Eine Grüne demokratische Revolution - Chantal Mouffe - E-Book

Eine Grüne demokratische Revolution E-Book

Chantal Mouffe

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Beschreibung

Schon früh erkannte Chantal Mouffe in den multiplen Krisen unserer Zeit einen »populistischen Moment«. Nun stellt sie ernüchtert fest: Rechte Parteien haben diesen viel erfolgreicher genutzt als linke. Den Grund sieht Mouffe darin, dass Rechtspopulisten und autoritäre Neoliberale geschickt Gefühle manipulieren und das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ausbeuten. Linke hingegen setzen mit Projekten wie dem »Green New Deal« rationalistisch allein auf die Kraft des besseren Arguments. Mit ihrer hochaktuellen Intervention knüpft die Politikwissenschaftlerin an ihr Manifest Für einen linken Populismus an. Sie entwickelt die Vision einer »Grünen demokratischen Revolution«, die soziale Gerechtigkeit mit ökologischen Zielen verbindet und die Leidenschaften der Menschen mobilisiert.

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Cover

Titel

3Chantal Mouffe

Eine Grüne demokratische Revolution

Linkspopulismus und die Macht der Affekte

Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff

Suhrkamp

Impressum

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Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem TitelTowards a Green Democratic Revolution.Left Populism and the Power of Affects bei Verso, London.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2799.

edition suhrkamp 2799Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG,Berlin, 2023© Chantal Mouffe 2022Alle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Textund Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-77618-6

www.suhrkamp.de

Widmung

7Ein Affekt kann nicht anders gehemmt oder aufgehoben werden als durch einen anderen, entgegengesetzten und stärkeren Affekt.

Baruch de Spinoza, Ethik, IV.7 (Leipzig 1975 [1677], S. 265)

Weil die Menschen […] sich mehr von der Affektivität als von der Vernunft leiten lassen, gilt folgendes: Wenn eine Menge natürlicherweise übereinstimmt und meint, von gleichsam einem Geist geleitet zu werden, dann nicht, weil sie von der Vernunft, sondern weil sie von irgendeinem gemeinsamen Affekt geleitet wird.

Baruch de Spinoza, Politischer Traktat, VI.1 (Sämtliche Werke, Bd. 5.2, Hamburg 2010 [1670], S. 69)

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

5Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

1. Eine neue autoritäre Form des Neoliberalismus

2. Politik und Affekte

3. Affekte, Identität und Identifikation

4. Eine Grüne demokratische Revolution

Postskriptum

Danksagung

Fußnoten

Informationen zum Buch

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91. Eine neue autoritäre Form des Neoliberalismus

In meinem Buch Für einen linken Populismus, das an den diskursiven hegemonialen Ansatz von Hegemonie und radikale Demokratie sowie an Ernesto Laclaus Populismusanalyse in Die populistische Vernunft anknüpft, habe ich die Lage in Westeuropa in den Jahren nach der Finanzkrise 2008 untersucht. Diese Lage bezeichnete ich als »populistischen Moment«.[1]  Er war Ausdruck verschiedener Formen von Widerstand gegen die politischen und wirtschaftlichen Transformationen, die aus dreißig Jahren neoliberaler Hegemonie erwuchsen. Diese Transformationen hatten zu einer Situation geführt, die als »Postdemokratie« charakterisiert wird, um die Erosion der beiden Säulen des demokratischen Ideals zu kennzeichnen: Gleichheit und Volkssouveränität.

