Einander begegnen mit Kopf und Herz - Heinz Urban - E-Book

Einander begegnen mit Kopf und Herz E-Book

Heinz Urban

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Beschreibung

Begegnungen werden reicher und erfüllter, Konflikte verringern sich oder werden vermieden, wenn wir in der Kommunikation uns mit einem klaren Kopf und einem offenen Herz begegnen. "Emotionale Kompetenz" beschreibt dazu einfach und prägnant Wesentliches, das sich in der Praxis bewährt hat und wissenschaftlich fundiert ist.

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Seitenzahl: 712

Veröffentlichungsjahr: 2022

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INHALT

Vorwort

Einführung

TEIL I

EMOTIONALES ABC

Grundlagen der Emotionalen Kompetenz

1. Ohne emotionale Bewusstheit keine Emotionale Kompetenz

2. Vereinbarungen — Vertrauen braucht Sicherheit

3. Stadien und Transaktionen

4. Stadium I: Das Herz öffnen

5. Störenfried innerer Schweinehund (Teil 1)

6. Stadium II: Die emotionale Landschaft erkunden

7. Erster Teil: Handlungen und Gefühle

8. Zweiter Teil: Fantasien mitteilen und überprüfen

9. Gefühle, Gefühle

10. Stadium III: Verantwortung übernehmen

11. Hunger nach Leben (Bedürfnisse)

12. Emotional kompetent im Alltag

13. Das Märchen von den Kuscheltüchern

TEIL II

HINTERGRUND TRANSAKTIONSANALYSE

Wurzeln der Emotionalen Kompetenz

14. Wozu Transaktionsanalyse?

15. Mein Bezug zum Leben (Lebenspositionen)

16. Wo bin ich gerade? (Ich - Zustandsmodell)

17. Wie kommuniziere ich? (Transaktionen)

18. Es ist nicht lustig (Psychologische Spiele)

19. Wenn es turbulent wird (Drama - Dreieck)

20. Tricksen und täuschen (Maschen)

21. Sich und andere abwerten (Discount)

22. Freiheit und Schicksal (Lebensskript Teil 1)

23. Freiheit und Schicksal (Lebensskript Teil 2)

24. Störenfried innerer Schweinehund (Teil 2)

TEIL III

ANDERE KOSTBARKEITEN

Nachbargebiete der Emotionalen Kompetenz

25. Gewaltfreie Kommunikation (Marshall Rosenberg)

26. Miteinander reden (Friedemann Schulz von Thun)

27. Verhandeln statt Feilschen (Harvard-Konzept)

28. Neun Gesichter der Psyche (Enneagramm)

29. Focusing – Der Körper weiß die Antwort (Gene Gendlin)

30. Leben aus einer anderen Dimension (Spirituelle Meditation)

ANHANG

Bibliografie

Fachausdrücke

Abbildungsverzeichnis

Personen- und Sachregister

Dank

Über den Autor

Epilog

VORWORT

Das vorliegende Buch basiert auf dem vergriffenen Titel „Emotionale Kompetenz – Anwenderleitfaden“. Seine Inhalte finden sich hier überarbeitet und um einiges wesentlich erweitert wieder.

Damit erfüllen sich zwei Anliegen. Nun können auch Interessenten ohne Vorkenntnisse die Emotionale Kompetenz kennenlernen. Die ursprüngliche Ausgabe war ein stenogrammartiges Skript für Besucher von Veranstaltungen. Zum anderen werden dem Wunsch von Claude Steiner entsprechend einige Themen vertieft behandelt.

Neu gestaltet ist das Layout. Zeitgleich zu den gedruckten Ausgaben als Taschenbuch und mit Festeinband erscheint eine digitale Version.

Der geänderte Buchtitel drückt unmittelbar aus, worum es geht: Wir haben einen „Kopf“ und ein „Herz“. Für ein gelingendes Leben und erfüllende Begegnungen brauchen wir beides. Gemeinsam erschließen sie die Fülle des Lebens.

Ich wünsche Ihnen viel Freude und Erfolg beim Lesen und vor allem bei der Anwendung im Alltag!

Heinz Urban

Kempten im Allgäu

März 2022

EINFÜHRUNG

Ein klarer Kopf und ein offenes Herz sind stets eine gute Verbindung.

Nelson Mandela

Wozu Emotionale Kompetenz?

Wozu dieses Buch? Warum sich mit Emotionaler Kompetenz beschäftigen? Was versteht man darunter? Claude Steiner, der sie begründete, schreibt dazu:

Drei Fähigkeiten sind gemeint, wenn wir von Emotionaler Kompetenz sprechen: die Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu verstehen, die Fähigkeit, anderen zuzuhören und sich in deren Gefühle hineinzuversetzen und die Fähigkeit, Gefühle sinnvoll zum Ausdruck zu bringen ...

Und für jeden von uns gibt es etwas zu lernen, wenn es um Gefühle geht. Einige Menschen haben bereits nach der Pubertät ein hohes Maß an emotionaler Kompetenz erreicht, aber es gibt wohl kaum einen, der sich nicht noch verbessern könnte. Wir alle machen im Umgang mit Gefühlen gelegentlich etwas falsch, deshalb können wir alle von einem emotionalen Kompetenztraining profitieren (Steiner, 2001, S. 21).

–––

Wenn wir emotional gebildet sind, sind wir in der Lage, unsere Emotionen für uns und andere um uns herum arbeiten zu lassen, anstatt gegen uns. Wir lernen, mit schwierigen emotionalen Situationen umzugehen, die oft zu Kämpfen, Lügen, um sich Schlagen und Verletzungen anderer Menschen führen; stattdessen lernen wir, liebevolle, hoffnungsvolle und freudige Emotionen zu genießen ...

Wir hungern nach emotionaler Erfahrung und wir suchen sie auf viele Arten. Emotionales Kompetenztraining ist eine direkte und effektive Methode, um den Kontakt zu unseren Gefühlen und ihrer Kraft, insbesondere der Kraft der Liebe, wiederherzustellen (Steiner, 2003, S. 22).

Claude Steiner nannte diese Fertigkeiten Emotional Literacy. Literacy bezeichnet elementare Bildung, Alphabetisierung, Lese- und Schreibfertigkeit. Im deutschen Sprachraum hat sich in Verbindung mit Emotionen der Ausdruck Emotionale Kompetenz durchgesetzt. Genauso und vielleicht noch zutreffender spricht man von einem ABC im Umgang mit Gefühlen.

Emotionale Kompetenz hilft in schwierigen Zeiten. Wenn es kriselt oder etwas nicht zu stimmen scheint, spüren wir das schneller und klären es leichter. Versandet die Kommunikation oder eskaliert sie und haben wir eine Störung verursacht, so steigt die Wahrscheinlichkeit, die Angelegenheit wieder in rechte Bahnen zu bringen. Probleme werden eher vorausgesehen, gemindert oder vermieden. Emotionale Kompetenz hilft genauso in guten Zeiten. Sie bereichert Begegnungen und lässt sie tiefer und erfüllter werden.

Emotionale Kompetenz ist die Fähigkeit, mit Gefühlen so umzugehen, dass sich ihre Lebensqualität und persönliche Stärke (personal power) und – was noch viel wichtiger ist – auch die Lebensqualität Ihrer Mitmenschen, also das Allgemeinwohl, deutlich verbessert. Wer emotional kompetent ist, wird von seinen Gefühlen nicht länger behindert, sondern unterstützt. Emotionale Kompetenz verbessert Beziehungen, eröffnet liebevoller Zwischenmenschlichkeit neue Möglichkeiten, ermöglicht kooperative Zusammenarbeit und erleichtert die Entstehung von Gemeinschaftsgefühlen (Steiner, 2017, S. 25).

In einem größeren Rahmen bedeutet emotional kompetent zu sein sich so zu verhalten, dass sich unsere Wünsche und Sehnsüchte nach dem, was „Leben“ ausmacht, schrittweise erfüllen. Wirkliches Leben umfasst Qualitäten, die nach Erich Fromm nicht im „Haben“, sondern im „Sein“ gefunden werden. Bezogen auf Emotionale Kompetenz also nicht „Ich habe Emotionale Kompetenz gelernt, ich habe ein Zertifikat, ich habe sie verstanden, ich weiß, wie man sie anwendet“, sondern „Sie wird immer mehr meine selbstverständliche Haltung. Sie bereichert mein Leben und das der Menschen um mich.“

Gesunde, lebensfördernde Prozesse sind: Eigeninteresse; Verteidigen der eigenen Meinung; Mut zu den eigenen Gefühlen; Aufnehmen von Kontakten; der Versuch, etwas zu tun, wozu man lange Zeit nicht in der Lage war; Wissensdrang; Staunen über sich selbst; die Begegnung mit anderen Menschen; Sexualität; Sinn für kosmische Zusammenhänge oder Geheimnisse; Suche nach Frieden; etwas Neues ausprobieren; Verantwortung übernehmen; anderen Menschen sagen, was man von ihnen erwartet; Ehrlichkeit; Hoffnung; Durchhaltewillen; die Fähigkeit, Hilfe zu suchen. Dies alles sind lebensbejahende, zukunftsweisende Erscheinungen (Gendlin, 2001, S. 160).

Kopf oder Herz oder beides?

Manche fragen sich, wozu diese ganze Beschäftigung mit Gefühlen („Mit meinen rationalen Überlegungen bin ich doch bisher gut gefahren, na ja wenigstens in geschäftlichen Angelegenheiten; Privates lasse ich mal außen vor“). Ist das nicht eine Nabelschau („Das ist doch nur ein Egotrip“), ein Wühlen im Morast oder ein Ausweichen vor den Anforderungen der Realität („Ob das gefällt, oder nicht, spielt keine Rolle. Es muss sein“)? Ist es ein Hinabsteigen in eine Schlangengrube und das Öffnen der Büchse der Pandora („Schon allein der Gedanke daran lässt mich schaudern“)? Andere jedoch berichten von genau dem Gegenteil („Ohne Gefühle käme ich mir ja vor wie ein Automat, wie ein seelenloser Roboter“). Sie sagen, Gefühle geben ihnen einen tieferen Zugang zum Leben mit all seinen Facetten („Leben ohne Gefühle – unmöglich!“).

