Eine gute Zeit zu leben - Hubert Messner - E-Book
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Hubert Messner

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Beschreibung

Corona, Krieg, Klimakrise – ist unsere Welt aus den Fugen geraten? Dürfen wir noch optimistisch in die Zukunft blicken? Können wir unseren Kindern diese Welt noch zumuten? Im Leben des Frühchen-Mediziners und Abenteurers Hubert Messner ging es oft um Leben und Tod. Aus eigener Erfahrung weiß er: Es kommt auf uns selber an, wie wir Hindernisse und Schwierigkeiten meistern. Krisen gehören dazu – sie sollten uns nicht aus der Bahn werfen. Schon gar nicht heute. Denn noch nie in der Menschheitsgeschichte gab es eine Zeit, in der es uns so gut ging wie jetzt und in der die Zukunft so sehr in unseren eigenen Händen lag. Und in den Händen der nächsten Generation.

Unser Lebensglück steckt nicht in einem komfortablen Leben ohne Hindernisse, sondern in der Selbstbestimmung, in der Freiheit, unser Leben individuell zu planen und zu gestalten, selbstbestimmt Erfahrungen und Erlebnisse zu sammeln.

Hierfür braucht es lediglich etwas Mut und Eigeninitiative. Für Hubert Messner ist klar: Das Leben ist lebenswert. Nach wie vor und mehr denn je!

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Zum Buch

Corona, Krieg, Klimakrise – ist unsere Welt aus den Fugen geraten? Dürfen wir noch optimistisch in die Zukunft blicken? Können wir unseren Kindern diese Welt noch zumuten? Im Leben des Frühchen-Mediziners und Abenteurers Hubert Messner ging es oft um Leben und Tod. Aus eigener Erfahrung weiß er: Es kommt auf uns selber an, wie wir Hindernisse und Schwierigkeiten meistern. Krisen gehören dazu – sie sollten uns nicht aus der Bahn werfen. Schon gar nicht heute. Denn noch nie in der Menschheitsgeschichte gab es eine Zeit, in der es uns so gut ging wie jetzt und in der die Zukunft so sehr in unseren eigenen Händen lag. Und in den Händen der nächsten Generation.

Unser Lebensglück steckt nicht in einem komfortablen Leben ohne Hindernisse, sonders in der Selbstbestimmung, in der Freiheit, unser Leben individuell zu planen und zu gestalten, selbstbestimmt Erfahrungen und Erlebnisse zu sammeln.

Hierfür braucht es lediglich etwas Mut und Eigeninitiative. Für Hubert Messner ist klar: Das Leben ist lebenswert. Nach wie vor und mehr denn je!

Zu den Autoren

Hubert Messner, geboren 1953, ist in einem Südtiroler Bergdorf im Villnößtal aufgewachsen. Er hat in Innsbruck Medizin studiert, in Modena Kinderheilkunde und wurde in Mailand, Graz, Toronto und London zum Neonatologen ausgebildet, bevor er in Bozen die Neonatologie-Abteilung übernahm und diese als Chefarzt mit großem Erfolg ausbaute. Seinen Bruder, die Bergsteigerlegende Reinhold Messner, begleitete er als Expeditionsarzt mehrere Male in den Himalaja und in Eiswüsten. Er ist seit 2018 pensioniert und engagiert sich für soziale Projekte, unter anderem für Essen auf Rädern und freiwillige Arbeitseinsätze in den Sommermonaten auf steilen Bergbauernhöfen. Er setzt sich für Aufklärung rund um das Thema Impfung ein und arbeitete während der Coronapandemie zeitweise auf einer Covidstation.

Hubert Messner lebt mit seiner Frau und drei Söhnen in Südtirol.

Lenz Koppelstätter, Jahrgang 1982, ist in Südtirol geboren und aufgewachsen. Er studierte Politik und Sozialwissenschaften in Bologna und Berlin und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Heute ist er tätig für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, »GEO« und »Salon«, er veröffentlichte einen Roman über Alma und Gustav Mahler in Toblach und schreibt eine erfolgreiche Südtirol-Krimireihe. Mit seiner Frau und zwei gemeinsamen Kindern lebt er in einem Weindorf südlich von Bozen.

