. Eigentlich verdient es den Namen »Kleid« nicht einmal, denn es ist nicht mehr als ein paar kunstvoll aneinandergereihte Maschen, in die man hineinschlüpfen kann und die zufälligerweise die Länge eines Kleides aufweisen. Von meinem Körper bleibt mehr unbedeckt als verdeckt und zu Hause würde ich so etwas wohl niemals tragen, aber hier kennt mich ja niemand.

Nach meinem Kauf bin ich so aufgekratzt, dass ich sofort in unsere Wohnung zurückkehre. Suse und Sophia sind bereits weg, weil sie heute ins Kino wollten, doch als ich Gaëlle das Kleid zeige, schlägt sie sich verzückt die Hände vor das Gesicht.

»Ouah, ist das toll. Zieh es mal an! Leihst du mir das irgendwann?«

Ich laufe in mein Zimmer, krame den Bikini aus der Kommode, schlüpfe hinein und ziehe das Häkelkleid darüber. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel wage ich mich auf den Flur, wo Gaëlle mich gespannt erwartet.

»Oh, wie hübsch du bist, Lou. Dreh dich mal.«

Lächelnd folge ich ihrer Aufforderung und bei dem Leuchten in ihren Augen weiß ich, dass sie jedes Kompliment absolut ernst meint.

»Am Wochenende müssen wir an den Strand, damit du es tragen kannst. Den Jungs werden die Augen aus den Köpfen fallen.«

Sie wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr und erschrickt. »Ups, ich bin spät dran.«

»Gehst du noch weg?«, frage ich, ein wenig enttäuscht, dass ich den Abend allein verbringen werde.

»Ja, Manu kommt gleich vorbei. Wir treffen uns mit den Skatern. Willst du mitkommen?«

»Oh … nein, danke.« Bevor ich anderen beim Skaten zuschaue, lese ich lieber ein Buch. Außerdem ist es meine Schuld, wenn ich heute Abend allein bleibe. Wäre ich nicht shoppen gegangen, hätte ich mit Suse und Sophia ins Kino gehen können.

Gaëlle verschwindet in ihrem Zimmer, um sich umzuziehen. Ein Mini-Rock ist beim Skaten wohl eher unpraktisch.

»Wer ist denn dieser Manu?«, hake ich nach, weil sie ihn noch nie erwähnt hat, und lehne mich an den Türrahmen zu ihrem Zimmer.

»Der beste Freund meines Bruders. Wir kennen uns schon ewig.«

Sie zieht winzige Shorts an und bindet sich die langen dunkelroten Haare zu einem hohen Pferdeschwanz. Dann rauscht sie an mir vorbei Richtung Badezimmer. Ich grinse vor mich hin, weil Gaëlle irgendwie immer für alles zu wenig Zeit hat.

Da klingelt es an der Tür.

»Argh«, kommt es aus dem Badezimmer. »Kannst du bitte die Tür aufmachen? Ich bin auf dem Klo.«

Ich schaue an mir herunter und zögere kurz. Andererseits … am Strand würde ich nur den Bikini tragen, ohne das Häkelkleid, außerdem wohne ich hier. Ich beschließe, dass ich genug bekleidet bin.

Kaum habe ich die Tür geöffnet, um diesem Manu zu sagen, dass Gaëlle jeden Moment fertig sein wird, bleibt mir der Mund offen stehen. Die verwuschelten Haare, der Rucksack mit dem Skateboard, die blauen Augen … Das kann doch nicht wahr sein!

Er fängt sich schneller wieder als ich und lässt seinen Blick recht ungeniert über meinen Körper wandern. Mir schießt das Blut in den Kopf. Hätte ich mich doch umgezogen!

Meine Füße betrachtet er deutlich länger als den Rest, bevor er mir wieder in die Augen sieht.

»Auch eine Art, sich zu schmücken«, ist sein Kommentar, wobei er eine Augenbraue hochzieht.

Ist er sauer, weil ich das Fußkettchen nicht gekauft habe? Passt ja, denn ich bin sauer, weil er heute Nachmittag auf der Dachterrasse so unhöflich war.

Die Klospülung rauscht, dann das Wasser und eine Sekunde später spüre ich Gaëlles Hand auf meiner Schulter, wo sie sich abstützt, um in ihre Schuhe zu schlüpfen.

»Hey, Manu, wie geht’s?«

»Gut und dir?«

Gaëlle beugt sich vor, um ihren Bekannten auf französische Art und Weise mit zwei auf die Wange gehauchten Küsschen zu begrüßen. Obwohl er die Begrüßung erwidert, lässt er mich nicht aus den Augen.

»Kennt ihr euch?«, fragt Gaëlle, offensichtlich verwirrt, weil wir uns so steif und feindselig mustern.

»Nein«, antworte ich sofort. Ich habe gerade 35 Euro ausgegeben, damit er aus meinen Gedanken verschwindet, und nun kreuzt er vor unserer Wohnung auf.

