Im Dampfbad greift nach mir ein Engel - Detlev Meyer - E-Book

Im Dampfbad greift nach mir ein Engel E-Book

Detlev Meyer

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Beschreibung

In dieser frohgemuten Erzählung, die ganz ungeniert ungemein schwul ist, geht es um einen jungen Szene-Berliner namens Dorn, der die Berufung zum Dichter in sich fühlt. Sein hochverehrtes Vorbild ist Canetti, nur kommt er kaum je dazu, diesem nachzueifern, weil ihm immer die Lust, das Leid oder das Leben dazwischenkommt. Das macht ihn melancholisch. Es deprimiert ihn um so mehr, als er der »Strapazen des Betrinkens und Beischlafens« ein wenig müde ist. Erster Teil der Trilogie ›Biographie der Bestürzung‹ (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Detlev Meyer

Im Dampfbad greift nach mir ein Engel

Biographie der Bestürzung 1

FISCHER E-Books

Inhalt

für Wolfram [...]ALLES SCHLÄFT. [...]DORN SCHLEICHT DURCH DIE [...]ER WÄRE EIN KÖNIG, [...]GEHST DU NOCH ZUR [...]SIE FEIERN ABSCHIED IN [...]ES GIBT EINEN JUNGEN, [...]EINE FEE TRITT AN [...]ER GUCKT MIT SEINER [...]KRIEG SPIELT ER NIE [...]DER ERSTE MANN, DEN [...]DORN ERZÄHLT VIKTOR EIN [...]»WACH MIT DEN EULEN.« [...]DER JÄGER UND DIE [...]ER HAT SIE ALLE [...]TAXI-TRAUM ZWEI. DORN SPRINGT [...]TASSO TARZAN BEFREIT DEN [...]LUCY NOTIERT: MIT DEM [...]

für Wolfram

ALLES SCHLÄFT.

Dorn aber schwimmt durch die Straßen. Er geht nicht, er schwimmt. Wo er ist, ist kühles, reines Wasser. Wasser, das er mit ruhigen, kräftigen Stößen teilt. Land unter! Die Lietzenburger Straße: ein reißender Strom. Wenn wir vom Fliegen träumen, denkt er, schwimmen wir. Ich konnte als Kind an die Decke hüpfen und um die Lampe kreisen. Seltsam, das haben alle vergessen, die Eltern, die Brüder. Nur ich nicht! Wahnsinn, ich konnte früher wirklich fliegen.

Aus märchenlangem Schlaf war diese Kunst plötzlich erwacht, und heute nacht würde er wieder an die Decke hüpfen und um die Lampe kreisen können – in jedem Kinderzimmer der Welt. Schweben und kreisen, bis eine Stimme bat: Komm herunter und schlaf!

Dorn schließt die Augen und zieht die Nachtluft durch die Nase: Äther und Wasser, Silber und Schwarz. Er taucht. Er strauchelt.

Schreib mal wieder, steht auf dem Briefkasten.

Schreib doch selber, du gelbes Ungeheuer, flucht er und reibt die schmerzende Schulter. Ich werde erst morgen schreiben, morgen-morgen, von meinem Kampf mit dem Kasten und allem, was kommt. Vom großen K und kleinen k und von der durst’gen Kehle. Heute will ich nur schwimmen, schwimmen wie ein Fisch im Wasser. Ins Kopf-Kino schwimmen:

Wir haben kein Wasser, klagen die Bauern.

Dann bittet Herrn Jang, sagt Mao.

Wen? fragen die Bauern, den kennen wir nicht.

Was? lacht Mao, den kennt ihr nicht? Den Jang Tse Kiang? da lachen auch die Bauern und greifen nach dem Spaten und zähmen den Strom, die Lietzenburger Straße, kurz vor der Augsburger.

Er stellt sich an die Kreuzung und singt: Es fürchte die Ebbe das stolzkiele Schiff / und fürchte die Klippen, die Bänke, das Riff.

Dorn ist begeistert. Nein, welch ein sprachlicher Schatz in mir schlummert! Stolzkiele Schiff! Das ist unerhört, aus dem Stegreif solche Worte! Und wieder einmal hat mich kein Schwein gehört, und wieder einmal werde ich mir die Worte nicht merken können.

