Einfach raus! - Beate Hofmann - E-Book

Einfach raus! E-Book

Beate Hofmann

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Beschreibung

Einfach raus! Raus aus eingefahrenen Denkmustern, raus aus der Frustfalle, raus aus dem Büro und rein in die Wildnis vor der Haustür. Auch im Alltag Abenteuer zu wagen und Natur als Ressource zu nutzen, erhöht die seelische Widerstandskraft. Dieses Buch zeigt, wie "Grüne Resilienz" es ermöglicht, stärker zu leben, achtsamer zu handeln und die eigene Kreativität neu zu beleben. Unterhaltsam verknüpfen Beate und Olaf Hofmann ihre eigenen Lebenserfahrungen mit aktuellen Erkenntnissen der Psychologie, Pädagogik und Natursoziologie. In persönlichen Interviews lassen sie prominente Menschen wie z.B. Neurowissenschaftler Gerald Hüther, Zeitforscher Karlheinz Geißler, Seelsorger Anselm Grün, die Bestsellerautorin Maike van den Boom zu Wort kommen. Mit diesem Buch bringen Sie Ihr Leben langfristig in den "grünen Bereich"!

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Seitenzahl: 263

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Cover

Haupttitel

Inhalt

Über die Autoren

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Beate und Olaf Hofmann

Einfach raus

Wie Sie Kraft aus der Natur schöpfen

Patmos Verlag

Inhalt

kapitel 1

Raus aus der Box

Werden Sie zum innovativen Querdenker

kapitel 2

Raus aus der Zeitnot

Gönnen Sie sich Zeitwohlstand

kapitel 3

Raus aus der Stadt

Wagen Sie sich in die Wildnis vor der Haustür

kapitel 4

Raus aus der Krankheit

Nutzen Sie die Heilkraft der Natur

kapitel 5

Raus aus der Erschöpfung

Entdecken Sie natürliche Kraftquellen

kapitel 6

Raus aus dem Kinderzimmer

Ermöglichen Sie Kindern starke Lebenswurzeln

kapitel 7

Raus ins Glück

Bringen Sie Ihr Leben in den grünen Bereich

Schluss: Kraft aus der Natur schöpfen

Danke

Literatur

Anmerkungen

Bildnachweis

»Glaube mir, denn ich habe es erfahren, du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern. Bäume und Steine werden dich lehren, was du von keinem Lehrmeister hörst.«

Bernhard von Clairvaux

Für Lina und alle, die eine Spur wilder leben wollen.

Vorwort

Kennen Sie den Gedanken: »Ich will hier raus«? Raus aus dem Alltagstrott, raus aus der Beziehungsfalle, raus aus dem Büro, der ständigen Erreichbarkeit oder raus aus dem Hamsterrad? Manchmal taucht dieser Impuls urplötzlich auf, oft schleicht er sich über Wochen oder Jahre an und wird immer drängender.

Doch Sie wissen, bei radikalen Ausstiegen ist eine Enttäuschung oder Überforderung vorprogrammiert. Vielleicht fragen Sie sich, ob es immer die großen Fluchten, die Sabbatjahre, die rigorosen Veränderungen sein müssen? Wie lässt sich mit einfachen Möglichkeiten in kurzer Zeit etwas verändern, sodass neuer Wind ins Leben kommt, kreatives Denken die Arbeit erneuert und die Lebensfreude wächst?

Wie können wir stark im Leben werden und vor allem bleiben?

Wir haben nach neuen Erkenntnissen gesucht und sind auf das Geheimnis der »grünen Resilienz« gestoßen, die es uns ermöglicht, stärker zu leben, achtsamer zu handeln und die eigene Kreativität neu zu beleben. Es ist eine vielfach ungenutzte, ganz außergewöhnliche Ressource, die uns allen zur Verfügung steht: die Kraft der Natur, die Weite der Wildnis, die Stärke, die Hildegard von Bingen »Grünkraft« und die wir »Wildniskraft« nennen.

Immer mehr Forscher beschäftigen sich als Neurowissenschaftler, Psychologen, Pädagogen oder Soziologen mit dem Zusammenhang von menschlichem Wohlbefinden, Kreativität und dem Gesundheitsfaktor Natur. Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Doch das darf sich ändern! Es ist an der Zeit, dass wir Natur proaktiv nutzen und einfach rausgehen, um den vielfältigen Anforderungen unseres Lebens besser zu begegnen. Sie werden entdecken, dass es sich lohnt, den Wald mit offenen Augen und allen Sinnen wahrzunehmen. Denn eine Grundbedingung für Glück ist die Verbundenheit von Mensch und Natur.

Deshalb lassen Sie sich inspirieren und ermutigen: Werden Sie zum Querdenker, gönnen Sie sich Pausen, wagen Sie sich in die Wildnis vor der Haustür, nutzen Sie die Heilkraft der Natur, entdecken Sie neue Kraftquellen, ermöglichen Sie Kindern starke Lebenswurzeln. Kurzum: Gehen Sie raus und bringen Sie Ihr Lebensglück langfristig in den grünen Bereich!

