Einführung in die Ego-State-Therapie - Kai Fritzsche - E-Book

Einführung in die Ego-State-Therapie E-Book

Kai Fritzsche

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Beschreibung

Jeder Mensch trägt verschiedene Persönlichkeitsanteile in sich. Üblicherweise leben diese "Ego-States" in Einklang miteinander und werden von der Person bewusst gelenkt. Menschen mit schweren traumatischen Erfahrungen teilen sie zum Schutz ihrer Persönlichkeit häufig unbewusst in verschiedene, gegeneinander wirkende Ich-Anteile auf. Die Ego-State-Therapie hilft, diese Ich-Anteile wieder in eine harmonische Beziehung zueinander zu bringen. Diese kompakte Einführung vermittelt einen Einstieg in diese effektive Methode. Anhand von Fallbeispielen stellen die Autoren das Behandlungsmodell vor und machen mit der Konzeption und den Eigenschaften von Ego-States vertraut. Übungen, Interventionen und Skripte vermitteln grundsätzliche Techniken und bieten wertvolle Anregungen für die tägliche Praxis.

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Seitenzahl: 157

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Kai Fritzsche • Woltemade Hartman

Einführung in die Ego-State-Therapie

Fünfte Auflage, 2023

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlag: Heiner Eiermann

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Fünfte Auflage, 2023

ISBN 978-3-8497-0171-0 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8421-8 (ePub)

© 2010, 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

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Inhalt

Vorwort

Teil I: Die Ego-State-Therapie in der ambulanten Praxis

1 Aufnahme des Kontakts mit Ego-States

1.1 Kontaktaufnahme über Sprachmuster der Patientinnen

1.2 Kontaktaufnahme über autonomes inneres Geschehen

1.3 Kontaktaufnahme über konkrete Symptome

1.4 Kontaktaufnahme über Impulse, Emotionen oder innere Zustände im Zusammenhang mit einem konkreten Thema

1.5 Kontaktaufnahme über Metaphern, Symbole, Geschichten oder Texte

1.6 Kontaktaufnahme über Kunst oder Gestaltung

1.7 Kontaktaufnahme über eine Affekt- oder eine somatische Brücke

1.8 Kontaktaufnahme über Edukation

1.9 Zufällige Kontaktaufnahme durch weitere Interventionen

1.10 Fließende Kontaktaufnahme

2 Definition von Ego-States

3 Merkmale von Ego-States

4 Die innere Stärke – ein besonders ressourcenreicher Ego-State

5 Entstehung und Kategorien von Ego-States

5.1 Normale Differenzierung

5.2 Introjektion bedeutsamer anderer Menschen

5.3 Traumatisierung

6 Ziele der Ego-State-Therapie

7 Beziehungsebenen in der Ego-State-Therapie

Teil II: Das Behandlungsmodell der Ego-State-Therapie

8 Das Behandlungsmodell der Ego-State-Therapie

8.1 Phase I: Sicherheit und Stabilisierung

8.2 Allgemeine Interventionen der Phase I

8.3 Interventionen der Ego-State-Therapie in Phase I

8.3.1 Einem inneren Helfer begegnen

8.3.2 Arbeit mit dem inneren Beobachter

8.3.3 Stärken und Ressourcen sammeln

8.3.4 Das beschützende, nährende Selbst entdecken

8.3.5 Schutz und Hilfe für verletzte Ego-States

8.3.6 Ego-States zur Mitarbeit/Mithilfe gewinnen

8.3.7 „Dissociative Table Technique“

9 Die Phasen II–IV des SARI-Modells

9.1 Phase II: Schaffung eines sicheren Zugangs

9.1.1 Nutzung der Dissoziation als Ressource

9.1.2 Altersregression und Altersprogression

9.1.3 Ideomotorische und ideosensorische Ansätze

9.1.4 Affektbrücke

9.1.5 Externalisierungstechniken

9.1.6 Die nichthypnotische Technik mithilfe von Stühlen

9.1.7 Allgemeine Betrachtungen zum Zugang zu traumatischen Erfahrungen und zu ihrer Rekonstruktion

9.2 Phase III: Auflösen der traumatischen Erfahrung und Restabilisierung

9.3 Phase IV: Integration und Entwicklung einer neuen Identität

Literatur

Über die Autoren

Vorwort

Daniel Barenboim, der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wurde in einem Interview von Arnt Cobbers (2009) auf seine argentinische, spanische, israelische und palästinensische Staatsbürgerschaft angesprochen und gefragt, wo seine Heimat, sein Zuhause ist (S. 10). Er antwortete:

