Ein vortrefflicher Schurke - Sabrina Jeffries - E-Book
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Ein vortrefflicher Schurke E-Book

Sabrina Jeffries

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Beschreibung

Lady Minerva Sharpe soll möglichst bald heiraten, wenn sie das Erbe ihrer Großmutter nicht verlieren will. Um der Großmutter einen Strich durch die Rechnung zu machen, täuscht sie eine Verlobung mit dem Draufgänger Giles Masters vor. Doch während Giles und Minerva Nachforschungen über den Tod von Minervas Eltern anstellen, entwickeln sie bald echte Gefühle füreinander.

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Geneigte Leserin, geneigter Leser

Prolog

1

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Sabrina Jeffries bei LYX

Impressum

SABRINA JEFFRIES

EIN VORTREFFLICHER

SCHURKE

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Antje Görnig

Zu diesem Buch

Lady Minerva Sharpe muss möglichst bald heiraten, wenn sie und ihre Geschwister das Erbe ihrer Großmutter nicht verlieren wollen. Minerva ist allerdings fest entschlossen, ledig zu bleiben, will sie doch nichts anderes, als in Ruhe ihre äußerst erfolgreichen Schauerromane zu schreiben. Um dies zu erreichen, sieht sie nur einen Weg: Eine Scheinverlobung mit einem verruchten Lebemann, den ihre Großmutter auf keinen Fall als Ehemann akzeptieren kann. Und wer würde sich besser dafür eignen als Giles Masters – der Mann, der ihr als junges Mädchen einst das Herz brach und seither als Vorbild für Lord Rockton, den verführerischen Spion und Bösewicht ihrer Romane, dient. Doch ihr Plan hat einen Haken: Giles löst noch immer eine brennende Leidenschaft in ihr aus, ganz gleich, wie sehr sie sich einzureden versucht, er sei für sie nur Mittel zum Zweck. Sie ahnt nicht, dass Giles vorhat, sie wirklich zum Traualtar zu führen. Denn Giles, der jahrelang für den Geheimdienst der Krone tätig war, kann nicht riskieren, dass Minerva weiter Geschichten über ihn spinnt, die gefährlich nahe an der Wahrheit sind. Und je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto schwerer fällt es ihnen, ihre Gefühle füreinander zu verleugnen.

Für die wunderbaren Menschen, die sich um meinen autistischen Sohn kümmern, wenn er nicht in der Schule ist, und mir so ermöglichen, meine Bücher zu schreiben: für meinen wundervollen Ehemann Rene, unsere geduldigen Betreuer Mary, Ben und Wendell, unsere kluge Caseworkerin Greta und unsere stets hilfreiche Ansprechpartnerin bei der Betreuungsvermittlung Melissa. Vielen Dank euch allen für das, was ihr tut!

Geneigte Leserin, geneigter Leser,

ich möchte mich gewiss nicht beklagen, aber was meine älteste Enkeltochter Minerva angeht, bin ich mit meiner Geduld am Ende. Sie beharrt darauf, ihre Schauerromane unter ihrem richtigen Namen zu veröffentlichen! Das tut sie nur, um die Leute zu schockieren, ohne sich einen Deut darum zu scheren, dass sie damit auch sämtliche potenziellen Verehrer abschreckt.

Oh, ich weiß, sie sagt, sie will nicht heiraten, aber das ist purer Unsinn. Ich sehe doch, wie neidisch sie auf ihre frischvermählten Brüder ist. Und obwohl sie ein wenig eigensinnig ist, gäbe sie eine gute Ehefrau für einen Gentleman ab, der sich mit ihr sicherlich niemals langweilen würde.

Aber bemüht sie sich, die Sache voranzutreiben? Nein. Stattdessen schreibt sie blutrünstige Bücher über Mord und Totschlag. Vielleicht sollte ich einen durchtriebenen Spion ausfindig machen, der sie auf eine verfallene Burg entführt. Das könnte der Göre sogar gefallen, doch ihren beiden jüngeren Geschwistern Gabe und Celia könnte es einen falschen Eindruck von der Ehe vermitteln.

Die neueste List, die Minerva ersonnen hat, ist, Vorstellungsgespräche mit potenziellen Ehemännern zu führen. Zu diesem Zweck hat sie eine Anzeige im Lady’s Magazine aufgegeben – das muss man sich einmal vorstellen! Damit wollte sie mich natürlich nur unter Druck setzen und mich dazu bringen, dass ich mein Ultimatum zurückziehe, doch da kann sie sich auf eine Überraschung gefasst machen. Ich werde nicht von meiner Entscheidung abrücken, wie viele Verehrer auch den Weg zu unserer Tür finden mögen.

Mich beunruhigt allerdings, dass Mr Giles Masters sich auf ihre Anzeige gemeldet hat. Er scheint fest entschlossen zu sein, Minerva für sich zu gewinnen – und er ist meines Wissens der einzige Mann, auf den sie nicht mit Gleichgültigkeit reagiert. Schade, dass er so ein Schurke ist, wie mir ihre Brüder unzählige Male berichteten!

Andererseits waren auch meine Enkelsöhne wahre Satansbraten, bevor sie geheiratet haben. Ist Mr Masters vielleicht aus demselben Holz geschnitzt? Ich hoffe es für Minerva, denn sie scheint recht fasziniert von ihm zu sein. Ich frage mich, ob er irgendwo eine verfallene Burg besitzt. Das könnte womöglich den Ausschlag geben!

Ich muss den Fortgang dieser Angelegenheit streng überwachen, aber so oder so möchte ich meine Enkeltochter eines Tages glücklich verheiratet sehen. Zur Not auch mit einem Schurken!

Ihre sehr ergebene

Hetty

Prolog

Halstead Hall, Ealing

1806

Auf den Blättern der Buchsbaumhecken krabbelte Ungeziefer herum. Mama würde sicher mit dem Gärtner schimpfen.

Der neunjährigen Minerva kamen die Tränen. Nein, Mama konnte gar nicht schimpfen. Sie lag in diesem schrecklichen Sarg in der Kapelle. Neben dem, in dem Papa war.

Im hintersten Winkel des Irrgartens versteckt, presste Minerva die Lippen fest zusammen, um nicht zu weinen. Man könnte sie hören, und sie wollte auf keinen Fall gefunden werden.

Eine Stimme drang durch die Hecken. »Wie konnte das Mädchen so schnell verschwinden?«

Es war Desmond Plumtree, Mamas Vetter ersten Grades.

»Diese Trauerfeier ist eine Farce!«, murrte seine Frau Bertha. Wie es klang, kamen sie ihr immer näher. »Nicht, dass ich es Prudence verüble, dass sie den Schwerenöter erschossen hat, aber wie konnte sie sich nur selbst umbringen? Deine Tante Hetty kann froh sein, dass die Geschworenen Pru für unzurechnungsfähig befunden haben. Sonst würde die Krone das gesamte Familienvermögen einkassieren.«

Minerva machte sich noch ein bisschen kleiner und betete, dass die beiden nicht um die Ecke kamen und sie entdeckten.

»Wie hätten sie auch sonst urteilen sollen?«, fragte Desmond. »Sie war eindeutig nicht bei Verstand.«

Minerva musste sich auf die Zunge beißen, um nicht lautstark zu protestieren. Es war ein Unglück gewesen – ein schreckliches Unglück, hatte Großmutter gesagt.

»Deshalb will deine Tante die Kinder wohl auch in der Kapelle dabeihaben«, erwiderte Bertha. »Um den Leuten zu zeigen, dass es sie nicht kümmert, was über ihre Tochter geredet wird.«

Desmond schnaubte. »Tante Hetty ist tatsächlich der Ansicht, dass die Bälger sich persönlich verabschieden sollen. Die verfluchte Frau hat kein Problem damit, sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen, wenn es ihr dienlich ist, ganz egal, was es für den Rest der …«

Die Stimmen entfernten sich wieder, und Minerva verließ ihr Versteck, um in die entgegengesetzte Richtung zu fliehen. Als sie um die nächste Ecke bog, lief sie unglücklicherweise einem Gentleman in die Arme. Sie versuchte noch, ihm zu entkommen, doch er packte sie und hielt sie fest.

»Beruhige dich, kleines Fräulein!«, rief er, als sie sich mit Händen und Füßen zur Wehr setzte. »Ich tue dir nichts. Nun halt schon still!«

Sie war im Begriff, ihn zu beißen, als sie erkannte, wer er war: Giles Masters, der achtzehnjährige Freund ihrer Brüder, der mit seiner Familie zur Beerdigung gekommen war. Vetter Desmond hatte die Gästeliste wegen des Skandals klein halten wollen, doch Großmutter hatte gesagt, dass die Kinder ihre Freunde gerade in dieser Zeit besonders brauchten.

Da Mr Masters nicht zur Familie gehörte, konnte Minerva ihn vielleicht dazu bringen, ihr zu helfen. »Bitte lassen Sie mich gehen!«, bat sie. »Und sagen Sie niemandem, dass ich hier draußen bin!«

»Aber alle warten auf dich, damit die Trauerfeier beginnen kann.«

Sie schämte sich für ihre Feigheit und schlug die Augen nieder. »Ich kann da nicht hineingehen. Ich habe gelesen, was in der Zeitung stand über … über … Sie wissen schon.« Darüber, dass Mama erst Papa und dann sich selbst erschossen hatte. »Ich will Mama nicht mit einem Loch in der Brust sehen und Papa ohne …« Ohne Gesicht. Schon bei dem Gedanken wurde ihr angst und bange.