Für dieses Buch sind wir in den letzten Monaten viel unterwegs gewesen, haben interessante Menschen befragt und Expertenwissen zusammengetragen. Vor allem aber sind wir rausgegangen und haben selbst erlebt, wie die Natur aktiviert und stärkt. Da immer nur eine Person in die Tasten des Computers greifen kann, schreibe ich, Beate Hofmann, diese Texte für Sie. Das Wissen stammt allerdings von meinem Mann Olaf und mir gemeinsam. Denn der Wildnisliebhaber, Abenteurer und Erlebnispädagoge ist er. Meine Stärke ist eher die Verbindung hin zur Psychologie, Resilienzforschung und Persönlichkeitsstärkung. Freuen Sie sich daher auf eine doppelte Perspektive und ein außergewöhnliches Buch.

Beate & Olaf Hofmann

Kapitel 1

Raus aus der Box

Werden Sie zum innovativen Querdenker

Innovation beginnt draußen

Der Arbeitstag war lang und intensiv. Wir haben einen Vortrag vor Unternehmerinnen und Unternehmern in Ingolstadt gehalten. Jetzt liegen reichlich vier Stunden Rückreise auf der Autobahn vor uns. Dabei fährt Olaf das Auto und ich will Texte für unseren Newsletter verfassen. Doch ich fühle mich ziemlich ausgelaugt. Mein Kopf ist leer, zumindest im Blick auf Impulse und kreative Gedanken, die es wert sind, publiziert zu werden.

»Übergänge sind kreative Freiräume, die stets Erneuerungen mit sich bringen«, erinnere ich mich an einen Gedanken aus dem Buch der Philosophin Natalie Knapp, das ich kürzlich gelesen habe. Ist diese Rückfahrt nicht genau solch ein Übergang, den wir bewusst gestalten können? Das leise Bedenken, dafür keine Zeit zu haben, wird weggewischt. Es liegt bei uns, ob wir uns die Zeit dafür nehmen wollen oder nicht. Also setzt Olaf den Blinker, nimmt die nächste Ausfahrt und steuert den erstbesten Wanderparkplatz an.

»Kindinger Klause« steht auf einem der Wegweiser und macht auf eine regionale Felsenhöhle aufmerksam. Wir schlüpfen in Turnschuhe, die zur Standardausrüstung in unserem Auto zählen, und machen uns auf den Weg über das Feld, den Berg hinauf, einem farbenprächtigem Mischwald entgegen. Nur 20 Minuten später klettern wir den Pfad zu einem imposanten Felsdach hinauf. Wir sind allein im Wald, von fern hört man noch die Geräusche der Autobahn.

Vielleicht zehn Meter breit und acht Meter tief ist dieser Felsüberhang. Einige Baumstämme um einen Feuerplatz in der Höhle laden ein, Platz zu nehmen. Wir haben unter dem Felsdach heraus einen weiten Blick in den Wald, der sich förmlich zu unseren Füßen ergießt. Keiner von uns spricht. Wir sitzen schweigend, lassen die Gedanken ziehen, zurück zu dem Vortrag, den unterschiedlichen Menschen, denen wir begegnet sind, und weiter zurück zu den Menschen, die hier jahrtausendelang Unterschlupf gesucht haben. Dies jedenfalls besagt eine Tafel an der Höhlenwand. Seit Urzeiten ist diese Höhle ein Rückzugsort für Menschen gewesen. Hier haben sie den Winter oder lange Regentage trocken überstanden, am Feuer gesessen, Gemeinschaft genossen, Freude und Leid geteilt, Rituale gepflegt und Werkzeuge hergestellt, mit denen sie dann wieder hinausgezogen sind. Der Lärm der Autobahn wird vom Rauschen des Windes in den Baumwipfeln verschluckt. Wir tauchen ein in eine Welt, wie sie vor Urzeiten war, fühlen uns den Urururahnen eigentümlich nahe.

Denn auch wir suchen Sicherheit, brauchen die Geborgenheit eines geschützten Ortes, sammeln uns, um Gemeinschaft und Erfahrungen zu teilen, und fühlen uns gleichzeitig hinausgezogen. Hinaus in ferne Welten, in neue Erfahrungsräume, in fremde Gebiete, die wir entdecken wollen. Aufbruch und Rückzug gehören untrennbar zusammen. Wer sich gestärkt hat (zum Beispiel in solch einer Höhle), der konnte irgendwann kraftvoll wieder losziehen. Die Höhle, die Weite der Natur, das intensive Spiel der Farben durch die reflektierende Sonne in den Bäumen, das Raunen des Windes – sie wirken an diesem Tag wie ein klärendes Bad für die gedanklichen Ablagerungen, die unser Denken zäh gemacht haben. Allmählich fällt die Anspannung ab, kehrt die Lust am Denken zurück. Wir tauchen in ein gutes Gespräch ein. Ein Wort gibt das andere. Diese Höhle erinnert uns an einen Ort im Elbsandsteingebirge, in der Sächsischen Schweiz. Als Jugendliche waren wir dort zum »Boofen«. So nennt man das wilde Übernachten im Freien unter ebensolchen Felsüberhängen. Es waren großartige Abenteuer, unmittelbar vor der Haustür, die uns in ganz besonderer Weise mit der Natur verbunden haben. Es fühlte sich so unmittelbar, so fremd und so vertraut zugleich an. Warum haben wir dies nie mehr wiederholt? Warum geben wir den Terminen, der Fremdbestimmung von außen den Vorrang vor solchen Ideen? Wäre es nicht originell, statt im Hotel demnächst mal wieder unter freiem Himmel oder in einer unserer alten »Boofen« zu übernachten? Wir spinnen ganz wunderbare Pläne und entdecken eine Fülle an Möglichkeiten. Es ist, als würde einem das sprichwörtliche innere Licht aufgehen und kreative Gedanken tauchen plötzlich auf, wie Mücken, die vom Licht angelockt werden.

