Ein Licht in der Dunkelheit I - Stephanie Rose - E-Book

Ein Licht in der Dunkelheit I E-Book

Stephanie Rose

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vor Tausenden von Jahren siegte das Licht über die Dunkelheit, doch nun schickt sich diese erneut an, die Macht an sich zu reißen. Cal entdeckt, dass er zur damaligen Zeit schon einmal gelebt hatte, um als einer der sieben Wächter ein mächtiges Wesen zu beschützen. Als er im Wald auf ein Mädchen trifft, das sein Gedächtnis verloren hat, beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen. Ihm wird klar, dass es nun seine Aufgabe ist, die anderen Wächter und die Wiedergeburt jenes Wesens, das sie einst gerettet hatte, zu finden, um die Dunkelheit erneut aufzuhalten. Eine abenteuerliche und beschwerliche Reise beginnt, auf der das Mädchen langsam seine Erinnerung wiederfindet und immer deutlicher merkt, dass ihm eine Schlüsselrolle in dem bevorstehenden Kampf zugedacht ist ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

EPILOG

EIN LICHT IN DER DUNKELHEIT

I

Stephanie Rose

Copyright © 2019 – Searose Fantasy

Searose Fantasy | Raiffeisenstr. 4, 74360 Ilsfeld, Deutschland | www.searose-fantasy.de

Auflage: Oktober 2019

Cover: Searose | www.searose.de

Autor: Stephanie Rose

Die Vervielfältigung und/oder (digitale) Speicherung von Teilen dieser Ausgabe bzw. deren Veröffentlichung durch Druck, Mikrofilm, Bildaufnahmen oder auf sonstige Weise, sei es chemisch, elektronisch oder mechanisch, bedarf immer der vorherigen, schriftlichen und ausdrücklichen Zustimmung des Verlegers.

FÜR MEIN KÜGELCHEN,

OHNE DAS DIESES BUCH

NIE ENTSTANDEN WÄRE.

IN LIEBE,

STEPHANIE

PROLOG

Seit Anbeginn der Zeit existierte ein Gleichgewicht zwischen den Mächten des Lichts und der Dunkelheit. Doch dann kamen die Menschen und störten dieses Gleichgewicht.

Einige verfielen den Verlockungen der dunklen Seite und begannen nach der Macht zu streben. Sie verließen die Pfade des Lichts und wurden zu Wesen der Dunkelheit, den Morva.

Ein erbitterter Krieg entbrannte, den die Mächte des Lichts zu verlieren drohten. Aber dann geschah etwas, das niemand für möglich hielt …

Ein Licht der Hoffnung erstrahlte ihn jener finsteren Zeit.

Es wurde ein Wesen geboren mit unvergleichlicher Macht.

Dieses Wesen sah den Menschen so ähnlich, dass es die Morva nicht zu finden vermochten. Einzig die Magie wusste um die wahre Identität des Wesens und entsandte sieben Wächter, Engeln gleich, zu dessen Schutze. Doch ihnen war es verboten sich dem Wesen zu zeigen bevor die Zeit reif war.

Als jene Zeit gekommen war, nahmen die Wächter die Gestalt einfacher Menschen an und offenbarten dem Wesen sein bevorstehendes Schicksal.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Das Wesen verliebte sich in einen der Wächter.

Es dauerte nicht lange und die Morva fanden einen Weg, das Wesen aufzuspüren. Ein bitterer Kampf entbrannte, den die Wächter verloren.

Die Morva beraubten sie ihrer Magie und Unsterblichkeit. Sie folterten die sieben Wächter, doch diese hielten ihren Schwur und gaben das Versteck des Wesens nicht preis. In ihrer Wut töteten die Morva die Wächter und nahmen deren Gestalt an, doch das Wesen konnten sie nicht täuschen.

In seiner Verzweiflung über den Tod des Geliebten, setzte das Wesen seine ganze Macht frei und vertrieb das Böse aus der Welt.

Das Gleichgewicht der Mächte war wiederhergestellt, doch den Preis für den Frieden musste es mit dem Leben bezahlen …

Jahrtausende später …

KAPITEL 1

Die Schatten der Bäume lagen lang und dünn auf dem Gras, als die Sonne hinter den fernen Bergen Celantis‘ emporstieg und den frühen Morgen ankündigte.

Ein Mädchen mit schneeweißem Haar irrte im Wald umher. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Angst wider. Die Angst, nicht zu wissen, wo man war.

Der Wind spielte sanft im Haar des Mädchens und gestattete der Sonne, einen goldenen Schimmer darauf zu legen, so dass es schien, als würde ihr Haar leuchten. Die Kleidung des Mädchens war zerrissen und ihr Gesicht von kleinen Kratzern übersäht.

„Wer bist du?“, fragte eine kindliche Stimme hinter dem Mädchen und ließ es erschrocken zusammenfahren. „Ich hab‘ dich hier noch nie gesehen“, meinte ein kleiner Junge und schenkte dem Mädchen ein fröhliches Lächeln, als es sich zu ihm umdrehte.

Ängstlich wich das Mädchen einen Schritt zurück und sah den Jungen mit großen Augen an. Sie zitterte am ganzen Körper.

„Was ist los mit dir? Hast du dich verlaufen?“, fragte er neugierig weiter und betrachtete sie eingehend.

Sie schüttelte langsam den Kopf. „I-ich … weiß n-nicht … Es tut mir leid, aber ich glaube, ich kann dir auf keine deiner Fragen eine Antwort geben“, flüsterte sie leise und senkte verwirrt den Kopf. Ein dumpfer Schmerz hämmerte in ihrem Schädel wieder, als sie versuchte, sich zu erinnern.

Wo war sie und vor allem wer war sie?

Der Junge sah sie ungläubig an und blinzelte verwundert. Es war ihm unbegreiflich, wie man seinen Namen vergessen konnte.

„Ich heiße Cal“, sagte er, als er sich wieder gefangen hatte und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Freut mich, dich kennen zu lernen, auch wenn du deinen Namen nicht weißt!“

Das Mädchen sank zu Boden und schluchzte leise.

„Alles in Ordnung?“, fragte Cal nun ein wenig unsicher.

Warum weinte sie?

Ratlos kniete er sich schließlich neben ihr nieder und überlegte, ob er sie vielleicht in den Arm nehmen sollte, doch dann fiel ihm ein, was seine Schwester einst sagte und er blickte betrübt zu Boden.

‚Menschen ohne Erinnerung reagieren mitunter seltsam. Doch am allermeisten haben sie Angst. Versuche nie, dich einem solchen Menschen aufzudrängen, wenn du dir nicht sicher bist, was du zu tun hast.‘

Er seufzte und dachte darüber nach, was er nun tun sollte. Dann kam ihm eine Idee.

„Warte kurz, vielleicht weiß meine Schwester Rat! Sie ist ganz in der Nähe!“ Cal sprang auf und verschwand zwischen den dichten Bäumen.

Der Wind schien mit dem Mädchen zu weinen und auch die Vögel verstummten, als er ihr sanft durchs Haar blies.

Zwei kleine Vögelchen flatterten zu dem Mädchen hinunter, landeten auf ihren eingezogenen Knien und sangen für sie eines ihrer Liedchen.

Sie sah überrascht auf und ein kleines Lächeln umspielte ihr verweintes Gesicht. „Ihr habt recht …“, murmelte sie leise und strich vorsichtig über deren fliederfarbene Flügel.

In der Ferne konnte sie die Stimme des kleinen Jungen hören, wie er einen Namen rief.

Es dauerte einen Moment und dann erklang die klare, helle Stimme eines Mädchens. Cal hatte sie Yvannie gerufen.

Die beiden kamen allmählich näher und als sie den hohen Farn durchbrachen, flogen die beiden Vögel erschrocken zurück in die Baumkronen.

Yvannie, die eben mit Cal aufgetaucht war, sah mitfühlend auf das Mädchen mit den schneeweißen Haaren herab, wie es hilflos am Boden kauerte, und seufzte kaum hörbar.

Das Mädchen sah zu Yvannie auf und hielt den Atem an. Ihr Gesicht war wunderschön und ihre Augen strahlten eine unheimliche Ruhe und Frieden aus. Mit einem Mal verschwand die Angst und das Mädchen blinzelte verwundert.

Als Yvannie ihr verweintes Gesicht betrachtete, kam sie langsam näher und ein sanftes, mütterliches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.

„Was hast du?“, fragte sie liebevoll und sank neben ihr auf die Knie. „Cal hat mir erzählt, dass du dich an deinen Namen nicht erinnern kannst.“

Das Mädchen nickte langsam und ließ es zu, dass Yvannie sie in den Arm nahm.