Wie steht es um den Kopf? Verdanken wir ihm nicht unseren Fortschritt und die vielen Errungenschaften der Wissenschaft? Schaffen nicht seine Klarheit und Logik Übersicht und Kontrolle im Leben? Ist er mit seiner Rationalität und scheinbaren Objektivität nicht wichtiger als das Herz mit seiner Subjektivität und seinen Emotionen?

Die Wahrheit liegt wie so oft nicht in einem entweder – oder, sondern einem sowohl – als auch. Beides, Kopf und Herz, gehört zum Menschen. Versinken wir nur in Gefühlen und sind nicht in der Lage, sie zu steuern, entstehen Chaos, Irrationalität, Angst, Aggression oder Depression. Wir stehen neben uns, kennen uns manchmal selbst nicht mehr und verlieren die Kontrolle. Wie steht es aber mit einem Menschen, der ausschließlich im Kopf ist? Er erscheint kalt, unnahbar, ohne Leben, ohne Mitgefühl, wie ein Roboter und im schlimmsten Fall ist er im Denken und Handeln unmenschlich.

Das Schwierigste im Leben ist, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammen zu arbeiten. In meinem Fall verkehren sie nicht mal auf freundschaftlicher Basis.

Woody Allen

Jeder Mensch ist eine Ganzheit aus Denken, Fühlen und körperlichem Sein. All das zusammen hilft und bereichert unser Leben. Geben wir dem Kopf oder dem Herz zu viel Raum, ist das nachteilig. In Emotionen zu versinken oder sich von ihnen treiben zu lassen ist nicht hilfreich. Eine Steuerung und Kontrolle der Gefühle darf nicht aus der Hand gegeben werden. Genauso hinderlich ist es, auf ihre Wärme zu verzichten und nur auf Rationalität, Logik und das Licht des Verstandes zu setzen.

In unserer Kultur hat sich der Schwerpunkt immer mehr in Richtung Kopf verschoben. Üben wir Emotionale Kompetenz, bekommt das Herz wieder den ihm zustehenden Raum. Wir achten darauf, was es uns mitteilt, ohne den Kopf zu vernachlässigen.

Meistens arbeiten diese beiden Seelen [Anteile der Psyche], die emotionale und die rationale, harmonisch zusammen, und die Verflechtung ihrer ganz unterschiedlichen Erkenntnisweisen geleitet uns durch die Welt. Für die Alten war das Herz der Sitz der Seele; Herz und Seele waren für sie ein einziges Vermögen [eine Einheit]. Gewöhnlich besteht ein Gleichgewicht zwischen emotionaler und rationaler Seele; die Emotion wird einbezogen und durchdringt die Operationen der rationalen Seele, und die rationale Seele entwickelt die Eingaben der Emotionen weiter und legt dann und wann ihr Veto ein. Dennoch sind die emotionale und die rationale Seele halbwegs eigenständige Vermögen, in denen sich jeweils ... die Wirkung von spezifischen, aber untereinander verbundenen Schaltungen im Gehirn niederschlägt. Meistens sind diese Seelen hervorragend koordiniert; Gefühle sind wichtig für das Denken, Gedanken wichtig für das Fühlen (Goleman, 1996, S. 26).

Wie Emotionale Kompetenz entwickeln?

Ist Emotionale Kompetenz erlernbar? Gilt das für alle oder nur einige „Auserwählte“? Wie so viele Fähigkeiten stellt sie etwas dar, das geprägt ist von unseren Genen, der Vererbung und der sozialen Vergangenheit, vor allem der Erziehung in den frühen Lebensjahren. Aber die erfreuliche Botschaft ist: Ja, sie lässt sich erlernen und ist jederzeit erweiterungsfähig und vertiefbar.

Um das zu erreichen, braucht es zu allererst ein Wahrnehmen der Gefühle: der eigenen und jener der Mitmenschen. Schrittweise werden sie in ihrer Vielfalt, Intensität, Komplexität und ihren Ursachen erleb- und steuerbar.

Dazu ist entscheidend, sich und anderen gegenüber eine Haltung zu entwickeln, die von Echtheit, Respekt und Mitgefühl geprägt ist. Für Claude Steiner ist dies das stabile Fundament der Emotionalen Kompetenz. Er nennt es Stadium I „Das Herz öffnen“. Ohne dies sind alle weiteren Stadien und Schritte in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt.

Stadium II hilft „Die emotionale Landschaft erkunden“, die sich vor dem geöffneten Auge des Herzens auftut. Sie ist wie die Natur um uns vielfältig und erfordert Achtsamkeit und Kompetenz. Gefühle sind machtvolle Kräfte!

Der Umgang mit diesen Energien gelingt manchmal mehr und oftmals weniger. Daher gibt es das Stadium III „Verantwortung übernehmen“. Es hilft, Fehler wieder in Ordnung zu bringen.

Wie ist all das zu erreichen? Indem man sich auf die Praxis konzentriert, übt, ausprobiert und mit der Hilfe anderer lernt. Den notwendigen Hintergrund und das Wissen dazu finden sie in diesem Buch.

Ein Gramm Praxis wiegt mehr als eine Tonne Theorie.

John Dewey

Wer war Claude Steiner?

Wir alle kennen diese dramatischen Erlösungsgeschichten: Der hoffnungslose Alkoholiker, der von der Flasche loskommt und keine Mühe scheut, anderen Abhängigen zu helfen; der Mann, der seine Frau prügelte und sich jetzt für Frauenhäuser einsetzt, oder der rücksichtslose Kapitalist, der zum Menschenfreund wird und die Geschäftswelt mit seinen moralischen Grundsätzen reformieren möchte. Auch meine Geschichte gehört in diese Kategorie. Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich vom einen Ende der emotionalen Skala zum anderen bewegt hat und dem klar wurde, welche Kraft man aus dem kompetenten Umgang mit Gefühlen ziehen kann (Steiner, 2001, S. 9).

Kindheit, Jugend und Studium

Claude Steiner, geboren am 6. Januar 1935 in Paris, war der Erstgeborene von drei Kindern österreichischer Eltern. Die Mutter war Jüdin und der Vater Christ. Kurz vor der Invasion Frankreichs durch die Nationalsozialisten floh die Familie 1939 nach Spanien. Nach Kriegsende übersiedelte sie 1946 nach Mexiko. Dort verbrachte er seine Kindheit und Jugend und besuchte katholische Schulen. 1952 erfolgte ein Umzug in die USA.

Ich wurde in einem Zustand völligen emotionalen Analphabetentums erzogen, wie es von den weißen Jungs der Mittelklasse erwartet wurde und üblich war, die dazu bestimmt waren, professionelle Männer meiner Generation zu werden. Ich ignorierte meine eigenen Emotionen, weil ich glaubte, es sei schändlich, schwach und beängstigend, sich mit ihnen zu beschäftigen. Genauso verachtete und ignorierte ich die Emotionen der anderen (Steiner, 2003, S. XV).

Claude Steiner lernte am Santa Monica City College in Kalifornien Ingenieurwissenschaften und Physik. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich zeitweise als Automobilmechaniker.

Ich studierte dann Physik an der University of California in Berkeley, entschied aber, dass ich mein Leben nicht mit dem Bau von Bomben verbringen wollte und wechselte [1955] zum Studium der Psychologie und der kindlichen Entwicklung. Außerdem begann ich, als Sommercamp-Betreuer und schließlich als Direktor im Berkeley Jewish Community Center Summer Camp zu arbeiten (Steiner, 2021, Webseite).

Man könnte meinen, dass ich mich für ein Psychologiestudium entschieden hatte, weil ich an den Gefühlen der Menschen interessiert war. In Wirklichkeit hatte mein Interesse an der Psychologie mit dem Glauben zu tun, dass sie mir Macht über Menschen geben würde: in der Lage zu sein, zu helfen, aber auch zu dominieren und zu kontrollieren. Als Student der Psychologie waren Emotionen das, was mir am wenigsten in den Sinn kam (Steiner, 2003, S. XV).

In diesen Vorstellungen bestätigt wurde er durch die damalige vorherrschende Auffassung, dass Gefühle in der Wissenschaft keinen Platz hätten: sie seien „subjektiv“, förderten die Voreingenommenheit und behinderten rationale, „objektive“ Erkenntnis. Teil seiner Ausbildung waren physiologische Experimente an lebenden Tieren, wie Fröschen und Ratten. Er empfand sie als abscheulich, nahm aber dennoch teil. Er meinte, sein Entsetzen unterdrücken zu müssen, um ein echter Wissenschaftler werden zu können. Diese Vorstellung zusammen mit der früheren kulturellen und persönlichen Prägung bestimmte fortan sein Leben.

Als Folge meiner Entscheidung, meine Gefühle in dieser kritischen Phase meiner Berufsausbildung zu unterdrücken, interessierte ich mich noch weniger für meine eigenen Gefühle und für die Gefühle der anderen. Ich hatte Verliebtheiten, aber keine wirklichen Bindungen und wenig Respekt, Reue oder Schuldgefühle, wenn es darum ging die Art und Weise, wie ich die Menschen in meinem Leben behandelte. Ich fühlte nie anhaltende Freude und ich weinte nie. Ich verlor Freunde und war anfällig für Depressionen und Verzweiflung. Obwohl ich einen respektablen IQ habe, wenn ich auf mich zurückblicke, sehe ich einen emotional ungebildeten jungen Mann mit einer sehr niedrigen emotionalen Intelligenz oder EQ (emotionaler Quotient) (Steiner, 2003, S. XVI).

Dann aber trat eine radikale Wende ein und die Beschäftigung mit Gefühlen wurde fortan sein Lebensthema.

