Der Sohn des Ötzi - Joachim Strienz - E-Book

Der Sohn des Ötzi E-Book

Joachim Strienz

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Beschreibung

Ötzi, der Eismann, hatte einen Sohn. Er hieß Rabovale. Er war beim Überfall auf den Kupfertransport am Tisenjoch mit dabei. Sein Vater wurde dort von den Sicherheitskräften getötet, er selbst entkam aber mit nur leichten Verletzungen. Lange war er verschwunden, doch jetzt ist er wieder aufgetaucht. Jetzt stellt er Forderungen an die Gemeinschaft und verlangt für den Tod des Vaters eine Entschädigung. Er ist bereit, dafür zu kämpfen. Gleichgesinnte wollen ihn dabei unterstützen. Das Volk der Selvaner bittet Gianni und Andreas um Hilfe und Andreas reist deshalb wieder in die Alpen. Rabovale versucht dann mit Gewalt seine Forderungen durchzusetzen. Gianni und Andreas kommen immer wieder in gefährliche Situationen. Am Haus am Selva-See gibt es eine Veranda. Dort treffen sich wichtige Leute zu Gesprächen und versuchen Lösungen zu finden. Eine fantastische Geschichte mit etwas Schamanismus, Quantenphysik und Realitätssteuerung.

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Am See
Die Alpe Tomül
Der Überfall
Tapara
Rabovale
Zattomare
Vereint
Das Fest
Andreas
Der Schamane
Morogene
Die Länta-Hütte
Rabovales Verwandlung
Die Nebel
Raja
Nachtrag
Danksagung

Joachim Strienz

Der Sohn des Ötzi

Gespräche auf der Veranda

Der Sohn des Ötzi

Gespräche auf der Veranda

Joachim Strienz

Ein fantastischer Roman aus der Welt des Ötzi

Impressum

Text: 2024 Copyright by Joachim Strienz

Umschlag: 2024 Copyright by Joachim Strienz

Verantwortlich für den Inhalt:

Joachim Strienz

Augustenstr. 41

70178 Stuttgart

[email protected]

Druck: epubli, ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Der Autor ist Arzt und lebt in Stuttgart.

für

Jutta Stoerl Strienz

Verzeichnis der Personen

Ritomare

Ötzi, der Eismann

Rabovale

Sohn des Ritomare

Morogene

Bruder von Ritomare

Sagomare

Anführer, Bruder von Ritomare

Tapara

Tochter von Sagomare

Gianni Moretti

Revolutionär und Künstler

Andreas Steinfeld

Freund von Gianni

Cintugene

Sohn von Sagomare

Luguvale

Sohn von Sagomare

Zattomare

Schamane

Raja

Freundin von Rabovale

Jutta

Frau von Andreas Steinfeld

Inhaltsverzeichnis

1.

Am See

2.

Die Alpe Tomül

3.

Der Überfall

4.

Tapara

5.

Rabovale

6.

Zattomare

7.

Vereint

8.

Das Fest

9.

Andreas

10.

Der Schamane

11.

Morogene

12.

Die Länta-Hütte

13.

Rabovales Verwandlung

14.

Die Nebel

15.

Raja

Am See

Ich war wieder auf dem Weg zu Gianni. Schon einmal hatte ich ja diesen Weg genommen. Damals war ja auch so viel passiert und ich war aber dann doch wieder in mein normales Leben zurückgekehrt.

Gianni hatte sich jetzt wieder bei mir gemeldet. Er hatte ja die ganze Zeit in einem Funkloch gelebt. Keine Handy-Verbindung und kein Internet. Er war jetzt dafür extra ins Dorf gefahren und hatte mir eine E-Mail geschrieben. Irgendwie hatte er meinen Zettel mit meiner E-Mail-Adresse wieder gefunden und dann den Versuch unternommen, mit mir in Verbindung zu kommen.