„Deswegen brauchst du doch nicht zu weinen. Das wird schon wieder“, meinte sie beruhigend und strich ihr durchs Haar.

„Das haben mir die beiden Vögelchen auch erzählt“, flüsterte das Mädchen leise und schluckte hart. Es fiel ihr schwer, nicht erneut in Tränen auszubrechen.

„Ich bin Yvannie und wenn du mich lässt, dann werde ich versuchen, dir zu helfen.“

Das Mädchen sah sie dankend an und nickte schließlich kaum merklich, als ihr nun erneut Tränen in die Augen stiegen.

„Jetzt brauchst du doch nicht mehr zu weinen“, meinte Yvannie fürsorglich, als sie die frischen Tränen bemerkte, und strich ihr sanft über die Wange.

Das Mädchen schüttelte den Kopf und sah Yvannie mit großen Augen an. Warum wollte ihr diese Frau helfen? Sie kannte sie doch gar nicht.

„Es ist nur … warum wollt ihr mir helfen?“, fragte sie dann zögerlich und blickte bedrückt zu Boden. „Ihr kennt mich doch gar nicht. Was ist, wenn ich Böses getan habe und dafür bestraft wurde? Und wenn ich euch etwas antun werde?“

Cal fing an zu lachen. „Du und Böses getan? Nein, niemals!“

Yvannie warf ihm einen bösen Blick zu und er verstummte.

„An dem, was sie sagt, ist durchaus etwas dran, aber warum bist du dir so sicher, dass sie so etwas nicht tun würde?“ Yvannie sah ihren kleinen Bruder forschend an.

Cal dachte nach und errötete. „Nun ja, sie sieht nicht so aus, als könnte sie irgendeinem Lebewesen etwas zuleide tun.“

Yvannie schüttelte den Kopf. „Lass dich nie vom äußeren Erscheinen eines Wesens täuschen, Cal. Dämonen können sich auch hinter wunderschönen Wesen verbergen.“

Dann wandte sie sich wieder dem Mädchen zu. „Wir hoffen einfach darauf, dass du uns bis dahin genug vertrauen wirst und uns als Freunde ansiehst.“ Sie zwinkerte. Auch sie war davon überzeugt, dass sie von ihr nichts zu befürchten hatten, auch wenn sie sich dieses Gefühl nicht erklären konnte.

„Und nun komm, ich möchte nicht allzu lange in diesem Wald verweilen.“

„Aber …“

„Schon gut“, meinte Yvannie lächelnd. „Du kannst so lange bei uns wohnen, bis du dich wieder erinnerst. Cal wird sich über eine Spielgefährtin sehr freuen, da bin ich mir sicher.“ Sie warf einen kurzen Blick auf ihren kleinen Bruder, der über das gesamte Gesicht ein breites Grinsen trug.

Yvannie konnte sich nicht erklären warum, aber etwas an diesem Mädchen gab ihr das Gefühl, ihr schon einmal begegnet zu sein – vor langer Zeit. Stirnrunzelnd hielt sie für einen Moment inne und dachte darüber nach, besann sich dann aber wieder und half dem Mädchen auf. Sie würde sich zu gegebener Zeit noch einmal mit diesen Gedanken befassen, beschloss sie, doch für den Moment wollte sie einfach wieder nach Hause und sich um ihren Gast kümmern.

Gemeinsam machten sie sich schließlich auf den Weg, der Sonne entgegen. Unterwegs hob Yvannie noch ihren Korb auf, den sie dort hatte stehen lassen als Cal nach ihr rief.

„Oh, Erdbeeren!“, rief dieser erfreut, als er in den Korb lugte.

„Ja, aber die sind nicht für jetzt!“, entgegnete Yvannie mit Nachdruck, als Cal hineinlangen wollte, woraufhin er seine Hand augenblicklich zurückzog und betreten zu Boden sah. Er liebte Erdbeeren und konnte es nicht erwarten, sie zu essen.

Als sie das Ende des Waldes erreichten, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und verbrannte das ohnehin schon vertrocknete Gras, das sie nun durchschritten.

„Wie sollen wir dich eigentlich nennen?“, fragte Yvannie nach einiger Zeit und sah das Mädchen nachdenklich an.

Dieses schüttelte nur den Kopf und senkte traurig den Blick.

„Wie wäre es mit Elea?“, schlug Cal schließlich vor und sah Yvannie und das Mädchen erwartungsvoll an.

„Wie kommst du denn auf diesen Namen?“, fragte Yvannie verwundert und blinzelte. „Ein Name sollte etwas über die Person aussagen, die ihn trägt. Elea kommt von eleann und das bedeutet Himmel. Der hat doch nun wirklich nichts mit ihr zu tun.“

„Warum nicht? Sie ist doch wie der Himmel! Ihre Augen tragen seine Farbe und ihr Haar leuchtet wie Sternenlicht“, erklärte er hartnäckig. „Das wäre doch der perfekte Name für sie! Bitte!“

Yvannie lächelte und nickte schließlich amüsiert.

„Na gut, was meinst du dazu, Elea?“ Sie sah sie erwartungsvoll an.

Elea entgegnete ihrem Blick mit leuchtenden Augen und ein freudiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Gerne!“, entgegnete sie glücklich und ihr Herz begann schneller zu schlagen. „Das ist ein schöner Name. Ich werde ihn in Ehren halten.“

Yvannie nickte und sah zu Cal hinüber, der über beide Ohren strahlte. Sie zwinkerte ihm lächelnd zu und verdrängte das seltsame Gefühl, das sich in ihrem Innern breit machte. Für einen Moment hatte sie das Gefühl überkommen, Cal würde seine Kindheit trotz seines jungen Alters in Kürze hinter sich lassen.

Vor ihnen kam ein See in Sicht und die Farbe des Grases wechselte allmählich wieder in saftiges Grün über.

„Ein schöner See“, bemerkte Elea verträumt und ihr Blick glitt in die Ferne.

Der See schien lang und oval zu sein, sein Wasser tiefblau. Trotz des schwachen Windes war seine Oberfläche glatt und unbewegt und das Gras fiel zu allen Seiten, zum Ufer hin, flach ab.

„Der See scheint etwas Besonders zu sein … nicht wahr?“ Für einen kurzen Augenblick erwachte ein seltsames Gefühl in ihrer Brust und eine sanfte Röte legte sich auf ihre Wangen. Was war das für Gefühl, tief in ihrem Innern? Eine Erinnerung? Sie wusste es nicht und schüttelte kaum merklich den Kopf, als sie den Gedanken nicht zu fassen bekam.

Dann sah sie Yvannie neugierig, nach einer Antwort suchend, an.

„Ja, sein Wasser ist immer ruhig und klar, egal wie das Wetter ist. Selbst der Regen scheint ihn nie zu erreichen“, entgegnete sie und folgte Eleas Blick.

„Ein letzter Rest der Magie dieser Welt …“, murmelte Elea schließlich nachdenklich und runzelte die Stirn.

„Magie? Sag jetzt nicht, du glaubst daran“, entgegnete Yvannie empört und starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren.

„Ich weiß nicht, woran ich glaube … Erst muss ich meine Erinnerung wiederfinden …“ Elea senkte betrübt den Kopf.

„Tut … mir leid. Ich wollte dich nicht daran erinnern.“ Yvannie legte ihr mitfühlend einen Arm auf die Schulter und bereute ihre Worte zutiefst. Auch wenn sie es sich nicht erklären konnte, so fühlte sie doch ein Band zwischen sich und Elea wachsen, das ihr den Kummer ihrer neuen Freundin nahebrachte.

„Denk nicht so viel darüber nach“, versuchte sie Elea aufzumuntern. „Du bist bei uns herzlich willkommen. Egal, wie lange es dauern mag.“

Elea senkte den Blick und nickte schließlich langsam.

Schweigend liefen sie nebeneinander her und sahen Cal zu, wie er fröhlich im hohen Gras spielte. So erwachsen er sich auch versucht hatte zu verhalten, als er auf Elea traf, so kam nun doch wieder das Kind in ihm durch, das er noch immer war und Yvannie atmete erleichtert auf.

Als sie den See erreichten, konnte Elea hinter einer alten, großen Weide, deren Zweige bis zum See hinunter reichten und kleine Kreise in seinem Wasser zogen, ein kleines Häuschen erkennen.

„Dort wohnt ihr?“, fragte sie neugierig, doch eine Antwort erwartete sie gar nicht. Sie wusste bereits, wohin sie ihr Weg führen würde.

Yvannie zeigte ihr den Weg an der Weide vorbei, der zum Haus führte. Es war ein schmaler Weg, der von Gras und Sträuchern überwuchert wurde und ihn den Blicken Fremder entziehen sollte.

