Einführung in die Geschichtswissenschaft - Volker Sellin - E-Book

Einführung in die Geschichtswissenschaft E-Book

Volker Sellin

4,9

Beschreibung

Wie führt man am besten in die Geschichtswissenschaft ein? Volker Sellin bietet eine Fülle von anschaulichen Beispielen aus der Neuzeit, mit denen methodische Grundfragen des Fachs, Argumentationsformen und Arbeitsweisen des Historikers entwickelt und erklärt werden. Der Leser wird an die Hand genommen und durch die einzelnen Kapitel geführt: Stets werden Fragestellung des Kapitels, methodisches Vorgehen und die entwickelten Ergebnisse klar erläutert und vermittelt. Jedes Kapitel schließt mit knappen Literaturangaben, ein bibliographischer Essay nennt weiterführende Literatur.Die »Einführung in die Geschichtswissenschaft« ist seit vielen Jahren anerkanntes Standardwerk und eignet sich besonders für Studienanfänger, aber auch für höhere Semester. Die jetzt vorliegende erweiterte und aktualisierte Neuausgabe enthält neben zahlreichen Aspekten zur neuen Kulturgeschichte ein völlig neu geschriebenes Kapitel zu »Gegenwart und Zeitgeschichte«.

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Volker Sellin

Einführung in die Geschichtswissenschaft

Erweiterte Neuausgabe

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

ISBN 3-525-01388-4

Umschlagbild: Demonstration für die Arbeiter- und Soldatenräte in der Berliner Siegesallee, 1918. © bpk, 2005.

© 2005, 1995, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de. Alle Rechte vorbehalten.Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany.

Umschlagkonzeption: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg Satz: Satzspiegel, Nörten-HardenbergDruck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort zur Neuausgabe

Vorwort zur ersten Auflage

Einleitung

  1. Die historische Tatsache

  2. Das historische Urteil

  3. Quellen, Quellenkritik, Quelleneditionen

  4. Archive, Bibliotheken, Museen

  5. Frage und Antwort

  6. Über Methode

  7. Verstehen und Erklären

  8. Die wissenschaftliche Literatur

  9. Die Sprache des Historikers

10. Typus und Struktur

11. Mentalität und Ideologie

12. Gegenwart und Zeitgeschichte

13. Geschichte und andere Geschichten

14. Über Objektivität

15. Vom Sinn der Historie

16. Weiterführende Literatur

Systematisches Register

Für Beate

Vorwort zur Neuausgabe

Die ungebrochen lebhafte Nachfrage hat mich dazu bewogen, die Einführung in die Geschichtswissenschaft, die im Jahre 1995 zum erstenmal erschienen war, in einer neuen Ausgabe vorzulegen. An der ursprünglichen Konzeption habe ich festgehalten. Hinzugefügt habe ich ein Kapitel über Gegenwart und Zeitgeschichte, und das Kapitel über Mentalität und Ideologie habe ich um einige Abschnitte erweitert, um den Zusammenhang der Thematik mit der neuen Kulturgeschichte zu verdeutlichen. Im übrigen habe ich die Literaturhinweise aktualisiert.

Frau cand. phil. Christine Axer hat mich bei der Beschaffung der Literatur unterstützt. Herrn Martin Rethmeier vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht danke ich für seinen Vorschlag, das Buch im Verlagsprogramm weiterzuführen.

 

Heidelberg, im Januar 2005

Volker Sellin

Vorwort zur ersten Auflage

Zum Nachdenken über geeignete Methoden der Einführung in die Geschichtswissenschaft haben mich über nahezu zwanzig Jahre hinweg meine Studenten in Stuttgart und Heidelberg immer wieder neu herausgefordert. Ihrer sei daher an dieser Stelle zuerst gedacht. Darüber hinaus habe ich während der Arbeit an diesem Buche von verschiedener Seite vielfältige Anregungen und Unterstützung erfahren. Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Francisca Loetz, die das Manuskript in einer ersten Fassung gelesen und mit hilfreichen Kommentaren versehen hat. Ebenfalls danke ich Frau cand. phil. Katja Becht und Herrn cand. phil. Hansjörg Schächtelin, die mir vor allem bei der Beschaffung der Literatur und bei der Verifikation von Daten geholfen haben. Frau Becht hat außerdem Korrektur gelesen. Frau Gerda Weißenbacher danke ich für das Schreiben des Manuskripts und für ihre Geduld gegenüber meinen ständigen Änderungswünschen, zu denen der Computer heute verleitet.