„Wenn Du kannst, dann besuche mich bitte auf meiner Hütte. Es ist in der Zwischenzeit so viel passiert, so dass ich dich jetzt wirklich hier brauche. Du bist der Mensch, der die guten Ideen hat, das sagt auch Tapara, die dir so sehr vertraut. Sie ist gerade bei ihrem Volk, um zu helfen. Das wird dich sicherlich sehr verwundern, denn sie kann ja eigentlich nicht mehr zu ihrem Volk zurück, das ja einst vor etwa 5000 Jahren hier in den Bergen gelebt hat. Aber es ist ihr doch gelungen. Es gibt dort Probleme und sie vertrauen Dir doch so sehr. Bitte gib mir bald Bescheid, ob Du kommen kannst.“

Das hatte er mir vor 4 Wochen geschrieben. Ich war zunächst ziemlich ratlos. Sollte ich wirklich wieder zu Ritomares Volk, zu Ötzi zurückkehren? Sollte ich mir das wirklich antun? Warum konnten die ihre eigenen Probleme nicht selbst lösen?

Diese ganzen Aufregungen mit diesem Volk damals. Fast wäre ich ja nicht mehr nach Hause zurückgekommen. Sie hatten uns ja damals auch festgehalten, bis es eine Lösung für Ritomare gab. Er lag im Museum, wurde als Ötzi bestaunt und konnte deshalb nicht in Frieden beerdigt werden. Bei Dreharbeiten am Fundort war es ja dann doch gelungen, ihn am Set zu rauben und nach einer Trauerfeier endlich zu beerdigen. Danach war der Albtraum zu Ende gewesen. Daran dachte ich, als die E-Mail auf meinem Rechner erschien.

Was sollte ich tun?

Jutta bestärkte mich dann, doch hinzufahren. Sie selbst wollte aber nicht mitkommen.

„Du musst ihnen helfen, Du weißt ja genau, wie sie denken. Sie werden Dir dann für immer dankbar sein. Fahr hin! Sei mir aber nicht böse, ich komme nicht mit. Ich wäre Dir dort bestimmt nur total hinderlich.“

Also bin ich dann doch gefahren. Mit dem Zug. Aus Süddeutschland in die Schweiz. Wir waren leider nicht pünktlich gewesen. Also hat sich die Weiterfahrt dann etwas verzögert, weil der schweizer Zug bereits schon abgefahren war. Dann ging es später weiter hinein in die Schweiz. Ich musste umsteigen in eine Regionalbahn und fuhr dann weiter mit dem Postbus.

Ich verstaute mein Gepäck in den großen Stauräumen und setzte mich dann hinten in den Bus auf die Rückbank.

Dann ging es los. Wir fuhren.

Zunächst war die Straße ziemlich breit, sie wurde aber dann doch immer schmäler.

Wir erreichten die Orte Camuns, Uors, Tersnaus, Bucarischuna und Lunschania. Es waren seltsame Namen.

Die Straße wurde dann doch sehr schmal und immer wieder mussten wir anhalten, um ein entgegenkommendes Fahrzeug passieren zu lassen. An manchen Stellen ging es von der Straße auch wirklich sehr steil nach unten. Am besten war es, ich schaute nicht mehr aus dem Fenster, denn ich hatte bemerkt, dass meine Handflächen etwas feucht waren. Wir kamen immer weiter vorwärts und das Tal öffnete sich dann wieder.

Gedankenversunken schaute ich aus dem Fenster. Der Bus hatte angehalten und eine junge Frau stieg aus. Sie war irgendwann zugestiegen und hatte sich dann hinter den Fahrer gesetzt. Sie trug eine Kapuze und hatte ein Gepäckstück auf dem Rücken. Als der Bus wieder anfuhr, konnte ich deutlich ihr Gesicht erkennen. Sie schaute direkt nach vorne. Es war Raja, die Freundin von Tapara. Ich erkannte sie sofort. Sie war es ja auch gewesen, die mich auf der Heimfahrt damals begleitet hatte.

Was machte sie hier?

Und warum hatte sie mich überhaupt nicht angesprochen? Hatte sie mich nicht gesehen? Oder Gabe es ganz andere Gründe?

