Der schmale Grat - Hubert Messner - E-Book
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Der schmale Grat E-Book

Hubert Messner

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Beschreibung

Er kämpft für die Kleinsten und Zerbrechlichsten – eine Passion, die seine medizinische Laufbahn von Anfang an geprägt hat. Hubert Messner, der Bruder von Reinhold Messner, ist Neonatologe, Neugeborenenmediziner.

Wann beginnt das Leben? Wann ist es lebenswert? Und wann ist es besser, einen kleinen Patienten sanft gehen zu lassen? All diese Fragen bewegten ihn nicht nur als Chefarzt des Klinikums in Bozen, einer der renommiertesten Neugeborenen-Intensivstationen Europas, wo er zahlreiche Frühchen ins Leben geführt hat, sondern auch als Vater, dessen ältester Sohn viel zu früh zur Welt kam.

Oft sind es die Gratwanderungen, die Balanceakte zwischen den Extremen, aus denen man intensiv lernen kann. Das erfährt Hubert Messner auch, wenn er mit seinem Bruder Reinhold den Nanga Parbat in Angriff nimmt, Grönland durchquert oder sich zum Nordpol aufmacht. Immer gilt es, den Wert des Lebens zu spüren und in kritischen Momenten die richtige Entscheidung zu treffen.

Voller Empathie und Leidenschaft erzählt Hubert Messner von seiner Kindheit und Jugend in den Bergen, von seiner beruflichen Tätigkeit als Neonatologe, seinen schwierigsten Fällen und den abenteuerlichen Expeditionen an der Seite seines Bruders Reinhold.

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Er kämpft für die Kleinsten und Zerbrechlichsten – eine Passion, die seine medizinische Laufbahn von Anfang an geprägt hat. Hubert Messner, der Bruder von Reinhold Messner, ist Neonatologe, Neugeborenenmediziner.

Wann beginnt das Leben? Wann ist es lebenswert? Und wann ist es besser, einen kleinen Patienten sanft gehen zu lassen? All diese Fragen bewegten ihn nicht nur als Chefarzt des Klinikums in Bozen, einer der renommiertesten Neugeborenen-Intensivstationen Europas, wo er zahlreiche Frühchen ins Leben geführt hat, sondern auch als Vater, dessen ältester Sohn viel zu früh zur Welt kam.

Oft sind es die Gratwanderungen, die Balanceakte zwischen den Extremen, aus denen man intensiv lernen kann. Das erfährt Hubert Messner auch, wenn er mit seinem Bruder Reinhold den Nanga Parbat in Angriff nimmt, Grönland durchquert oder sich zum Nordpol aufmacht. Immer gilt es, den Wert des Lebens zu spüren und in kritischen Momenten die richtige Entscheidung zu treffen.

Voller Empathie und Leidenschaft erzählt Hubert Messner von seiner Kindheit und Jugend in den Bergen, von seiner beruflichen Tätigkeit als Neonatologe, seinen schwierigsten Fällen und den abenteuerlichen Expeditionen an der Seite seines Bruders Reinhold.

HUBERT MESSNER

LENZ KOPPELSTÄTTER

DER

SCHMALE

GRAT

Als Arzt und Abenteurer

zwischen Leben und Tod

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Copyright © 2020 by Ludwig Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angelika Lieke

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München

Umschlagfoto: Kay Blaschke (Vorderseite)

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-25127-7V004

www.ludwig-verlag.de

Für Cristina, Alex, Tim und Nik

INHALT

STERBEN

DAS GESCHENK

KINDHEIT IN DEN BERGEN

DIE STATION

REBELL

STUDENT

SOLDAT

BIENE MAJA

KENNEDY

EIN JUNGER ARZT

WENN DAS LEBEN BEGINNT

HIMALAJA

DIE SCHWERSTEN STUNDEN

HELDEN VON GRÖNLAND

STILLE

DER WERT DES LEBENS

SCHEITERN AM NORDPOL

GRENZEN

SCHULD

NANGA PARBAT

AM STEILEN HANG

ARZT IM 21. JAHRHUNDERT

INTENSIV LEBEN!

WELLEN

ZEITLEISTE

QUELLEN UND BILDNACHWEIS

BILDTEIL

STERBEN

Und dann wird dir zum ersten Mal im Leben klar: Unter deinen Händen stirbt ein Kind.

Ich versuche, mich zurückzuerinnern. Wann war das? Als junger Arzt, auch im Rahmen der Ausbildung, wird man etliche Male mit dem Tod konfrontiert. Du siehst kleine Patienten, die sterben, tote Kinder, aber du fühlst dich für ihren Tod nicht verantwortlich. Sie sterben, aber sie sterben nicht dir. Du arbeitest im Team, du stehst in der zweiten Reihe, und wenn es kritisch wird, kommt der alte, erfahrene Oberarzt und übernimmt. Wenn das Kind stirbt, steht da vorne der Oberarzt.

