Eine noble Adresse - Harry Balkow-Gölitzer - E-Book

Eine noble Adresse E-Book

Harry Balkow-Gölitzer

4,7

Beschreibung

Stille Parks und breite Alleen sowie der angrenzende Grunewald mit seinen Seen lockten seit der Gründung der Villenkolonie um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert reiche - und auch nicht ganz so reiche - Leute nach Dahlem. Maler und Filmstars, Politiker und Sportler, Schriftsteller, Unternehmer, Wissenschaftler bauten hier ihre Häuser. Sie prägten auch den Lebensstil in dem mondän-beschaulichen Villenvorort, der bis heute sein besonderes Flair bewahrt hat. Wer war die Prominenz, wo wohnte, wie lebte sie? Die Autoren sind ihren Spuren nachgegangen und erzählen spannende Geschichten über sie und die Zeit, in der sie in Dahlem zu Hause waren. Knapp dreihundert Personen aus den letzten hundert Jahren werden in dem Buch vorgestellt, davon gut fünfzig mit ausführlicheren Texten.

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Harry Balkow-Gölitzer, Bettina Biedermann, Rüdiger Reitmeier, Jörg Riedel

Eine noble Adresse

Prominente in Berlin-Dahlem und Ihre Geschichte

Herausgegeben von Burkhardt Sonnenstuhl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CDROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

ebook im be.bra verlag, 2014

© der Originalausgabe:

berlin edition im be.bra verlag GmbH

Berlin-Brandenburg, 2005

KulturBrauerei Haus 2

Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin

[email protected]

Umschlag: Friedrich, Berlin

ISBN 978-3-8393-4115-5 (epub)

ISBN 3-8148-0136-9 (print)

www.bebraverlag.de

Danksagung

Wir danken allen Personen und Institutionen für ihre große Hilfsbereitschaft. Sie gaben uns Informationen, stellten Material, Fotos, Dokumente und Veröffentlichungen zur Verfügung. In alphabetischer Reihenfolge seien genannt:

Albert Breinig,

Daniel Cilento,

Eva und Dieter R. Elter,

Dr. Michael Engel (Universitätsarchiv FU Berlin),

Brigitte Erdmann,

Prof. Hans Rupprecht Goette (Deutsches Archäologisches Institut),

John J. Hackbarth,

Dr. Helwig Hassenpflug,

Sabine Wellmann-Heiliger,

Prof. Dr. Eckart Henning (Archiv der Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft),

Ursula Heisinger,

Herbert Kubes (Erbengemeinschaft Marinemaler Prof. Hans Bohrdt 1857 – 1945),

Büro Wilhelm Kühne,

Klaus Laskowski,

Dr. Haila Ochs,

Christa Ronke, Brigitte und Hans-Joachim Schellmann,

Sonja Schön,

Renate Strehl,

Ingeborg Wegel

Für finanzielle Unterstützung bedanken wir uns herzlich bei:

Dr. Juliane Brandes,

Restaurant »Il Gattopardo«,

Karl-Hermann Karbig, Immobilien

Inhalt

Zum Geleit

Vorwort

Vom Dorf zur Villenkolonie

Villenkultur

Jüdische Spuren

Dolce Dahlem

Braunes Dahlem

Stätte des Widerstands

Ein deutsches Oxford

Nobelpreisträger

Ahrends, Bruno

Bergner, Elisabeth

Blumenthal, Michael W.

Bohrdt, Hans

Boveri, Margret

Breker, Arno

Clay, Lucius Dubignon

Cziffra, Géza von

Debye, Peter

Deltgen, René

Diehl, Karl Ludwig

Ebinger, Blandine

Einstein, Albert

Feuchtwanger, Lion

Froelich, Carl

Fulda, Ludwig

George, Stefan

Haeften, Hans-Bernd von

Hahn, Otto

Harbou, Thea von

Heiliger, Bernhard

Immerwahr, Clara

Klein, Melanie

Knef, Hildegard

Kowa, Victor de

Krauss, Werner

Lang, Fritz

Leander, Zarah

Meinecke, Friedrich

Meitner, Lise

Minetti, Bernhard

Müller, Renate

Niemöller, Martin

Olbricht, Friedrich

Porten, Henny

Ribbentrop, Joachim von

Riefenstahl, Leni

Schmeling, Max/Ondra, Anny

Schmidt-Rottluff, Karl

Schnitzler, Karl-Eduard von

Schoenhals, Albrecht

Stahl, Heinrich

Staudte, Wolfgang

Stauss, Emil Georg von

Ullrich, Luise

Vostell, Wolf

Wagner, Winifred

Warburg, Otto Heinrich

Weiß, Bernhard

Wertheim, Wilhelm

Wiegand, Theodor

Anmerkungen

Abkürzungen

Empfohlene Rundgänge durch Dahlem

Gräber von berühmten Persönlichkeiten in Dahlem

Auf einen Blick – die Prominenten in Dahlem

Piktogramme

Die Autoren

Bildnachweis

Dorfkirche St.-Annen 1896.

Zum Geleit

Liebe Leserinnen und Leser,

Dahlem verfügt über einen der ältesten noch erhaltenen Ortskerne Berlins und besitzt aufgrund seiner geographischen Lage einen außergewöhnlichen Wohnwert. Es liegt in unmittelbarer Nähe des beliebten Erholungsgebietes Grunewald, und dennoch bietet sich die Möglichkeit, in sehr kurzer Zeit in das pulsierende Leben der nahe gelegenen Großstadt einzutauchen. Kernstück und Mittelpunkt Dahlems ist die traditionsbehaftete Domäne Dahlem, ein Freilichtmuseum mit einzigartigem Reiz.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann die Parzellierung der Felder der Domäne Dahlem, und nach dem Willen der Planer sollte nicht nur ein ruhiger Villenort, sondern auch eine weltoffene »Stadt der Wissenschaft« entstehen. Dieser doppelte Anspruch, im Laufe der Geschichte mit Leben erfüllt, hat bis in die Neuzeit Bestand.

Immer wieder gab es Überlegungen, auch die letzten verbliebenen Felder in Einzelgrundstücke mit Villenbebauung aufzuteilen. Der unwiderbringliche Charme Dahlems hätte schweren Schaden genommen. Dem Verein »Freunde der Domäne Dahlem« war es Anliegen und Verpflichtung zugleich, gemeinsam mit vielen Dahlemer Bürgern für den Erhalt dieser einmaligen Oase erfolgreich zu streiten.