Schließlich danke ich Herrn Dr. Winfried Hellmann für die Aufnahme des Bandes in das Programm des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht und für die Sorgfalt, mit der er ihn betreut hat.

 

Heidelberg, im Juli 1995

Volker Sellin

Einleitung

Noch eine Einführung in die Geschichtswissenschaft? Zugegeben: An Titeln dieser Art herrscht auf dem Buchmarkt kein Mangel. Angesichts der besonderen Schwierigkeit der Aufgabe könnte man sich jedoch ebensogut darüber wundern, daß es nicht noch mehr Versuche gibt, der damit verbundenen Herausforderung gerecht zu werden.

Wie eine Einführungbeschaffen sein sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Hartmut Boockmann hat sich in seiner »Einführung in die Geschichte des Mittelalters« zum Ziel gesetzt, »dem Studienanfänger« zu zeigen, »überwelche Probleme diejenigen nachdenken, die sich mit mittelalterlicher Geschichte beschäftigen«; in diesem Sinne soll das Buch »ein Teilfach vorstellen«.1 Winfried Schulze möchte mit seiner »Einführung in die Neuere Geschichte« »über inhaltliche und methodische Fragen der Beschäftigung mit dieser Epoche in knapper Form informieren«; zugleich soll das Buch »als Hilfsmittel dienen, wenn in der ersten Phase des Studiums Jahreszahlen und Namen, Buchtitel und Begriffe für Verwirrung sorgen«.2

Die vorliegende Einführung beruht auf einer anderen Konzeption. Das Reiten lernt man, indem man reitet, und der Reitlehrer gibt nur Ratschläge und Hinweise, wie man das Pferd in die Hand bekommt. Ganz ebenso soll auch der Leser dieses Buches dadurch wissenschaftlich zu denken und zu arbeiten lernen, daß er von Anfang an in die wissenschaftliche Argumentation hineingezogen wird. Ohne zuvor eine allgemeine Information über die Geschichtswissenschaft empfangen zu haben, wird er schon auf der ersten Seite gleichsam aufs Pferd gesetzt. Die Wissenschaft soll nicht dogmatisch, sondern im Vollzug des wissenschaftlichen Denkens selbst vermittelt und angeeignet werden. Dementsprechend zielt das Buch auf die Einübung in die wissenschaftliche Praxis, allerdings nicht im Sinne praktischer Anleitung zur Lösung konkreter Probleme, sondern im Sinne einer Diskussion elementarer Fragen, die sich bei der Durchführung jeder geschichtswissenschaftlichen Aufgabe stellen. So wird zwar erörtert, warum es in einer wissenschaftlichen Abhandlung unabdingbar ist, die Nachprüfbarkeit der Ergebnisse sicherzustellen, und es werden die wichtigsten Verfahren genannt, die zu diesem Zweck entwickelt worden sind, aber die Technik im einzelnen – also etwa die Gestaltung des Anmerkungsapparats oder des Quellen- und Literaturverzeichnisses – wird nicht beschrieben.

In der Absicht, den Leser von Anfang an tatsächlich in die wissenschaftliche Auseinandersetzung hineinzuziehen, so daß er am Ende nicht so sehr ein allgemeines Grundwissen über die Geschichtswissenschaft erlangt, als vielmehr wissenschaftliches Denken eingeübt und wissenschaftliche Argumentationsformen kennengelernt hat, folgt die vorliegende Einführung folgenden Grundsätzen:

1. Die Darstellung präsentiert nicht in systematischer Anordnung ein von anderen erarbeitetes Wissen, sondern sie entfaltet einen Argumentationsgang, in dem ein Gedanke aus dem anderen entwickelt und unter Umständen auch Fährten verfolgt werden, die sich später als Sackgassen erweisen können. Der Leser begleitet den Prozeß der Suche nach brauchbaren Lösungen.

