Ein letzter Dank den Leichtathleten - Detlev Meyer - E-Book

Ein letzter Dank den Leichtathleten E-Book

Detlev Meyer

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Beschreibung

Beim abschließenden dritten Teil der vielbelachten ›Biographie der Bestürzung‹ ist der Begriff des Erschreckens durchaus angebracht und gar nicht ironisch zu verstehen: Seit der Aids-Zeit gibt es keine fröhlich unbefangene Promiskuität mehr unter Schwulen. Doch nach all den weinerlichen und moralinsauren Berichten und Selbstbespiegelungen zu diesem Thema kommt ein Autor daher, der selbst noch dem bedrohlichen Aspekt melancholischen Frohsinn abgewinnen kann. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Detlev Meyer

Ein letzter Dank den Leichtathleten

Biographie der Bestürzung 3

FISCHER E-Books

Inhalt

Dem Glück der Freundschaft [...]Spiele für Nachtzug-RitterDefilee der LeichtathletenHeilkunde für SexistenErste SitzungZweite SitzungDritte Sitzung. (Die Heilung.)Lockenkopf im StundenglasMinus mal MinusDas Echo der Wesendonk-LiederHalbzeitstand

Dem Glück der Freundschaft

Spiele für Nachtzug-Ritter

Anna wird fragen, ob er gut vorankomme? Dorn wird antworten: Doch, doch. Drei Tage später wird Anna wieder wissen wollen, was die Geschichte mache. Und Dorn wird sagen: Nimmt Formen an (als schlüge er sie aus Stein), oder: Spinnt sich voran (als verdrillte er ihre Fäden). Blüht und gedeiht, wird er sagen (als hätte er sie in die Erde gesetzt).

Drucksen wird er, Ausflüchte suchen, Nebelkerzen werfen, sich winden und furchtbar geheimnisvoll tun. Ganz anders sei die Geschichte, er habe da ein völlig neues Konzept, über das er im Augenblick nicht sprechen könne. Wie dem auch sei, Anna würde sie nicht wiedererkennen, die Geschichte. Staunen werde sie! Anna berichtet ihrem Mann, daß Dorn Aids nicht liege, daß er Schwierigkeiten habe mit Aids.

Jan sagt, das seien Euphemismen.

Nein, nein, Jan, beeilt sich Anna zu erklären, mit der Geschichte scheine irgendetwas nicht zu stimmen. Dorn selbst sei kerngesund.

Jan sagt: Bruder Leichtfuß trifft auf Bruder Hein. Man darf gespannt sein.

Und während Jan das sagt, denkt Dorn: Lebenslust und Todesangst – dazwischen ich mit ein paar bangen Worten für eine Geschichte.

Die beginnt so:

Wer mit dem Teufel Suppe ißt, braucht einen langen Löffel; wer einen Positiven fickt, braucht einen Pariser, und wer über Aids schreibt, darf nicht eine Pustel haben. Darüber schreiben am besten die Nichtbetroffenen aus der Distanz eines monogamheterosexuellen Lebens, die Impotenten oder die Priester. Oder Frauen wie Anna, Ehrenmitglied der Risikogruppe der Liebestollen, die Anna auf die Zinnen setzen zur Mauerschau. Und Anna, mit ihrem von Geilheit nicht getrübten Blick, ruft ins Parkett: Ich sehe ein großes Sterben, und es fallen die Recken zuhauf!

Sterben auch andere, denkt Dorn, der in der hintersten Reihe sitzt, den es bei diesem Drama nicht ins Rampenlicht zieht, der zum ersten Mal in seinem langen Bühnenleben auf eine der tragenden Rollen verzichtet. Die werden nur einmal gespielt, und bei den dacapo-Rufen liegen ihre spielwütigen Darsteller schon auf der Intensivstation, gefesselt von Schläuchen, aus denen ihr Leben strömt.