In der politischen Arena hat diese Entwicklung eine Konstellation hervorgebracht, die ich in Über das Politische als »Postpolitik« gefasst habe.[2]  Mit diesem Begriff meine ich den Konsens zwischen Mitte-rechts- 10und Mitte-links-Parteien, dass es zur neoliberalen Globalisierung keine Alternative gebe. Unter dem Vorwand der durch die Globalisierung erzwungenen »Modernisierung« akzeptierten sozialdemokratische Parteien die Diktate des Finanzkapitalismus und die Grenzen, die sie staatlichen Interventionen im Bereich von Umverteilungsmaßnahmen setzten. Politik wurde zu einer rein technischen Angelegenheit mit dem Ziel, die etablierte Ordnung zu verwalten, zu einer Domäne der Experten. Wahlen bieten keine Gelegenheit mehr, sich über traditionelle »Regierungsparteien« für tatsächliche Alternativen zu entscheiden. Das Einzige, was Postpolitik zulässt, ist ein Machtwechsel zwischen Mitte-rechts und Mitte-links. Somit wurde die Macht des Volkes, einer der Grundpfeiler des demokratischen Ideals, untergraben: Die Volkssouveränität wurde für obsolet erklärt und die Demokratie auf ihre liberale Komponente reduziert.

Diese Veränderungen auf politischer Ebene fanden im Kontext eines neuen Modus kapitalistischer Regulierung statt, in dem Finanzkapital eine zentrale Stellung einnimmt. Die Finanzialisierung hat zu einer erheblichen Ausweitung des Finanzsektors auf Kosten der produktiven Wirtschaftsbereiche geführt. Mit den Auswirkungen der Austeritätspolitik, die nach der Krise 2008 durchgesetzt wurde, erlebten wir eine exponentielle Zunahme der Ungleichheit in europäischen Ländern, vor allem im Süden. Diese Ungleichheit betrifft nicht mehr nur die Arbeiterklasse, sondern auch weite 11Teile der Mittelschicht, die in einen Prozess der Verarmung und Prekarisierung geraten ist. Diese Entwicklung hat zum Zusammenbruch des anderen Pfeilers des demokratischen Ideals beigetragen – der Verteidigung der Gleichheit, die ebenfalls aus dem breiteren liberaldemokratischen Diskurs eliminiert wurde. Das Ergebnis neoliberaler Hegemonie ist, dass sowohl sozioökonomisch als auch politisch ein wahrhaft oligarchisches Regime geschaffen wurde. Alle, die sich diesem postdemokratischen »Konsens der Mitte« entgegenstellen, werden als Extremistinnen dargestellt und als Populistinnen denunziert.

Eine der zentralen Thesen dieses Buches lautet, dass der »populistische Moment« im postdemokratischen Kontext zu sehen ist. Um seine Dynamik zu verstehen, ist es notwendig, einen antiessentialistischen Ansatz zu verfolgen, der das »Volk« als eine politische Kategorie begreift, nicht als eine soziologische oder als empirisches Bezugsobjekt. Der für die populistische Strategie charakteristische Gegensatz von »Volk« und »Establishment« lässt sich auf sehr unterschiedliche Weisen konstruieren. In mehreren europäischen Ländern sind gegen das Establishment gerichtete Forderungen von rechtspopulistischen Parteien vereinnahmt worden, die die Ablehnung der Postdemokratie auf autoritäre Weise äußern. Diese Bewegungen konstruieren ein »Volk« durch einen exklusiven ethnonationalistischen Diskurs, der Migrantinnen ausschließt, die als Bedrohung der nationalen Identität und des Wohlstands gelten. Sie tre12ten für eine Demokratie ein, die ausschließlich die Interessen jener verteidigt, die sie für »echte Staatsbürger« halten. Im Namen einer Wiederherstellung der Demokratie fordern sie in Wirklichkeit deren Beschränkung.

Um weitere Erfolge dieser autoritären Bewegungen zu verhindern, ist es meiner Ansicht nach notwendig, die politische Grenze so zu ziehen, dass sie die Demokratie vertieft, statt sie einzuschränken. Das bedeutet, eine linkspopulistische Strategie zu verfolgen, die »ein Volk« zu konstituieren versucht, das auf einer »Äquivalenzkette« zwischen vielfältigen demokratischen Auseinandersetzungen über Fragen der Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung aufbaut. Eine solche Strategie läuft darauf hinaus, die »soziale Frage« wieder in den Vordergrund zu rücken und dabei einerseits die zunehmende Fragmentierung und Diversität der »Arbeiterschaft« im Blick zu behalten, andererseits aber auch die Besonderheit der verschiedenen demokratischen Forderungen des Feminismus, Antirassismus und der LGBTQ+-Bewegung zu berücksichtigen. Das Ziel ist die Artikulation eines transversalen »Gemeinwillens«, eines »Volkes«, das geeignet ist, an die Macht zu kommen und eine neue hegemoniale Formation zu etablieren, um einen Prozess in Gang zu setzen, der die Demokratie radikalisiert.

