Einfach alles teilen? - Hofkollektiv Wieserhoisl - E-Book

Einfach alles teilen? E-Book

Hofkollektiv Wieserhoisl

0,0

Beschreibung

Anders leben, frei sein, und das radikal gemeinschaftlich: inmitten von Menschen, Gemüse, übersprudelnden Ideen und fluffigen Schafen Das Hofkollektiv Wieserhoisl wollte vor 15 Jahren einen eigenen Lebensentwurf starten, abseits bekannter Konventionen; Eigentum und Besitz radikal neu denken und in der Gemeinschaft wohnen, wirtschaften, streiten, feiern, arbeiten, Krisen meistern und zusammen den Haushalt schmeißen. Inzwischen sind sie zu einer bunten Truppe von 5 Erwachsenen und 3 Kindern herangewachsen. Und geben Einblicke in den Alltag eines Kollektivs. Wenn alles allen gehört und gleichzeitig niemandem, wenn jede*r anpackt. Wer ist hier der Chef? Niemand? Wer verdient das Geld? Alle! Wie kann das Zusammenleben funktionieren, wenn keiner sagt, wo's langgeht? Hierarchien gibt es keine im Kollektiv. Entscheidungen werden im Plenum getroffen. Und geteilt wird alles, von der Zahnpasta über den Traktor, die Kindererziehung und das Konto. Davon erzählen Christina, Friedrich, Elena und Mark in ihrem Buch. Was es braucht, um ein Kollektiv zu gründen. Mut? Ja! Und Vorbilder, eine gute Organisation, einen Platz zum Sein. Hallo Selbstversorgung, hallo Freiheit Die Bewirtschaftung des Hofes ermöglicht es dem Kollektiv, größtenteils selbstversorgt zu leben. Im riesigen Gemüsegarten sprießt, was die Bewohner*innen brauchen, im fast endlosen angrenzenden Wald schlagen sie jeden Winter Brennholz für den großen Küchenofen. Und am Ende des Tages kommen alle zusammen, sitzen am Lagerfeuer und genießen den Ausblick, über den leuchtend bunten Gemüsebeethang hinab, ins Tal. Better together: das Wieserhoisl lebt solidarisch, jede*r steht für jede*n ein – Einsamkeit? Gibt's nicht! Zukunftsangst? Fehlanzeige! Was, wenn keiner sagt, wo's langgeht? Hier gibt es keine Hierarchien, keinen Besitz. Alle entscheiden. Und das Konto ist Gemeinschaftssache. Ein Hof, der alles mit sich bringt: gemüsige Ernte rund ums Haus, Brennholz aus dem Wald, quirlige Hühner und Schafe machen das Kollektiv unabhängig.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 364

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Aussteigen und ankommen: im inhaltsverzeichnis

EIN PAAR WORTE ZUM EINSTIEG

Wir sagen Danke!

WIR TRÄUMEN NICHT MEHR VOM ANDEREN LEBEN, WIR LEBEN ES – PROLOG

Wir gehören zusammen, das steht fest

Die Krisenzeit hat uns sichtbar gemacht

Wer sind wir und was machen wir?

So sieht’s bei uns aus: unser Bauernhof

Dürfen wir uns vorstellen? Das sind wir, die Bewohner*innen des Hofkollektivs Wieserhoisl

Das Hofkollektiv Wieserhoisl

Zusammen sind wir stark

Komm und begleite uns (ein Stück)

DAS ENDE UNSERER TRÄUME WAR DER BEGINN UNSERES NEUEN LEBENS – UNSERE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

Wo alles anfing: Studienzeit und erste Erfahrungen mit der Selbstorganisation

Endlich: Das Kollektiv nimmt Formen an

Angekommen am Wieserhoisl: Los geht’s – mit Aufräumaktionen und Gruppenbildung

WIR WERDEN NICHT DIE LETZTEN SEIN – VON HINTERGRÜNDEN, PIONIER*INNEN, ABENTEURER*INNEN UND UNSEREN VORBILDERN

Rückblende auf die Zeitenwende: Geschichtliche Entwicklungen und Vorreiter für unsere Überzeugungen

Kollektiv – Was heißt das eigentlich?

Der Kollektivgedanke heute: Herausforderungen und Lösungsansätze in der alternativen Ökonomie

Lass uns zusammenziehen: kollektives Wohnen

Unsere Kollektivpartner*innen: Gemeinschaften und Hofkollektive in Österreich

Deine Checkliste zur Kollektivgründung

DA SIND WIR UNS EINIG: WIR HABEN EINE VISION

Was wir erkannt haben: Weiter wie bisher ist keine Option

Veränderungen in der Landwirtschaft und die Rolle der Kleinbäuer*innen

Von Kleinbäuer*innen und Agrobusiness: Was in der Landwirtschaft schiefläuft

Was wollen wir damit erreichen?

ZUSAMMEN IST MENSCH WENIGER ALLEIN

Wie viel Gemeinschaft wollen wir überhaupt?

Von Trubel und Einsamkeit, von Nachteulen und Lerchen

Über den Tellerrand blicken: Zeit abseits vom Kollektiv

SO KOMPLIZIERT KANN DAS EINFACHE LEBEN MANCHMAL SEIN: DIE TÜCKEN DES LANDLEBENS. UNORDNUNG UND CHAOS

Alles an seinen Platz: Warum die Ordnung im Kollektiv besonders wichtig ist

Von den Dingen und ihrem angestammten Platz

Trennungsschmerz und neues Leben: Warum sich bei uns alle möglichen Gegenstände anhäufen

Chaosfaktor Nummer eins: Kinder. Und der Dreck von draußen

Unsere meistgenutzten Gegenstände: die Autos

UNSERE KÜCHE UND WAS WIR TÄGLICH HIER ANRICHTEN

Weil gutes Essen immer wichtiger wird

Selbstversorgung: ein Selbstversuch

Die Küche: der Mittelpunkt im Kollektiv

Die Sache mit dem Einkaufen

Wer schwingt heute den Kochlöffel? Küchenpläne und Essvorlieben

Feiert mit uns: Grillabende, Feste und besondere Anlässe

Cook it like: Wieserhoisl! Die Party-Paella

BEI UNS HAT AUCH DAS GEMÜSE EINEN NAMEN: SELBSTVERSORGUNG AUS UNSEREM GARTEN

Ein traumhaftes Fleckchen Grün: unser Gemüse- und Obstgarten

Das war unser Plan, von Anfang an: Selbstversorgung

Trau dich und leg los: Tipps für die Selbstversorgung

Und alle machen mit: Organisation der Gartenarbeit

Was wächst wo? Anbauplanung

Ein Blick auf die Beete: unser Gemüsegarten

Die Basis: Sortenvielfalt und Saatgutsouveränität

Warum Biodiversität so wichtig ist

Freies Saatgut braucht die Welt!

Als wir die solidarische Landwirtschaft ausprobiert haben

Im Frühling mit an Bord: unsere Jungpflanzen, mit Liebe hochgepäppelt

Immer auf Lager: vom Einkochen und Einbunkern

Unser Ziel, unser Anspruch – und was uns der Garten alles gelehrt hat

Unser Starterpaket: Die Pflanzen-Hitliste für Gemüseanfänger*innen

ES BLÖKT UND GACKERT, ES WIEHERT UND SCHNATTERT: TIERHALTUNG AUF UNSEREM HOF

Von Selbstversorgung, Tieren und Unabhängigkeit

So hat alles begonnen: von Hühnern und Schafen bis zum Bio-Bauernhof

Wie es ist, Schafe zu halten: von Sommerweiden und Winterfutter, von Lämmern und flauschiger Wolle

Wer sonst noch so am Hof unterwegs ist

Anfang und Ende oder: vom Leben lernen

Die Verantwortung für tierische Mitbewohner*innen

DIE WUNDERSAME WISSENSVERMEHRUNG

Lösungen entstehen im Dialog: Wie wir im Kollektiv Wissen generieren und weitergeben

Wenn wir nicht mehr weiterwissen: Unsere Nachbar*innen helfen

Wir brauchen ein Dach über dem Kopf: Als das Bausyndikat zu Besuch war

WER IST HIER DER*DIE CHEF*IN? NIEMAND! – WER VERDIENT DAS GELD? ALLE!