2. Ausgangspunkt ist grundsätzlich die Vorstellungswelt dessen, der eingeführt werden soll. Daher werden geschichtswissenschaftliche Probleme immer wieder aus Alltagserfahrungen entwickelt oder an Beispielen aus der Literatur erläutert: das einfühlende Verstehen etwa an der Tötung der Desdemona durch Othello, das Phänomen der Ideologie an der Fabel vom Bauern und dem Esel. Außerdem wird versucht, die von Menschen gestaltete Wirklichkeit, in der wir leben, vor allem die gebaute Umwelt, als eine historisch gewordene sehen zu lehren. In dieser Hinsicht kann das Buch nicht ganz verleugnen, daß es aus Vorlesungen an der Universität Heidelberg hervorgegangen ist. Die Bezugnahme auf das Heidelberger Stadtbild beispielsweise kann jedoch selbstverständlich sinngemäß auf jede beliebige andere Stadt übertragen werden; worauf es an der betreffenden Stelle ankommt, ist nichts anderes, als den Blick dafür zu schärfen, daß Städte und Gebäude, ganz gleich wann sie errichtet worden sind, immer auch etwas über ihre Entstehungszeit und ihre Entstehungsumstände aussagen. Im übrigen kommen auch andere historische Denkmäler zu ihrem Recht: der Kölner Dom zum Beispiel, das Siegestor in München, das Kloster Cluny oder die Kirche S. Maria degli Angeli in Rom. Ob im übrigen die Sammelleidenschaft der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fürsten an der Gemäldesammlung Franz’ I. in Fontainebleau oder an der einst weltberühmten Bibliotheca Palatina der Kurfürsten von der Pfalz verdeutlicht wird, bleibt sich gleich, wenn nur einsichtig wird, daß solchen Sammlungen die Erhaltung wertvollen Kulturguts zu verdanken ist und daß späterhin bedeutende Museen und Bibliotheken aus ihnen hervorgegangen sind. Die historischen Beispiele werden nach Möglichkeit aus Bereichen gewählt, die auch dem Nichthistoriker wenigstens in Umrissen vertraut sein dürften: etwa aus der Geschichte der Amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, der Französischen Revolution oder der deutschen Sozialgeschichte im Zeitalter der Industrialisierung. In jedem Fall werden die Beispiele so präsentiert, daß ihre jeweilige Funktion für den Gang der Argumentation auch ohne Vorkenntnisse verstanden werden kann. Ganz bewußt sind in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen nach Möglichkeit immer wieder dieselben Beispiele gewählt worden, um auf solche Weise an bereits Bekanntes anzuknüpfen.

3. Ein leitendes Prinzip der Darstellung bildet der Gedanke, daß der Leser sich immer auf der Höhe der Argumentation wissen muß. Wenn, wie René Descartes einst schrieb, der gesunde Menschenverstand in allen Menschen gleich ist, dann lassen sich die methodischen Grundprobleme der Geschichtswissenschaft auch in einer Einführung in ihrem vollen Gewicht darstellen. Auf die Erörterung von Ausnahmen oder Besonderheiten und die zugehörigen wissenschaftlichen Kontroversen kann im allgemeinen ohne Einbuße an Substanz verzichtet werden. Die Ausbreitung von Gelehrsamkeit wirkt ohnehin eher abschreckend. Daher werden auch nur ganz selten Autoren der Gegenwart zitiert, auch wenn sie für einen wichtigen Sachverhalt eine noch so treffende Formulierung gefunden haben. Das Buch möchte durch das Argument und nicht durch die Berufung auf Autoritäten überzeugen.