»Ah.« Er hockte sich vor sie hin. »Du denkst, sie liegen in den Särgen, wie man sie gefunden hat?«

Sie nickte.

»Darüber musst du dir keine Sorgen machen«, erklärte er sanft. »Der Sarg deines Vaters ist geschlossen, und deine Mutter haben sie wieder hübsch zurechtgemacht. Du wirst das Loch in ihrer Brust nicht sehen, das schwöre ich dir. Du hast nichts zu befürchten.«

Minerva nagte an ihrer Unterlippe, weil sie nicht so recht wusste, ob sie ihm glauben konnte. Ihre großen Brüder versuchten manchmal, mit einer List dafür zu sorgen, dass sie auf sie hörte. Und Großmutter sagte immer, dass Mr Masters ein schlimmer Halunke sei. »Ich weiß nicht, Mr Masters …«

»Giles. Wir sind doch Freunde, nicht wahr?«

»I-ich denke schon.«

»Ich mache dir einen Vorschlag«, fuhr er fort. »Wenn du mit mir in die Kapelle gehst, halte ich während der Trauerfeier deine Hand. Und solltest du Angst bekommen, kannst du meine Hand so fest drücken, wie du willst.«

Minerva nahm ihren ganzen Mut zusammen und sah ihm ins Gesicht. Er hatte liebe Augen, die so blau waren wie Vergissmeinnicht. Ehrliche Augen, wie die von Großmutter.

Sie schluckte. »Und Mama und Papa werden bestimmt nicht aussehen wie … wie es in der Zeitung beschrieben wurde?«

»Ich schwöre.« Er legte mit ernster Miene die Hand aufs Herz. »Großes Ehrenwort!« Dann erhob er sich und reichte ihr die Hand. »Kommst du jetzt mit?«

Obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug, fügte sie sich. Und als Giles sie in die Kapelle führte, stellte sie fest, dass er nicht gelogen hatte. Papas Sarg war geschlossen. Minerva wusste zwar, was unter dem Deckel verborgen war, doch sie stellte sich einfach vor, Papa wäre genau wie immer.

Es half ihr, dass Mama hübsch zurechtgemacht war und aussah, als schliefe sie. Die größte Hilfe aber war Giles, der ihre Hand die ganze Trauerfeier über festhielt, auch als Ned, Desmonds frecher Sohn, zu kichern anfing. Jedes Mal, wenn sie Angst bekam oder traurig wurde, drückte sie Giles’ Hand, und er drückte ihre, um ihr zu zeigen, dass sie nicht allein war. Irgendwie machte das die ganze Sache erträglich. Er ließ ihre Hand erst los, als die Särge in die Erde gesenkt worden waren und die Trauergäste sich zerstreuten.

Das war der Tag, an dem sie sich in Giles Masters verliebte.

London

1816

An ihrem neunzehnten Geburtstag liebte Minerva ihn immer noch. Sie wusste alles über ihn. Giles hatte noch nicht geheiratet, er hatte nicht einmal ernsthaft um eine Frau geworben. Er führte ein ebenso ausschweifendes Leben wie ihre Brüder. Aber im Gegensatz zu ihnen hatte er einen Beruf – erst im vergangenen Jahr war er als Rechtsanwalt beim Obergericht zugelassen worden. Und wenn er erfolgreich sein und aufsteigen wollte, mussten die Ausschweifungen ein Ende haben. Dann brauchte er eine Ehefrau.

Warum nicht sie, Minerva? Sie war recht hübsch – das sagte jeder. Und sie war gescheit, was ein Mann wie er sicherlich zu schätzen wusste. Außerdem würde er sie wegen der Skandale in ihrer Familie nicht so von oben herab behandeln wie die voreingenommenen, kleingeistigen Herren, denen sie in der feinen Gesellschaft begegnete, seit sie ihr Debüt gehabt hatte. Er hatte selbst einen Skandal zu bewältigen, nachdem sich sein Vater vor vier Monaten umgebracht hatte. Das hatten sie und Giles miteinander gemein.

Doch als sie den Blick über ihre Geburtstagsgäste schweifen ließ und Giles nicht entdeckte, obwohl sie ihn eingeladen hatte, stieg Enttäuschung in ihr auf. Wie sollte sie ihn jemals dazu bringen, etwas anderes in ihr zu sehen als die kleine Schwester seiner Freunde, wenn sie ihn nie zu Gesicht bekam?

Als die Nachmittagsparty vorbei war, ging sie in den Garten, um ihren Kummer zu lindern, und hörte zufällig, wie sich ihre Brüder unterhielten, die hinter dem Haus Zigarren rauchten.

»Die Jungs haben mir erzählt, Newmarshs Fest beginnt um zehn«, sagte Oliver. »Wir treffen uns kurz vorher hier draußen. Gott sei Dank ist es nicht weit, und wir können zu Fuß gehen! Also braucht es niemand von den Bediensteten zu erfahren. Ihr wisst ja, wie die sind – sie verraten Großmutter alles, und dann hält sie uns eine Standpauke, weil wir an Minervas Geburtstag ausgehen.«

»Großmutter wird es bestimmt merken, wenn wir uns verkleidet aus dem Haus schleichen«, wandte Jarret ein.

»Bevor wir verschwinden, gehen wir einer nach dem anderen in den Garten und verstecken unsere Kostüme. Lasst euch dabei nur nicht von Minerva erwischen! Wir wollen doch ihre Gefühle nicht verletzen.«

Minerva war kurz davor, ihnen den Marsch zu blasen, weil sie an ihrem Geburtstag ohne sie auf ein Fest gehen wollten, als ihr plötzlich ein Licht aufging. Wenn ihre Brüder sich irgendwo mit »den Jungs« trafen, würde auch Giles dort sein! Und da es ein Maskenball war, konnte sie hingehen, ohne dass es jemandem auffiel. Und sie wusste auch schon, was sie anziehen wollte. Ihre jüngere Schwester und sie waren kürzlich auf einen Koffer mit Kleidern ihrer Großmutter gestoßen, die über dreißig Jahre alt waren – eine wahre Fundgrube an Kostümen!

Um neun Uhr schlüpfte sie mit der vierzehnjährigen Celia in den Schuppen im Garten. Celia hatte ihr ihre Unterstützung versprochen – im Austausch gegen einen vollständigen Bericht über alles, was Minerva auf dem Ball sehen und erleben würde. Sie half ihr, sich in eins der alten Korsetts und einen ausladenden Reifrock zu zwängen. Dann zog Minerva das elegante Kleid aus goldenem Satin an, das Großmutter bei der Hochzeit ihrer Eltern getragen hatte.

Sie kicherten unaufhörlich, während sie ihr hellbraunes Haar unter eine gepuderte Perücke mit weißen, hoch aufgetürmten Locken stopften. Danach setzte Minerva eine Augenmaske auf, und Celia klebte ihr einen Schönheitsfleck auf die Wange. Eine Kette mit einem altmodischen blauen Kamee-Anhänger von Großmutter gab dem Kostüm den letzten Schliff.

»Und? Sehe ich aus wie Marie Antoinette?«, fragte Minerva im Flüsterton. Ihre Brüder waren noch nicht im Garten aufgetaucht, aber sie würden sicherlich jeden Moment kommen.

»Du siehst großartig aus«, entgegnete Celia leise. »Und sehr exotisch.«

»Exotisch« war Celias neues Lieblingswort, doch Minerva nahm an, dass sie eigentlich so etwas wie »erotisch« meinte, denn das Oberteil ihres Kleides war unverschämt tief ausgeschnitten.

Aber sie wollte Giles ja auch bezirzen. »Du verschwindest jetzt besser«, sagte sie zu ihrer Schwester. »Bevor sie kommen.«

Celia eilte zurück ins Haus. Minerva musste noch eine Weile warten, bis sich ihre Brüder im Garten verkleidet hatten und loszogen. Dann folgte sie ihnen unauffällig.

Zum Glück waren viele Leute zu dem Maskenball unterwegs, und sie tauchte in der Menge unter, als ihre Brüder das Haus des Gastgebers betraten. Obwohl sie keine Einladung hatte, war es erstaunlich einfach für sie, ebenfalls hineinzugelangen. Da es sich jedoch als schwierig erweisen könnte, Giles zu finden, weil sie ihren Brüdern aus dem Weg gehen musste, steckte sie dem Butler Geld zu, damit er ihr sagte, was für ein Kostüm das Objekt ihrer Begierde trug.

»Mr Masters ist gar nicht hier, meine Liebe«, antwortete er mit empörender Vertraulichkeit. »Er hat abgesagt, weil er zu seiner Mutter aufs Land fahren musste.«

Minerva wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte, dass Giles wegen einer anderen Verpflichtung nicht zu ihrer Geburtstagsparty hatte kommen können, oder enttäuscht, weil sie ihn nun nicht treffen würde.

»Aber wenn Sie einen Gönner suchen«, fuhr der Butler beflissen fort, »sollten Sie nach einem besseren Fang Ausschau halten. Mr Masters ist nur ein Zweitgeborener.«

Einen Gönner? Wie kam er darauf, dass sie einen Gönner suchen könnte?

Als sie sich die versammelten Gäste genauer ansah, wurde ihr augenblicklich klar, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Maskenball handelte. Ihr »exotisches« Kostüm nahm sich im Vergleich zu den Kostümen der anderen Frauen geradezu sittsam aus.