Der Eingang war hinter ein paar Seláf-Sträuchern versteckt, deren Blätter in dunklem Grün hoch und kräftig wuchsen, und nur durch das Verschieben eines Steins in der felsenen Wand des Hauses, wurde der Eingang freigegeben.

Als sie dieses schließlich betreten hatten, verschloss sich der Eingang wie durch Magie von selbst und ließ Elea erschrocken zusammenfahren.

„Was …“, begann sie überrascht und verängstigt zugleich und starrte auf den verschlossenen Eingang.

„Oh, tut mir leid“, entgegnete Yvannie entschuldigend. Sie hatte sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt, doch auf Fremde musste es beängstigend und unwirklich wirken. „Wir wissen selbst nicht, wie es funktioniert. Seit ich denken kann, verschließt sich dieser Eingang von selbst wie durch Geisterhand. Doch Geister gibt es nicht, also mach dir keine Sorgen.“ Yvannie schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und schob sie tiefer, in das Herz des Hauses, hinein.

Das Haus schien, obwohl es so klein war, sehr geräumig und gemütlich zu sein und Elea wanderte neugierig durch die Zimmer.

„Hast du Hunger? Ich könnte dir etwas zubereiten“, schlug Yvannie vor und machte sich sogleich an die Arbeit, ohne ihre Antwort abzuwarten.

„Sie kocht wahnsinnig gern“, erklärte Cal grinsend und trat an Eleas Seite. „Du könntest dich so lange waschen, wenn du möchtest.“

Elea errötete und sah an sich hinab. „Ja, das wäre vielleicht ganz gut“, murmelte sie verlegen und wischte über ihre verschmutzte und zerrissene Kleidung.

Cal nickte freudig und führte sie wieder nach draußen.

„Am besten, du badest im See, dann kann dir auch nichts passieren. Ich werde Yvannie fragen, ob sie etwas zum Anziehen für dich hat.“

Ehe sie etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verschwand wieder im Haus. Der Eingang verschloss sich hinter ihm und ließ Elea allein stehen.

Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte, also ging sie langsam auf den See zu.

Irgendetwas behagte ihr ganz und gar nicht, doch sie versuchte es zu verdrängen und zog sich schließlich aus.

Aber sollte sie wirklich in den See steigen?

Das seltsame Gefühl, das sie überkam, wenn sie daran dachte, jagte ihr einen eisigen Schauder über den Rücken.

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und stieg hinein. Ganz langsam, Stück für Stück. Cal hatte gesagt, ihr würde nichts geschehen und sie wollte ihm vertrauen.

‚Ein seltsames Gefühl …‘, dachte sie überrascht, als das kühle Wasser sich um ihren schlanken Körper schloss. ‚Auch wenn Yvannie es mir nicht glaubt, dieser See hat etwas Magisches und sehr Altes. Genau wie diese Weide dort. Eine alte und reine Magie beherbergen diese beiden …‘

Elea dachte nicht weiter darüber nach und schritt so weit in den See hinein, bis sie den Boden unter den Füßen verlor.

Gedankenverloren ließ sie sich treiben und schloss die Augen.

Die sanfte Kühle des Wassers entzog ihrem Körper seltsamerweise keinerlei Wärme, so dass sie ewig dort hätte treiben und ihren Gedanken nachhängen können.

Als sie den See wieder verließ, hatte Cal ihr ein Handtuch und frische Kleidung ans Ufer gelegt; von ihm selbst war keine Spur.

Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie das hellblaue Kleid anzog. Es passte wie angegossen und fühlte sich angenehm weich auf ihrer Haut an. Der Saum war mit silbernen Stickereien verziert und verlieh dem Ganzen einen königlichen Anblick.

Immer noch lächelnd ging sie zurück ins Haus.

Yvannie war begeistert, wie gut ihr das Kleid stand und wollte ihr auch gleich die Haare zurechtmachen, doch Cal hielt sie zurück.

„Können wir nicht zuerst etwas essen? Ich habe Hunger!“

Yvannie entschuldigte sich und errötete peinlich berührt. Bei Eleas Anblick hatte sie alles andere vergessen.

„Aber natürlich, kleiner Bruder“, entgegnete sie mütterlich. „Danach darf ich mich aber an deinen wundervollen langen Haaren versuchen, einverstanden, Elea?“ Sie zwinkerte ihr zu. Es war lange her, seit sie zuletzt jemand anderem als sich selbst die Haare zurechtmachen konnte und freute sich ungemein über diese seltene Gelegenheit.

„Und dann gehen wir nach Can’aan. Ich muss noch ein paar Dinge besorgen und vielleicht kennt dich dort jemand“, fügte Yvannie noch hinzu und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sich Eleas Miene bei ihren Worten sichtlich aufhellte.

Als die Sonne die höchste Stelle am Himmel passierte und allmählich ihren Abstieg begann, brachen sie auf.

Von Westen her zogen langsam dunkle Wolken auf und die Luftfeuchtigkeit erhöhte sich spürbar.

„Ich hoffe doch, es fängt nicht an zu regnen während wir im Dorf sind“, murmelte Yvannie mit zusammengekniffenen Augen und warf einen hoffnungsvollen Blick gen Westen.

In der Ferne tauchten nun die äußersten Häuser des Dorfes auf. Es schien in einem weiten Kreis um einen großen Platz herum angeordnet zu sein.

„Am besten, du lässt dir von Cal das Dorf zeigen. Ich muss nämlich noch ein paar Kräuter für das Abendessen und etwas Stoff besorgen. Wir treffen uns am Festplatz wieder, sobald die Sonne beginnt am Horizont zu verschwinden.“

Ohne Eleas oder Cals Antwort abzuwarten, verschwand Yvannie hinter einer Straßenbiegung und ließ die beiden allein zurück.

Sie sahen ihr verwundert nach und Elea wandte sich schließlich an Cal. „Was ist nur los mit ihr?“, fragte sie besorgt und runzelte nachdenklich die Stirn. Etwas schien Yvannie sichtlich Sorgen zu bereiten.

„Ich schätze mal, sie will nicht allzu viel Zeit hier verbringen. Du siehst ja, wie das Wetter umgeschlagen hat“, entgegnete Cal nur und zuckte mit den Schultern.

Elea sah ihn neugierig an und warf dann einen Blick in den dunkler werdenden Himmel hinauf. Die dichte Wolkendecke hatte das Licht der Sonne beinahe komplett verschlungen.

„Und außerdem hasst sie den Regen“, fügte er noch hinzu, als schließlich einige wenige Tropfen zu Boden fielen und die Erde befeuchteten. Er schüttelte den Kopf und setzte sich in Bewegung.

Elea sah ihm nach und runzelte die Stirn. ‚Den Regen hassen? Warum?‘, fragte sie sich verwundert und sah erneut in den grauen Himmel hinauf. Sie verstand nicht.

Cal riss sie aber aus ihren Gedanken und drängte sie, mit ihm zu kommen.

„Mach dir keine Gedanken um Yvannie. Na komm, dann werde ich dir mal alles zeigen und vielleicht treffen wir jemanden, der dich schon einmal gesehen hat und weiß, wer du bist.“

Er fasste sie an der Hand und zog sie mit sich.

„Lass uns am Festplatz beginnen. Er ist das Zentrum des Dorfes. Alle Feste werden dort gehalten.“

Cal führte sie durch die engen Gassen.

Elea bemerkte, dass nicht sehr viele Menschen unterwegs waren, was sie irgendwie beunruhigte. Doch die wenigen Personen, denen sie begegneten, drehten sich nach den beiden um und sahen ihnen mit verstohlenen Blicken nach. Elea schob es auf die auffällige Frisur, die ihr Yvannie voller Eifer verpasst hatte und strich sich nervös durchs Haar, wobei sie den Knoten löste, der es zusammenhielt.

Ihr langes schneeweißes Haar verdeckte ihr kurz die Sicht, bis sie es mit einem sanften Kopfschütteln auf ihren Rücken warf.

„Da wären wir“, bemerkte Cal und lächelte erfreut als er sie ansah. „So finde ich es viel besser“, meinte er lächelnd und griff nach ihren Haaren. „Wirklich wie Sternenlicht … Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wunderschön.“

Elea errötete und wandte den Blick ab.

Vor ihnen, in der Mitte des weiten Platzes, türmte die riesige goldene Statue einer jungen Frau.

„Wer ist sie?“, fragte Elea neugierig und starrte die Statue mit großen Augen an.

