Eine Frau mit Autismus - Joachim Strienz - E-Book

Eine Frau mit Autismus E-Book

Joachim Strienz

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Beschreibung

"Eine Frau mit Autismus" ist die Geschichte von Julia und Robert. Julia leidet an Autismus. Frauen und Autismus gibt es überhaupt so etwas? Ja, aber es wird nur selten erkannt, weil Frauen gut darin sind, ihre Probleme klein zu halten. Robert vermittelt Ersatzteile für Oldtimer. Es ist eine Liebe mit vielen Hindernissen. Wie funktioniert das? Lesen Sie selbst!

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Eine Frau mit Autismus

Ich war auf dem Weg zu meiner Fußpflegerin. Vor ein paar Tagen hatte es ganz plötzlich begonnen. Ich war wie jeden Morgen auf dem Crosstrainer gewesen. Täglich eine Viertelstunde musste einfach reichen, sagte ich mir immer. Nebenbei wurde ein Film gezeigt. Ich lief also in verschiedenen Canyons oder durch Venedig oder auch in Südfrankreich. Ich hatte also immer auch Unterhaltung. Das gefiel mir.

Plötzlich tat mir mein Fuß weh. Es kam von einer Sekunde auf die nächste. Es war der linke Fuß. Etwas stimmte da nicht. Ich konnte jetzt auch nicht mehr richtig auftreten. Es tat höllisch weh! Was sollte ich jetzt tun?

Es war doch eigentlich gar nichts passiert! Ich war weder umgeknickt, noch hatte ich mich angestoßen. Aber es war irgendetwas nicht okay. Irgendetwas stimmte da nicht. Aber was? Ich war in Sorge.

Ich kletterte vorsichtig von den Pedalen herunter und alles war wieder gut. Der Schmerz war weg. Vorsichtig belastete ich den Fuß. Dann spürte ich doch wieder ein leichtes Druckgefühl an der linken Fußsohle. In der Mitte, nahe an den Gelenken zu den Zehen, aber dann doch wieder auch noch etwas davor. Und aus dem Druck wurde dann plötzlich sogar ein richtiger Schmerz. Er nahm kontinuierlich zu und dann schmerzte wirklich der Fuß wieder bei jedem Schritt. Der Schmerz steigerte sich, bis er dann ganz unerträglich wurde. Ich ging aber trotzdem weiter. Vorsichtiger allerdings, den Fuß bedächtig aufsetzend. An den nächsten Tagen spürte ich den Schmerz auch. Das war vor allem morgens. Einmal war der Schmerz auch am Nachmittag da. Plötzlich, ohne Voranmeldung. Ich litt sehr! Irgendetwas musste jetzt geschehen!

Aber woher kam dieser Schmerz eigentlich? Ich setzte mich einmal hin und zog den Fuß ganz zu mir heran. Dann drehte ich die Fußsohle nach oben. Ich bemerkte nichts Besonderes. Es war nicht einmal eine Rötung zu sehen. Nichts! Vorsichtig tastete ich das schmerzhafte Gebiet mit meinem Zeigefinger ab. Ich spürte den Knochen. Er war fest und hart. Den Schmerz konnte ich aber so nicht auslösen. Also, was bedeutete das alles! Es war mir ein Rätsel.

Seltsam! Dachte ich und stellte den Fuß wieder auf den Boden. Dann stand ich auf und versuchte ihn nochmals stärker zu belasten. Sofort kam aber der Schmerz wieder zurück. Und er nahm wieder zu, je länger ich ihn belastete. Das war wirklich unangenehm. Aber was sollte ich jetzt tun. Wer konnte mir helfen? Ich war zunächst ratlos.

Sollte ich jetzt vielleicht doch ein Schmerzmittel einnehmen? Ich öffnete die kleine seitliche Schublade an meinem Schreibtisch und schaute hinein Ja, ganz auf der Seite lagen noch zwei Tabletten. Ich nahm sie heraus und betrachtete sie. Eigentlich könnte ich jetzt eine davon nehmen. Ich drückte sie aus der Verpackung und nahm sie in den Mund. Die Tablette schmeckte etwas bitter. Schnell schluckte ich sie hinunter. Jetzt würde der Schmerz schnell nachlassen. So war es dann auch. Es ging ganz schnell. Plötzlich war ich beschwerdefrei. Ich genoss es. Ich konnte wieder normal gehen. Hoffentlich kam der Schmerz nicht mehr wieder zurück. Das wünschte ich mir so sehr. Diese Tabletten waren toll.