Es gab viele griechische Gewänder und römische Togen mit unanständig langen Schlitzen zu sehen. Ein Milchmädchen hatte ein tiefer ausgeschnittenes Kleid an, als es jedes echte Milchmädchen anziehen würde, und eine Frau trug an gewissen Stellen sogar nur Federn. Am anderen Ende des Saales sah Minerva ihren Bruder Jarret mit einer Lady Marian tanzen, die gewiss keine Lady war. Er ließ seine Hand über ihren Rücken gleiten und legte sie auf ihren …

Minerva wandte sich errötend ab. Grundgütiger! Sie war auf einem Lebedamenball gelandet! Sie hatte von solchen Veranstaltungen gehört, die von Frauen besucht wurden, die Gönner suchten, und von Männern, die sich mit diesen Frauen … amüsieren wollten. Es wäre eine Katastrophe, wenn sie hier von jemandem erkannt würde!

Bevor sie das Weite suchen konnte, packte sie ein Mann, der als französischer Höfling verkleidet war, an der Taille und zog sie an sich. »Na, wenn das nicht die Königin der Kurtisanen ist!«

Er lachte über seinen kleinen Scherz, und sie starrte ihn fassungslos an. Hatte er sie gerade eine Hure genannt?

Zu ihrem Entsetzen presste er seinen Mund auf ihr Ohr und steckte seine Zunge hinein. »Komm doch mit nach oben, Süße, damit wir unser Rollenspiel im stillen Kämmerlein fortsetzen können!«

Sie wollte ihm gerade kräftig auf den Fuß treten, als sie ihm von einem anderen Mann entrissen wurde. »Verzieh dich, Lansing! Ich habe sie zuerst gesehen.« Ein Edelmann in glänzendem Tuch legte ihr wollüstig grinsend einen Arm um die Schultern.

Lansing? Handelte es sich etwa um Graf Lansing? Sie kannte seine Frau, ein süßes junges Ding, wenn auch ein wenig drall. Um Himmels willen, er ging in dieselbe Kirche wie Großmutter!

»Komm schon, Hartley, überlass sie mir!«, entgegnete Lansing mürrisch. »Ich habe das passendere Kostüm!«

Hartley musste der hoch geschätzte Viscount Hartley sein, dessen Frau eine kühle Schönheit war, die eine ebenso kalte Art hatte. Hartley und Lansing waren dicke Freunde. Und Minerva hatte immer gedacht, sie seien auch Gentlemen …

Sie hatte noch mit der Erkenntnis zu kämpfen, dass sie alles andere als feine Herren waren, als Lansing sie am Arm fasste.

»Wir können sie uns doch teilen«, sagte er ohne die geringsten Skrupel. »Wäre nicht das erste Mal.«

Sie teilen! Als ginge sie freiwillig mit zwei volltrunkenen Witzfiguren auf ein Zimmer!

Sie machte sich von Lansing los. »Es tut mir leid, aber ich habe bereits eine Verabredung mit Lord Stoneville.« Vielleicht ließen sie sich ja dadurch abschrecken, dass Oliver rangmäßig über ihnen stand.

Doch Hartley kicherte nur und zeigte auf die gegenüberliegende Seite des Raumes. »Stoneville ist im Moment beschäftigt, Schätzchen.«

Als Minerva seinem Blick folgte, sah sie ihren Bruder auf einem Sessel herumlümmeln und einer Frau zusehen, die als Kleopatra verkleidet war und mit verführerischen Bewegungen für ihn tanzte. Um Himmels willen! Er war genauso verdorben wie Jarret … ja, genauso verdorben wie diese beiden lasterhaften Herren hier!

Na gut, sie würde Oliver eine Lektion erteilen – und sich gleichzeitig von diesen Narren befreien. Minerva stemmte die Hände in die Hüften und sah Lansing aufgebracht an. »Wie kann es dieser Hund wagen, mit einer anderen Frau zu tändeln, nachdem er mich mit Syphilis angesteckt hat?«

Ihre List ging auf. Hartley und Lansing konnten nicht schnell genug vor ihr fliehen.

Nachdem sie ihre lästigen Verehrer losgeworden war, schlängelte sie sich durch die Menge zur Tür. Ein schadenfrohes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Hoffentlich sprach sich rasch herum, an welcher »Krankheit« Marie Antoinette litt – und vor allem, von wem sie sie bekommen hatte! Diese Strafe hatte Oliver verdient. Was verkehrte er auch mit derart schrecklichen Kerlen?

Die anderen Gäste waren genauso furchtbar. Während Minerva an Königen und Bettlern vorbeiging, hörte sie Männer, die sie kannte, Dinge sagen, die ein junges Mädchen nicht hören sollte. Manche waren junge Hallodris wie ihre Brüder, die sich die Hörner abstießen, aber es waren auch mehrere verheiratete Herren darunter. Grundgütiger, waren denn alle Männer so schrecklich, wie ihr Vater gewesen war?

Nein, nicht alle Männer. Giles war nicht so ein Schurke. Allein die Tatsache, dass er sich um seine Mutter kümmerte, statt diesen Maskenball zu besuchen, bewies, dass er sich gebessert hatte.

Als sie sich endlich einen Weg aus dem Saal gebahnt hatte, blieb sie in der dunklen Eingangshalle stehen, um sich zurechtzufinden. Sie wollte nicht noch einmal in Schwierigkeiten geraten.

Plötzlich ging auf der anderen Seite der Halle eine Tür auf, und ein als Priester verkleideter Mann kam mit einer Kerze in der Hand heraus. Mit klopfendem Herzen huschte sie hinter einen Vorhang und betete, dass er sie nicht bemerkt hatte. Der Vorhang war nicht besonders dick, und sie konnte den Mann besser erkennen, als ihr lieb war. Aber sie glaubte nicht, dass er sie sehen konnte, weil sie sich außerhalb des Kerzenscheins befand.

Er hielt inne und legte den Kopf schräg, als lausche er. Das flackernde Licht erhellte sein Profil … und das Muttermal unter seinem Ohr.

Ihr stockte der Atem. Dieses Profil kannte sie nur zu gut – in- und auswendig sozusagen. Giles war doch da! Aber warum schlich er in der Eingangshalle umher?

Als er raschen Schrittes in ein Zimmer ging, dämmerte es ihr: Er musste eine Verabredung mit einem Flittchen haben! Zur Hölle mit ihm, wie konnte er nur? Er war genauso schlimm wie ihre Brüder!

Falls sie sich nicht doch geirrt hatte. Schließlich hatte der Butler gesagt, er sei nicht zugegen.

Sie kam hinter dem Vorhang hervor. Wie konnte sie das Haus verlassen, ohne genau zu wissen, ob Giles tatsächlich mit einer Dirne verkehrte? Falls es so war, würde sie es zwar nicht verwinden, aber sie musste es in Erfahrung bringen.

Minerva näherte sich auf Zehenspitzen der Tür, durch die er verschwunden war, nahm all ihren Mut zusammen und betrat den Raum. Der Mann, dem sie gefolgt war, stand halb mit dem Rücken zur Tür und durchstöberte den Schreibtisch. Minerva erstarrte und beobachtete, wie er systematisch eine Schublade nach der anderen durchsuchte. Wenn es Giles war, was um alles in der Welt trieb er dann da?

Der Mann hatte auf jeden Fall Giles’ Aussehen. Er bewegte sich genauso elegant und geschmeidig wie er, und sein Haar war nach dem, was davon unter seinem breitkrempigen Hut zu erkennen war, auch gewellt und dunkelbraun. Er zog eine Mappe heraus, öffnete sie und hielt sie dichter an die Kerze. Dann setzte er fluchend seine Maske ab, um die Papiere besser begutachten zu können.

Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Es war Giles! Was führte er nur im Schilde?

Nachdem er die Akte durchgeblättert hatte, versteckte er sie unter seinem Priestergewand, drehte sich um und erblickte Minerva. Im selben Moment setzte er ein charmantes Lächeln auf und streifte sich die Maske wieder über. »Ich glaube, Sie haben sich verlaufen, Madam. Das Fest findet im Ballsaal statt.«

Sie hätte sich dumm stellen sollen, doch das konnte sie einfach nicht. »Wenn sich hier jemand verlaufen hat, dann bist du es, Giles Masters!«

Er schnappte entgeistert nach Luft und war in Sekundenschnelle bei ihr, um ihre Maske hochzuschieben. »Minerva? Was zum Teufel …«

»Ich sollte hier wohl die Fragen stellen. Was hast du da gestohlen? Warum bist du überhaupt hier? Ich dachte, du wärst auf dem Land bei deiner Mutter.«

Seine Augen funkelten hinter seiner Maske. »Für alle anderen bin ich das auch.« Er sah sie prüfend an. »Wie hast du es eigentlich geschafft, eine Einladung zu einem Fest von jemandem wie Newmarsh zu bekommen?«

Als sie nicht gleich antwortete, schüttelte er den Kopf. »Du hast dich heimlich eingeschlichen, nicht wahr? Und wie es mein Pech wollte, hast du mir nachspioniert.«

Das tat weh. »Ich habe dir nicht nachspioniert!«, log sie. »Ich bin nur aus Jux hergekommen, nachdem ich meine Brüder über den Ball reden gehört habe. Und gerade habe ich dich zufällig gesehen und …«

