Leben mit tausend Sternen - Beate Hofmann - E-Book

Leben mit tausend Sternen E-Book

Beate Hofmann

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  • Herausgeber: adeo
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Rauskommen, den Alltag hinter sich lassen und tief durchatmen. Wer sehnt sich nicht danach? Beate und Olaf Hofmann leben diesen Traum, packen Schlafsäcke, Isomatten und Taschenlampe ein und suchen sich ein idyllisches Plätzchen in der freien Natur. Nächtigen unter Sternen - die Weite des Himmels über sich. Glühwürmchen, den Duft der Bäume und Lagerfeuer-Romantik inklusive. Beate und Olaf Hofmann nehmen ihre Leser mit auf eine Reise ins Abenteuer. Zwölf Nächte draußen, Freiheit fühlen, zu sich selbst kommen, den anderen neu wahrnehmen. Intensive Gespräche führen. Es gibt so viel zu entdecken, zu lachen, zu lieben und zu leben. Ganz einfach draußen Zuhause sein. Was kann es Schöneres geben?

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Seitenzahl: 195

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Deine Zeit ist dein Leben.Sei klug.

INHALT

PROLOG

* JANUAR Sturmnacht

* FEBRUAR Baumhaus

* MÄRZ Pfadfinderwald

* APRIL Reif für die Insel

* MAI Am See

* JUNI Elbsandsteingebirge

* JULI Pazifik

* AUGUST Die kleine Hütte am Fluss

* SEPTEMBER Schwarzwald

* OKTOBER Großstadtsterne

* NOVEMBER Weinberg mit Aussicht

* DEZEMBER Silbernes Band

BILDTEIL

PROLOG

Ein Versprechen

Das Holz knackt. Funken stieben auf. Funkelnde Sterne, die unsere Gesichter erhellen, während die Dunkelheit den Fluss und das Ufer fast unkenntlich macht. Aus der Ferne klingt das Läuten von Glocken, hören wir erste Raketen ins neue Jahr zischen. Weit über den Himmel sprühen sie bunte Lichter.

Wir haben uns zurückgezogen in die alte Hütte am Fluss – nur wir zwei mit den Erinnerungen der vergangenen zwölf Monate. Unser Feuerwerk ist handgemacht. Die Holzscheite brennen knisternd, eine wohlige Wärme geht von ihnen aus. Es ist der perfekte Rahmen, um sich an Augenblicke zu erinnern, die uns wertvoll sind: „Weißt du noch … diese mondhelle Nacht im Schwarzwald …?“ Es war unsere letzte Nacht im Urlaub und wir hatten beschlossen, sie mit tausend Sternen zu verbringen – unter freiem Himmel, auf einer Lichtung im Wald.

Vor lauter Mondlicht können wir erst mal nicht einschlafen. Zum Glück, denn sonst hätten wir die Eule verpasst, die lautlos über uns hinweggleitet, auf der Suche nach Beute. Später in der Nacht knurrt unser Hund plötzlich dumpf grollend. Schlagartig hellwach schauen wir um uns, können aber nichts Bedrohliches im Unterholz am Fuß der hohen Tannen entdecken. Wir schlafen nur unruhig und dennoch ist dies eine Nacht, die uns in ihrer Fremdheit belebt.

In der ersten Morgendämmerung wachen wir auf. In der Tiefe des Waldes schreit ein Tier, Nebelschwaden steigen aus der Wiese, in der Ferne hört man das Klopfen eines Spechts. Tau glitzert an den Halmen der Gräser, als wir unsere Schlafsäcke zusammenrollen. Unweit des Lagers steigen wir in eine Talsenke. Dort an einem gurgelnden Bach knien wir uns ins dunkle Moos und waschen uns spärlich. Dann schultern wir die Rucksäcke erneut und brechen auf – ins andere Leben, das Leben jenseits des Waldes. Eine neue Lebendigkeit im Herzen nehmen wir mit.

Es fühlt sich alles leicht an, das Grau ist einem satten Grün gewichen, die Nacht unter dem Sternenhimmel hat uns irgendwie geerdet und gleichzeitig das Gefühl gegeben, wirklich lebendig zu sein. Die Gespräche, die Zeit, die wir füreinander hatten, ohne jede Ablenkung, hat uns gutgetan. Voller Ideen kommen wir nach Haus.

Eigentlich müsste man öfters so leben: eine Spur wilder, abenteuerlicher, intensiver.