Dorn spürt Boden unter den Füßen. Der Mond schlürft ihm das Wasser weg. Dorn droht zu stranden. Nachschub, denkt er, greift in die Tasche und schluckt etwas. Nichts Ernstes, nichts Hartes. Kinderkram, Süßigkeiten, bunte Smarties aus der Apotheke. Wirke, befiehlt er, im Namen von Schering und Hoffmann-La Roche: Wirke!

Dorn muß sich Mut machen. Laut sagt er in die Nacht hinein: Ich bin sorglos. Ich habe alles, was ich brauche, und ich habe es reichlich. Ich werde keinen Mangel leiden! Und der Mond spuckt das Wasser wieder aus, so reichlich, daß es Dorn bis zum Halse steht. Das Silber und das Schwarz. Holla!

Dorn spürt alle Muskeln, spannt alle Muskeln, Dorn reckt sich und streckt sich, schnalzt mit der Zunge. Holla! denkt er, sehr gesund. Komm, sagt er zum blonden Hans, hak dich ein! Der berühmte Ufa-Step. Jawoll, meine Herren, jawoll, jawoll! Klicke-diklack, singen die Schuheisen, klicke-di-klack. Singen einen Silberlaut. Für dich, sagt Dorn zum Mond, aber der Mond applaudiert nicht. Also verbeugt sich Dorn vor einem Auto, das ihn röhrend passiert. Willkommen, o silberner …, ruft er dem Auto nach, schöner stiller Gefährte der Nacht. Das Auto verschwindet. Du enteilst? Bleib, Gedankenfreund! lustlos gesprochen. Dorn denkt über die Routine des Rausches nach.

Wie spät ist es? Schon drei? Viel Zeit noch, tröstet er sein Bild im Schaufenster. Relax, baby! No hurry, honey! Dorn hat sich ein neues Stichwort gegeben. Dorn, der Schwimmer und Showstar, oder, wie es in Las Vegas heißt: The Divine Dorn! Und schon wieder singt er. Denn, sagt er sich mit George, singen soll diese Seele, nicht reden! Und das ist sein Lied: If you have got the money, honey / I have got the time. Wahnsinn, denkt er, Einschaltquoten wie bei der Mondlandung! Zu Tränen gerührt reißt er das Mikrophon ans Herz und verbeugt sich: You are such a wonderful audience. I love you, I love you all! It’s so good to be back in Berlin!

Mit heißem Herzen liebe ich diese Stadt, denkt Dorn, und all ihre stattlichen Männer. Und doch bin ich ihre Schande! Dorns denkende Seele taucht unter die Gürtellinie, wo sie dümpeln wird für den Rest der Nacht, dicht über schlammigem Grund.

Also: Die Autonummer. Wenn es denn sein muß, auch noch die Autonummer. Gut kennt Dorn seinen Text: Jetzt könnte ich einen Ford Capri ficken. Ach ja, denkt Dorn. Breitbeinig müßte er sich vor eine Kofferraumhaube stellen, und der Auspuff müßte stöhnen: Gib’s mir, gib’s mir. Gib es meiner Pferdestärke! Und das Auto ist Fury, und Dorn ist ein Hengst. So also geht die Autonummer, die Paarung zweier älterer Modelle.

Ein Scheinwerfer streift ihn. Polizei. Dorn spitzt den Mund und pfeift, aber seine Gedanken sind alles andere als harmlos: Bullen, denkt er, die greifen sich bestimmt zwischen die Beine beim Streifefahren. Und letztmalig denkt Dorn in dieser Nacht über die Routine des Rausches nach. Der Schwimmer ist an Land gekommen und stiefelt los. Dorn muß sich um seine Lust kümmern, und das ist ein trockenes Geschäft.