Die Geschichte Dahlems ist auch – oder vielleicht gerade – die Geschichte seiner Bewohner. Viele der Menschen, die mit ihren Lebensleistungen Dahlem einen gewichtigen Stempel aufdrückten, leben heute nicht mehr, viele Zeitzeugen können nicht mehr befragt werden oder haben Dahlem längst verlassen. Daher war es uns als Verein »Freunde der Domäne Dahlem« wichtig, das vorliegende Buchprojekt so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen.

Viel wurde bisher über Dahlem geschrieben. Zu den guten und informationsreichen Veröffentlichungen gesellt sich nun endlich ein Buch, welches unseren schönen Vorort in der ganz persönlichen Sicht seiner berühmten Bewohner betrachtet. Mit allem Respekt, mitunter auch mit gebotener Kritik.

Aus der Geschichte kann man, muss man lernen. Daher ist das vorliegende Buch für uns – im besten Sinne – auch ein Lehrbuch. Wir haben beim Lesen der Manuskripte als »alte Dahlemer« selbst gelernt, Neues erfahren und können nun vieles besser verstehen und kritischer betrachten. Wir sind sicher, dass auch Sie bei der Lektüre Neues entdecken werden.

Egbert Jancke,

Erster Vorsitzender des Vereins »Freunde der Domäne Dahlem«

Burkhardt Sonnenstuhl,

Geschäftsführer der Projektagentur des Vereins »Freunde der Domäne Dahlem«

Vorwort

Das Autorenteam:Bettina BiedermannJörg RiedelRüdiger ReitmeierHarry Balkow-Gölitzer

Im lateinischen Ursinn des Wortes war »Villa« das Zentrum eines landwirtschaftlichen Betriebes, eine »villa rustica«. Schon in römischer Zeit zerfiel die Einheit von Villa und Landwirtschaft, das Haus auf dem Lande wurde zum Ort der Erholung, Repräsentation und des gesellschaftlichen Lebens, zur »villa suburbana«. Diese Bedeutung hat sich, von der Zeit der Renaissance abgesehen, als Villa und Landwirtschaft wieder zusammengehörten, nur wenig geändert. Die »Deutsche Bauzeitung« bezeichnete 1869 die Villa als »Schöpfung eines ländlichen Ruhesitzes, der den Komfort der Stadt mit den Reizen des Landlebens verbindet und dem Geschäftsmann nach beendetem Tagewerk eine willkommene Zuflucht aus dem Geräusch der Geschäftsstadt bietet.«

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden im Zuge der Industrialisierung die ersten Villenviertel. Aufgrund der wachsenden sozialen, hygienischen und infrastrukturellen Probleme zogen diejenigen, die es sich leisten konnten, an den Rand der Stadt, möglichst von ihr durch einen Grüngürtel getrennt, aber nah genug, um sie schnell zu erreichen. Dahlem ist ein spätes Zeugnis dieser Entwicklung und kein ganz typisches. Denn neben den Villen entstanden hier fast von Beginn an auch öffentliche Gebäude: Schulen, soziale Einrichtungen, Verwaltungsgebäude und wissenschaftliche Institute. Und es blieb die Domäne als landwirtschaftlicher Betrieb erhalten. Da der preußische Staat als der damalige Eigentümer Dahlems nur Grundstücke von 1.000 bis teilweise 10.000 m2 verkaufte und darauf nur Villen gebaut werden durften, blieb ein Großteil des vorhandenen Baumbestandes stehen. Wenn man die stillen Parks, die breiten Alleen, den angrenzenden Grunewald und seine Seen sowie die verkehrsgünstige Lage zwischen Potsdam und Berlin hinzunimmt, hat man fast alle Gründe zusammen, die Dahlem eine besondere Stellung unter den Vororten Berlins verschafft haben. Gründe, die in seiner hundertjährigen Geschichte viel Prominenz anlockten. Mit ihr und ihren noblen, aber selten in der Öffentlichkeit bekannten Adressen beschäftigt sich das Buch.

Hilfsmittel bei den Recherchen waren Adress-, Telefonbücher, Biografien, Archive, Bauakten, Kirchenbücher, Internetseiten und eine Dahlem-Karte im Maßstab 1:4000, auf der kleine Fähnchen die Wohnsitze bekannter Persönlichkeiten markierten. Innerhalb weniger Wochen war die Karte mit Fähnchen übersät. Die Vorentscheidung war damit einfach geworden: Für das Buch wird eine Auswahl getroffen. Die Personen müssen verstorben – oder wenigstens verzogen – sein. Tote können sich nicht wehren, wenn wir sie im Buch behandeln, beziehungsweise nehmen es nicht übel, wenn wir sie weglassen. Lebende, die nicht mehr in Dahlem wohnen, brauchen nach der Veröffentlichung des Buches nicht zu befürchten, dass ständig Schaulustige vor ihrem Haus stehen.

Wir verzichteten auf systematische Auswahlkriterien. Wichtig war uns nur noch, Persönlichkeiten zu finden, die – nicht jede für sich – aber in der bunten Mischung, wie wir sie behandeln, repräsentativ für Dahlem waren. Auch für die Reihenfolge, in der sie hier erscheinen, suchten wir neben dem Alphabet kein zusätzliches Ordnungskriterium. Sie ist ähnlich zufällig wie es die Adressen der Prominenten in Dahlem waren. Da wohnte eben der Nobelpreisträger neben der Schauspielerin und der Widerstandskämpfer neben seinem Richter.

Klar war auch, dass es nicht Aufgabe des Buchs sein kann, jede der genannten Persönlichkeiten mit einer ausführlichen Biografie zu würdigen. Im Regelfall gibt es die schon, und der oder die Interessierte kann sie woanders nachlesen. Aber es soll Aufgabe des Buches sein, das Interesse an diesen Persönlichkeiten zu wecken und sich mit ihrer mitunter faszinierenden Vita zu befassen. Und das Buch soll Begleiter sein, beim zufälligen Spaziergang oder systematischen Erkunden. Es soll helfen, den »schönsten Fleck Berlins«, wie Lion Feuchtwanger Dahlem empfand, nicht nur als beschauliche, erholsame Gegenwart, sondern als vielfältige, leuchtende, aber auch düstere Vergangenheit zu erleben.