„Ich glaube, in unserem Jahrhundert kann man nicht nur, man sollte sogar mehrere Identitäten haben. Ich bin seit meiner Kindheit Argentinien sehr verbunden. Israel sowieso. Und Palästina auch, weil ich zutiefst überzeugt bin, dass das israelische und palästinensische Volk ein gemeinsames Schicksal haben. Damit muss man leben, es gibt keine militärische Lösung. Jerusalem ist politisch die Hauptstadt von Israel – das soll es bleiben. Jerusalem muss auch die Hauptstadt von Palästina werden. Aber geistig und kulturell gehört die Stadt allen drei Religionen und der ganzen Welt. Wenn Jerusalem das eines Tages wäre, dann wäre es ohne Zweifel mein Zuhause. Bis dahin ist mein Zuhause Berlin!“

Barenboims Antwort spiegelt unsere Auffassung über die Multiplizität der Persönlichkeit. Diese Auffassung bildet das Fundament der Ego-State-Therapie. Die Ego-State-Therapie hat in den letzten Jahren besonders innerhalb der Traumatherapie stark an Bedeutung gewonnen. Sie findet heute auch über die Traumatherapie hinaus eine vielfältige Anwendung. Ihr Konzept beruht auf der Annahme, dass sich die Persönlichkeit aus mehreren Anteilen zusammensetzt. Diese Anteile bezeichnen wir als Ego-States. Wir gehen von einem multidimensionalen Selbst aus. Die Ego-State-Therapie reiht sich in eine lange und bedeutsame Reihe von Teilemodellen der Persönlichkeit ein (Hesse 2003). Uns ist bewusst, dass es in Zusammenhang mit Traumatisierungen und Traumafolgestörungen quantitative und qualitative Unterschiede der Ausprägungen von Persönlichkeitsanteilen gibt.

Im Lauf der Arbeit mit der Ego-State-Therapie und ihrer Konzeptualisierung erlebten wir bei uns selbst interessante Entwicklungen. Einerseits sind wir begeistert davon, wie sich durch die Ego-State-Therapie unsere therapeutische Arbeit veränderte und wie sie bereichert wurde. Andererseits veränderte sich durch das Ego-State-Modell unsere Grundhaltung gegenüber den Menschen, mit denen wir arbeiten. Das Ego-State-Modell geht für uns über eine Behandlungstechnik hinaus. Es beeinflusst die Begegnung mit Menschen und prägt unsere Auffassungen der Persönlichkeit sowie unsere Überzeugungen hinsichtlich der ressourcenreichen Möglichkeiten des inneren Systems eines Menschen. Die Ego-State-Therapie stellt einen eigenständigen Behandlungsansatz dar, der die Integration von psychotherapeutischen Modellen ermöglicht. Mit der Ego-State-Therapie können Brücken zu verschiedenen Paradigmen geschlagen werden, mit denen sie koexistiert und die sie nutzt (Frederick 2007, S. 9).

Wir freuen uns, mit diesem Buch eine Einführung in die Ego-State-Therapie geben zu können. Woltemade Hartman übernahm einen großen Teil der geistigen Vorarbeit und verbreitete die Ego-State-Therapie in unzähligen Workshops in Deutschland und Europa. Darauf aufbauend, schrieb Kai Fritzsche diese Einführung und versah sie mit vielen Fallbeispielen sowie eigenen Weiterentwicklungen. Wir haben den Schwerpunkt auf die Praxis dieser Methode gelegt. Eine umfassende Darstellung des Behandlungsansatzes ist in diesem Rahmen nicht möglich. Für eine vertiefende Beschäftigung, die die theoretischen Aspekte einschließt, verweisen wir auf die weiterführende Literatur. Dies betrifft auch die Auseinandersetzung mit den psychodynamischen Gesichtspunkten bzw. die Diskussion der Fallbeispiele aus psychodynamischer Sicht. Die hypnotherapeutische Gewichtung des Buches bedeutet nicht, dass wir die weiteren Bestandteile der Ego-State-Therapie vernachlässigen, sie spiegelt den Schwerpunkt unserer Arbeit. Die Wurzeln der Ego-State-Therapie bestehen aus (1) den Erkenntnissen über Dissoziation, die auf Pierre Janet zurückgehen, (2) den psychodynamischen Ansätzen der Pioniere der Ego-State-Therapie, Helen und John Watkins, die die Konzepte unterscheidbarer Ich-Zustände von Paul Federn aufgriffen, sowie (3) dem hypnotherapeutischen Ansatz Milton H. Ericksons, der besonders durch die Aktivierung von Selbstheilungskräften geprägt ist. Die Ego-State-Therapie entwickelt sich dynamisch. Sie wurde und wird durch viele Weiterentwicklungen und Einflüsse bereichert. Mit dieser Einführung wollen wir einen Einstieg und eine erste Orientierung bieten.