Das „eigentlich“ stört. Denn wieso eigentlich nicht?

Warum nutzen wir unsere Lebenszeit so selten für das, wonach wir uns tief im Herzen sehnen? Irgendwas bleibt immer auf der Strecke, wenn wir tun, was die Firma, der Chef, die Familie, die anderen von uns erwarten. Läufst du hinterher oder läufst du mit, statt deine Richtung frei zu wählen?

Prasselnd verglüht ein Funkenregen und wir fragen uns: Wie viele Verrücktheiten und welche Abenteuer haben wir uns im Laufe der Zeit verkniffen? Es ist an der Zeit, von Natur aus anders zu denken. Gerade jetzt, in diesen ersten Minuten des neuen Jahres, fühlt es sich so an, als könnten wir die Weichen dafür neu stellen. Und wir haben unbändige Lust, dem Leben mehr Tiefe, Weite und mehr Sterne zu geben! Wir möchten die Möglichkeiten ergreifen, die sich uns bieten.

Mit Blick auf die tanzenden Flammen wage ich es, eine Idee laut auszusprechen: „Was, wenn wir im neuen Jahr eine Spur wilder leben, nicht nur im Urlaub, sondern mitten im Alltag? Wenn wir jeden Monat eine Nacht im Freien schlafen. Nur mit Schlafsack und Isomatte, so wie damals im Schwarzwald. Wenn wir das Abenteuer direkt vor der Haustür suchen? Ich will das Leben wieder mehr spüren. Und ich möchte dankbarer für das Alltägliche werden.“

In dieser Nacht, auf der Schwelle in ein neues Jahr, beschließen wir das „eigentlich“ aus unserem Leben zu verbannen und es nicht immer wieder auf ein „später“ zu verschieben.

Unsere Augen leuchten. Es ist ein inneres Leuchten, in dem sich das Feuer spiegelt, was sich inzwischen zu einer satten Glut gewandelt hat. Und über uns der weite Himmel.

*

Seit Tagen warten wir darauf, dass sich das Wetter stabilisiert. Erst klirrender Frost, dann eine Warmfront, die den Boden mit matschigem, grauem Schnee bedeckt. Wir wollen nichts erzwingen, warten ab. Für das letzte Januarwochenende sind Regen und Sturm angekündigt. Es macht keine Freude, den Fuß vor die Tür zu setzen. Auch unser Hund ist froh, wenn wir vom Spaziergang zurück und endlich wieder im Trockenen sind.

Mit viel Vorfreude haben wir unsere Tour geplant. Ich dachte an klare Winterluft, fein rieselnden Schnee oder trockene Kälte. Stellte mir vor, wir liegen abends in unseren warmen Schlafsäcken am Feuer und über uns wölbt sich der Sternenhimmel. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Meine Sehnsucht, endlich aufzubrechen, schmilzt, während ich die Pfützen auf dem Hof betrachte, wie der nasse Schnee auf dem Fensterbrett. Olaf hingegen scheint sich von seinem Vorhaben nicht abbringen zu lassen. Pfeifend zieht er durch die Wohnung, sucht dies und das, probiert die Taschenlampe aus, rollt seinen Schlafsack zusammen und schneidet einige Scheiben Brot, die er fürs Frühstück in eine wasserfeste Box packt. „Und?“ – lächelt er mir auffordernd zu. Ja, denke ich, er hat recht, man sollte sich nicht vom Regen abhalten lassen, sondern dem Leben entgegenlächeln, ganz egal wie es gerade daherkommt. Heute also in Tropfenform – vom Wind verweht.

So beginne auch ich die wesentlichen Dinge in meinen Rucksack zu packen. Den Schlafsack, gut verpackt im wasserdichten Beutel, meine neue Isomatte, einen warmen Pulli für die Nacht am Feuer, Regenzeug, Klappmesser, Becher, Teebeutel und unsere kleine Blechkanne fürs Kochen auf dem Feuer. Ein Stück Käse und eine ganze Cabanossi nehmen wir auch mit, Äpfel und Nüsse, die große Feldflasche voll Wasser. Wer weiß, ob es dort im Tal eine Quelle gibt. Auf der Karte ist eine eingezeichnet, aber sicher, ob wir sie finden, sind wir nicht.