Wir sagen: Weg mit der Hierarchie!

Basisdemokratie im Alltag oder: So treffen wir Entscheidungen

Unser Podium zum Diskutieren, Streiten und Lösungen-Finden: das Plenum

Radikales Teilen oder: Alles kommt auf ein Konto

NICHT MEINS, NICHT DEINS, NICHT UNSERES: KOLLEKTIVER BESITZ

Persönlicher und kollektiver Besitz

Besitz von Grund und Boden

KOMMEN UND GEHEN: VON AUFNAHMEN UND ABSCHIEDEN

Einmal alle durchzählen, bitte: Wer schon aller bei uns dabei war

Von Hintergründen und Motivationen: Warum sich Menschen uns anschließen oder wieder fortgehen

Wenn langjährige Mitglieder wieder zu neuen Ufern aufbrechen

Ein Abschied für immer

Hallo, neue Erdenbürger*innen: die Geburt unserer Kinder

AUFWACHSEN IM KOLLEKTIV: SCHLARAFFENLAND FÜR DIE KINDER

Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier: Wie die Kinder im Laufe der Jahre unser Kollektiv erobert haben

Komm, spiel mit mir: Kinderalltag im Wieserhoisl

Wie sich Elternschaft im Kollektiv anfühlt

Und wie sehen das unsere Kinder selbst? Ein Interview

KUNST UND KULTUR AM HOF – WENN WIR UNS DEN ZIRKUS NACH HAUSE HOLEN

Bringen wir die Kunst mit auf den Bauernhof!

Kommt alle zu uns: Die Offroad-Juggling-Conventions sind eröffnet

Abenteuer, Spiel und Spaß: Camps für Kinder

Mach mal lauter: Musik am Wieserhoisl

Wir laden alle ein – zu unseren Hoffesten

ALS DIE TIERE DEN WALD VERLIESSEN (WEIL ES SO LAUT WAR). DIE HOLZWOCHE

Einheizen ist angesagt: Damit es im Winter schön warm ist

Gemeinsam fällen, hacken und schichten: Hintergründe und Ablauf der Holzwoche

Wie kann mensch sich die Holzarbeit vorstellen? Brennholz verarbeiten

DIE NATUR LEHRT UNS DEMUT ODER: VON WETTEREXTREMEN UND EINER HORNISSENATTACKE

Wo sich die wilde Natur ausbreitet

Achtung, große Brummer im Anflug: Hornissenattacke

Das große Krabbeln: Mäuse, Ratten und andere Plagegeister

Hühner und Enten – Freund und Feind zugleich

Schnell rein ins Haus: Wetterereignisse, die uns das Fürchten lehrten

Brandalarm am Wieserhoisl: das Spiel mit dem Feuer

POLITISCHER AKTIVISMUS ALS LEBENSGRUNDHALTUNG

Ja, wir sind politisch! Unser Selbstverständnis

Wir setzen Zeichen – und uns für Frauen*power ein

Wir stellen uns gegen Diskriminierung jeder Art

Unser Aktivismus: Ausrichtung nach innen und nach außen

AUS DER SICHT DES NEUANKÖMMLINGS: TOBIAS, WIE BIST DU EIGENTLICH AUF DAS WIESERHOISL GEKOMMEN?

Der erste Monat im Wieserhoisl ist vorbei – was nun?

Was mir am Kollektivwesen gefällt – und warum ich das Wieserhoisl liebe

Das Zusammenleben im Kollektiv: von Gruppendynamiken, Konfliktpotenzialen und gemeinsamer Ökonomie

Sag mal, was sind deine Pläne – wie geht es weiter?

DER ANFANG IST NAH: ANHANG

Für Wissensdurstige: Anmerkungen, Quellen und Erweiterungen zum Text

Wir sind keine Insel: andere Kollektive und Gemeinschaften

Zum Fachsimpeln: Glossar

Zum Weiterlesen: Literaturtipps und -quellen

Ein Paar WorteZum Einstieg

Da ist es nun – das Buch über unsere Geschichte. Oder: die Geschichte über unser Zusammenleben. Wir dürfen es dir voller Freude und Stolz in die Hand legen. Bevor wir damit loslegen, wollen wir dir noch ein paar einleitende Worte über unsere Perspektive fürs Lesen mitgeben.

Vieles hat sich seit der Gründung des Hofkollektivs Wieserhoisl im Jahr 2006 getan. Menschen sind gekommen, andere gegangen. Im Grunde ist alles ständig im Wandel. Was in diesen Jahren in unserem Kollektiv passiert ist, lässt sich manchmal gut und relativ einfach so wiedergeben, wie es sich für alle Beteiligten abgespielt hat. Viele andere Bereiche wiederum lassen sich so mannigfaltig darstellen, wie auch wir alle unterschiedlich sind. Die subjektive Wahrnehmung, das individuelle Erleben, einfach die ganz persönliche Wahrheit einer Geschichte lassen sich dabei nicht ausklammern. Ehemalige Wieserhoisl-Bewohner*innen sind essenzieller Teil unserer Geschichte. Sie haben mit uns das Hofkollektiv Wieserhoisl zu dem gemacht, was es heute ist. Da wir dieses Buch nur als kleiner Teil der schon einmal bestehenden Gruppe schreiben, lässt es sich nicht vermeiden, dass die Schilderungen aus der Erinnerung und dem Erleben eines*r Einzelnen bestehen. Es mag sein, dass so manches von einer anderen Person ganz anders wahrgenommen wurde. Wir versuchen, unsere Geschichte so zu erzählen, dass sie jedem und jeder gerecht wird, und bitten gleichzeitig um Verständnis dafür, dass es sich um unsere subjektiven Wahrheiten handelt.

Übrigens haben wir das Buch nicht nach einem bestimmten Schema oder einer aufeinander aufbauenden Reihenfolge strukturiert. Bei der Vorstellung unserer verschiedenen Lebensbereiche gibt es kein Vorher oder Nachher. Legen wir mal damit los, dir zu erzählen, wer wir sind und was uns dazu motiviert, in Gemeinschaft zu leben. Und dann tauchen wir ein in die unterschiedlichsten Themen und Aspekte rund um unser Zusammenleben. Du kannst das Buch also genau so lesen, wie es dir gefällt. Blätter einfach zu einem Kapitel, über das du mehr erfahren willst, und lies dich ein. Oder willst du alles von vorne bis hinten durchlesen? Dann viel Spaß dabei!

Und damit gehen wir mitten hinein in die Dinge und präsentieren dir: das Hofkollektiv Wieserhoisl. Wir wünschen dir viel Inspiration, Anregungen und Nachdenk-Momente beim Lesen!

Wir Sagen Danke!

Mit diesen Worten möchten wir uns gleich zu Beginn bei den ehemaligen Wieserhoisl-Bewohner*innen bedanken. Ohne sie wäre dieser Ort nicht das, was er heute ist! Ihr Engagement für unsere gemeinsame Idee hat dazu beigetragen, diesen Ort Stück für Stück weiterzuentwickeln. Wir sind euch allen sehr dankbar für eure Zeit und Energie, die hier miteingeflossen sind, und die mannigfaltigen umgesetzten Projekte, die ihr hier hinterlassen habt. Schade, dass wir nicht länger den gemeinsamen Weg beschreiten. Ihr fehlt uns!

Unser herzlichster Dank geht an Mira, Yara, Peter, Eva, Mattis, Antonin, Bernhard, Kathi, Jessica, Elke, Greta, Katrin, Lie, Kathi Z., Mark, Aurelia, Kai, Sebastian, Polona und Eric.