Wir sind hier draußen »out of box«, weg von dem, was wir üblicherweise tun würden, nämlich zielgerichtet von einem zum nächsten Termin unterwegs zu sein. Und dieses unverhoffte, kurze Rausgehen in die Natur zeigt überraschende Wirkung. Nicht nur, dass ich mein Notizbuch zücke, um einige Gedanken für den Newsletter festzuhalten, nein, wir haben einen Ort gefunden, der uns zum Kraftort geworden ist und den wir mit Sicherheit aufsuchen werden, wenn wir wieder auf der A9 unterwegs sind. Nur beim nächsten Mal ganz gezielt.

Das Ding mit der Box

Hier haben Sie eine Pappschachtel mit Reißzwecken. Eine kleine Kerze und Streichhölzer. Ihre Aufgabe ist es, die Kerze so an der Wand zu befestigen, dass das Wachs nicht auf den Boden tropft.

So oder ähnlich wird der Psychologe Karl Duncker seine Studienteilnehmer vor bald 80 Jahren für ein Experiment vorbereitet haben, mit dem er deren kreative Problemlösefähigkeit testen wollte. Es war jedes Mal das Gleiche. Die Probanden testeten die wildesten Sachen. Sie weichten das Wachs an der Seite der Kerze auf und versuchten, sie an die Wand zu kleben. Oder sie wollten die Reißzwecken als Nägel nutzen und die Kerze damit irgendwie anpinnen, was natürlich misslang. Erst nach einigem Versuchen, Probieren und Nachdenken kamen manche auf die recht simple Lösung für das Problem.

Sie leerten die Schachtel mit Reißzwecken aus, pinnten die Schachtel so an die Wand, dass sie zur Standfläche wurde und befestigten mit wenigen Wachstropfen die Kerze darin. Fertig war der Wandkerzenhalter. Da zeigt sich mal wieder, dass man oft etwas hundert oder tausend Mal sieht, ehe man es zum allerersten Mal wirklich sieht! Was alles in einer kleinen Schachtel steckt! Sie ist viel mehr als eine Schachtel. Sie ist darüber hinaus ein Kerzenständer und sicher noch viel mehr!

Hätten Sie die Lösung gefunden? Ich hatte echte Mühe, Olaf dagegen war in reichlich einer Minute fertig. Er hatte kein Problem damit, die Funktion der Kiste zu ändern. Ähnlich kreativ sind auch Kinder bis zum fünften Lebensjahr. Danach beginnen die Kleinen, beeinflusst von ihrer Umwelt, Aufgaben weniger intuitiv, chaotisch und probierend, sondern mit mehr Denkleistung zu lösen.

Das wiederum führt nicht immer zu schnelleren Ergebnissen und schon gar nicht zu originelleren Ideen. Genau diese aber haben wir in unserer Wissensgesellschaft dringend nötig.

Kreativität ist eine unverzichtbare Grundlage für neue Ideen und deren erfolgreiche Umsetzung. Dabei ist es egal, ob es um Kreativität in Unternehmen, Wissenschaft oder Schulen geht.

Denn es gehen alle gemeinsam auf riesige Herausforderungen zu. Bisher waren es bloße Zahlen der Statistiker oder Eindrücke im Fernsehen, die uns das Bevölkerungswachstum weltweit in die Wohnzimmer trugen. In Deutschland haben wir davon kaum etwas bemerkt. Doch mittlerweile stehen die Flüchtlinge direkt vor unsere Haustür. Die Grenzen sind belagert von Menschen, die ihre Heimat verloren haben und nur noch raus wollen aus Krieg, Hunger, Hoffnungslosigkeit.

Das gigantische Wachstum der Weltbevölkerung, dazu noch Natur­katastrophen in Folge des Klimawandels und eine Fülle von technologischen Herausforderungen – die Menschheit hat allen Grund,­ nach kreativen Lösungen für das künftige Leben zu suchen. Der britische Bildungsexperte Ken Robinson schreibt: »Diese große neue Menschenmasse wird Technologien anwenden, die noch nicht erfunden sind – auf eine Art, die wir uns nicht vorstellen können, und in Berufen, die heute noch nicht existieren.«1Keiner von uns kann genau vorhersagen, wie sich die Zukunft gestalten wird. Keine der vergangenen Epochen der Weltgeschichte hatte so globale und komplexe Veränderungen in einer so rasanten Geschwindigkeit zu bewältigen. Deshalb brauchen wir nicht nur persönlich, sondern auch für unsere Gesellschaft das innovative »out of box«-Denken. Die große Frage ist, wo holen wir uns die Innovation? Woher kommt sie?