HUBERT MESSNER

LENZ KOPPELSTÄTTER

EINE GUTE ZEIT ZU LEBEN

Die Welt ist besser, als wir denken

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe 06/2023

Copyright © 2023 by Ludwig Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angelika Lieke

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München,

unter Verwendung eines Fotos von: Kay Blaschke/Penguin Random House

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-30328-0V001

www.Ludwig-Verlag.de

INHALT

1   Was ist los mit unserer Welt?

2   Eine gute Zeit zu leben

Hoffnung – trotz allem

Von den Kleinen lernen

Ach, diese Jugend …

Das große Abenteuer

3   Keine Angst vor morgen

Wollen wir wirklich ewig leben?

So soll es sein

Gute Ärzte braucht die Welt

Wo alles endet – und neu beginnt

4   Das Glück, das zählt

Dank

Literatur

1

WAS IST LOS MIT UNSERER WELT?

In was für eine Welt werden unsere Kinder da nur hineingeboren? Diese Frage! Immer und immer wieder wird sie mir gestellt. Von werdenden Müttern, werdenden Vätern. Kinder in diese Welt setzen? Ist das nicht verantwortungslos? Wozu ein Kind, wenn die Welt doch so ein schrecklicher Ort ist?

Klimakrise, Corona, Krieg. Wir leben in schwierigen Zeiten, da kommen solche existenziellen Fragen auf, das ist ganz natürlich. Ebenso wie die Sehnsucht nach Besserung. Manchmal auch nach verklärter Vergangenheit.

Eine Vergangenheit, in der Kinder eine Selbstverständlichkeit waren. Ein sozialer Imperativ. Und heute? Sind sie es mehr denn je! Sie waren, sind und bleiben der Kern der Gesellschaft, auch wenn sich die Familienstruktur über die Jahre verändert hat, soziale Netzwerke weggefallen sind.

Die Debatte zur Ethik des Kinderkriegens ist nicht neu, wir führen sie seit über einem halben Jahrhundert – tragen sie in unserer postmodernen Zeit von Krise zu Krise. Keine Krise hat uns jedoch, zum Glück, zu dem Schluss kommen lassen, dass Kinder nicht Zukunft bedeuten, auch wenn die Frage, ob Kind oder nicht, schlussendlich stets eine persönliche, individuelle bleibt.

Eines ist klar: Es sind unsere Kinder, die nächsten Generationen, die in Zukunft etwas bewegen werden, sie haben die Kraft dazu – die Kraft, auch Krisen zu überwinden.

Es ist an uns, ihnen die Wege dafür zu ebnen.

Wir haben oftmals einen verklärten Blick auf das Vergangene, auf das Damals, das allerdings niemals so war, wie wir es heute manchmal herbeisehnen. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatte ein Neugeborenes so viele Chancen, ein schönes, erfolgreiches, glückliches, bereicherndes, gutes Leben zu führen, wie heute. Es gab in der Menschheitsgeschichte noch keinen Tag, an dem ein Kind so sicher, so gut betreut und behütet auf die Welt kommen konnte, wie es heutzutage der Fall ist.

Das Heute ist besser als das Gestern. Alleine schon deshalb, weil die Wahrscheinlichkeit, dass Babys und Kinder versterben, auf ein Minimum reduziert wurde. Die Startrampe ist geebnet. Die Voraussetzungen dafür, gesund und voller Energie ins Leben zu gehen, um das Beste daraus zu machen, könnten besser nicht sein. Waren niemals besser. Früher ganz sicher nicht.

Was ist also los mit unserer Welt?

Warum stellen wir Kinder – unsere fortwährende Existenz – infrage? Warum sehnen wir uns nach einem idealisierten Gestern?

Wann wird endlich wieder alles so normal, wie es niemals war? Nie war etwas so wie immer. Wenn, dann nur so wie früher.

Und damit nicht besser als heute.

Doch was war denn früher?

Früher, das sind die Kindheitserinnerungen. Meine liegen im idyllischen Villnößtal, im Bergdorf St. Peter, das damals mehr oder weniger um die tausend Einwohner zählte, gelegen im Herzen Südtirols. Umzingelt von hohen, schönen Bergen: den Geislerspitzen! Wiesen, der Bach, der Wald, Kühe. Eine unbeschwerte Kindheit, ja, aber auch eine harte Kindheit.