Ich schaute ihr hinterher. Mein Gefühl sagte mir, dass irgendetwas hier nicht stimmte. Bestimmt wusste Gianni darüber mehr. Er hatte es ja schon in der Nachricht anklingen lassen.

Wir erreichten dann unser Ziel. Die Haltestelle war mitten im Ort. Der Postbus hielt an. Dann sprach der Fahrer:

„Wir fahren in 5 Minuten weiter nach Zerfreila. Alle anderen Passagiere bitte hier aussteigen.“

Also stieg ich hier aus. Gianni wollte mich wie schon das letzte Mal hier abholen.

Der Busfahrer holte mein Gepäck aus dem Stauraum und stellte es neben mich. Einen Koffer und einen Rucksack.

„Schöne Ferien und bis dann“, rief er mir zu.

Ich nahm das Gepäck und stellte es auf die Seite. Gleich würde ja Gianni kommen und alles einladen.

Der Busfahrer war inzwischen wieder eingestiegen und der Bus setzte sich dann langsam wieder in Bewegung. Er fuhr ja noch weiter nach Zerfreila und verschwand bald in der Ferne.

Nun war ich alleine. Außer mir war nämlich hier niemand ausgestiegen. Bestimmt kam Gianni gleich um die Ecke gefahren.

Ich schaute mich um. Zuerst zu den Berggipfeln hoch. Sie waren wirklich sehr steil und sicherlich zu Fuß nicht zu erreichen, so dachte ich mir. Ein bisschen Hunger hatte ich auch schon. Wasser gab es noch genügend in der grünen Flasche. Vielleicht sollte ich jetzt erst einmal einen großen Schluck nehmen und mich dann weiter orientieren.

Mein Handy klingelte.

„Hallo! Ich bin`s, Gianni Moretti!“ Er war also aus dem Funkloch heraus. „Das Auto wollte einfach nicht anspringen, aber jetzt komme ich! Noch ein paar Minuten Geduld, dann bin ich da! Tutto bene, Andreas Steinfeld?“

„Ja“, sagte ich.

Mehr ging nicht, denn er hatte bereits schon wieder aufgelegt.

Da stand ich nun. Gianni Moretti hatte mich eingeladen, ein paar Tage in seiner Almhütte zu verbringen. Er brauchte mich jetzt und ich war ja auch hier gekommen.

Ich blickte mich um. Neben der Bushaltestelle sah man ein mit großen Quadern befestigtes Flussbett, allerdings floss heute dort nur ein kleines Rinnsal. Wahrscheinlich war das aber nicht immer so.

Im kleinen Laden neben der Haltestelle gab es Postkarten. Sollte ich vielleicht doch welche an meine Freunde und Bekannte schicken. Sie an dieser Idylle teilnehmen lassen? Weiter konnte ich nicht mehr denken, denn da hielt schon mit quietschenden Reifen Gianni Moretti mit seinem Auto neben mir.

Er grinste breit und im Mundwinkel steckte ein Zigarillo.

Wir begrüßten uns herzlich. Er klopfte mir auf die Schultern.

„Herzlich willkommen, Andreas! Ich freue mich so sehr, dass Du wirklich gekommen bist. Es gibt so vieles zu besprechen, Danke, dass Du gekommen bist. Ich vertraue Dir so sehr.“

Er öffnete die Seitentüren des Wagens, verstaute dann Koffer und Rucksack auf der Rückbank und lud mich ein, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen.

„S` accomodi, nimm Platz!“ rief er.

Wir fuhren los. „Schön, dass Du gekommen bist, ich freue mich so sehr!“ Er wiederholte den Satz nochmals und gab mir auch nochmals die Hand. Er war jetzt ganz aufgeregt und strahlte mich an.

Wir konnten losfahren. Die Straße führte zunächst am Fluss entlang. Rechts standen vereinzelt Häuser. Die Straße war allerdings eng und nun kam uns auch noch ein breiter Lkw entgegen. Gianni fuhr weit nach rechts und weil keine Fußgänger unterwegs waren, lenkte er den Wagen über einen abgeschrägten Bordstein auf den Gehweg. Der Fahrer hupte und winkte, als er an uns vorbeifuhr. Er bedankte sich. Gianni winkte zurück und pfiff durch die Zähne.