Ideenpool Natur

Die größte Ressource für Innovationen liegt unmittelbar vor unserer Haustür. Sie ist gewissermaßen in und um uns zu finden. In ca. vier Milliarden Jahren musste sich die Natur immer wieder anpassen. Sie hat dabei komplexe Herausforderungen bewältigt. Denken Sie nur daran, wie vielfältig Lebewesen auf dieser Erde unterwegs sind. Sie kriechen, fliegen, schwimmen, haben den Schutz von Borke, Haut, Schalengehäusen, gewinnen Nährstoffe aus der Luft oder dem Boden, erneuern sich selbst, pflanzen sich fort, profitieren vom Verbund mit anderen. Innovation pur! Man muss kein Wissenschaftler sein, um darüber ins Staunen zu geraten. Doch gerade diese stellen oft während ihrer Forschungen fest, dass sie mit jeder Erkenntnis fragender werden und ehrfürchtig vor den komplexen Zusammenhängen der Natur ste­hen. Die Natur bietet unzählige Beispiele für technische Innovation oder für soziale Kooperation. Beispielsweise sprießt die asiatische Lotuspflanze nur deshalb blütenrein aus grünen Tümpeln, weil ein spezielles Wachs auf der Pflanzenoberfläche dazu führt, dass ein Wassertropfen lediglich 0,6 Prozent Auflagefläche auf ihren Blättern hat, folglich an ihr abperlt und dabei noch eine Besiedlung der Pflanze mit Mikroorganismen oder Algen verhindert. Forscher schauten sich den selbstreinigenden »Lotus-Effekt« ab und entwickelten eine Fassadenfarbe, die bewirkt, dass der Schmutz mit dem Regen an Häusern abperlt. Oder kennen Sie die Selbstheilungskräfte der Birkenfeige? Dieses Maulbeergewächs stammt ursprünglich aus Asien. Vielleicht ziert der Ficus Benjamini auch bei Ihnen als Zimmerpflanze Büro und Wohnräume. Dann ist Ihnen sicher der weiße Pflanzensaft aufgefallen, der austritt, sobald ein Zweig der Pflanze angebrochen ist. Dieser protein- und latexhaltige Milchsaft sorgt für einen perfekten Wundverschluss bei Verletzungen. Derzeit wird geforscht, wie dieses Phänomen auf selbstreparierende Werkstoffe übertragen werden kann. So könnten feinste Brüche zum Beispiel in der Aufhängung von Stoßdämpfern beim Auto oder bei Dichtungen, ja selbst bei der Lackierung von Autos oder in den Displays von Handys sich selbst reparieren. Zahlreiche Pflanzen und Tiere verfügen über erstaunliche Fähigkeiten, die wir mit heutigen technischen Möglichkeiten analysieren und als Ideenpool für neue Innovationen nutzen können.

Nach Aussage der Forscher kann Evolution die technische Revolution enorm beflügeln. Diese Annahme ist der Ansatz der modernen Bionik, einer Kombination aus den Wissenschaftsbereichen Biologie und Technik. Die Bionik schöpft aus einem schier unerschöpflichen Pool an biologischen Vorbildern. Hier finden sich Antworten oder Denkansätze für gegenwärtige technische Problemfragen. Sie ermög­lichen damit ein neuartiges Denken.

Ein Klassiker der Bionik ist die Entdeckung des Schweizer Ingenieurs Georges de Mestral. Ihm ging es so wie vielen Hundebesitzern, er ärgerte sich über die zahlreichen Kletten, die er nach Spaziergängen durch Wald und Feld aus dem Fell seines Hundes klauben musste. Mestral, von Natur aus neugierig, fragte sich nach der Ursache der Klebewirkung der kleinen Pflanzenteile und entdeckte unter dem Mikroskop Erstaunliches. Die Klettfrüchte besitzen Unmengen von winzigen elastischen Häkchen, die sich beispielsweise im Fell des Hundes verfangen können. Mestral überlegte sich, ob man diese Häkchen auch wieder lösen könnte, und entwickelte ein Flauschband mit feinsten geschlossenen Schlingen, in dem sich derartige Häkchen verfangen, aber auch wieder lösen können. 1951 meldete Georges de Mestral den Klettverschluss zum Patent an, gründete seine Firma Velcro Industries und brachte acht Jahre später den ersten Klettverschluss auf den Markt. Die Firma ist bis heute Weltmarktführer, beschäftigt weltweit über 3.000 Mitarbeiter und setzt über 250 Millionen Dollar jährlich um.2

Georges de Mestral gilt als Pionier der Bionik. Diese innovative Wissenschaft hat sich vielfältig weiterentwickelt und es ist mehr als spannend, was für Anregungen die Wissenschaftler immer neu aus der Natur beziehen. Steve Jobs, dem Gründer der Firma Apple und technologischem Visionär, wird das Zitat zugeschrieben: »Ich denke, die größten Innovationen des 21. Jahrhunderts werden an der Schnittstelle von Biologie und Technik entstehen.« Das setzt voraus, die uns umgebende Natur aufmerksam wahrzunehmen, staunend zu bleiben, aber auch achtsam und vorsichtig zu behandeln. Denn wir haben hier eine Quelle von Kreativität, die wir uns mit dem Aussterben jeder Spezies selbst dezimieren. Oder wie der Biologe und Philosoph Andreas Weber schreibt: »Nur wenn wir die Natur bewahren, werden wir langfristig unsere eigene Humanität und Freiheit retten können.« Wir brauchen die Natur, um zukunftsweisend zu denken und uns davon anregen zu lassen. »Plankton und Obst inspirieren die Technik«, so lautet folgerichtig eine Titelzeile der Zeitschrift »Die Welt« vom 28.11.2014. Darin wird beispielsweise beschrieben, wie Forscher die Pampelmuse für die Entwicklung neuer Sturzhelme nutzen. Diese Frucht hat eine schaumartige, weiche Fruchtschale, die den Aufprall aus zehn Metern Höhe auf einen Betonboden so abmindert, dass die Pampelmuse nicht zerplatzt. Dabei ist die Schale lediglich zwei bis drei Zentimeter dick. Wie kann es sein, dass dies ausreicht, um 90 Prozent der Bewegungsenergie aufzunehmen, fragten sich die Forscher. Wissenschaftler der Technischen Hochschule in Aachen entwickelten aus dieser Frage heraus einen speziellen energieschluckenden Metallschaum, der in einer Feingusstechnik hergestellt wird und bei geringstem Gewicht ausgezeichnete Dämpfungseigenschaften besitzt. Es kommt also nicht auf das Volumen, sondern viel mehr auf die Zusammensetzung eines Stoffes an. Bionik zielt in diesem Sinne auf eine von der Natur angeregte Neuentwicklung von Dingen ab, nicht auf ein Kopieren von natürlichen Prozessen.