»Deine Neugier hat über deine Vernunft gesiegt.« Er hielt sie an den Armen fest, als wollte er sie schütteln. »Du dummes kleines … Was, wenn ich ein gewissenloser Gauner wäre, der dir ein Messer zwischen die Rippen rammt, weil du dich in Dinge einmischst, die dich nichts angehen?«

»Woher soll ich wissen, dass du keiner bist?«, gab sie patzig zurück. Sie ließ sich nicht gern als dumm bezeichnen. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du hier bist.«

»Weil es dich nichts angeht, Fräulein Naseweis.«

»Oh, um Himmels willen, behandle mich nicht wie ein Kind! Ich bin keine neun mehr.«

»Schwer zu glauben«, brummte er, rückte ihre Maske zurecht und führte sie zur Tür. »Ich würde dich ja in die liebevolle Obhut deiner Brüder übergeben, aber niemand darf wissen, dass ich hier bin. Und ich denke, du willst auch nicht, dass jemand erfährt, dass du hier bist. Also bringe ich dich jetzt nach Hause, damit du keinen Ärger bekommst.«

Sie hätte ihm gern eine scharfe Antwort gegeben, doch sie waren inzwischen in der Eingangshalle, und es konnte jederzeit jemand aus dem Ballsaal kommen. Außerdem hatten Giles und sie gerade das gleiche Ziel: das Haus auf dem schnellsten Weg zu verlassen, ohne erwischt zu werden. Aber sobald sie in Sicherheit waren, wollte sie ihm gehörig Bescheid sagen. Von wegen Fräulein Naseweis! Und er hatte kein Wort über ihr Kostüm verloren. Würde sie für ihn denn ewig ein kleines Mädchen bleiben?

Er geleitete sie durch ein verwirrendes Labyrinth aus Zimmern und Korridoren, was ihr verriet, dass er schon einmal in diesem Haus gewesen sein musste, wahrscheinlich bei einer ähnlichen Veranstaltung. Es sei denn, er hätte sich das Stehlen zur Gewohnheit gemacht. Nein, unmöglich, dafür musste es eine vernünftige Erklärung geben!

Aber er gab ihr keine Gelegenheit zu fragen. Sobald sie draußen waren und eine dunkle Gasse hinunterliefen, riss er sich die Maske vom Gesicht. »Was soll das überhaupt für ein Kostüm sein, zum Teufel?«

»Marie Antoinette.«

»Großer Gott! Ist dir eigentlich klar, was hätte passieren können, wenn dich jemand erkannt hätte?« Er marschierte zielstrebig mit ihr auf Großmutters Stadthaus zu. »Es wäre das Ende deiner Zukunft gewesen! Hätte man dich auf einem solchen Fest von Newmarsh entdeckt, hätte es einen Skandal sondergleichen gegeben, und dein Ruf wäre ein für alle Mal ruiniert gewesen. Kein anständiger Mann würde eine Frau heiraten, die …«

»Es scheint sowieso keinen anständigen Mann zu geben, der mich heiraten will.« Sie nahm aufgebracht ihre Maske ab. »Meine Familie ist skandalbehaftet, und die einzigen Männer, die seit meinem Debüt um mich herumscharwenzeln, sind Mitgiftjäger und Taugenichtse.«

Außerdem will ich nur dich, dachte sie.

Er sah sie von der Seite an. »Wenn das wahr ist, solltest du dir nicht noch mehr Skandale aufladen. Wir wissen beide, wie sich die Gesellschaft an denjenigen rächt, die ihre Regeln missachten. Du solltest versuchen, den guten Namen deiner Familie wiederherzustellen.«

Das sagte ausgerechnet er! »Wie es meine Brüder tun?«, entgegnete sie bitter. »Wie du es tust?«

Sie waren bereits am Garten des Stadthauses der Plumtrees angekommen, und sie musste zusehen, dass sie die Wahrheit aus ihm herausbekam. »Warum hast du diese Papiere gestohlen, Giles? Was hat es damit auf sich?«

Ein Muskel in seiner Wange zuckte, als er sich ihr zuwandte. »Das hättest du nicht sehen dürfen. Und ich hoffe, du bist so vernünftig, Stillschweigen darüber zu bewahren.«

»Und wenn nicht? Was willst du dann machen?«, erwiderte sie voller Sarkasmus. »Mir ein Messer zwischen die Rippen rammen?«

»Sehr amüsant!« Er musterte sie im fahlen Licht des Mondes. »Aber wenn du es jemandem erzählst, musst du zugeben, dass du auch dort warst, und das willst du gewiss nicht. Zumal du zurechtgemacht bist wie … wie …«

Als er verstummte und sein Blick auf den Kamee-Anhänger fiel, der in der Mitte ihres halb entblößten Dekolletés ruhte, hielt sie den Atem an. Nun sah er sie endlich einmal als Frau! »Wie denn?«, fragte sie und legte so viel Sinnlichkeit in ihre Stimme, wie sie konnte.

Er riss seinen Blick los und sah ihr wieder ins Gesicht. »Wie ein liederliches Flittchen«, sagte er schroff. »Das darf wirklich niemand erfahren.«

Ein Flittchen! Er fand, sie sah wie ein Flittchen aus? Und noch dazu ein liederliches? »Warum nicht? Weil es meinen Ruf ruinieren könnte? Schlechter kann meine Lage eigentlich nicht werden.«

»Du hast immerhin eine Mitgift …«

»Die lediglich dafür sorgt, dass sich die falschen Männer für mich interessieren.« Sie hob das Kinn. »Aber ich bin überzeugt, du würdest meinen Ruf nicht aus purer Bosheit ruinieren. Dafür bist du zu sehr Gentleman.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Und du würdest nicht wollen, dass ich wegen Diebstahls gehängt werde. Dafür sind wir zu gut befreundet.«

Wenn er sie erweichen wollte, dann machte er seine Sache wirklich gut. »Doch ich könnte es deinem Bruder verraten, dem Viscount«, erwiderte sie. »Ich glaube nicht, dass es ihm gefallen würde.«

Das schien Giles zu denken zu geben. »Und ich könnte deinen Brüdern von deinem kleinen Abenteuer berichten. Und ich bin ganz sicher, dass es ihnen nicht gefallen würde.«

»Mach nur!«, bluffte sie. »Mir ist egal, was sie denken.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie du siehst, hast du keine andere Wahl, als mir die Wahrheit zu sagen.«

»Ich habe eine bessere Idee.« Er trat näher an sie heran und senkte seine Stimme. »Nenn mir deinen Preis, Minerva! Ich verdiene noch nicht besonders viel als Anwalt, aber ich kann es mir leisten, mir dein Schweigen zu erkaufen.«

»Mach dich nicht lächerlich!« Als ein verschmitztes Lächeln um seine Mundwinkel spielte, wurde ihr klar, dass er sie mit seinem Gerede nur hatte ärgern wollen. »Du weigerst dich also, mir zu erzählen, was du getan hast und warum?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich behalte meine Geheimnisse lieber für mich.«

Und er wusste verflixt noch mal, dass sie sein Geheimnis ohnehin bewahren würde, wenn er sie darum bat. Doch das bedeutete nicht, dass sie auf der Stelle klein beigeben musste. »Also gut, ich nenne dir meinen Preis: Gib mir einen Kuss!«

Er stutzte. »Wie bitte?«

»Gib mir einen Kuss!« Ihr Ton wurde sarkastisch. »Ich will einen Kuss von der Art, wie du und meine Brüder sie an jede Kellnerin, Dirne und Tänzerin verteilt, die ihr kennt. Mit einem einzigen Kuss kannst du dir mein Schweigen erkaufen.« Vielleicht sah er sie dann endlich als Frau an, der er vertrauen konnte, die er umwerben und … lieben konnte.

Als er seinen Blick langsam über ihren Körper schweifen ließ, wurde ihr an Stellen warm, wo sie nie zuvor Wärme verspürt hatte, und ihr Puls begann zu rasen. »Das halte ich für keine gute Idee.«

»Wieso?«

»Vor allem«, entgegnete er trocken, »weil mich deine Brüder bei lebendigem Leibe häuten, wenn sie davon erfahren.«

»Wir müssen es ihnen ja nicht auf die Nase binden.« Als er keine Anstalten machte, sich zu rühren, fügte sie hinzu: »Heute ist mein neunzehnter Geburtstag, und ich hatte gerade auf einer geschmacklosen Veranstaltung das widerliche Erlebnis, dass zwei Herren beredet haben, sich mich zu teilen.«

Als sich Entrüstung in seinem Gesicht abzeichnete, schob sie rasch nach: »Ich konnte ihren ekelhaften Annäherungsversuchen zwar entrinnen, aber ich brauche jetzt etwas Schönes, das mir hilft zu vergessen, dass sich um ein Haar zwei Widerlinge über mich hergemacht hätten. Und ich bitte dich, es mir zu geben.«

»Wie kommst du darauf, dass ein Kuss von mir schön sein könnte?«, fragte er, und seine raue Stimme jagte ihr einen wonnigen Schauder über den Rücken.

Sie bemühte sich, ebenso unbefangen zu klingen wie er. »Das kann ich dir nur raten, wenn du willst, dass ich dein Geheimnis für mich behalte!«

Zu ihrer Überraschung lachte er. »Na gut, du kleines Biest, ich werde den Preis bezahlen.«

Er beugte sich vor und presste seine Lippen auf ihre, doch der Kuss war genauso kurz und enttäuschend wie züchtig.