„Die bauen jetzt oben im Seiten-Tal ein Wasserkraftwerk. Zur Energiegewinnung. Die Zufahrt geht über einen Tunnel. Wir werden den nachher auch nehmen, dann sind wir schneller oben am Ziel.“

In der Zwischenzeit hatten wir das Dorf verlassen und fuhren nun auf einer schmalen Straße aufwärts. Ein dichter Wald säumte den Weg. Kurve um Kurve umrundete der Wagen. Die Straße wurde nun aber immer schmäler. Jetzt durfte uns wirklich keiner mehr entgegenkommen. Neben der Straße ging es auch ziemlich steil abwärts. Nahm nicht auch der Postbus diesen Weg? Sicherlich würde er oben in Zerfreila eine Pause einlegen und nicht sofort wieder zurückfahren. Ich konnte also ganz entspannt bleiben. Immer weiter ging es aufwärts und plötzlich kamen wir an eine Ampel, die rot zeigte. Dahinter war also der Tunnel, der uns nach oben brachte. Als wir die Ampel dann erreichten, sprang sie sofort auf Grün. Wir fuhren los.

Der Tunnel war lang. Er war nur einspurig befahrbar und ziemlich schmal. Die Tunnelwand war sehr nahe, aber unser Auto war ja auch relativ schmal. Wie so ein Lkw dort durchkam, war mir schleierhaft. Aber es schien zu funktionieren.

Nach einigen Minuten waren wir durch. Es gab wieder Licht. Wir waren wieder in der Sonne. Wir fuhren weiter. Plötzlich hörten die Bäume dann ganz auf und Weiden kamen zum Vorschein. Es ging immer weiter bergauf. Links und rechts standen nun Kühe und schauten uns neugierig an. Sie hörten plötzlich alle auf zu fressen. Nur noch ihre Kiefer bewegten sich gleichmäßig.

„Die kennen Dich noch nicht“, sagte Gianni und grinste mich an. „Hier oben leben wenig Leute, die Kühe freuen sich also über etwas Abwechslung.“

Ja, so schien es mir auch.

Wir bogen dann nach links auf eine Schotterstraße ab und der Wagen fing an, immer mehr zu schaukeln.

„Halte dich fest, Andreas!“ rief Gianni. „Die Straße hat ganz viele Löcher.“ Er versuchte, immer wieder den Schlaglöchern auszuweichen.

Es ging dann immer weiter bergauf, aber der Wagen kam wirklich gut voran. Die Bäume neben uns wurden immer kleiner und plötzlich waren sie ganz verschwunden. Die Felsen kamen jetzt offen zum Vorschein.

Dann öffnete sich ein Tal. Umrahmt von Bergen und Felsen. Ein See lag vor uns. Ich kannte ihn ja schon. Es war der Selva-See.

Sanft fiel dabei das Gelände wieder zum See hin ab. Der Boden war wellig und es sah aus wie auf einer großen Weide. Allerdings fehlten hier oben die Tiere.

„Allora, hier sind wir!“, rief Gianni.

Auf der rechten Seite stand jetzt ein für die Bergregion typisches kleines Haus mit einem Fundament aus Stein und einem hölzernen Aufbau. Das Dach war mit flachen Granitsteinen beschwert. Auch das kannte ich schon.

Der Wagen hielt an. Langsam stieg ich aus, ging ein paar Schritte umher und blickte in die Ferne.

„Du bist wieder am Selva-See angekommen, Andreas. Wir sind jetzt über 2000m hoch. Es ist ja schon ein bisschen frisch hier oben, Du weisst es ja. Aber die Luft ist gesund. Du wirst dich hier gut erholen. Komm, wir gehen rein ins Haus.“

Gianni nahm meinen Koffer von der Rückbank und ich den Rucksack und wir gingen zum Haus. Er schloss die Holztüre auf und ließ mich hinein. Es war immer noch der Raum mit einer offenen Feuerstelle. Im hinteren Teil sah man eine Holztreppe, die in das obere Stockwerk führte. Gianni stellte den Koffer neben die Treppe.