Darüber hinaus geht unser Dank an alle Nachbar*innen, die uns von Anfang an wohlwollend begegneten und uns immer wieder mal mit Rat und Tat zur Seite stehen. Allen voran bedanken wir uns bei Stacherl, Hansi, Seppi, Peter und Michl. Wir möchten uns auch bei all jenen bedanken, die uns während Aktionswochen, wie der Holzwoche, oder bei Veranstaltungen tatkräftig unter die Arme gegriffen haben, und natürlich bei all den freiwillig Helfenden und Praktikant*innen. Außerdem bei allen Freund*innen, die unsere Veranstaltungen besucht und unterstützt haben. Ihr seid alle essenzieller Teil von dem gewachsenen und eigenständig existierenden Kollektivwesen Wieserhoisl!

Wir möchten uns auch bei unseren Eltern bedanken, die unseren eigenwilligen Weg vielleicht nicht immer verstanden, aber stets unsere Entscheidung für kollektives Leben respektiert haben.

Wir möchten uns auch bei den jetzigen Eigentümer*innen des Hofes, Bernhard und Candidus, bedanken, dass sie uns die Möglichkeit geben, unsere Utopie hier zu verwirklichen.

Danke auch all jenen, die unserer Einladung gefolgt sind und ein paar Worte über das Wieserhoisl geschrieben haben. Wir freuen uns sehr über diese Erinnerungen und eure Wertschätzung. Danke!

Wir träumen nicht mehr vom anderen Leben, wir leben es – Prolog

 

Kurz nachdem wir den Vertrag zu diesem Buch unterschrieben hatten, wurde der erste Lockdown in Österreich ausgerufen. Und damit folgte eine Krisenzeit, die wir alle, sei es in Europa oder in der ganzen Welt, so noch nicht erlebt hatten. Und dennoch: Inmitten dieser bedrückenden, entbehrlichen und für viele einfach nur furchtbaren Zeit kam hier, auf unserem Hof, ein Hoffnungsschimmer auf. Es stellte sich plötzlich heraus, dass das, worauf wir nun jahrelang hingearbeitet hatten, sich gelohnt hat.

› Einfach herrlich, dieser Ausblick.

Ich kann mich an keinen vergleichbaren Moment in den vielen Jahren des Hofkollektivs Wieserhoisl erinnern, der uns so sehr darin bestätigt hatte, dass wir das Richtige machen. Versteht mich nicht falsch: Ich will hier keinesfalls in Abrede stellen, wie schlimm sich diese Zeit für viele gestaltet hat. Auch wir haben das zu spüren bekommen. Aber: Wir hatten uns. War es doch immer der Gedanke an ein unabhängiges, nachhaltiges, selbstversorgendes und krisensicheres Leben, der uns für ein Leben am Land und in Gemeinschaft motiviert hatte. Angesichts einer wirtschaftlichen Wachstumslogik, mit der wir langfristig sukzessive unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören, und den damit verbundenen Szenarien von Unsicherheit und Ungerechtigkeit wollten wir uns selbst organisieren, selbst bestimmen, uns für weniger ertragreiche Zeiten wappnen. Kurz: Wir wollten unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen.

Wir gehören zusammen,das steht fest

Und da war er nun gekommen, so ein unheilvoller, fast schon apokalyptisch anmutender Moment. Und wir: Hatten plötzlich dieses Glück, ihn auf unserem schönen Stück Land verbringen zu dürfen.

Zwar isoliert, aber absolut nicht einsam, sondern in Solidarität und gegenseitiger Unterstützung, mit unseren eigenen Lebensmitteln und unserem eigenen Brennholz. Ja, das fühlte sich richtig gut an! Im Unterschied dazu mussten viele unserer Freund*innen in der Stadt, teilweise auf sich selbst gestellt, ganz andere Situationen durchstehen und wir konnten sie nur aus der Ferne unterstützen.

Auch die Tatsache, dass die Landwirtschaft zu den systemrelevanten Bereichen zählt und nun auch als solcher vermehrte gesellschaftliche Anerkennung fand, war ein bestätigender Moment. Endlich eine kleine Aufwertung und Vorteile für landwirtschaftliche Betriebe! Das ermöglichte uns zumindest in der ersten Phase, unsere Jungpflanzenproduktion nicht abbrechen zu müssen. Zwar war ein bisschen Improvisation im Verkauf gefragt, da Großmärkte ebenfalls abgesagt wurden. Aber das gestiegene Interesse und die erhöhte Nachfrage nach biologisch produziertem Saatgut und Pflanzen bildeten einen sehr vielversprechenden Absatzmarkt, den wir fast ausschließlich lokal und regional bedienten.

Die Innenkehr, der ausgiebige Hausputz und die allgemeine Langeweile, von denen viele andere während des Lockdowns berichteten, blieb bei uns aus. Der Frühling hielt Einzug, wir waren alle zu Hause, Arbeit und Aufgaben gab es genug. Natürlich hatten sich unsere alltäglichen Bewegungen nach außen eingeschränkt. Deshalb wurde in dieser Zeit auch bei uns so manche lange liegengelassene Tätigkeit endlich erledigt. Unser Garten lief in diesem Jahr ebenfalls zur Höchstform auf.

Unsere Kinder konnten ohne größere Schwierigkeiten im Homeschooling weiterarbeiten. Auch hier haben wir gesehen, dass unsere Herangehensweise an die Selbstorganisation sowie Schulformen mit eigenständigem, freiem Lernen große Vorteile mit sich bringen. Die Kinder waren es bereits gewohnt, sich mit vorhandenen Materialien den Unterrichtsstoff selbst zu erarbeiten. Uns ist es wichtig, dass unsere Kinder sich aus eigener Motivation heraus etwas aneignen wollen, statt auswendig zu lernen oder nachzuplappern. Dass sie immer zu Hause waren, war bestimmt eine der größten Veränderungen am Anfang. Aber auch hier: Was für ein Glück, jederzeit in den Pausen an die frische Luft, einfach hinaus oder in den Wald gehen zu können!

Die Krisenzeit hat uns sichtbar gemacht

Und noch etwas Erstaunliches ist passiert: Uns erreichte eine merkbar gestiegene Anzahl an Anfragen von freiwilligen Helfer*innen, von verschiedensten Plattformen, Medien und Veranstaltungen, die sich für solidarische Ökonomie und gemeinschaftliche Lebensformen interessierten, sowie von jungen Menschen, die neue Hofkollektive gründen und sich darüber mit uns unterhalten wollten.

All dieses Interesse an dem, was wir hier im Hofkollektiv Wieserhoisl seit vielen Jahren umsetzen und womit wir uns bemühen voranzukommen, war zwar auch vor der Pandemie schon da. Doch zeigte sich gerade in dieser Zeit sehr klar, dass solche Lebensformen wie die unsere in Krisenzeiten deutlich resilienter sind. Lebensformen, in denen mensch nicht einsam ist, nicht sozial isoliert, nicht vom Lebensmittelangebot im Supermarkt abhängig und nicht zuletzt: der Natur nahe. Das macht, nicht nur in diesen Zeiten, einen Teil unserer Freiheit aus.