Du bist zwar dabei, du siehst das Sterben, aber du stehst weiter hinten, du lässt es nicht so nah an dich heran. Kannst du auch gar nicht. Du bist noch viel zu jung dafür. Du würdest es nicht aushalten.

Ein totes Kind, ja. Aber da sind doch noch die anderen, die um dich stehen, die vor dir stehen. Weg! Verdrängen! Weg mit dem Tod! Ein junger Arzt zieht einen Schutzwall um sich herum, er will mit dem Tod nichts zu tun haben. Er sagt sich: Tod, das ist doch nicht das, weshalb ich Mediziner geworden bin. Das ist doch nicht meine Aufgabe. Ich bin schließlich nicht Pathologe geworden. Meine Aufgabe ist es, Menschen zu heilen, Menschen ins Leben zurückzuholen, Kinder zu retten. Ich bin Arzt. Lebensarzt. Nicht Totenarzt. Ich will Leben retten, weg mit dem Tod.

Der Tod kommt nicht vor.

Ich war 25 Jahre alt. Es war in Bozen. Im Sommer 1978. Ich hatte mein Medizinstudium beendet, auf der Station meine ersten Praktika gemacht. Ich war auf der Kinderinfektionsabteilung, wo wir mit einer schlimmen Epidemie zu kämpfen hatten. Eine Infektionskrankheit grassierte in Südtirol, die mehrere Kinder angesteckt hatte. Die Kinder wurden nach Bozen verlegt. Alles Neugeborene.

Die Situation war außergewöhnlich, schlagartig wurde mir in diesem Sommer bewusst, wie schnell Kinder sterben können. Kinder, die am Abend zuvor zwar krank, aber noch aktiv gewesen waren. Sie hatten Fieber, hingen am Tropf, aber sie lebten.

Am nächsten Tag waren sie tot.

Ich hatte mir einen Schutzmechanismus aufgebaut. Weil ich jung war. Weil ich unerfahren war. Wenn ich heute daran zurückdenke, bin ich mir sicher, dass ich es ohne diesen Schutzmechanismus nicht geschafft hätte. Die damalige Oberärztin war eine große Hilfe für mich. Sie hat mich viel gelehrt. Sie hat mich auch gelehrt: Manche Kinder dürfen sterben.

Drei Kinder sind damals innerhalb weniger Wochen gestorben. Wir konnten sie nicht retten, hatten keinerlei Möglichkeit.

Der Tod gehört zu unserer Arbeit.

Sie hatte mich so viel gelehrt, diese Ärztin: wie man sich einem Kind annähert, wie man es beobachtet, ganz anders als einen Erwachsenen. Sie hatte mich oft gefragt: Wie siehst du heute dieses Kind? Sie wollte keine Daten erfahren, keine Auswertungen. Sie fragte einfach, was ich beobachtet hatte. Wie das Kind auf mich wirkte. Als junger Arzt willst du untersuchen: Bauch abtasten, Lunge abhorchen, Herz prüfen. Aber sie fragte: Was hast du beobachtet? Leidet das Kind? Hat es Schmerzen? Welche Bedürfnisse hat es? Und forderte mich auf: Zieh deine Schlussfolgerungen daraus. Sie riss mich aus dem Tunnel der medizinischen Systematik heraus. Die Herangehensweise dieser Frau weckte die Begeisterung für den Arztberuf in mir. Das kann man an der Universität nicht lernen.

Genauso wenig wie den Umgang mit dem Tod.

Ein Kind ist tot.

Schutzmechanismus. Eine Mauer. Vielleicht war auch Zynismus Teil dieser Mauer. Vorgetäuschte Coolness, so tun, als ob einen das alles kaltließe.

Ja, das kann sein.

Vielleicht musste es sein.

Es gab diese drei Kinder, die ich sterben sah. Das war das erste Mal, dass ich mit dem Tod eines Menschen konfrontiert wurde, vom Sterben der Großeltern einmal abgesehen.

Ich erinnere mich an den Tod meiner Großmutter mütterlicherseits und an den Tod des Großvaters väterlicherseits. Ich war noch ein Kind. Grundschüler. Das Sterben der Alten gehörte ins Leben. Der Tod der Großeltern, der Tod alter Menschen im Dorf, davon machte man nicht viel Aufhebens. Ein alter Mann stirbt, eine alte Frau stirbt. Kinder werden geboren. Der Kreislauf des Lebens. Des Seins. Der Gang der Dorfgeschichte.