„Du wirst jetzt sicher Hunger haben? Essen wir doch etwas und Du erzählst mir, wie es Dir in den letzten Jahren so ergangen ist!“

Gianni packte aus einer Box Wurst und Käse aus, legte ein paar Brotscheiben dazu und wir setzten uns dann in etwas wackelige Holzstühle auf das Deck neben der Eingangstüre. Es war eine Art Veranda. Sie bestand aus parallel verlegten Holzbrettern. Die Veranda war überdacht und auch die Rückseite war mit einer Bretterwand geschützt. Auf der Veranda saß man etwas erhöht und konnte jetzt gut auf den See hinunterschauen.

Ich nahm ein Stück Brot, legte mehrere Scheiben Salami darauf und biss hinein. Köstlich diese italienische Salami. Die können das einfach so gut.

Er schaute mich an und biss ebenfalls in sein Brot. „Warte!“, rief er plötzlich. „Ich habe das Bier vergessen!“ Und er rannte ins Haus. Er kam mit zwei Flaschen zurück und reichte mir eine davon. Italienisches Bier, gut, sehr süffig und ich nahm einen großen Schluck.

Wir schwiegen und ließen den Blick auf den See auf uns wirken. Jeder aß nun sein Salamibrot.

„Was hast Du denn die ganze Zeit so gemacht?“ fragte Gianni und schaute mich an.

Ich lächelte ihn an und nahm nochmals einen großen Schluck aus der Flasche.

„Du weißt ja, dass ich eine Praxis habe. Jeden Tag gibt es da sehr viel zu tun. Es bleibt nicht viel Zeit für andere Dinge. Trotzdem habe ich nebenher viel geschrieben und mehrere Bücher veröffentlicht. Medizinische Bücher und auch Romane. Es hat mir viel Spaß gemacht. Es war ein guter Ausgleich neben der Praxis. Ich bin sehr zufrieden damit. Du weißt ja, dass ich mit Jutta verheiratet bin. Sie war früherer Künstlerin und arbeitet jetzt als Kulturmanagerin. Sie hat inzwischen eine Stiftung für notleidende Künstler und das ist wirklich eine tolle Geschichte, aber auch sie hat eben viel zu tun. Wir sind also beide schwer beschäftigt.“

Er sagte nichts dazu. Er überlegte sicherlich.

Der See glänzte nun im Abendlicht unter uns. Der Wind kräuselte die Wasseroberfläche. Es war ganz still. Es gab keinen Laut. Kein Murmeltier schlug an. Auch keine Vögel waren zu hören. Es gab nur den Wind. Ein feines Zischen? Nein, es gab nichts. Wir saßen auf der Veranda und aßen unsere Brote und tranken das Bier dazu.

Vielleicht wurden wir ja inzwischen beobachtet, aber es gab wirklich nicht Auffälliges.

Ich wartete, bis Gianni etwas sagen würde, aber er wartete auch noch. Also aß auch ich weiter und schaute weiterhin zum See hinab. Dann begann Gianni zu sprechen.

„Du weißt ja, dass ich mit Tapara hier oben geblieben bin“, begann Gianni dann. „Es war nicht immer einfach, weil uns ja über 5000 Jahre trennen. Sie lebte ja eigentlich noch in der Jungsteinzeit und ich in der Moderne. Aber, sie lernte sehr leicht. Sie war sehr wissbegierig. Und, du weist ja, dass ich ein toleranter Mensch bin, und ich bin auch sehr verständnisvoll. Anfangs hatte sie sehr viel Heimweh zu ihrer Familie, zum Vater und den Brüdern. Aber in vielen Gesprächen hat sich das dann doch etwas gelegt. Wir sind auch immer wieder verreist, damit sie viel von der Welt sehen konnte. Sie hat nebenher zwei Fremdsprachen gelernt. Alles war gut. Leider hat es bisher noch nicht mit dem Nachwuchs geklappt. Wir wünschen uns beide Kinder, aber sie ist bisher noch nicht schwanger geworden. Wir geben die Hoffnung aber nicht auf.“

Ich sagte nichts dazu. Man brauchte nicht viel Fantasie, um das alles verstehen zu können. Es war ja ein unglaubliches Experiment, dass diese beiden Menschen zusammengekommen sind und sich immer noch liebten.