»Nein?«, fragt er mit gerunzelter Stirn.

Gaëlle muss sein zweifelnder Ton entgangen sein, denn sie beginnt direkt damit, uns einander vorzustellen.

»Okay, also das ist Lou, meine neue Mitbewohnerin und Kollegin im Hotel«, dabei zeigt sie mit beiden Händen auf mich, »und Lou, das ist Manu, der beste Kumpel meines Bruders und der zweitbeste Skater der Stadt.« Ihre Hände schwenken zu ihm.

Zum ersten Mal seit er vor unserer Tür steht, sieht er zu Gaëlle. »Findest du, dass dein Bruder besser skatet als ich?«

»Nö, aber ich bin besser«, grinst sie frech und Manu verzieht einen Mundwinkel.

»Damit komme ich klar.«

»Wollen wir los?«, fragt Gaëlle an ihren Freund gerichtet, dreht sich dann aber noch einmal zu mir um. »Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?«

»Ganz sicher.«

Einem Typen, der so sehr von sich überzeugt ist, dass er sich für den besten Skater der Stadt hält, muss man nicht noch das aufgeblasene Ego kraulen, indem man ihm beim Skaten zuschaut. Sonst glaubt er vielleicht, er sei ein Halbgott auf einem Brett mit Rollen.

»Okay, dann mach dir einen gemütlichen Abend, Süße.«

Mit diesen Worten schlüpft sie an mir vorbei ins Treppenhaus. Manus Blick bohrt sich ein letztes Mal in meinen.

»Au revoir, Lou«, sagt er leise und mit dem Ansatz eines Lächelns auf den Lippen, das ich jedoch nicht erwidere.

»Adieu, Manu.«

Ich schließe die Tür.

Manu Duplétis. Nun kenne ich seinen vollständigen Namen. Das macht die Situation allerdings nicht besser, eher schlimmer, weil konkreter.

Ich lehne mich an die Wohnungstür und schließe die Augen. Der Typ macht mich kirre. Arrogant, launisch, kriminell? Und unverschämt gut aussehend.

Ohne Zweifel, er löst etwas in mir aus, denn meine Hände zittern schon wieder. Was denkt er sich dabei, mich auf der Dachterrasse des Hotels so blöd abzufertigen und dann hier vor meiner Wohnungstür mit mir zu flirten?

Moment mal … wie komme ich darauf, dass er geflirtet hat? Das hat er nämlich gar nicht, merke ich, als ich die Situation überdenke. Da war nur sein Blick … Mein Gott, dieser Blick. Meine Haut kribbelt jetzt noch, wenn ich daran denke, dass ich mit diesem quasi nicht existenten Häkelkleid vor ihm gestanden und ihm dadurch viel freie Haut präsentiert habe.

Ich öffne die Augen wieder und starre auf meine zitternden Hände. Es muss an meiner Wut liegen. Ich ärgere mich, weil ich überhaupt einen Gedanken an diesen Typen verschwende. Nach Axel habe ich mir geschworen, mich nie wieder auf zwielichtige Kerle einzulassen. Ich habe die neue Wohnung und einen Job, von dem ich immer geträumt habe. In Berlin werde ich ein neues Leben beginnen. In sieben Wochen bin ich hier weg. Sieben Wochen! Das ist viel zu wenig Zeit, um auch nur einen weiteren Gedanken an Manu Duplétis zu verschwenden.

Kapitel 3

Lou

Es ist Freitagabend und ich fühle mich, als hätte ich einen ganzen Monat schwerster körperlicher Arbeit hinter mir. Das muss an den höllischen Temperaturen liegen. Während das Hotel über eine Klimaanlage verfügt, heizt sich unsere Altbauwohnung von Tag zu Tag auf, weshalb ich auf meinem Bett liege, Hände und Füße weit von mir gestreckt, und einfach nur versuche, nicht zu schwitzen.

Es klingelt an der Wohnungstür und da ich weiß, dass Suse heute Abend mit einem Bekannten zum Essen verabredet ist, reagiere ich nicht. Gaëlle hat Schicht und Sophia wollte eine Vernissage besuchen, für die sie niemanden von uns begeistern konnte.

Ich höre Suses Stimme im Flur, mache mir aber nicht die Mühe verstehen zu wollen, was sie sagt. Kurz danach klopft es an meine Tür und Suse steckt ihren Kopf herein.

»Lou? Da ist jemand für dich.« Dabei wackelt sie mit den Augenbrauen.

»Für mich?«

»Ja. Warum hast du mir nichts von dem Typen erzählt?«

»Welcher Typ?«, frage ich verwirrt, schwinge die Beine über die Bettkante und stehe auf.

