Eine große Liebe - Melany de Isabeau - E-Book

Eine große Liebe E-Book

Melany de Isabeau

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Beschreibung

'Eine große Liebe' ist ein Liebesroman mit zwei Gesichtern - er ist spannend und extravagant.

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Eine

große Liebe

Helgas Beerdigung fand an einem strahlenden Sommertag statt. Melany hätte dunkle Wolken, strömenden Regen oder sogar ein Gewitter passender gefunden. Während sich der Pastor in Allgemeinplätzen über das Leben vor und nach dem Tod verlor, sah sie mit zusammengekniffenen Augen hinauf in den zartblauen Himmel. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, dem Pfarrer zu beschreiben, wie lebendig und voller Neugier auf jeden einzelnen Tag Helga bis zu ihrem letzten Atemzug gewesen war. In seiner gesamten Predigt hatte sie jedoch kein einziger Satz auch nur im Entferntesten an ihre geliebte Freundin erinnert.

Da Helga außer Melany und Waltraud keine Familie mehr gehabt hatte, standen um das offene Grab nur eine Handvoll Menschen herum. Bis zuletzt, besuchte sie jedes zweite Wochenende alle in der Stadt. Sie nannte es ihren :“ „Alte-Freunde-soll-man-nie-vergessen“

Tag.

Bei dem Gedanken, dass Helgas Freunde nun vielleicht gar keinen Besuch mehr bekamen, musste Melany schlucken.

Als der Pastor endlich schwieg und sie auffordernd ansah, trat sie neben das offene Grab und warf einen Strauß weißer Rosen auf den dunklen Sarg. Leider wirkten die weißen Rosen etwas schlapp, nachdem sie Melany während der Trauerfeier eine ganze Stunde lang fest umklammert hatte. Helga hätte sich trotzdem gefreut.

Rosen waren ihre Lieblingsblumen gewesen. Im Sommer hatte immer ein Strauß davon auf ihrem Esszimmertisch gestanden.

Waltraud hatte in einem Café nahe dem Friedhof einen Tisch bestellt und die Beerdigungsgesellschaft dorthin einge -laden. Sobald der Pastor sich jedoch gemächlichen Schrittes entfernt hatte, wurden drei der alten Leute mit hastig gemurmelten Entschuldigungen von ihren zum Fahrdienst abkommandierten Verwandten umgehend wieder zum Parkplatz geschafft und abtransportiert.

Die einzige Besucherin, die außer Waltraud und Melany noch übrig geblieben war, war ohne Begleitung gekommen. Sie lächelte traurig. „Man kann von seinen Enkeln wahrscheinlich nicht erwarten, dass sie sich auch noch stundenlang anhören, wie Erinnerungen über die liebe Verblichene ausgetauscht werden“, erklärte sie, als müsste sie das plötzliche Verschwinden der anderen Beerdigungsgäste entschuldigen.

„Aber Sie kommen doch mit?“, bat Waltraud die alte Dame mit den leuchtenden grauen Augen hinter dicken Brillengläsern.

„Ich sollte schon längst auf dem Heimweg sein.“ Mit bedauernder Miene schüttelte sie den Kopf. „Immerhin habe ich über drei Stunden Autofahrt vor mir. Und obwohl mein Mann mir zugeredet hat, zu Helgas Beerdigung zu fahren, weiß ich, dass er sehnsüchtig auf mich wartet. Detlef ist sehr krank, da weiß man nie, was passiert. Wenn ich nicht in seiner Nähe bin, werde ich die Unruhe nicht los.

„Das tut mir leid.“ Melany betrachtete die alte Dame interessiert. „Haben Sie Helga gut gekannt?“

Ein heftiges Nicken war die Antwort. „Als junge Frauen waren wir beste Freundinnen. Mein Mann bekam eine Andere Stellung und wir verließen den geliebten Wedding und auch Berlin. Wir waren immer in Kontakt geblieben, aber gesehen haben wir uns zuletzt vor mehr als zwanzig Jahren. Wie das so ist. Und jetzt ist es zu spät.“ Die letzten Worte wurden von einem Seufzer begleitet.

„Vielen Dank, dass Sie zur Trauerfeier gekommen sind.“ Waltraud reichte ihr die Hand. „Wir haben allen Leuten, die Helga in ihr Adressbüchlein eingetragen hatte, eine Karte geschickt. Aber es waren nur sehr wenige heute hier.“

„Ich streiche Name und Adresse auch nicht durch, wenn jemand gestorben ist“, gestand die alte Dame mit einem leisen Lächeln. „Das ist so endgültig. Und es könnte sein, dass es eines Tages nur noch durchgestrichene Zeilen in meinem Adressverzeichnis gibt.“

Sie wandte sich Melany zu und betrachtete sie aufmerksam durch ihre runden Brillengläser. „Ich wünsche dir alles Gute, Melany.“

„Sie kennen meinen Namen? Sind wir uns schon einmal begegnet?