Gianni begann wieder zu sprechen:

„Tapara hat vor etwa zwei Wochen eine Nachricht bekommen. Ihre beiden Brüder Cintugene und Luguvale standen plötzlich hier vor unserer Türe. Das war eine große Überraschung. Sie war sehr erleichtert, als sie die beiden wiedergesehen hat. Sie lagen sich lange in den Armen. Ich war sehr gerührt. Dann setzten wir uns hier auf die Veranda und sie berichteten dann ausführlich, was bisher alles geschehen ist. Es waren ja inzwischen mehrere Jahre vergangen, seit Ritomare, also Euer Ötzi, wieder zurückgekehrt ist. Er konnte ja endlich feierlich bestattet werden und der Fluch war dann auch gewichen. Das Volk der Selvaner kam so endlich zur Ruhe und durfte dann zurück in die Vergangenheit zurück. Tapara war die einzige, die in die neue Welt durfte. Damals haben wir dich ja verabschiedet und du bist wieder zurück in deine Welt gegangen. Ja, so war das damals.“

Ich schaute Gianni an und nickte ihm zu. Ja, so war es tatsächlich gewesen.

Wir schwiegen. Bestimmt würde Gianni jetzt weiter berichten, was passiert war und warum Taparas Brüder plötzlich wieder aufgetaucht sind.

Inzwischen war die Sonne hinter dem Berg verschwunden. Ich glaube, sie nennen es das Zerfreila-Horn. Eine spitze Zacke in der Landschaft. Irgendwie hatte ich vorher den Gedanken, dass die oberste Spitze jetzt etwas niedriger war, wie wenn ein Teil der Spitze inzwischen abgebrochen wäre. Aber vielleicht war es ja nur eine optische Täuschung.

Gianni war inzwischen aufgestanden und brachte zwei neue Flaschen Bier mit. Er gab mir eine davon. Vielleicht brauchte er jetzt das Bier, damit seine Zunge etwas beweglicher wurde.

Wir saßen jetzt wieder ruhig da und Gianni begann erneut zu sprechen.

„Cintugene und Luguvale berichteten über Rabovale, den Sohn von Ritomare. Mir war gar nicht bekannt gewesen, dass Ritomare überhaupt einen Sohn hatte, aber es gab ihn tatsächlich. Er war lange Zeit verschwunden gewesen, aber plötzlich ist er dann doch wieder aufgetaucht. Er verhielt sich zunächst ruhig, er nahm dann auch wieder Kontakt mit allen Familienangehörigen auf und wurde wieder in die Familie aufgenommen. Aber auch er hatte leider, wie auch sein Vater, nur die Absicht, sich über die Familie zu stellen, seinen eigenen Weg zu gehen und möglichst viel auf seine Seite zu bringen.“

Er machte eine kurze Pause.

„Keinem passte das. Alle wollten das nicht. Alle hatten bereits genug von ihm und wollen ihn so schnell wie möglich wieder loshaben. Aber er hatte sich bereits ziemlich breitgemacht und auch andere Leute gewonnen, sodass sich die Situation bereits ziemlich zugespitzt hatte. Das Ganze geht nun schon in Richtung Konfrontation. Vor allem auch dadurch, dass er eine Entschädigung für den Tod seines Vaters forderte.“

„Jetzt soll Tapara vermitteln, aber, ob ihr das gelingen wird, wage ich zu bezweifeln. Tapara ist eine kluge Frau und sie ist auch sehr redegewandt, aber sie tut sich sehr schwer mit diesen unverschämten Leuten, die das Recht für sich in Anspruch nehmen und es dann entsprechend auslegen. Ich glaube nicht, dass sie das schaffen wird. Und ich möchte nicht, dass sie sich dabei völlig verschleißt und komplett zerrüttet wieder zurückkommt.“

Er schwieg dann.