Es dämmert bereits, als wir vor die Tür treten. Der Regen hat etwas nachgelassen, wir ziehen die Tragegurte unserer Rucksäcke fester an und gehen zügigen Schrittes los. Aruna, unser Hund, läuft freudig hin und her. Er scheint zu spüren, dass wir keinen normalen Spaziergang machen.

Schnell lassen wir die letzten Häuser hinter uns und erreichen den Wald. Keine dreihundert Meter von unserer Wohnung entfernt windet sich der Weg, dem wir die ersten Kilometer folgen wollen, durch die Bäume. Etwa sieben Kilometer sind es von hier aus bis zu einer alten Hütte, die wir vor einer Weile bei einem unserer Streifzüge entdeckt haben. Im Winter ist die Hütte zwar verschlossen, aber sie hat ein offenes Vordach. Darunter wollen wir die Nacht verbringen, falls es weiterhin regnet. Und wir haben so immerhin ein Ziel.

Dicke Wolken schieben sich über den grauen Winterhimmel, der Wind hat nachgelassen. Wir sind voller Erwartung und angespannt zugleich. Wie wird es werden? Hoffentlich bleiben wir trocken … Das ist eine meiner größten Sorgen. Inzwischen ist es stockdunkel. Wir lassen die Lampen aus, der Weg liegt als helles Band vor uns. Die Bäume links und rechts sind dunkle Schatten.

Wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Strecke geschafft, als unser Hund, der vorausgelaufen ist, stehen bleibt und sich prüfend nach uns umsieht. Wir laufen merklich langsamer. Olafs Rucksack ist viel zu schwer und, wie er inzwischen festgestellt hat, schlecht gepackt. Er trägt eine Axt, das meiste Essen, den Kocher, die beiden Wasserflaschen und eine beschichtete Decke als Unterlage mit sich. Dazu sein eigenes Gepäck. Der Stiel der Axt schaut oben aus dem randvoll gefüllten Rucksack hervor.

Nach dem vielen Essen der Weihnachtstage sind wir nicht gut in Form. Auf jeden Fall hatten wir uns das Ganze einfacher vorgestellt.

Olafs Rücken meldet sich seit einer Viertelstunde mit einem unangenehmen, dumpfen Schmerz. Und als wäre das nicht genug, frischt nun auch der Wind plötzlich auf. Der ganze Wald ächzt. Die alten Eichen rudern mit ihren Ästen in der Luft, als würden sie ums Gleichgewicht ringen. Dumpf dröhnend kündigt sich der vorhergesagte Sturm an. Hart und stechend wie kleine Nadeln prasseln erste Regentropfen auf uns ein. Wir ziehen die Kapuzen unserer Winterjacken tiefer ins Gesicht, laufen schweigend am Seeufer entlang, haben keinen Blick für die Wellen, die über das Wasser jagen. Es ist kalt, windig, unangenehm. Vor uns auf dem Weg liegt ein größerer Ast, den wir noch haben fallen sehen. Ich bin unsicher. Sollen wir umkehren?

Nur kurz beratschlagen wir uns, dann ändern wir den Plan und die Richtung. Es ist zu riskant, bei diesem Wetter noch länger durch den Wald zu laufen.

Und eben kam uns der Gedanke, dass wir ganz in der Nähe vor einiger Zeit eine kleine Höhle entdeckt haben. Dort wollen wir Schutz vor dem Unwetter suchen – und, wenn möglich, die Nacht verbringen.

Mit großen Schritten schlagen wir den neuen Weg ein. Die letzten hundert Meter geht es durchs dichte Unterholz. Wir biegen Äste beiseite, um uns einen Weg zu bahnen, dann stehen wir vor dem Eingang der Höhle. Olaf hat seine Lampe aus der Jackentasche gezogen und leuchtet den Boden ab. Es riecht nach modrigem Laub und dem Keller im Haus meiner Großeltern. Eigentlich ist es keine richtige Höhle, mehr ein Tunnel durch den Felsen, denn es gibt zwei offene Seiten und der Wind kann hindurchblasen. Aber es ist zumindest eine trockene Bleibe. Endlich können wir die Rucksäcke absetzen. Es tut gut, den Rücken zu strecken, während wir uns nach einem möglichst ebenen Liegeplatz umsehen. Ja, das kann gehen.