Der Schmerz blieb tatsächlich weg. Die nächsten Tage. Die Wirkung der Tablette müsste eigentlich schon wieder vorbei sein, aber der Schmerz kam trotzdem nicht mehr zurück. Einen Tag nicht und auch den nächsten nicht. Ich hatte den Schmerz inzwischen schon wieder ganz vergessen. Unbekümmert war ich wieder umhergegangen. Die Tablette hatte großartig gewirkt. Ich war glücklich.

Dann war er aber plötzlich wieder da. Warum kam er denn wieder? Ich war enttäuscht. Ja, ich war wieder auf meinem Crosstrainer gewesen. So wie immer, nichts Besonderes eben. Es tat dann wirklich wieder unangenehm weh. Schon aus Protest nahm ich jetzt keine Tablette mehr, nein heute nicht. Das musste auch so gehen. Ich wollte nicht. Ich konnte doch nicht dauernd Tabletten einnehmen. Wozu?

Und so ging es immer wieder hin und her. Ich hatte Schmerzen, dann wieder nicht. Sollte ich vielleicht den Fuß nochmals abtasten? Ich schaute hinunter. Es sah aus wie immer. Keine Rötung. Keine Schwellung. Es war nichts zu sehen.

Und wieder vergingen einige Tage.

Doch, heute war es anders. Ich fand, dass der linke Fuß jetzt doch etwas dicker als der rechte war. Ich spielte mit den Zehen. Bewegte sie hin und her. Doch der Fußrücken, am Übergang zu den Zehen, war heute dicker als sonst. Ich drückte vorsichtig mit dem Finger dagegen. Alles war ganz elastisch. Es gab keine Dellen. Aber, der linke Fuß war eindeutig dicker als der rechte. Und der rechte tat ja auch nicht weh. Also hatte die Schwellung etwas mit den Schmerzen zu tun. Ja, so musste es sein. Da war ich mir sicher. Jetzt hatte ich einen Befund. Jetzt war alles klar. Bestimmt gab es eine Untersuchung dafür. Röntgen, CT oder MRT?

Schimmerte da an der Schwellung die Haut nicht auch etwas bläulich? Ich bewegte den Kopf hin und her. Doch, die Haut sah anders aus. Es war nur links, nicht aber rechts. Die Verfärbung lag auf der Schwellung und dort war ja auch der Schmerz. Die Haut schimmerte wirklich etwas bläulich. Also musste etwas passiert sein. Bloß was? Ich wusste es nicht. Ich brauchte jetzt jemanden, der sich damit auskannte.

Also, es war dort doch etwas. Es gab einen Grund für diese Schmerzen. Die bläuliche Verfärbung und die Schwellung waren die Ursache. So musste es sein.

Aber was jetzt?

Es war ein Bluterguss! Aber wovon? Ich hatte mich doch gar nicht gestoßen!

Aber es war wirklich ein leichter Bluterguss!

Aber was jetzt?

Ich hatte plötzlich die Idee, zu meiner Fußpflegerin zu gehen. Nicht zum Orthopäden und auch nicht zum Röntgen. Nein, zu meiner Fußpflegerin. Zu ihr hatte ich vollstes Vertrauen, sie würde sich den Fuß ansehen und dann entscheiden, was getan werden musste. Ihr würde ich alles überlassen. Der Fuß musste jetzt zu ihr. Sie war genial. Sie hatte ein Leben lang nur Füße gesehen. Sie konnte mir bestimmt helfen. Ja, zu ihr musste ich jetzt. Das war mir klar.

Ich war erleichtert. Ich hatte nun eine Entscheidung getroffen. Jetzt würde alles wieder gut werden. Ich freute mich, sie wieder zu sehen. Ich musste zu ihr und zwar möglichst bald. Ich würde einen Termin mit ihr ausmachen.

Ich fuhr mit dem Bus zu ihr, denn es gab dort an der Praxis keine Parkplätze. Der 42er hielt ganz in ihrer Nähe. Es waren dann nur noch ein paar Schritte bis zur Praxis. Das war jetzt eine gute Idee. Sie hatte mir ganz kurzfristig einen Termin gegeben und mir versichert, sie würde den Fuß ganz genau ansehen. Ich sollte jetzt keine vorschnelle Entscheidung treffen.