»Nun mach aber mal ’nen Punkt. Da steht der absolut heißeste Typ von ganz Avignon vor der Tür und du willst mir weismachen, dass du nicht mit ihm gerechnet hast?« Ihr Blick schweift an mir herunter und ihre Augen werden groß. »Oh … offensichtlich hast du wirklich nicht mit ihm gerechnet.«

Ich folge ihrem Blick, schaue auf meine Jeansshorts, die ich gestern mit Hilfe der Küchenschere spontan noch ein bisschen gekürzt habe, und mein verschwitztes Tanktop. Meine Haare? Stelle ich mir lieber gar nicht vor.

Da ich neugierig geworden bin, dränge ich sie zur Seite und schlurfe zur Tür. Der heißeste Typ von ganz Avignon? Da bin ich mal gespannt.

Ich gehe um die offen stehende Wohnungstür herum und schaue ins Treppenhaus.

Oh verdammt, sie hat recht.

Manu lehnt am Treppengeländer, ein Bein aufgestellt, das Hemd locker in die Jeans gesteckt. Er sieht auf eine Karte hinab, die er in den Händen hält, weshalb sein dichtes, hellbraunes Haar ihm in die Stirn fällt. Als er mich bemerkt, blickt er auf und mir stockt ein weiteres Mal der Atem, als seine blauen Augen mich einfangen.

»Magst du Rossini?«

Er stößt sich vom Geländer ab und schlendert auf mich zu.

»Äh … den Kinofilm?«

»Nein, den Komponisten.«

Er bleibt vor mir stehen und schnippt mit den Fingern, wobei eine zweite Karte zum Vorschein kommt. Ich lege den Kopf schief und lese, was darauf steht.

»Der Barbier von Sevilla.«

»Und?«, hakt er nach.

»Ich bin kein Opern-Fan.« Außerdem verstehe ich nicht, warum er mir diese Karten zeigt.

»Ich auch nicht. Aber eine Vorstellung im antiken Theater von Orange ist eine tolle Sache, egal, ob Oper oder etwas anderes.«

»Aha.«

»Kommst du mit?«

Gestern war ich richtig sauer auf ihn. Auf dem Markt war er freundlich, auf der Dachterrasse mürrisch, gestern Abend undurchsichtig und jetzt will er mit mir ausgehen? Ich weiß überhaupt nicht, wie ich ihn einschätzen soll, und solche Personen meide ich. Auch wenn sie heiß sind.

»Vielleicht fragst du meine Mitbewohnerin Suse, die hätte bestimmt Lust.«

Ich mache einen Schritt zurück in die Wohnung, um Suse zu rufen, da tritt Manu vor und fasst mich am Handgelenk. Überrascht drehe ich mich wieder zu ihm.

»Ich frage aber dich.«

Ich ziehe an meinem Arm und er lässt mich sofort los.

»Und warum fragst du ausgerechnet mich?«

Nun grinst er schief. »Vielleicht weil mir dein Häkelkleid so gut gefallen hat.«

Das war so ziemlich die blödeste Antwort, die er geben konnte. Ich drehe mich um und will ihm bereits die Tür vor der Nase zuschlagen, da stellt er seinen Fuß in die Öffnung.

»Warte. Bitte.«

Durch den Türspalt sehe ich ihn auffordernd an. Neugierig bin ich ja schon, was er sich jetzt noch einfallen lässt.

»Du bist sauer, weil ich gestern auf der Terrasse so komisch zu dir war.«

Bingo. Doch jetzt, wo er es in Worte fasst, kommt es mir albern vor. Wir kennen uns nicht und ich sollte mir die Worte eines Fremden nicht so zu Herzen nehmen.

»Das hatte nichts mit dir zu tun, okay?«

Ich weiß nicht, ob es okay ist, denn da war auch noch die Sache mit dem Joint und meiner aktuellen Panik vor allem, was auch nur im Ansatz illegal sein könnte. Doch er hat sich quasi entschuldigt und zumindest das sollte ich akzeptieren. Deswegen muss ich aber noch lange nicht mit ihm ausgehen.

»Okay. Soll ich Suse fragen, ob sie mit dir in die Oper will, oder findest du jemand anders?«

Er seufzt und rollt die Augen. »Kennst du das Theater in Orange?«

»Nein.« Ich hatte noch gar keine Zeit für Sightseeing.

»Die Aufführungen dort sind etwas Besonderes. Etwas, das du dir nicht entgehen lassen solltest.«

»Ich verstehe aber immer noch nicht, warum du ausgerechnet mich fragst.«

Vielleicht braucht er mich, um mit Drogen zu dealen? Man hat mich schon einmal für das dumme Naivchen gehalten, das man leicht über den Tisch ziehen kann.

Ratlos zieht er die Schultern hoch und hebt die Hände. »Keine Ahnung. Vielleicht weil ich etwas gut machen will oder weil du mir als erste in den Sinn gekommen bist oder … ich weiß es nicht. Warum freust du dich nicht einfach, dass ich ausgerechnet dich frage?«

Nun muss ich lachen. Wenn er unseriöse Absichten hätte, dann hätte er sich jetzt bestimmt mehr Mühe gegeben. Immerhin ist er ehrlich.