À propos Lion Feuchtwanger, er lebte in der heutigen Regerstraße, als diese wie andere Straßen nördlich der Pücklerstraße noch zu Dahlem gehörte. Historisch korrekt wurden Personen, die vor der Gebietsreform 1938 in Dahlem wohnten, im Buch erfasst. Personen, die in derselben Straße, aber nach der Gebietsreform und damit außerhalb Dahlems wohnten, blieben unberücksichtigt.

Dahlem vor 1938 – Dahlem nach 1938.

Eine andere Entscheidung, die wir im Laufe unserer Recherchen getroffen haben, soll nicht unerwähnt bleiben. Wir verzichteten darauf, zu jeder Persönlichkeit zu eruieren, von wann bis wann genau sie unter der Dahlemer Adresse gewohnt hat. Der damit verbundene Aufwand hätte in vielen Fällen in keinem vernünftigen Verhältnis zur Zuverlässigkeit und Wichtigkeit der ermittelten Daten gestanden.

Zu den beliebtesten »Arbeiten« bei der Erstellung des Buches gehörten die Ortsbegehungen. An eine erinnert sich das Autorenteam besonders gern: im verwilderten Garten hinter dem Haus Harnackstraße 5. Unter alten Apfelbäumen lagen die meisten Früchte verfault im Gras, aber einige hingen noch an den Ästen. Wir konnten nicht widerstehen, stopften uns die Jackentaschen voll und aßen den ersten Apfel schon auf dem Weg ins Büro. Ein denkwürdiger Genuss, nicht, weil verbotene Früchte am besten schmecken, sondern weil sie von Bäumen stammten, die einst ein Nobelpreisträger, Peter Debye, eigenhändig gepflanzt hatte. Wo kann man so etwas schon erleben, außer in Dahlem?

Domäne Dahlem, im Dezember 2004

Jörg Riedel

Berlin und Umgebung, Plan von 1889.

Vom Dorf zur Villenkolonie

Die Bockwindmühle von Dahlem,um 1905.

Im 19. Jahrhundert war das Gut Dahlem noch ein kleiner dörflicher Flecken mit Kirche, Gutshaus, Wirtschaftsgebäuden, Gasthof, Getreidemühle und Brennerei. Insgesamt hatte das Dorf zwölf Wohnhäuser und zählte 1858 gerade einmal 165 Einwohner.

Rund 200 Jahre nach seiner Gründung war Dahlem in der Mitte des 15. Jahrhunderts im Besitz der Familie von Milow. Um 1560 ließen die Herren von Spiel ein Fachwerk-Herrenhaus errichten, von dem noch wesentliche Teile, so die »Kapelle« mit ihrem Sternengewölbe, erhalten sind. Nach den Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg baute der neue Gutsherr, Cuno Hans von Willmerstorff, das Herrenhaus in barocker Gestalt wieder auf. Über dem von der Straßen- zur Hofseite verlegten Haupteingang prangt das Allianzwappen der Familien von Hake und von Willmerstorff. Letztere erhielt vom König das Mühlrecht und baute in der Nähe des heutigen U-Bahnhofes Podbielskiallee eine Bockwindmühle zum Getreidemahlen.

Die letzten Bauern, die es in Dahlem gab, zwei Voll- und drei Kleinbauern, wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Schmargendorf umgesetzt, um dem damaligen Gutsherrn, Graf Podewil, bei seinen Erweiterungsplänen nicht im Wege zu stehen. Danach gab es nur noch den Gutsbetrieb mit Landarbeitern und Tagelöhnern. Nach dem Tod des Grafen (1804) erwarb eine umstrittene Persönlichkeit Preußens das Gut: Carl Friedrich von Beyme, Kabinettsrat, Großkanzler, Wirklicher Geheimer Staatsminister, Mitglied des Staatsrates und Ehrendoktor der Berliner Universität. Nicht zuletzt aufgrund seiner vermögenden Frauen, er war zweimal verheiratet, konnte er neben Schmargendorf, Steglitz und Ruhleben auch Dahlem erwerben. Er bezog aber nicht das dortige Herrenhaus, sondern behielt seinen Sitz im Wrangel-Schlösschen in Steglitz. Auch wenn er die Domäne nicht selbst bewirtschaftet, sondern verpachtet hatte, kümmerte er sich um sein »Sorgenkind«. So entstanden in seiner Zeit eine Obstbaumallee nach Schmargendorf, eine Brennerei, und nahe bei Steglitz eine Ziegelei. Nach seinem Tod verkaufte Beymes Tochter, die wenig mit Dahlem verband, die geerbten Ländereien an den Preußischen Staat. Das Rittergut Dahlem, das rund 530 Hektar zusammenhängendes Gelände umfasste, wurde zur »Königlichen Domäne Dahlem«.

Während sich die umliegenden Bezirke Groß-Lichterfelde, Schmargendorf, Steglitz und Zehlendorf zu Berliner Vororten entwickelten, behielt Dahlem bis zum Ende des 19. Jahrhunderts seinen dörflichen Charakter. Das lag auch daran, dass man lange keine klaren Vorstellungen hatte, wie es mit dem Gut weitergehen sollte. So wurden u. a. auch Rieselfelder und ein großer Friedhof geplant. 1872 zeigte der Unternehmer Johann Anton Wilhelm Carstenn Kaufinteresse an der Domäne, um sie in Bauland umzuwandeln, scheiterte aber am Widerstand des Preußischen Finanzministers. Dieser war zwar grundsätzlich zum Verkauf bereit, wollte aber die mit dem rasanten Wachstum Berlins einhergehende Steigerung der Grundstückspreise abwarten. Das Domänengelände wurde zwischenzeitlich verpachtet.

»Die Gegend um Berlin 1790«, Karte von Reilly.

Das »Allianzwappen« der Familien von Wilmerstorff und von Hake über dem Eingangsrisalit des Herrenhauses in einer Kopie. Das Original befindet sich im Kapellengewölbe des Herrenhauses Domäne Dahlem.