DORN SCHLEICHT DURCH DIE WOHNUNG. MIT hängenden Schultern, das Kinn auf der Brust. Die Augen starren ins Leere, und das Leere ist rabenschwarz. Ein Stein ist ihm aufs Herz gefallen, aus schon getrübtem Himmel. Eine Last drückt ihn, die er nicht benennen kann. Weltschmerz heißt auf englisch Weltschmerz. Ist es das? Heiße es, wie es wolle, es schnürt ihm die Kehle zu. Sein Atem reicht gerade für die Seufzer. Seufzend läßt er sich auf den Stuhl fallen, seufzend quält er sich wieder hoch. Er denkt an nichts mehr, immer tiefer kriecht er in sich hinein und ist schon dort, wo es für das Denken zu eng und zu dunkel ist.

Na, mein Liebling, sagt Viktor, der Freund, dreht sich die Welt wieder mal nicht so, wie du es willst? Nein, was ist es dann?

Aber nun ist Dorn gelähmt, und er kann noch nicht einmal den Kopf schütteln.

Weißt du was? sagt Viktor, ich werde dir einen Gute-Laune-Tee machen. Magst du vielleicht das Kräuterbuch holen?

Die Lähmung weicht, und Dorn wagt ein paar Schritte. Sie wissen beide, welches Kraut gegen seine Stimmungen gewachsen ist, denn nicht zum ersten Mal wird der Gute-Laune-Tee aufgegossen. Und wenn der Freund ihm gar das Buch vor die Nase hält, das Register aufschlägt und er dort schwarz auf weiß lesen kann: Depressionen siehe Bohnenkraut, dann wird es ihm gleich einen Deut leichter ums Herz, und lebenstüchtig kann er den Kessel füllen, und auch sein Teeglas holt er sich ganz allein.

Weltschmerz heißt auf englisch Weltschmerz, aber wer will schon den ganzen Tag Vokabeln lernen.

ER WÄRE EIN KÖNIG, WIE HELMUT BERGER IN »Ludwig II.«. Champagner, riefe er vor der Krönung, und das klänge zugleich wie seine Regierungserklärung. Champagner! Ungeduldig schlüge er mit gelben Lederhandschuhen auf Marmortische, und in den ersten Monaten seiner Regentschaft stolzierte er nur in hohen, weichen Stiefeln umher, sporenklirrend und nervös wie ein Rennpferd. Mit kurzen, scharfen Schritten, von deren Echo die Säle noch widerhallten, wenn er schon längst davongerauscht wäre, wie Helmut Berger in »Ludwig II.«. Anspannen, lautete sein Lieblingsbefehl, und jedes Erscheinen des Königs endete in hastigem Aufbruch. Er wäre überall und nirgends, und überall und nirgends für einen Lidschlag nur.

Wär er überhaupt hier, unser junger König? würden die Bauern fragen und an der Legende seiner Entrücktheit spinnen. Nie ginge jemand vor ihm, und prächtig wäre der Schweif seiner Gefolgschaft. Zum Adjutant du Jour erköre er stets den schönsten seiner Offiziere. Mit dem speiste er nachts an einer zwanzig Meter langen Tafel, und er vergäbe sich nichts wegen der Ferne. Nur vor den Sennern und Hirten beugte er sein Knie, denn sie liebte er scheu und mit Wehmut. Er wäre besser als Helmut Berger in »Ludwig II.«.

Graf Dürckheim würde klagen: Die Staatsgeschäfte, Majestät, die Staatsgeschäfte …! Und er antwortete: Bin ich der Ladenschwengel meines Landes? Ich will Bayern nicht regieren, ich will es inszenieren! Aber nicht Visconti wäre Ministerpräsident, sondern Marcel Carné, weil dann im Kabinett die Kinder des Paradieses säßen. Er verböte das Rechnen, und Schwermut hieße das Hauptfach. Die Schulen lägen bei den Schlössern, und immer füllte seine Augen Jugend. Nie wäre er dick und düster wie Helmut Berger in »Ludwig II.«. Er ertränke nicht, er verginge – windsacht. Es bliebe die Schönheit. Schönheit und der Geschmack von Champagner.

GEHST DU NOCH ZUR SCHULE? FRAGT DORN.

Das ist eine der erregendsten Fragen, die er kennt. Wenn er die stellt, muß er aufpassen, daß ihm nicht der Geifer aus dem Mund läuft.