»Wann ist das Konzert denn?«, frage ich, um ein bisschen Bedenkzeit zu schinden.

»Es beginnt in einer Stunde. Ich habe die Karten gerade erst bekommen.«

Mir fällt die Kinnlade herunter.

»Eine halbe Stunde Fahrt sollten wir einplanen, außerdem werden wir bestimmt keinen Parkplatz in der Nähe mehr finden, aber wenn du dich schnell entscheidest, könnten wir es noch schaffen.«

Ich hasse Zeitdruck. »Aber … ich kann so … so …«, stottere ich und sehe an mir herunter.

»Doch, du kannst so. Besser als in dem Häkelkleid, denn das könnte etwas kühl werden und dir unerwünschte Blicke einbringen. Nimm vielleicht irgendetwas Langärmeliges mit, das ist ein Konzert unter freiem Himmel.«

Er würde mich tatsächlich in meinen abgeschnittenen Jeans und dem Tanktop in eine Oper mitnehmen.

»Gib mir fünf Minuten, okay?«

Dieses Mal knalle ich ihm wirklich die Tür vor der Nase zu, damit er mich nicht aufhalten kann, denn ich werde ganz bestimmt nicht in diesem Aufzug in eine Oper gehen.

Meine Gedanken wirbeln durcheinander. Deo, Parfum, Haare kämmen, … was ziehe ich an?

Suse kommt auf den Flur geschossen.

»Brauchst du ein Kleid? Sei mir nicht böse, ich habe ein bisschen gelauscht.«

Böse? Ich bin ihr unglaublich dankbar!

Sieben Minuten später öffne ich die Wohnungstür in Suses luftigem, knielangem Sommerkleid, dezent parfümiert und mit frisch gekämmtem Haar.

Manus Augen weiten sich und als sie dieses Mal von meinem Scheitel bis zu den in Sandalen steckenden Füßen und wieder zurück wandern, checkt er mich wirklich ab. Ich genieße es in vollen Zügen. Als unsere Blicke sich treffen, zieht er anerkennend eine Augenbraue hoch. Mit einem »Mademoiselle« reicht er mir auffordernd den Ellenbogen und ich hake mich unter.

Während wir die drei Etagen hinuntersteigen, schüttele ich in Gedanken den Kopf. Was mache ich hier? Ich gehe mit einem wildfremden Mann aus, den ich mir noch vor einem Tag dringend aus dem Kopf schlagen wollte. Aber was wir tun, ist spontan und verrückt und fühlt sich gut an.

Als wir aus dem Haus auf die Straße treten, steuert Manu einen Roller an und ich muss schlucken. Er verkauft Schmuck auf dem Markt. Hatte ich wirklich erwartet, dass er mich in einer Limousine in die Oper karren würde? Er greift nach dem Helm, der bereits auf dem Sitz liegt, und stülpt ihn mir über.

»Und du?«, frage ich, während er den schmalen Gurt richtig einstellt, wobei er die Haut an meiner Wange und meinem Kinn streift.

»Ich nehme den Ersatzhelm.« Er zwinkert, dreht sich um und holt einen zweiten Helm unter dem Sitz hervor. Dann schwingt er sein langes Bein über den Roller und klopft auffordernd auf den Platz hinter sich. Ich zuppele ein wenig an meinem kurzen Kleid, damit ich meine Unterhose nicht gleich hier und jetzt der ganzen Welt präsentiere, und steige etwas angespannt auf das Gefährt, wobei ich auf einen gehörigen Sicherheitsabstand achte.

Manu sieht über die Schulter.

»Sei nicht so verkrampft. Nun rück schon ran.«

»Verkrampft« lasse ich nicht auf mir sitzen, also rutsche ich ganz dicht an ihn heran und schlinge die Arme um seine Taille.

Er grinst schief. »Viel besser. Bist du bereit?«

Mir bleibt kaum Zeit zu nicken, da schert er bereits aus der Parklücke aus.

Mit dem Roller von Avignon nach Orange …

Über die Autobahn können wir nicht fahren, also tuckern wir durch lauter kleine Ortschaften, vorbei an blühenden Lavendel- und Sonnenblumenfeldern. Wie viel Zeit hat er noch mal eingeplant? In einer halben Stunde packen wir das doch gar nicht. Reden können wir auch nicht, dafür röhrt diese Höllenmaschine viel zu sehr.

Nach einer Weile entspanne ich mich und lehne meinen Kopf an Manus Schulter. Natürlich nur, um keine Genickstarre zu bekommen. Meine Hände liegen auf seinem Bauch und ich muss zugeben, dass sein Körper sich gut anfühlt. Hart und muskulös und durchtrainiert. Herrlich männlich einfach. Vielleicht habe ich ein bisschen zu viel getastet, denn er schaut über die Schulter und ich glaube, ein Lächeln zu erkennen.