»Out of box« meint, kreativ anders und weiter zu denken. Es ist zum Beispiel die Fähigkeit, eine Klette nicht ärgerlich, sondern interessiert zu betrachten, eine Streichholzschachtel zum Kerzenständer umzu­funktionieren und über das bisher Gedachte hinaus weiter­zudenken. Wer es lernt, Dinge in einem neuen Zusammenhang zu sehen, der wird es schaffen, auch komplexe Probleme der Zukunft gemeinsam mit anderen zu bewältigen. Ken Robinson formuliert es so: »Denn das Einzige, was wir über die Zukunft wissen, ist, dass sie anders sein wird als die Gegenwart. Um diese Herausforderung zu meistern, brauchen wir eine völlig neue Einstellung zu den Ressourcen, über die wir verfügen, und zu der Art und Weise, wie wir sie entwickeln.«3Eine solche Ressource ist zum Beispiel das innovative und kreative Denken. Wir haben geforscht, ob und wie man selbst diesen kostbaren »Rohstoff« Innovation im eigenen Leben fördern kann.

Gute Ideen sind kein Zufall

Dies ist der Untertitel eines lesenswerten Buches über Innovation von Kognitionspsychologe Christoph Burkhardt. Er möchte das Querdenken kultivieren und ist selbst ein gutes Beispiel dafür. Der sympathische junge Mann macht eher den Eindruck, als würde er meistens mit der Gitarre am Strand von San Francisco sitzen und über das Leben philosophieren. Dabei arbeitet er an seiner Doktorarbeit in München, jettet zwischen Amerika und Deutschland hin und her und berät Unternehmen bei kreativen Innovationsprozessen. Als wir ihn in München treffen, fragen wir ihn danach, was einen Querdenker ausmacht und was innovatives Denken aus seiner Sicht bedeutet.

Querdenken bedeutet für Burkhardt, nie bei der erstbesten Idee die Suche abzubrechen, sondern kontinuierlich nach den bestmöglichen Ideen zu suchen. Außerdem meint er, man müsse das eigene Denken beständig hinterfragen. Vor allem aber braucht man den Mut, trotz der Angst den nächsten Schritt zu gehen. Er weiß, wovon er spricht, denn Christoph Burkhardt hat gerade das vertraute Münchner Umfeld aufgegeben, um im quirligen San Francisco zu leben und sich von der Multi-Kulti-Gesellschaft und Vielfalt der Millionenstadt inspirieren zu lassen. Es kostet Mut, die Komfortzone zu verlassen, auch wenn San Francisco eher nach Sommer am Pazifikstrand klingt. Gerade der Kontakt mit unterschiedlichen Kulturen ist ein Faktor, der nachweislich die menschliche Kreativität beeinflusst und den Burkhardt für sich nutzen will.

2009 forschten William Maddux und Adam Galinsky zu diesem Aspekt. In einem Experiment legten sie Studierenden das berühmte Duncker-Kerzenproblem zur Lösung vor. Interessanterweise wurde es von Studenten, die längere Zeit im Ausland gelebt hatten, häufiger erfolgreich gelöst. Der Zusammenhang zwischen interkulturellen Erfahrungen und höherer Kreativität war eindeutig. So schlussfolgerten die Forscher, dass die Anpassungen an Kultur, Spra­che, Denken, die bei einem läng­eren Auslandsaufenthalt erforderlich sind, zu einer nachfolgend kreativeren Denkweise oder innovativeren Hand­lungen führen.

Querdenker gehen genauso viel Risiko ein, dass sie nach dem Scheitern auch wieder aufstehen können. Sie genießen es sogar, wenn Ideen mal keinen Sinn ergeben, und sie haben kein Problem mit dem Chaos, sondern wissen dessen Chancen zu nutzen. So die Meinung des Innovationsforschers Burkhardt. Heißt das nun, die kreativen Querdenker sind einzelne Sonderlinge, die ein besonderes Talent für originelle Denkwege in die Wiege gelegt bekommen haben? Dem widersprechen alle Forschungen.

Die gute Nachricht ist, dass kreatives Denken keine Hochbegabung Einzelner ist, sondern in jedem von unsschlummert. Unser Gehirn arbeitet in ähnlichen Denkstrukturen. Wir können lernen, bestimmte Denkweisen zu beherrschen oder zu umgehen. Auch wenn kreatives Denken ganz schön herausfordernd ist, denn man riskiert ausgelacht oder belächelt zu werden. Selten sieht man einer wirklich innovativen Idee das Potenzial sofort an.