Unsere beiden Rucksäcke lehnen neben uns am Felsen, eine Kerze brennt auf einem kleinen Stein in der Mitte der freien Fläche zu unseren Füßen. Wir teilen eine Scheibe Brot. Das tut gut. Es schmeckt viel besser als sonst. Trockenes Brot kann wunderbar sein. Draußen jagt der Wind den Regen durch die Nacht.

Wir sind ein wenig stolz, nicht aufgegeben zu haben, obwohl das Wetter allen Grund dazu geboten hat. Das Leben ist jetzt. Und hier.

Während Olaf Steine zu einer Feuerstelle aufschichtet und Holz zusammenträgt, befreie ich im Schein der Taschenlampe eine Fläche von Geröll und Laub. Gerade groß genug für unsere Plane, auf der die Isomatten Platz finden. Rasch die Schlafsäcke ausgerollt und fertig ist das Nachtlager.

Vor Jahren habe ich eine Reiseerzählung von Robert Louis Stevenson gelesen. Er erzählt von einer Wanderung mit Modestine, seinem Esel. In dessen Gesellschaft durchquert er Ende des 19. Jahrhunderts die französischen Cevennen, um darüber seinen tief sitzenden Liebeskummer zu vergessen. Auf den Esel packt er seine ganze Ausrüstung. Darunter einen Sack, genäht aus robustem, Wasser abweisenden Segeltuch mit einem Futter aus Schaffell. Den Sack nutzt Stevenson als Packsack und Schlafsack gleichermaßen. Damit kann er sein Lager überall aufschlagen. Für Stevenson bedeutet das die größte Freiheit, die er sich für seine Reise denken kann.

Etwa zur gleichen Zeit macht ein englischer Tuchhändler namens Pryce Jones aus der Idee des Schlafsacks ein Geschäft. Er lässt sich einen Vorläufer der heutigen Schlafsäcke, aus robustem, braunem Wollstoff genäht, patentieren, verkauft sechzigtausend Stück an die russische Armee und macht damit ein glänzendes Geschäft. Bald werden solche praktischen Schlafsäcke auch außerhalb der Armee geschätzt, gekauft und schließlich weiterentwickelt.

Ich erinnere mich noch gut an unsere ersten Daunenschlafsäcke. Sie waren eine echte Investition. Wir haben im Studium lange darauf gespart. Das Besondere war, dass wir beide Säcke zu einem einzigen verknüpfen und aneinandergeschmiegt im Zelt liegen konnten. Viele Jahre haben sie uns auf Reisen begleitet. Doch irgendwann lässt auch das beste Material nach und isoliert nicht mehr so gut. Deshalb hat mir Olaf vor einiger Zeit einen neuen Schlafsack geschenkt. Ultraleicht und mollig warm. Damit könne man eine Polarexpedition unbeschadet überstehen, meinte der Verkäufer. An den Nordpol werde ich gewiss nicht ziehen, aber es ist gut zu wissen, dass ich heute bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nicht frieren werde.

Kleine blaugrüne Flammen tänzeln aus dem Tannenreisig und eine dünne Rauchspur beißt in den Augen. Alles ist feucht, es brennt schwer. Olaf hält das Büschel mit dem Holz senkrecht, damit der obere Teil etwas trocknen kann. Vorsichtig pustend will er das Ganze beschleunigen. Aber es gelingt nicht. Das Reisig ist verbrannt, bevor die dünnen Ästchen, die Olaf zu einer kleinen Pyramide aufgeschichtet hat, Feuer fangen. Er muss sich noch einmal neu auf die Suche nach trockenem Holz machen. Mit dem Messer schneidet er Späne aus einem größeren Stück. Innen ist das Holz trocken, wie erhofft. Es ist mühselig, aber nach einer Weile hat er einen kleinen Stoß voller sich kräuselnder Späne zusammengeschoben. Ein zweiter Versuch mit noch mehr Reisig und den trockenen Spänen gelingt. Achtsam legt Olaf Zug um Zug kleine Äste nach, stellt dann zwei dickere Stücke gegeneinander auf. Von der Seite sehe ich, wie seine Augen strahlen, während das Feuer sich durch das Holz frisst. Herrlich, die Hände daran zu wärmen. Der Feuerschein taucht die kalten Felsen in ein warmes Licht. Schön, jetzt hier zu sein.