1901 lief der Vertrag mit den letzten Pächtern der Domäne Dahlem aus und wurde nicht verlängert. Der Ausbau Dahlems zu einem exklusiven Villenvorort begann. Der Preußische Staat übernahm selbst die Separierung sowie den Verkauf und veräußerte das gesamte Areal nicht – wie sonst üblich – an einen einzigen (Bau-) Unternehmer, sondern an viele Privatleute. Dadurch konnte der Fiskus einerseits höhere Erlöse erzielen, andererseits aber auch Grundstücksspekulationen vermeiden. Zum Zweck der Umwandlung Dahlems in eine Villenkolonie wurde eine »Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem« gebildet.« Sie hatte fünf Mitglieder und unterstand den preußischen Ministerien für Finanzen sowie für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Neben dem Vorsitzenden Hugo Thiel, Ministerialdirektor im Landwirtschaftsministerium, war auch der Architekt Walter Kyllmann zum Mitglied der Kommission berufen worden. Kyllmann erstellte einen Bebauungsplan für Dahlem, der nur noch wenig Fläche für die landwirtschaftliche Nutzung vorsah, und als Grundlage für die Parzellierung des Geländes diente. Berücksichtigt wurden auch Pläne von Friedrich Althoff vom Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, die eine Verlegung von Teilen der Friedrich-Wilhelms-Universität nach Dahlem vorsahen. Auf persönliche Intervention Kaiser Wilhelms II. wurden weitere Flächen für staatliche Zwecke reserviert. Schon 1898 hatte das Reichsgesundheitsamt eine große Fläche der Domäne Dahlem erworben, um dort ein Versuchsfeld zur Bekämpfung von Tierseuchen anzulegen (Königin-Luise-Straße 17-19); 1906 kaufte das Amt noch einmal Domänenbesitz, diesmal an der Berlin-Potsdamer Chaussee (heute: Unter den Eichen 82-84).

Grußkarte mit »Altem Krug« und Herrenhaus vor 1908.

Kyllmanns Pläne zur Villenkolonie, die schnurgerade und rechtwinklig zueinander verlaufende Straßen vorsahen, erfuhren im Laufe der Zeit viele Änderungen. Schließlich entwickelte Heinrich Schweitzer auf Veranlassung Thiels ein Konzept, das die topographischen Gegebenheiten Dahlems berücksichtigte und mit Hilfe des Architekten und Städteplaners Hermann Jansen umgesetzt wurde. Die Erhaltung und der Ausbau des »Schwarzen Grundes« zu einer großzügigen Parkanlage gehen auf diese Entwürfe zurück.

Die Besiedelung Dahlems sollte nur wohlhabenden Bewohnern vorbehalten bleiben, die in der Lage waren, die hohen Grundstückspreise zu bezahlen. Der Bau von Arbeiterwohnungen komme nicht in Betracht, da sich die »gehobenen Schichten« durch die Nähe des »Proletariats« gestört fühlen und dann Abstand von weiteren Grundstückskäufen nehmen könnten, argumentierte die Aufteilungskommission.1 Dennoch bildete sich in Dahlem im Laufe der Jahre neben dem gehobenen Bürgertum eine Mittelschicht von Kaufleuten und Beamten heraus.

Befestigte Straßen waren eine wichtige Voraussetzung für den Ausbau der Villenkolonie. Zwar hatte das preußische Finanzministerium 1889 eine Chaussee, die heutige Königin-Luise-Straße, von Steglitz zum Jagdschloss Grunewald bauen lassen, doch mit den umliegenden Dörfern war Dahlem nur durch Feld- und Waldwege verbunden. 1901 entstand die Altensteinstraße. Dort erwarb der Kunstmaler Hans Koberstein die erste Parzelle in Dahlem (Altensteinstraße 17). Zwischen 1901 und 1915 verkaufte die Aufteilungskommission 539 Grundstücke für 27 Millionen Mark. Jeder Käufer musste sich verpflichten, innerhalb von zwei Jahren ein villenartiges Landhaus zu bauen. Bei Terminüberschreitung war für jedes Jahr ein Bußgeld von 1.000 Mark fällig. Bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden so 384 Neubauten, und die Einwohnerzahl wuchs von 194 auf 5.500.

Gesellschaftlicher Mittelpunkt war viele Jahre der »Alte Krug« in der Königin-Luise-Straße 52. Gottlieb Marks hatte 1889 die kleine Gaststätte übernommen und ließ sie zu einem großen Wirtshaus mit Garten und Kegelbahn umbauen. Nach seinem Tod 1898 führte sein Sohn Friedrich Marks das inzwischen weit bekannte Haus weiter. Im »Alten Krug« fanden regelmäßig die Sitzungen des »Ortsvereins Dahlem«, des »Dahlemer Kriegervereins« und der »Königlichen Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem« statt. 1911 hatte sich die Pachtsumme für den Gasthof auf das Dreifache erhöht. Friedrich Marks verließ Dahlem, kam jedoch später zurück und übernahm das »Landhaus Dahlem« in der Podbielskiallee 50. Das wurde viele Jahre später unter dem Namen »Eierschale« zu einem beliebten Ausflugs- und Musiklokal für Einheimische und Touristen.

Der »Alte Krug« war ab 1901 Tagungsort der »Königlichen Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem«. Noch fuhr durch Dahlem die Straßenbahn. Postkarte 1908.

Bauernhaus an der Dahlemer Straße (heute Fabeckstraße).

Die städtebauliche Idee, vor den Toren der Städte Villenviertel anzulegen, stammte in ihrer neuzeitlichen Form aus England. 1860 hatte sie Johann August Wilhelm Carstenn bei der Gründung von Lichterfelde erstmals in Berlin praktiziert. 1869 begann die Besiedelung der »Alsen-Kolonie« in Wannsee, 1889 folgte die Gründung der Villenkolonie Grunewald, 1900 Zehlendorf und Nikolassee und schließlich ab 1901 Dahlem. Beeinflusst von den Gedanken der Natur- und Reformbewegung suchte auch das Großbürgertum die Nähe zur Natur und den Rückzug aus der Großstadt Berlin2, die im Zuge der Industrialisierung zunehmend von Enge, Schmutz und Armut gekennzeichnet war. Die Naturverbundenheit der Bauherren äußerte sich auch im Baustil der Vorortvillen, der oft vom englischen Landhaus geprägt war. Der wohlhabende Städter verwirklichte in Villenkolonien wie Dahlem seine Vorstellungen von einem idyllischen Landleben. Das sozialdemokratische Parteiorgan »Vorwärts« bezeichnete die Grundstücke der Dahlemer Kaufleute und Bankiers 1915 als »Strebergärten«.3Umgekehrt wurden Villenviertel wie Dahlem als »Bollwerk gegen Sozialdemokratie und gesellschaftsfeindliche Gelüste«4 gesehen.