Sterben nicht nur die stolzesten Recken, die Prinzen und Fürsten der Nacht. Welke fünfzigjährige Männlein krepieren, denen niemand mehr einen Sexpartner zutraute. Wo manche sich das geholt haben, möchte man zu gerne wissen, hämen die Bilderbuch-Twens, die es sich jede Nacht dreimal holen könnten, von den stolzesten Recken und den Prinzen ihrer ehedem verfickten Nächte.

 

 

 

Beginnt so:

Viktor, wenn Marlene anruft, um zu fragen, wo die Männer sind (wo sind sie geblieben?), dann richte ihr bitte aus, die machen Urlaub, die tanken Sonne, die lassen es sich gut gehen weit ab vom Schuß.

Sag, die sind alle in der Südsee.

Warum sie ihr nicht schreiben?

Sag, alles ist Dorns Schuld. Der hat das Adreßbuch verlegt. Sag, daß es keine Briefmarken gibt in der Südsee, kein Telephon und einen Poststreik, der ins vierte Jahr geht. Liebend gern würden sie sich bei ihr melden, aber das ist derzeit unmöglich.

Wann sie wiederkommen?

Sage ihr, Viktor, das weiß man nicht so genau. Auch die Piloten streiken und die Kapitäne.

Und wenn Marlene fragt, wie es denn nun weitergehen soll, dann tröste sie; sag, das steht alles in den Sternen.

Ob sie das beruhigen wird? Ach, ich denke schon. Wir werden weiter suchen, sage ihr auch das. Für jeden Buchstaben ein schönes Wort. Eines wie Alraune oder Abendrot für A. Abendrot lieber nicht, das erinnert an Ende und Untergang.

A wie Aufbruch, i wie in, d wie die, s wie Schönheit. So wollen wir Aids auflösen: Aufbruch in die Schönheit.

Merkwürdig, sagt Viktor, ich hätte Solidarität gewählt.

Oder i sei immerdar, d dauerhaft, s ständig.

Und wo bleibt das A, Viktor?

Allerzeiten, ewiglich.

Ja, so wollen wir Aids auflösen und vergessen, was to acquire heißt und deficiency.

 

 

 

Beginnt so:

Auf vielfachen Wunsch alleinstehender Herren hat die Duden-Redaktion beschlossen, das Wort sterben aus der deutschen Sprache zu verbannen. Eine Anweisung ist ergangen, es in allen Wörterbüchern zu schwärzen. Der Gebrauch des Stammwortes und all seiner Ableitungen ist ab sofort untersagt. Alternativen zu sterben sind den Traueranzeigen der Tageszeitungen zu entnehmen. Mit etwas Takt und Sprachgefühl, ermutigt die Duden-Redaktion, wird bald jedem Verblichenen von den Dereinstigen die ihm gemäße Formulierung nachgerufen werden.

Niemand stirbt mehr im gesprochenen oder geschriebenen Wort:

Schauspieler treten von der Bühne des Lebens ab,

Freimaurer werden abgerufen in den Ewigen Osten,

Striptease-Tänzerinnen und Exhibitionisten legen die sterbliche Hülle ab,

Globetrotter treten die letzte Reise an,

Söhne versammeln sich zu den Vätern,

Segelflieger vollenden ihre Bahn am Himmel,

Pazifisten werden nicht abberufen zur großen Armee, sondern kehren ein in den ewigen Frieden,

und Vier-Sterne-Köche legen den Löffel aus der Hand, um teilhaftig zu werden der himmlischen Speisung des Herrn.

Für Vorausgegangene ohne Eigenschaften oder Hinterbliebene ohne Phantasie empfiehlt die Duden-Redaktion das allgemein gehaltene Ein-Herzhat-aufgehört-zu-schlagen, dem durch Voranstellung einer Berufsbezeichnung und / oder einer Hobbyleidenschaft z.B. eine durchaus persönliche Note verliehen werden kann.