Der erste Tod überhaupt, an den ich mich erinnern kann, der mich schon als Kind beeindruckt hatte, war der Tod von John F. Kennedy. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Die Nachricht drang zu uns ins Tal. Ins Dorf. Drüben, in Amerika, haben sie den Präsidenten erschossen. Er war noch jung. Er sollte noch nicht sterben. Meinen Vater berührte dieser Tod sehr. Mein Vater war ein politischer Mensch. Dorflehrer, Schulleiter, Vizebürgermeister, Kriegsüberlebender. Kennedy war für ihn eine Hoffnung, weit weg – und doch da. Jetzt war er plötzlich tot.

Erschossen.

Wir hatten keinen Fernseher, die Nachricht des toten Präsidenten erreichte uns wohl mit Verspätung. Mein Vater kam vom Gasthaus nach Hause und erzählte es uns. Mein Vater hat zu Hause viel von Politik gesprochen. Vieles habe ich damals noch nicht verstanden. Einiges aber schon: Da gab es zwei Großmächte. Auf der einen Seite die Sowjetunion, auf der anderen Seite Amerika. Dazwischen Europa, das sich vom Krieg erholte. Wir hatten Angst vor dem Kommunismus in unserem Tal. Angst, dass die Russen über uns herfallen. Amerika war unsere Perspektive. Und nun war dieser junge Kennedy tot.

1963.

Wir Schulkinder mussten in die Kirche. In St. Peter, im Villnößtal, in Südtirols Bergen, wurde für John F. Kennedy eine Messe gehalten. Mein Vater und der Pfarrer hatten das so bestimmt.

Das war der erste Tod in meinem Leben, der nicht sein sollte, der sich nicht richtig anfühlte. Der zu früh kam und eine Lücke hinterließ, weil da noch ein Weg zu gehen gewesen wäre. Weil der noch nicht alt war, der Kennedy, noch nicht am Ende seines Weges angekommen war, so wie meine Großeltern.

Jemand, der nicht hätte sterben dürfen.

Ein Kind tot, dessen Leben gerade erst hätte beginnen sollen. Alte Menschen sterben, das ist so, aber ein Kind sterben zu sehen ist etwas ganz anderes.

Kennedy war vergessen, ich war Medizinstudent, da wirst du mit dem Tod nicht konfrontiert. Mit Leichen, ja. Aber das ist nicht der Tod. Eine Leiche ist etwas, an dem man arbeitet, an dem man lernt. Du siehst diese Hülle nicht als jemanden, der gestorben ist. Das ist eine Leiche, kein Toter.

Obduktionsleichen haben mich nie berührt. Sie haben mich nur als Objekt fasziniert. Wir haben uns auch nicht mit der Geschichte der zu sezierenden menschlichen Überreste beschäftigt.

Vielleicht hätten wir das tun sollen. Vielleicht sollte man Medizinstudenten, bevor sie sich an toten Körpern ausprobieren dürfen, klarmachen, dass in diesen Körpern einmal Leben steckte. Vielleicht sollte man vorab vom Leben dieser Menschen erzählen.

Warum ist dieser Mensch gestorben? Warum hat er sich als Objekt für die Wissenschaft zur Verfügung gestellt?

Vielleicht.

Ich habe in den vergangenen Jahren mit vielen Kollegen über diese Frage gesprochen. Auch sie sagten mir: Nein, wir haben uns nicht mit dem Leben der Leichen beschäftigt. Wir haben Muskeln freigelegt, Sehnen freigelegt, Bänder freigelegt, uns auf das Studium konzentriert. Nicht auf den Menschen. Nicht auf die Person. Pure Abstraktion.

Vielleicht muss das so sein.

Vielleicht.

Ein Kind stirbt, ich stehe in dritter Reihe, weit hinter dem Oberarzt. Der Oberarzt sagt, wir können nichts mehr tun. Ich spüre keine Regung in mir. Keine Trauer, keine Wut. Nur rationales Denken: Das kann nicht sein! Es muss doch noch Möglichkeiten geben! Ich denke nur: Wir müssen weiter forschen, neue Möglichkeiten finden.

Das einzelne Schicksal spielte keine Rolle mehr, sobald ich das Krankenhaus verließ.

Zu Hause erzählte ich: Heute ist ein Kind gestorben. Das war’s. Sieg der Rationalität. Der Oberarzt hatte erklärt, warum das Kind sterben musste. Ich hatte es verstanden. Es gab medizinische Gründe. Es wurde nicht erschossen, wie Kennedy, der Tod war erklärbar. Grausam, aber erklärbar.

Ein totes Kind.

Verdrängen, Rationalität, Selbstschutz, Mauer.

Jahre darauf starben uns Kinder aufgrund solcher Infektionen nicht mehr.

Später bewegte mich der Tod der Kinder viel mehr. Viel, viel mehr.