„Das ist Silfiri, das Symbol des Dorfes. Vor dreitausend Jahren, zu Beginn des großen Krieges zwischen Licht und Dunkelheit, erwachte eine Legende zum Leben, um den Menschen zu helfen. Sie wurde den Überlieferungen zufolge von sieben Wächtern an diesem Ort gefunden, aber ich denke, dass da irgendetwas falsch überliefert wurde und …“

Elea bemerkte nicht, dass Cal soeben fortfahren wollte, seine Zweifel an den Überlieferungen kundzutun und trat einige Schritte auf die Statue zu.

„Irgendwie kommt sie mir bekannt vor … Ich kenne dich …“, murmelte sie verwundert und konnte den Blick nicht von der Statue abwenden. Ihr Anblick faszinierte sie.

Nachdenklich wandte sie sich schließlich wieder Cal zu. Er schien ihre Bemerkung nicht gehört zu haben und hatte mit seinen Ausführungen fortgefahren.

„Jedenfalls … deswegen trägt dieses Dorf heute den Namen Can’aan, eigentlich Can’aan Ranoha, was in der alten Sprache soviel bedeutet wie …“

Elea zuckte erschrocken zusammen, als sie hinter Cal plötzlich einen hochgewachsenen jungen Mann entdeckte.

„Cal …“, begann sie nervös, doch dieser hatte den Mann längst bemerkt.

„Sedryn! Was machst du denn hier?“, fragte er erfreut, als ein Lächeln über das schöne Gesicht des Mannes huschte. Er hatte lange schwarze Haare, die zu einem lockeren Zopf in seinem Nacken zusammengebunden waren.

„Willst du mir nicht deine hübsche Begleiterin vorstellen?“, fragte der Fremde und musterte Elea von Kopf bis Fuß.

Die Stimme des Mannes klang warm und rein und jagte einen Schauder über Eleas Rücken. Das Lächeln, das er ihr zuwarf, ließ sie rasch den Blick abwenden, um die sanfte Röte, die sich auf ihr Gesicht schlich, zu verbergen.

„Das ist Elea, eine Freundin von Yvannie und mir.“

„Du hast eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihr“, bemerkte Sedryn grinsend. „Nur das ihr Haar nicht weiß ist und auch deine Augen spiegeln etwas anderes wider …“

Er beugte sich nach vorn, um sie genauer zu betrachten, doch Elea wich erschrocken zurück. Was wollte dieser Mann von ihr?

„Ich tu’ dir nichts“, meinte er überrascht und hob abwehrend die Arme nach oben.

‚Was ist das?‘, fragte sich Elea verwirrt und ängstlich zugleich. ‚Warum fühle ich mich in seiner Gegenwart so seltsam? So … so hilflos?‘

„Elea? Alles in Ordnung?“, fragte Cal und musterte sie besorgt.

Sie nickte zögerlich und wandte sich schließlich wieder der Statue zu.

Das bedrohliche Gefühl, das sie in Sedryns Gegenwart verspürte, behagte ihr ganz und gar nicht und so beschloss sie, sich wieder ihren Gedanken und der Statue vor sich zu widmen.

Jene Frau, Silfiri, wie Cal sie genannt hatte, faszinierte sie ungemein.

Auch wenn sich Elea dieses Gefühl nicht erklären konnte, sie kannte sie, da war sie sich sicher. Doch woher? Und vor allem, wie konnte sie sie kennen, wenn all das vor dreitausend Jahren geschehen war?

Verwundert schüttelte sie den Kopf und kniff die Augen nachdenklich zusammen.

Cal und Sedryn redeten leise miteinander und entfernten sich immer weiter von Elea.

„Wir sind gleich wieder zurück. Warte hier auf mich, ja?“, sagte Cal und folgte Sedryn, der in einer schmalen Gasse verschwunden war, ohne Eleas Antwort abzuwarten.

Sie nickte nur geistesabwesend und starrte weiterhin die Statue mit großen Augen an.

Kehrte ihre Erinnerung allmählich wieder?

„Du siehst Yvannie so ähnlich …“, murmelte sie leise vor sich hin. „Aber du bist es nicht … oder doch? Nein … dreitausend Jahre sind eine lange Zeit, die kein Mensch überbrücken kann … Du kannst es nicht sein. Aber wer bist du? Woher kenne ich dich?“

Es war sinnlos, weiter darüber nachzudenken, dachte sie. Sie konnte sich ja nicht einmal an ihre eigene Vergangenheit, geschweige denn ihren Namen, erinnern. Wie sollte sie sich da an jemand anderen erinnern?

Sie seufzte innerlich und drehte sich um. Verwundert hielt sie den Atem an. Cal und Sedryn waren verschwunden.

Für einen Moment schien es ihr so, als wäre die Zeit stehen geblieben und es dauerte einen Moment ehe sie realisierte, was das zu bedeuten hatte.

Hatte man sie vergessen?

Sie war sich nicht sicher und versuchte zurückzudenken. Hatte Cal nicht irgendetwas zu ihr gesagt? Nachdenklich senkte sie den Blick und rieb sich die Stirn. Was auch immer es gewesen war, sie hatte es vergessen.

Panik machte sich in ihr breit und ließ ihr Herz schneller schlagen.

Entgeistert rannte sie los, um Cal zu suchen.

Als sie Can’aan schließlich hinter sich gelassen hatte, blieb sie schwer atmend stehen und warf einen angsterfüllten Blick zurück. Niemand, den sie hätte fragen können, war zu sehen.

Ein kalter Windstoß ließ sie frösteln.

Das Heulen des Windes jagte ihr einen eisigen Schauder über den Rücken und ließ sie erschrocken zusammenzucken.

Elea hielt den Atem an. Sie fürchtete sich.

‚Irgendetwas stimmt mit dem Wind nicht!‘, dachte sie angsterfüllt und den Tränen nahe. ‚Diese Kälte … diese unbeschreibliche Kälte!‘

Plötzlich überkam sie das unheimliche Gefühl beobachtet zu werden und sie rannte schließlich völlig verstört weiter.

Als sie einen nahen Hügel erklomm, begann es noch stärker zu regnen. Völlig außer Atem kam sie zum Stehen.

„Ich werde ihn nie finden …“, flüsterte sie verzweifelt und kauerte sich schließlich unter einem einsamen Baum nieder, als der Regen immer heftiger und kälter wurde.

In der Ferne konnte sie leise Stimmen flüstern hören. Kalte, tote Stimmen …

Cal und Sedryn unterhielten sich leise über Elea.

Er erzählte ihm alles, was er über sie wusste und was er dachte. Er erzählte ihm davon, wie er sie völlig verstört im Wald fand, Yvannie ihr versprach, Licht in ihre Vergangenheit zu bringen und was sie sagte, als sie den kleinen See vor ihrem Haus betrachtete.

Sedryn war schon immer von Yvannies Hilfsbereitschaft fasziniert gewesen und schüttelte entgeistert den Kopf. „Ich kann deine Schwester einfach nicht verstehen. Ihre Hilfsbereitschaft wird ihr früher oder später noch zum Verhängnis werden“, meinte er fassungslos und starrte Cal mit durchdringendem Blick direkt in die Augen.

Wieder und wieder hatte er ihn ermahnt, sich um seine Schwester zu kümmern, doch Cal war noch immer sehr jung und sich der Gefahr sicher nicht voll und ganz bewusst, der sie sich mit ihrem Verhalten aussetzte. Sedryn seufzte innerlich und beschloss, bei nächster Gelegenheit mit Yvannie darüber zu sprechen.

„Irgendetwas stimmt mit dieser Elea nicht“, meinte er dann einige Augenblicke später nachdenklich, doch Cal schüttelte langsam den Kopf und sah ihn nun ebenfalls mit einem allesdurchdringenden Blick an.

Ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen.

„Das mag sein, aber meiner Meinung nach ist sie nicht böse … Nicht sie …“, entgegnete er nur und wusste nicht recht, wie er Sedryn von seinen Gefühlen überzeugen konnte.

Dieser schüttelte bei diesen Worten den Kopf und zog neugierig eine Augenbraue nach oben. „Was macht dich da so sicher? Du weißt doch gar nicht, wer sie ist und vor allem, was sie ist.“

Jetzt war es Cal, der bestimmt den Kopf schüttelte und die Augen zu Schlitzen zusammenkniff. „Ich weiß auch nicht, es ist nur so ein Gefühl, das ich nicht erklären kann …“

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her und dachten darüber nach.

„Was denkst du, was sie ist?“, fragte Cal schließlich nach einiger Zeit neugierig und sah zu Sedryn auf.

Dieser schien sichtlich überrascht über die Frage und blieb stehen.

„Nun ja, das weiß ich auch nicht. Aber auf jeden Fall ist sie kein Mensch, da bin ich mir sicher. Kein menschliches Wesen hat solch reines weißes Haar.“

„Dann kannst du aber auch nicht sagen, dass sie zur Dunkelheit gehört“, meinte Cal trotzig.