Es gibt etliche Forschungen, die sich mit der Frage beschäftigen, was unsere Kreativität fördert.4Wir sind dabei auf überraschend viele Bezüge zur Natur gestoßen.

Natürlich kreativ

Sicher haben Sie selbst auch schon die Erfahrung gemacht, dass Sie sich nach einem anstrengenden Gespräch am besten vor der Haustür oder Bürotür entspannen. Vielleicht klärten sich Ihre kreisenden Gedanken auf dem Fußweg zum Bus oder auf dem Fahrrad, auf jeden Fall unter freiem Himmel, den Wind um die Nase, die Sonne auf dem Gesicht. Wer kreativ denken möchte, der braucht unbedingt den Wechsel. Es kommt darauf an, andere Umgebungen zu erfahren, andere Bewegungsabläufe zu haben und die Sinne ganz vielfältig anzusprechen. Die Natur bietet uns dafür eine Fülle von Veränderung. Nichts ist dort immer gleich – und wenn es das Wetter ist. Veränderung gehört im Freien unmittelbar zum Basisprogramm. Der Anblick von grünen Bäumen, raschelnde Zweige oder das Blattwerk im Wald stimulieren unser Gehirn und entlasten es zugleich. Das haben japanische Wissenschaftler in einer groß angelegten, 2003 veröffentlichten Studie5bestätigt. Sie führten in 14 Waldgebieten an 168 Versuchspersonen ihre Studien durch und verglichen die Ergebnisse mit Vergleichsgruppen, die in Stadtgebieten unterwegs waren. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Waldgruppen berichteten, dass sich ihre Stimmung verbesserte, sie klarer denken konnten und sich psychisch belastbarer fühlten. Ihre Vitalität stieg deutlich an, sodass sie nach dem Waldaufenthalt weniger erschöpft waren. Offensichtlich wirken die Wälder besonders über die Sinne auf unsere Psyche ein. Allein die Farbe Grün signalisiert Hoffnung, Leben und ist mit Natur verbunden. Die Farbpsychologie ordnet grüne Farbtöne eher der Steigerung von Kreativität zu, während Blau die Denkleistung allgemein stärkt. Parallel nehmen wir im Wald eine Menge Geräusche meist unterschwellig auf. Vögel zwitschern, Käfer surren, Baumwipfel rauschen, Blätter rascheln leise und Wasser gurgelt oder plätschert vor sich hin. Selbst der Geruchssinn wird bedient. Am intensivsten riecht ein Wald nach einem Regenschauer oder im Frühjahr, wenn Bäume blühen und das Blattwerk explosionsartig wächst. Aber auch das Licht im Wald ist immer wieder faszinierend. Gerade im Herbst wirkt das klare, intensive Licht des Spätsommers spektakulär. Um die Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen, muss der Besucher entsprechend achtsam und empfänglich für diese Eindrücke sein. Doch selbst im Unbewussten wirkt Natur klärend, anregend und beruhigend zugleich. Sachbuchautor Clemens Arvay bringt es so auf den Punkt: »Die Natur ist voll von ästhetischen Reizen, Geräuschen und Gerüchen, die in unseren Köpfen die neurobiologischen Grundlagen schaffen, um uns wohlzufühlen und uns zu entspannen.«6

Ruth Ann und Paul Atchley, Psychologen der Universität von Kansas, und ihr Kollege David L. Strayer von der Universität Salt Lake City wollten herausfinden, ob es nur ein Gefühl oder eine Tatsache ist, dass Menschen nach einem Aufenthalt in der Natur innovativer denken können. Sie waren mit einigen Versuchsgruppen wandern. Dafür gibt es ja in den USA herrliche Gegenden: Alaska, Maine, Colorado. Die Testpersonen bekamen lediglich die Aufgabe, einen Remote Associates Test mit jeweils zehn Aufgaben durchzuführen. Das sind Tests, in denen man Wörter und deren Bedeutung assoziieren muss. Also so vielleicht: Welches Wort passt zu Pech, Nacht und Humor? Hier wäre »schwarz« die richtige Antwort. Wort-Assoziations-Tests werden häufig zur Erforschung des kreativen Denkens eingesetzt, nur hatte bisher noch kein Forscher einen solchen Test in Kombination mit dem Aufenthalt in der Natur angewandt.

Die Vergleichsgruppe, die den Test vor Beginn der Wanderung durchführte, hatte eine um 50 Prozent niedrigere Erfolgsquote bei der Lösung der Testaufgaben. Ganz offensichtlich brachte die natürliche Umgebung einen Vorteil für das problemlösende Denken der Teilnehmenden mit sich. Das bedeutet, dass sich in der freien Natur der Teil unseres Gehirnes, der für die punktuelle Konzentration zuständig ist, offensichtlich wie von allein erholt und deutlich bessere Leistungen erbringenkann. Die Forscher gehen davon aus, dass unser Gehirn wie ein Muskel reagiert, der durch die vielfältigen Störungen und parallelen Einflüsse ermüdet. Schon kurze Aufenthalte in der Weite der Natur führen zu deutlicher Entspannung im Gehirn. Allerdings muss man hinzufügen, dass die Teilnehmenden darüber hinaus an diesen vier Tagen ohne elektronische Geräte unterwegs waren. Mit Sicherheit kommt hier der Mono-Tasking-Effekt hinzu. Die Versuchsteilnehmer waren offline. Sie konnten weder E-Mails auf dem Rechner checken noch die Mailbox abhören, und es gab auch keine Signaltöne für eingehende Whatsapp- oder Facebook-Nachrichten. Allein ein Ausstieg aus dem Multitasking verbunden mit dem Wundermittel Bewegung ist eine bekannte Möglichkeit, dem Gehirn wieder mehr Raum zum kreativen Denken zu geben.