Deshalb hatte er mich also geholt, um Tapara zu retten. Ich sollte also das Problem lösen. Wie sollte das denn gehen? Wie sollte ich das denn machen?

Auch ich schwieg nun. Er hatte verstanden, dass ich das Problem nun erkannt hatte. Aber meine Reaktion war doch ziemlich verhalten.

Ich nahm einen Schluck aus der Flasche und schaute auf den See. Es war inzwischen dunkel geworden und man konnte nur noch schwach die Umrisse des Sees erkennen. Es war immer noch sehr still. Kein Ton war zu hören.

Am gegenüberliegenden Seeufer war für kurze Zeit ein kleines Licht sichtbar. Nur ganz kurz, dann war es auch schon wieder verschwunden. Also waren wir doch nicht ganz alleine. Wir wurden wahrscheinlich schon die ganze Zeit beobachtet. Wahrscheinlich hatte auch Gianni das Licht gesehen, denn er stand auf.

„Ich denke, wir gehen jetzt schlafen und sprechen morgen in aller Ruhe weiter. Du bist sicher jetzt auch müde von der langen Reise. Morgen ist ein neuer Tag.“

Ich nickte, stand auf, klappte die Stühle zusammen und brachte sie in die Hütte. Gianni verschloss die Türe und legte einen Riegel vor. Beim letzten Mal, als die Selvaner uns angegriffen hatten, gab es diesen Riegel noch nicht. Er war also neu.

Gianni umarmte mich.

„Danke, dass du gekommen bist, Andreas. Gute Nacht!“

Ich klopfte ihm auf die Schulter. Ja, es war gut, dass ich da war. Das spürte ich jetzt. Die Probleme waren wahrscheinlich inzwischen ganz enorm geworden. Gianni hatte bestimmt noch nicht alles gesagt. Tapara war in Gefahr, auch das spürte ich. Aber, was konnte ich hier ausrichten. Ich kam ja aus einer ganz anderen Welt. In meiner Welt wurden Probleme doch ganz anders gelöst oder vielleicht auch nicht. Vielleicht waren diese Welten dann doch gar nicht so ganz verschieden. Nur auf den ersten Blick vielleicht.

Ich nahm das Gepäck mit nach oben und bemerkte dann, dass ich jetzt doch wirklich sehr müde war. Ich legte mich aufs Bett und war nach wenigen Sekunden bereits schon eingeschlafen.

Diese Nacht war unruhig gewesen. Das war mein erster Gedanke nach dem Aufwachen. Ich hatte ganz viel geträumt. Die sonderbarsten Dinge. Ich wurde verfolgt, musste mich wehren, stürzte dann einen Fels hinab und wurde dann von Büschen und Bäumen aufgefangen, ich schaute vom Berg aus in die Tiefe und musste Gianni beistehen mit Worten und Taten. Alles ging total durcheinander.

Wird es etwa so kommen? Fragte ich mich. Möglicherweise. Ich musste wachsam sein. Vielleicht war es ja überhaupt viel zu gefährlich für mich hier. Vielleicht hätte ich ja gar nicht erst kommen sollen? War es ein Fehler gewesen? Ich versank in meinen Gedanken. Gianni war ja doch auch sehr besorgt gewesen. Auch ratlos, was er jetzt tun sollte. Er war ja auch besorgt um Tapara gewesen. Vielleicht sollte ich jetzt aufstehen und zuerst nach Gianni schauen.

Die Alpe Tomül

Ich stand auf, streckte mich erst mal und schaute dann nach unten.

Gianni war schon auf und hatte begonnen, mit seiner kleinen Espresso-Maschine einen Espresso zuzubereiten. Es duftete bereits recht gut, als ich die letzten Stufen der Treppe erreicht hatte.