Sedryn seufzte. Allmählich kamen ihm Zweifel daran, ob es klug gewesen war, Cal sein kleines Geheimnis anzuvertrauen.

„Lass uns zurückgehen. Die Dunkelheit kommt immer näher …“

Cal nickte zustimmend. Auch er konnte es spüren.

Als sie den Festplatz im Zentrum Can’aans erreichten, wartete Yvannie bereits ungeduldig auf sie.

„Sedryn! Was machst du denn hier?“, fragte sie, begeistert ihren alten Freund wiederzusehen, und umarmte ihn fröhlich. „Warum kommst du uns denn nie besuchen? Ich habe dich schon so viele Male eingeladen, aber du lässt dich einfach nicht blicken.“ Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, doch ehe dieser etwas erwidern konnte, sah sie an ihm und Cal vorbei.

„Wo ist Elea?“ Stirnrunzelnd sah sie sich um.

Cal blinzelte überrascht und folgte dem Blick seiner Schwester. Sie war wirklich nirgends zu entdecken.

„Ich sagte ihr, sie solle hier auf mich warten“, meinte er ein wenig verwundert und legte den Kopf schief. „Sie müsste eigentlich …“

„Aber sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen zu sein“, warf Sedryn dann schuldbewusst ein.

„Und warum hast du nichts davon gesagt?“ Yvannie warf ihm einen vernichtenden Blick zu und begann hilflos im Kreis zu laufen. Der Regen, der auf sie niederfiel, jagte ihr einen eisigen Schauder über den Rücken und ließ sie schließlich zornig die Hände zu Fäusten ballen. Was sollte sie nun tun?

„Sie hat bestimmt gedacht, ihr habt sie vergessen und ist nun ganz verstört auf der Suche nach euch …“, murmelte sie voller Sorge und presste ihre zitternden Hände gegen ihre Wangen.

Cal funkelte Sedryn böse an und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, als dieser schließlich seufzte und es vermied, ihn direkt anzusehen.

„Ich werde sie suchen gehen“, bot Sedryn dann an, als der Regen noch stärker wurde. „Geht ihr beide nach Hause. Ich werde sie schon finden“, fügte er noch hinzu, als Yvannie gerade etwas einwenden wollte.

Sie schüttelte den Kopf und beharrte darauf, ihn bei seiner Suche zu unterstützen.

„Ich weiß, dass du den Regen nicht magst und du hast sehr gute Gründe dafür“, sagte Sedryn weiter und sah sich besorgt um.

Yvannie sah ihn verwundert an und legte fragend den Kopf schief. „Was meinst du damit?“

Er sah ihr tief in die Augen und schüttelte dann den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit dafür. „Ich werde es dir erzählen, wenn ich Elea zurückgebracht habe, und jetzt geht!“

Sedryn konnte die Dunkelheit fühlen, wie sie sich langsam um sein Herz schloss und rannte los.

Er verschwand hinter einem zerfallenen Haus und sprang leichtfüßig über die Trümmer, die ihm den Weg versperren wollten.

Nach einiger Zeit blieb er in einer engen Gasse stehen und starrte in den dunkler werdenden Himmel hinauf. Er blinzelte sich den Regen aus den Augen, um wieder klar sehen zu können.

‚Warum tue ich das überhaupt? Wenn sie wirklich ein Wesen der Dunkelheit ist, dann könnte ich noch mehr Schaden anrichten …‘

‚Und wenn sie das nicht ist? Was wäre, wenn sie unsere Rettung ist?‘, flüsterte Cals Stimme in seinem Geist.

‚Vielleicht liege ich wirklich falsch, aber wenn nicht, dann …‘ Er schüttelte wild den Kopf und versuchte, die düsteren Bilder, die vor seinem geistigen Auge vorbeizogen, zu verdrängen. ‚Aber ich kann sie nicht schon wieder im Stich lassen!‘

Er rannte weiter.

Der Regen wurde immer kälter und graue Nebelschleier zogen auf, die ihm die Sicht erschwerten. Sie vermischten sich mit seinem Atem, der nun zu weißen Wolken vor ihm kondensierte und davonschwebte.

Aus weiter Ferne schienen leise Stimmen nach ihm zu rufen. Kalte Stimmen, die seine Bewegungen verlangsamten.

„Es hilft alles nichts …“, murmelte er, als er einen Hügel außerhalb Can’aans erklomm.

Er flüsterte etwas Unverständliches und konzentrierte sich auf Eleas Aura. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Dort war sie …

In der Ferne begann ein sanftes Licht zu leuchten, das ihm den Weg wies.

„Ich lag wohl doch falsch …“, meinte er überrascht zu sich selbst und setzte sich schließlich wieder in Bewegung.

Das Licht führte ihn tatsächlich zu Elea.

Sie saß zusammengekauert unter einem großen Baum und zitterte vor Kälte, die Arme fest um die angezogenen Knie geschlungen. Ihr langes Haar klebte ihr in nassen Strähnen im Gesicht.

Mitleidig sah er sie an und atmete tief durch. Sie hatte ihn nicht bemerkt.

Dann zog er seinen völlig durchnässten Mantel aus und legte ihn ihr über die Schultern.

Elea zuckte erschrocken zusammen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte und sah auf. Ungläubig starrte sie Sedryn an, unfähig etwas zu sagen.

„Er wird dich trotzdem warm halten“, sagte er lächelnd und strich ihr übers Gesicht. Er war sich sicher, dass sie geweint hatte und dies noch immer tat, doch der Regen verwischte ihre Tränen.

„S-Sedryn … i-ihr habt mich also doch nicht vergessen?“, flüsterte sie mit zitternder Stimme.

War er wirklich gekommen, um sie abzuholen?

Langsam streckte sie ihre rechte Hand nach ihm aus und berührte seine feuchte, kühle Wange. Er war wirklich; er war wirklich gekommen, um sie nach Hause zu holen.

Dann warf sie sich ihm um den Hals und schluchzte leise.

„Ich danke dir … ich danke dir so sehr …“, flüsterte sie kaum hörbar und konnte nur mit Mühe das Zittern ihres Körpers unterdrücken.

„Ist schon gut, Yvannie und Cal warten bereits auf dich. Ich bring dich nach Hause. Na komm, steig auf meinen Rücken.“

Er nahm sie Huckepack und stapfte los. Das warme Gefühl, das ihn jetzt durchströmte, ließ ein erfülltes Lächeln auf seinem Gesicht entstehen.

‚Cal hatte recht …‘, dachte er gebannt, als er mit Elea auf dem Rücken den Hügel hinabstieg, und sein Herz begann schneller zu schlagen. ‚Sie ist nicht böse. Vielleicht ist sie ja wirklich hier, um uns zu retten … So wie damals …‘

KAPITEL 2

„Bin ich froh“, flüsterte Yvannie erleichtert, als sie die beiden in der Dunkelheit erkannte und fasste sich an die Brust. Ihr Herz begann schneller zu schlagen.

Sie öffnete die Tür und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die sich ihren Weg nach draußen bahnen wollten.

Auch wenn sie Elea nun erst seit einem Tag kannte und eigentlich nichts über sie wusste, so hatte sie sie doch ins Herz geschlossen und fühlte sich für sie verantwortlich.

Sedryn schien sehr müde zu sein, auch wenn er dies nie zugeben würde, doch Yvannie erkannte es in seinen Augen, als er mit Elea, die er noch immer auf dem Rücken trug, näher kam.

Kaum war Elea von seinem Rücken gestiegen, fiel ihr Yvannie um den Hals und drückte sie fest an sich.

„Ich habe mir solche Sorgen gemacht …“, flüsterte sie mit zitternder Stimme und wandte sich schließlich Sedryn zu. „Komm her, Sedryn, lass dich umarmen! Ich danke dir von ganzem Herzen!“

Geduldig ließ er die Umarmung über sich ergehen und folgte den beiden schließlich ins Haus.

„Ich habe Tee gemacht. Willst du heute Nacht hier bleiben, Sedryn? Du weißt, wir haben immer einen Platz für dich.“ Yvannie verfiel wieder ganz in ihre Rolle der Haushälterin.

Sedryn schüttelte lächelnd den Kopf und winkte ab. „Nein, ich bin sehr beschäftigt … Ein anderes Mal vielleicht.“

„Dann solltest du dich aber wenigstens aufwärmen“, schlug Cal vor und reichte ihm und Elea eine Tasse Kräutertee.

Er führte sie zu der kleinen Feuerstelle hinüber, die er bereits kurz vor ihrer Ankunft entzündet hatte und bat sie, sich zu setzen.

Sedryn schloss müde die Augen, als er das wärmende Feuer auf seiner Haut spürte und genoss das angenehme Gefühl, das diese Wärme mit sich brachte.