„Ich kann mich nicht erinnern.“ Melany griff nach der schmalen Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Fast gewichtslos lag sie zwischen ihren Fingern und glitt wieder hervor wie ein Herbstblatt, das der Wind wegwehte.

„Du wirst dich erinnern. Schon bald. Ich bin Heidi.“ Mit einer spontanen, jugendlich weiten wirkenden Bewegung schlang sie Melany die Arme um den Hals und drückte sie für einen Moment mit erstaunter Kraft an sich. Dann drehte sie sich um und ging über den schmalen Fußweg zum Ausgang des Friedhofs. Dabei wackelte das schwarze Hütchen auf ihrem Kopf im Takt mit ihren Schritten.

„Was war denn das?“, wandte sich Melany an ihre Freundin Waltraud, nach -dem sie der alten Dame eine Weile verblüfft hinterhergeschaut hatte.

„Kann schon sein, dass sie dich als kleines Mädchen mal gesehen hat.. Wenn sie Helga zuletzt vor zwanzig Jahren getroffen hat, warst du ja damals schon neun Jahre.“ Mit einer nervösen Geste strich Waltraud sich die Haare glatt.

„Aber wieso sollte ich mich schon bald daran erinnern, wenn ich es jetzt nicht tue? Melany starrte so angestrengt den Rücken der schmalen, sich entfernenden Gestalt an, als könnte sie auf diese Weise in letzter Minute eine Antwort auf ihre Frage bekommen.

„Sie ist schon alt und wahrscheinlich ein wenig verwirrt. “Mit einem Seufzer widmete Waltraud sich wieder dem frischen Grab. Außer dem großen Kranz lagen nur ein üppiges Gesteck und zwei Sträuße auf dem kleinen Hügel, die Waltraud jetzt noch einmal neu arrangierte. „Meinst du, das da ist von ihr? Melany deutete auf das Gesteck, in dessen Mitte ein Herz aus weißen Rosen blühte.

„Möglich.“ Noch einmal bückte sich Waltraud hinunter zu dem Kranz, den sie zusammen mit Melany ausgesucht hatte, zog die weiße Schleife glatt. Wir werden dich nie vergessen, geliebte Freundin, stand auf der einen Seite, auf der anderen Seite ihre beiden Namen. Plötzlich schnürte die Sehnsucht nach dem hellen Wohnzimmer, in dem sie auch als Erwachsene noch oft Zeit mit Helga verbracht hatte, Melany die Kehle zu. Nie mehr würde Melany in dem bequemen Sessel am Fenster sitzen, an ihrem Darjeeling nippen und Helga davon erzählen, was gerade in ihrem Leben vor sich ging. Natürlich hatte sie noch Waltraud, doch der Rat der lebensklugen Freundin mit den funkelnden Augen und dem feinen Lächeln war für sie immer unschätzbar viel wert gewesen.

„Lass uns zu Helgas Wohnung fahren“, schlug Melany spontan vor, während sie zusah, wie der Sommerwind mit der weißen Schleife spielte, die Waltraud eben noch glattgezogen hatte. „Wir können genauso gut heute anfangen, ihre Sachen durchzusehen.“

Waltraud warf ihr einen erstaunten Blick zu. Heute? Haben wir nicht schon genug geweint?“

„Hier kann ich mich nicht richtig von ihr verabschieden. Ich möchte dorthin, wo sie gelebt hat. Wo sie lebendig war“, sagte Melany leise. „Na gut“, stimmte Waltraud zögernd zu. „Vorher müssen wir aber noch in dem Café vorbeischauen und den Tisch abbestellen. Es ist sehr traurig, dass Helgas Freunde nicht wenigstens eine Weile zusammensitzen und sich an sie erinnern. Aber das ist wohl der Preis dafür, wenn man älter wird. Es gibt immer weniger Menschen, mit denen man ein langes Stück seines Weges gegangen ist.“

„Aber wir sind noch da und erinnern uns an sie“, tröstete nun Melany ihre Freundin und hakte sich bei ihr unter, während sie zum Friedhofstor gingen.

Helgas geräumige Drei-Zimmer-Wohn-ung lag in einer ruhigen, grünen Neben -straße im Wedding. Es war immer sehr schwierig gewesen, hier einen Parkplatz zu finden, aber heute war erstaunlicher Weise direkt vor der Haustür einer frei.

Helgas Schlüssel hingen an Melanys Schlüsselbund. Sie öffnete die weißlackierte Haustür, dann stiegen sie die Treppe in den ersten Stock hinauf. Es waren genau einundzwanzig Stufen, die sie nun nur noch wenige Mal im Geist mitzählen würde.