Nicht ganz unter den Tisch kehren wollen wir dabei eine Tatsache: Kollektives Leben ist auch ganz schön anstrengend! Inzwischen können wir schon auf einige Jahre des gemeinsamen Tuns zurückschauen. Und erkennen den Unterschied zwischen dem anfänglichen Eifer, mit dem wir uns hineingestürzt haben, und einer gewissen Abgeklärtheit, die vielleicht heute eher vorherrscht. In den ersten Jahren haben wir so unglaublich viele Dinge, Veranstaltungen, Bauaktivitäten, Vernetzungstreffen, kleine Kinder und vieles mehr gleichzeitig gemanagt. Jetzt denke ich mir: „Wow! Wie haben wir das damals nur gemacht?“

Mit den Jahren haben sich viele Dinge verändert. Auch wir selbst natürlich. Und das Zusammenleben wird nicht unbedingt einfacher. Anders, intensiver, tiefgehender, verbundener und verbindlicher. Es gibt Dinge, die nach all den Jahren immer noch präsent sind, die wir gewissermaßen schon lange mitschleppen. Seien es Diskussionen, Unstimmigkeiten und Streitigkeiten, Dinge, die sich nicht bereinigen lassen oder bei denen wir trotz langer Praxis noch keine gut funktionierende Methode gefunden haben, um damit besser umgehen zu können. Das zeigt einmal mehr: Kollektives Zusammenleben ist ein Prozess, bei dem die Beteiligten ständig neu ausverhandeln müssen. Das geht in die Knochen, da gibt es immer wieder Durchhänger. Und dann gibt es aber eben diese wundersamen Momente, in denen sich zeigt, dass es sich ausgezahlt hat.

Das Wieserhoisl steht vielleicht auch jetzt an einem Punkt, an dem es heißt, innezuhalten und zu schauen, wohin die Reise weitergehen soll. Und wir stehen vor der Herausforderung, etwas, das über viele Jahre und von vielen Menschen aufgebaut wurde, als neu geformte Gruppe zu erhalten. Diesen wunderbaren Ort der Begegnung, des Lernens und der vielfältigen Natur auch weiterhin erleben zu dürfen und für andere erlebbar zu machen, sorgt für die notwendige Motivation, unser Projekt weiterzuführen. Diesen faszinierenden Ort, an dem unsere Utopie schon ein Stück weit Realität geworden ist.

Wer sind wir und was machen wir?

Wie können wir uns selbst beschreiben? Fangen wir mal so an: Das Hofkollektiv Wieserhoisl ist eine lustige Truppe von befreundeten jungen Menschen, die motiviert sind, sich ihre eigene Lebensrealität zu gestalten.

Damit du uns und unser Lebensumfeld ein bisschen näher kennenlernen kannst, fangen wir gleich zu Beginn mit den grundlegendsten Infos an: Wer zu uns gehört, was wir machen, wo wir leben.

Zu dem Zeitpunkt, an dem diese Zeilen hier geschrieben werden, besteht die Hofkollektivgruppe aus fünf Erwachsenen und drei Kindern. Altersmäßig sind wir um die 40 Jahre alt. Unser neuester Mitbewohner ist da mit seinen 23 Jahren ein kleiner Ausreißer. Die Kinder sind 2009, 2011 und 2017 hier am Hof zur Welt gekommen. Zurzeit lebt nur eine Mitbewohnerin aus einem anderen Ursprungsland als Österreich mit uns: Elena ist Spanierin. Aber auch früher lebten immer wieder mal Mitbewohner*innen aus anderen Ländern bei uns, z. B. Antonin, der in der Gründer*innengruppe dabei war und aus Frankreich kommt. Dadurch entsteht hier auch immer wieder ein bisschen internationales Flair. Die größte Besetzung am Wieserhoisl-Hof gab es 2009/10: mit neun Erwachsenen und drei Kindern. Die kleinste Konstellation existierte über eine kurze Zeitspanne im Sommer/Herbst 2007 mit drei Erwachsenen und einem Kind. Zwischen den Anfangsjahren und heute sind Menschen aus der Gruppe wieder ausgezogen, andere sind eingezogen. Kinder wurden geboren, ein lieber Freund ist in unserer Mitte an Krebs verstorben. Beziehungen haben sich aufgelöst, andere sind neu entstanden. Wir sehen uns als recht stabile Gruppe, im Laufe der Jahre haben uns dennoch einige Um- und Auszüge begleitet. Bewegung und Umbruch gab es also immer.

So sieht’s bei uns aus: unser Bauernhof

Grundsätzlich sind wir am Wieserhoisl-Hof aus räumlichen Gründen auf die ungefähre Anzahl von zehn Bewohner*innen begrenzt. Je nachdem, wie viele Menschen sich ein Zimmer teilen bzw. wie stark das Bedürfnis nach Privatsphäre ist, steigt und sinkt die Anzahl der Bewohner*innen.

Für mehr Menschen müsste nicht nur Wohnraum erweitert werden. Es bräuchte auch einen Ausbau der Grundinfrastruktur, also der Küche, der Badezimmer und der Gemeinschaftsräume. Mehr Wohnraum wurde seit unserem Ankommen in mobiler Form geschaffen. Vier ausrangierte Bau- bzw. Zirkuswägen in unterschiedlicher Größe ergänzen den vorhandenen Wohnraum und ermöglichen so privaten Rückzug in die eigenen vier Wände.

Willkommen am Wieserhoisl-Hof!

Am Rande der Kleinstadt, abseits des geschäftigen Treibens, schlängelt sich die Straße vorbei an saftig grünen Wiesen, Ackerflächen, Wohnhäusern und Siloballen, hinauf in den Wald. Nach ein paar Kurven kommt eine Abzweigung, es geht über eine Schotterstraße, über den plätschernden Bach. Der kühle Wald gibt einen wieder frei, und schon erkennt mensch rechts eine Reihe von Bauwägen, links eine Scheune, ein Gewächshaus und dahinter eine riesige Weidefläche über den sanften Hang hinauf, an dem die Schafe grasen und gelegentlich ein zufriedenes Blöken von sich geben.

Weiter vorne kommt ein weitflächiger Gemüsegarten zum Vorschein, unten angrenzend picken und scharren quirlige Hühner durch Wiese und Sand. Da – es eröffnet sich ein spektakulärer Blick ins Tal. Und daneben schmiegt sich das Hauptgebäude, das Bauernhaus, an den Hang.

Den Weg entlang, am Rande, bevor er sich wieder steil nach unten neigt, glänzt das Dach unserer privaten Wolfgangi-Kapelle im Sonnenschein – ein beliebtes Ausflugsziel, auf dessen Aussichtsbank auch wir uns gerne im Sommer nach dem Mähen ausruhen und die letzten Sonnenstrahlen auf unseren Nasen tanzen lassen.

So oder so ähnlich würden sich wohl deine Eindrücke gestalten, wenn du vom Tal aus auf unseren Bauernhof kommst. Ja, wenn mensch eines vom Wieserhoisl-Hof und seiner Umgebung sagen kann, dann das: Es ist ein paradiesischer, fast schon ein bisschen magischer Ort. Und das waren auch gleich unsere ersten Gedanken, als wir ihn vor vielen Jahren das erste Mal gesehen haben. Wir waren augenblicklich verliebt.

Vom Bauernhaus bis zum Gemüsegarten: Was gehört alles zum Hof?

Schauen wir uns also die Gebäude und das Gebiet noch ein bisschen näher an, beginnend mit unserem Hauptgebäude, dem Bauernhaus. Dabei handelt es sich um einen typischen weststeirischen Bergbauernhof. Über die Treppe, vorbei an gestapelten Waldviertler Schuhen, Sneakers und Gummistiefeln, gelangt mensch zur Eingangstür – und landet nach Betreten des Wohnhauses gleich mal im Herzstück des Gebäudes, in der Küche. Daran angrenzend befindet sich ein Gang, die Treppe führt nach oben zu den zwei Kinderzimmern, eine Tür Richtung Hinterseite des Gebäudes mit Blick auf die Weide. Im Untergeschoss befinden sich noch ein Wohnzimmer, ein Büro und das einzige Badezimmer.