Es war ein langer Weg, bis ich zu dem wurde, der ich heute bin. Erst in den späten sechziger Jahren lernte ich meine eigenen Gefühle kennen, oder besser, ich stieß auf sie wie der Entdecker auf ein exotisches Land. Ich war fasziniert und gefesselt von der Gefühlslandschaft, die sich in mir auftat und mich umgab, und beschloss, Emotionen zum Gegenstand meiner psychologischen Arbeit zu machen. Auch wenn ich heute besser über menschliche Gefühle Bescheid weiß als damals, so bleibt noch vieles unklar. Doch die Suche nach einem tieferen Verständnis jener Bereiche scheint mir lohnenswert, und ich ziehe Freude und Kraft aus dieser Aufgabe (Steiner, 2001, S. 10).

Zu dieser Veränderung trugen vor allem zwei Menschen bei: Eric Berne und Hogie Wyckoff.

Begegnung mit Eric Berne

Eric Berne, den Claude Steiner 1956 traf, war Psychiater aus der Richtung von Sigmund Freud und damals 46 Jahre alt. Er hatte vor einiger Zeit seine psychoanalytische Ausbildung wegen Differenzen mit seinem Lehranalytiker abgebrochen. Seit den frühen 1950er-Jahren begann er ziemlich radikale Abwandlungen zur klassischen Psychotherapie zu untersuchen und zu entwickeln. Sie wurden später unter dem Namen Transaktionsanalyse bekannt.

Im Jahr 1955 begann er [Eric Berne], wöchentliche Treffen mit einer kleinen Gruppe von Fachleuten in seiner Wohnung ein paar Blocks von San Franciscos Chinatown entfernt. Ich wurde von Ben Handelman, einem Freund und Mitarbeiter des Berkeley Jewish Community Center, zu einem dieser Treffen mitgenommen. Ich fand das, was Berne zu sagen hatte, sehr interessant und beteiligte mich an der lebhaften Diskussion. Nach dem Treffen bat mich Berne, in der folgenden Woche wiederzukommen, was ich auch tat. Von da an verpasste ich selten ein Treffen, außer in den Jahren, in denen ich an der Universität von Michigan für einen Doktortitel in klinischer Psychologie studierte. Ich wurde Berne’s Schüler und lernte alles, was er über seine sich entwickelnde Theorie der Transaktionsanalyse zu lehren hatte. Berne starb 1971 im frühen Alter von sechzig Jahren (Steiner, 2003, S. XVIII).

Kurz zur Transaktionsanalyse: Sie stellt einen ziemlichen Gegensatz zur traditionellen Psychotherapie dar. Während diese untersucht, was sich innen in Menschen, in deren Psyche abspielt, bezieht sich die Transaktionsanalyse auf das, was sich zwischen ihnen ereignet. Die damals radikalste Annahme war, dass man Personen von ihren emotionalen Problemen befreit, wenn man ihnen beibringt, mit anderen anders umzugehen, statt sich darauf zu konzentrieren, warum sie Schwierigkeiten haben. Verstehen mag eine gewisse Hilfe sein, jedoch ist die Veränderung des Verhaltens entscheidend. Diese Vorstellungen, damals revolutionär, sind heute akzeptiert und selbstverständliche Grundlage der Kognitiven Verhaltenstherapie. Dennoch bleiben sie in manchen Kreisen umstritten.

In den Anfängen der Transaktionsanalyse waren Gefühle eher „Nebensache“. Die rationale Analyse zwischenmenschlicher Kontakte stand im Vordergrund. Trotzdem waren die Konzepte von Eric Berne Basis für die spätere Emotionale Kompetenz. Vor allem deren Ich-Zustände, das freie „natürliche“ innere Kind als Quelle lebendiger Emotionalität und Strokes, ein Fachbegriff für Anerkennung, Wertschätzung und letztlich „Liebe“. Mit all dem beschäftigt sich der Teil II HINTERGRUND TRANSAKTIONSANALYSE.

Leben mit Hogie Wyckoff

Der zweite Mensch, der Claude Steiners Leben und Arbeit entscheidend prägte, war Hogie Wyckoff.

Ich hätte nie die Verbindung zwischen TA [Transaktionsanalyse] und emotionaler Kompetenz hergestellt, wäre da nicht eine andere lebensverändernde Beziehung gewesen, die mich in die Welt der Gefühle stürzte. Vor Kurzem geschieden und fast über Nacht, geriet ich in eine tiefe Beziehung mit einer Feministin – Hogie Wyckoff –, die mich für die nächsten sieben Jahre die Grundlagen der Emotionalität lehrte. Im Grunde verlangte sie, dass ich mich emotional „oute“; dass ich ehrlich zu meinen Gefühlen bin, dass ich um das bitte, was ich will, und vor allem, dass ich lerne, von Herzen „Ich liebe dich“ zu sagen. Keine dieser Forderungen war für mich leicht zu erfüllen. In der Tat waren sie unerträglich schwierig. Unter Hogies liebevoller, aufmerksamer Anleitung machte ich jedoch große emotionale Fortschritte. Es war eine anstrengende Arbeit für sie und am Ende konnte sie den Kampf nicht mehr ertragen, aber sie verließ mich als veränderten Mann (Steiner, 2003, S. XX).

Beide trafen sich 1969 in einem Kurs für „Radikale Psychiatrie“, den Hogie an der Freien Universität in Berkeley veranstaltete. Zusammen mit einigen anderen gründeten sie dort das RAP-Center, eine Abkürzung für „Radical Approach to Psychiatry“ (Radikaler Ansatz in der Psychiatrie). Es führte psychische Störungen nicht allein auf individuelle Ursachen zurück, sondern ebenso auf krankmachende soziale Einflüsse. RAP war im Wesentlichen eine Protestbewegung gegen den damaligen Missbrauch psychiatrischer Praktiken. Man gründete verschiedene „Contact-Groups“, Gruppen für Begegnungen und vermittelte die Grundlagen der Transaktionsanalyse und kooperatives Verhalten. Daraus entstand als gefragteste Veranstaltung „Stroke City“. In ihr begann die Entwicklung von Methoden, um Emotionale Kompetenz zu erlernen.

Dreimal in der Woche trafen sich im RAP-Center etwa zwanzig Personen in einem großen Raum. Zwei Stunden hatte man am Nachmittag die Gelegenheit, sich gegenseitig und selbst Zuwendungen (Strokes) zu geben und innere Widerstände in einer sicheren, durch einen „kooperativen Vertrag“ geschützten Atmosphäre, zu erkunden. Immer deutlicher traten die Bausteine hervor, welche die Fundamente der Emotionalen Kompetenz bilden sollten.

Auch nachdem sich das RAP-Zentrum auflöste, blieb die Essenz von Stroke-City erhalten und setzte sich fort in den Workshops zum Training Emotionaler Kompetenz.

Gesellschaftliche und politische Aktivitäten

Claude Steiner war bis 1971, als Eric Berne unerwartet verstarb, sein Schüler, Mitarbeiter, Kollege und Freund gewesen. Er hatte dessen Lehren um wichtige Bestandteile vertieft. Beide waren 1960 Gründungsmitglieder der „International Transactional Analysis Association“ (ITAA), d.h. der „Internationalen Gesellschaft für Transaktionsanalyse“. Er erhielt zweimal den Eric Berne Memorial Scientific Award: 1971 für seine Skript-Matrix und 1980 für seine Stroke-Ökonomie.

Claude Steiner besaß eine private Praxis als Psychotherapeut für Einzel- und Gruppentherapie in Berkeley und Ukiah. Zusätzlich beteiligte er sich zunehmend an verschiedenen Befreiungsbewegungen und als Aktivist gegen den Krieg in Vietnam. Dieser hatte auch in den USA verheerende Auswirkungen. Neben den Gefallenen und Verwundeten gab es Probleme mit den Veteranen: Drogen, Alkohol, Depressionen und eine Gesellschaft, die sich ihnen gegenüber distanzierte. Das Interesse an Machtspielen, insbesondere politischer Propaganda, ließ ihn als Journalist nach Mexiko und Zentralamerika reisen, um die Folgen der US-Propaganda auf die dortige Region zu studieren.

Es scheint, dass viele in der Transaktionsanalyse mit ihrem Stand als einer dynamischen, sich weiter entwickelnden Theorie unzufrieden sind. Ich selbst dachte manchmal, ihre Tage seien gezählt. Viele ihrer Ideen wurden stillschweigend in die psychiatrische Kultur aufgenommen, aber das wurde übersehen. Es wurde ihr kein Platz unter den großen psychiatrischen Theorien des Jahrhunderts eingeräumt und ich war bereit, sie liegen zu lassen. So begann ich mich von der Transaktionsanalyse ab und meinem Interesse an Macht und ihren Missbräuchen zuzuwenden. Hin zu Propaganda, Journalismus und zentralamerikanischer Politik.

Aus der distanzierten Perspektive eines Erforschers für Medien und Informationen begann ich aber in einem beginnenden Informationszeitalter die Transaktionsanalyse in einem brandneuen Licht zu sehen, als visionäre Theorie der Psychologie und Psychiatrie des Informationszeitalters. Während die Welt in das 21. Jahrhundert schaut und sich alle fragen, wie sie von den drohenden tausendjährigen Veränderungen betroffen sein werden, verfügen wir in der Transaktionsanalyse über ein Erbe, das erst jetzt klar wird: Wir haben die Werkzeuge und die Einblicke in ein Informationszeitalter, kommunikationsbasierte Psychologie und Psychiatrie (Steiner, 2003, S. 221).

Ab 1975 entwickelte Claude Steiner seine Konzepte zur Emotionalen Kompetenz weiter und vermittelte sie verstärkt einer weltweiten Zuhörer- und Teilnehmerschaft. Er verfeinerte das Trainingsprogramm. Wissenschaftliche Basis waren die Modelle von Eric Berne. Beeinflusst ist es ebenso von seinen sozialen und politischen Überzeugungen und seiner Vorstellung von menschlicher Liebe. Begriffe wie Warm Fuzzies (Kuscheltücher), Emotional Literacy (Emotionale Kompetenz, emotionales ABC) und Stroke Economy (Ökonomie der Streicheleinheiten) wurden von ihm geprägt. Er publizierte in Zeitschriften und war Herausgeber von neun Büchern, einige übersetzt in acht Sprachen.