„Wie hast du sie überhaupt gefunden?“, fragte Yvannie schließlich neugierig, als sie etwas Gebäck zu ihnen brachte und sich ebenfalls setzte. Sie war noch immer erstaunt, wie Sedryn sie in dieser kurzen Zeit hatte finden und zurückbringen können.

„Ganz einfach, ich habe sie gesucht“, entgegnete er schlicht und nahm sich etwas Gebäck. Er konnte ihr ja unmöglich sagen, dass er Magie verwendet hatte, um Elea zu finden. Yvannie würde ihm nicht glauben.

Er betrachtete das Gebäck, das er in der Hand hielt, eingehender und biss schließlich herzhaft hinein.

„Das ist echt gut“, meinte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht und kaute genussvoll. Dann sah er Yvannie direkt in die tiefblauen Augen und hoffte, sie so von ihrem eigentlichen Thema ablenken zu können.

Sie errötete und wandte den Blick mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen von ihm ab.

Sedryn und Cal tauschten wissende Blicke. Sie hatte den Köder geschluckt.

Yvannie sah zu Elea hinüber und nahm sie bei der Hand.

„Komm, ich zeige dir dein Zimmer. Du bist sicher erschöpft“, meinte Yvannie mit einem mütterlichen Lächeln auf den Lippen und zog sie mit sich. „Es ist nicht sehr groß, aber ich denke, es wird dir gefallen.“

Im Zimmer standen überall Kerzen und erhellten den Raum.

Die Wände bestanden aus weißem Stein und bildeten einen schönen Kontrast zu den massiven Holzschränken, die im Kerzenschein beinahe schwarz erschienen.

Auf dem Bett lagen ein langes Nachthemd und ein Handtuch.

Yvannie hatte sich sehr viel Mühe gegeben, das Zimmer wieder herzurichten, denn nach dem Tod ihrer Eltern hatten es weder sie noch Cal jemals wieder betreten, um nicht ständig daran erinnert zu werden, was sie verloren hatten.

„Die Kerzen hat Cal aufgestellt. Er meinte, sie werden dich beschützen“, erklärte Yvannie lächelnd und wandte sich Elea zu.

Ein Lächeln huschte über deren Gesicht, als sie sich aufs Bett setzte und über die weiche Decke streichelte.

„Gute Nacht“, sagte Yvannie mit einem gequält wirkenden Lächeln auf den Lippen und verließ das Zimmer.

Mit Tränen in den Augen lehnte sie noch einen Moment an der Tür, dann schüttelte sie den Kopf und ging wieder zu Cal und Sedryn zurück.

Elea erhob sich, ging zum Fenster hinüber und starrte in die dunkle Nacht hinaus. Der Regen hatte nachgelassen, doch der Nebel schien nicht verschwinden zu wollen.

Am Himmel tauchten die Sterne allmählich hinter den Wolken auf und der silberne Mond kroch in der Ferne hinter den Bergen hervor.

‚Trotz des Mondlichts ist es so dunkel … unheimlich …‘

Elea schüttelte ängstlich den Kopf und versuchte, jene dunklen Gedanken zu vertreiben. ‚Denk einfach nicht daran.‘

Sie wollte sich gerade vom Fenster abwenden, als etwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Es lief ihr eiskalt den Rücken herunter und sie erschauderte.

‚Ein Bote der Morva … aber was wollen die hier? Hier gibt es doch nichts von Interesse für sie … oder doch?‘

Stirnrunzelnd zog sie die Vorhänge zu und ließ sich auf dem Bett nieder.

„Was sollte das?“, fragte sie sich verwirrt und dachte über ihre Gedanken nach, die klangen, als würde sie die Morva kennen.

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie noch immer in ihre nasse Kleidung gehüllt war und das Bett durchnässte. Eilends sprang sie auf und entledigte sich dieser, dann streifte sie das samtig weiche Nachthemd über, das Yvannie für sie bereitgelegt hatte.

Gedankenverloren strich sie über Sedryns Mantel, den sie noch immer bei sich trug, doch sie wollte das Zimmer jetzt nicht mehr verlassen und beschloss, ihn solange aufzubewahren, bis sie Sedryn wieder traf.

Mit einem flüchtigen Blick zur Türe, kroch sie unter die Bettdecke. Erst jetzt bemerkte sie, wie müde sie war.

Das Letzte woran sie dachte ehe sie einschlief, war Sedryn, wie er plötzlich wie aus dem Nichts vor ihr stand und sie vor der Dunkelheit rettete.

„Musste das sein?“, fragte Cal wütend, als Elea und Yvannie das Zimmer verlassen hatten.

Sedryn sah ihn überrascht an. „Was meinst du?“, fragte er unschuldig und hob abwehrend die Hände nach oben, als Cal ihn mit finsterem Blick anfunkelte.

„Du weißt ganz genau, was ich meine! Musstest du sie so auf die Probe stellen?“

Sedryn senkte den Kopf und seufzte. Cal hatte ihn also durchschaut.

„Es war falsch, ich weiß … aber jetzt bin ich mir sicher; sie ist nicht böse, du hattest recht. Ich hätte deinen Gefühlen wieder vertrauen sollen … dein Instinkt ist einfach bemerkenswert.“

„Worüber redet ihr?“

Beide drehten sich erschrocken um und hielten den Atem an.

Yvannie stand im Türrahmen gelehnt und lächelte die beiden neugierig an.

„Nur darüber, wie lecker deine Kekse sind“, log Sedryn grinsend und zwinkerte ihr zu.

Yvannie sah ihn misstrauisch an und blickte dann enttäuscht zu Boden. „Du warst schon immer ein schlechter Lügner, Sedryn. Ihr müsst mir nicht sagen, worüber ihr euch unterhalten habt, aber bitte, lügt mich nicht an.“

Für einen Moment konnte Sedryn ein enttäuschtes und verletztes Glitzern in ihren Augen erkennen und er zuckte zusammen. Er wollte Yvannie nicht verletzen.

„Geht es Elea gut?“, fragte er dann, um das drückende Schweigen zu durchbrechen.

Yvannie gesellte sich zu ihnen.

„Ja, ich denke schon. Ich danke dir für deine Hilfe. Ohne dich … ich wüsste nicht, was ich ohne dich getan hätte …“

Sedryn lächelte sie an und legte ihre Hände in die seine. „Für dich tue ich doch alles, liebe Yvannie.“ Er sah zum Fenster hinüber. „Es ist Zeit aufzubrechen. Ich werde euch bald besuchen kommen, versprochen.“

Ein breites Lächeln huschte über Yvannies Gesicht. „Das will ich auch hoffen. Sonst gibt’s keine Kekse mehr für dich.“

Sedryn lächelte und ließ sich ein weiteres Mal von Yvannie umarmen.

„Der Mond geht auf, dann ist ja alles wieder gut“, meinte er und verabschiedete sich.

„Aber es ist ziemlich kalt“, entgegnete Yvannie, ohne richtig verstanden zu haben, was er damit meinte.

„Oh, Elea hat noch immer deinen Mantel!“, erinnerte sie sich und wandte sich von ihm ab. „Warte, ich hole ihn schnell.“

Sedryn hielt sie zurück. „Lass sie schlafen. Ich werde ihn mitnehmen, wenn ich wiederkomme. Tschau!“

Er verschwand in die Nacht hinaus, ohne Yvannies Antwort abzuwarten.

Yvannie sah ihm nach und ging, als es ihr zu kalt wurde, wieder ins Haus.

„Ich gehe dann auch schlafen. Ich bin ziemlich müde“, murmelte Cal, als sie sich wieder zu ihm gesellte, und rieb sich die Augen.

„Ja, keine schlechte Idee. Ich putze noch ein bisschen und dann gehe auch ich schlafen. Gute Nacht.“

„Mach das doch morgen, es ist schon so spät“, meinte Cal kopfschüttelnd und sah sie besorgt an. „Vielleicht helfe ich dir dann auch.“

Yvannie lächelte. „Ist schon gut, es ist ja nicht viel“, entgegnete sie und scheuchte ihn schließlich davon, als er keine Anstalten machte zu gehen. „Na, geh schon.“

Als die Sonne langsam hinter den Bergen hervorkroch, erwachte Elea.

Sie öffnete langsam die Augen und sah sich um. Der Raum, in dem sie sich befand, war ihr fremd und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Doch dann erinnerte sie sich wieder; sie war in Yvannies Haus.

Im schwachen Licht, das durch die Vorhänge kroch, sah das Zimmer noch viel schöner aus als am vergangenen Abend.