4. Um den Leser auf der Höhe des Gedankengangs zu halten, wird den zahlreichen historischen Beispielen nicht nur die Funktion zugewiesen, einen zuvor behaupteten Tatbestand nachträglich zu erläutern oder zu illustrieren, sondern es wird immer wieder versucht, die Notwendigkeit einer methodischen Reflexion erst aus den Schwierigkeiten der Deutung und Interpretation zu entwickeln, welche die empirischen Beispiele von sich aus darbieten. Nicht wenige Probleme lassen sich überhaupt nur am Gegenstand demonstrieren: etwa verschiedene Sprachebenen, auf denen derselbe Sachverhalt beschrieben werden kann (Kapitel 9), oder die Möglichkeit, daß jemand die falschen Fragen stellt (Kapitel 5). Wichtiger als die systematische und erschöpfende Diskussion methodischer und theoretischer Fragen erscheint in jedem Fall die Anschaulichkeit und die Nähe zur Anwendung. Abstrakte theoretische Erörterungen, die mit der historischen Wirklichkeit nicht vermittelt sind, eignen sich nicht zur Einführung in die Geschichtswissenschaft. Aus all diesen Gründen wurde den empirischen Beispielen ein breiter Raum zugestanden.

5. Die Gliederung orientiert sich an den praktischen Erfordernissen historischer Forschung bis hin zur schriftlichen Fixierung der Ergebnisse. Über die Beispiele wird jedoch gleichzeitig versucht, unter der Hand ein möglichst breites Spektrum von Methoden und Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft vorzustellen: unter den Methoden etwa die historisch-philologische, die serielle oder die biographische Methode, dazu die Oral History; unter den Teildisziplinen unter anderem die politische Geschichte, die Sozialgeschichte, die Strukturgeschichte, die Begriffsgeschichte, die Mentalitätsgeschichte. Hierbei Vollständigkeit oder auch nur Ausgewogenheit anzustreben, hätte wiederum der Konzeption widersprochen, vor allen Dingen zu selbständigem wissenschaftlichen Denken anzuregen.

6. Um den Charakter eines Kompendiums auszuschließen, wird ganz darauf verzichtet, die gängigen Hilfsmittel, die fundamentalen Entwicklungen, die zentralen Begriffe oder die jüngsten Kontroversen der Geschichtswissenschaft vorzustellen. Eine solche Vorstellung bliebe notwendig vorläufig. Die hier versuchte Einführung möchte den Eindruck jedoch gerade vermeiden, daß sie nur vorläufige Einsichten vermittle und daß der Autor dem Leser in Bezug auf das, was er vorträgt, kraft seines Wissens weit überlegen sei.

7. Der Kompetenz des Autors entsprechend, sind die Beispiele sämtlich der Geschichte der Neuzeit entnommen. Die Konzentration auf methodische Grundfragen und der Verzicht auf die systematische Vorstellung von Hilfsmitteln und Teilgebieten rechtfertigen es dennoch, dieses Buch als Einführung in die Geschichtswissenschaft schlechthin und nicht nur als Einführung in die Neuere Geschichte anzusehen. Denkweisen und Argumentationsformen sind in allen Bereichen der Geschichte dieselben, und diese zu vermitteln, ist das eigentliche Anliegen der Einführung.

8. Das Buch ist in der Überzeugung geschrieben, daß nicht so sehr irgendwelche handwerklichen Kenntnisse, sondern neben einem kritischen Verstand vor allem Phantasie und Erfindungskraft die wichtigsten Voraussetzungen für jede historische Arbeit bilden. Die Wissenschaft ist eine Leistung der Subjektivität. Der Historiker allein prüft, begreift, vergleicht und urteilt. Die Geschichte präsentiert sich nicht von selbst. Vielmehr muß man sie befragen, man muß ihr mit immer wieder neuen Methoden zu Leibe rücken, um sie zum Sprechen zu bringen. Dem Leser Mut zu machen, hierbei seinen eigenen Verstand und seine Phantasie einzusetzen und seinen Zweifeln wie seinen Ideen zu vertrauen, ist vielleicht die wichtigste Aufgabe einer Einführung in die Geschichtswissenschaft.