Der herrliche, junge, blonde Mensch lächelt.

Nicht mehr. Ich bin bereits neunzehn.

Ungläubig schüttelt Dorn den Kopf. Wie alt Menschen heutzutage werden!

Das ist ein schöner Beginn, denken beide, schon bis über die Ohren ineinander verliebt.

Was machst du?

Ich arbeite in einem der ersten Schuhsalons der Stadt, antwortet der herrliche, junge, elegante Mensch.

Ah! sagt Dorn genießerisch, da hast du ja viel mit Fesseln zu tun.

Und Füßen, ergänzt Ralf, der zu Doms Bedauern auch einen Namen hat.

Darf ich dich morgen von deinem führenden Schuhgeschäft abholen?

Sehr gern! sagt Ralf, ich wollte es eben vorschlagen … Dorn singt ihm ins Ohr:

Ein Kuß nach Ladenschluß, das ist der schönste Kuß, weil man den ganzen Tag drauf warten muß …

Sie küssen sich und werden federleicht.

Dorn denkt an Viktor.

Ralf fragt sich, ob Dorn an jemanden denkt.

Wir wollen es heiter halten, bittet der.

Wie ein Spiel, sagt Ralf.

Er willigt ein. Ich will kein Verhältnis haben, denkt Dorn, ich will etwas, das niemandem wehtut. Etwas, das nicht zählt.

Dummer Dorn!

Armer Ralf!

Ach, Viktor!

SIE FEIERN ABSCHIED IN DER BADEWANNE. RALF fährt morgen in den Urlaub. Sie gucken aus türkisfarbenem Wasser und trinken Sekt. Fürst Metternich, was sonst?

Todschick! sagt Ralf.

Champagner ist ihnen zu aufdringlich.

Sprichst du über Geld? fragt Dorn.

Ralf schüttelt den Kopf, daß es nur so schäumt. Törichte Frage. Alles, was nicht schwarz oder weiß ist, wurde aus dem Badezimmer verbannt. Die rote Ajona-Tube zum Beispiel. Wer könnte ihren Anblick ertragen? Die Kleider liegen auf dem Flur. Blue-Jeans im Bad? Das würde alles verderben. Die Farbe des Farns und der Weintrauben ist zugelassen. Die Topfpflanze steht im Handwaschbecken, um den rostigen Abfluß zu kaschieren.

Abfluß! Auch so ein Wort! sagt Dorn.

Ralf versteht ihn nur zu gut.

Unerträglich!

Die Trauben bietet Ralf mit den Lippen an. So verwöhnt man seine Gäste.

Neben der Wanne steht ein Beistelltisch – eher ein Tischchen –, auf dem Schalen – Schälchen eher – arrangiert sind.

Sehr geschmackvoll! lobt Dorn, das sieht aus, wie mit dem Munde gemalt.

Ich bitte Sie, sagt Ralf, ein Imbiß, mehr nicht.

Sie tauchen unter, die beiden sind schlank genug für die Wanne.

Hast du jemals in deinem Leben Kartoffeln gegessen? fragt Dorn.

Ralf fragt nach: Du meinst dampfende, mehlige Winterkartoffeln mit blauschwarzen Augen? Nie!

Das hätte ich mir auch nicht vorstellen können. Du bist einfach kein Kartoffel-Typ.

Du auch nicht, sagt Ralf zärtlich.

Daraufhin schweben die beiden zehn Zentimeter über dem türkisfarbenen Wasser, so lange, wie man einen schönen Augenblick halten und ertragen kann.

Ralf, flüstert Dorn.

Kurt, flüstert Ralf, der Dorn bei dessen dritten Vornamen anredet. Er meint, der klänge besser. Dorn sieht in dieser Taufe die Lösung aller Probleme. Er betrügt Viktor nicht. Ein Mann namens Kurt planscht mit einem Mann namens Ralf in der Badewanne. Wer sollte sich daran stören? Harmloser geht es doch kaum. Der Mann namens Kurt existiert nur in Ralfs Leben, ist dessen Geschöpf.

Dorn ist treu und ehrlich.

Viktor, lieber Viktor, dir wird nichts genommen!