Häufig werden wir auf die Bezeichnung der Methode angesprochen. Wir übernehmen die englische Bezeichnung Ego-State-Therapie. In der Übersetzung sprechen wir von der Psychotherapie mit Persönlichkeitsanteilen. Die Begriffe „Persönlichkeitsanteil“, „Selbstanteil“, „Ich-Zustand“ und „Ego-State“ sind hier synonym zu verstehen. In Anlehnung an den Begriff „Persönlichkeitsanteil“ sprechen wir von dem Ego-State (der Anteil, der Ego-State, der Zustand).

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil beschreiben wir die praktische Arbeit mit der Ego-State-Therapie in der ambulanten Praxis. Die Kapitel orientieren sich am psychotherapeutischen Prozess. Im ersten Kapitel begeben wir uns an den Behandlungsbeginn und zeigen Möglichkeiten der Aufnahme des Kontakts mit den Ego-States. Im zweiten Kapitel werden Ego-States definiert. Anschließend beschäftigen wir uns mit ihren Merkmalen (drittes Kapitel). Im vierten Kapitel stellen wir die Arbeit mit der inneren Stärke vor. Diese Technik gehört zu den Grundbausteinen der Behandlung. Kapitel fünf bis sieben behandeln Fragen der Entstehung von Ego-States, der Behandlungsziele und der Arbeit auf verschiedenen Beziehungsebenen.

Im zweiten Teil des Buches stellen wir das Behandlungsmodell der Ego-State-Therapie vor. Dieses Modell folgt dem phasenorientierten Vorgehen in der Traumatherapie mit den Schritten Stabilisierung, Schaffung eines Zugangs zu traumatischem Material, Auflösen der traumatischen Erfahrung sowie Integration und Entwicklung einer neuen Identität. Der Schwerpunkt in unserer Einführung liegt auf der Stabilisierungsphase. Die weiteren Phasen werden im Überblick vorgestellt. Spezielle Themen, wie die Arbeit mit destruktiven Ego-States, die Besonderheiten der Behandlung bei speziellen Störungsbildern oder die Möglichkeiten der Kombination der Ego-State-Therapie mit weiteren psychotherapeutischen Methoden, können in der vorliegenden Einführung nicht berücksichtigt werden.

Wir weisen an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass mit dieser Einführung kein Behandlungsmanual für die Ego-State-Therapie vorliegt. Die ausführliche Darstellung und die Erläuterungen von Behandlungsmethoden der Ego-State-Therapie in diesem Buch ersetzen nicht eine fundierte Ausbildung und Supervision. Am Ende des Buches geben wir Hinweise auf entsprechende Kontaktadressen. Die Ego-State-Therapie Arbeitsgemeinschaft Deutschland (EST-DE) hat ein Curriculum entwickelt, das die Möglichkeit einer umfassenden Ausbildung bietet.

Dass die Ego-State-Therapie, wie sie heute praktiziert wird, besonders von der Hypnotherapie Milton H. Ericksons geprägt ist, spiegelt sich auch in unserer Arbeit wider. Ego-State-Therapie ist ein hypnotherapeutisches Verfahren, hypnotherapeutische Grundkenntnisse sind deshalb für ihre Anwendung unerlässlich. Die Behandlung von Traumafolgestörungen, insbesondere dissoziativer Störungen, nimmt eine zentrale Rolle in unserer Arbeit ein, folglich sind viele Fallbeispiele aus diesem Behandlungsfeld zu finden. Die Ego-State-Therapie eignet sich hervorragend zur Behandlung dieser Störungsgruppe. Wir wenden sie darüber hinaus zur Behandlung eines sehr breiten Störungsspektrums an. Mittlerweile liegt mit der Praxis der Ego-State-Therapie ein weiterführendes, grundlegendes und vertiefendes Buch vor, das die vorliegende Einführung sehr gut ergänzt (Fritzsche 2013).