Mein erstes totes Kind, meins, als ich nicht mehr in der dritten Reihe stand, hieß Anna*. Immer noch in Bozen, zwei Jahre später, 1980. Ich arbeitete auf der Neugeborenenstation, die noch keine Intensivstation war, wie wir sie heute kennen.

Ich war noch ein junger Arzt, arbeitete mit Enthusiasmus. Ich lernte schnell und in kurzer Zeit. Der Oberarzt übergab mir viel Verantwortung, und ich nahm sie gerne an. Ich war 27. Es war Frühling. Ich war begeistert von der Arbeit. Unsere Möglichkeiten, Frühchen zu betreuen, waren begrenzt, die Beatmungsmöglichkeiten einfach. Wir haben die Kinder mit frischer Muttermilch ernährt, künstliche Ernährung kannten wir nicht.

Oft war ich nachmittags allein in der Station. Für Anna fühlte ich mich verantwortlich. Sie hatte leichte Atemprobleme, sich aber planmäßig von der Geburt und den ersten Lebenstagen im Brutkasten erholt. Sie wog über 1 000 Gramm.

Mittags ging es ihr noch gut, nachmittags traten plötzlich und völlig überraschend Komplikationen auf. Eine Kinderkrankenpflegerin rief mich. Sie hatte viel Erfahrung. Als junger Arzt waren erfahrene Pflegerinnen damals eine große Stütze, sie waren Autoritäten, Ansprechpartner.

Sie sagte mir: Dem Kind geht es sehr schlecht.

Ich war überrascht. Ich dachte: Warum? Es war doch eben noch alles in Ordnung.

Ich hatte gelernt, Kinder zu beobachten, und war überzeugt, ziemlich gut darin zu sein. Die Eltern waren im Krankenhaus, aber gerade nicht beim Kind, ich bat sie dazu. Ich sah das Kind an. Es sah mehr tot als lebendig aus. Gräulich. Blass. Aber dass Anna tatsächlich sterben könnte, daran glaubte ich keinen Moment. Im Enthusiasmus meiner jungen Jahre dachte ich: Ich kann alles. Ich rette jedes Leben. Dafür bin ich schließlich ausgebildet. Zu heilen.

Eine Hybris.

Auch die Eltern glaubten nicht daran, auch für sie war das nicht vorstellbar. Das Kind wird leben, muss leben. Die Kinder waren damals kaum an Überwachungsgeräte angeschlossen, es lief fast alles über Beobachtung. Unsere Instrumente waren unsere Augen. Unsere Erfahrungen.

Die Pflegerin sagte mir: Dr. Messner, das Kind stirbt Ihnen.

Ich antwortete: Das Kind stirbt mir sicher nicht.

Wir schlossen Anna an einen unserer wenigen Monitore an. Im Blick des Kindes war kein Leben mehr.

Wir schickten die Eltern aus dem Zimmer. Das war damals so üblich. Das würden wir heute nicht mehr so machen.

Wir riefen den Oberarzt an.

Er sagte: Gebt dem Kind noch mehr Sauerstoff, gebt ihm Flüssigkeit. Ich bin unterwegs.

Wir erhöhten den Sauerstoffgehalt im Inkubator. Dem Kind ging es jedoch sehr schlecht, und es war mir nicht mehr möglich, eine Infusion zu legen. Der Kreislauf war bereits zusammengebrochen.

Ein Wimpernschlag.

Keine Herzfrequenz mehr.

Blass. Dunkelgrau.

Als der Oberarzt schließlich ankam, war das Kind bereits tot. Es war das erste Mal, dass ich erfahren habe, wie schnell so ein kleines Wesen sterben kann. Die Haut fühlte sich sofort an wie kaltes Wachs. Das habe ich heute noch in Erinnerung, als wäre es gestern gewesen. So kalt, so schnell.

Anna. Ich fühlte mich verantwortlich. Zum ersten Mal. Ich hatte versagt. Es war eine Niederlage für mich. Anna war tot. Es gab keine zweite Chance.

Hatte ich alles richtig gemacht? Was hatte ich übersehen? Weshalb war ich nicht imstande gewesen, noch eine Infusion zu legen, Flüssigkeit zu geben?

Ich hatte versucht, das tote Kind zu reanimieren. Aggressiv. Ich hatte dem Kind intrakardial Adrenalin verabreicht, weil keine Vene zu finden gewesen war. Ich konnte mir selber nicht eingestehen, dass Anna tot war. Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich dachte: Das gibt es einfach nicht.

Das Kind ist tot, sagte der Oberarzt. Er zog mich regelrecht weg.

Er fragte mich: Haben Sie das gemacht? Und das gemacht? Und auch das?

Ja. Ja. Ja.

Dann haben Sie alles gemacht.