Ob man Kinder in die Welt setzen sollte oder nicht, diese Frage stellte sich unseren Eltern damals überhaupt nicht.

Kinder waren Mittel zum Zweck. Vor allem bei den Bergbauernfamilien. Ein Kind war zwar ein Mund mehr, der gefüttert werden wollte, aber es waren gleichzeitig auch zwei Hände mehr, ein Kopf mehr, eine Arbeitskraft mehr. Kinder sicherten die Existenz. Die Bauernfamilien waren Selbstversorger. Sie lebten von ihrem Gemüse, von der Milch ihrer Kühe, vom Fleisch ihrer Schweine, den Eiern ihrer Hühner, vom Garten hinterm Haus.

Die Arbeit der Kinder wurde dringend gebraucht. Bauernfamilien im Villnöß der 1950er-Jahre hatten zahlreichen Nachwuchs. In manchen gab es sieben, in einigen zwölf Kinder. Handwerkerfamilien wie die des Schmieds, des Maurers, des Schneiders, des Bäckers oder des Steinmetzes hatten weniger. Denn in diesen Berufen konnten die Kleinen nicht als Arbeitskraft eingesetzt werden. Dennoch waren es auch hier meist drei, vier Kinder.

Erinnere ich mich daran, wie wir spielten, am Fluss, im Wald, Fußball auf einer Wiese, so habe ich Dutzende Kinder vor Augen. Doch viele starben auch. Das gehörte zum Alltag. Bei Begräbnissen wurden die kleinen weißen Särge zum Friedhof von St. Peter getragen. Die Musikkapelle spielte einen Trauermarsch. Kleine weiße Kreuze reihten sich aneinander. Es war nicht selbstverständlich, dass ein Kind lebt. Überlebt. Es bis ins Erwachsenenalter schafft. Das wussten die Familien.

Den Tod? Nahm man in Kauf, er war etwas Natürliches. Etwas Gegenwärtiges. Man rechnete stets damit.

Engelskinder wurden jene Kinder genannt, die nur ein paar Tage, Wochen, Monate zu leben hatten. Viele von ihnen starben schon bei der Hausgeburt auf den Höfen. Obwohl die Hebammen über viel Erfahrung verfügten, kamen sie dennoch oft an ihre Grenzen. Sie hatten ihr Wissen, das über Jahre und Generationen weitergetragen wurde, hatten ihre Hände, ihren Verstand, ihre Kraft. Ihren sechsten Sinn. Was sehr viel war. Aber oft einfach nicht genug. Eine Geburt zu Hause war ein Risiko, ein gefährliches Unterfangen.

Heute haben wir auf Geburtsstationen komplexe Gerätschaften zur Verfügung: elektronische Überwachungscomputer für das Ablesen der Herzfrequenz des Kindes und der Wehentätigkeit, Ultraschall-Equipment, Geräte für die Mikroblutanalyse bei Verdacht auf Sauerstoffmangel. Ein Team von jahrelang an Universitäten ausgebildeten Ärztinnen, Ärzten und Hebammen steht bereit, um Mutter und Kind zu unterstützen, das Risiko der Gefahr auf ein Minimum zu reduzieren. Heute stirbt bei der Geburt kaum noch ein Kind. Und auch keine Mutter. Im Normalfall.

Damals?

Steißlage? Das Kind riskierte zu sterben. Querlage? Da war das Todesrisiko für die Mutter enorm. Kaiserschnitt auf dem Hof irgendwo abseits in den Bergen? Gab es nicht. Überlebte das Kind, warteten bereits die nächsten Gefahren: tödliche Infektionskrankheiten. Pocken, Tuberkulose, Masern, Kinderlähmung. Krankheiten, die wir heute dank Impfungen an den Rand gedrängt haben. Sie sind beinahe nicht mehr existent, größtenteils ausgerottet. Man kennt diese Krankheiten heutzutage gar nicht mehr, sie sind nicht mehr in unserem Bewusstsein. Ein großer Fortschritt der Medizin!