Nach all der Aufregung der letzten Stunden merken wir nun, wie müde wir sind. Und hungrig. Der Hund riecht das Essen im Rucksack und sitzt schon erwartungsvoll neben uns. Die Blechkanne mit dem Teewasser steht auf dem Feuer. Olaf hat Stöcke angeschnitzt. Wir grillen zwei Würste und backen Stockbrot. Wann habe ich das zuletzt gemacht? Die Erinnerung an ein großes Fest, lachende Kinder, die aufgeregt ums Feuer stehen. Ein großer Klumpen Teig, rußige Spuren von kleinen Händen, die Stücke daraus reißen. Der Geruch von warmem, frischem Brot. Erdbeermarmelade, mit dem Finger verstrichen. Herrlich verrückt.

Es hat aufgehört zu regnen, aber der Wind fegt kalt durch die Höhle. Ich habe Gänsehaut, die Feuchtigkeit zieht durch die Kleider. Das Feuer ist inzwischen heruntergebrannt. Orangerot schimmert die Glut im Steinkreis. Wenn wir nicht total auskühlen wollen, bleibt nur eine Möglichkeit: schnell in den Schlafsack.Die Plane, auf der wir unser Lager ausbreiten, ist leicht feucht. Auch die Isomatten sind klamm. Wir hätten sie erst jetzt ausbreiten sollen. Aber es wird gehen. Mein Dauenschlafsack ist trocken und flauschig warm. Der Hund kuschelt sich dicht an Olafs Seite, als würde er Schutz bei ihm suchen. Ich kann es verstehen. Alleine könnte ich dieses Abenteuer auch nicht genießen. Draußen pfeift der Wind um die Felsen. Irgendwo schreit ein Tier mit kehliger Stimme. Was immer es ist – es soll wegbleiben … Bei jedem Rascheln frage ich mich, welche Tiere wohl ihren Unterschlupf in der Höhle haben.

Wir kennen nicht die Grenzen unserer Behaglichkeit, wenn wir sie nicht austesten. An diesen Grenzen wächst die Erfahrung, wächst die innere Kraft. Olaf und der Hund, sie geben mir das Gefühl, nicht allein mit meinen Ängsten zu sein. Mit ihnen wage ich mich hinaus.

Morgens um halb fünf werde ich das erste Mal wach. Feuchtigkeit hat sich wie eine nasse Hand auf unser Lager gelegt und zieht durch alle Ritzen. Ich ziehe den Kopf tief in den Daunenkragen meines Schlafsacks und reibe die Wange am warmen Stoff.

Der Morgennebel liegt noch wie eine graue Decke über dem Waldboden, als wir in der Dämmerung beide wach werden. Irgendwo keckert ein Eichelhäher. Wir liegen im Halbdunkel der Höhle und albern herum. Es gibt nichts, was uns voneinander ablenken könnte. Das Gefühl großer Vertrautheit wärmt unsere Herzen.

Schließlich rolle ich mich zur Seite und hebe den Kopf. Welkes Laub hat sich auf unserem Schlafplatz verteilt, die beiden Rucksäcke lehnen am Felsen. Das Feuer ist lang schon erloschen, hellgraue Asche liegt auf den Steinen und den verkohlten Resten. Es ist Zeit, den neuen Tag zu begrüßen. Aber irgendwie zieht es mich nicht, den Schlafsack zu verlassen, und es dauert eine ganze Weile, bis ich mich überwinden kann.

Das Wasser ist alle, das Essen gegessen, der Rest schnell zusammengepackt. Schlafsack und Isomatte verschwinden im Rucksack, die feuchte Plane falten wir gemeinsam zusammen und packen sie obenauf. Erst einmal wollen wir loslaufen und später irgendwo unterwegs frühstücken. Es ist feucht, kalt und ungemütlich.

Eine Viertelstunde später haben wir den idealen Ort gefunden. Am Ufer eines Sees halten wir an, zupfen die Sitzkissen aus dem Rucksack und kochen auf unserem Gaskocher Tee. Dazu teilen wir einen Apfel. Die Sonne färbt den Horizont erst zartlila, dann rot-orange schimmernd und taucht schließlich den See in warmes Morgenlicht.

Bis nach Hause ist es eine gute Stunde. Wir gehen zügig und schweigend. Wie intensiv alles riecht, denke ich, während wir durch feuchte Wiesen laufen. Der Geruch von nassem Moos, von Baumharz, Tannenzapfen. Und von Freiheit.

Eine Weile geht es an den verfallenen Mauern des alten Jagdschlosses entlang. Schließlich erreichen wir den Waldrand.