Multifunktionale Räumlichkeiten: Kellerstöckl, Stall und Scheune

Zur Hofstätte zählt außerdem ein ebenfalls für die Region sehr typisches „Kellerstöckl“, das vor unserem Ankommen als Buschenschank betrieben wurde. Jetzt nutzen wir es als Gäste- und Veranstaltungsort. Ein Matratzenlager zum Schlafen, eine rustikale Küche und improvisierte Infrastruktur mit kaltem Wasser im Außenbereich, einer Dusche unter der Weinlaube und einer Trockentrenntoilette ermöglichen die unabhängige Nutzung dieses Gebäudes durch Besucher*innen im Rahmen von Klausuren, Workshops und Festen in der warmen Jahreszeit. An diesem Gebäude wird stetig weitergebastelt. Unser Wunsch ist es, die Ausstattung zu verbessern und alles noch bequemer und gemütlicher zu machen.

› Wir versuchen, uns so gut wie möglich selbstzuversorgen.

Was natürlich ebenfalls zu einem Bauernhof gehört? Klar: ein Stall, damit unsere Schafe im Winter eine Unterkunft haben. Auf unserem Hof finden sich sogar zwei Stallgebäude. Beide werden von uns mehrfach und vielfältig genutzt. Einerseits verwenden wir die Gebäude für landwirtschaftliche Zwecke, also als Stall für die Tiere, andererseits auch als Werkstatt, Lagerraum für Heu und andere Futtermittel sowie für die Maschinen. Andererseits halten wir Raum für andere Verwendungen frei. In dem einen Gebäude – wir nennen es den „alten Stall“ – findet sich ein Platz mit Sofas, den wir als Versammlungsort bei Schlechtwetter, während Klausuren und auch für unser alljährliches Hoffest nutzen. Im anderen Gebäude, dem „neuen Stall“, halten wir einen richtig großen Raum frei: unser sogenanntes „Offroad-Theater“. Hier haben schon Kinder-Zirkuscamps (schau auf Seite 215) stattgefunden, Theaterworkshops und Zirkusaufführungen. Dort residierte unsere Hofband mit ihren Musikinstrumenten (mehr dazu auf Seite 215) und dort erarbeiteten befreundete Zirkusartist*innen neue Stücke.

Lauter Grün rundherum:von Wiesen und Wanderwegen

Abseits der Gebäude besteht das Wieserhoisl aus ca. 12 Hektar arrondiertem (direkt umliegendem) Grund und Boden. 5 Hektar davon machen Waldflächen aus, ca. 6 Hektar sind steiles Grünland, beim Rest handelt es sich hauptsächlich um Wege, Gebäude und die dazwischenliegenden Flächen. Ringsum sind wir von Wald umgeben, unsere nächsten Nachbar*innen sind allesamt mehrere hundert Meter von uns entfernt.

Zu den ganz speziellen Dingen am Wieserhoisl zählt der atemberaubend schöne Blick ins Tal, wie wir eingangs schon erwähnt haben. Abhängig von der aktuellen Wetterlage erleben wir täglich eine etwas andere Atmosphäre, wenn wir unseren Blick in die Ferne schweifen lassen. Die Aussicht ist malerisch und alleine das macht diesen Ort zu etwas ganz Besonderem! Und wer weiß: Vielleicht beeinflusst uns dieser Blick in die Ferne, mit der Rückendeckung der Natur, auch innerlich und positiv in unserem Weitblick auf die gesellschaftlichen Probleme und öffnet unseren Geist.

Eine weitere Besonderheit des Wieserhoisls ist der Wanderweg, der mitten durch den Hof und somit durch unser Wohnzimmer im Freien führt. Dabei handelt es sich um einen Abschnitt des Mariazeller Weitwanderweges, der auch von sehr vielen Menschen der Umgebung begangen wird. Er führt von Deutschlandsberg zur kleinen Wolfgangikirche, die oberhalb von uns gelegen ist. Von dort hat mensch einen wunderbaren Ausblick in alle Himmelsrichtungen.

Und was, glaubst du, passiert unweigerlich, wenn sich so ein Wander- und Spazierweg mitten durch unser Gelände windet? Genau: Es kommt immer wieder zu netten Begegnungen und spannenden Gesprächen mit Menschen, die hier unterwegs sind und sich dafür interessieren, was wir machen. Vielen Vorbeiwandernden fällt sofort auf, dass hier etwas anders ist. Seien es die Zirkus- und Bauwägen, der riesige Gemüsegarten, das große Poster mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“, das an der alten Scheunenwand hängt und schon für sich ein Statement über unsere Überzeugungen und unsere Denkweise abgibt, oder einfach nur die Tatsache, dass hier junge Menschen am Schaffen sind. Dadurch ergibt sich eine öffentliche Wirkung einfach so als Nebeneffekt.

Lassen wir die Vielfalt einziehen!

Wir sind der Meinung, dass das Wieserhoisl und das dazugehörige Stück Land ökologisch sehr vielfältig sind. Auf der einen Seite gibt es große Mengen an Wasser durch eine hofeigene Quelle, einen Bach, der den Wald durchquert, und viele sumpfige und feuchte Stellen hier und da. Andererseits finden sich hier auch trockene Magerwiesen mit vielen Kräutern und vielfältigen Insekten – sogar Gottesanbeterinnen entdecken wir in unseren Wiesen immer wieder. Daneben tummeln sich seltene Schmetterlingsarten, Glühwürmchen, schillernde Käferarten, Feuersalamander und Schlingnattern inmitten von wildem Thymian, Hauhecheln und Teufelskralle. An einigen Stellen lassen wir die Wildnis walten und greifen kaum pflegend ein.

Neben dem, was die Natur von selbst bietet und uns zur Verfügung stellt, haben auch wir dazu beigetragen, die Artenvielfalt einziehen zu lassen. Da wären einerseits unsere Tiere: Als wir beschlossen haben, Schafe hier am Hof zu halten, haben wir uns bewusst für eine gefährdete Nutztierrasse, die Krainer Steinschafe, entschieden. Zeitweise haben auch verschiedene lustige Hühnerrassen, wie Sulmtaler, Altsteirer und Brahma-Hühner, Gänse und verschiedene Enten hier ein Zuhause gefunden. Seit einiger Zeit geben wir einer ganz klassischen Hühnerrasse noch etwas mehr Lebenszeit. Wir übernehmen Bio-Legehennen, die im kommerziellen Legebetrieb wegen ihres Alters ausrangiert werden. Bei uns dürfen sie bis an ihr Lebensende so viele oder so wenige Eier legen, wie sie wollen.

› Im Solardörrer trocknen Kräuter und Blüten – das Steckenpferd von Kräuterliebhaberin Tina.

Und im Garten geht es, was die Vielfalt betrifft, sowieso drunter und drüber. Von essbaren Wildpflanzen über klassische Vertreterinnen aus Bauerngärten bis zu außergewöhnlicheren Experimenten, wie zum Beispiel Erdnüssen oder Artischocken, haben unsere Beete schon alles gesehen. Von einer Gemüseart gibt es außerdem meistens mehr als nur eine Sorte. Wir pflanzen ausschließlich samenfeste Sorten, die wir mit viel Leidenschaft auch selbst weitervermehren (wenn du genauer wissen möchtest, wen mensch in unseren Beeten so alles antrifft, schau auf Seite 111).

Woraus wir wachsen und wogegen wir uns starkmachen

Und dann ist das Hofkollektiv Wieserhoisl noch viel mehr als nur dieser Ort, dessen Bewohner*innen und sein spezieller Geist, den er nach außen hin verströmt. Es umfasst auch seine Wurzeln, die Vergangenheit und damit die vielen Menschen, die das, was jetzt ist, mitgestaltet haben. Mit ihrer Tatkraft in den Anfangszeiten und in den vielen Jahren danach, beim Umsetzen von Projekten, Aktionen, Veranstaltungen und Festen. Durch neue Themen, die sie zu uns getragen haben, die uns sensibilisiert und weitergebildet haben, die unsere Augen und Herzen weiter geöffnet haben für die Vielfalt der Menschen und das, was sie bewegt, sowie die Welt im Allgemeinen. Damit meinen wir all jene, die uns durch Anerkennung und Bestätigung auf unserem Weg bestärkt haben. All jene, die sich auf ihrem Weg von uns inspirieren ließen. Ähnliches selbst ausprobiert haben. An irgendeiner Ecke weitergebaut und um die nächste gedacht haben. Oder sogar neue Hofkollektive gegründet haben.