»Alles okay dahinten?«

»Perfekt«, rufe ich über den Motorenlärm zurück.

Ich bin fast ein bisschen enttäuscht, als die Fahrt zu Ende ist, weil wir in Orange ankommen und – dem Roller sei Dank – zügig einen Parkplatz finden.

»Woher hast du die Karten eigentlich?«, frage ich, während wir durch die schmalen Gassen zum antiken Theater eilen und ich höllisch aufpassen muss, um auf dem unebenen Kopfsteinpflaster nicht umzuknicken. Es hörte sich nicht so an, als hätte er sie für uns gekauft.

»Ich habe sie von einer Kundin geschenkt bekommen, die sich spontan überlegt hat, dass sie heute etwas Besseres vorhat.«

»Von einer Kundin?« Ich verlangsame meine Schritte, weil ich wieder an diesen seltsamen Moment auf der Dachterrasse denken muss. Lag ich mit meiner Vermutung etwa doch richtig und er beglückt reiche, ältere Frauen?

Da ich ein Stück zurückgefallen bin, dreht er sich überrascht zu mir um. »Ja? Wieso findest du das seltsam?«

Mittlerweile bin ich stehen geblieben. »Was hast du ihr denn verkauft?«

»Schmuck natürlich. Was sonst?«

Ich spüre, wie mir das Blut in ungesunden Mengen in den Kopf schießt, und gehe hastig weiter.

»Wieso? Was dachtest du denn?«, fragt er verwirrt.

»Nichts. Komm, wir müssen uns beeilen.«

Doch Manu bewegt sich keinen Schritt. »Moment mal. Dachtest du etwa …« Er lacht kurz und zieht die Augenbrauen hoch, dann greift er nach meinem Ellenbogen, dreht mich zu sich und lacht noch mehr, als er mein hochrotes Gesicht sieht.

»Du dachtest, ich sei ein … ein Callboy?«

»Was? So ein Blödsinn. Natürlich nicht.«

»Doch, doch, nun steh schon dazu.« Er hört gar nicht wieder auf zu lachen.

»Das hast du dir selbst eingebrockt mit deiner komischen Bemerkung: Vielleicht gehöre ich ja zum Personal.« Ich äffe ihn nach, aber er findet sogar das urkomisch und irgendwann muss ich auch lachen.

Da hören wir eine Ankündigung über Lautsprecher und erinnern uns schlagartig wieder daran, warum wir eigentlich hergekommen sind. Manu greift nach meiner Hand.

»Verflixt, hoffentlich lassen die uns noch rein. Komm! Schnell.«

Das Théâtre Antique ist riesig und beeindruckend. Überall sitzen Menschen auf den steinernen Stufen, es müssen an die zehntausend Leute sein. Es wird gelacht und erzählt, immer wieder werden die Hälse gereckt und es wird gecheckt, ob auf der Bühne am Fuße des enormen Amphitheaters schon etwas passiert.

Manu hat meine Hand genommen und gemeinsam schlängeln wir uns durch einen der letzten Ränge, an dessen Ende, direkt neben dem Ausgang zu den hinter der Bühne gelegenen Gängen, er eine winzige, leere Ecke ausgemacht hat, in die wir uns noch hineinquetschen können. Unterwegs kommen wir an einem jungen Mann vorbei, der einen tragbaren Verkaufsstand umgeschnallt hat und Getränke anbietet.

»Möchtest du etwas?«, fragt Manu, während er sich eine Orangina kauft, doch ich lehne dankend ab. Keine Ahnung, wie ich während der Vorstellung von hier auf die Toilette gelangen soll. Wenn es überhaupt Toiletten gibt?

Den beweglichen Verkaufsstand zu umrunden, ohne jemandem auf die Füße zu treten, ist eine echte Herausforderung, doch wir landen tatsächlich noch vor Beginn der Vorstellung auf den von Manu angepeilten Plätzen.

Die Bühne ist sehr weit weg, dafür haben wir einen grandiosen Überblick. Man kann sogar über die Ränder des Theaters hinweg die roten Dächer von Orange sehen.

»Kannst du dir vorstellen, dass das Theater im Mittelalter mal mit Häusern zugebaut war?«, fragt er mich, öffnet seine Limonade und trinkt einen großen Schluck. Während ich überlege, ob ich ihn richtig verstanden habe, beobachte ich die Bewegungen seines Adamsapfels. Er senkt die Flasche und sieht mich auffordernd an, wartet auf eine Antwort.

»Hier drin?«

»Ja, genau. Es gab nicht genug Platz in der Stadt und Verwendung für das Theater hatten sie auch nicht. Ich glaube, das war so eine ziemlich langweilige Zeit, in der öffentliche Vergnügungen nicht gut ankamen. Da hatte wohl die Kirche ihre Finger im Spiel. Jedenfalls brauchten die Menschen Wohnraum und haben angefangen, überall Häuser hinzubauen. Sogar eine Straße führte durch das Theater. Irre, oder?«

»Kaum vorstellbar«, murmele ich und versuche trotzdem, ein Bild von klapprigen, gedrungenen Häusern, die sich an den stufigen Hügel schmiegen, in meinem Kopf entstehen zu lassen.