Elea schob die Bettdecke von sich und trat zum Fenster hinüber. Sie zog die Vorhänge beiseite und öffnete es. Eine sanfte Brise wehte ihr entgegen und spielte mit ihrem Haar. Die Sonne schien ihr mit solcher Kraft ins Gesicht, dass sie blinzeln musste und sie dazu zwang, eine Hand zum Schutz ihrer Augen anzuheben.

„Ein schöner Morgen“, murmelte sie erfreut und blickte verträumt in die Ferne.

Nachdenklich ließ sie ihren Blick schweifen und sah sich um. Dann erblickte sie Cal, der freudig im See planschte.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie beschloss, ihm Gesellschaft zu leisten.

Was am vergangenen Tag geschehen war, hatte sie tief in ihrem Bewusstsein vergraben. Sie wollte nicht daran erinnert werden und die Angst vergessen, die sie schier um den Verstand gebracht hatte.

„Guten Morgen, Cal! So früh schon wach?“

Sie ließ sich am Ufer des Sees, nahe der alten Weide, nieder und lächelte ihn an. Es schien, als würden sie sich schon ewig kennen.

„Dasselbe könnte ich dich fragen“, entgegnete er fröhlich. „Ich hoffe, du verzeihst mir das von gestern. Ich hätte mehr darauf achten sollen, ob du mir überhaupt zuhörst … Es tut mir leid.“

Elea schüttelte den Kopf. „Ist schon gut, das ist Vergangenheit. An so einem schönen Morgen sollte man nicht in Erinnerungen schwelgen …“

Als sie allerdings das Wort Erinnerungen aussprach, wurde ihre Stimme traurig und sie wandte den Blick von Cal ab.

Cal verstand.

„Elea … du wirst deine Erinnerung früher oder später zurückbekommen. Du musst nur daran glauben, und Yvannie und ich werden dir dabei helfen, das haben wir dir versprochen.“

Cal sah sie mit großen Augen an. Er konnte es nicht ertragen, jenen kummervollen Blick, den seine Schwester Tag ein Tag aus im Gesicht trug, nun auch bei Elea zu erblicken.

„Willst du nicht auch reinkommen?“, fragte er dann und hoffte, sie so etwas aufheitern zu können.

Elea schüttelte den Kopf und wollte aufstehen. „Nein, danke. Ich werde wieder reingehen und …“

„Ach, bitte!“ Cal setzte eine beleidigte Miene auf und schwamm aufs Ufer zu. „Komm schon. Zu zweit ist es doch viel lustiger! Bitte!“

Zur Demonstration spritzte er sie nass und sah sie erwartungsvoll an.

Triefend stand Elea nun vor ihm und sah ihn überrascht an. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.

„Das bekommst du zurück!“, sagte sie grinsend und rannte auf ihn zu.

Cal schwamm lachend ein Stück zurück.

Das Wasser war kalt, aber irgendetwas darin verhinderte, dass Elea fror.

„Dieser See ist seltsam …“, murmelte sie schließlich verwundert und blieb stehen, als nur noch ihr Kopf hinausragte.

„Du fühlst das auch?“

Sie nickte. „Ich hatte es gestern auch schon erwähnt, aber Yvannie scheint nicht an Magie oder dergleichen zu glauben. Was ist eigentlich mit dir?“

Cal schwamm auf sie zu.

„Natürlich glaube ich daran. Das ist doch die Kraft, die alles hier zusammenhält! Ohne die Magie würde das alles hier nicht existieren, genauso wenig wie wir.“

Elea sah ihn an, sagte aber nichts mehr.

Hielt die Magie wirklich alles zusammen?

Irgendetwas sagte ihr, dass sie die Antwort darauf kannte, aber sie konnte sie nicht erreichen.

‚Später …‘, dachte sie und wartete geduldig darauf, bis Cal nahe genug bei ihr war, dann stürzte sie sich auf ihn und drückte ihn unter Wasser.

„Das war gemein“, meinte er, als er wieder auftauchte und sich das Wasser aus dem Gesicht wischte.

Elea konnte sich nicht mehr zurückhalten und fing an zu lachen.

„Das ist nicht komisch!“

Jetzt war es Cal, der sich auf Elea stürzte. Doch ihm gelang es nicht ganz, sie unterzutauchen und schließlich traf es ihn wieder.

Yvannie sah aus dem Fenster und lächelte, als sie Eleas fröhliches Lachen vernahm.

Gedankenverloren sah sie den beiden noch eine Weile zu, bis sie sich schließlich daran erinnerte, dass sie doch eigentlich Brot backen wollte.

Von draußen konnte sie immer wieder das Lachen und das Spritzen von Wasser vernehmen und jedes Mal musste sie lächeln. Wie gerne hätte sie den beiden Gesellschaft geleistet, doch in ihrer Rolle als ältere Schwester und Ersatzmutter hatte sie andere Aufgaben zu bewältigen und sie wollte, das Cal seine Kindheit in vollen Zügen genießen konnte.

‚Es ist lange her, dass in diesem Haus solch eine fröhliche Stimmung herrschte‘, erinnerte sich Yvannie, als sie den Brotteig in den kleinen Steinofen schob. ‚… seit Mutter und Vater gestorben sind …‘

Beim Gedanken an ihre Eltern seufzte sie leise und versuchte mit aller Macht, die Tränen zurückzuhalten, die sich ihren Weg nach draußen bahnen wollten. Auch wenn viele Jahre seither vergangen waren, so war die Erinnerung an ihren Tod noch immer lebendig und schmerzte sie jeden Tag aufs Neue.

„Fang jetzt nicht an zu heulen“, ermahnte sie sich selbst. „Das ist vergangen … Vergangenheit … Ich muss an die Zukunft denken … Cal braucht jemand, der stark ist; jemand, der sich um ihn kümmert …“

Zu ihrer Überraschung schaffte sie es tatsächlich, die Tränen zu unterdrücken und sie atmete tief durch, um ihr Innerstes zu beruhigen.

„Ist alles in Ordnung, Yvannie?“

Erschrocken sah sie auf; erst jetzt bemerkte sie, dass sie auf dem Boden kauerte.

„Elea … du hast mich erschreckt“, war das einzige, was Yvannie hervorbrachte und fasste sich an die Brust. Ihr Herz raste.

„Irgendetwas macht dich traurig, ich kann es fühlen“, murmelte Elea betrübt und sah sie mit durchdringendem Blick an. Sie setzte sich neben Yvannie auf den Boden und eine kleine Wasserlache breitete sich um sie herum aus.

„Ich habe nur an meine Eltern gedacht …“, meinte Yvannie und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. „Tut mir leid. Du hast deine eigenen Probleme. Vergiss, was ich gesagt habe. Ich … Du machst ja alles nass!“

Yvannie sprang entgeistert auf, als sie die Pfütze um Elea herum und die feuchten Fußspuren im Flur bemerkte.

„Tut mir leid.“ Elea sah betreten zu Boden. „Ich wisch es sofort weg.“

„Nein, schon gut, zieh dir lieber trockene Kleidung an, sonst erkältest du dich womöglich noch. Im Schrank sind genug Sachen. Such dir etwas aus.“

Yvannie machte sich sogleich daran, die Pfütze zu beseitigen.

Elea sah ihr noch einen Moment dabei zu, dann verließ sie die Küche. Doch ehe sie außer Sicht geriet, drehte sie sich noch einmal um. „Yvannie, wenn du reden willst … ich bin für dich da. Wenn ich sonst nichts tun kann, lass mich dir wenigstens helfen, deinen Kummer zu ertragen …“

Yvannie sah vom Boden auf und legte den Lappen beiseite, dann lächelte sie.

„Ich weiß, danke!“

Nachdem Elea verschwunden war, machte sie sich wieder daran, den Boden zu wischen. Ihre Gedanken glitten immer wieder von ihren Eltern zu Elea und wieder zurück.

‚Woher wusste sie von meinem Kummer? Dass sie ausgerechnet in diesem Moment kam …‘, dachte sie verwundert und sah wieder auf. ‚Na ja … sie ist etwas Besonderes, das weiß ich …‘

Yvannie verglich Elea mit ihrer Mutter. Auch sie hatte immer gewusst, wenn jemand traurig war, egal, wie nah oder fremd ihr diese Person war. Sie wusste es und setze alles daran, den Kummer jener Person zu beseitigen.

Yvannie lächelte in sich hinein und holte schließlich das Brot aus dem Ofen. Ein köstlicher Duft breitete sich im Haus aus und zog, da war sie sich sicher, Cal magisch an.

„Du hast Brot gebacken?“, fragte eine kindliche Stimme hinter ihr.