Im Ort stapfen wir fröstelnd in die Bäckerei, kaufen duftende, frische Brötchen. Als wir, die Brötchentüte in der Hand, kurz vor neun Uhr nach Hause kommen, schauen uns Nachbarn mit großen Augen an, im Gesicht ein Fragezeichen. Wieso kommt man um diese Zeit mit Tourenrucksack vom Bäcker? Wir grüßen freundlich, als wäre es das Normalste der Welt. Als wir wenig später frisch geduscht, wollig warm und unverschämt glücklich am Frühstückstisch sitzen, macht sich ein Gefühl der Dankbarkeit im Herzen breit.

AufbrechenFort von all dem, was man Leben nennt.Aufbrechen. Zu mir.

Stürme des Lebens

Manchmal bläst es einen so richtig durch. Der Regen kommt waagerecht von vorn, der Wind peitscht mir ins Gesicht. Das Weitergehen fällt schwer, nur Schritt für Schritt kommen wir voran – wenn wir uns gegen den Sturm stellen.In solchen Zeiten ist es gut,jemanden an seiner Seite zu wissen.Einen guten Freund, eine Freundin, einen Partner, einen langjährigen Weggefährten.Und es ist gut zu spüren, dass einer mit uns unterwegs ist, durch alle Zeiten. Der uns auffängt, wenn wir straucheln. Der uns die Hand reicht, wenn wir nicht mehr weiterwissen.Der unsere Tränen trocknet – und der, wenn es darauf ankommt – auch den Sturm stillen kann.

Unsere Wochenenden sind diesen Monat komplett verplant. Wenn wir unseren Plan weiterverfolgen möchten, bleibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen die Einladung zum fünfzigsten Geburtstag eines lieben Freundes in Süddeutschland nutzen und uns dort einen Schlafplatz unter Sternen suchen. Noch haben wir kein Hotel gebucht. Gut so!

Zwei Wochen später rollen wir spätnachmittags mit unserem Auto im strömenden Regen auf den Parkplatz eines Ruderklubs. Als Olaf den Motor ausstellt, hören wir noch eine Weile schweigend zu, wie die Tropfen aufs Dach trommeln. Durch die Windschutzscheibe betrachten wir sorgenvoll den aufgeweichten Platz und die dunklen Wolken über uns.

Mit so viel Nässe haben wir nicht gerechnet. Und wenn, dann wäre ich niemals auf die Idee gekommen, diese Nacht draußen schlafen zu wollen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, kurzfristig doch noch ein Hotel zu suchen. Im Kofferraum liegen Schlafsäcke und Isomatten, auch die Zeltplane haben wir zum Unterlegen dabei, doch allein die Vorstellung, das Auto zu verlassen, gruselt mich. Wo sollen wir bei dem Wetter einen trockenen Platz finden? Als könnte er Gedanken lesen, meint Olaf: „Sieht so aus, als sollten wir auf dem Fest bis zum Morgen durchtanzen, um nicht draußen schlafen zu müssen.“

Doch dann zückt er das Smartphone, prüft die Wetter-App und grinst entspannt: „Der Regen hört gegen Mitternacht auf und es wird stürmisch. Das ist gut, denn dann trocknet es schneller. Und wir können damit rechnen, dass es in der Nacht zumindest von oben nicht mehr nass ist.“

Als er meinen skeptischen Blick sieht, meint er: „Wir haben ja die Plane. Zur Not legen wir uns eben unter eines der Boote, die dort hinten auf niedrigen Gestellen gut verpackt auf den Frühling warten. Du wirst sicher nicht im Regen schlafen.“

Ich luge durchs Fenster zu den aufgestapelten Booten neben dem Vereinshaus. Stimmt. Das kann funktionieren. Mit dieser Option bin ich zufrieden und kann mich etwas entspannen. Außerdem lässt jetzt auch das Trommeln der Tropfen etwas nach. Rasch steigen wir aus und laufen um Pfützen herum zum Haus, aus dem uns schon Musik und fröhliches Lachen entgegenschallt.

Es wird ein wunderbares Fest und ein bewegter Abend. Wir treffen Freunde, lernen neue Menschen kennen, unterhalten uns und tanzen, als ob es kein Morgen gibt.