Leben und Werk

Eric Berne und Claude Steiner gebührt das Verdienst, zu den Allerersten zu gehören, die in ihren Publikationen das Wort „Liebe“ verwandten und seine herausragende Bedeutung für das persönliche und soziale Leben herausstellten. Dies zumal in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Damals wurde ein solcher Begriff und die thematische Beschäftigung damit in der akademischen Welt ignoriert, abgelehnt, als vor- und unwissenschaftlich gebrandmarkt.

Eric Berne gehört zu den ganz wenigen, die das Thema „Liebe“ in ihre Forschung miteinbezogen, indem er das „sich gegenseitig zur Kenntnis nehmen“ als „Streicheleinheit“ (stroke) definierte. Das wissenschaftliche Wort „Streicheleinheit“ verschafft dem Thema menschlicher Liebe eine gewisse Respektabilität. Mit dem Wort „Streicheleinheit“ kann der Psychologe immerhin auf etwas Aufmerksamkeit in Wissenschaftlerkreisen hoffen. Mit der These „Streicheleinheiten bewegen die Welt“ mag er vielleicht sogar Forschungsgelder einwerben können, um seine Hypothese zu testen, und vielleicht kann er auch wissenschaftliche Beiträge zu diesem Thema in Fachzeitschriften unterbringen. Es mag sein, dass Eric Berne, als er das Wort „stroke“ prägte, überhaupt den ersten Schritt zu einer rationalen Diskussion über die wichtigste menschliche Grundfertigkeit tat: den Schritt zu einem sachlichen Verständnis der Liebesfähigkeit (Steiner, 1987, S. 130).

Claude Steiner gebührt zudem das Verdienst, „Liebe“ aus dem philosophischen, religiösen und dichterischen Raum herausgeholt und ihr einen Platz in der angewandten Psychologie gegeben zu haben. Es sind einfach nachvollziehbare, praktikable und hoch wirksame Möglichkeiten für den realen Alltag zur Bereicherung unseres Lebens.

Claude Steiner hatte drei Kinder und sechs Enkel. Mit seiner Frau lebte er in Berkeley und auf seiner Farm in Ukiah, Mendocino County in Kalifornien. Über sein Wirken und sich selbst schreibt er:

Im Lauf der vielen Jahre, die ich an diesen Techniken gearbeitet habe, habe ich sie auch auf mich angewandt und meine Familie, Freunde und Mitarbeiter dazu ermutigt, sie zu übernehmen. Ich habe Bücher geschrieben, Vorlesungen gehalten und Workshops veranstaltet, und während dieser Arbeit hat sich mein „EQ“ [Emotional Quotient] immer weiter entwickelt. Ich habe gelernt, wie ich ohne Hemmungen Liebe und Zuneigung geben und empfangen kann; ich lege mir Rechenschaft über meine Gefühle und den Grund ihres Entstehens ab; ich bin mir selbst gegenüber ehrlich und gehe nicht mehr automatisch in die Defensive, wenn jemand mir gegenübertritt; auch habe ich gelernt, meine Fehler einzugestehen und mich aufrichtig dafür zu entschuldigen. Am wichtigsten ist jedoch die Erfahrung, dass meine emotionalen Möglichkeiten ausbaufähig sind und ich meine emotionale Kompetenz immer noch erweitern kann.

Einer der häufigsten Strokes, die ich von Freunden und Trainingsteilnehmern bekomme, bestätigt mir, dass ich lebe, was ich lehre, dass mein Verhalten sich mit meinen Theorien deckt. Das heisst nicht, dass ich bereits vollkommene emotionale Kompetenz erreicht hätte, sondern nur, dass ich auf dem richtigen Weg bin und gut dabei vorankomme (Steiner, 2001, S. 19).

Claude Steiner (1935–2017)

Claude Steiner verstarb am 6. Oktober 2017 im Alter von 82 Jahren auf seinem Wohnsitz in Kalifornien im Kreis seiner Familie. Seine letzten Worte waren:

„Love is the answer, I am so lucky.“

Wie Sie dieses Buch lesen

Wie ziehen Sie den bestmöglichen Nutzen aus diesem Buch?

Teil I EMOTIONALES ABC (Grundlagen der Emotionalen Kompetenz) behandelt in kompakter Form alles, was dazu wissenswert ist. Haben Sie bereits ein Training besucht, wählen Sie jene Kapitel aus, wo Sie ihr Wissen auffrischen oder vertiefen möchten. Sind Sie neu, lesen Sie am besten von Anfang an jedes Kapitel.

Teil II HINTERGRUND TRANSAKTIONSANALYSE (Die Wurzeln der Emotionalen Kompetenz) erklärt in Kapiteln kurz, auf welchen Grundlagen diese Methode entstand. Es ist aufschlussreich, aber nicht notwendig, etwas über diese Hintergründe zu erfahren. Empfehlenswert ist dieser Teil vor allem, wenn Sie Emotionale Kompetenz schon länger kennen und praktizieren. Ebenso, falls Sie das Wissen und die Praxis dafür lehrend weitergeben.

Teil III ANDERE KOSTBARKEITEN (Nachbargebiete der Emotionalen Kompetenz). Hier findet sich einiges, dessen Kenntnis und Praxis der Emotionalen Kompetenz weiteren Tiefgang vermittelt. Es sind subjektiv ausgewählte Themen. Sehen Sie selbst, was Sie anspricht.

Um einen kleinen Eindruck zu gewinnen, wie man Emotionale Kompetenz schrittweise erreicht, lade ich Sie zu den im Buch eingestreuten Übungen ein. Zwar ist das ein „Üben auf dem Trockenen“, aber das zählt ebenfalls. Es sind Kostproben, „Appetithäppchen“, wie sie munden, wenn man Emotionale Kompetenz anwendet. Sie stellen aber keinen Ersatz für den Besuch von Trainings dar. Führen Sie die Übungen nicht allein im Kopf aus. Sie werden sonst leicht abgelenkt. Verwenden Sie Stift und Papier. Das hilft auch die Geläufigkeit im Ausdruck, in der Formulierung zu verbessern. Sie ist wichtig im Alltag im Umgang mit Personen unterschiedlicher Mentalität.

Hinweise

In den Beispielen kommen Frauen („Sie“) und Männer („Er“) möglichst ausgewogen zur Sprache als Zeichen der Gleichwertigkeit der Geschlechter.

In den Texten werden Sie, lieber Leser, an manchen Stellen eher distanziert mit „Sie“, und an anderen persönlich mit „du“, angesprochen. Auf eine durchgehend einheitliche Anrede wurde bewusst verzichtet.

Bei eingerücktem Text in kleinerer Schrift handelt es sich um Zitate. Sie wurden häufig und zum Teil ausführlich aufgenommen, um andere Autoren unmittelbar „zu Wort“ kommen zu lassen. Dies gilt vor allem für Texte von Claude Steiner. Von ihm gibt es derzeit keine deutschsprachige Literatur zur Emotionalen Kompetenz. Viele Zitate stammen auch aus älteren Quellen. Diese weisen manchmal andere Schreibweisen als heute und grammatikalische Unzulänglichkeiten auf. Um den Lesefluss nicht zu stören, wurde manches korrigiert. Die inhaltlichen Aussagen bleiben davon unberührt. Jegliche Auslassungen im Text sind durch drei Punkte ... gekennzeichnet und eigene Anmerkungen in eckigen Klammern [...] eingefügt. Einiges wurde aus dem Englischen übersetzt.

Beispiele und Übungen sind kursiv gesetzt. Stammen sie von anderen Autoren, dann findet sich am Textende ein Quellenhinweis.

Claude Steiner nennt seine Methoden, um emotionale Fähigkeiten zu entwickeln,

Emotional Literacy.

Im deutschsprachigen Raum hat sich dafür der Name

Emotionale Kompetenz

eingebürgert. Diese Schreibweise steht für seine Konzepte. Sie weist darauf hin, dass es sich nicht um verschiedenartige und allgemeine Ausführungen auf dem Gebiet der Gefühle und deren Umgang handelt.

Übung: Hier eine erste Übung unter dem Leitsatz oder Motto „Motivation ist der Schlüssel zum Erfolg“. Um ein Ziel zu erreichen, ist es wichtig zu wissen warum. Das gibt uns die notwendige Energie, Begeisterung, Schwung und Ausdauer. Ohne ihn verlieren wir den Weg aus den Augen, ermatten und verirren uns auf Neben- und Abwegen.

Ich lade Sie ein, sich ein wenig mit den folgenden Fragen zu beschäftigen: Was veranlasst Sie, sich mit dem Thema „Einander begegnen mit Kopf und Herz“ zu befassen? Ist es persönliches oder fachliches Interesse? Was erwarten Sie sich davon? Was sollte sich dadurch verändern und was wäre dann anders?

Nehmen Sie sich Zeit für die Antworten. Forschen Sie nach dem Nutzen, den Vorteilen, der vermehrten Freude, der größeren Energie und dem tieferen Sinn. Geben Sie Raum für konkrete Beispiele und Ereignisse, wie etwas neu oder anders werden könnte. Lassen Sie alles an Gedanken, Gefühlen, Worten und Bildern aufsteigen, was kommen möchte, ohne es gleich zu bewerten oder zu hinterfragen. Hören Sie sich als Beobachter selbst interessiert und anteilnehmend zu. Vor allem spüren Sie, wie innere Kraft, Freude und Energie allein dadurch zunehmen kann. Oft ist das bis in den Körper spürbar. „Ja, selbstbewusster meine Meinung vertreten, das wäre schön. Anders dastehen, da merke ich gleich, wie sich meine Stimmung zum Positiven ändert und der Rücken aufrichtet …“

Legen Sie dieses Buch für ein paar Minuten beiseite und führen Sie dazu einen kleinen Dialog mit sich. Hören Sie sich selbst zu. Um Ablenkungen zu verringern und später zu erinnern, hilft manchen, sich Notizen zu machen oder etwas zu zeichnen.