Ein Raunen geht durch die Menge, als die Musiker ihre Plätze beziehen, und dann wird es auf einmal gespenstisch still, als würden alle zehntausend Menschen in diesem Theater gleichzeitig die Luft anhalten. Kurz darauf erklingen die ersten Töne.

Ich mag Indie Rock oder EDM, mit Klassik habe ich es nicht so. Und da sitze ich hier und bekomme bei der Ouvertüre doch tatsächlich eine Gänsehaut. Ich sehe zu Manu, weil mich seine Reaktion interessiert. Er muss meine Bewegung wahrgenommen haben, denn er dreht im selben Moment den Kopf zu mir. Bei dem Leuchten in seinen Augen weiß ich, dass es ihm genauso geht. Ich lächele begeistert, beuge mich zu ihm hinüber und flüstere in sein Ohr:

»Danke, dass du ausgerechnet mich mitgenommen hast.«

Sein Lächeln wird zu einem zufriedenen Grinsen, bevor wir uns wieder zur Bühne wenden und dem dortigen Treiben aufmerksam folgen.

Die Aufführung dauert über zwei Stunden, wird aber keine Sekunde langweilig. Natürlich bekomme ich irgendwann doch Durst und Manu teilt ritterlich seine Limonade mit mir.

Als die Vorstellung endet, bin ich fast schon enttäuscht.

Es ist noch immer angenehm warm, über uns leuchten die Sterne und das Gefühl, mit so vielen Menschen einen außergewöhnlichen Moment erlebt zu haben, ist berauschend. Obwohl es bereits elf Uhr ist und ich morgen Dienst habe, bin ich total aufgekratzt.

»Das war fantastisch. Das Bühnendekor, die Sänger, die Musik! Unglaublich.«

Ich kann gar nicht aufhören zu plappern. Damit wir uns in den Unmengen an Menschen, die auf die Ausgänge zuströmen, nicht verlieren, hat Manu wieder meine Hand genommen. Es dauert eine weitere halbe Stunde, bis wir uns endlich außerhalb der antiken Mauern wiederfinden.

»Möchtest du nach Hause?«, fragt Manu. »Oder sollen wir noch etwas trinken?«

Da ich von der süßen Limonade nur noch durstiger geworden bin, nehme ich das Angebot sofort an. Die Schicht morgen früh wird hart, aber das ist mir im Augenblick egal.

Zielstrebig führt er mich durch ein paar Gassen in die charmante Innenstadt, wo sich die Fassaden der bunt gestrichenen Steinhäuser mit ihren roten und blauen Fensterläden dicht aneinanderschmiegen. Schließlich halten wir vor einer urigen Bar. Das alte Fachwerkhaus ist so schmal, dass es zwischen den benachbarten Häusern verloren wirkt, dafür drängen sich verhältnismäßig viele Tische und Stühle auf dem davorliegenden Platz.

Es ist Freitagabend und obwohl es schon so spät ist, müssen wir eine Weile suchen, bis wir einen freien Tisch mitten in dem Getümmel entdecken.

Während wir auf unsere Getränke warten, schwärme ich von der tollen Stimmung in dem großen Theater.

»Warst du schon oft bei so einer Aufführung?«

»Bei einer Oper ehrlich gesagt erst einmal. Mein Vater hat mich früher mal mitgenommen, aber ich bin kein Opernfan. Hin und wieder finden dort allerdings auch Rockkonzerte statt. Das ist genial.«

Kann ich mir vorstellen. »Kommst du aus Avignon? Wohnt deine Familie auch dort?«

»Meine Eltern haben ein kleines Haus in der Nähe von Avignon.«

»Hast du Geschwister?«, frage ich weiter und sauge am Strohhalm meines Orangensafts, den der Kellner uns soeben gebracht hat.

Manu schmunzelt und stellt sein Glas ab. »Du bist ganz schön neugierig.«

»Klar. Wieso nicht?«

Er holt tief Luft und beantwortet mir dann meine Frage. »Ich habe einen sieben Jahre älteren Bruder und eine drei Jahre ältere Schwester. Mein Bruder ist Arzt in Lyon und meine Schwester promoviert in Mathematik in Marseille.«

Wow, denke ich beeindruckt und verschlucke mich fast an meinem Orangensaft. Was für eine intellektuelle Familie. Eigentlich möchte ich ihn zu seinen schlauen Geschwistern beglückwünschen, doch da fällt mir auf, dass er mich gar nicht ansieht, sondern in sein Glas starrt, das er leicht gekippt hält, als wolle er den Inhalt prüfen. Oder als wappne er sich für eine Reaktion meinerseits, die ihm nicht gefallen könnte. Genauso eine Reaktion, wie ich sie beinahe von mir gegeben hätte? Seine Kiefermuskeln zucken leicht und als er zu mir aufsieht, wirken seine blauen Augen plötzlich distanziert.