Damals jedoch waren sie allgegenwärtig. Sie gehörten zum Leben als Kind oder Jugendlicher einfach dazu. Die Kindheit und Jugend im Villnößtal meiner Erinnerungen war ein blindes Herumtappen zwischen diesen – manchmal tödlichen – Fallen.

Aber nicht nur im abgelegenen Tal. Auch draußen, hinter den Bergen, in den Städten. Auch in Brixen, in der Stadt, in der ich einige Jahre zur Schule ging.

Es war das Jahr 1966. Eine Scharlach-Endemie ging um. Neben dem städtischen Krankenhaus wurde eine Quarantänestation eingerichtet. Ganz ähnlich wie zuletzt in den Krankenhäusern bei der Covid-Pandemie. Jeden Tag saßen weniger Kinder in der Klasse der Klosterschule, die ich besuchte. Irgendwann waren wir nur noch zu dritt. Auch nachts im großen Schlafraum. Das war beängstigend. Wir wurden nicht mehr unterrichtet, tagelang lief ich durch die Arkaden des Klosters, meine Schritte hallten unter den Gewölben. Sonst war nichts zu hören, kein Schülergeschrei, kein Schimpfen der strengen Padres. Erst nach Wochen kehrten die ersten Mitschüler aus der Isolation zurück, dann kamen immer mehr. Aber nicht alle.

Die Kindheit war ein Kampf gegen Krankheiten in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts.

Die Trauer war da, natürlich, aber es war eine leise Trauer, eine in sich gekehrte. Beinahe eine schamhafte. Es gab kein großes Aufsehen. Es wurde nie laut ausgesprochen, aber eine Mutter, die ein Kind verlor, schämte sich. Ein Vater ebenso. Weil ein verlorenes Kind auch den Beigeschmack der Strafe in sich trug. Der Strafe Gottes. Es wurde geredet und gemunkelt im Dorf. Irgendeinen Grund wird der liebe Gott schon gehabt haben, das Kind sterben zu lassen. So dachten damals die Menschen in den Tälern, in den Bergdörfern.

Die Welt war klein damals. Die Berge umzingelten uns. Wir lebten unser Leben da unten im Tal. Der Allmächtige schaute zu uns herab.

Kinder waren der Lauf der Dinge. Wurde in einer jungen Familie über ein, zwei Jahre kein Nachwuchs geboren, klopfte eines Tages der Herr Pfarrer an die Tür, setzte sich in die Stube, ließ sich einen Kräutertee oder einen Schnaps bringen, fragte schließlich, was los sei. Ob denn alles in Ordnung sei.

Zu uns, zu den Messners, der Lehrerfamilie, kam er nie. Zumindest nicht aus diesem Grunde. Wir waren zu neunt. Ich hatte fünf ältere Brüder, zwei jüngere und eine ältere Schwester. Helmut, Reinhold, Günther, Erich, Waltraud, Siegfried, Hansjörg, Werner.

Weil das Lehrergehalt nicht reichte, hatten wir auch eine kleine Hühnerfarm. Jedes der Kinder half mit. Wir fütterten die Tiere, misteten die Ställe aus, sammelten die Eier ein, wogen sie. Kam Vater von der Schule nach Hause, musste der Hof so sauber wie möglich sein. Ordnung war für ihn das Wichtigste. Ab und an nahm mein Vater mich mit, wenn er in die unterschiedlichsten Täler und Dörfer Südtirols fuhr, um die Küken und Jungtiere zu verkaufen. In Kartons mit Luftlöchern abgepackt. Manche Kartons waren für dreißig Küken, andere für fünfzig, einige nur für zehn.

Mein Vater besaß einen Austin Mini Countryman, Baujahr 1967, mit einem großen Kofferraum und einer Holzverkleidung am Heck. So fuhren wir in der Früh los, noch bevor es hell wurde. Wir besuchten Hof um Hof, lieferten die bestellten Küken ab; wenn abends auf dem Nachhauseweg im Kofferraum nichts mehr piepte und schrie, war mein Vater zufrieden. Alles verkauft. Dann spendierte er uns beiden oft ein Abendessen in einem Dorfgasthaus. Speckknödel in der Suppe. Er trank dazu ein Glas St. Magdalener, ich bekam eine Orangenlimonade. Manchmal, wenn Vater mich nicht brauchte, half ich bei Bergbauern aus, als Hirtenjunge, als Hilfskraft im Stall. Die Bauern waren glücklich, doch sie fristeten ein karges Leben. Ihr Alltag war hart.