Und wenn dereinst ein Saxophonisten-Sexisten-Herz oder ein Bergassessor-Bastler-Herz zu schlagen aufgehört hat, wird die Trauer lind sein.

 

 

 

Beginnt so:

Was ich dir nachriefe, Paul, schönster aller Fensterputzer?

Daß deine Arbeitskraft unermüdlich,

dein persönliches Engagement groß,

dein Handeln von hohem Verantwortungsgefühl,

deine Einsatzbereitschaft freudig,

nimmermüde dein Streben und Fleiß,

dein Urteil ausgewogen,

deine Art ausgleichend,

deine Menschlichkeit warm und tief,

lauter dein Charakter,

umsichtig dein Rat und uneigennützig,

daß du entscheidend am Aufbau,

mit Sinn für das Reale,

für Maß und Mitte (du, Paul!),

mit der dir eigenen Willenskraft,

konsequenter Zielstrebigkeit und bestechendem Sachverstand,

daß du wie kein zweiter,

weil dein Leben und Werk jahrzehntelang

(Paulchen, hörst du: jahrzehntelang!)

dem Gebäudereinigerhandwerk galt

(wo stecke ich in dieser Vita?),

dessen Entwicklung du mitbestimmt und zum Nutzen und Ansehen seiner Mitglieder …

Nein, Paul, das riefe ich dir nicht nach. In meinem Nekrolog spannte, dehnte, streckte sich noch einmal jeder deiner köstlichen Muskeln:

Die Schultermuskeln,

die großen Brustmuskeln,

die zwei- und dreiköpfigen Armmuskeln,

die Armspeichermuskeln,

die Speichenbeuger,

die großen Sägemuskeln,

die schrägen und geraden Bauchmuskeln,

die Schneider-, Kapuzen- und Kappenmuskeln,

die Unterschenkelstrecker und,

stahlharter Paul,

dein Gesäß würde ich preisen,

jede Faser deines unsterblichen Arsches.

Was ich dir nachriefe, Paul, schönster aller Fensterputzer?

Warum fragst du? Hast du das Testergebnis?

Nein, verrat es mir nicht!

Tu dein gutes Werk und hoffe!

Spring deine Fensterputzerleiter rauf und runter wie ein kregler Wetterfrosch, und laß den Wind mit deinem Fensterputzertuch spielen, das, mir zur Freude, keck den Blick auf deinen Hintern lenkt. Laß dieses Banner deiner Zunft im Frühlingssturm flattern, und putz behend den Winterdreck von unseren Scheiben, damit wir wieder eine Sonne sehen, einen Himmel ohne Schlieren, Paule, Paule, schönster Paul,

bleib uns bloß erhalten,

das rufe, dichte, ich dir nach, wenn du davonradelst zu deinem nächsten Kunden, ohne dich, mein lichter Paul, wäre es dunkel in den Stuben.

 

Beginnt so:

Liebster Viktor,

herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Mögest du mindestens so alt werden wie die Angehörigen der herrschenden Klasse, die sich in ganzseitigen Anzeigen in der »Frankfurter Allgemeinen« von ihren unterdrückten Frauen und ausgebeuteten Belegschaften verabschieden lassen.

Mögest du mindestens so alt werden wie der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, der 84-jährig auf dem glatten Parkett der Godesberger Redoute, beim traditionellen Neujahrsempfang des Bundespräsidenten, sich das noch immer feiste Genick brach.

Mindestens so alt mögest du werden wie der Träger des päpstlichen Sylvesterordens und der Goldenen Verdienstmedaille der Stadt Darmstadt, der 79jährig beim Anschauen des Porno-Videos »Die Mädchen vom Erziehungsheim« in seiner Bibliothek das Atmen vergaß.

Mögest du mindestens so alt werden wie der Träger des Eisernen Kreuzes I. und II. Klasse und anderer Auszeichnungen aus beiden Weltkriegen, der im gesegneten Alter von 92 friedlich entschlief. In seinem Bett natürlich, um das Maß voll zu machen.