Alle aufgeführten Fallbeispiele sowie die entsprechenden Erläuterungen stammen aus der Praxis von Kai Fritzsche. Sie dienen der Verdeutlichung der jeweiligen Behandlungsschritte und Kapitelinhalte. Sie sind verkürzt und modifiziert dargestellt, zeigen keine kompletten Therapieverläufe und lassen sich nicht beliebig übertragen. Die in den Fallbeispielen verwendeten Techniken sind an den individuellen Therapieverlauf angepasst und können deshalb nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden.

Während des Schreibens haben wir verschiedene Varianten der Verwendung geschlechtsspezifischer Formulierungen ausprobiert und mit Kolleginnen diskutiert. Am Ende entschieden wir uns für die Form Therapeut und Patientin. Wir sind uns der Problematik dieser Formulierungen bewusst. Immerhin könnte der Eindruck entstehen, dass Männer Therapeuten und Frauen Patientinnen sind. Da wir als Autoren Männer sind, verwenden wir hier die männliche Form. Da überwiegend Frauen zur Behandlung kommen, verwenden wir hier die weibliche Form. Wir bitten die Leserinnen, uns diese Wahl nachzusehen, die wir aus Gründen der Lesbarkeit trafen.

Nicht zuletzt möchten wir uns an dieser Stelle für das Vertrauen, den Mut und die Offenheit unserer Patientinnen bedanken, ohne die unsere Arbeit und dieses Buch nicht möglich wären. Sie leisten nach wie vor einen maßgeblichen Beitrag für die Entwicklung der Ego-State-Therapie. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben überraschenderweise gezeigt, dass sich dieses Einführungsbuch außerordentlich gut als initiale oder begleitende Lektüre für Patientinnen und Patienten eignet. Weiterhin bedanken wir uns für die vielfältige Unterstützung der Menschen, die uns bei unserer Arbeit und im Entstehungsprozess dieses Buches begleiteten. Unser Dank gilt ebenfalls unseren Kollegen, die uns in Workshops, Seminaren und Supervisionen durch ihr Interesse und ihre Fragen unzählige wichtige Impulse gaben.

Kai Fritzsche

Berlin, im Juli 2010

Teil I: Die Ego-State-Therapie in der ambulanten Praxis

1 Aufnahme des Kontakts mit Ego-States

Wir beginnen dieses Buch, wie eine psychotherapeutische Behandlung beginnt, mit der Kontaktaufnahme. Dazu gehört auch die Aufnahme des Kontakts mit den Persönlichkeitsanteilen, den sogenannten Ego-States. Die verschiedenen Wege und Möglichkeiten der Kontaktaufnahme sollen in diesem Kapitel dargestellt werden. An den Anfang stellen wir die Schilderung einer Behandlungssequenz, die einen Behandlungsbeginn zeigt und die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und Beziehungsgestaltung in der Ego-State-Therapie verdeutlicht. In diesem Fallbeispiel wird mit einem Kind-Ego-State gearbeitet. Im Behandlungsverlauf wurden weitere Ego-States der Patientin einbezogen, die in der Schilderung nicht enthalten sind. Die Ego-State-Therapie geht über die Arbeit mit dem inneren Kind hinaus.

Fallbeispiel aus der Praxis1

Einer 38-jährigen Frau wurde von einer Erziehungsberatungsstelle empfohlen, sich wegen einer Psychotherapie an meine Praxis zu wenden. Frau A. hatte dort um Hilfe gebeten, da sie als alleinerziehende Mutter mit ihrem sechsjährigen Sohn nicht mehr zurechtkomme. Sie mache sich Sorgen und Vorwürfe. Durch die bevorstehende Einschulung sei die Situation noch schwieriger geworden. Frau A. sprach davon, dass es häufig zu massiven Auseinandersetzungen mit ihrem Sohn gekommen sei, dass sie ihn manchmal hassen würde, sich als Mutter infrage stelle und sich als komplette Versagerin fühle.