Erinnern Sie sich von Zeit zu Zeit an das, was Sie motiviert und ihre Ziele sind. Vor allem aber freuen und wertschätzen Sie die kleinen und kaum wahrnehmbaren Schritte der Veränderung. Schützen Sie diese vor der lauten und unbarmherzigen Stimme des inneren Kritikers. Sie stehen hier nicht unter Druck und Bewertung. Es geht um Wachstum und das braucht seine Zeit. Bei einer Pflanze zieht man auch nicht jeden Tag am Stängel, damit sie größer wird. Viele kleine Schritte führen zum Ziel. Oft sind sie kaum wahrnehmbar, dann aber geschieht auf einmal eine bemerkenswerte Veränderung. Fehl- und Rückschritte gehören dazu. Aber sie sollen nicht daran hindern, immer weiter zu gehen – Übung macht den Meister.

TEIL I

EMOTIONALES ABC

GRUNDLAGEN DER EMOTIONALEN KOMPETENZ

1

OHNE EMOTIONALE BEWUSSTHEIT KEINE EMOTIONALE KOMPETENZ

„Was ich nicht sehe, das kann es nicht geben,“ sagte die Taube und steckte den Kopf in den Sand. Die Katze hatte ein leichtes Spiel mit ihr.

Volksweisheit

Es gibt Menschen, die nennt man „Elefanten im Porzellanladen“, weil sie nicht wahrnehmen, was für einen Schaden sie anrichten.

Dann sind da die „Mimosen“, welche schon beim geringsten emotionalen Windhauch zittern. Dazwischen befindet sich die große Mehrheit.

Emotionale Kompetenz setzt gefühlsmäßige Bewusstheit voraus. Nur zu denken, was man selbst oder andere empfinden könnten, genügt nicht.

„Ich fühle mich übergangen“

drückt kein Gefühl aus. Nicht beachtet werden, ist eine gedankliche Bewertung. Sie löst vielleicht Ärger oder Traurigkeit aus. Man kann direkt sagen

„Ich habe den Eindruck, ich wurde übergangen. Das ärgert mich.“

Das könnte Angst machen.“ H

ier wird mehr über die Folgen eines Gefühls in verallgemeinerter Form nachgedacht und weniger darauf eingegangen. Warum nicht direkt mitteilen:

„Ich habe Angst.“

„Die Zusage ist da! Ich kann es vor lauter Freude kaum fassen und würde am liebsten in die Luft springen.“

Ja, das drückt den Grund, das damit verbundene Gefühl und eine Reaktion im Körper aus.

Es geht um das bewusste Wahrnehmen und Mitteilen unserer Emotionen, Gefühle, Empfindungen, Stimmungen und körperlichen Sensationen. Dann wird klar, was ihr Grund ist.

„Wenn ich daran denke, was er zu mir sagte … ich kann gar nicht genau sagen, was ich da empfinde … hmm, vielleicht so was wie Trauer, wir gingen doch früher nicht so miteinander um … aber da ist noch etwas anderes, Tieferes … oh ja, jetzt habe ich es, es ist Wut … eine Menge Wut … Wut auf ihn und Wut auf mich, dass ich mir das gefallen ließ … weshalb fühle ich mich auf einmal erleichtert?“

Was ist geschehen? Ein zunächst vages Gefühl zentrierte sich erst als Trauer und dann als Wut. Das Empfinden, Unbestimmtem ausgeliefert zu sein, veränderte sich zu einem klaren Erkennen. Das erleichtert, auch wenn das Problem damit noch nicht gelöst ist. Passende Handlungen können folgen. Über etwas sprechen, hilft sich bewusst zu werden, worum es eigentlich geht. Wir lösen uns aus der Identifikation mit den Emotionen, gewinnen Abstand und sind ihnen nicht mehr schutzlos preisgegeben. Das lässt die innere Kraft sich wieder sammeln und macht sie verfügbar. So oder ähnlich läuft ein emotionaler Bewusstseinsprozess ab.

Ohne emotionale Bewusstheit ist Emotionale Kompetenz zum Scheitern verurteilt. Claude Steiner (2001, S. 50) hat eine Skala emotionaler Bewusstheit formuliert. Auf der ersten Stufe nimmt man nichts wahr, weder Emotionen noch körperliche Begleiterscheinungen. Die oberste Stufe nennt sich Interaktivität. Sie steht für ein vollbewusstes Erleben und Steuern emotionaler Vorgänge in und um uns und ist nach oben offen. Diese Fähigkeit ist unbegrenzt. Die Übergänge zwischen den Stufen sind fließend.

Skala emotionaler Bewusstheit

Die Skala hilft wahrzunehmen, wie emotional bewusst wir sind und auf welcher Stufe wir uns befinden. Je mehr emotionale Kompetenz verwirklicht und gelebt wird, umso häufiger sind wir auf den oberen Stufen.

1) Taubheit

Das erste Stadium ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Mensch keine Gefühle, wie Freude, Trauer, Angst oder Wut, wahrnehmen kann. Er weiß wohl um sie, kann sie aber nicht spüren. Das betrifft gleichermaßen ihre körperlichen Begleiterscheinungen. So kann sich Wut in einem hochroten Gesicht, zusammengebissenen Zähnen, angespannten Schultern und geballten Fäusten zeigen. Ebenso Angst durch flackernde Augenbewegungen, Zittern und Schweißausbrüche. All das nimmt aber der Betreffenden selbst nicht wahr. Auf die Frage, was er denn empfindet, kommt häufig die Antwort „nichts“ oder „Ich weiß nicht“. Gibt es das überhaupt, gar nichts zu empfinden? Ja, denn damit hilft uns die Natur — vergleichsweise mit physischer Ohnmacht — extreme Situationen zu überstehen.

Taubheit hat mehrere Ursachen. Eine davon ist körperliche Veranlagung. Öfter jedoch körperliche Gewalt und Missbrauch in den frühen Lebensjahren und damit verbunden die Abspaltung all dessen vom Bewusstsein, was damit verbunden war. Weiterhin, dass Gefühle nicht gelebt werden durften oder eine extreme Fixierung im Kopfbereich unter weitgehendem Ausschluss von Gefühlen.

Es gibt verschiedene Abstufungen: Keinerlei Empfinden, nur ein unbestimmtes, vages, nicht zu beschreibendes Wahrnehmen und ansatzweise etwas wie Kälte, Nebel oder Distanziertheit. Ein wacher Beobachter kann aber an der eigenen gefühlsmäßigen Reaktion und am Gesichtsausdruck des anderen, dessen Stimme und Körperhaltung wahrnehmen, welche Emotionen im Hintergrund wirksam sind.

Zu den verborgenen Emotionen vorzudringen, gelingt der Person selbst meist nicht. Es herrscht Gefühlsblindheit. Manchmal, wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind, lösen sich die Blockaden. Dann gibt es eine zeitweise Öffnung, aber sie ist unkontrolliert. Gefühle und Reaktionen verschaffen sich gewaltsam Bahn. Der Betreffende ist in Gefahr, sich und andere durch sein Verhalten zu schaden.

Der Zugang, die Kommunikation und das Zusammensein mit solchen Personen ist schwierig. Er ist für jemanden, dem der Umgang mit Gefühlen wenig vertraut ist, belastend und herausfordernd. Beispielsweise ist ein depressiver Zustand nicht nur für den Betroffenen schwer zu ertragen. Auch die Menschen um ihn müssen damit zurechtkommen, dass der emotionale Austausch fehlt.

Taubheit für Gefühle und einhergehende körperliche Vorgänge machen einen Menschen nur scheinbar belastbar, stabil und durchsetzungsfähig. Der Preis dafür ist emotionale Trockenheit, Distanziertheit und Anfälligkeit für psychosomatische Störungen.

2) Körperliche Empfindungen

In diesem Zustand ist die körperliche Taubheit aufgehoben. Die physische Befindlichkeit ist wahrnehmbar. Was hinter diesen Empfindungen steckt, bleibt jedoch unzugänglich. Die auslösenden Emotionen sind verborgen.

Julia steht vor einer wichtigen Prüfung. Sie ist nervös, schwitzt, zittert und hat feuchte Hände. Das verursachende Gefühl, ihre Angst, nimmt sie nicht wahr, selbst als sie darauf angesprochen wird.

Diese Verfassung kann dazu verleiten, Medikamente, Alkohol oder Drogen zu sich nehmen, um damit die „körperliche Störung“ zu beseitigen.

Klaus ist ein viel beschäftigter Manager. Er leidet unter Einschlafproblemen. Dagegen nimmt er regelmäßig etwas ein. Morgens wacht er benommen auf und braucht einen starken Kaffee, um wieder in die Gänge zu kommen. Die Idee, dass sein Problem von Überforderung, Hetze und Stress herrührt, bestreitet er.

Erkennt und beseitigt man nicht die Ursachen der physischen Symptome, verschärft sich die Situation. Die körperlichen und psychischen Beschwerden nehmen nicht ab; im Gegenteil: Sie verstärken sich!

In diesem Zustand emotionaler Unbewusstheit können sie bei anderen Menschen großen emotionalen Schaden anrichten. Starke Gefühle, die man sich nicht eingesteht, können zu verletzendem Verhalten führen. Menschen rasten aus, misshandeln andere, empfinden dann vielleicht extreme Schuldgefühle, igeln sich ein und verringern damit ihre emotionale Bewusstheit noch weiter, setzen den Teufelskreis aus Missbrauch, Schmerz, Taubheit und emotionaler Inkompetenz fort (Steiner, 2017, S. 48).

3) Chaotisches Erleben

Menschen in diesem Zustand haben es nicht leicht. Sie sind über Gefühle leicht ansprechbar, aber ebenso aus der Fassung zu bringen und verletzbar. Es fällt ihnen schwer, die Intensität ihrer Empfindungen zu steuern. Sie neigen zu unkontrollierten Reaktionen, emotionalen Ausbrüchen, Niedergeschlagenheit und Depressionen. Gehören sie zu einer Gruppe, die unter Druck gerät, verlieren sie als erste die Nerven, brechen zusammen oder rasten aus. In extremer Ausprägung würde ein Psychiater vermutlich von einer Borderline-Persönlichkeit sprechen, die weniger auf eine Behandlung mit Psychotherapie als auf Medikamente anspricht (Steiner, 2017, S. 39). All das ist für manche Personen Grund genug, die Beschäftigung mit Gefühlen als nutzlos und sogar schädlich abzulehnen.