Der Bus brauchte länger als sonst. Es gab nämlich jetzt eine neue Busspur vor der Ampel. Dadurch dauerte alles viel länger, bis die Fahrzeuge über die Kreuzung kamen, denn es stand jetzt ja nur noch eine normale Fahrbahn zur Verfügung. Auch der Bus brauchte dadurch länger, bis er überhaupt seine Busspur erreichen konnte. Aber das hatten die Planer nicht voraussehen können. Sie wollten ja etwas Gutes bewirken. Dass jetzt das Gegenteil eingetreten war, konnte niemand voraussehen. Nein, wirklich nicht. Jetzt schimpften alle natürlich über die Planer. Sie mussten einem aber eher leidtun. Das konnte nun wirklich niemand voraussehen. So war es eben! Alles gut gemeint.

Dann war ich dort. Ich stand vor ihrer Tür und klingelte. Gleich würde sie öffnen. Sie war schon etwas älter, aber sie war sehr herzlich. Ihr konnte man immer sein Herz ausschütten. Sie hörte sich immer alles an. Dann sagte sie zwei bis drei Sätze und die brachten es dann auf den Punkt. Man war erleichtert. Sie gab immer eine ehrliche Antwort. Ich freute mich auf sie. Manchmal war sie aber auch ziemlich anstrengend. Dann erzählte sie ohne Punkt und Komma von ihren Reisen. Ja, so war sie eben.

Es öffnete sich die Türe und eine sehr junge Frau lächelte mich an. Ich hatte sie bisher noch nie gesehen. Sie war sicherlich neu hier. Ich war überrascht. Sicherlich würde meine Fußpflegerin gleich in der Türe erscheinen.

Sie war blond. Es war ein blond, das irgendwie anders war als ich es bisher kannte. Heller? Nein, etwas, das in ein leichtes grau überging. Das Haar war glatt und lang. Sie war noch jung und sie hatte solche Haare? Ich war überrascht. Sie lächelte mich an. Ihr Lächeln war bezaubernd. Man konnte gar nicht genug davon bekommen. Dieses Lächeln konnte alles heilen, davon war ich plötzlich überzeugt. Ich dachte an meinen Fuß. Hier war ich richtig!

Auch ich lächelte jetzt und ging durch die geöffnete Türe. Sie stand jetzt direkt vor mir. Sie war nicht zu groß, unter 170 cm und schlank. Sie hatte ein schwarzes Hemd an mit schmalen Trägern an. Die Arme waren komplett frei. Der linke Arm war vollständig tätowiert mit Blumen, die wie Rosen aussahen und das Tattoo ging vor bis zu den Fingern. Die Farben Rot und Grün dominierten. Aber das war nicht alles. Das tief ausgeschnittene Hemd gab den oberen Teil ihres Dekolletés frei und zeigte einen Totenkopf und andere Muster, die ich aber nicht eindeutig zuordnen konnte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich war etwas erschrocken. Diese schöne Frau war tätowiert. Warum tat sie das?

Sie lächelte mich noch immer an. Die beiden oberen mittleren Schneidezähne standen etwas weiter auseinander als die benachbarten. Aber es störte nicht. Wirklich nicht. Die Nase war eher klein. Sie hatte dunkle Wimpern, das konnte ich auch noch erkennen. Am Oberkiefer war ein dunkler Fleck sichtbar. Später konnte ich erkennen, dass es auch ein Tattoo war.

„Entschuldigen Sie, aber Frau Reindl ist plötzlich krankgeworden. Sie hat mich nun gebeten, Sie heute zu behandeln. Ich heiße Julia.“

„Gerne komme ich heute auch zu Ihnen“, sagte ich und wir gingen zusammen in den Behandlungsraum. Plötzlich hatte ich Frau Reindl total vergessen. Ihr wollte ich ja meinen Fuß eigentlich anvertrauen.

Ich kannte mich ja bereits aus. Es gab einen großen Behandlungsstuhl, auf dem ich mich niederließ. Ich bückte mich nach vorne. Ich öffnete meine Schnürsenkel, zog dann die Schuhe aus und stellte die Schuhe dann auf der rechten Seite ab. Dann streifte ich noch die Socken vom Fuß ab und legt sie zu den Schuhen. Danach setzte ich mich in den Behandlungsstuhl und streckte die Beine aus.

Sie hatte sich inzwischen eine Schürze umgebunden und Handschuhe angezogen. Dann schob sie einen Hocker an die Schmalseite der Liege, auf den sie sich langsam hinsetzte. Aus einer Schublade nahm sie noch einen Mundschutz und band ihn hinter ihrem Kopf fest.