Nach einigen Sitzungen entwickelte sich das Bild einer komplextraumatisierten Frau. Sie wurde in der Türkei geboren und kam im Alter von acht Jahren nach Deutschland zu ihren Eltern, die schon fünf Jahre hier gelebt hatten. Die Patientin berichtete von einer Vielzahl an Traumafolgestörungen, dies waren: anhaltende Suizidalität, selbstschädigendes Verhalten, Derealisation, Verwirrtheitszustände, emotionale Taubheit und emotionale Durchbrüche, somatoforme Störungen wie Ohnmachtsanfälle, behandlungsresistente Unterleibsschmerzen und dependente Verhaltensweisen. Zu dieser Symptomatik gehörte auch die ausgeprägte Bindungsstörung bezüglich ihres Sohnes.

Sie hatte seit ihrer frühen Kindheit anhaltende körperliche Gewalt, sexuellen Missbrauch, Ablehnung und emotionale Distanz durch die Bezugspersonen sowie eine unglaubliche Ausbeutung durch die Familie bis zum Erwachsenenalter erlebt.

Wir einigten uns auf eine traumatherapeutische Behandlung. Bereits zu Beginn wurde durch ihre Schilderungen klar, dass sie verschiedene Persönlichkeitsanteile erlebt, die verschiedene Bedürfnisse und Befürchtungen aufweisen. Darunter zeigte sich auch ein Anteil, der etwas gegen die traumatherapeutische Behandlung und jegliche Veränderung ihres Zustandes hatte und entsprechend intervenierte. Dieser defensive Anteil wurde deutlich, wenn die Patientin davon sprach, dass sie sich vernichten möchte und dass sie es nicht wert sei, überhaupt behandelt zu werden. Für sich selbst etwas Heilsames tun zu können, erschien ihr unmöglich. Sie hatte den Eindruck, in ihrer Symptomatik sozusagen stecken bleiben zu müssen und verloren zu sein. Der defensive Anteil hätte möglicherweise auch als Widerstand gedeutet werden oder der Patientin den Titel einer typisch komplizierten Patientin einbringen können. Mir ging es darum, mit dem defensiven Anteil Kontakt aufzunehmen und der Patientin zu helfen, ebenfalls mit ihm in Kontakt zu treten. Offensichtlich bestand bisher kein oder nur ein äußerst schlechter Kontakt. Der „verbietende“ und selbstvernichtende Anteil wurde als ein wichtiger und ernst zu nehmender Anteil ihrer Persönlichkeit in die Behandlung integriert. Ich ging davon aus, dass er über eigene Wahrnehmungen, Gefühle, Verhaltensweisen, Bedürfnisse und Befürchtungen verfügt. Er hat sozusagen seine eigene Geschichte. Ich nahm mir vor, konkret mit ihm zu arbeiten.

Nachdem mit der Patientin diese Sichtweise, die dem Ego-State-Modell entspringt, diskutiert worden war, wurde sie mittels hypnotherapeutischer Methoden angeleitet, mit diesem Ego-State an einem inneren sicheren Ort Kontakt aufzunehmen. Das gelang ihr gut. Sie imaginierte dafür einen ganz bestimmten Treffpunkt, und es zeigte sich ein vierjähriges Mädchen, welches von ihr als ein eingesperrtes wildes Tier aus der Hölle beschrieben wurde. In vier aufeinanderfolgenden Sitzungen fanden Kontakte mit dem Mädchen statt. Sie dienten nicht dem Zweck, sich mit den zugrunde liegenden Traumatisierungen auseinanderzusetzen, sondern dazu, eine positive Beziehung zu diesem inneren Anteil aufzubauen, die es erlaubte, dadurch einen Zugang zu eigenen Ressourcen zu finden.

Beim ersten Kontakt wurde versucht, erst einmal eine respektvolle Begegnung zu ermöglichen. Die Patientin stand dem Mädchen ja sehr ablehnend gegenüber, hatte Angst vor ihm. Darüber hinaus versicherte sich die Patientin der Funktion des Mädchens in ihrem Leben. Sie sollte die Frage beantworten, ob es tatsächlich dafür verantwortlich ist, sich vernichten zu wollen. Ich stellte mich dem Mädchen ebenfalls vor, brachte ihm mein Verständnis entgegen und versuchte, ihm zu erklären, warum die Patientin Kontakt zu ihm aufnahm. Ich fragte die Patientin, ob sie sich vorstellen könne, dass ich mit dem Mädchen spreche, während sie dabei sein und zuhören würde. Ich erklärte ihr, dass das Mädchen mit ihrer Stimme zu mir sprechen könne. Sie willigte ein, und ich begann ein Gespräch mit dem Mädchen. Bereits während dieses ersten Kontakts verlor das Mädchen viel von seinem Schrecken. Die Patientin hatte sich nach der Sitzung lange mit dieser Erfahrung beschäftigt und zeigte sich motiviert, mehr über das Mädchen zu erfahren.