Sie lebten in den typischen Bauernhöfen mit einem Unterbau aus Steinen und einem Aufbau aus Holz, daneben der Stadel. Die Rußküche war oft der einzige beheizte Raum. Von dort wurde aber in den kalten Wintertagen der überwölbte, weiß verputzte Kachelofen der Stube geheizt. Das Plumpsklo war am Ende eines Ganges oder Balkons. Uns unten im Tal ging es ein bisschen besser. Wir hatten fließendes Wasser, in den Zimmern wurde jedoch ebenso nicht geheizt. Wir Kinder schliefen in Stockbetten, jeweils vier in einem Raum, unsere Schwester hatte ein kleines Zimmer für sich.

Wenn wir froren, schlüpften wir zusammen in ein Bett, wärmten uns gegenseitig. Wir überlebten alle neun. Was keine Selbstverständlichkeit war. Erst später, als junge Erwachsene, kamen zwei meiner Brüder in den Bergen ums Leben. Günther am Nanga Parbat, 1970. Siegfried in den Vajolet-Türmen in der Rosengartengruppe, 1985. Beide Begräbnisse sind für alle Zeiten in meinem Hirn eingebrannt. Wir konnten es nicht fassen. Günther, vierundzwanzig Jahre alt ist er nur geworden, nicht mehr da. Siegfried starb mit fünfunddreißig Jahren. Vorbei. Ein Schock.

Den Tod der beiden Brüder, viel zu früh aus dem Leben gerissen, nahmen wir nicht als gegeben hin. Es waren schreckliche Unfälle. Auch der Tod von Babys, Kindern, jungen Erwachsenen war mit der Zeit unseres Älterwerdens, mit dem Heranwachsen unserer Generation, kein hingenommenes Schicksal mehr. Und das ist gut so. Im Laufe der Jahrzehnte meines Lebens erstarkten unsere medizinischen Möglichkeiten, im Bereich der Neonatologie habe ich sie hautnah miterlebt, mitgestaltet.

In den vergangenen hundert Jahren hat sich die Säuglingssterblichkeit entschieden reduziert. Besonders in Europa. Die Kindersterblichkeit in den ersten fünf Lebensjahren ebenso. Und zwar um das Hundertfache, auf 3,5 pro tausend Kinder in Europa pro Jahr. Noch im Zweiten Weltkrieg war sie höher als die Anzahl der durch den Krieg gefallenen Soldaten.

Die Säuglings- und Kindersterblichkeit ist ein sensibler Indikator für das Wohlergehen und die Entwicklung einer Gesellschaft. In diesem Sinne ist sie ein Spiegelbild. Unsere Kinder sind das Spiegelbild unserer selbst.

Wir bewegen uns auf der Schwelle zu einer besseren Welt – wenn wir nur wollen und danach handeln. Beispiele aus dem zuletzt so viel gescholtenen Gesundheitswesen: Wir sind kurz davor, Aids zu heilen, Krebs als lebensbedrohende Krankheit hinter uns zu lassen. Wir bringen Frühchen in der vierundzwanzigsten Schwangerschaftswoche wohlbehalten zur Welt. Dank modernster Medizin!

Ist unsere derzeit so chaotische, aus den Fugen geratene Welt trotz all dieser Errungenschaften tatsächlich kein guter Ort mehr für Kinder, für neues, menschliches Leben?

Ich erinnere mich daran, dass genau diese Frage schon einmal im Raum stand. Alles andere verdrängend. Lange ist es her. Ich war Medizinstudent. In Innsbruck. Zu Beginn der 1970er-Jahre. Uns jungen Menschen öffnete sich ein Leben voller Möglichkeiten. Ich schaute erstmals raus, hinter die Berge Südtirols, und sah: eine Welt in Flammen. Vietnamkrieg, Nordirlandkonflikt, Bombenanschläge im Baskenland, die blutige Revolte der Roten Armee Fraktion in Deutschland und die der Brigate Rosse in Italien.