Überlebe den Nestor der Stadtältesten von Berlin – und bitte, Viktor, stirb nicht vor mir, dem faulsten der Lastenträger.

 

Was sich geändert hat, Anna? Alles!

Alles ist anders, weil du denkst, daß in jedem Wort die vier Buchstaben stecken. Weil du das denkst, und weil es so ist.

Von Morgenerektion bis Einschlafonanie begleitet dich dieses verfluchte Akronym für diese verfluchte Seuche. Jeder Husten, jede Hautrötung weckt die pathetischen Gedanken. Du kaufst dir einen Super-Mini-Sexy-Slip, und tragen wirst du ihn im Angesicht des Todes. Mittlerweile kennst du auch die Präservativ-Witze, über die dein Vater so herzlich grölen konnte in seiner Jugend: Auf dem Bier, da schwimmt ein Fromms … Prost, Papa!

Mit den Faltblättern der »Aids-Hilfe« kannst du dein Zimmer tapezieren, und das Plätzchenbacken sollst du lernen für deine sterbenden Freunde.

Unspezifische Immunstimulantia kaufst du literweise, zur Steigerung der körpereigenen Abwehrkräfte schluckst du Vitamin C, flüssig, pulvrig und als Lutschbonbon; und jeden Abend mißt du deine Temperatur.

Die Gummihandschuhe des Zahnarztes bewirken deine mentale Vergiftung. Ob du nun positiv bist oder negativ, überall wirst du vom Klingeln deiner Pestglöckchen angekündigt, die du noch im Schlafe hörst.

Wer beim Zungenkuß nicht an die Krankheit zum Tode denkt, denkt gar nicht.

Der küßt nur. Einfach so.

Frage die Alten! Früher war alles schöner, Anna!

Die Sommer.

Die Liebe.

Nach anderthalb Flaschen Sekt, anderthalb Flaschen für jeden, spielen sie »Prominenteraten«.

Fritz ist Heintje, Ingo ist Miss Ellie aus »Dallas«, Gunter ist Che Guevara, was ihm ein vielstimmiges »Gähn« einhandelt, Angelika ist Sugar Ray Robinson, Dorn ist Jesus Christus, und Viktor ist Viktor.

Darauf kommt keiner.

Das zählt nicht, befindet das Rateteam, Viktor ist keine bekannte Persönlichkeit.

Irrtum, sagt Viktor, ich bin die mir bekannteste Persönlichkeit auf Erden. Das zählt, oder ich spiele nicht mehr mit.

Ingo, der mit seiner fiktiven Miss Ellie sich auch harscher Kritik stellen mußte, der zur Abwechslung einmal nicht die Mutter von Albert Schweitzer erkoren hat, schlägt ein anderes Spiel vor: Stadt, Land, Fluß.

Wie langweilig, stöhnt Angelika.

Dorn schlägt vor, das Spiel zu modifizieren, andere als geographische Begriffe festzulegen.

Genau, sagt Fritz, und zwar hundsgemeine wie …

Und wir nennen es nicht Stadt, Land, Fluß, fällt ihm Gunter ins Wort, sondern Station, Landesheilanstalt, Ausfluß.

Angelikas Augen strahlen: Super! Das ist die zeitgemäße Variante. Intensivstation, Landesheilanstalt, Ausfluß. Das ist schön morbid!

Schnell hat sich die fröhliche Schar auf folgende Rubriken geeinigt: Gemeinheiten aller Art, Ausgefallene Sexualpraktiken, Todesarten – gestern und heute, Wirklichkeitsfremdes aus dem deutschen Alltag und Rund ums Schwulsein.

Angelikas Vorschlag, süße Kuscheltiere in die düstere Reihe aufzunehmen, fand keine Mehrheit.

Gunter schlägt einen Kompromiß vor: Süße Kuscheltierfoltermethoden.