Geschickt nahm sie einen meiner Füße. Mit der linken Hand hielt sie den Fuß am Fußrücken fest. Dabei lag der Daumen auf der Fußsohle und die anderen Finger über dem Fußrücken. Mein empfindlicher Fuß. Oh je! Ich wartete auf den Schmerz, aber zum Glück tat nichts weh. Ich konnte mich also ganz entspannen und lehnte mich zurück. Sie schaute sich alles genau an. Mit der rechten Hand spreizte sie die Zehen und schaute in die Zwischenräume. Dann legte sie den Fuß ab und holte ihr Werkzeug.

Sie sprach nicht. Auch ich sagte nichts. Ich beobachtete sie aber ganz genau. Diese Frau fand ich doch ziemlich interessant.

Zuerst schnitt sie mir die Fußnägel, dann begann sie die Hornhaut mit dem Schleifapparat abzutragen. Ein hochfrequentes Geräusch war nun zu hören. Sie war sehr geschickt im Umgang mit meinen Füßen.

„Ist alles gut?“ fragte sie mich dann doch einmal und riss mich aus meinen Gedanken.

„Ja“, sagte ich und lächelte sie an.

Sie redete nicht. Ich beobachtete sie die ganze Zeit. Sie redete nicht und fragte mich auch nichts. Ganz anders war da ja ihre Chefin. Die redete ja ununterbrochen. Das war mir oft auch schon zu viel gewesen. Immer ging es um Urlaub und Verreisen. Sie war ja ständig unterwegs. Das war mir immer wieder aufgefallen.

Irgendwann war sie fertig, dann sprühte sich etwas Schaum auf die linke Hand und begann meine Füße damit zu massieren. Ich bin ja so kitzelig an den Füßen. Immer wollte ich meinen Fuß wegziehen, aber sie hielt ihn ganz fest. Sie massierte unverdrossen weiter. Eine wohlige Wärme lag jetzt über meinen Füßen. Ich fühlte mich sehr gut und war jetzt auch ganz entspannt. Ich war sehr zufrieden mit der Behandlung.

„Wir sind so weit!“ sagte sie und legte ihr Handwerkszeug weg. Sie stand auf, holte meine Schuhe und reichte sie mir. Das waren die wenigen Worte, die sie sprach während der gesamten Behandlung.

Ich setzte mich nun wieder auf den Rand der Liege, streifte die Socken über meine Füße und zog die Schuhe wieder an.

Sie beobachtete mich jetzt. Dann trafen sich unsere Blicke. Sie lächelte wieder und sagte dann:

„Sie haben schöne Füße. So schlank und auch so zart die Fußsohlen. Sie sind sicherlich nicht gut beim Barfußlaufen.“

Jetzt musste ich lachen, denn das war ja wirklich so. Ich konnte nicht Barfußlaufen, weil ich jedes Steinchen spürte. Alles war sehr schmerzhaft. Immer hatte ich Schuhe an, auch am Strand.

„Ja, Sie haben recht, das ist sehr schwierig für mich. Ich vermeide es eigentlich immer.“

Ich stand dann auf, bezahlte und reichte ihr die Hand. Sie holte meine Jacke und gab sie mir.

„Wollen Sie jetzt gleich einen neuen Termin ausmachen?“

„Gerne!“ sagte ich.

Wieder lächelte sie mich an und ging wieder zurück zur Anmeldung, wo das Terminbuch lag. Dann schaute sie mich an. Sie wartete auf meine Wünsche.

Ich holte mein Smartphone aus der Tasche und öffnete den Kalender. „Heute in 6 Wochen, ginge das?“

„Bei mir, oder bei meiner Chefin?“

Jetzt strahlte auch ich sie an. Ich konnte wieder zu ihr! Welche Frage!

„Gerne wieder bei Ihnen! Meinen Füßen hat Ihre Behandlung sehr gut gefallen!“

Jetzt musste sie aber auch lachen, und wir lachten nun beide.

„Also bei mir in 6 Wochen!“

Ich gab ihr nochmals die Hand und verließ das Studio.

Draußen schien die Sonne. Diese Frau hatte mich zum Lachen gebracht. Meine Füße schmerzten nicht mehr. Alles war somit gut. Ich war total zufrieden.