Plötzlich war alles ganz nah. Vor der Haustür. In der Stube unseres Hauses, im Villnößtal, diskutierten wir mit Vater und Mutter über Richard Nixon und Ho Chi Minh. Wir waren von der Alpentraumwelt ins globale Geschehen katapultiert. Heile Welt? Vorbei! Wir Studenten führten heiße Diskussionen. Wir stellten alles infrage. Selbst den Menschen. Auch die Kinder.

Die Zeit war, frei nach Hamlet, aus den Fugen geraten, wie sie es auch heute ist. Es scheint mir, als hätten wir uns im Kreis gedreht. Wieder sind wir der Idylle entrissen. Der Idylle des westlichen Wohlstandes, in dem wir uns zuletzt über Jahrzehnte so sicher gefühlt haben. Naiv. Nun bricht scheinbar alles Böse auf einmal über uns herein. Die Pandemie. Die Klima- und Energiekrise. Der russische Angriffskrieg. Die böse Welt. Vor der eigenen Haustür. Wieder.

Wann ist das alles vorbei? Wann kehrt die Normalität zurück? Wann wird es wieder wie früher sein? Das sind die Fragen, die sich viele stellen. Oft ist es mehr ein Hoffen denn eine tatsächliche Frage. Die Welt bleibt nie stehen. Keine Sekunde. Sie verändert sich kontinuierlich. Nur wir erstarren, wir möchten in einem ersten Reflex umdrehen, zurückgehen, in die gute, alte Zeit, die nie das war, was wir sehnsüchtig, wehmütig in sie hineininterpretieren. Wir möchten uns damit aus jeglicher Verantwortung stehlen.

Kann man in diese Welt noch Kinder setzen? Ist sie noch lebenswert? Ich habe diese Frage schon damals, als junger Student, mit einem klaren Ja beantwortet. Ich habe mein ganzes Leben der Aufgabe gewidmet, den Kleinsten, scheinbar Schwächsten, ins Leben zu helfen. Nie habe ich das bereut, nie würde ich diese essenzielle Frage mit Nein beantworten. Auch heute nicht. Ein Nein wäre das Ende. Alles vergebens.

Wir, die wir in dieser Welt leben, haben sie so mitgestaltet, wie sie nun ist – ob uns das bewusst war oder nicht. Jetzt haben nur noch eine Möglichkeit: versuchen, es von nun an besser zu machen. Unseren Kindern und Kindeskindern eine bessere Welt zu überlassen.

Ich habe in meiner Laufbahn als Arzt 15 000 Frühchen ins Leben geholfen. Nun arbeite ich nicht mehr als Neonatologe. Ich bin ein freier Mann. Ich lebe in einem Weindorf in Südtirol. Sommers helfe ich einer Bergbauernfamilie hoch über dem Südtiroler Vinschgau bei der Arbeit. Ich erinnere mich noch an unser Kennenlernen. Ich hatte mich bei der Südtiroler Bergbauernhilfe gemeldet. Man hat ein Curriculum abzugeben. Der Lebenslauf, wie man ihn von klassischen Bewerbungen kennt, interessiert dort jedoch eher wenig. Es wird vielmehr abgefragt: Hält man harte Arbeit aus? Hat man Ahnung, wie man eine Kuh melkt? Eine Sense hält? Holz hackt? Hatte ich. Also wurde ich angenommen.

Mit dem Auswahlsystem will man verhindern, dass Bewerber die reale, harte Bergbauernarbeit mit dem Klischee von ein bisschen romantischem Gratisurlaub auf dem Bauernhof verwechseln. Mir wurden ein paar Höfe vorgeschlagen, ich suchte einen aus. Ich wollte nur eines nicht: auf einem Hof arbeiten, der auch Verpflegung anbot. Ich hatte keine Lust, Wandersleuten Cola und Fanta aufzutischen. Ich wollte echte Bergbauernarbeit leisten. Und auch ich wurde – zum Glück – vom Hof, der mir gefiel, ausgesucht. Denn: Erst wenn es ein Match gibt, führt die Organisation Helfer und Bauernfamilie zusammen. Vorerst für einen Probetag.