Beweist nicht „cooles Auftreten“ in der Öffentlichkeit und im Geschäftsleben, dass man souverän über den Dingen steht und nicht so leicht aus der Fassung zu bringen ist? Erleichtert es nicht, von „subjektiven“ Gefühlen ungestört, klare und schnelle Entscheidungen zu treffen? Das scheint so zu sein. Eine emotional kompetente Persönlichkeit verfügt aber nicht nur über einen klar denkenden Verstand, sondern hat auch Zugang zu ihrem Gefühlsbereich mit ihren vielfältigen Emotionen, die sie kontrollieren kann. Weder der Kopf noch das Herz alleine entscheidet, sondern beide gemeinsam. Ausschließliche Gefühlsorientierung oder Gefühlsblindheit sind schädlich. Ebenso überzogene oder fehlende Rationalität. Man verfügt über viel mehr Informationen, wenn man neben den sachlichen Aspekten auch die im Spiel befindlichen Gefühle und Bedürfnisse kennt. Damit mögen Entscheidungen „mit dem Holzhammer“ erschwert sein. Aber diese sollten sowieso auf Notfälle und Extremsituationen begrenzt bleiben und nicht als anzustrebende allgemeine Empfehlung, als Handlungsmaxime gelten. Werden die Gefühle mit einbezogen, nehmen nachhaltige, dauerhafte, die Bedürfnisse aller berücksichtigende Entscheidungen zu und werden alle Aspekte einbezogen.

Macht wird gemeinhin als Kontrolle definiert, vor allem als Kontrolle über Menschen und/oder Geld. Wir denken dabei an Wirtschaftsbosse, gerissene Politiker und gut verdienende Spitzensportler – Persönlichkeiten also, die ihre Gefühle vollkommen im Griff haben und „cool“ sind. Genau dieses Verhalten erwarten wir mittlerweile von den Mächtigen und Reichen, und eifern ihnen nach, weil auch wir davon überzeugt sind, dass Emotionen manipuliert und strikt im Zaum gehalten werden sollten. Unsere wahre Macht [verstanden als Kraft, Stärke, Energie oder beschützende und nicht bestrafende Macht] stammt jedoch aus zwischenmenschlichen Beziehungen, die wirklich zufriedenstellend sind, und aus sinnvoller Arbeit, beides inkompatibel mit unterdrückten und manipulierten Gefühlen. Unsere individuelle Macht ist ganz im Gegenteil davon abhängig, dass wir eine entspannte Haltung zu unseren eigenen Gefühlen und den Gefühlen anderer Menschen entwickeln. Emotionale Kompetenz verlangt also, dass wir unsere Gefühle erkennen und sie zum Ausdruck bringen und so eine Wechselbeziehung zwischen ihnen und unseren rationalen, verbalen Persönlichkeitsanteilen entwickeln …

Emotionale Kompetenz macht es möglich, dass jedes Gespräch, jeder menschliche Kontakt und jede Partnerschaft, wie kurz oder langfristig auch immer, den größtmöglichen Wert für alle Beteiligten hat. Auch wenn sie keinen unbegrenzten Zugang zu Geld und anderen Dingen garantiert, ist Emotionale Kompetenz ein Schlüssel zu persönlicher Größe, denn Emotionen sind mächtig und wenn Sie es schaffen, sie für sich und nicht gegen sich arbeiten zu lassen, werden sie Ihnen ihre Stärke verleihen (Steiner, 2017, S. 11).

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Sprachbarriere

Die Sprachbarriere zu überschreiten bedeutet, dass wir unseren emotionalen Erfahrungen mit Worten Ausdruck verleihen können.

Claude Steiner

Es gibt viele Ursachen, die uns am Umgang mit Emotionen und dem Sprechen darüber hindern:

Eine Beschäftigung mit Gefühlen in den frühen Lebensjahren fand nicht statt. Empfindungen wurden negiert, verboten, als unwichtig, störend oder hinderlich abgetan.

Ein Indianer kennt keinen Schmerz

.“ – „

Angst hat jeder, das ist einfach so

.“ – „

Sei nicht so eine Heulsuse

.“

Wir wurden nicht unterstützt, über auftauchende Empfindungen zu sprechen, sie zu beschreiben und zu benennen. Es entwickelte sich kein Gefühlsvokabular. So blieben sie weiterhin unbestimmt, vage und neblig. Ihre Intensität, Vielfalt und die Gründe durften nicht bewusst werden.

Man beschämte uns für unerwünschtes soziales Verhalten. „

Pfui, lass das! Dreckige Finger in den Mund stecken, so etwas tut man nicht

!“

Wir verbinden die Welt der Emotionen mit der Vorstellung, sie sei eine Schlangengrube. „

Gefühle sind gefährlich.Sie sind wie die Büchse der Pandora. Einmal geöffnet, lässt sie sich nicht mehr schließen und ihr Inhalt überflutet alles

.“

Angst, Wut oder Trauer steigen wieder auf, wenn wir uns an unangenehme Begebenheiten erinnern. Wir befürchten, von diesen Emotionen überwältigt zu werden.

„Wenn ich nur daran denke, könnte ich schon zuschlagen.“

Wir sind der Ansicht, die Vergangenheit ist nicht zu ändern und am besten vergessen wir sie. „

Was soll ich mich viel mit früher beschäftigen. Das bringt doch nur Unruhe in mein jetziges Leben

.“

„Leichen im Keller? Die hat jede Familie. Am besten lässt man sie in Ruhe.“

Die Erfahrung zeigt jedoch, sie treiben ungefragt im Verborgenen ihr Unwesen. Sie warten darauf, erlöst zu werden.

Wir sind überzeugt, Gefühle einzugestehen, schwächt uns. „

Warum auf meine Trauer achten? Das zieht mich nur noch mehr herunter

.“

Es wird nicht unterschieden zwischen dem Bewußtwerden (

„In mir ist eine riesige Wut“

) und dem Ausleben von Emotionen (

„Vor lauter Wut schlage ich alles kaputt“

). Wahrgenommene Emotionen können gesteuert werden.

Verdrängte wuchern im Verborgenen und führen zu plötzlichen unkontrollierten Ausbrüchen.

Wir leben in einem sozialen oder eher gesagt „unsozialen“ Umfeld, das Gefühle und was damit zusammenhängt mit Schwäche und Unfähigkeit assoziiert und abwertet. „

Er sagte in aller Öffentlichkeit, dass er ein Alkoholproblem hat und dagegen nicht ankommt. So ein Schwächling.

“ In härteren Gefilden kommen dazu verschiedenste Formen von Sanktionen, wie Nichtbeachtung, Ausgrenzung usw. „

Wir sollten sie schleunigst loswerden. Sie hat tatsächlich mehreren Leuten gesagt, sie fühlt sich ...

Die Angst vor scheinbar negativen, schädlichen und behindernden Gefühlen wird negiert und stattdessen ein gegenteiliges Verhalten glorifiziert. Sprüche wie „

Viel Feind, viel Ehr

“ sollen Angst durch Tollkühnheit ersetzen.„

Wo gehobelt wird, da fallen Späne

“ ignoriert das mit einem Geschehen verbundene Leid und versucht, es als unvermeidlich zu deklarieren.

Für manche Menschen scheint die Sprachbarriere eine undurchdringliche Mauer zu seien. Zudem ist sie oft nicht wahrnehmbar, wird geleugnet oder verharmlost. Die Einwendungen, warum eine Beschäftigung mit Gefühlen nichts bringt oder sogar nachteilig ist, sind unüberschaubar. Wie gelingt es aber, aus emotionaler Taubheit, körperlichem Missempfinden und Gefühlsverwirrung herauszukommen? Wie den Emotionen helfen aufzutauchen, ohne den Kopf zu verlieren, und von ihnen überwältigt zu werden? Es braucht eine vertrauensvolle und sichere Atmosphäre. Einen Raum, wo sie die Möglichkeit haben, zum Ausdruck und zur Sprache zu kommen. Wo innere Blockaden nicht mehr gebraucht werden, sich auflösen und Schritte der Veränderung stattfinden. Dazu braucht es den Austausch, das Gespräch mit einem mitfühlenden Menschen oder eine empathische Gruppe. Hilfreich, wenn auch weniger, ist ein Dialog alleine mit sich selbst.

Öffnet sich auf diese Weise der Zugang zur inneren Welt, wird der Weg frei für eine differenzierte Wahrnehmung von Empfindungen, Intuitionen und das Erkunden von Ursachen. Das Mitgefühl für andere und sich selbst nimmt zu. Anstelle von Be- und Verurteilungen wächst emotional kompetentes Verhalten und mündet schließlich in Interaktivität. Lebensfreude und Lebensenergie bahnen sich Raum und beginnen wieder zu fließen.

Die Sprache der Gefühle wird benötigt, um die höheren Ebenen der emotionalen Kompetenz zu entwickeln.