Die nächsten Tage waren mit viel Arbeit verbunden, so dass ich wenig Zeit zum Nachdenken hatte. Einmal kam mir ihr Gesicht in den Sinn, das Lachen und ich dachte daran, wie gut sie meine empfindlichen Füße behandelt hatte. Ich freute mich bei dem Gedanken auf den nächsten Termin bei ihr.

Einige Zeit später hatte ich Urlaub. Ein paar Tage ausspannen. Einfach nichts tun. Ich hatte beschlossen, früh morgens zum Bäcker zu gehen und Brezeln und Kuchen zum Frühstück zu holen. Dazu musste ich ein Stück den Berg hinuntergehen, um zum Bäcker zu kommen. Dort gab es halt die leckeren Sachen. Die Verkäuferin packte alles in eine Tüte. Dann ging ich zurück. Gedankenversunken überquerte ich die Straße und dann stand sie plötzlich vor mir. Es war wirklich Julia.

„Hallo!“ sagte sie.

Erst wusste ich nicht, was sie meinte, doch dann erkannte ich sie.

„Hallo!“ sagte ich und blieb stehen.

Sie hatte es eilig, das bemerkte ich sofort. Deshalb sagte ich nur: „Bis bald!“

Sie war bereits weiter gegangen, drehte sich aber nochmals um, winkte kurz und verschwand am Abgang zur S-Bahn.

Weg war sie! Und ich ging langsam weiter mit meiner Tüte. Ja, das war meine Fußpflegerin gewesen. Wir hatten uns kurz gesehen und dann war sie auch schon wieder weg. Schade, aber worüber hätten wir uns denn heute unterhalten können? Sie hatte es eilig, sie war spät dran! Okay, so war das eben. Ich konnte es nicht ändern. Langsam ging ich weiter die Straße entlang nach Hause. Ich freute mich auf das gute Frühstück.

Dann vergaß ich sie wieder total. Die Arbeit hatte mich wieder völlig verschlungen. Ich selbst kam dabei viel zu kurz. Ins Kino gehen? Zu anstrengend. Lieber zuhause bleiben, etwas am PC schreiben, vielleicht eine neue Geschichte und ein Glas Wein dazu trinken. So sah meine Freizeit aus.

Oder auch die Facebook-Freunde beobachten. Was machten die denn so? Einige musste ich blockieren, weil ihre Bilderflut einfach nicht mehr aufhörte. Wenn die 30 Tage abgelaufen waren, dann waren sie plötzlich wieder da und alles begann dann wieder von vorne. Womit beschäftigten die sich eigentlich? Hatten die denn sonst nichts zu tun? Ich konnte es nicht verstehen.

Natürlich mit allem, was das Leben überhaupt interessant machte. Sie reisten in die entlegensten Orte der Welt und sie schickten dann ihre Bilder und schrieben einen Text dazu. Sie gingen in Kunstausstellungen und in Konzerte. In die Oper oder ins Ballett. Sie fuhren schicke Autos und pflegten ihre Gärten. All das war natürlich interessant für mich. Ich hatte ja damit normalerweise keine Berührung. Ich lebte sehr für mich. Ich konnte solche Dinge leider nicht vorzeigen.

Oder sie stellten ihre berufliche Profession heraus. Mode oder Vernissagen. Yoga und Finanzen. Eigentlich eine interessante Welt. Auch politische Aussagen waren darunter. Gegen Populismus, für die Natur. Sehr viel Öko. Es gab auch religiöse Themen. Über Gottesdienste und Pfarrer. Auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare war natürlich ein wichtiges Thema und wurde aber dann auch wieder kontrovers beurteilt. Dabei wurden viele Bibelstellen zitiert. Das war schon seltsam, wie intellektuell doch die christliche Religion inzwischen war. Wie in einer Wissenschaft kam man sich dabei vor.

Hatten die denn alle total vergessen, dass Gott alle Menschen liebte, egal welches Geschlecht sie hatten und welche sexuelle Ausrichtung bestand. Dass er mit Freude seine Hilfe anbot und wir diese Hilfe nur annehmen mussten. Sie war an keine Bedingungen geknüpft. Sie war einfach da. Wo gab es so etwas überhaupt noch! Gott wollte nicht verehrt, er wollte gelebt werden. Das schien inzwischen ganz in Vergessenheit geraten zu sein. Alle anderen Behauptungen waren eine Konstruktion der Menschen. Sie kamen hinzu aus den verschiedensten Gründen. Ich schüttelte den Kopf und schaute weiter. Ja, Kunst- und Musikveranstaltungen überwiegten.