Ich fuhr die schmale Bergstraße zum Hof hoch, der am steilen Hang auf 1 600 Metern über dem Meer liegt. Mein Herz schlug sofort höher. Was für ein Ausblick! Auf die Ortler-Gruppe. Kleiner Angelus, Laaser Hochwand, das Hasenöhrl. Berge, die ich in meinen jungen Jahren alle erklommen hatte. Der Bauer schaute skeptisch, beinahe abweisend, erst zu meinem Wagen, einem alten Porsche, den ich zu der Zeit noch fuhr, dann zu mir. Stolzer Blick. Er drückte mit kurz und fest die Hand, stellte sich vor.

Er hatte sich, das erfuhr ich später, genauestens über mich informiert. Der Blick sagte: So, so, der Herr Primar will jetzt also bei uns arbeiten …

Komm mit, sagte er dann, es gibt viel zu tun.

Wir gingen sogleich auf die Wiesen, er drückte mir eine Heugabel in die Hand. Wir rechten das trockene Gras zusammen, luden es auf den Karren, fuhren es fort. Erst am Abend in der Stube – ich war völlig erledigt von der harten Arbeit – stellte der Bauer seine Familie vor: die Frau, die beiden Kinder, den alten Vater, der in der Ecke beim Ofen unterm Jesuskreuz saß.

Der Alte sagte, er habe mich den ganzen Nachmittag über auf den Wiesen beobachtet.

Er sagte: Der weiß schon, wie man mit einer Heugabel umgeht, den nehmen wir.

Ich lebe nun also stets ein paar Sommerwochen oben am Hof. Für Kost und Logis. Eigene Bettwäsche. Das Bad der Familie darf ich mitbenutzen. Ich fühle mich in die Kargheit meiner Kindheit zurückversetzt. Und es tut gut. Im Wissen, dass ich jederzeit wieder in mein eigentliches Leben zurückkehren kann.

Wir arbeiten viel. Die Natur gibt den Rhythmus vor: Sobald es hell wird, geht es los. Wenn man nichts mehr sieht, ist Feierabend. Regnet es, arbeiten wir weniger, dann machen wir all das, was es so am Hof zu tun gibt: Holz hacken, den Stall säubern, Zäune reparieren, die Waale instand halten, die das Gletscherwasser zu den Behausungen transportieren – ein jahrtausendealtes Bewässerungssystem, das immer noch seinen Dienst tut. Später dann rasten wir auch mal auf der Ofenbank. Und hören dem Geräusch des prasselnden Regens zu.

Mittags wird ordentlich gegessen: Spaghetti mit Ragù, Gulasch mit Kartoffeln, Schlutzer mit Spinatfüllung, dazu Quellwasser vom Brunnen. Abends, immer so gegen halb neun, einfache, gute Bauernküche: selbst gemachter Speck, selbst gemachte grobe Salami, Milch von den eigenen Kühen, Käse von einem der Nachbarhöfe, etwas Salat aus dem eigenen Garten, dazu selbst gemachten Brennnesselsaft. Nichts wird weggeworfen. Bleibt doch mal etwas übrig, bekommen es die Schweine.

Das ist das Leben hier oben. Mehr braucht die Bauernfamilie nicht. Sie sind immer da. Die Kinder gehen unten im Tal zur Schule, aber der Bauer und auch sein Vater kennen nur den Hof. Die Berge ringsum. Unten im Tal, im Dorf, sind sie nur selten. Urlaub? Wozu? Einmal, erzählte mir der Bauer, seien sie zum Kalterer See gefahren, ein Nachmittagsausflug für die ganze Familie, ein Eis essen. Doch schnell ist ihnen da langweilig geworden, also sind sie bald zurück. Nach Hause, hoch zum Hof. Weil es nirgends schöner sein kann. Er ist so stolz auf sein Zuhause.

Mir tut die Arbeit gut. Sie gibt mir das Gefühl, zu gestalten, zu helfen, gebraucht zu werden. Jeder Tag ergibt Sinn. Und beschert mir eine wohlige Zufriedenheit. Von morgens bis spätabends. Mittlerweile ist der Bauer etwas gesprächiger geworden. Eines Tages reichte er mir ein Bier, da wusste ich, er mag mich. Ein bisschen zumindest.