In der darauffolgenden Sitzung wurde versucht, den Kontakt weiter zu verbessern. Aus dem Schrecken, der Ablehnung und der Angst wurde eine leichte Annäherung. Die Patientin begann, mit dem Mädchen einen Blumenkranz zu flechten. Das Mädchen zeigte sich am Ende etwas offener und ihrerseits ein klein wenig neugierig. Die Patientin konnte hinter dem Schrecken, den das Mädchen bei ihr auslöste, auch sein Leid sehen. Das Mädchen kannte es nicht, Glück zu erfahren, und glaubte auch nicht, dass dies jemals der Fall sein würde. Es wurde deutlich, dass es keinerlei Vertrauen zu sich und zu anderen Menschen hat. Infolge der Annäherung und der Auseinandersetzung mit dem inneren Zustand des Mädchens berichtete die Patientin, zum ersten Mal die Hoffnung erlebt zu haben, ihr Leben vielleicht doch ändern zu können.

Der Hauptteil des dritten Kontaktes bestand darin, das Mädchen, das sich nunmehr geöffnet und sein Leid gezeigt hatte, zu trösten, ihm Fürsorge zuteilwerden zu lassen. Die Patientin konnte es auf ihren Schoß nehmen, es wiegen und ihm das Meer zeigen, einen Ort, an dem sich beide sicher fühlten. Aufgrund ihrer Vorstellungen von einer liebevollen Mutter ließ sich dieser Prozess ressourcenreich nutzen. Das Mädchen schlief friedlich auf ihrem Schoß ein. Für die Patientin stellten die körperliche Nähe und die Wirkung ihrer Fürsorge eine sehr beeindruckende und nachhaltige Erfahrung dar. Sie berichtete über eine Reduzierung ihrer Schlafstörung und ihrer Verlustängste als Folge der Sitzung.

Beim vierten Kontakt erzählte die Patientin dem Mädchen auf altersgerechte Weise von ihrer Lebenssituation. Sie schilderte ihm, was sie in ihrem Leben bereits alles geschafft hat, dass sie in Sicherheit lebt, dass sie einen Sohn hat. Weiterhin berichtete sie, womit sie ihr Geld verdient, in welcher Stadt sie lebt usw. Es wurde eine Vereinbarung getroffen, dass das Mädchen an dem sicheren Ort bleiben könne und dass sich die Patientin um die Dinge in ihrem Alltag kümmern und regelmäßig wieder vorbeikommen werde. Nach diesem Kontakt entwickelte die Patientin selbstständig erste Schritte in Richtung Selbstfürsorge und Abgrenzung gegenüber Angriffen. Sie merkte, dass dies für das Mädchen wichtig ist und dass sie für das Mädchen sorgen will. Ohne explizite Aufforderung begann sie, Verantwortung für sich zu übernehmen.

Im Anschluss an diese Kontakte, durch die sich übrigens auch die therapeutische Beziehung deutlich verbesserte, konnte das weitere traumatherapeutische Vorgehen, das in diesem Fall auch die Arbeit mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, vgl. Shapiro 1998) einschloss, mit einer hohen Motivation der Patientin realisiert werden. Nach der erforderlichen Stabilisierung, die über diese vier Sitzungen hinausging, konnte die Patientin anschließend in der Phase der geschützten Auseinandersetzung mit ihren Traumatisierungen ihre posttraumatischen Belastungen erheblich reduzieren. Gegen Ende der Behandlung wurde erneut mit diesem Ego-State gearbeitet, was letztlich die Integration in die Persönlichkeit und eine Zukunftsorientierung ermöglichte. Der Persönlichkeitsanteil wurde nicht nur zu einer Ressource in der Behandlung, sondern auch zu einer wichtigen Kotherapeutin und letztlich zu einer positiven und stützenden Begleiterin der Patientin.

Die hier geschilderte Behandlungssequenz ist ein Beispiel für die Arbeit mit Ego-States. Sie zeigt, wie sich Ego-States mithilfe eines hypnotherapeutischen Vorgehens in die Behandlung einbeziehen und nutzen lassen und wie dadurch destruktive in konstruktive Prozesse umgewandelt werden können.