Vor der Wohnungstür hielt sie inne und sah hilfesuchend ihre Freundin an. „Ich weiß, es ist blöd, aber ich habe ein bisschen Angst reinzugehen. Jetzt kann ich mir noch einbilden, sie sitzt da drinnen am Tisch, hat eine Kanne Tee auf dem Stövchen stehen und wartet darauf, dass ich eine Tasse Darjeeling mit ihr trinke.“

Waltraud lächelte traurig. „Hast du ihr denn, auch nie gesagt, dass du keinen schwarzen Tee magst? Ich habe dich nie irgendwo anders welchen trinken sehen – außer bei Helga.“

Nickend biss Melany sich auf die Unter

-lippe. „Sie machte immer ein kleines Fest daraus, wenn wir zusammen saßen und Tee tranken. Deshalb mochte ich ihn auch irgendwie.“

„Ich mochte ihn auch nur, weil es eben Helgas Tee war.“ Nachdenklich sah Waltraud die immer noch geschlossene Wohnungstür an. „Wollen wir lieber erst morgen anfangen, die Sachen in der Wohnung durchzugehen?“

Sie zupfte an ihrem schwarzen Etuikleid herum, in dem sie auf Melany seltsam fremd wirkte. Normalerweise bevorzugte ihre Freundin leuchtende Farben. Ganz anders als Melany selbst, die zur Arbeit nur dunkelblaue und anthrazit -farbene Kostüme trug. Und in Zukunft auch den schwarzen Hosenanzug, den sie für Helgas Beerdigung gekauft hatte. Für die Freizeit hatte sie einen Stapel schlichte schwarze T-Shirts und einige Jeans im Schrank.

Melany schob den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn nun langsam um. „Lieber jetzt“, verkündete sie, während sie die Tür aufschob. „Wahrscheinlich werde ich die ganze Zeit heulen müssen. Also bringe ich es lieber hinter mich.“ Sie atmete tief durch und trat in die Wohnung ein. In der Diele mit dem dunkelblauen Teppich und dem Garderobenschrank aus heller Eiche blieb sie stehen und lauschte in die Stille, die sich wie ein Gewicht auf ihre Brust zu legen schien. Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer. Sonst hatte Helga immer ihren Namen gerufen, sobald sie die Wohnung betreten hatte.

Es roch ganz anders als sonst. Nach Tod schoss es Melany durch den Kopf, obwohl Helga gar nicht in ihrer Wohnung gestorben war. Ihr Blick fiel auf eines der Landschaftsbilder, die ihre Freundin noch vor kurzem gemalt und überall in ihrer Wohnung aufgehängt hatte.

„Wo möchtest du anfangen?“, flüsterte Waltraud, die so leise die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, als könnte sie Helga stören, die doch nun seit zwei Stunden unter der Erde lag.

„Wohnzimmer oder Schlafzimmer?“

Melany zuckte mit den Schultern. Dann kam ihr die Erleuchtung. „Am besten mit dem Erinnerungsschrank.“ Sie zwang sich, in normaler Lautstärke zu sprechen, während sie in Richtung Schlafzimmer ging.

„Erinnerungsschrank?“ Waltraud klang erschrocken. Mit Schwung stieß sie die Schranktür auf. Es dauerte etwas, bis sie in dem großen überfüllten Schrank den richtigen Bügel gefunden hatte.

„Ist das nicht wunderschön?“ Mit ausge

-strecktem Arm hielt sie ein Abendkleid vor sich in die Luft. Es war schulterfrei und hatte eine enge Taille und einen weiten, bodenlangen Rock. Dazu gab es eine Stola aus dem gleichen Stoff, die locker um den Haken des Bügels drapiert war. Als Melany über den Stoff strich, raschelte er leise. Offenbar handelte es sich um Taft, dessen glänzende Oberfläche sich in allen den Tönen, es schimmerte von Rot bis Gold. „Hast du Helga schon mal in dem Kleid gesehen?“

Nein, noch nie. Obwohl sie eine gute Freundin von mir gewesen war und wir auch viel ausgingen.

So, nun müssen wir aber machen, dass wir langsam fertig werden. Die Hausrat -auflösung wird auch in zirka zwei Stunden hier sein.

„Wenn wir hier fertig sind, ist das Kapitel für uns erledigt. Dann brauchen wir uns nur sorgsam um Helgas Grab zu kümmern.

In zwei Stunden war alles geschafft. Die Firma von der Hausratsauflösung war auch da – und wir übergaben die Wohnungsschlüssel.

Vorsichtig zog sich Melany mit dem schwarzem Kajal einen dünnen Lidstrich. Anschließend begutachtete sie ihre nicht sehr umfangreiche Lippenstiftsammlung und wählte das dunkelste Rot aus, das sie besaß. Nachdem sie ihre Lippen ausgemalt hatte, presste sie sie in ein Kosmetiktuch, um nun die überschüssige Farbe abzunehmen. Sie nahm das kleine Bild von Helga und ließ es zwischen ihr Spiegelbild und Bild hin und her wandern.

Sie griff zum Eyeliner, und zeichnete noch einmal den Lidstrich nach und war dann mit ihrem Werk zufrieden. Das Make-up verstärkte die Ähnlichkeit zwischen ihr und Helga auf dem Bild geradezu unglaublich.