Auch wenn diese Einführung nicht die Absicht verfolgt, die heutige Geschichtswissenschaft in ihren Grundzügen vorzustellen, so erscheinen Konzeption und Aufbau doch dazu geeignet, einen genauen Begriff von Arbeitsweise und Verfahren des Historikers zu vermitteln. Auf solche Weise mit der geschichtswissenschaftlichen Praxis vertraut zu werden, muß dem Anfänger besonders dringlich erscheinen, denn er möchte wissen, worauf er sich mit dem Studium der Geschichte einläßt, oder vielleicht auch, ob er sich wirklich darauf einlassen soll.

Das Buch setzt nichts voraus als die Bereitschaft, die vorgetragenen Gedankengänge mitzudenken. Entsprechend der skizzierten Konzeption möchte es ohnehin mehr Zwiesprache mit dem Leser sein als Abhandlung im eigentlichen Sinne. Am Anfang steht eine Vergewisserung über Tatsache und Urteil – die Grundbestandteile jeder historischen Aussage; das Urteil bezieht sich auf Tatsachen; Tatsachen sind historische Tatsachen nur kraft eines Urteils, das sie dazu macht (Kapitel 1 und 2). Grundlage alles historischen Wissens sind Quellen; deren Verfügbarkeit versteht sich nicht von selbst; sie müssen gesucht und kritisch gesichtet werden (Kapitel 3 und 4). Die Quellen sprechen nicht für sich; sie müssen gezielt befragt werden; die Aussagen der Quellen sind ebensoviele Antworten auf die Fragen des Historikers (Kapitel 5). Um Quellen zum Sprechen zu bringen, bedarf es der Anwendung geeigneter Methoden; deren Zahl ist prinzipiell unbegrenzt (Kapitel 6). Das methodische Ziel der Geschichtswissenschaft besteht darin, Aussagen und Handlungsmotive zu verstehen und Ereignisse und Prozesse zu erklären (Kapitel 7). Um die Ergebnisse der Forschung festzuhalten und anderen zur Verfügung zu stellen, müssen sie nach bestimmten Regeln niedergeschrieben werden; diese Regeln muß man auch kennen, wenn man die in der wissenschaftlichen Literatur ausgebreiteten Forschungsergebnisse anderer für sich selbst fruchtbar machen möchte (Kapitel 8). Um sich anderen verständlich zu machen, muß der Historiker sich um eine Sprache bemühen, die den Abstand zur Vergangenheit überbrückt, die also gegenstandsadäquat bleibt, ohne nur dem Eingeweihten zugänglich zu sein, und zeitgemäß, ohne zugleich anachronistisch zu werden (Kapitel 9). Zu den wichtigsten Verfahren, um die Mannigfaltigkeit des Gegebenen zum Zwecke der Erkenntnis zu organisieren, zählen die Bildung von Typen und die Herausarbeitung von Strukturen (Kapitel 10). An exemplarischen Analysen des Wechselverhältnisses von Mentalitäten und Ideologien und an der Diskussion der symbolischen Repräsentation von Machtlagen und Verhaltenserwartungen wird die kulturelle Dimension der Geschichte sichtbar (Kapitel 11). Zu den meistdiskutierten Streitfragen der Geschichtswissenschaft gehören Aufgaben und Grenzen der Zeitgeschichte und das Problem einer Konzeption der Gegenwart (Kapitel 12).

Zur Praxis der Wissenschaft gehört auch die Beseitigung von Hindernissen, die sich namentlich am Anfang auftürmen und den Historiker mitten in der fruchtbarsten Arbeit vom Wege abführen können. Von einem dreifachen Zweifel ist die Rede: dem Zweifel, ob die Geschichte überhaupt einen spezifischen Gegenstand habe (Kapitel 13); dem Zweifel, ob die Geschichtswissenschaft, wie man zu sagen pflegt, objektiv und insofern wirklich eine Wissenschaft sei (Kapitel 14); und schließlich dem Zweifel, ob diese Wissenschaft irgendeinen praktischen Sinn habe (Kapitel 15).