Als Giles sich wieder aufrichtete, runzelte sie die Stirn. »Ich hätte mich wohl klarer ausdrücken sollen. Mit ›schön‹ meinte ich so etwas wie ›aufregend‹. Ich dachte nicht an einen Kuss, wie du ihn deiner Großmutter gibst.«

Er starrte sie wortlos an. Dann glomm ein verwegenes Funkeln in seinen Augen auf, und er umfing ihr Gesicht ohne Vorwarnung mit den Händen und küsste sie abermals. Aber dieser Kuss war schonungslos, unerbittlich, überwältigend. Er schob seine Zunge zwischen ihre Lippen und drang wieder und wieder in ihren Mund ein, bis ihr ganz schwindelig wurde und sie weiche Knie bekam.

Auf einen Schlag zerstörte er alle ihre romantischen Mädchenträume und ließ ein unbändiges, rasendes Verlangen an ihre Stelle treten, wie sie es noch nie erlebt hatte.

Es schockierte sie.

Es berauschte sie.

Ohne nachzudenken, schlang sie die Arme um seinen Hals. Giles murmelte einen Fluch an ihren Lippen, dann zog er sie fest an sich, um sie noch leidenschaftlicher zu küssen.

Sein stoppeliges Kinn kratzte an ihrer Wange, und er roch nach Kerzenrauch und Brandy; einer Mischung, von der eine eigentümliche Verlockung ausging. Es war einfach traumhaft. Und als seine Hände über ihre Rippen nach oben wanderten, begann sie, sich nach mehr zu sehnen … nach mehr Zärtlichkeiten, nach mehr Küssen … nach mehr von ihm.

Kurz darauf löste er sich von ihr und fragte mit erstickter Stimme: »Entspricht das in etwa deiner Vorstellung von einem schönen Kuss?«

Noch völlig benommen von ihrem ersten richtigen Kuss, sah sie mit einem verträumten Lächeln zu ihm auf. »Es war absolut perfekt, Giles.«

Er sah sie irritiert an. Dann huschte ein Ausdruck purer Panik über sein Gesicht, und er schob sie abrupt von sich weg. »Dann habe ich meine Verbindlichkeit also erfüllt?«

Diese Antwort brachte Minerva so aus der Fassung, dass sie nur nicken konnte. Sie sah ihn wie vom Donner gerührt an und hoffte auf etwas, das dem kalten Wort »Verbindlichkeit« die Härte nahm.

»Gut«, meinte er und wandte sich zum Gehen. Nach einigen Schritten drehte er sich noch einmal um. Sein Blick war genauso verächtlich wie sein Ton. »Sei vorsichtig, meine Liebe, wenn du das nächste Mal vorhast, dich wie ein Flittchen aufzuführen! Manche Männer reagieren nicht so freundlich auf Erpressungsversuche. Du könntest in einer dunklen Gasse auf dem Rücken landen. Und ich bezweifle, dass es dir dann noch gefallen würde, die Hure zu spielen.«

Seine derben Worte verletzten ihren Stolz. Hatte er denn nicht die Leidenschaft gespürt, die zwischen ihnen aufgeflammt war, dieses wunderbare Gefühl des Einswerdens zweier Seelen? Hatte er denn gar nichts empfunden bei diesem Kuss, der sie von jetzt auf gleich vom Mädchen zur Frau gemacht hatte?

Offenbar nicht. Giles hatte ihr sein Messer so tief zwischen die Rippen gerammt, dass es ihr Herz durchbohrt hatte.

Irgendwie gelang es ihr, die Fassung zu wahren, als er davonschlenderte. Doch kaum war er außer Sichtweite, brach sie in Tränen aus.

Das war der Abend, an dem sie sich von Giles Masters entliebte.

1

London

1825

Kurz nach Tagesanbruch beobachtete Giles im Schutz der Bäume, wie Viscount Ravenswood, der Untersekretär des Innenministeriums, das Bootshaus am Serpentine River im Hyde Park betrat. Als eine Viertelstunde verstrichen war und sich sonst niemand zeigte, trat auch Giles in das Bootshaus.

Nachdem er und Ravenswood die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht hatten, sagte der Viscount: »Wie mir zu Ohren gekommen ist, wirst du für einen Posten als Kronanwalt in Erwägung gezogen.«

Giles erstarrte. Er hätte wissen müssen, dass Ravenswood davon Wind bekam. Der Mann hatte seine Augen überall. »Das habe ich auch gehört.«

»Ich nehme an, wenn du berufen wirst, kannst du deine Bemühungen für mich nicht fortsetzen.«

»Die Position eines Kronanwalts ist anspruchsvoll«, sagte Giles vorsichtig. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er dieses Gespräch schon so bald führen würde.

»Und sie ist eine sehr prestigeträchtige für einen jungen Anwalt wie dich. Obendrein höchst politisch. Dich weiterhin als Taugenichts auszugeben, um Informationen für mich zu sammeln, ist dann wohl nicht mehr opportun.«

»Richtig.« Er sah Ravenswood prüfend ins Gesicht, aber dessen stoische Miene war unergründlich. »Ehrlich gesagt habe ich beschlossen, nicht mehr für dich zu arbeiten, ob ich nun zum Kronanwalt berufen werde oder nicht. Es ist ruhiger geworden, und ich glaube nicht, dass es …«

»Du musst es mir nicht erklären, Masters. Es ist erstaunlich, dass du es überhaupt so lange gemacht hast. Du hast deinem Land gute Dienste geleistet, ohne einen besonderen Vorteil daraus zu ziehen, geschweige denn angemessen bezahlt zu werden, obwohl du dich auf deine wesentlich lukrativere Tätigkeit als Anwalt hättest konzentrieren können. Ich verüble es dir nicht, dass du dich jetzt um deine Karriere kümmern möchtest. Du bist … wie alt? Siebenunddreißig? Auf jeden Fall alt genug, um mehr vom Leben haben zu wollen als das. Und ich werde deine Entscheidung unterstützen, so gut ich kann.«

Giles atmete erleichtert auf. Er hatte sich vor diesem Gespräch gefürchtet. Doch eigentlich hätte er wissen müssen, dass Ravenswood sein Freund bleiben würde, was auch immer geschah.

Der Viscount und er hatten sich in Eton kennengelernt. Ravenswood war zwar drei Jahre älter als Giles, doch sie hatten eine außergewöhnliche Freundschaft aufgebaut, zumal Ravenswood immer besonnen und fleißig gewesen war und Giles ungestüm und draufgängerisch.

Und so hatte sich Giles neun Jahre zuvor an Ravenswood gewandt – der inzwischen in die Politik gegangen war –, als ihm bei einer besonderen Angelegenheit daran gelegen gewesen war, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Ravenswood hatte die Papiere an sich genommen, die Giles Newmarsh gestohlen hatte, und Nutzen daraus gezogen. Auf diese Weise hatte Giles’ geheime Zusammenarbeit mit dem Innenministerium begonnen.

Sie hatte sich als fruchtbar für beide erwiesen. Von Zeit zu Zeit hatte Giles den Untersekretär mit Informationen versorgt, an die er sonst niemals herangekommen wäre: Im Bordell vertrauten Männer dem lasterhaften, für seinen ausschweifenden Lebenswandel bekannten Giles Masters allerhand pikante Details an. Nach dem Krieg war das Innenministerium mit Fällen von Betrug, Fälschung und Verrat überflutet worden, und da verschiedene Teile des Landes am Rande der Revolution standen, hatte es alle Hilfe gebraucht, die es bekommen konnte.

Gelegentlich hatte Giles die Informationen auch aktiv beschafft, sogar von anderen Adeligen. Im Gegenzug hatte Ravenswood ihm nach dem Selbstmord seines Vaters einen Grund zum Weiterleben gegeben. Eine Möglichkeit, Buße für seine Jugendsünden zu tun. Doch er büßte nun schon ziemlich lange für diese Sünden.

»Ich muss dir wohl nicht sagen, dass deine Tätigkeit geheim bleiben muss, auch nachdem du aus dem Dienst ausgeschieden bist«, ermahnte Ravenswood ihn. »Du darfst mit niemandem darüber sprechen und niemals …«

»Ich kenne meine Pflichten«, unterbrach ihn Giles.

Das war ja das Problem. Es war schwer, ein normales Leben zu führen, wenn er allen, die er kannte, Dinge verheimlichen musste. Er war diese Geheimniskrämerei leid. Und er war es leid, die Rolle des Lebemannes zu spielen, die ihm früher recht gut gefallen hatte. Wenn er nun aufhörte, für die Regierung zu arbeiten, würde niemand davon erfahren, und er konnte wieder mehr er selbst sein. Die Leute würden denken, er sei endlich zur Vernunft gekommen.

»Heute bekommst du meinen letzten Bericht«, bemerkte Giles. »Erwachsen dir aus meinem Rückzug irgendwelche Schwierigkeiten?«

»Wie du dir vorstellen kannst, werden wir ihn bedauern, doch wir werden schon zurechtkommen. Wie du bereits sagtest, ist es ruhiger geworden.«

»Deshalb habe ich auch nicht viel zu berichten.« Giles erzählte ihm von einem Richter, den er der Bestechlichkeit verdächtigte, und von einem Problem, das sich seiner Meinung nach bei den Investitionen in südamerikanische Bergbauunternehmen zu ergeben drohte.