Als sie sich umdrehte, konnte sie ein Lachen nicht unterdrücken. „Ich wusste es doch“, sagte sie freudig und sah ihren kleinen Bruder schließlich entgeistert an, als sie die Wasserlache um ihn herum entdeckte. „Nicht schon wieder! Zieh dir trockene Kleidung an, du machst alles nass!“ Sie seufzte und warf ihrem Bruder einen tadelnden Blick zu.

Cal achtete nicht darauf, was Yvannie eben gesagt hatte und sah sich stattdessen in der Küche um.

„Hast du Elea gesehen? Sie ist so plötzlich verschwunden“, fragte er dann und sah seine Schwester an.

Sie nickte und lächelte.

„Sie zieht sich gerade um. Und nun geh; ich will nicht, dass du dich erkältest.“

Cal wusste, dass man mit Yvannie in diesem Thema nicht scherzen durfte und machte sich schnell aus dem Staub.

„Und nun zu euch Erdbeeren …“

Sie öffnete einen der oberen Schränke und holte den Erdbeerkorb vom vergangenen Tag herunter. Sie waren immer noch frisch und saftig, so wie Yvannie es wollte.

„Was mach ich denn aus euch? Hmm …“

Nachdenklich kniff sie die Augen zusammen und beschloss schließlich, sie so zu belassen. Cal liebte Erdbeeren, das wusste sie, besonders wenn er sie ohne viel Drumherum genießen konnte.

Yvannie stellte sie, zusammen mit dem frischen, noch heißen, Brot und ein wenig Gemüse, auf den Tisch.

Cal und Elea kamen nun nacheinander in die Küche.

Als er die Erdbeeren auf dem Tisch stehen sah, huschte ein breites Grinsen über sein Gesicht.

„Ich dachte schon, du machst einen Kuchen daraus …“, meinte er erleichtert, als er sich hinsetzte, und warf seiner Schwester einen dankbaren Blick zu. „Aber so ist es viel besser, so mag ich sie am liebsten!“

Yvannie nickte und freute sich für ihren Bruder. Sie selbst war nicht hungrig; ihre Gedanken hingen noch immer bei ihren verstorbenen Eltern, deren Erinnerung sich an diesem Tag wieder in ihr Bewusstsein gedrängt hatte und ihren Appetit hemmte.

Cal schien den Kummer seiner Schwester nicht zu bemerken und vergriff sich, ohne auf sie oder Elea zu achten, an den Erdbeeren. Das Brot oder Gemüse würdigte er keines Blickes.

Elea sah Yvannie mit traurigen Augen an. Sie konnte fühlen, dass sie etwas bedrückte, doch wusste sie auch, dass Yvannie nicht darüber sprechen würde.

„Ich wollte dir eigentlich helfen …“, meinte sie dann betrübt und biss zaghaft in eine Frucht, die einer Tomate glich.

„Du kannst den Abwasch machen, wenn du möchtest“, schlug Yvannie vor und lächelte sie an.

Eleas Miene hellte sich auf und sie nickte heftig. Wenn sie nun schon hier wohnen durfte, so musste sie Yvannie doch wenigstens zur Hand gehen so gut sie konnte, dachte sie.

Nachdem sie gegessen hatten, schickte sie Yvannie wieder nach draußen.

Elea sah sie enttäuscht an und ließ schließlich den Kopf hängen. Sie konnte sie doch nicht alles allein machen lassen.

„Aber ich wollte dir doch …“, begann sie und sah wieder auf.

Yvannie schüttelte sanft den Kopf und setzte ein mütterliches Lächeln auf.

„Du bist unser Gast. Es wäre sehr unhöflich, dich arbeiten zu lassen“, meinte sie bestimmt. „Geht schon, ich schaff das auch allein. Husch, husch!“ Sie wedelte mit den Armen und scheuchte die beiden nach draußen.

„Na komm, Elea, dann gehen wir eben in den Wald. Ich wäre froh, wenn ich den Abwasch nicht machen müsste!“ Cal zwinkerte ihr zu, nahm sie bei der Hand und zog sie aus der Küche.

Elea warf einen unglücklichen Blick zurück, doch Yvannie schüttelte erneut bestimmt den Kopf.

„Yvannie hat doch recht, du bist unser Gast“, sagte Cal, als sie schon eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren und er Eleas Gesichtsausdruck bemerkte. Sie schien sehr unglücklich über Yvannies Unwillen, ihre Hilfe zu akzeptieren.

„Denk nicht darüber nach, du musst es einfach immer wieder versuchen. Irgendwann wird sie schon nachgeben, du wirst sehen. Aber … eigentlich ist es ganz gut für sie, wenn sie so viel arbeitet … So vergisst sie wenigstens, über Vater und Mutter nachzudenken. Sie hängt viel zu sehr an der Vergangenheit und vergisst dabei ganz zu leben.“ Er seufzte betrübt und sah auf den Boden vor sich.

Elea warf ihm einen kurzen Blick zu, hielt es aber für besser, nichts zu erwidern. Irgendwann würde sie vielleicht danach fragen, wenn sie es für richtig hielt. Es ging sie zwar nichts an, aber es bereitete Yvannie und auch Cal, der es zu verbergen versuchte, großen Kummer. Sie hatte die beiden ins Herz geschlossen und wollte ihnen helfen wo sie konnte und sei es nur mit tröstenden Worten.

Im Wald gab es nicht wirklich aufregende Dinge zu sehen, stellten sie fest.

Als sie jedoch an der Stelle vorbeikamen, an der Cal Elea am vergangenen Tag gefunden hatte, legte sich eine traurige Stimmung über die beiden und keiner sagte mehr ein Wort.

Cal versuchte wieder und wieder Elea aufzumuntern, aber erst als die Menil, die seltenste Vogelart der Welt, über sie hinwegflogen und sich schließlich neben den beiden niederließen, hellte sich ihre Miene wieder auf.

Die Menil waren eigentlich sehr scheue Vögel, deren Gefieder sich silbern verfärbte, wenn sie Angst hatten. Waren sie jedoch fröhlich und fühlten sich wohl, trug ihr Gefieder die sanfte Farbe des Flieders. Dass sich ausgerechnet ein ganzer Scharm im Wald nahe seinem Zuhause eingenistet hatte, freute Cal ungemein, denn er liebte den klangvollen Gesang dieser Vögel.

„Du scheinst sie ja magisch anzuziehen“, meinte er schließlich neckisch und deutete auf einen Menil, der heller war als die anderen.

„Meinst du? Sie sind so fröhlich …“, murmelte Elea nachdenklich und ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Der Menil, der sich auf ihrer Schulter niedergelassen hatte, rieb seine Wange an der Eleas und zu deren Überraschung wechselte sein Gefieder in einen hellen Goldton über.

Schließlich sang er ein fröhliches Liedchen für die beiden, in das die anderen mit einstimmten.

„Ihr seid nur deswegen gekommen?“, fragte Elea einen der Menil überrascht, als sich dieser auf ihrer ausgestreckten Hand niederließ und streichelte ihm sanft über die Flügel.

Der Menil begann zu singen und Elea musste lachen.

„Du kannst mit ihnen sprechen?“, fragte Cal erstaunt und sah sie mit großen Augen an.

„Kannst du das etwa nicht?“ Elea sah ihn verwundert an und legte fragend den Kopf schief.

Er sah betrübt zu Boden. „Nein … aber ich würde sie gern verstehen können …“, entgegnete er leise und warf dem Menil auf Eleas Hand einen sehnsüchtigen Blick zu, der daraufhin auf seine Schulter sprang und ihm etwas ins Ohr zwitscherte.

„Ich kann dich leider nicht verstehen, mein kleiner Freund“, entgegnete Cal enttäuscht und sah hilfesuchend zu Elea hinüber.

„Hör auf dein Herz, dann wirst du uns verstehen“, übersetzte sie lächelnd. „Du kannst es, du musst nur daran glauben. Dein reines Herz wird dir den Weg weisen.“

Cal dachte über ihre Worte nach, hielt es aber für besser, nichts weiter darauf zu erwidern und versuchte stattdessen, den Gesängen Worte zu verleihen. Doch auch dann konnte er nur erahnen, was ihm die Menil zu sagen versuchten. Enttäuscht gab er schließlich auf.

„Na ja, ist nichts für mich, wie es scheint … damit muss ich mich abfinden … Tut mir leid, mein kleiner Freund.“ Er strich dem Menil noch einmal über die Flügel und verabschiedete sich von ihm.

Die Menil sangen den beiden zum Abschied ein kleines Liedchen, dann begleiteten sie sie an den Rand des Waldes, ehe sie sich wieder in die Baumkronen zurückzogen.

„Wir werden uns wiedersehen“, meinte Elea lächelnd und winkte ihnen zu.

---ENDE DER LESEPROBE---