„Buon Giorno“, sagte ich. Er drehte sich um und rief „Guten Morgen, Andeas!“ Hast du gut geschlafen?“

„Danke, ja“, sagte ich, „aber, ich habe heute nacht so viel geträumt wie zuhause nicht in einem Monat.“

„Ja, du hast recht, die Nacht war komisch und ich bin froh, dass nichts passiert ist. Damals haben sie uns ja angegriffen und ein Loch in die Türe gebohrt. Der Pfeil war ziemlich gefährlich gewesen, den sie auf uns abgeschossen hatten. Zum Glück hatten wir es ja dann überstanden.“

Auch ich dachte mit Grausen an diese Nacht. So etwas wollte ich hier nicht wieder erleben.

Gianni gab mir die Espresso-Tasse und öffnete die Türe. Gerade war die Sonne aufgegangen und das gleisende Licht der aufgehenden Sonne blendete mich etwas. Alles war friedlich, niemand war zu sehen. Ich holte die Stühle und wir setzten uns auf die Veranda. Jeder trank still seinen Espresso. Was würde heute wohl noch passieren? Man hatte uns sicherlich wahrgenommen, bald würden wir miteinander in Verbindung kommen. Das wusste ich, da war ich mir ziemlich sicher.

„Komm, lass uns eine Runde schwimmen“, rief Gianni. „Das wird uns aufmuntern und erfrischen.“

Er ging ins Haus zurück und holte Handtücher.

Eigentlich schwamm ich ja ungern in kaltem Wasser. Warm musste es bei mir schon sein. Ich konnte ja vorsichtig mal einen Finger hineintauchen. Beim letzten Mal war es ja wirklich sehr kalt gewesen.

Wir gingen dann langsam ans Ufer hinunter. Der Boden war uneben und es gab kleinere Löcher, in denen man leicht mit den Füßen hätte stecken bleiben können. Ich bewegte mich also jetzt ganz vorsichtig.

Ein bisschen frisch machen, das war okay, aber baden? Lieber heute nicht! Und Zähne putzen? Später ja, vielleicht!

Gianni stürzte sich sofort ins kalte Wasser. Er ruderte mit den Armen wild herum, tauchte unter und versuchte, mich mit dem kalten Wasser anzuspritzen. Wir lachten und brüllten laut.

Vorsichtig ging ich einen Schritt weiter ins Wasser hinein. Es war ziemlich frisch. Plötzlich hatte ich doch auch Lust, weiter in den See zu kommen. Gianni hatte mich ja auch schon ziemlich nass gemacht. Der Untergrund war rutschig und plötzlich gab er nach, sodass ich nach vorne fiel. Platsch, und ich war drin. Gianni schüttelte sich vor Lachen. Wir spritzten uns weiter an und schrien laut. Wir waren bestimmt meilenweit zu hören. Das Wasser war klar. Ich schwamm weiter vom Ufer weg. Jetzt konnte mich Gianni nicht mehr mit den Wasserfontänen erreichen. Ich bewegte mich hin und her. Es tat mir gut. Aber, es war wirklich kalt. Ich sah dann, wie Gianni langsam schon wieder zum Ufer zurückging. Er hatte genug. Ich schwamm weiter. Inzwischen hatte Gianni das Ufer erreicht und winkte mir zu. Es war wirklich sehr kalt. Eigentlich sollte ich jetzt doch auch lieber rausgehen. Ich bewegte mich also auch zum Ufer hin. Dann waren wir beide draußen und Gianni reichte mir das Handtuch. Ich trocknete mich ab.

„Toll dieser See“, sagte Gianni und wir gingen zurück zum Haus. Ja, er hatte recht. Aber ein bisschen wärmer dürfte er schon sein.

Wir hatten uns umgezogen und aßen dann unser Frühstück. Jeder hatte sein Müsli. Wir schauten wieder hinab zum See. Nichts war bisher passiert, alles war ganz ruhig gewesen. Gianni hatte es bisher auch vermieden, weiter über die Probleme mit Rabovale zu sprechen. Bestimmt würde er später mir weitere Informationen geben. Ich wartete einfach.