Ravenswood machte sich Notizen und stellte hier und da eine Frage. Als Giles innehielt, wollte er wissen: »Ist das alles?«

»Beinahe. Ich wollte dich noch auf den Gefallen ansprechen, um den ich dich vergangenen Monat gebeten habe«, entgegnete Giles.

»Ach ja, wegen deines Freundes Jarret Sharpe.« Ravenswood steckte sein Notizbuch in die Jackentasche. »Bislang konnte keiner meiner anderen Informanten die gewünschten Auskünfte über Desmond Plumtree beibringen. Ist es möglich, dass dein Freund mit seinem Verdacht falschliegt?«

Seit Jarret und Oliver sich verheiratet hatten, stellten sie Nachforschungen zum Tod ihrer Eltern an. Jarret hatte bei Giles juristischen Rat in dieser Angelegenheit gesucht, und der Fall hatte Giles’ Interesse geweckt.

»Soweit ich anhand von Mrs Plumtrees Testament in Erfahrung bringen konnte«, räumte Giles ein, »hätte Desmond Plumtree keinen Vorteil davon gehabt, sie umzubringen.«

»Aber das überzeugt dich nicht.«

»Ich kann es nicht erklären, doch Plumtree war mir noch nie geheuer. Wenn die Sharpes tatsächlich ermordet wurden, würde ich ihn am ehesten verdächtigen.« Und Giles hätte es als Anwalt nicht so weit gebracht, wenn er nicht immer schon einen guten Riecher für so etwas gehabt hätte.

»Nun, ich werde es dich wissen lassen, wenn jemand einen sachdienlichen Hinweis findet. Tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun kann«, sagte Ravenswood, dann zog er mit einem verschmitzten Augenzwinkern eine Zeitung hervor. »Um auf etwas Unterhaltsameres zu sprechen zu kommen: Da du dich neuerdings so für die Sharpes interessierst, habe ich dir das hier mitgebracht.«

Giles nahm die Zeitung entgegen und sah seinen Freund verdutzt an. »Das Lady’s Magazine?«

»Ich habe es von meiner Frau. Ist gestern herausgekommen. Sie hat mir etwas daraus vorgelesen, das dich bestimmt amüsieren wird. Es steht auf Seite sechsundzwanzig, ganz unten.«

Giles blätterte, und als er auf das erste Kapitel von Minervas jüngstem Schauerroman stieß, stockte ihm der Atem. Er hatte nicht gewusst, dass der Roman in Fortsetzungen veröffentlicht wurde. »Darf ich es behalten?«

»Gewiss doch. Abby ist schon damit durch.« Ravenswood sah ihn neugierig an. »Hast du ihre Romane gelesen?«

Giles war sofort auf der Hut. »Und du?«, erwiderte er.

»Ich habe bisher nur das gelesen, was in der Zeitschrift steht. Klingt spannend. Es gibt da eine Figur, die mich an dich erinnert.«

»Tatsächlich?«, entgegnete Giles und bemühte sich, nicht allzu interessiert zu klingen. Verdammt noch mal! Wenn es sogar Ravenswood aufgefallen war …

Sobald er zu Hause war, musste er den Text Wort für Wort studieren.

Unversehens kam ihm ein Bild von vor neun Jahren in den Sinn: das einer hübschen jungen Frau, die ein Marie-Antoinette-Kostüm mit einem solchen Liebreiz getragen hatte, dass ihn die Erinnerung daran schmerzte. Mit neunzehn war Minerva zu einer klassischen Schönheit mit vollen, geschwungenen Lippen, langen Wimpern und hohen Wangenknochen herangewachsen. Doch außer ihrem Aussehen hatte Minerva wahrlich nichts Klassisches an sich gehabt.

Er konnte immer noch nicht fassen, dass die freche Göre von ihm hatte wissen wollen, was er bei Newmarsh gemacht hatte, und dann auch noch einen Kuss von ihm erpresst hatte. Und er konnte nach wie vor nicht fassen, was geschehen war, als er sie geküsst hatte, um sie zu lehren, wie gefährlich es war, einen Schuft wie ihn in Versuchung zu führen.

Irgendwie hatte er in diesem Moment vergessen, dass sie die Schwester seines besten Freundes und er nur ein zweitgeborener Taugenichts war, der am Anfang einer ungewissen Karriere stand und nicht in der Position war, sich eine Geliebte oder gar eine Ehefrau zu suchen. Der Kuss war intensiver geraten als beabsichtigt, gefährlicher und … berauschender. Sie hatte ihn dazu gebracht, das Undenkbare zu denken und herbeizusehnen.

Und so war es immer noch.

Schade, dass sie ihn inzwischen hasste! Das hatte sie in ihren Büchern deutlich zum Ausdruck gebracht, indem sie ihn als Romanfigur zur Schau gestellt und kein gutes Haar an ihm gelassen hatte, während sie der Aufdeckung seiner Geheimnisse immer näher gekommen war.

Auf dem Valentinsball, den sie beide vor ein paar Monaten besucht hatten, war Giles sich des Problems zum ersten Mal bewusst geworden. Bis dahin hatte er noch nie einen Roman von ihr gelesen. Er hatte genug Mühe damit gehabt, den Kuss hinter sich zu lassen, ohne ständig Minervas Stimme im Kopf zu haben.

Doch ihr gemeinsamer Tanz hatte das Feuer von Neuem geschürt. Sie hatten sich dabei unterhalten, und eine Anspielung war auf die andere gefolgt, bis sein Blut in Wallung geraten war und ihre Bemerkungen immer frecher geworden waren. Schließlich hatte er befürchtet, er könne den Kopf verlieren und etwas sehr Dummes tun. Sie zum Beispiel auf einen Balkon zerren und bis zur Besinnungslosigkeit küssen.

Als sie nach dem Tanz auseinandergegangen waren, war er erregt, wütend und verwirrt gewesen. Bis zu diesem Abend hatte er gedacht, sie habe ihn vergessen, und seine harschen Worte hätten alles zerstört, was sie vielleicht einmal für ihn empfunden hatte. Die Erkenntnis, dass es nicht so war, hatte ihn zu ihren Büchern geführt. Und dann hatte er herausgefunden, was Minerva im Schilde führte.

Er hatte erst einmal darauf verzichtet, etwas dagegen zu unternehmen, weil er gehofft hatte, die Forderung, die ihre Großmutter kürzlich gestellt hatte, würde sie so sehr in Anspruch nehmen, dass ihr keine Zeit mehr zum Schreiben blieb.

Doch hier war ihr neuester Streich. Er durfte das Minerva-Problem nicht länger ignorieren. Am Ende machte sie noch in ihren Büchern Andeutungen auf seine Aktivitäten an jenem Abend in Newmarshs Stadthaus! Jeder im Justizwesen, der ihn mit dem Diebstahl in Zusammenhang brachte, würde erkennen, dass er derjenige gewesen war, der Informationen über Newmarsh und seinen Partner Sir John Sully weitergegeben hatte. Und dann würde man ihn sehr schnell mit anderen Fällen des Innenministeriums in Verbindung bringen, und die, die er verraten hatte, würden sich daranmachen, ihn systematisch zu zerstören. Und sie würden damit beginnen, seine Berufung zum Kronanwalt zu verhindern.

»Du bist ja noch gar nicht bei dem interessanten Teil angekommen«, sagte Ravenswood und riss Giles aus seinen Gedanken. »Schlag die Seite auf, die ich dir genannt habe!«

Giles blätterte um, und ihm fielen gleich die zwei kurzen Texte am Fuß der Seite auf, die in einer anderen Schrift gesetzt waren. In dem ersten ging es um Lady Minervas verwandtschaftliches Verhältnis zu den Sharpes – nur sie besaß die Dreistigkeit, so etwas zu erwähnen. Die verfluchte Frau weigerte sich, ein Pseudonym anzunehmen. Das war ein ewiger Streitpunkt zwischen ihr und ihrer Großmutter.

Die Anzeige neben diesem Text versetzte Giles jedoch einen Schock.

Liebe Leserinnen,

wenn Sie weitere Kapitel dieses Romans lesen möchten, müssen Sie mir bei der Lösung eines lästigen familiären Problems helfen, das sich unversehens in meinem Leben ergeben hat. Ich benötige dringend einen Ehemann, vorzugsweise einen, der sich tolerant gegenüber Autorinnen von Schauerromanen zeigt. Daher bitte ich Sie, Ihre unverheirateten Brüder, Vettern und Bekannten am 20. Juni nach Halstead Hall zu schicken, wo ich Bewerbungsgespräche mit den möglichen Anwärtern auf die Position meines Ehemannes führen werde. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.

Mit besten Grüßen

Lady Minerva Sharpe

Am zwanzigsten Juni? Das war heute, verdammt!

»Amüsant, nicht wahr?«, meinte Ravenswood. »Abby konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Was für ein gelungener Scherz!«

»Das ist kein Scherz«, erwiderte Giles. »Ihre Großmutter hat Anfang des Jahres ein Ultimatum gestellt: Alle Sharpe-Geschwister müssen heiraten, wenn sie ihr Erbe nicht verlieren wollen. Und wie ich Lady Minerva kenne, will sie auf diese Weise ihre Großmutter ärgern.«

Ravenswood starrte ihn verblüfft an. »Du meinst, die Frau sucht wirklich einen Ehemann?«

»Das weiß ich nicht, aber mit den Gesprächen ist es ihr zweifelsohne ernst.«

Das Mädchen war verrückt, wenn es glaubte, irgendetwas damit erreichen zu können. Giles konnte nur erahnen, wie Oliver und Jarret reagieren würden, ganz zu schweigen von Mrs Plumtree. Die Alte hatte ein eisernes Rückgrat. Sie würde Minervas Flausen nicht dulden. Und sie würde ganz gewiss nicht von ihrer Forderung abrücken.