Spät in der Nacht dreht sich das Gespräch an unserem Tisch darum, wer in welchem Hotel schlafen wird. Als wir erzählen, dass die Schlafsäcke im Auto liegen und wir uns bald einen geschützten Platz für unser Nachtlager suchen werden, verstummt das Gespräch schlagartig. Damit hat anscheinend keiner gerechnet – die Blicke verraten: Niemand kann sich vorstellen, dass wir uns in die Büsche schlagen. Unser auf den ersten Blick verrücktes Vorhaben wird zum Türöffner für viele schöne Geschichten, an die sich jeder gerne erinnert. Fast jeder denkt an ein Erlebnis seiner Jugend: Pfadfinderlager, Campingurlaub mit der Freundin, Interrail-Abenteuer, Bergtouren und Pilgererfahrungen. Erstaunlich, was manche schon erlebt haben. Man sieht es dem Mann im Anzug, der Frau im Abendkleid nicht an. Doch beim Erzählen kommt das Funkeln in die Augen zurück und das Kind in der Frau und im Mann zum Vorschein.

Einige würden jetzt, nachdem sie sich in Fahrt geredet haben, am liebsten begeistert mitkommen und finden es schade, dass sie keine passende Ausrüstung dabeihaben. Andere bedauern uns aufrichtig wegen des Wetters. Vor allem unsere Gastgeber machen sich Sorgen, dass wir am nächsten Morgen mit einer Erkältung aufwachen werden.

Unverhofft fragt uns ein Paar, ob sie uns das Baumhaus ihrer Kinder im Garten anbieten könnten. Es wäre zwar in drei Metern Höhe mitten in der Nacht etwas abenteuerlich zu erklimmen, aber es hätte eine Plane als Dach und wäre sicherlich trockener als die triefend nasse Wiese. Das ist ein Argument. Wir brauchen nur einen Augenblick, um uns zu verständigen. Danke, ja, wir kommen mit euch.

Um drei Uhr nachts stolpere ich, den Schlafsack und die Matte unterm Arm, durch den matschigen, dunklen Garten hinter dem Einfamilienhaus. Vorsichtig klettern wir über eine glitschige Leiter ins Baumhaus

Wenn uns jetzt die Kinder sehen könnten, sie würden uns für verrückt erklären. Im Mondlicht türmen sich Wolkenberge am Himmel. Der Wind frischt merklich auf und rüttelt an den Ästen. Die Vorhersage hat leider nur teilweise recht behalten.

Plitsch, platsch, tropft es auf die Zeltplane, die der luftigen Behausung als Dach dient. Im Schein der Taschenlampe sehen wir uns um: Die hölzerne Plattform aus alten Brettern hat zum Glück an allen Seiten ein stabiles Geländer. Und der Platz reicht, um unsere Schlafsäcke direkt nebeneinander zwischen Baumstamm und Geländer auszubreiten.

Nur trocken ist der Boden leider nicht. Oberhalb des Geländers hat es ordentlich reingeregnet. Alles ist feucht, aber ich will jetzt nicht zimperlich sein. Unsere mitgebrachte Plane zum Unterlegen wird schon ausreichen, um trocken durch die verbleibende Nacht zu kommen.

Als ich den Schlafsack ausrolle, habe ich das Gefühl, gleich in ein vertrautes Bett schlüpfen zu können, auch wenn der Bretterboden unter uns knarrt und der Baum leicht im Wind schwankt. Ich ziehe den Daunensack weit hoch bis ans Kinn und kuschle mich Wärme suchend hinein. Auf dem Rücken liegend lausche ich dem Getröpfel auf der Plane und sehe plötzlich direkt über uns eine beängstigende Wölbung. Das Regenwasser hat sich in der Abdeckung gesammelt und diese hängt nun an einer Stelle nass und schwer nach unten. Das Risiko, plötzlich geduscht zu werden, möchten wir nicht eingehen.

Also noch mal raus aus dem Schlafsack! Mit vereinten Kräften stemmen wir die Plane hoch. Geräuschvoll platscht das Wasser über das Geländer hinunter in den Garten. Leider schwappt auch ein Teil davon durch Löcher am oberen Rand der Plane nach innen. So ein Mist! Olafs Shirt ist nass. Er nimmt es gelassen, jammert nicht lange, sondern meint, es trocknet im Schlafsack von allein. Um diese gelassene Art, mit Pannen und Widerständen umzugehen, bewundere ich ihn aufrichtig.

Wir schlüpfen schnell wieder in die Schlafsäcke, denn der Wind ist richtig kalt.