Keinesfalls jedoch lehnten die Bewohner der Villenkolonien die Stadt völlig ab. Im Gegenteil, eine verkehrsgünstige Anbindung zum Arbeitsund Vergnügungsort war immer eine wichtige Voraussetzung für die Besiedlung der Vororte gewesen. Das zeigte sich in Dahlem an der 1905 in Betrieb genommenen Straßenbahnlinie, die vom Bahnhof Steglitz bis zum Grunewald (Königin-Luise-Straße in Höhe Gelfertstraße) führte. Wichtiger noch für die Erreichbarkeit der Stadt war die 1911 begonnene Verlängerung der U-Bahnlinie, die bisher am Breitenbachplatz endete. 1913 wurde die Strecke der »Dahlemer Schnellbahn« bis zum Thielplatz für den Verkehr freigegeben.

Der Erste Weltkrieg unterbrach den Ausbau Dahlems, danach setzte eine starke Bautätigkeit ein, die sich erst mit der beginnenden Wirtschaftskrise verlangsamte. 1920 wurde Dahlem im Zuge der Bildung Groß-Berlins in den Bezirk Zehlendorf eingemeindet. Teil der Großstadt geworden, hatte die Domäne ein unverändertes Dauerproblem: der Erhalt ihrer Ackerflächen.

Inzwischen ist das Gelände des Freilichtmuseums Domäne Dahlem mit 15 Hektar als einzige landwirtschaftliche Fläche übrig geblieben. Den vorläufig letzten Versuch, diese in Baugrund für Stadtvillen umzuwandeln, konnten engagierte Bürger vor einigen Jahren erfolgreich abwehren. So blieben der Großstadt Berlin ein einzigartiges dörfliches Ensemble und »Deutschlands einziger Bauernhof mit U-Bahn-Anschluss« erhalten.

Eingang Haus Cramer, Pacelliallee 18.

Villenkultur

U-Bahnhof Thielplatz.

In Dahlem findet man alle Spielarten der Villa vereint, manchmal sogar auf einer einzigen Straße: schlossartige Residenz, altdeutsches Fachwerk, Friesenkate, englisches Landhaus, Burgenromantik, »Tarnkappenarchitektur« und neoklassizistischer Luxusbau.

Idealer Ausgangspunkt für architektonische Erkundungstouren sind Dahlems U-Bahnhöfe. Sie sind in ihrem ersten Abschnitt (1913) in einer Bauweise errichtet worden, die dem Charakter der umgebenden Ortsbebauung entspricht. Der durch Staffelgiebel und großen Eingang wie ein Stadttor anmutende U-Bahnhof Podbielskiallee wurde von Heinrich Schweitzer erbaut, der Bahnhof Dahlem-Dorf mit reetgedecktem Fachwerk-Empfangsgebäude von den Brüdern Henning und der Bahnhof Thielplatz im Landhausstil von Heinrich Straumer.

Tritt man vor den U-Bahnhof Podbielskiallee, sieht man linkerhand gleich eine der Prachtalleen Dahlems. Auf beiden Seiten stattliche Häuser auf parkähnlichen Grundstücken, in der Mitte der Straße ein breiter baumbestandener Grünstreifen, der in früheren Jahren als Reitweg diente. In allen Himmelsrichtungen findet man interessante Architekturbeispiele. Südlich vom Bahnhof beginnt die Peter-Lenné-Straße mit einem mächtigen Backsteingebäude (Nr. 1-3). Das »Haus Heydenreich« wurde 1914 – 1916 von Paulus und Lilloe gebaut. Zweigeschossiges Haupt- und eingeschossige Seitenflügel decken Mansarddächer. Man könnte sich das Haus gut als Herrensitz im Münsterland oder in den Niederlanden vorstellen. Neben den Renaissance-Stilelementen fallen Symbole auf, die auf die Nutzung des ehemaligen Wohnhauses hinweisen. Es beherbergt die Logenräume der 1925 gegründeten Johannisloge »Aufwärts«.

Auf dem benachbarten Grundstück (Nr. 5-7) erfüllte sich während des Ersten Weltkrieges der Shampoo-Fabrikant Hans Schwarzkopf seinen Traum vom englischen Landhaus. Kongenialer Architekt war Heinrich Straumer, dem wir auch den Funkturm zu verdanken haben. Die »Villa Schwarzkopf« hat einen durch Risalite und Quergiebel gegliederten Baukörper auf rechtwinkligem Grundriss. Seinen Haupteingang ziert ein stattliches Rundbogenportal. Die hölzernen Ständer des Laubengangs am Seitenflügel sind kunstvoll geschnitzt. Der über dem Straßenniveau gelegene Garten umfasst rund viereinhalb Hektar und ist als Denkmal geschützt.

Ganz klassizistisch ist die Formensprache des Deutschen Archäologischen Instituts (Nr. 28/30), früher einmal das Wohnhaus von Theodor Wiegand, Direktor der Antikenabteilungen der Berliner Museen. Dieser hatte sich beim Bau von der hellenistischen Architektur inspirieren lassen, auf die er bei seinen Ausgrabungen in der Türkei gestoßen war. Der Grundriss des 1911/12 von Peter Behrens gebauten zweigeschossigen Gebäudes aus Muschelkalk ist streng auf die von der offenen Vorhalle ausgehende Achse ausgerichtet. Von der Innenausstattung sind noch Möbel nach Entwürfen von Behrens erhalten. Im Garten steht neben antiken Skulpturen der »Bocciaspieler« von Hermann Ernst Freund. Auf dem Nachbargrundstück (Nr. 32/34) steht die »Villa Kurlbaum«, die sich Wiegands Schwägerin und ihr Mann nach Plänen von Cremer & Wolffenstein 1912-1913 bauen ließen. Auch sie steht unter Denkmalschutz und wurde nach 1983 zum Orient-Haus des DAI ausgebaut.

Haus Wiegand, Peter-Lenné-Straße 28/30.