Ich dachte an meinen linken Fuß und bewegte ihn vorsichtig. Ich hatte keinen Schmerz mehr. Dann stand ich auf und lief durchs Zimmer. Bewusst trat ich jetzt ganz fest mit dem linken Fuß auf. Er tat wirklich nicht mehr weh. Gar nicht. Ich drückte mit dem Daumen auf die Fußsohle, aber ich konnte den Schmerz jetzt nicht mehr auslösen. Also, alles war gut. Ich war so froh! Ich lehnte mich zurück. Ich war ein Glückspilz. Aber, das war ich ja eigentlich schon immer gewesen.

Eigentlich könnte ich ja jetzt meinen Termin bei der Fußpflege wieder absagen. Ich bräuchte ihn ja eigentlich nicht mehr. Alles war nun wieder gut. Ich hatte jetzt wirklich keine Schmerzen mehr.

Aber wäre es nicht doch gut, nochmals die Füße von einer Spezialistin ansehen zu lassen? Jemand, der sich wirklich gut mit Füßen auskannte?

Bestimmt! So würde ich es machen. Ich würde nochmals zu ihr gehen. Das war sicher gut. Ich würde danach einfach gelassener sein.

Ich fuhr auch diesmal wieder mit dem Bus, denn an der Praxis war es ja ziemlich schwierig, überhaupt einen Parkplatz zu finden. Es gab einfach zu wenig Parkplätze am Studio. Es wohnten dort viel zu viele Menschen.

Ich war pünktlich und klingelte an der Türe. Sie öffnete sofort. Sie sah wirklich wieder sehr gut aus. Wow! Das blonde Haar war perfekt gerichtet, glatt mit einem hellen Schimmer. Sie hatte eine dunkle Hose an und darüber einen weißen Kittel. Sie lächelte mich an und ich lächelte zurück.

„Guten Tag“, sagte sie und gab mir die Hand. „Hallo“, sagte ich, trat ein, zog meine Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Sie ging vor mir ins Behandlungszimmer und ich setzte mich wieder auf die Liege. Dann zog ich Schuhe und Strümpfe wieder aus und lehnte mich zurück. Sie holte dann ihr Werkzeug aus der Schublade und sah mich an.

„War alles ok?“ fragte sie mich. „Wie geht es Ihrem Fuß?“

„Danke“, sagte ich. „Ich hatte in der letzten Zeit überhaupt keine Schmerzen mehr und das Gehen war auch ohne Probleme. Ich bin sehr froh darüber! Ich glaube, es waren ihre geschickten Hände, die dazu beigetragen haben, dass sich der Fuß jetzt wieder ganz beruhigt hat.“

„Sehr schön!“ sagte sie und strahlte mich dabei an.

Dieses Strahlen haute mich diesmal wirklich um. Eine Frau, die so strahlen konnte, hatte ich noch nie gesehen. Ich war wie betäubt.

Sie begann dann wieder meine Füße zu massieren. Ganz zart, dann aber immer heftiger. Aber es tat nichts mehr weh. Ich entspannte mich immer mehr. Sie feilte mir wieder die Nägel und raspelte auch die Hornhaut an meiner Fußsohle weg, die inzwischen leider schon wieder nachgewachsen war. Alles tat mir so gut. Ich war glücklich. Diese Frau tat mir wirklich gut.

Sie sprach die ganze Zeit wieder nicht. Und auch ich sagte nichts dazu. Ich wollte sie nicht bei ihrer Arbeit stören. Ich beobachtete sie aber dabei ganz genau.

Irgendwann war sie fertig und begann dann meine Füße wieder mit einem Schaum einzureiben. Der hatte wieder diesen kühlenden Effekt und meine Füße wurden dabei ganz leicht. Ein wirklich gutes Gefühl.

Dann war sie fertig. Wieder holte sie meine Schuhe mit den Strümpfen und reichte sie mir. Ich zog sie an und stand auf. Dann kam mir plötzlich die Idee, sie einzuladen. Irgendwie wollte ich mit ihr doch noch etwas länger zusammen sein als nur die 30 Minuten bei der Fußpflege. Sie interessierte mich. Ich wollte mehr von ihr erfahren. Was machte sie so. Hatte sie vielleicht einen Freund oder war sie gerade solo? Das wollte ich jetzt wissen.