Der Anmerkungsapparat beschränkt sich auf die Nachweise von Zitaten. Außer den englischen wurden alle fremdsprachlichen Zitate eingedeutscht. Wird als Nachweis gleichwohl der fremdsprachliche Originaltitel genannt, stammt die Übersetzung vom Verfasser.

In den Literaturhinweisen am Ende jedes Kapitels finden sich die bibliographischen Angaben zu den im Text genannten Titeln sowie Lektüreempfehlungen zu den wichtigsten historischen Beispielen. Gesichtspunkte der Auswahl waren hierbei Zugänglichkeit, Verständlichkeit, Ausgewogenheit des Urteils und Konzentration der Darstellung auf das Wesentliche. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird für jeden Problemkreis nur ein Titel genannt. Aufsätzen und Lexikonartikeln wird grundsätzlich der Vorzug vor Büchern gegeben, es sei denn, daß Handbücher mit weiterführenden Literaturangaben empfohlen werden können. Sind dieselben Titel für mehrere Kapitel von Bedeutung, werden sie jeweils erneut aufgeführt.

Literaturhinweise zu den methodischen Fragen finden sich in dem bibliographischen Essay am Ende des Bandes (Kapitel 16). Entsprechend der Konzeption dieser Einführung beschränkt sich die Auswahl auch dort auf solche Titel, die sich für den Anfang eignen.

 

   1 Hartmut Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, München 72001, S. 10.

   2 Winfried Schulze, Einführung in die Neuere Geschichte, Stuttgart 42002, S. 17.

1.

Die historische Tatsache

Die Geschichtswissenschaft, so kann man sagen, dient der Erforschung der Vergangenheit. Die Vergangenheit ist ein wirklich abgelaufenes Geschehen, das sich ohne unser Zutun vollzogen hat, ein Meer von Tatsachen, die sich teils gleichzeitig, teils nacheinander ereignet haben. Die Ermittlung von Tatsachen erscheint demnach als eine vordringliche, vielleicht als die zentrale Aufgabe der Geschichtswissenschaft.

Tatsachenerkenntnis ist offenbar das Kennzeichen jeder empirischen Wissenschaft; der Bezug auf Tatsachen wäre somit geradezu der Ausweis der Wissenschaftlichkeit im Gegensatz zur bloßen Vermutung, zur unbewiesenen Behauptung, zum Ausdruck eines Wünschens und Wollens oder aber zur moralischen oder rechtlichen Bewertung. Was geschehen ist, will das Publikum vom Historiker wissen, nicht was er meint, daß hätte geschehen sollen, aber auch nicht, ob er das Geschehene für gut oder schlecht hält.

Die Hochschätzung der Tatsache findet sich auch außerhalb der Wissenschaft. Wenn Tatsachen einen so hohen Rang besitzen, muß dasjenige Argument besonders durchschlagend erscheinen, das sich auf Tatsachen berufen kann. Das soll an einem Beispiel demonstriert werden, und zwar an einem Text aus dem Jahr 1776; sein Verfasser heißt Thomas Jefferson; sein Titel: »Declaration of Independence«. Erklärt wurde die Unabhängigkeit der dreizehn amerikanischen Kolonien – bzw. jetzt: Staaten – vom Mutterland, also Großbritannien.

Für diese Erklärung hätte ein einziger Satz genügt. Daß der Text tatsächlich aus sehr vielen Sätzen besteht, hängt damit zusammen, daß der Schritt der dreizehn Kolonien gerechtfertigt werden mußte. Die Rechtfertigung war aus zwei Gründen erforderlich: Zum einen brauchten die Befürworter der Loslösung von Großbritannien eine möglichst breite Unterstützung im eigenen Lande, denn die Amerikaner waren über dieser Frage durchaus gespalten; zum andern hoffte man auf die Hilfe des Auslands, vor allem Frankreichs, im Unabhängigkeitskrieg, aber man konnte nicht erwarten, daß die monarchische Regierung dieses Landes Rebellen und Rechtsbrecher unterstützen würde. Also mußte man beweisen, daß der Rechtsbruch von der Gegenseite ausgegangen war.

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