Giles klemmte sich die Zeitung unter den Arm. »Ich muss gehen.«

»Willst du dich auch zum Bewerbungsgespräch melden?«, witzelte Ravenswood.

»Gute Idee«, entgegnete er.

»Du und Lady Minerva? Ein interessanter Gedanke.«

»Du hast ja keine Ahnung!«

Eine Stunde später, nachdem er Minervas erstes Kapitel gelesen hatte, kochte Giles vor Wut. Zur Hölle mit ihr! Diesmal war sie eindeutig zu weit gegangen.

Sie wollte also Vorstellungsgespräche mit Heiratsanwärtern führen? Gut. Sie sollte ein Gespräch bekommen, an das sie sich noch lange erinnern würde!

Minerva schritt im chinesischen Salon von Halstead Hall auf und ab, und ihre Stimmung wurde von Minute zu Minute schlechter. Wie sollte sie Großmutter dazu bringen, ihr Ultimatum zurückzunehmen, wenn niemand auftauchte?

Sie hatte angenommen, zahlreiche junge Narren und Mitgiftjäger würden Halstead Hall stürmen, um ihre Aufmerksamkeit buhlen und in der Presse für so viel Wirbel sorgen, dass Großmutter einfach aufgeben musste. Oder sie enterbte. Und da Minerva nicht glaubte, dass die Großmutter ihre sämtlichen Enkelkinder für die Sünden eines einzigen büßen lassen würde, war das der Ausgang, auf den sie hoffte. Dann konnte sie sich irgendwo ein kleines Cottage suchen und schreiben, was ihr gefiel, ohne an einen Mann gebunden zu sein.

Kaum zu glauben, dass sie die Ehe früher einmal für eine gute Sache gehalten hatte! Die Ehe ihrer Eltern war die reinste Katastrophe gewesen. Und im Lauf der Jahre hatte Minerva erkannt, dass Männer keine Achtung vor dieser Institution hatten. Da waren die Verleger gewesen, an die sie wegen der Veröffentlichung ihrer Bücher herangetreten war und die ihr mit schlüpfrigen Andeutungen zu verstehen gegeben hatten, was sie tun konnte, um ihre Gunst zu erlangen. Und da waren die unzähligen Mitgiftjäger, die stets vor ihrer Tür lauerten. Ehrenwerte Männer wollten sie nicht, weil sie ihre Romane unter ihrem richtigen Namen veröffentlichte.

Nicht, dass sie noch Interesse an ehrenwerten Männern hatte – sie waren die schlimmsten. Sie hatte schon ehrenwerte Verehrer gehabt, und einige von ihnen hatte sie sogar geküsst. Aber sobald die Herren erfahren hatten, wie sie wirklich war, hatten sie so schnell das Weite gesucht, wie sie konnten. Männer hatten nicht viel für Frauen übrig, die offen sagten, was sie dachten.

Nicht einmal ihre Brüder waren mit ihrem ungezügelten Leben und ihrem herrischen Verhalten gegenüber ihren Schwestern gute Beispiele für ehrenwerte Männer. Oliver und Jarret waren zwar ein bisschen häuslicher geworden, seit sie geheiratet hatten, doch würde es so bleiben? Und wenn nicht? Dann saßen ihre Ehefrauen in der Falle.

Frauen zogen in der Ehe immer den Kürzeren. Deshalb konnte Minerva ihrer Großmutter die Forderung nicht verzeihen, dass sie alle heiraten sollten. Und Oliver und Jarret – wie hatten sie es wagen können, ihre Geschwister zu verraten und sich auf Großmutters Seite zu schlagen? Vor sechs Monaten waren sie noch Sturm gegen Großmutter Hettys Ultimatum gelaufen. Doch wenn die beiden herausfanden, was sie, Minerva, vorhatte und warum, würden sie ihre Pläne sofort vereiteln.

Sie sah argwöhnisch zur Tür. War das der Grund, warum sich noch kein Mann hatte blicken lassen? Hatten ihre Brüder – oder ihre Großmutter – etwa herausbekommen, was sie wieder Ungeheuerliches getan hatte?

Nein, es war unmöglich. Sie hatte ihre Anzeige extra im Lady’s Magazine aufgegeben, weil es abends zugestellt wurde und niemand von ihrer Familie es las. Celia war viel zu wild und jungenhaft für solche Dinge, Großmutter las nur die Times, ihre Brüder würden niemals auch nur einen Blick in so ein Blatt werfen und …

Ihre Frauen. Verflixt! Ihre Brüder waren ja jetzt verheiratet. Und während Jarrets Gattin Annabel nicht der Typ zu sein schien, der ein Frauenmagazin las, war Olivers Frau Maria eine begeisterte Leserin von Minervas Büchern. Sie hatte sich die erste Folge ihres neuen Romans sicherlich nicht entgehen lassen.

Minerva fluchte leise vor sich hin und ging zur Tür. Wie hatte sie Maria nur vergessen können? So wahr ihr Gott helfe, wenn ihre Schwägerin etwas getan hatte, das …

Ein Mann betrat den Salon. Aber es war keiner ihrer Brüder, und er war auch ganz bestimmt nicht zu einem Bewerbungsgespräch gekommen.

Er war der letzte, doch nicht der geringste Grund, warum sie inzwischen nicht mehr heiraten wollte. Giles Masters, ihre große Schwäche … und das Objekt einer äußerst gefährlichen Begierde. Wie bedauerlich, dass sie ihn immer noch, selbst nach so vielen Jahren, anziehender und weitaus interessanter fand als jeden anderen Mann!

Nicht, dass sie es sich jemals anmerken lassen würde. »Guten Morgen, Giles«, sagte sie mit eisiger Stimme.

»Wünsche ich dir auch, Gnädigste.« Er musterte sie mit dreistem Blick. »Du siehst gut aus heute.«

Das galt leider auch für ihn. Giles hatte es schon immer verstanden, sich elegant zu kleiden. Auch an diesem Tag war er in seiner maßgeschneiderten kobaltblauen Reitjacke, seiner gemusterten Weste aus himmelblauem Pikee, der weißen hirschledernen Hose und den auf Hochglanz polierten schwarzen Reitstiefeln eine strahlende Erscheinung. Er passte sehr gut in das Ambiente des Salons mit seinen Ming-Vasen und den goldenen Drachen, die ihre Verehrer einschüchtern und auf Abstand halten sollten.

Ihn allerdings würden sie nicht einschüchtern, das wusste sie. Und wenn er nicht wollte, konnte ihn auch niemand auf Abstand halten.

Sie bemühte sich, gleichgültig zu erscheinen. »Wenn du hier bist, um mit Jarret …«

»Ich bin hier, um dich zu besuchen.« Er warf etwas auf einen goldenen, mit Seide bezogenen Stuhl. »Ich bin zum Bewerbungsgespräch gekommen.«

Als sie sah, dass es sich um das Lady’s Magazine handelte, bekam sie Herzklopfen. Wie viel hatte er gelesen? Nur die Anzeige? Oder auch das erste Kapitel ihres neuen Romans? »Du beziehst das Lady’s Magazine?«, fragte sie mit – wie sie hoffte – genau dem richtigen Maß an Herablassung. »Wie drollig!«

»Nach dem Auflauf draußen im Vorgarten zu urteilen, bin ich nicht der Einzige.«

Sie sah ihn erstaunt an. »Was für ein Auflauf?«

»Du weißt nichts davon?« Er lachte. »Natürlich nicht. Du wärst inzwischen längst draußen und würdest Gabe und Oliver die Leviten lesen, wenn du wüsstest, dass sie die Herren abweisen, sobald sie eintreffen.«

»Also, diese arroganten, unverschämten … Was ist mit Jarret? Ist er auch dabei?«

»Anscheinend war er schon zur Brauerei unterwegs, als sich die Truppen gesammelt haben. Doch sie haben nach ihm geschickt, also wird er sich auch in die Schlacht stürzen, sobald er hier ist.« Giles lehnte sich grinsend gegen den Türrahmen. »Ich glaube, du wirst heute keinen anderen Mann zum Gespräch empfangen.«

Sie funkelte ihn wütend an. »Aber dich haben sie eingelassen.«

»Sie denken, ich will Jarret besuchen. Und ich habe es vorgezogen, sie in dem Glauben zu lassen. Offiziell warte ich im Arbeitszimmer auf ihn und drehe Däumchen.«

Sie ging auf ihn zu. »Nun, du kannst hier im Salon Däumchen drehen, wenn du willst, doch ich werde meinen Brüdern …«

»Nicht so schnell, meine Liebe.« Er löste sich vom Türrahmen und verstellte ihr den Weg. »Wir beide haben noch etwas zu klären.« Ohne den Blick von ihr abzuwenden, schloss er die Tür hinter sich.