Auf den U-Bahnhof Podbielskiallee stößt auch die Schorlemerallee, auf deren Grünstreifen im Frühsommer zahllose Fliederbüsche blühen. In Richtung Breitenbachplatz sieht man auf beiden Seiten Reihenhäuser, die zwar nicht zur Villenarchitektur zählen, aber in ihrer Entstehungszeit geradezu revolutionär waren. Die Architekten Hans Luckhardt, Wassili Luckhardt und Alfons Anker erstellten hier auf eigenem Boden und auf eigene Rechnung Experimentalbauten. Im ersten Bauabschnitt (Nr. 13-17a und 19-23a) entstanden 1924 zwölf Häuser in zwei Blöcken noch in konventioneller Massivbauweise. Sechs Gebäude sind gegeneinander versetzt angeordnet und somit optisch deutlich getrennt. Alle Balkone sind nach Süden ausgerichtet und vor Einblicken durch Nachbarn geschützt. Auffällig sind die übereck angeordneten Fenster. Die Aufteilung der Räume und ihre Funktionalität waren für die damalige Zeit vorbildlich. Die im Krieg stark beschädigten Häuser sind beim Wiederaufbau verändert worden.

Beim 1927 begonnenen zweiten Bauabschnitt (Nr. 7-11) experimentierten die Erbauer mit der Skelettbauweise. Die beiden Einzelhäuser (Nr. 9 und 11) sind Typenhäuser, deren Stahlskelettgerüst in wenigen Tagen aus Fertigteilen aufgerichtet und mit Bimsbeton ausgefacht wurde.

Versuchssiedlung Schorlemerallee 19-23a.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Nr. 12-12c) haben die drei Architekten zweigeschossige Reihenhäuser ebenfalls in Stahlskelettbauweise errichtet. Auffällig sind die Fensterbänder und die weit vorspringenden Trennwände aus Glasbausteinen.

Auch das 1931 gebaute Kupferhaus »Typ R Kupferstolz« der Hirsch Kupfer- und Messingwerke AG (Nr. 16) ist ein Beispiel der Bemühungen, der damaligen Wohnungsnot mit industrialisierter Bauweise zu begegnen. Die Tragekonstruktion besteht aus zusammensetzbaren Holzrahmen, die außen mit Kupferblech und innen mit Stahlblech beschlagen wurden.

Wie schon Name und Aussehen des U-Bahnhofs verheißen, gibt »Dahlem-Dorf« eine Vorstellung davon, wie Dahlem vor der Entwicklung zum Villenvorort aussah. Aber schon nach wenigen Schritten, an Herrenhaus und Eiskeller vorbei, steht man wieder in einer Prachtstraße, der Pacelliallee. Gleich neben dem Friedhof rechts der St. Annenkirche sieht man das Pfarrhaus, seit 1981 »Friedenszentrum Martin-Niemöller-Haus«. Es wurde in den Jahren 1909/10 als zweigeschossiges Backsteinhaus auf winkelförmigem Grundriss gebaut und ist mit hohen Satteldächern gedeckt. Die bündig auf dem roten Mauerwerk sitzenden weißen Sprossenfenster erinnern an norddeutsche Backsteinbauten und sind typisch für den Architekten Heinrich Straumer.

Villa Schwarzkopf, Peter-Lenné-Straße 5/7.

Haus Semmel, Pacelliallee 19/21.

Kennzeichnend für einen anderen Architekten, nämlich Heinrich Schweitzer, ist das Haus in der Pacelliallee 27, das sich hinter Bäumen und Büschen versteckt und 1910 entstand. Schweitzer legte bei seinen Häusern weniger Wert auf Repräsentation als auf Wohnlichkeit. Die Villa – sie wurde einmal vom Reichsjustizminister Franz Gürtner bewohnt – vermittelt mit ihrer Natursteinfassade, den Fachwerkgiebeln und Sprossenfenstern schon von außen Ruhe und Geborgenheit.

Ein paar Meter weiter, wo die Straße »Im Dol« die Pacelliallee kreuzt, gibt es weitere interessante Gebäude. Hermann Muthesius baute 1911/12 das bruchsteinverkleidete »Wohnhaus Cramer« (Pacelliallee 18/20). Auffällig bescheiden gibt sich der Eingang des Hauses, das einst dem Brandenburger Getreidehändler Hans Cramer gehörte. Der Architekt Posener schrieb: »Wer die Allee zum Hause Cramer in Dahlem hinaufgeht, weiß: Ich komme nach Hause. Und wer vom ersten Treppenabsatz auf die Allee zurückblickt, weiß: Ich bin zu Hause.«5 Nachdem der Dachstuhl des zweigeschossigen Hauses im Zweiten Weltkrieg abgebrannt war, wurden die Giebel nachträglich abgerissen. Lange drohte der totale Abriss, bis das Haus in den Siebzigerjahren wiederhergestellt wurde. Auch der ursprünglich von Muthesius entworfene Garten entstand neu.

Wilhelm Kühne, Wohnzimmer (1941).

Das Nachbargebäude in der Pacelliallee 14 ist deutlich mehr auf Repräsentation ausgelegt. Die von den Architekten Cremer & Wolffenstein 1913/14 für den Bankier Emil Georg von Stauss gebaute Prunkvilla diente, nachdem sie zuerst von den Russen enteignet worden war, als Sitz des amerikanischen Stadtkommandanten. Die Kennedy-Familie logierte hier während ihres Berlinbesuchs. 1993 wurde das Haus als Residenz des deutschen Außenministers eingeweiht. Bei der Umgestaltung ist man mit den unterschiedlichen Stilepochen, die der zweiflüglige, historistische Bau unter seinem Dach vereinigt, sehr sorgsam umgegangen. Sie wollte einen »Spiegel deutscher und europäischer Geschichte schaffen – es gibt Referenzen ans Rokoko, an Schinkel, ans Kaiserreich, an die Weimarer Republik und an die Moderne«, verriet die verantwortliche Architektin Nany Wiegand-Hoffmann voller Stolz. »Hier treffen Gegensätze aufeinander, und doch gibt es einen atmosphärischen Zusammenhang«.6

Das Haus Semmel, genau gegenüber in der Pacellialle 19/21, ist jüngeren Datums. 1925/26 baute Adolf Wollenberg die Villa im Stil Brandenburger Herrenhäuser. Beeindruckend die Tatsache, dass sie seinerzeit für eine einzige Person, den Wäschefabrikanten Richard Semmel, gebaut wurde. In dem Haus befand sich seine sehr umfangreiche Gemäldesammlung mit alten Meistern und zeitgenössischen Werken. Nach der »Arisierung« seiner Fabrik verließ Semmel Deutschland, sein Haus erwarb der Fabrikant Wilhelm Kühne, bekannt durch Produkte wie Essig und saure Gurken. Nach dessen Tod überließ die Witwe das Anwesen der Katholischen Kirche. Schon in den Zwanzigerjahren hatte hier Eugenio Pacelli, päpstlicher Nuntius und der spätere Papst Pius XII., seine Adresse.