Sein Bruder Arzt, seine Schwester Mathematikdoktorandin und Manu Schmuckverkäufer auf dem Markt? Das passt nicht. Macht ihm das zu schaffen?

Da ich ihn nicht gut genug kenne, um ein so persönliches Thema anzusprechen, lenke ich unsere Unterhaltung in eine unverfänglichere Richtung.

»Was gibt es in der Region denn noch Schönes zu sehen? Ich bin zum ersten Mal im Süden.«

»Und nachdem dir mein Tipp mit dem Théâtre Antique gefallen hat, verlässt du dich auf mein Urteil?« Von jetzt auf gleich kehrt das verschmitzte Funkeln in seine blauen Augen zurück und ich nicke erleichtert.

»Jep.«

»Willst du mich als Guide anheuern?«

Ich lehne mich zurück und lache. »So weit habe ich gar nicht gedacht«, gebe ich zu, auch wenn mir die Idee … nun ja, sie missfällt mir jedenfalls nicht. »Wieso eigentlich nicht?«

Er lässt das Glas in seiner Hand kreisen und überlegt. »Ich hätte da schon ein paar Ideen. Hast du morgen Dienst?«

»Morgen früh, ja, aber nur bis 13 Uhr.«

»Perfekt. Ich bin morgen früh auf dem Markt in Arles, aber da kann ich ein bisschen früher abbauen. Um 14 Uhr hole ich dich ab.«

Wow, er fackelt nicht lang. »Okay«, antworte ich zögerlich, doch dann sage ich mir, dass die spontane Entscheidung heute Abend sich als genau richtig erwiesen hat. Allerdings besteht immer noch das Risiko, dass er wieder zu diesem abweisenden Wesen von gestern auf der Dachterrasse mutieren könnte.

»Verrätst du mir, was gestern mit dir los war?«, frage ich deshalb.

Manu runzelt die Stirn und holt tief Luft. »Es tut mir leid, dass du meine schlechte Laune abbekommen hast.«

»Du wirktest nicht einfach nur schlecht gelaunt«, gebe ich zu bedenken.

Mit dem Zeigefinger klopft er mehrmals gegen sein Glas, während er wohl überlegt, was er antworten könnte. »Ich war kurz zuvor einer Person begegnet, die … ähm … der ich nie mehr begegnen wollte, und das hat mich ziemlich aus der Fassung gebracht.«

»Oh.« Ich weiß genau, wovon er spricht. Auch für mich gibt es eine solche Person, für deren Sicherheit ich nicht garantieren könnte, sollte sie mir noch einmal über den Weg laufen. Welche Rolle mag die Person, von der er spricht, in seinem Leben gespielt haben? Ob es sich um eine Frau handelt?

»Was machst du eigentlich, wenn du nicht im Hotel arbeitest?«, wechselt Manu das Thema. Neben dem ernsthaften Interesse in seinen Augen erkenne ich noch etwas anderes. Vorsicht? Warum?

»Ich habe Französisch und Italienisch studiert und möchte als Übersetzerin arbeiten. Ich lese sehr gerne. Ach, was denn, ich liebe Bücher und könnte den ganzen Tag mit Lesen verbringen. Wenn ich übersetze, kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich tauche in wundervolle Geschichten ein und hantiere nebenbei auch noch mit Sprache.«

Er zieht beide Augenbrauen hoch und seine Augen weiten sich. »Wow.«

»Wieso wow? Weil du den Job so toll findest?«

»Nein, weil du ein regelrechtes Plädoyer gehalten hast. So als wolltest du mich überzeugen, dass der Job genial sei und ich lieber nicht widersprechen sollte.«

Ich muss schlucken, denn damit liegt er gar nicht so verkehrt. Manchmal habe ich Angst, dass der Job langweilig werden könnte oder ich zu viel Zeit allein verbringe.

»Würdest du denn gerne widersprechen?«, frage ich vorsichtig und wundere mich im selben Moment, warum mir sein Urteil wichtig sein könnte.

»Wenn es der Job ist, den du machen möchtest, warum sollte ich dann widersprechen? Ich finde es toll, wenn man so gut mit Sprachen jonglieren kann, dass es einem gelingt, ganze Bücher zu übersetzen. Mich brauchst du nicht zu überzeugen. Du selbst musst doch überzeugt sein.«

Ich nicke nachdenklich.

»Übst du denn den Job aus, den du machen möchtest?«, hake ich nach.

Wieder starrt er in sein Glas, das inzwischen leer ist.

»Keine Ahnung. Ich denke schon.«

Und wieder habe ich das Bedürfnis, das Thema zu wechseln.