Claude Steiner

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4) Differenzierung

Gelingt es, Gefühle zu differenzieren und in Worten auszudrücken, treten wir in ihre Welt ein, ohne uns darin zu verlieren. Im Gegenteil, wir gewinnen einen verloren gegangenen Teil wieder. Wir merken, dass simplifizierende Allgemeinausdrücke wie cool, super, toll, schräg, Mist usw. nicht ausreichen, Empfindungen angemessen zu beschreiben. Wir folgen nicht mehr verbreiteten emotionalen Reaktionsmustern: „Wenn mir jemand im Straßenverkehr die Vorfahrt nimmt, ist doch klar, dass ich wütend werde!“ Stattdessen werden die Nuancen, Färbungen und der Charakter der einzelnen Gefühle bewusster. Schönes ist nicht mehr nur „schön“, sondern genauer und tiefer in Worte gefasst wunderbar, erfreulich, aufbauend, erheiternd, lustig, niedlich, erhaben, großartig, majestätisch. Selbst etwas wie „grau“ zeigt sich in verschiedenartigsten Ausformungen.

angegraut • aschgrau • bleifarbig • erdfahl • eisgrau, eselsgrau • fahl • feldgrau • grau • gräulich • griesgrau • helldunkel • isabellenfarben • mausgrau • meliert • sandfarben • perlgrau • schmutzgrau • schmutzigweiß • schwarzgrau • silbergrau • stahlgrau • taubengrau • weißgrau | Gräue • Pfeffer und Salz • Farbe der Not (Dornseiff, 1970, S. 224)

Gefühle haben unterschiedliche Intensitätsgrade. Man kann sie messen, einstufen von 0 (nicht gegeben) bis 10 (maximale Stärke). „Wie wütend bist du, gemessen auf einer Skala von 0 bis 10?“

Die Intensität und Stärke der Empfindungen wird bewusst, aber überwältigt nicht. Es können sogar zur selben Zeit konträre Gefühle wie Freude oder Trauer, Angst und Wut da sein: „Lange habe ich hier gewohnt und nun der Umzug in eine schönere Wohnung. Ich freue mich und bin zugleich traurig.“ Ebenso ist es möglich, dass sich Emotionen mit Gedanken vermischen. Sie brauchen Raum und Zeit zum Auftauchen und verarbeitet werden.

In Miras Firma herrscht wieder der Rotstift. Diesmal trifft er auch sie. Ihr derzeitiger Arbeitsplatz wird aufgelöst. Als Ausgleich erhält sie das Angebot für eine Stelle in einem anderen, weiter entfernten Werk. Nach dem ersten Schock macht sich in ihr Enttäuschung breit. Das hatte sie wirklich nicht erwartet. In Entmutigung mischt sich Traurigkeit. Die jetzige Arbeit gefällt ihr und sie hat nette Kolleginnen und Kollegen. Als dieses Gefühl nachlässt, merkt sie, wie frustriert sie ist. Nein, eigentlich ist es massiver Ärger und sogar Wut. Wieder etwas später melden sich Unsicherheit, Zweifel und Angst. Soll sie die neue Stelle annehmen? Was erwartet sie dort? Wird es notwendig sein, deswegen umzuziehen? Wie kommen sie und ihre Familie mit den Veränderungen zurecht? Eine ganze Palette an Empfindungen und Gedanken öffnet sich vor dem inneren Auge und will bedacht werden.

5) Kausalität

Der Grund oder Auslöser für unsere Gefühle wird zunehmend bewusster.

„Sie gefiel mir auf Anhieb. Warum? Ich mag sportliche Typen.“ –„Diese unerklärliche Unruhe ... jetzt kommt es mir ... ich habe vergessen, die Wohnung abzuschließen.“ – „Ich finde ihn unsympathisch. Dafür schäme ich mich fast ... aber klar ... er erinnert an jemanden, den ich eklig fand.“

Die Kausalität führt weit zurück zu den eigentlichen Ursachen von Gefühlen. Emotionen haben kein vom übrigen Leben abgespaltenes Dasein. Sie sind im Gegenteil zentraler Ausdruck der Befindlichkeit. Sie signalisieren erfüllte oder unerfüllte Wünsche.

„Wieder diese Angst und Zerfahrenheit, sobald ich vor mehr Menschen etwas sagen soll. Ja, das kommt von früher. In der Schule, wo ich für meine Beiträge fast nur Kritik erntete und kaum Lob. Als die Mitschüler anfingen zu kichern … Ich brauche Vertrauen und Sicherheit, um mich wohlzufühlen.“

Gefühle und sie auslösende Bedürfnisse sind wie Wegweiser. Sie zeigen uns, ob wir auf der rechten Lebensspur oder von ihr abgewichen sind. Sie helfen wieder zurückzufinden.

Differenzierung und Kausalität entwickeln sich langsam und in Schritten. Allmählich öffnen sich der innere Blick und die Nebel über der emotionalen Landschaft heben sich. Es ist spannungsreich, herausfordernd, ein bereicherndes und das Leben förderndes Unternehmen.

Wenn wir die Natur der Gefühle, ihre Namen und Intensität besser begreifen, beginnen wir auch, deren Ursachen zu verstehen: Welches Ereignis unsere emotionale Reaktion auslöst, warum wir Freude oder Hass empfinden und woher unsere Angst oder Hoffnung stammen (Steiner, 2017, S. 42).

6) Empathie

Gefühle in ihrer Vielfalt, ihren Abstufungen, wahrzunehmen und die Gründe dafür kennenzulernen bereitet den Weg, sie bei anderen nachzuempfinden. Manche halten Einfühlung oder Empathie neben Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken für einen eigenen Sinn. Er ist unterschiedlich ausgeprägt von scheinbar nicht existent bis in Grade, die medial erscheinen. Er hilft sich in die Gefühle, Situation und Lebenswelt eines anderen hinein zu versetzen, in Resonanz zu kommen, ohne dabei sich selbst zu verlieren.

Einfühlung ist eine Art der Intuition für Gefühle (Steiner, 2003, S. 58).

Ein genaues ... Verständnis für die innere Welt [des anderen] verspüren, als wäre sie die eigene, ohne jedoch je diese ‚Als-ob‘-Qualität außer acht zu lassen (Rogers, 1991, S. 277).

Empathie: Den Verstand leer machen und mit dem ganzen Wesen zuhören (Rosenberg, 2016, S. 55).

Empathie ist anders als Mitleid. Dort werden wir eins mit den Gefühlen eines Mitmenschen und verschmelzen mit ihnen. Sympathie ist ebenfalls verschieden. Es zieht uns zu Gleichgesinnten aufgrund ähnlicher Empfindungen, Verhaltensweisen, Einstellungen, Neigungen und Ansichten. Antipathie bewirkt das Gegenteil, wir gehen auf Distanz.

Empathisch sein, heißt die Welt mit den Augen des anderen sehen. Also auch seine Gefühle und Anliegen, ohne jedoch sich dabei wie bei Mitleid selbst zu verlieren. So lassen sich leichter Wege finden, welche die Wünsche beider Seiten erfüllen. Nicht mehr entweder – oder, siegen – verlieren: halb gare Entscheidungen und faule Kompromisse sind das Ergebnis. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass am Ende alle Gewinner sind, also eine Win-Win-Situation entstanden ist. Zudem hilft Empathie im Umgang mit „schwierigen“ Menschen; jenen, deren Nähe und Bekanntschaft wir eher meiden.

Empathie ist ein machtvoller Sinn. Dennoch ist er fehlbar. Man kann sich täuschen in Bezug auf andere und eigene Gefühle. Deshalb braucht sie eine Überprüfung durch ehrliches Feedback.

Es gibt keine andere Methode, sein Einfühlungsvermögen zu schärfen, als Fragen zu stellen … Ehrliches Feedback einzuholen ist notwendig, wenn wir die Genauigkeit unserer emotionalen Wahrnehmung erhöhen wollen (Steiner, 2003, S. 61).

Der Umgang mit anderen spiegelt die Begegnung mit uns selbst. Selbstempathie hilft Achtung, Verständnis und Mitempfinden für eigene Schwächen und Fehler zu entwickeln. Selbstbewertung und Selbstkritik nehmen ab. Mit Problemen wird umsichtiger und konstruktiver umgegangen.

„Früher habe ich mich selbst heruntergeputzt, wenn ich einen Fehler gemacht habe, mich nur bewertet und verurteilt … heute frage ich mich mehr, was hat gefehlt und was brauche ich, damit es anders wird … auf einmal finde ich Wege, wie es besser, leichter und angenehmer gehen kann.“

7) Interaktivität

Gefühle wahrnehmen, die Gründe dafür herausfinden und sich in andere empathisch versetzen ist hilfreich und wichtig. Aber um emotionales Geschehen so zu gestalten, dass es nicht entgleist, sondern zu einem positiven Ende führt, braucht es eine weitere Fähigkeit. Claude Steiner nennt sie Interaktivität. Treffen heftige Emotionen aufeinander, steigt der Druck wie in einem Dampfkessel immer mehr und endet, wenn nichts geschieht, in einer unkontrollierten Entladung. Es ist entscheidend zu wissen, wo ist das Ventil, das den Druck reguliert und den Knopf zu betätigen, um die Hitze herunter zu regeln.

Die Stufe der emotionalen Interaktivität erfordert, zu wissen, wie Menschen auf die Gefühle anderer Menschen reagieren und, wann eine Interaktion sich zum Besseren oder zum Schlechteren entwickelt. Man muss menschliche Gefühle also gut genug kennen, um einschätzen zu können, wie der eine auf Wut, Angst oder Traurigkeit reagieren wird und ein anderer auf Sexualität, Freude oder Optimismus (Steiner, 2017, S. 44).

Interaktivität hilft nicht nur die gegenwärtige emotionale Landschaft, die momentane Situation und die derzeit vorherrschenden Gefühle und Energien zu durchschauen. In einem weiteren Schritt nimmt sie mögliche zukünftige Szenarien in den Fokus. Sie versucht, sich ein Bild zu machen, einen Eindruck verschaffen, zu einer Idee kommen, wie hilfreiche und stimmige Ergebnisse erreichbar sind. Dabei helfen die bisherigen Erfahrungen, Beobachtungen, das Wissen über Emotionen und menschliches Verhalten, eigene Gefühle und Intuitionen, Ideen und Fantasien.

Die positiven Wirkungen der Interaktivität beschränken sich nicht auf problembehaftete Situationen. Harmonische, „gute“ Stunden werden durch sie reicher, lebendiger und kraftvoller, Begegnungen tiefer und beglückender.

Empfindungen entstehen und verblassen, wachsen und verschwinden nebeneinander und über gewisse Zeiträume hinweg. Hat man eine hohe Stufe emotionaler Sensibilisierung erreicht, wird man selbst die komplexe Wechselbeziehung der Empfindungen – sei es in einer Person oder im Umgang von Personen miteinander – durchschauen.