Villa Stauss, Pacelliallee 14.

Geht man die nächste Querstraße, die Bernadottestraße links in Richtung Messelpark, stößt man auf das »Haus Neuhaus« (Nr. 56/58), zweigeschossig, hell verputzt und mit steilem Biberschwanzdach. Den großbürgerlichen Ansprüchen seines Bauherrn, Dr. Neuhaus, entsprechend besaß es großzügige Wohnräume und separate Personal- und Wirtschaftsräume. Der Architekt Hermann Muthesius hatte sich beim Bau (1906) offensichtlich von seinen Erfahrungen in England beeinflussen lassen. Um 1970 wurde das Haus in sechs Wohneinheiten aufgegliedert, und der alte Grundriss ging verloren.

Wählt man den U-Bahnhof Thielplatz als Ausgangspunkt der architektonischen Erkundungstour, ist man zunächst versucht, es bei einem Spaziergang bewenden zu lassen. Zu einladend ist der stille Park, der sich als grünes Band, durch wenige Straßen unterbrochen und beim Durchschlendern mehrfach den Namen wechselnd, von der Habelschwerdter Allee bis zur Clayallee erstreckt. Besinnt man sich auf das Thema Architektur, bieten sich zwei nicht nur von der Himmelsrichtung gegensätzliche Touren an, im Südosten ein Rundgang durch die Architektur der Wissenschaft: Gebäude der KWG und der FU, und im Nordwesten durch die Vielfalt Dahlemer Villenarchitektur.

Die dem welligen Gelände folgende Straße »Im Schwarzen Grund« macht deutlich, was Heinrich Schweitzer wollte, als er die ursprünglichen Bebauungspläne für Dahlem mit ihren schnurgeraden und rechtwinklig zueinander liegenden Straßen änderte. Gleich zu Beginn (Im Schwarzen Grund 4) fällt ein Gebäude auf, nicht, weil es groß und stattlich ist, sondern sich unterhalb der Straße geradezu versteckt. Nur das mächtige Walmdach lässt die Großzügigkeit des 1914 von Philipp Nitze gebauten Hauses erahnen. Ein paar Schritte weiter erheben sich zwischen Park und Straße auch einige Neubauten. Neben der klassizistischen »Villa Gerl«, von Hans Kollhoff 2000/01 erbaut, werde das »Gestammel der postmodernen Luxusarchitektur mit ihren teigig-verklebten Loggien, Rundgiebeln und Erkern zum kulturellen Armutsfall«7, schrieb die Berliner Zeitung in ihrem Feuilleton. Der symmetrische Bau hat vier turmartige Aufbauten, sie sind jeweils durch eine eigene Treppe zugänglich und beherbergen die Zimmer der Kinder. Mit den Türmen, deren leicht geneigten, vorkragenden Zeltdächern, dem geschosshohen Sockel und der Ballustrade auf der Gartenseite werden die Villen Palladios zitiert. Es heißt, die Wohnräume seien ganz den Bedürfnissen der Familie angepasst. »Dabei entstand eine Vielfalt von Raumcharakteren, unterstrichen durch den Einsatz sehr unterschiedlicher Materialien und kontrastierender Farben. So ist die Halle geprägt durch einen grobkörnigen Terrazzoboden in kräftigen Farben, in Verbindung mit einer Wandtäfelung und Treppenkonstruktion aus Eiche, der Gartensaal durch ein Muster aus großen blaugrauen und weißen Marmorplatten in Verbindung mit einer goldornamentierten taubenblauen Wandbespannung, während das Esszimmer von schweren roten Vorhang- und Möbelstoffen mit floralen Mustern in Verbindung mit Vitrineneinbauten aus Mahagoni bestimmt wird.«8 Die »neue Bürgerlichkeit«, wie sie in der »Zeit« beschrieben wird, verzichtet auch nicht mehr auf Venus-Statuette und Kronleuchter.9

Villa Gerl.

Wenn man die nächste Querstraße, die Bitterstraße, rechts einbiegt, steht man nach wenigen Metern vor der »Villa Huth« (Nr. 8-12). Sie wurde von Straumer in den Jahren 1914-1917 gebaut. Bauherr war der Eigentümer der Albatros Flugzeugwerke, Dr. Enno Walter Huth. Das mächtige Haus erhebt sich über einer Terrassenanlage, links schließt sich der Wirtschaftstrakt an. Mit Teehaus, Garagenhaus, Einfriedungsmauer und Auffahrt ergibt sich ein geräumiger Vorhof. Eine überdachte Treppe führt zum Portal, das mit Muschelkalkstein eingefasst ist. Eine von mittelalterlich gewandeten Skulpturen mit Schild und Helm gerahmte Inschriftentafel erinnert an die Bauzeit während des Ersten Weltkrieges. Eine Giebelplastik zeigt den Heiligen Christophorus. Der fast schlossähnliche Komplex erinnert in einigen Details an die Patrizierhäuser und Rathäuser der deutschen Renaissance. Straumer empfahl für die Gestaltung des Anwesens eine »reiche Überwucherung mit Pflanzen und Schlingwerk«10, von der gegenwärtig nichts zu sehen ist. 1931 wurde das Gebäude zu einem Vierfamilienhaus umgebaut, in dem zeitweise auch der Filmstar Willy Fritsch wohnte. Nach einem erneuten Umbau 1952 zog die Veterinärmedizinische Fakultät der FU in die Villa. Jetzt befinden sich dort neben einer Kleintierklinik und verschiedenen Laboren Dekanat, Fakultätsbibliothek, Hörsaal und Seminarraum.

Villa Huth, Bitterstraße 8/12.

Thielpark.