Damit meinen wir aber auch all jene, die uns vor Herausforderungen gestellt haben. Unsere Toleranz gegenüber der Vielfältigkeit des menschlichen Seins auf den Prüfstand gestellt haben. Uns im Umgang mit den schwierigen sozialen Seiten von Menschen bis an unsere Grenzen gefordert haben. Uns in Situationen des Krisenmanagements gedrängt haben und uns somit auch zu mehr Klarheit in der Abgrenzung geholfen haben. Einmal sagte ein Freund zu uns: „Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht!“ So manch aufreibende Situation hat uns also die Augen dafür geöffnet und den Blick dafür geschärft, was wir hier am Wieserhoisl wollen und was eben sicher nicht. Rassismus, Homophobie, aggressivem Verhalten, Egozentrismus, toxischer Männlichkeit soll und will hier kein Raum geboten werden. Und dafür heißt es, manchmal auch einen Schlussstrich unter die Toleranz und Offenheit für alle und alles zu setzen. Es bedeutet, manchmal Menschen von diesem Ort auszuschließen, weil wir hier gewisse Einstellungen oder Verhaltensweisen einfach nicht haben wollen.

Zum Glück sind das in all den Jahren Ausnahmen geblieben und das Hofkollektiv Wieserhoisl versteht sich als offener Ort der Begegnung. Hier treffen sich interessierte, engagierte Menschen, vernetzen sich, informieren sich, stellen ihre Hilfe zur Verfügung. Und gemeinsam basteln wir an einer anderen, friedlicheren und nachhaltigeren Welt.

Lassen wir die anderen erzählen: Was langjährige Freund*innen über uns sagen:

„Ich habe mich letztes Jahr so gefreut, an eurem kleinen und feinen Fest teilzunehmen und wieder einmal an eurem wunderbaren Ort zu sein, der mir immer wieder Geborgenheit schenkt. Ich habe es miterlebt, wie das Wieserhoisl gewachsen ist und sich verändert hat, und das war auch für mein eigenes Leben bereichernd. Ich bin dankbar, dass ich immer wieder herzlich bei euch aufgenommen wurde, und hoffe, das bald wieder erleben zu können.“

„Für mich wurde das Wieserhoisl in den letzten 10 Jahren zu einer zweiten Heimat. Es ist ein queerfeministischer Ort. Natur. Zugehörigkeit. Gemeinsamkeit. Lernen. Sein. Liebe.“

Dürfen wir uns vorstellen? Das sind wir, die Bewohner*innen des Hofkollektivs Wieserhoisl

› Hallo! Wir sind: Mael, Elena, Fritz, Noreia, Tobias, Mark, Popeia und Tina.

Das Hofkollektiv Wieserhoisl

TINA:

geboren 1980 in Graz; Studium „Landnutzung und nachhaltige Entwicklung“ an der Universität für Bodenkultur in Wien; Gründerin des Hofkollektivs Wieserhoisl 2006 und somit dessen Urgestein; Mutter von Popeia; praktizierende Wald- und Kräuterpädagogin; sie hat den unüberschaubaren Überblick über alle Pflanzenaktivitäten am Hof, ist Netzwerkerin, Partyqueen und Freundin der Zirkuswelten

POPEIA:

geboren 2009 im Zirkuswagen am Hof; Meisterin der verschiedenen Kollektivwelten, denn sie verbringt ihre Wochenenden bei ihrem Papa am Longo-maï-Hof Stopar in Kärnten; zweite Muttersprache: Französisch; sie besucht die Alternativschule Klex in Graz, ist sehr wortgewandt und fast immer gut gelaunt

MARK:

geboren 1983 in Bruck/Mur; Lehre als Prozessleittechniker, Skisport-Landeslehrer Tirol; Kunstaussteller; Kellner und Koch; Bachelorstudium Geographie an der Universität Graz; langjähriger Obmann des Jongliervereins Graz und selbst Jongleur seit über 20 Jahren; am Hof überall organisatorisch und tatkräftig dabei; unermüdlicher Auftreiber von nützlichen Secondhand-Gegenständen

TOBIAS:

geboren 1997 in Linz; Matura an der HBLA für künstlerische Gestaltung in Linz; seit Februar 2020 im Hofkollektiv Wieserhoisl; professionelle Gartenfee/ländliches Universalgenie, großer Freund von Pflanzen und ihren Wesen- und Eigenheiten; passionierter Kanufahrer und -guide mit Holzschnitzambitionen

FRITZ:

geboren 1978 in Klagenfurt; Studium der Landwirtschaft und Doktorat am Institut für Ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur in Wien; seit 2010 im Hofkollektiv Wieserhoisl; Vater von Mael und Noreia; am Hof hauptsächlich verantwortlich für die Tierhaltung, das Weidemanagement und die Waldbewirtschaftung; er ist leidenschaft-licher Paellakoch und Tortenbäcker

ELENA:

geboren 1980 in Valencia/Spanien; Studium der Landwirtschaft in Spanien; seit 2010 im Hofkollektiv Wieserhoisl; Mutter von Noreia und Mael; ihre Arbeitsbereiche am Hof sind der Garten, die Saatgutvermehrung, die Jungpflanzen sowie Einkochen und Tierhaltung; sie arbeitet auch als Kindergartenassistentin; sie steht allen immer mit Rat und Tat zur Seite, bringt südländisches Flair ins Kollektiv und tanzt gerne

NOREIA:

geboren 2011 im Hofkollektiv Wieserhoisl; Zweite Muttersprache: Valenciano; geht in Deutschlandsberg zur Schule; sie ist unsere Schafflüsterin, hilft gerne mit, wenn gemeinsame Aktionen stattfinden, kocht gerne und hängt gerne auf den Bäumen herum

MAEL:

geboren 2017 im Hofkollektiv Wieserhoisl; Zweite Muttersprache: Valenciano; er hält das Kollektiv in Atem und bringt Stimmung ins Haus; er ist unser Pfeil-und-Bogen-Spezialist und trägt den geheimen Titel „King of Wieserhoisl“

Zusammen sind wir stark

Wir haben uns also für einen gemeinsamen Weg entschieden. Einen Weg, der von dem Grundsatz ausgeht, dass wir gemeinsam stärker sind. Widerstandsfähiger. Weniger verletzlich. Beweglicher.

Damit haben wir für uns eine Lösungsmöglichkeit gefunden, zwei Lebensarten zu vereinen: auf der einen Seite ein bescheidenes, bäuerliches, mit dem Ort stark verbundenes, auf der anderen Seite ein modernes, mobiles Leben. Wenn du jetzt denkst, dass diese Entwürfe ziemlich gegensätzlich klingen, hast du gar nicht Unrecht: Sie stehen manchmal auch ganz schön im Widerspruch und der Versuch, beides zu leben, ist nicht immer einfach. Aber es schweißt uns auch zusammen. Und meistens gelingt es uns, diesen Bogen zu spannen und die Vorteile beider Seiten voll auszukosten.

Wie führt mensch eigentlich einen Bauernhof?

Am Anfang mussten wir aber erst in dieses neue Leben hineinfinden. Es war ein herausfordernder Lernprozess, bis wir erkannten, was es wirklich heißt, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen. Klar: Durch unser Studium hatten wir eine fundierte Vorstellung davon, was agrarische Produktion und Organisation bedeuten. Aber es fehlte uns an Praxis: Mit Ausnahme von einem*einer oder zwei Bewohner*innen sind wir alle in einem eher städtischen Umfeld aufgewachsen. Nichtsdestotrotz haben viele von uns unbeschwerte Kindertage am Land verbracht und seit jeher einen starken Bezug zur Natur. So kam es, dass unsere Vorstellungen vom Leben am Land vor unserem Start und in der Anfangsphase sicherlich auch mit Bildern romantischer Idylle vernebelt waren: der Vorstellung davon, mit Freunden inmitten wunderschöner Natur den eigenen Leidenschaften nachzugehen. Das fühlte sich – zumindest in der Vorbereitungsphase, in unseren Gedanken – nicht an wie Arbeit.