Das rechne ich ihm heute noch hoch an. Er hatte versucht, mir das Gefühl des Versagens zu nehmen. Er sagte: Es gibt nicht die Schuld. Es gibt den Verlauf einer Krankheit, an dessen Ende wir manchmal einfach nichts machen können. Er verstand, unter welchem Druck ich gestanden hatte.

Auch die Oberschwester hatte mir Mut zugesprochen. Sie sagte: Das war ein Krankheitsbild, das Sie nicht beherrschen konnten. Sie hatte mir die große Last abgenommen. Die beiden waren sehr erfahren, sie hatten erkannt: Dem Kind kann nicht mehr geholfen werden, jetzt müssen wir diesem jungen Arzt helfen. Sie hatten versucht, mich aufzufangen.

Später habe ich stets versucht, es mit jungen Kollegen genauso zu machen. Wenn junge Ärzte mich angerufen haben, gesagt haben: Das Kind stirbt mir. Dann hatte ich stets dieses Mädchen, Anna, im Kopf. Auch das Bild, wie ich aufgefangen wurde.

Ich habe mich damals immer wieder gefragt: Ist das Kind wirklich tot? Immer wieder ging ich zu Anna, aber ich hatte Angst, sie erneut zu berühren. Ich hatte Schuldgefühle. Dem kleinen Wesen gegenüber, den Eltern gegenüber. Dem Oberarzt gegenüber, der mir großes Vertrauen entgegengebracht hatte.

Nach einer Weile wollte ich dann nur noch weg. Raus. Die Laufschuhe holen. In den Wald gehen. Laufen.

Ich redete kurz mit den Eltern. Ich sagte ihnen, wie leid es mir tut. Der Oberarzt sprach länger mit ihnen. Er hatte verstanden, dass ich keine Kraft hatte, den Eltern Kraft zu geben. Ich war nur versunken in meinem Versagen und in meinen Schuldgefühlen.

Machen Sie sich bitte keine Vorwürfe, sagte der Oberarzt noch einmal zu mir.

Laufen. Im Wald. Ich machte mir Gedanken, ob der Arztberuf wirklich das war, was ich machen wollte. Ob ich das noch einmal erleben wollte. Doch gleichzeitig ließ ich den Tag Revue passieren. Ich kam zu dem Schluss: Ich hatte alles getan, was möglich war. Ich kam auch zu dem Schluss: Ich will nach Möglichkeiten suchen, Kinder intensiver zu behandeln. Mehr lernen. Besser werden. Es muss noch mehr Möglichkeiten geben, den Kindern zu helfen.

Das Laufen beruhigte mich. Es gab mir neues Selbstvertrauen. Und es schenkte mir Distanz.

Am darauffolgenden Tag nahm mich der Chefarzt, der Leiter der gesamten Kinderabteilung, mit zur Autopsie. Wir sprachen kaum. Auch nicht über die Ereignisse des vorangegangenen Tages.

Die Autopsie bestätigte, dass Anna eine schwere Infektion gehabt hatte. Wir hatten keine Möglichkeit, das früher festzustellen.

Danach lud mich der Chefarzt zu einem Kaffee ein. Wir nahmen beide einen Schluck, dann sagte er: Lieber Kollege, das ist das Leben.

Das hat mich sehr beeindruckt.

Und nun verstand ich.

Auch das Sterben gehört zum Leben.

*   Alle mit einem * gekennzeichneten Namen wurden geändert. [zurück]

~

Scheiße, Schatz! Die Fruchtblase ist geplatzt. Plötzlich ist der Kopf wie in Watte gehüllt. Das Blickfeld verengt sich zum Tunnel. Alles läuft ab wie im Film. Du schaust dir selbst beim Aufstehen zu. Die Zunge wird schwer, als wärst du besoffen. Das Hirn, wie gelähmt. Jetzt! Das langsame Hirn vertraut den Ohren, den Augen nicht. Wie? Jetzt? Jetzt schon? Aber … es ist doch erst … wir sind doch erst … du bist doch erst in der 33. Woche.

Ich, der sonst so Rationale, kriege jetzt, im entscheidenden Moment, nichts auf die Reihe. Ich versage. Ich schwimme im weiten Ozean. Ich verspüre noch nicht einmal Angst, keine Panik. Nichts.