»Hast du dieses Fußkettchen eigentlich verkauft?«

Überrascht sieht er auf, dann blitzt es in seinen Augen und feine Lachfältchen erscheinen, als er breit schmunzelt. Er greift in seine Hosentasche, legt seine Hand auf den Tisch und öffnet sie.

»Meinst du dieses Fußkettchen?«

Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, als ich das zierliche Schmuckstück wiedererkenne. Wie auch beim ersten Mal kann ich dem Bedürfnis nicht widerstehen, mit dem Finger darüber zu streichen. Allerdings berühre ich es dieses Mal deutlich länger und streife ganz nebenbei auch über Manus warme Haut. Wieso trägt er es bei sich?

»Du hast mir immer noch nicht den Preis verraten.«

Er nimmt meine Hand, legt das Kettchen hinein und schließt meine Finger darum.

»Es gehört dir.«

»Was? Wieso? Nein, das kann ich nicht annehmen.«

»Doch, kannst du. Nachdem ich es an deinem Knöchel gesehen habe, kann ich es eh keiner anderen Frau mehr verkaufen. Es gehört einfach genau dahin.«

»Ich … ich …«, stammele ich und schüttele den Kopf.

Manu lacht. »Warum freust du dich nicht einfach? Bist du immer so kompliziert? Wenn du dich genauso darüber freust wie über den Besuch in der Oper, dann ist es doch richtig, oder?«

Seine Großzügigkeit macht mich sprachlos und dass es ihm offenbar Spaß macht, mir eine Freude zu bereiten, verursacht mir ein angenehm warmes Gefühl im Magen.

»Danke«, wispere ich mit glühenden Wangen, denn ich freue mich riesig über sein Geschenk.

»Aber das mache ich irgendwie wieder gut.«

»Na, da bin ich gespannt.« Da er auch noch mit den Augenbrauen wackelt, muss ich lachen.

Ich lege mir das Fußkettchen an und neige den Kopf, um es zu betrachten. Es sieht wunderschön aus.

Manu nickt anerkennend. »Genau richtig« ist sein Kommentar.

Ein kühler Lufthauch lässt mich frösteln, was er sofort bemerkt.

»Sollen wir nach Hause fahren?«, schlägt er vor, da wir beide keine Jacke dabeihaben.

Obwohl ich noch stundenlang mit ihm quatschen könnte, nehme ich sein Angebot an. Inzwischen ist es fast ein Uhr nachts und meine Schicht beginnt um sieben.

Während wir nach Avignon zurückfahren, schmiege ich mich eng an ihn. Natürlich nur um mich zu wärmen. Es scheint ihn nicht zu stören.

Die Rückfahrt kommt mir viel kürzer vor und ehe ich es mich versehe, hält Manu vor unserem Haus. Nur widerwillig steige ich vom Roller, nehme den Helm ab und reiche ihn ihm.

»Also morgen … oder eher nachher um 14 Uhr?«, fragt Manu und nimmt den Helm entgegen.

In meinem Magen flattert es, als wäre ich ein Teenie, der gerade sein erstes Date plant. »Ja, gerne. Was machen wir denn?«

»Das wird eine Überraschung.« Er zwinkert mir zu. »Nimm Badesachen mit. Und keine Flipflops, sondern etwas, das gut an den Füßen hält.«

»Äh … okay?«

»Mehr verrate ich nicht.« Er steigt vom Roller, nimmt seinen Helm ab, fasst mich an den Schultern und beugt sich vor, um sich auf französische Art von mir zu verabschieden. Bisou links, Bisou rechts. Mir schießt das Blut in den Kopf und ich stehe stocksteif da, obwohl ich mich schon so oft auf diese Art von Franzosen verabschiedet habe. Nur war bisher noch nie einer dabei, der so gut gerochen hat – so herrlich frisch nach Sommer und Freiheit.

Er lehnt sich wieder zurück und grinst, als er meinen verdatterten Ausdruck entdeckt.

Dann steigt er auf den Roller, setzt den Helm auf und zwinkert mir noch einmal zu.

»Man sieht sich.«

Ich nicke automatisch, hebe die Hand und winke leicht debil mit den Fingern. »Ciao, Manu.«

Der Roller knattert so laut, dass das gesamte Viertel aufgewacht sein dürfte.

Kapitel 4

Lou

Das Aufstehen am nächsten Morgen ist hart.

Fünf Stunden Schlaf reichen mir einfach nicht.

Während ich das Bad einer Suite reinige, fällt mir eine Duschlotion herunter, deren Inhalt sich sofort über die Fliesen ergießt. Meine Bemühungen, das Desaster wieder aufzuwischen, erweisen sich als äußerst schaumige Angelegenheit. Zum Glück handelt es sich um einen der Gästeartikel, sodass ich ihn unbemerkt ersetzen kann. Nicht auszudenken, was mit mir geschehen wäre, wenn ich die sündhaft teure Duschlotion eines unserer Gäste vernichtet hätte.