Hineinwachsen und über uns hinauswachsen

Je mehr wir uns dann mit dem Ort zu verbinden begannen und Aktivitäten nachgingen, die mit Verantwortung und Verpflichtungen zusammenhingen, desto mehr bekamen wir zu spüren, was es bedeutet, sich um ein Stück Land zu kümmern und Selbstversorgung zu betreiben. Wir erlebten immer intensiver, dass Landwirtschaft eine harte Lebensrealität ist. Die Arbeit hört nie auf. Viele Tätigkeiten sind zeitaufwändig und lassen sich nicht direkt in einen Vorteil oder Lohn ummünzen. Mensch ist an den Ort gebunden, da er*sie sich zu Tätigkeiten verpflichtet, die eine langfristige Zuwendung voraussetzen, bevor ein gewünschtes Ergebnis eintrifft.

Freizeit und Arbeitszeit, Arbeitswoche und Wochenende verschwimmen. Denn wenn die Heuernte ansteht, dann muss das Freizeitvorhaben am See eben warten. Oder wenn am nächsten Tag ein Markt stattfindet, dann wird auch noch in die Abendstunden hinein vorbereitet. Versteh uns nicht falsch: Es ist ein erfüllendes Dasein, das wir führen. Wir arbeiten mit unseren Händen, teilen unsere Zeit selbständig ein, unterstützen uns gegenseitig, ernten gemeinsam die Früchte unserer Arbeit. Aber es ist ein Dasein, das mensch eben nicht blauäugig angehen sollte. Wer diesen Weg einschlagen möchte, muss sich bewusst sein, was auf ihn*sie zukommt: Freude, Gemeinschaftlichkeit, Zusammenhalt – aber eben auch ein ganzes Stück Arbeit.

Also ja, auch wir sind in unserem bäuerlichen Leben manchmal mit Einschränkungen konfrontiert. Doch viel wichtiger ist es für uns, hervorzuheben, wie das Kollektiv und die Gemeinschaft in dieser Konstellation wirken, sprich: wie viel Bewegungsfreiheit wir uns gegenseitig ermöglichen können. Jede*r von uns, egal welche Verantwortungsbereiche er*sie ausübt, kann ohne großen organisatorischen Aufwand Urlaub nehmen, kann über mehrere Tage wegfahren, andere Menschen treffen, andere Luft schnuppern, Abstand nehmen. Sogar Reisen über mehrere Monate sind möglich. Das ist etwas, das klassische bäuerliche Familien mehrheitlich anders leben. Wir aber ermöglichen uns das, indem wir in fast allen Bereichen zumindest in Zweierteams arbeiten, also der*die Einzelne sowieso leichter abkömmlich ist. Oder wir ersetzen uns einfach vorübergehend gegenseitig.

› Blick auf die Bauwägen – Tina kommt gerade vom Kräuterbeet.

Warum überhaupt gemeinsam leben und arbeiten? Na, ist doch ganz klar!

Ein Gemeinschaftsaspekt, der für uns noch dazukommt: Obwohl wir irgendwo im Hinterland an einen Ort gebunden sind, von dem aus Gleichgesinnte weit weg oder weit verstreut erscheinen und wo das lokale kulturelle Angebot selten unseren Bedürfnissen entspricht, sind wir trotzdem immer in bester Gesellschaft. Weil wir uns haben.

Zunächst ist da die Gesellschaft der Hofbewohner*innen. Da gibt es immer irgendein Thema, über das mensch sich austauschen kann, ein Projekt oder Vorhaben, das mensch gemeinsam planen kann. Da sind die Kinder, die durch ihre Spontaneität und Unberechenbarkeit immer für Bewegung sorgen. Besucher*innen, eigene Freund*innen sowie die Freund*innen der anderen bringen zusätzliche Abwechslung in unseren Alltag. Und wenn wir Lust haben, veranstalten wir ein Fest, ein Treffen oder ein Sommerkino, um das kulturelle Angebot zu schaffen, das wir selbst gerne hätten. Wir leben also definitiv keine eintönigen, isolierten oder einsamen Leben in der Pampa. Ganz im Gegenteil, gemeinsam schaffen wir Vielfalt und Abwechslung!

› Gemeinsam meistern wir viele Herausforderungen. Wenn der Traktor umkippt, stellen wir ihn gemeinsam wieder auf. Der Spaß kommt dabei nicht zu kurz (und verletzt wurde natürlich niemand!).

Einen riesigen Vorteil hat der gemeinsame Weg auch im Hinblick auf finanzielle Aspekte. Wir haben zwar persönlich kein Eigentum angehäuft in den Jahren. Gemeinsam haben wir aber doch so einiges an Besitz: Autos, Maschinen, Infrastruktur, Produktionsmittel, Direktkredite (Seite 178) für Projekte von Freund*innen.

All das würde jede*r Einzelne von uns, mit demselben Lebensstil und Einkommen, nie besitzen. Gemeinsam tun wir das aber! Wir haben Zugang zu einer Fülle von Ressourcen, ohne sie persönlich erworben zu haben. Und auch auf immaterieller Ebene profitiert jede*r von uns von einer Vielzahl an Aktivitäten, auch wenn er*sie nicht direkt etwas damit zu tun hat.

Was ein Leben im Kollektiv wirklich bedeutet

Was auf der einen Seite das Schöne an der Gemeinschaft ist – nämlich die Menschen –, hat natürlich auch eine Kehrseite. So viel steht fest: Bei einer größeren Ansammlung von Menschen, die gemeinsam leben und entscheiden, kommt es immer wieder zu konfliktreichen Situationen.

Dabei kann es um gemeinsame Vorstellungen gehen, um persönliche Befindlichkeiten oder einfach um den tagtäglichen Alltagstrott, in dem mensch sich in die Quere kommt. Es kann beunruhigend sein, wenn der gemeinsame Weg nicht so eindeutig ist. Oder wenn mensch sich einsam fühlt inmitten einem Kreis von nahestehenden Menschen. Wenn mensch sich nicht gehört oder verstanden fühlt, wenn das Gefühl entsteht, dass die anderen nicht so agieren, wie mensch es sich nach seinen*ihren persönlichen Bildern und Idealen vorstellt. Dann verliert die Gruppe an Stärke. Dann stehen manchmal vereinzelte Individuen nebeneinander.

Wir sind stark, wenn jede*r in sich stark ist und wenn wir in guter Beziehung mit uns selbst und jedem*jeder einzelnen Bewohner*in stehen. Und alle zusammen als Gruppe funktionieren. Das bedeutet viel Beziehungsarbeit mit uns selbst und allen anderen.

In den ersten Jahren war sehr viel unserer Energie nach außen gerichtet: auf Aktionen, Veranstaltungen, es waren ständig viele und andere Menschen da, die uns besuchen kamen. Gruppendynamiken und -prozesse und innere Befindlichkeiten waren Begleiterscheinungen, die irgendwie mitliefen.

Je länger wir aber im Kollektiv zusammenwohnten, desto mehr richtete sich unser Blick nach innen. Das Wohlbefinden und der psychische Zustand eines*einer jeden wurden wichtiger. Gruppenprozesse wurden bewusster wahrgenommen und behandelt. Es stand immer mehr im Mittelpunkt, wie es dabei allen geht. Denn das Kollektiv ist das, was jedes Mitglied ist und einbringt. Wenn es dem*der Einzelnen gut geht und es ihnen miteinander gut geht, dann geht es auch dem Kollektiv gut. Diese Momente sind wunderbar, wenn alle ausgeglichen und happy sind und wir uns alle gut miteinander verstehen.