Viele Künstler sind sich dessen bewusst, dass das Draußensein die Kreativität fördert. Gezielt suchen sie sich daher Plätze zum Malen, Dichten oder Denken im Freien. Der Maler Caspar David Friedrich zum Beispiel ging tageweise hinaus in die Schluchten und Wälder des Elbsandsteingebirges vor den Toren von Dresden. Dort gibt es geheimnisvolle, düstere Hohlwege, beachtliche Sandsteinformationen mit offenen Felsüberhängen und weitläufige Wälder. Heute ist diese Gegend als Nationalpark Sächsische Schweiz unter Naturschutz gestellt. Caspar David Friedrich, der Künstler, verließ bewusst die Stadt, um inspiriert von der unmittelbaren Natur seine Skizzen anzufertigen. Vielleicht haben seine Gemälde deshalb bis heute eine große Ausstrahlung und Direktheit, welche die Menschen in ihren Bann zieht.

Wie Sie sehen, können wir die Kreativität gezielt anregen und eine förderliche Umgebung dafür schaffen. Aber es ist eher schwierig, sie zu einem bestimmten Termin auf den Punkt zu bringen.

Kreative Augenblicke stellen sich nämlich am häufigsten ungeplant und unerwartet ein. Unter der warmen Dusche, beim Tagträumen während einer Sitzung oder beim Anblick einer weiten Landschaft tauchen oft Gedanken auf, die in uns geschlummert haben. Selbst buntes Treiben im Café, Musik oder das gedämpfte Gespräch von Menschen kann motivierend sein, sofern wir es als entspannend empfinden. Genau dies ist der Modus, in dem wir kreativ werden können. Firmen wie beispielsweise Google haben dies gewinnbringend für sich umgesetzt, in dem sie ihren Entwicklern einen Tag in der Woche Auszeit zum Tüfteln geben. Wer kreativ denken soll, der kann das nicht auf Knopfdruck und selten in einer sterilen Büroatmosphäre oder in einem kahlen Seminarraum tun.

Wir brauchen zum Beispiel eine anregende Umgebung unter freiem Himmel, das bunt-chaotische Zimmer daheim, das Café und den Laptop auf dem Bistrotisch – auf jeden Fall aber einen Ortswechsel, damit das Gehirn auf kreative Touren kommt und neue Denkwege einschlägt. Google stellte fest, dass 20 Prozent aller neuen Produkte in genau dieser »Freispielzeit« für Tüftler entstanden sind – also förm­lich nebenher. Da fragt man sich doch, weshalb immer noch so viele Teams in klimatisierten Büros zusammensitzen, sich über Ideen den Kopf zerbrechen und mühsam nach innovativen Wegen für ihr Unternehmensuchen.

Zum Selberleber und Querdenker werden

Wir haben Ihnen davon berichtet, wie interessiert Wissenschaftler und Unternehmen am Thema Innovation und Kreativität dran sind. Aber was können Sie damit für Ihr Leben anfangen? Raus aus der Box setzt ja voraus, dass man neugierig auf etwas Neues ist, dass man den Mut hat, den Weg zu verlassen, wenn dieser im Kreis herumführt oder in einer Sackgasse zu enden droht. Was also ist die »Box« in Ihrem Leben?

Ist es der immer gleiche Ablauf, den wir als Alltag oder Routine bezeichnen? Sind es Beziehungen in Partnerschaft oder Großfamilie, die Ihnen die Luft zum Atmen nehmen, Sie festhalten und einschränken? Ist es eine Arbeit, die nur noch dem Geldverdienen geschuldet ist, oder ist es der standardisierte Lebenslauf, in dem Sie so wie alle ringsum auf die Rente zuleben? Wenn wir das Leben nicht ändern, dann wird es uns ändern. Also beginnen Sie, etwas zu verändern. Probieren Sie es wenigstens aus. Man lernt daraus. Ich hatte vor Jahren die Vision, keine Dienstbesprechungen im muffigen Büro mehr zu machen. Also verkündete ich die innovative Idee, ab sofort gebe es keine Sitzungen, sondern nur noch »Gehungen«. Der kleine Park in der Nähe des Büros war wie geschaffen dafür. Doch nicht dafür geschaffen war mein Mitarbeiter. Er konnte mit dem Frei-Raum nicht gut umgehen, fühlte sich unwohl außerhalb des strukturierten Büros und ohne seinen Computer. Nach drei »Gehungen« gab ich nach und beschloss, dass man manche Dinge nur allein machen kann, nicht aber mit anderen, die diesen Wert nicht sehen.

Es kommt darauf an, die Balance zwischen Alleingang und Verbundenheit mit anderen zu finden. Querdenker schwimmen nun mal nicht mit dem Strom. Das ist mitunter mühsam. Doch sie gelangen zur Quelle, die ihnen Lebenskraft gibt.