Ein solcher Prozess demokratischer Radikalisierung setzt sich mit den bestehenden politischen Institutionen auseinander und sucht sie durch demokratische Verfahren tiefgreifend zu verändern. Die entsprechen13de Strategie zielt nicht auf einen radikalen Bruch mit der pluralistischen liberalen Demokratie und die Gründung einer völlig neuen politischen Ordnung ab. Daher unterscheidet sie sich eindeutig sowohl von der revolutionären Strategie der »extremen Linken« als auch vom sterilen Reformismus der Sozialliberalen. Sie ist eine Strategie des »radikalen Reformismus«.

Seit Erscheinen meines Buches Für einen linken Populismus 2018 haben mehrere politische Kräfte, die ich dort als Beispiele für die Verfolgung einer »linkspopulistischen« Strategie heranzog – Podemos in Spanien, Jean-Luc Mélenchons La France insoumise und die Labour Party unter Jeremy Corbyn –, eine Reihe von Rückschlägen bei Wahlen erlitten. In Teilen der Linken wird deshalb behauptet, dieses Projekt sei gescheitert und es sei an der Zeit, zu traditionelleren Formen linker Politik zurückzukehren. Jene Rückschläge sind unbestreitbar, jedoch kann man eine politische Strategie nicht aus dem alleinigen Grund verwerfen, dass manche ihrer Anhänger ihre Ziele nicht auf Anhieb erreicht haben.

Diejenigen, die diesen Schluss dennoch ziehen, setzen die linkspopulistische Strategie fälschlicherweise mit einem »Bewegungskrieg« gleich; sie ähnelt aber viel eher einem »Stellungskrieg«, in dem es immer Zeiten des Vormarschs und des Rückzugs gibt. Wenn man nach Gründen für die enttäuschenden Wahlergebnisse von Podemos, Labour und La France insoumise sucht, stellt man zudem fest, dass diese Parteien in der Regel 14dann schlecht abschneiden, wenn sie ihre frühere linkspopulistische Strategie aufgeben. Als Podemos 2015 und Corbyn und Mélenchon 2017 auf linkspopulistische Kampagnen setzten, gewannen sie zwar nicht, erzielten aber sehr gute Ergebnisse. Erst als sie in späteren Wahlkämpfen eine andere Strategie verfolgten, ging ihr Stimmenanteil zurück. Und als Mélenchon sich im Präsidentschaftswahlkampf 2022 auf den Linkspopulismus zurückbesann, stand er wieder gut da. Ein Zeichen dafür, dass die linkspopulistische Strategie nach wie vor relevant ist und nicht aufgegeben werden sollte.

Sicher, wir befinden uns nicht mehr in einer »heißen« populistischen Phase starker Politisierung, und heute herrschen eindeutig völlig andere Bedingungen als vor der Pandemie. Die wiederholten Lockdowns und die von einigen neoliberalen Regierungen eingeführten Formen der Kontrolle haben öffentliche Demonstrationen gegen die Sparpolitik zum Erliegen gebracht. Im Namen der Bekämpfung des Coronavirus wurden immer autoritärere Maßnahmen durchgesetzt. Keine besonders günstige Zeit, um breiten Widerstand zu organisieren. Es kann jedoch nicht davon die Rede sein, dass die neue Situation eine völlig andere Strategie der Linken erfordert.

Wichtig ist, die Besonderheit dieser durch eine doppelte Herausforderung charakterisierten Lage zu erkennen: Wie sollen wir mit den sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie umgehen und wie mit dem 15