Sie versuchte, das Unbehagen zu verbergen, das sie befiel. »Wie du sehr gut weißt, schickt es sich nicht, dass wir uns bei geschlossener Tür allein in einem Raum aufhalten.«

»Seit wann kümmert es dich, was sich schickt und was nicht, Minerva?«

»Seit wann habe ich dir erlaubt, mir so nah zu kommen?«

Sein kaltes Lächeln gab ihr zu denken. »Ich habe dir auch nicht erlaubt, mich als ›Figur‹ in deinen Büchern zu verwenden, und du tust es trotzdem.«

Oh Gott! Sie erschrak. Ruhig Blut, Minerva!, dachte sie dann. Vielleicht will er dir nur Informationen entlocken. »Soll das heißen, du hast meine Romane gelesen?«

»Ist das so schwer zu glauben?«

»Ehrlich gesagt, ja. Nicht einmal meine Brüder machen sich die Mühe.«

»Deine Brüder werden ja auch nicht darin diffamiert.«

Obwohl sich ihr Unbehagen schlagartig in höchste Besorgnis wandelte, rang sie sich ein Lächeln ab. »Wenn du andeuten willst, dass …«

»Ich will gar nichts andeuten – ich sage es, wie es ist.« Er umkreiste sie wie ein Hai seine Beute. »Du hast mich zu deinem Lieblingsschurken gemacht, dem Marquess of Rockton.«

Verflixt! Er hatte ihre Romane tatsächlich gelesen.

»Da verwechselst du etwas«, erwiderte sie hastig. »Jeder weiß, dass Rockton an Oliver angelehnt ist.«

»Natürlich. Deshalb hat Rockton auch blaue Augen und dunkelbraunes Haar.«

»Um Himmels willen, ich konnte ihn doch nicht genau wie Oliver aussehen lassen! Ein paar Details musste ich schon ändern.«

»Hat sich deshalb nicht Rocktons Mutter, sondern sein Vater umgebracht?«, fuhr er mit blitzenden Augen fort. »Wirklich clever von dir vorauszuahnen, dass die Leute vermuten würden, dass du auch dieses Detail geändert hast. Ein kleiner privater Scherz von dir, nicht wahr?«

Sie wurde rot. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass er ihre Bücher lesen würde. »Deine Unterstellungen sind vollkommen absurd!«

»Wirklich? Und was ist mit der Szene in Der Fremde vom See, in der die unglückselige Lady Victoria sich in Rockton verliebt und sich ihm an den Hals wirft?« Er blieb vor ihr stehen. »Was sagt er noch? Ach ja! ›Seien Sie vorsichtig, meine Liebe, wenn Sie das nächste Mal vorhaben, sich wie ein Flittchen aufzuführen! Manche Männer reagieren nicht so freundlich auf Erpressungsversuche.‹ Kommt dir das bekannt vor?«

Diesmal konnte sie sich wirklich nicht herausreden.

»Aber die entscheidende Passage ist die, die ich heute Morgen gelesen habe.« Mit einer eklatanten Arroganz, die Minerva gewaltig gegen den Strich ging, schlenderte Giles zu dem Stuhl, auf dem das Lady’s Magazine lag, nahm es zur Hand und las daraus vor:

»Lady Anne bahnte sich auf dem Maskenball einen Weg durch die Menge und betete, dass ihr Marie-Antoinette-Kostüm harmlos genug war, um Lord Rocktons abscheulichen Freunden nicht ins Auge zu fallen. Als sie, erleichtert darüber, unbeschadet davongekommen zu sein, ins Arbeitszimmer stürmte, stellte sie fest, dass sie nicht allein war. Rockton höchstpersönlich stand, als Priester verkleidet, am Kamin.«

Giles warf die Zeitschrift wieder auf den Stuhl. »Hier endet das Kapitel. Was kommt als Nächstes? Wird Rockton den Schreibtisch durchsuchen?«

Minerva machte eine wegwerfende Handbewegung. »Na schön, dann habe ich eben etwas von unserer … Begegnung bei Lord Newmarshs Ball in meinen Roman einfließen lassen. Ich verstehe nicht, was …«

»Du hast mir geschworen, Stillschweigen über jenen Abend zu bewahren.« Er kam auf sie zu und blieb so dicht vor ihr stehen, dass sie den verführerischen würzigen Duft von Guard’s Bouquet wahrnahm, den er aufgelegt hatte. »Du hast einen Preis dafür verlangt, wenn ich mich recht erinnere, und den habe ich auch bezahlt!«

»Ich habe Stillschweigen bewahrt – jedenfalls, was den Diebstahl angeht. Darüber solltest du froh sein, zumal du mit einer kurzen Erklärung hättest verhindern können, dass die Sache überhaupt mein Interesse weckt.«

»Oder ich hätte dich erst recht dazu gebracht, darüber zu schreiben. Zu allem Überfluss hast du die Begebenheit auch noch ausgeschmückt. Du hast einen französischen Spion aus Rockton gemacht, Himmelherrgott! Warum hast du das getan?«

»Weil ich Schriftstellerin bin. Ich denke mir Dinge aus. Das nennt man Fiktion.«

Er kniff die Augen zusammen. »Nicht, wenn man reale Personen als Figuren verwendet.«

»Du hast es immer noch nicht verstanden. Zunächst einmal ist Rockton weder du noch Oliver oder sonst jemand. Nur weil ich ein bisschen von dem eingebaut habe, was zwischen uns geschehen ist, und …«

»Ein bisschen?« Er sah sie durchdringend an. »Du hast unseren Kuss gleich in den ersten Roman eingebaut, in dem Rockton in Erscheinung tritt. Er spricht die Heldin auf der Straße an und nötigt ihr einen Kuss auf. Sie gibt ihm eine Ohrfeige wegen seines ›unschönen‹ Verhaltens, und er sagt: ›Wie kommen Sie darauf, dass ein Kuss von mir schön sein könnte?‹« Sein Blick fiel auf ihren Mund. »Du weißt sehr genau, wo du das herhast.«

»Dieses Buch kennst du auch?«, quiekte sie. »Wie viele von meinen Romanen hast du eigentlich gelesen?«

»Seit ich herausgefunden habe, dass ich darin vorkomme? Alle zehn. Du kannst dir sicher vorstellen, wie groß meine Überraschung war, als ich festgestellt habe, dass du in deinen letzten drei ›fiktionalen‹ Werken kein gutes Haar an mir gelassen hast.«

Er hatte recht, aber das würde sie ihm gegenüber niemals zugeben. Seine Zurückweisung an jenem Abend hatte ihren Stolz und ihre Gefühle verletzt, und sie hatte in ihren Romanen ihre ganze Wut an ihm ausgelassen. Doch sie hatte wirklich nicht geglaubt, dass er auch nur ein Wort davon lesen würde. Oder dass ihn jemand in ihren Büchern wiedererkennen würde.

Und sie hatte ganz gewiss nicht damit gerechnet, dass er so wütend darüber sein würde. Giles wurde nie wütend. Er schien überhaupt keine tieferen Gefühlsregungen zu haben und scherzte und pokerte und tändelte sich sorglos durchs Leben. Es überraschte sie, dass er sich derart empört zeigte.

»Ich verstehe nicht, warum du so verärgert bist«, sagte sie. »Niemand weiß, dass Rockton … zum Teil von dir inspiriert ist. Es gibt nicht einmal Spekulationen in diese Richtung.«

»Nur weil du den Leuten noch nicht genug Hinweise gegeben hast«, fuhr er sie an. »Es ist sehr clever von dir, ausgerechnet mich zu benutzen. Jeder andere würde dich wegen Verleumdung verklagen, doch du weißt, dass ich davon absehen werde, weil ich meine Geheimnisse nicht gern mit anderen teile. Deshalb denkst du, du kannst ungestraft über mich schreiben, was du willst.«

»Ich bitte dich, Giles! Du machst aus einer Mücke einen Elefanten.«

»Ist das so? Wann kommst du denn auf den Diebstahl zu sprechen? Vielleicht gleich im nächsten Kapitel?«

»Ich habe dir versprochen, Stillschweigen darüber zu bewahren, und an dieses Versprechen werde ich mich auch weiterhin halten.«

»Warum sollte ich dir glauben? Über den Rest hast du ja auch nicht geschwiegen.«

Sie sah abrupt zu ihm auf. »Was willst du von mir?«

Sein Verhalten änderte sich fast unmerklich. Seine Verärgerung schlug um in etwas viel Beunruhigenderes: Er nahm sie plötzlich als Frau wahr; als eine Frau, die er verführen konnte. Es war genau wie auf dem Valentinsball, als sie miteinander getanzt hatten und sein Charme ihr Blut in Wallung gebracht hatte. Der Teufel sollte ihn holen!

»Ich will wissen, warum«, entgegnete er. »Warum hast du mich als Bösewicht in deine Bücher eingebaut? Warum hast du mich zu einer der Hauptfiguren deiner letzten Romane gemacht?«

»Das … ist einfach so passiert. Als Rockton zum ersten Mal in Erscheinung trat, habe ich zahlreiche Briefe von Leserinnen erhalten, die mehr Geschichten von ihm lesen wollten.«

»Weil du ihn mit so viel Sorgfalt beschreibst. Aber warum beschäftigt er deine Fantasie so sehr? Und warum schreibst du ihm Dinge zu, die ich gesagt und getan habe? Warst du so verärgert darüber, wie ich dich an jenem Abend behandelt habe?«

»Es hat nichts mit dir persönlich zu tun …«

»Lügnerin!« Er beugte sich vor und zischte: »Gib es zu – du schreibst über mich, weil du mich nicht vergessen kannst!«

Sie wich ruckartig vor ihm zurück. »Was bildest du dir ein?«