Unsere Erfahrung ist es, dass sich die großen Entscheidungen unseres Lebens am besten draußen in der Natur diskutieren und auch entscheiden lassen. Kostprobe gewünscht? Den Hochzeitsantrag bekam ich am Fluss auf einer Wiese gestellt. Die Entscheidung für unser gemeinsames Studium fiel im Stadtwald von Ludwigsburg. Der Entschluss, ein Sabbatjahr zu machen, fiel im Tiergarten in Berlin und wir haben ihn nochmals auf dem 1290 Meter hohen Monte Subasio hoch über Assisi für uns bestätigt. Die Vision, Vorträge zu Lebensstärke und Selbstführung zu halten und als Autoren und Vortragsredner zu arbeiten, entstand auf dem kanadischen Bergmassiv des Trophy Mountain. Immer wieder zieht es uns hinaus an den See, auf den Berg, ans Meer, wenn wir unser Leben reflektieren und wenn Entscheidungen anstehen.

Leben ist begrenzt und genau das macht es so kostbar. Wir wollen nicht auf später warten, sondern jeden Tag neu nach dem suchen, was unsere Augen dankbar aufleuchten oder vor Neugier und Abenteuerlust funkeln lässt.

Wann funkeln Ihre Augen?

Selber zu denken ist der Weg aus der Mainstream-Falle und die Natur ist in ihrer faszinierenden Vielfalt ein wertvolles Umfeld dafür. Dort lernen wir, mit Widersprüchen umzugehen, zu erkennen, dass sich ein Organismus ständig verändern muss, um zu bleiben, und dass wir nicht allein auf der Welt sind, wie die Berliner Philosophin Natalie Knapp es formuliert. »Kein anderes System ist so lange und so vielfältig erprobt wie die Natur. Sie zu erforschen, zu beobachten und Analogien zu bilden, birgt daher die größten Chancen, um für unsere eigene Lebensgestaltung Anregungen zu finden. (…) Denn wir dürfen nicht vergessen, dass unser Leben nicht getrennt verläuft von den großen Zyklen der Natur, sondern aufs Engste damit verwoben ist.«7Dabei ist es existenziell, die Möglichkeiten zu sehen und zu nutzen, die man selbst zur Verfügung hat. Dies ist der erste Schritt, um zum Selberdenker zu werden. Es zählt nicht, was »man« tut und sagt, sondern was Sie selbst für wahr und sinnvoll halten. Ängstliche Menschen warten, dass ihre Erwartungen erfüllt werden. Querdenker wissen, dass sie verantwortlich sind für ihr Denken, Handeln und Fühlen. Sie suchen nach den Freiräumen, die sie gestalten können. Dafür brauchen sie aber nicht nur Wissen, sondern auch Intuition. Beides macht uns reich und beides ist für kreatives Denken von Bedeutung. Intuition hat viel mit dem unbewussten Wissen und mit der Vielfalt von menschlichen Erfahrungen zu tun. Wer allerdings nur auf seinen Bauch hört, der steht in der Gefahr, Dinge verzerrt und einseitig wahrzunehmen. Eine gute Mischung aus Intuition und angewandtem Wissen stellt sich ein, wenn jemand längere Zeit auf sich selbst gestellt ist. Fernreisende, Mönche, Pilgerinnen oder Auszeitnehmende berichten immer wieder von einem Wachstum an intuitivem Wissen und daraus folgend von guten Entscheidungen und sie haben dadurch ein gestärktes Selbstvertrauen gewonnen.

Gerade erst kam unser Sohn von einer fünfmonatigen Fahrradtour zurück. Er fuhr gemeinsam mit einem Freund von Peking aus über zen­­tral­asiatische Länder wie Kirgistan, Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan in den Iran und weiter nach Europa. Viele Herausforderungen und Schwierig­keiten mussten die beiden unter­wegs bewältigen. Dabei haben sie erlebt, wie das Vertrauen in die eigene Intuition und das Gefühl der Abhängigkeit, aber auch die Verbundenheit mit der Natur wuchs. Sie lernten es neu, Zeichen eines Wetterumschwungs frühzeitig zu beachten, fanden ihren Weg teils auch ohne menschliche Wegweiser, indem sie sich an Flussläufen oder Gebirgszügen orientierten, und erkannten, dass sie auf Menschen, Tiere, Pflanzen in einer Gegend achten müssen, wollen sie sich angemessen verhalten. Vor allem bei der Wahl ihrer Übernachtungsplätze lernten sie, ihrer Intuition zu vertrauen. Die Aussage der beiden Studenten nach 15.000 Kilometern durch Wüsten, Gebirge, verwirrende Großstädte und fremde Länder war: »Das kann jeder schaffen, der es wirklich will, vorausgesetzt er beachtet seine persönlichen Grenzen und Fähigkeiten, lässt sich Zeit und traut seiner Intuition!« Intuition lässt sich aber auch ohne Klosteraufenthalte und Pilger- oder Abenteuerreisen fördern, indem Sie zeitweise offline sind, Momente der Stille gezielt suchen, hin und wieder allein sind, sich bewusst entspannen und Naturaufenthalte als Kreativitätsquelle nutzen.

Strategisch beginnt das »out of box«-Denken immer mit Fragen, die Sie für sich im Herzen bewegen: Wofür lebe ich? Was will ich bewegen? Was würde ich bedauern, nicht gelebt zu haben? Nur wenn diese Fragen in Ihnen brennen und wenn Sie ernsthaft eine Antwort darauf suchen, haben Sie die Kraft, Ihre Alltagsbox, die ungeliebte Tätigkeit, die unbefriedigende Beziehung, das eintönige Alltagsgrau zu verlassen.