Interaktive Bewusstheit beschäftigt sich damit, wie sich Emotionen – chemischen Substanzen vergleichbar – zu neuen Verbindungen fügen, die aufgrund der Ausgangssubstanzen so nicht vorhersehbar waren. Genau wie im Labor können sich Verbindungen als kreativ, träge oder explosiv erweisen. Nur wer über einen großen Erfahrungshorizont oder aber über Weisheit verfügt, wird solche Reaktionen im Voraus bestimmen können (Steiner, 2001, S. 62).

David hat solche Weisheit unter Beweis gestellt, als er seiner heranwachsenden Tochter, die scheu und zurückhaltend ist, seine neue Freundin vorstellte.

Er kannte die Schüchternheit seiner Tochter gut genug, um zu wissen, dass eine Essenseinladung kein glücklicher Rahmen für eine erste Begegnung sein würde. So lud er seine Freundin einfach ein mitzukommen, als er die Tochter mit dem Auto zu ihrer Mutter brachte. Die Fahrt in die andere Stadt gab seiner Tochter Gelegenheit, ihn im Umgang mit der neuen Partnerin zu beobachten, während sie sicher und unbeobachtet auf dem Rücksitz saß.

Auf diese Weise konnte Davids Tochter sich ungestört und ohne den Stress einer förmlichen Einladung ein Bild von ihrer künftigen Stiefmutter machen und leichter Zuneigung zu ihr fassen.

Davids erhöhte Sensibilität hatte ihn vor der an sich nahe liegenden Option eines gemeinsamen Abendessens gewarnt (Steiner, 2001, S. 63).

John und Deidre haben bereits seit Monaten Probleme miteinander. John ist böse, weil Deidre so viel Zeit für ihren neuen Job aufwendet, aber für sie ist es das erste Mal, dass ihr eine Arbeit wirklich Spaß macht und sie ausfüllt. Bisher war John der Hauptverdiener in der Beziehung, und er reagiert mit Eifersucht und Neid auf die neue Situation. Er neigte schon immer zu Gefühlsausbrüchen, aber in letzter Zeit verliert er bei jeder Kleinigkeit die Nerven.

Die beiden haben seit vielen Jahren eine stabile Beziehung, und John weiß, daß Deidre ihn liebt und ihm vertraut, doch seine Wutausbrüche machen ihr zunehmend angst.

Nachdem sie mehrere hitzige und unergiebige Auseinandersetzungen hinter sich haben und Deidre sich anschickt, sich zurückzuziehen, ist John ziemlich ratlos.

Während er über die Lage nachdenkt, erinnert er sich an einen heftigen Streit mit Deidre, den sie im Beisein ihrer Schwester Marsha ausgetragen hatten. Damals hatte ihm Marshas Anwesenheit geholfen, seine Wut im Zaum zu halten (es wäre ihm peinlich gewesen, sich vor ihr so gehenzulassen, wie er das gewöhnlich tat). Andererseits hatte Marsha in aller Ruhe für Deidre Stellung bezogen, weshalb diese ihre Position besser behaupten konnte.

John beschließt also, Marsha am Sonntag zum Brunch einzuladen. Vorher teilt er Deidre und dem Gast mit, dass er vorhat, über Deidres neue Arbeitssituation zu sprechen, und dazu Marshas Hilfe braucht. Die beiden Frauen sind einverstanden, und nach einem guten Essen schlägt John vor, Marsha solle sich neben Deidre setzen und er werde jetzt seine Sicht der Dinge darlegen.

John weiß genau, dass er in einer weniger abgesicherten Situation leicht die Kontrolle über seine Gefühle verlieren und Deidre mit seinem Zorn überfahren würde. Er könnte sie zwar mit einiger Wahrscheinlichkeit dazu bringen, ihre Arbeit einzuschränken, aber über kurz oder lang würde das zu erheblichen emotionalen Problemen führen.

Marsha ist als Vermittlerin gut geeignet, denn sie mag die beiden gern und hat keine Angst vor John. Ihre selbstsichere, ruhige Art gibt John das nötige Selbstvertrauen, sich klar zu äußern, und Deidre hat genug Rückenstärkung, um sich seinen Forderungen zu stellen, ohne sich einschüchtern zu lassen.

Die Situation wäre eine andere gewesen, wenn John gewusst hätte, dass auch Deidre wütend ist und die Konfrontation mit ihm nicht fürchtet. In einer solchen Konstellation wäre ein anderer, direkterer Umgang mit den Problemen ratsam gewesen, sodass es nicht notwendig geworden wäre, nach der vermittelnden Schwester zu suchen.

John ist sich seiner eigenen Gefühle und Veranlagungen bewusst, entsprechend genau kennt er die von Deidre. Aus Erfahrung weiß er, wie sie sich zueinander verhalten werden; es ist abzusehen, dass er die Geduld verlieren und sie anschreien wird, worauf sie zwar einlenken, aber unglücklich und reizbar sein wird.

Er kann also den Problemen vorbeugen, die aus einer solchen Konfrontation entstehen würden (Steiner, 2001, S. 63).

Jenseits der Interaktivität

Auf der Skala der emotionalen Bewusstheit findet sich in einem der letzten Bücher von Claude Steiner (2003, S. 252) über der Stufe der Interaktivität eine weitere, angedeutet mit „???“. Was er damit ausdrücken wollte, bleibt offen. Gibt es diese Stufe überhaupt? Wenn ja, was macht sie aus? Lässt sie sich in Worten beschreiben? Handelt es sich um etwas, womit sich seit alten Zeiten Philosophie, Religion, Mythen und Mystik beschäftigen? Sie bleibt im Schleier des Verborgenen und offen für Spekulationen.

Übung: „Um uns kompetent in der emotionalen Landschaft bewegen zu können, brauchen wir einen Gefühlswortschatz zur Beschreibung der vielfältigen Arten und Nuancen von Empfindungen.“ Wenn Sie diesen Satz lesen, was fühlen Sie und welche Gedanken tauchen auf? Stimmen Sie und Ihr soziales und berufliches Umfeld dem zu oder lehnen Sie es ab? Wie lautet die Begründung? Was braucht es neben solchen „Sprachkenntnissen“ noch unbedingt, damit man nicht ein „Softie“, ein anbiedernder, verantwortungsloser oder manipulierender Wort-Akrobat wird?

Wann, bei wem und bei welcher Gelegenheit hat sich für Sie diese Aussage bestätigt? Lassen Sie die Begebenheit wieder aufleben. Sehen Sie vor dem inneren Auge die Beteiligten und worum es ging. Wie fühlten Sie sich? Was blieb bis heute in guter Erinnerung?

Fragen Sie sich „Auf welcher Stufe der emotionalen Bewusstheit befinde ich mich?“ Sie können ebenfalls ein oder zwei Personen, denen sie vertrauen, um eine Einschätzung ihrerseits bitten. Betrachten Sie aber in jedem Fall deren Aussagen nicht als Bewertung oder Beurteilung. Es sind lediglich subjektiv gefärbte Eindrücke und Erfahrungen im Umgang mit Ihnen. Hören Sie nur zu. Fordern Sie nicht Begründungen und führen Sie keine „Gegenbeweise“ auf. Entschuldigen Sie sich nicht. Vermeiden Sie jede Art von Erklärungen.

Stellen Sie sich vor, Sie sind auf der Stufenleiter und erklimmen die nächste Stufe: was daran erscheint schwierig? Worauf ist zu achten? Gibt es eine Person oder Gruppe, die Sie dabei unterstützen könnte?

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VEREINBARUNGEN — VERTRAUEN BRAUCHT SICHERHEIT

Vertrauen ist der Klebstoff des Lebens. Es ist die wichtigste Komponente für eine zuverlässige Kommunikation. Es ist das grundlegende Konzept, das alle Partnerschaften umfasst.

Stephen Covey

Vertrauen braucht Sicherheit. Dazu dienen Vereinbarungen und Gesetze. Sie regeln und vereinfachen das Zusammenleben, verringern Störungen, vermeiden Grenzüberschreitungen und sorgen für Klarheit und Schutz. In gleicher Weise gehören zu einem emotional kompetenten Umgang Verhaltensregeln. Es sind dies der Kooperative Vertrag, die Vertraulichkeitsvereinbarung und das Fragen um Erlaubnis. Diese drei Abmachungen gelten für alle überall und jederzeit.

Kooperativer Vertrag

Der kooperative Vertrag ist kein schriftliches Gesetzeswerk, aber dennoch eine bindende Übereinkunft. Sie bezieht sich auf drei Aspekte:

1. Keine Machtspiele (Powerplays): Niemandem ist erlaubt, eigene Meinungen, Interessen und Vorhaben gegen den Willen eines anderen durchzusetzen. Verzicht auf sie schafft Sicherheit. Das ist Voraussetzung für Vertrauen. Es werden verschiedene Formen von Machtspielen unterschieden.

Power Plays

I) Grob-körperliche Machtspiele: Mord, Vergewaltigung, Folter, Inhaftierung, Zwangsernährung und -medikation, Verhungern, Körperverletzung. Werfen von Gegenständen und Türen schlagen sind, in absteigender Reihenfolge der Härte und des Körpereinsatzes, alle Machtspiele in diesem Quadranten.

II) Grob-psychologische Machtspiele: drohende Töne und Blicke, Beleidigungen, dreiste Lügen, offensichtliches Schmollen, Unterbrechen, offenkundiges Umdefinieren und Abwerten. Alle sind Beispiele für grobe, immer noch psychologische (weil nicht mit physischer Gewalt verbundene) Machtspiele.

III) Subtil-physische Machtspiele: Sie sind schwieriger zu beschreiben als die bisher beschriebenen groben physischen Power Plays, hängen aber dennoch vom Einsatz des Körpers und seiner Muskulatur ab: Überragen von Personen, Thronen hinter einem Schreibtisch, Stehen an einer prominenten Stelle im Raum, zu nahes Heranrücken an die anderen. Eindringen in den persönlichen Raum von Personen, subtile Zwischentöne in der Stimme. Diese Machtspiele sind für Frauen von besonderer Bedeutung, weil sie immer noch von Männern auf sie angewendet werden.

IV) Subtil-psychologische Machtspiele