Meine Frau, sonst eher chaotisch, hat auf Autopilot geschaltet. Sie verschwindet im Bad. Sagt mir ganz ruhig, ganz klar: Ruf bitte den Rettungswagen. Ich verstehe die Aufgabe, doch meine Hände zittern, mein Hirn zittert auch. Notruf, klar. 1 – 1 … was noch mal? Da weiß ich also, wie sich der Wer-wird-Millionär-Kandidat fühlt bei der 500-Euro-Frage von Günther Jauch. Antwort a: 112? Antwort b: 118? Antwort c: 227? Sie wollen also tatsächlich jetzt schon den Publikumsjoker …? Verdammt, Ilay kommt. Scheiße, ich werde Vater. Ich klopfe an die Badtür. Alles in Ordnung bei dir? Ich beiße mir auf die Lippen. Was für eine saublöde Frage. Schatz, der Rettungswagen kommt gleich. Ilay kommt! 33. Woche. Wie viel zu früh ist denn das? Ist das richtig zu früh? Nur ein bisschen zu früh? Ist das jetzt ein schöner Moment? Ein gefährlicher? Muss ich Angst haben? Was, verdammt noch mal, kann ich tun? Ich zittere. So als hätte ich Fieber. Was sind wir Männer nur für schwache Kreaturen, wenn’s drauf ankommt.

Im Fenster reflektiert das Blaulicht. Es klingelt. Endlich. Der Rettungswagen ist da.

~

DAS GESCHENK

Was mich an Kindern fasziniert? Wie sie sich entwickeln. Die Neonatologie beginnt eigentlich bereits mit der Schwangerschaft, du beobachtest den Fötus, arbeitest mit den Geburtshelfern und Gynäkologen zusammen und verfolgst etwas Werdendes von Anfang an. Weit vor der Geburt. Du siehst den Ultraschall. Das ist faszinierend.

Bei der Geburt spürst du dann die Energie dieser Kinder. Es beeindruckt dich jedes Mal aufs Neue. Wenn sie auch noch so klein sind. Die Lebensenergie dieser kleinen Wesen, dieser Lebenswille, den der Mensch generell hat, ist immens. Und du kannst ihnen helfen. Sie haben die Energie, aber sie brauchen dennoch oft ein bisschen Hilfe. Diese Hilfe zu geben, das erfüllt dich. Manche Frühchen können die Augen nicht öffnen, aber bei denjenigen, die dich ansehen, erkennst du, dass sie merken, dass du ihnen hilfst. Ein unglaubliches Gefühl.

Wir helfen ihnen, über eine Brücke zu gehen, hinüber zum Leben. Sie brauchen nicht viel, wir halten nur ihre Hände, sie gehen alleine. Du siehst als Arzt von Tag zu Tag, wie sie sich erholen, wie sie sich entwickeln. Wie sie Energie entwickeln und einem selbstständigen Leben entgegengehen. Die Kraft nimmt zu, aber auch der Lebensgeist, die Lebensfreude. Das ist einfach unbeschreiblich.

Du betreust diese Kinder dann bis in die Pubertät. Du siehst, wie sie die motorischen Etappen meistern, aber auch die kognitiven. Du beobachtest ihre soziale Entwicklung – gemeinsam mit den Eltern. In wohl keinem anderen Ärzteberuf, in fast keinem anderen Beruf überhaupt, begleitest du Kinder so lange. Das ist es – unter anderem –, was meinen Beruf so schön, so einzigartig macht. Du siehst nicht nur Teilaspekte, du siehst das Ganze.

Nur der Gemeindearzt hat eine ähnliche Funktion. Er begleitet manche Menschen von ihrer Kindheit an bis weit ins Erwachsenenleben. Auch das stelle ich mir sehr schön vor.

Wir Neonatologen begleiten auch Kinder, die durch die frühe Geburt im Leben mit Handicaps klarkommen müssen. Auch das ist eine wichtige und interessante Arbeit. Besonders wenn man sieht, wie Eltern sich mit dem Handicap des Kindes verändern. Erst wissen sie nicht, wie damit umzugehen ist, dann gewinnen sie Selbstvertrauen, werden stark.

Ich spreche hauptsächlich von motorischen und kognitiven Beeinträchtigungen. Lungen- und Herzproblematiken sind heute relativ gut operierbar.

Jede Frau wird schwanger und denkt: Ich werde ein gesundes Kind haben. Auch der Vater denkt das. Geschlecht? Egal. Hauptsache gesund. Nichts anderes zählt. Nichts anderes wünscht man sich im Innersten. Aber etwas mehr als zehn Prozent der Kinder haben Probleme bei der Geburt. Von diesen zehn Prozent haben wiederum zehn bis 15 Prozent eine Beeinträchtigung, die grundsätzlich mit einer negativen Valenz behaftet ist. Wir versuchen immer, Eltern so früh wie möglich über eventuelle Handicaps zu informieren, wir bemühen uns jedoch auch, dies nicht im negativen Sinne zu machen. Wir versuchen über positive Entwicklungsmöglichkeiten zu sprechen.