Seit der Fusionierung der veterinärmedizinischen Fakultät mit jener der Humboldt-Universität steht das Gebäude leer. Tür und Tor sind verschlossen, Unkraut sprießt auf den Wegen und gelbe Drainagerohre winden sich über Terrassen und Mauern. Entsteht hier ein neuer Fall von LVA (Leerstand – Verfall – Abriss)? Kein unbekanntes Phänomen in Dahlem – unwiederbringliche Zeugnisse der (Bau-) Geschichte Dahlems mussten der Ökonomie in Gestalt engbepackter, gesichtsloser Mehrfamilienhäuser weichen. Und an einigen Stellen Dahlems ist der LVA-Prozess in unterschiedlichen Stadien zu beobachten.

Gelände im geschwungenen Verlauf der Höhenlinien.

Nachdenklich geworden, legen wir eine kleine Pause im benachbarten Thielpark ein. Oberhalb des Teiches sitzend, eine Weile die Stille genießend, heben wir den Blick über Wasser, Trauerweiden und Birken hinweg und haben mit den Häusern »Auf dem Grat« ein neues lohnendes Ziel vor Augen. Dahlem hat noch viel zu bieten.

Schmiedeeisernes Ornament am Gartenzaun der Villa Moritz Jandorf.

Jüdische Spuren

Von Alfred Breslauers Haus in der Rheinbabenallee 29-31 blieben nur Zaun und Tor erhalten.

1912 bezog der Preußische Regierungsbaurat und Pionierarchitekt in Israel, Alex Baerwald, sein Dahlemer Landhaus. Der von ihm selbst entworfene Bau in der Takustraße entsprach »allen Anforderungen der Neuzeit an Ausstattung, Durchbildung und Bequemlichkeit«. Als einladende Geste legte er am Eckzaun eine Sitzbank mit Brunnen zum Verweilen an, der von vorbeiflanierenden Spaziergängern »fleißig genutzt« wurde.11

Fast schien es so, als ob die Emanzipation der Juden im Kaiserreich geglückt sei. Dahlem war ein beliebter Wohnort für die am wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung teilhabenden Juden in Berlin.12 Und genauso wie andere traten auch sie selbstbewusst den Wettbewerb um die schönsten und größten Häuser an. Der jüdische Unternehmer Hans Cramer, einer der erfolgreichsten Getreidehändler Europas, ließ in den Jahren 1911 bis 1912 seine Villa im englischen Landhausstil als Familienwohnsitz vom Architekten Hermann Muthesius erbauen. Der Auftraggeber wollte ein schönes, aber kein protziges Heim. Klein und bescheiden wirkt auch heute noch sein Eingang.

Wesentlich großzügiger fiel das Anwesen der Familie Wertheim aus. Mit den palastartigen Warenhäusern und ihren modernen Verkaufsmethoden prägten die neuen, von Alfred Messel für Wertheim entworfenen Kaufhaustempel nicht nur das Stadtbild, sondern auch das Lebensgefühl der aufblühenden Metropole. Auf den Bauplänen wurde das Haus von Wilhelm Wertheim in Dahlem als »Schloss« bezeichnet. Wie Wilhelm Wertheim kam der Architekt Alfred Messel aus jüdischem Milieu, hatte sich aber daraus gelöst und taufen lassen.13 In der Kaiserzeit wuchs »eine neue und moderne jüdische Gesellschaft heran. Ihre demografische, berufliche und soziale Besonderheit verstärkte von neuem ihre Zusammengehörigkeit und ihre gesellschaftlich-kulturelle Identität, und zwar nicht im traditionellen, sondern im neuen Sinne«.14 Wie andere Gruppen in der Großstadt formten die Juden ihre eigene »intime Kultur«15 innerhalb der modernen Gesellschaft. Diese fortschrittliche jüdische Schicht etablierte sich in Dahlem. Es gab vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen untereinander, man war Mitglied in denselben Clubs, man beauftragte die Architekten Ahrends, Baerwald, Breslauer oder Landsberg, man sammelte Kunst von Max Liebermann oder ließ sich von ihm malen. Die jüdischen Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft pflegten untereinander enge Kontakte.

Haus Cramer, Empfangs- und Herrenzimmer um 1915.

Für die unter dem Protektorat des Kaisers stehende KWG wurde gezielt die Unterstützung jüdischer Mäzene gesucht. Der Unternehmer James Simon war der erste Spender, der dem Aufruf des Kaisers folgte und 100.000 Mark spendete. Georg Wertheim folgte mit weiteren 100.000 Mark, denn: »Es wurden nur gut angesehene Personen aufgefordert.«16 Für gut angesehen hielten sich die so genannten »Kaiserjuden«, die bei Hofe verkehrten, Landgüter oder Berliner Adelspalais erwarben und bereitwillig als Mäzene auftraten. Ein auffällig hoher Anteil an Spendern jüdischer Herkunft war im Senat der neu gegründeten KWG mit den Unternehmern Leopold Koppel, Eduard Arnhold, Franz von Mendelssohn, Paul von Schwabach und dem Professor für Medizin Paul Ehrlich vertreten.17 »Die Wissenschaft bot einen der vielversprechendsten Wege zur gesellschaftlichen Anerkennung und Integration (der Juden) in Deutschland – ein Versprechen, welches nicht leicht aufgegeben wurde«.18 Innerhalb der KWG konnten Juden endlich leitende Positionen einnehmen, die ihnen an der Universität noch versperrt waren, sofern sie sich nicht taufen ließen. Richard Willstädter, Carl Neuberg, Fritz Haber, Otto Warburg und Albert Einstein wurden zu Direktoren berufen, Gustav Hertz und Lise Meitner hatten leitende Positionen, die Nobelpreisschmiede KWG hat ihren Glanz vielen jüdischen Wissenschaftlern zu verdanken.

Villa der Familie Wertheim.

Den Aufruf des Kaisers zum Ersten Weltkrieg »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche«19, verstanden viele Juden mehr noch als das Inkrafttreten des Gesetzes der Gleichberechtigung im Jahre 1869 als Versöhnungsangebot. Der vom Kaiser proklamierte »Burgfrieden« weckte ihren begeisterten Jubel. Jüdische Verbände riefen in jüdischen Zeitungen zum Kampf auf, »im Sinne des alten jüdischen Pflichtgebots mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen Euch dem Dienst des Vaterlandes hinzugeben«.20 Viele Dahlemer folgten diesem Ruf. Bruno Ahrends meldete sich als preußisch gesinnter ehemaliger Reserveoffizier freiwillig