In vielen Momenten zwickt es jedoch bei irgendwem irgendwo. Das muss gar nicht mit dem Leben im Kollektiv selbst zu tun haben. Manchmal fühlt mensch sich nicht ganz rund, hat ungeklärte Lebensfragen in sich oder findet einfach alle blöd. In solchen Momenten probieren wir, uns gegenseitig, soweit es uns möglich ist, zu unterstützen, und versuchen, uns geduldig und verständnisvoll beim Durchmachen solcher Situationen zu begleiten. Zum Glück sind es alles Phasen, die einander abwechseln, kommen und wieder gehen. Die permanente, achtsame und bewusste Auseinandersetzung mit den Beziehungen untereinander und mit sich selbst gehört dabei zu den essenziellen Voraussetzungen.

Ein harmonisches Ganzes? Das Kollektiv von außen betrachtet

Das Kollektiv selbst ist mehr als nur die Summe seiner Einzelteile. Es wächst zu einem eigenen Wesen, das Zuwendung, Administration und Leitung braucht. Wenn die Bewohner*innen (also die Einzelteile) das Gefühl bekommen, dass das Kollektiv-Wesen seine eigene Richtung eingeschlagen hat oder der Gruppe über den Kopf wächst, muss es wieder in seine Einzelteile zerlegt werden. Denn Entwicklungen, die sich unbeabsichtigt ergeben, hinter denen aber niemand wirklich steht, oder die im Grunde alle überfordern, können und sollen bewusst in die gewünschte Richtung angepasst werden. Dann heißt es, einzelne Aspekte zu überdenken, Altes, nicht mehr Dienliches abzulegen und sich für Bewährtes wieder bewusst zu entscheiden. Es gilt, eine offene Haltung und Motivation zu kultivieren und voranzutreiben, aus der Neues entstehen kann, das unserem Weg förderlich ist.

Ich glaube, das, was vom Hofkollektiv Wieserhoisl von außen oft wahrgenommen wird, ist dieses Kollektiv-Wesen. Es ist etwas Harmonisches, Einträchtiges, Ausgeglichenes, etwas, das stark zusammenhält. Ein Ort und Menschen, mit denen mensch sich wohl fühlt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass wir als Gruppe auch dann als angenehm und wohlwollend wahrgenommen werden, wenn es gleichzeitig intern ganz schöne Spannungen und Konflikte gibt. Das mag an unserem Grundsatz des respektvollen Umgangs miteinander liegen. Oder an der Existenz des angenehmen, wohlwollenden Wesens, das wir miteinander geschaffen haben.

Ja, wir haben uns für einen gemeinsamen Weg entschieden. Dabei durchlaufen wir auch immer wieder tiefe Stimmungstäler. Es gab schon Situationen, da hat uns der Mut verlassen. Aber: Wenn es gut läuft oder wir zusammen eine schwierige Situation überstanden haben, dann ist das Hochgefühl umso intensiver, umso bestätigender. Dann wissen wir, warum wir uns für diesen gemeinsamen Weg entschieden haben. Weil es ein unglaublich starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit ist, das uns erfüllt.

Komm und begleite uns (ein Stück)

Mit diesem Buch möchten wir einen Einblick in unsere Geschichte und unseren Werdegang geben. Wir möchten davon erzählen, welche Handlungsmöglichkeiten wir für uns gefunden haben, um das konsumorientierte, neoliberale und individualistische „Business as usual“ zu durchbrechen – und stattdessen einen anderen, gemeinsamen Weg einzuschlagen.

Ganz nach dem Motto, das auf einem Plakat in unserer Küche hängt: „Resistance of the heart against business as usual“. Wir sind also mit ganzem Herzen bei der Sache. Unser Widerstand entspringt aus unserem tiefsten Inneren.

Was wir dir noch mitgeben möchten: Wir möchten damit keinesfalls eine Schablone bieten. Unsere Geschichte, unser Lebensentwurf erhebt keinen Anspruch darauf, die Lösung für alle und alles zu sein. Dinge, die für uns super funktioniert haben oder an denen wir gescheitert sind, können sich für dich, deine (zukünftigen) Mitbewohner*innen und überhaupt für andere Menschen und andere Konstellationen ganz anders gestalten. Wir möchten dir einfach zeigen, wie wir es machen, und dir dabei die Augen für diese Art von Lebensentwurf öffnen, dir den ein oder anderen Aha-Moment bescheren oder dir einfach eine dicke Portion Inspiration mitliefern. Mit der du dann anfangen kannst, was du möchtest.

Was mensch auch nicht vergessen darf: Wir haben damit nichts Neues erfunden. Vielmehr entdecken wir bereits von anderen Gelebtes für uns neu und passen es an unsere Bedürfnisse an. Probieren aus. Schreiten fragend voran. Begleite uns ein Stück durch die Geschichte des Hofkollektivs Wieserhoisl. Lache, schmunzle, staune. Lass dich inspirieren!

Das Ende unserer Träume war der Beginn unseres neuen Lebens – unsere Entstehungsgeschichte

 

Die Idee, in einer Gemeinschaft, selbstbestimmt und eingebunden in die Kreisläufe der Natur zu leben, schwirrte schon lange in unseren Köpfen herum. Letztendlich war die Gründung des Hofkollektivs Wieserhoisl für uns irgendwie eine logische Sache. Eins führte zum anderen. Wir hatten Landwirtschaft studiert, wir lieben die Natur, interessieren uns für unsere Umwelt und lernten auch immer mehr darüber, wie sehr sich unser Klima verändert.

› Unser Zuhause: ein gemütliches, traditionelles weststeirisches Bauernhaus.

Wir beobachteten, dass die sozialen Ungerechtigkeiten in der Welt immer größer werden und dass ein individualisierter, konsumorientierter Lebensstil nicht mit einer nachhaltigen Entwicklung einhergeht. Wir waren jung und lebten in Wohngemeinschaften in der Stadt. Und was wir wollten, war, gemeinsam am Land zu leben und Landwirtschaft zu betreiben.

Wir hatten uns schon während unserer Studienzeit für das Thema „Leben in Gemeinschaft“ interessiert und über mehrere Jahre hinweg Veranstaltungen zu diesem Thema organisiert. Wir tauschten uns regelmäßig über unsere Ideen und Träume aus. Und es rückte immer näher: Eine Gruppe von Freund*innen hatte sich bereits zusammengetan und suchte aktiv nach Bauernhöfen, die sie gemeinsam beziehen könnte.

Ein Aussteiger*innendasein zu führen, abgekapselt von der Außenwelt, nichts mehr mit ihr zu tun haben zu wollen, war nie unser Bestreben. Im Gegenteil: Wir wollten damit etwas bewegen. Wir wollten unsere eigenen Ideen umsetzen, um den vielfältigen Missständen dieser Welt entgegenzuwirken. Wir wollten aktiv mitgestalten, Lösungen finden: für eine nachhaltige Gesellschaft, ein friedliches Miteinander, eine Welt ohne Ausbeutung. Mit Respekt vor der Natur die natürlichen begrenzten Ressourcen schonen. Wir wollten ein Leben, in dem unser Tun nachvollziehbar ist. Sinnerfüllt. Uns befreien aus der Ohnmacht gegenüber den vielen Problemen der Welt.

Wo alles anfing: Studienzeit und erste Erfahrungen mit der Selbstorganisation

Als Ursprungsort unserer Gemeinschaft können wir die Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) festlegen. Dort haben wir uns kennengelernt, Freundschaften geschlossen, saßen nebeneinander im Hörsaal. Es war eine unbeschwerte Zeit, vor uns breitete sich die Zukunft aus, mit einer Fülle an Möglichkeiten.