Männer tun sich schwerer als Frauen, mögliche Beeinträchtigungen zu akzeptieren, da müssen wir mithelfen, begleiten, damit die Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern nicht durch diese Beeinträchtigung leidet. Eltern und das soziale Umfeld spielen eine ganz große Rolle bei der Entwicklung des Kindes. Wenn ich als Elternteil das Handicap akzeptiere, dann helfe ich meinem Kind ungemein.

Man muss den Eltern aber auch Zeit geben. Viele, viele Male mit ihnen reden. Diese Gespräche, auch wenn sie sich wiederholen, auch wenn sie dich als Arzt vielleicht sogar ermüden, sind ungemein wichtig. Wir dürfen nicht darauf verzichten.

Die Eltern fragen immer: Warum ist das passiert? Warum ist das gerade uns passiert?

Du musst sie darüber immer wieder sachlich aufklären.

Dann fragen sie: Warum sehen wir keine Fortschritte?

Dann musst du ihnen die kleinen Fortschritte aufzeigen, die sie am Anfang einfach nicht erkennen können.

Das Interessante ist, dass die Eltern im Laufe der Zeit umschwenken, im Kind plötzlich nur noch Positives, oft sogar Unrealistisches sehen. Dann ist es unsere Aufgabe, sie wieder in die Realität zurückzuholen, ihnen zu sagen: Tut mir leid, aber Ihr Kind wird das nicht können.

Ein Neonatologe ist der erste Ansprechpartner für die Eltern, als Arzt, Psychologe, in gewissem Sinne Seelsorger, alles zusammen. Oft habe ich Gespräche geführt, die mit dem Kind eigentlich gar nichts zu tun hatten. Ich bin da zum Zuhören. Egal, worum es geht. Ein Chirurg will einfach nur operieren, der hat mit Eltern nichts am Hut, aber zu unserem Job gehört das dazu. Und es ist schön und wichtig, dass es dazugehört.

Wir beobachten die Freuden und die Trauer der Eltern, wir sind das Netz, das sie auffängt, wenn sie fallen.

Der Zugang zum Kind ist ein anderer als zum erwachsenen Patienten. Beim Kind besteht eine geringere Hemmschwelle. Aber wenn dich das Kind nicht an sich heranlässt, hast du keine Chance, beim Erwachsenen kann man das eher rationalisieren. Das Kind funktioniert nur über Emotion.

Ich habe während meiner Berufstätigkeit viele Neonatologie-Stationen weltweit gesehen. Überall hat mich der Enthusiasmus dort beeindruckt. Neonatologie-Abteilungen sind anders als andere Krankenhausstationen. Wir arbeiten mit den Kleinsten der Kleinen. Sie brauchen sehr viel Zuneigung, und wir alle haben gelernt, mit ihnen zu reden. Jeden Tag. Mit Kindern zu reden macht dich zu einem positiveren Menschen, und ich bin überzeugt, die Kinder geben dir viel Energie.

Es gibt auf den Neugeborenenstationen eine große Empathie. Wer keine Empathie hat, wird nicht lange in einer Neonatologie arbeiten. Das ist ein positiver Kreislauf, er siebt negative Energie aus.

Wir arbeiten heute viel weniger aggressiv, weniger invasiv als noch vor Jahrzehnten. Wir unterstützen die Kinder und geben ihnen die Chance, ihre eigenen Energien zu nutzen.

Jeden Tag wird über jedes einzelne Kind diskutiert, nicht über Nummern, über Kinder mit Namen, mit Gesichtern. An dem Tag, an dem ein Kind nach Hause gehen darf, ist die Begeisterung bei allen groß. Diese Begeisterung schwappt auf andere Eltern über, die noch warten müssen, kämpfen, hoffen.

Kinder, Eltern, Betreuer – wir bilden beinahe eine Einheit. Es geht nur zusammen. Niemand darf fehlen.

Glücksmomente gibt es viele: wenn ein Kind das erste Mal selbstständig atmet. Wenn es das erste Mal die Augen öffnet. Wenn du den Eltern sagen kannst, das Kind ist übern Berg, und dann das Glück in ihren Gesichtern siehst.

Wenn du spürst, wie die Eltern Vertrauen in ihre Kinder bekommen.

Bereits in den 1930er-Jahren gab es erste, primitive Frühchenstationen, man nannte sie »Stationen für schwache Kinder«. Wie falsch! Total falsch! Es sind Energiebündel. Man muss nur verstehen, dieser Energie einen Weg zu verschaffen.

Sie wollen leben. Und dieser Lebenswille muss gestärkt werden.

Die Eltern sind in den ersten Tagen überfordert, nicht vorbereitet auf diese Extremsituation. Sie haben Schwierigkeiten, sich mit dem möglichen Tod ihres Kindes auseinanderzusetzen. Diese Ängste müssen wir mildern. Negative Gedankenspiralen unterbrechen.