Sollte ich sie einfach fragen? Ich nahm jetzt meinen ganzen Mut zusammen.

Und wohin könnten wir gehen? Diese Frau hatte sicherlich einen Freund. Wahrscheinlich waren Scharen von Männern hinter ihr her und sie konnte sich überhaupt nicht mehr retten. Sollte ich es trotzdem probieren? Ich musste halt mit einem „Korb“ rechnen, Egal, ich wollte es versuchen.

„Wann haben Sie denn Mittagspause? Wir könnten doch um die Ecke zum Italiener gehen und eine Kleinigkeit essen. Ich würde mich sehr darüber freuen.“

Dabei schaute ich sie an, genaugenommen schaute ich dabei direkt in ihre Augen.

„Das trifft sich gut, dann mache ich jetzt eine Pause, denn in 45 Minuten kommt der nächste Kunde,“ sagte sie.

WOW! dachte ich. Das war genau richtig. Sie hatte angebissen! Nur Mut!

„Super, dann passt das ja!“ sagte ich so nebenbei.

„Ich hole mir nur noch meine Jacke!“, sagte sie und verschwand im hinteren Teil der Praxis.

Dann waren wir draußen und sie schloss die Türe ab.

„Ich heiße übrigens Robert“, stellte ich mich vor.

Sie nickte. „Robert“, wiederholte sie. Wir gingen zusammen um die Ecke.

Sie gab die Richtung vor und ich ging neben ihr her. Drei Häuser weiter war dann schon der Italiener. Ich öffnete die Tür und ließ sie voraus. Sie war dort bekannt und wurde mit „Salve“ begrüßt. Der Ober gab erst ihr und dann auch mir die Hand. Er führte uns an einen Ecktisch und gab jedem die Karte. Es gab Lasagne. Eines meiner Lieblingsgerichte. Ich sah es sofort. Das musste ich heute essen. Lasagne, der Inbegriff von Pasta. Ich liebte es.

Ich schaute sie an. Sie hatte ihre Jacke anbehalten. Ihre Haare waren wieder genauso perfekt wie beim letzten Mal. Blond und halblang geschnitten. Der Lippenstift war leuchtend rot. Mein Blick fiel auf ihre Hände. Auch ihre Fingernägel waren rot lackiert. Sie schien meinen Blick zu spüren, denn sie schaute auf. Wir lächelten uns zu. Das war jetzt wirklich sehr schön. Es gefiel ihr.

„Können wir bestellen“, fragte sie. Sie schien es irgendwie doch jetzt etwas eilig zu haben. Ich nickte ihr zu. Wir bestellten.

Als der Kellner wieder weg war, stockte dann unser Gespräch etwas, bzw. es kam erst gar nicht richtig in Gang. Ich hatte plötzlich Hemmungen, sie überhaupt etwas zu fragen und sie wollte eigentlich auch nichts von mir wissen. Ich fragte sie dann doch, wie lange sie schon im Studio arbeiten würde und sie sagte dann 6 Monate. Sie sei wegen ihres Freundes hierhergekommen. Aha, sie hatte also doch einen Freund. Jetzt wusste ich es.

„Der ist Tätowierer von Beruf und arbeitet ganz in der Nähe im Studio eines Freundes.“

Das Essen kam. Ich die Lasagne, sie den Salat. Wir aßen still. Ein Gespräch kam gar nicht in Gang.

Ich schaute mich um. Die Einrichtung war sehr schlicht. In der Zwischenzeit hatte sich das Lokal gut gefüllt. Auch die Lautstärke hatte inzwischen deutlich zugenommen.

Sie hatte ihren Salat mit den Mozzarella-Stückchen inzwischen aufgegessen und lächelte mich wieder an. Auch mein Teller war inzwischen leer.

Dann schaute sie plötzlich auf die Uhr und sagte:

„Oh, ich muss jetzt zurück ins Studio und noch etwas vorbereiten für den nächsten Kunden.“

Ich nickte und winkte dem Ober. Ich gab ihm das Geld und sie bedankte sich für die Einladung.

Dann standen wir wieder auf der Straße und gingen langsam zurück zu ihrem Studio. Dort verabschiedeten wir uns. Ich umarmte sie und drückte sie leicht an mich. Dann war sie weg.

Was hatte ich eigentlich vor? Was wollte ich mit ihr? Ich wusste es eigentlich nicht so genau. Ich ging langsam wieder zurück nach Hause. Ich wollte sie kennenlernen. Wollte mit ihr zusammen sein. Aber, das war ich ja jetzt eben gewesen. Ich hatte es selbst doch gerade erlebt. Und es hatte doch überhaupt nicht richtig funktioniert. Also, das war ja eigentlich nichts für mich. Wir waren zu weit weg mit unseren Gedanken und kamen auf diese Weise nicht zusammen.

Aber man könnte es ja ändern. Aber wie? Ich würde es schon irgendwie hinbekommen. Sah sie nicht großartig aus! Diese tollen blonden Haare. Sie passten doch so gut zu ihr. Und die Tätowierungen? Okay, die war sicherlich gewöhnungsbedürftig, auch der Totenkopf auf ihrem Dekolleté. Aber, es störte mich nicht wirklich, nein es störte mich wirklich nicht. Ich fand es ziemlich interessant.

Ich war nun kurz stehen geblieben und ging dann doch wieder langsam weiter. Aber irgendwie hatte doch alles gar nicht richtig funktioniert. Das musste ich zugeben. Wir hatten uns ja gar nicht richtig unterhalten. Da war kein Funke übergesprungen. Außerdem hatte sie ja auch einen Freund. Das hatte sie so nebenbei erwähnt. Ich wusste jetzt Bescheid. Alles war klar. Eigentlich sollte ich es jetzt lassen. Mit ihr würde ich sicherlich nicht glücklich werden. „Lenke dich ab!“ Das sagte ich mir.

Das war doch der Zweck ihrer Aussage gewesen. Aber, was bedeutete das wirklich. Ich wusste es nicht oder ich wollte es vielleicht auch gar nicht mehr wissen. So ging ich langsam und sinnierend weiter.

Sollte ich doch besser den Bus nach Hause nehmen?

Nein, das Gehen tat mir jetzt ganz gut.

Sie hatte mich überhaupt nichts gefragt. Sie wollte eigentlich gar nichts von mir wissen. War ihr das denn egal? Oder, wie musste ich das verstehen. Ich faste mir an den Kopf. Aber, es war so. Sie hatte mich nichts gefragt. Es schien sie tatsächlich nicht zu interessieren.

Diesen Eindruck hatte ich jetzt. Es war so, ich konnte da nichts machen. Sollte ich die Sache jetzt lieber doch sofort ganz aufgeben. Oder es einfach so lassen, wie es war. Den Tag genießen und einfach sehen, was so passieren würde?

Ich konnte jetzt aber einfach nicht mehr zurück. Diese Frau hatte mir wirklich den Kopf vollständig verdreht. Das war einfach so. Ich konnte jetzt nichts mehr dagegen machen. Ich würde aber trotzdem abwarten, was nun geschah, mir blieb ja auch gar nichts anderes übrig. Das hatte ich erkannt. Ich war ziemlich verwirrt.

Ich lief also weiter. Bald würde ich wieder zu Hause sein.

Dort kam ich auch an. Ich war immer noch ziemlich daneben. Ich wusste nämlich immer noch keine Antwort auf die vielen Fragen. Aber eigentlich gab es keinen Grund dafür. Ich sollte gelassen bleiben. Das wäre jetzt bestimmt am besten für mich. Aber wie sollte das gehen. Ich wusste es nicht. Ich wollte mit dieser Frau wieder zusammen sein, aber das ging ja eigentlich nicht. Ich musste es so hinnehmen, wie es war. Alles andere war sinnlos. Je schneller ich das verstand, desto besser würde es mir dann gehen. Würde ich das denn hinbekommen? Es wäre schon wichtig für mich. Aber, ich war mir nicht sicher.

Meine Gedanken waren also ziemlich durcheinander. Das war mir auch schon aufgefallen. Das kannte ich eigentlich so nicht bei mir. Normalerweise war ich ziemlich klar strukturiert. Das war jetzt also neu. Das gab es bisher bei mir noch nicht. Ich wunderte mich jetzt doch über mich selbst.

Ich musste jetzt etwas arbeiten. Das war überhaupt das Beste, was ich jetzt machen konnte. Das würde mich auf ganz andere Gedanken bringen. Es würde mir wieder zu mehr Ordnung in meinem Kopf verhelfen. Das brauchte ich jetzt. Ich freute mich schon darauf. Ja, so würde ich es machen!

Ich hatte ja mein Hobby zum Beruf gemacht. Wie war das möglich gewesen?