Wir ermutigen sie, ihr Kind zu berühren, es zu streicheln, mit ihm zu reden, ihm Geschichten zu erzählen. Das alles hilft den Eltern sehr beim Versuch, ihre Ängste zu bewältigen.

Sie hatten die Vorstellung von einem gesunden Kind, von einer unkomplizierten Geburt – und stehen jetzt vor einer komplett anderen Situation. Das ist eine extrem große Belastung, und sie müssen einen langen und oft schwierigen Lernprozess durchlaufen.

Oft ist der Ausgang ungewiss und nicht immer positiv.

Sollte das Kind beeinträchtigt sein, kann das die Eltern auseinanderreißen.

Es kann sie aber auch zusammenschweißen.

Das Kind lernt schnell, mit seiner Beeinträchtigung zu leben, und die Eltern lernen dann, mit diesem beeinträchtigten Kind zu leben.

Als ich begann, war die Neonatologie noch ein sehr junger Bereich innerhalb der Kinderheilkunde. Die Entwicklung von den 1970er-Jahren bis heute ist überwältigend – und es war schön, an dieser Entwicklung beteiligt gewesen zu sein. Ich hatte das große Glück, selbst Neues herausfinden und umsetzen zu können, neue Wege gehen zu können, nicht ohne mich dabei immer wieder selbst infrage zu stellen. Im positiven Sinne.

Wir Neonatologen haben Grenzen verschoben. Nicht nur die Überlebensquote, sondern auch die Lebensqualität der Frühchen hat sich über die vergangenen Jahrzehnte hinweg entschieden verbessert. Der Dank gilt meinen vielen Mitarbeitern und Kollegen. Wir haben das gemeinsam geschafft, ich habe lediglich die Richtung vorgegeben. Das Hauptaugenmerk habe ich dabei auf das Gemeinsame, auf die Zusammenarbeit gelegt, wobei jeder Einzelne für die Entwicklung in seiner Rolle wichtig war.

Während meiner Anfangsjahre waren die Neugeborenenstationen für Eltern noch vollkommen tabu. Ich hasste das. Es gab gläserne Korridore, durch die Verwandte gehen konnten, um zu den Kindern hineinzuschauen. Ich kam mir vor wie in einem Affenhaus. Das wollte ich nicht.

Als ich schließlich in der Position war, mitzudiskutieren, ließ ich Stationen für Eltern und auch für Geschwister öffnen. Die Infektionsgefahr von außen wurde damals als ein großes Problem für Frühchen betrachtet – auch wenn die Studien das nie beweisen konnten. In Wahrheit ist die Infektionsgefahr durch Keime innerhalb des Krankenhauses wesentlich größer. Und das Abschotten der Kinder tut niemandem gut. Den Kindern nicht und auch nicht den Eltern.

Die Öffnung war ein Kulturwandel – das betraf auch die Ärzte und Schwestern. Es gab viele Widerstände, aber ich setzte mich durch. Das Umdenken war wichtig, ebenso wie technische Entwicklungen wichtig waren, zweifelsohne. Davon bin ich bis heute überzeugt.

Die Humanisierung der Neugeborenenbetreuung ist ein zentraler Aspekt des stetigen Fortschritts auf diesem Gebiet. Überall in der Welt.

Die derzeitigen Ziele in der Neonatologie sind die Weiterentwicklungen der Überlebenschancen bei Geburten in der 22. und der 23. Schwangerschaftswoche. Ich persönlich bin keineswegs überzeugt, ob das tatsächlich der richtige Weg, das richtige Ziel ist. Heute überleben nur 20 bis 40 Prozent der in diesen Wochen geborenen Kinder, und diese Überlebenden haben ein sehr hohes Risiko einer Beeinträchtigung. Ich frage mich: Wo wird irgendwann die Grenze sein? Mit zunehmendem Alter, mit zunehmenden Arbeitsjahren und zunehmender Erfahrung stellte sich mir diese Frage immer öfter. Dürfen wir weitere Grenzen überschreiten? Müssen wir? Wo hört das auf?

Die Faszination Frühgeburt wird für mich bleiben, auch jetzt noch, da ich nicht mehr in die Station gehe.

Wie alle Kinder lernen auch die Frühchen jeden Tag etwas Neues dazu. Ihre Entwicklung ist ein langer Weg. Sie kommunizieren zunächst nur über Bewegungen, suchen Herausforderungen.

Dann beginnen sie zu sprechen, sich mitzuteilen.

Werden selbstständig.

Nabeln sich ab.

Ich liebe ihre Offenheit, die Unbeschwertheit. Sie sind ohne jegliche Vorurteile und gehen auf dich zu, wenn du es zulässt.

Ein Kind freut sich einfach an der Welt.

Welcher Erwachsene kann das noch?