Einige Dinge, die ich über meine Frau weiß - Wladimir Kaminer - E-Book

Einige Dinge, die ich über meine Frau weiß E-Book

Wladimir Kaminer

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Beschreibung

Ehefrau Olga ist für Wladimir Kaminer ein offenes Buch. Er müsste es nur lesen können. Er weiß zwar, dass sie gern strickt. Aber warum aus einer Socke erst eine Jacke und dann ein Teppich wird? Ein Rätsel. Weshalb Schuhe gegen Erkältungen helfen und eine Handtasche gegen Winterdepressionen? Nicht nur für Ärzte ein Mysterium. Dass ihr Garten das reinste Paradies ist, liegt an Olgas grünem Daumen. Warum sie aber so viele Pflanzen sammelt, dass sie halb Brandenburg damit verschönern könnte – nicht zu erklären. Es bleiben also Fragen … Diese charmanten Geschichten zeigen, dass man Frauen gar nicht verstehen muss. Es reicht völlig, sie zu lieben.

Weitere berührende Wunderraum-Geschichten finden Sie in unserem kostenlosen aktuellen Leseproben-E-Book »Einkuscheln und loslesen – Bücher für kurze Tage und lange Nächte«

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Buch

Wer versteht schon die Frauen? Für Männer sind sie unergründlich. Und doch ist ein Mann zumindest einer Frau auf die Spur gekommen. Seiner eigenen. Für Wladimir Kaminer ist Olga ein offenes Buch. Oder doch nicht? Er weiß zwar, dass sie gern strickt. Aber wann und warum aus einer Socke erst eine Jacke und dann ein Teppich wird? Ein Rätsel. Weshalb Schuhe gegen Erkältungen helfen und eine Handtasche gegen Winterdepressionen? Nicht nur für Ärzte ein Mysterium. Dass ihr Garten das reinste Paradies ist, liegt an Olgas grünem Daumen. Warum sie aber so viele Pflanzen sammelt, dass sie halb Brandenburg damit verschönern könnte – mit bloßem Verstand nicht zu erklären. Es bleiben also Fragen. Aber vielleicht muss man Frauen auch gar nicht verstehen. Es reicht völlig, wenn man sie liebt ...

Weitere Informationen zu Wladimir Kaminer sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches sowie unter www.wladimirkaminer.de.

Geschichten

Die Übersetzung des Auszugs aus Michael Bulgakows

Der Meister und Margarita stammt von Thomas Reschke,

der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des

Luchterhand Literaturverlags, München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Wunderraum-Bücher erscheinen im

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.

Originalveröffentlichung August 2017

Copyright © 2017 by Wladimir Kaminer

Copyright © dieser Ausgabe 2017

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur GmbH

Covermotive: Porträt: Boris Breuer | Tapete: FinePic®, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-16398-3V003

www.wunderraum-verlag.de

Für Olga

Man muss die Lampen schützen, denn ein Windstoß kann sie auslöschen.

Antoine de Saint-Exupéry

Das Leben nach der Insel

Als kleines Mädchen hat meine Frau Olga viele dicke Bücher gelesen, die sie langweilten. Sie las trotzdem jedes Buch zu Ende. In diesen Büchern, bildete sie sich ein, sei die ganze Weisheit der Welt zu finden, die sie für später brauchte. Sie musste sich schließlich auf das Leben nach der Insel vorbereiten. Geboren und aufgewachsen auf der Insel Sachalin, wusste sie bereits im Kindergarten, sehr bald würde der Tag kommen, da man sie aufs Festland schicken würde. Alle Kinder auf Sachalin wurden nämlich nach der Schule aufs Festland verfrachtet, da sie auf der Insel nichts mehr zu tun hatten. Ihre Eltern, die meisten waren Geologen, blieben und arbeiteten weiter. Sie sandten ihren Nachkommen regelmäßig Unterhaltsgeld, damit diese Kinder des Nordens in den Großstädten des Südens ein schönes Leben hatten, sich weiterbilden oder sich ordentlich einen hinter die Binde kippen konnten.

Die meisten dieser Kinder wollten nach Moskau in die Hauptstadt oder in das milde Jalta. Aber meine Frau zog es in die Stadt mit dem miesen Wetter, nach St. Petersburg. Diese von Peter dem Größten in den Sümpfen gebaute Stadt galt im Bewusstsein vieler als Wiege der Kultur und der Kunst, Russlands Fenster nach Europa. Dort wollte Olga glänzen und die Snobs in den Salons und Clubs mit ihren Kenntnissen der Weltliteratur überraschen. Sie musste, wenn sie dort ankam, bereits alles gelesen, gehört und gesehen haben. Ihr peinlichster Albtraum war damals, dass jemand in St. Petersburg, ein schöner Mann vielleicht, sie nach ihrer Meinung zu einem Buch fragen könnte – und sie hätte es nicht gelesen. In ihrer Vorstellung würden sich die Petersburger in erster Linie für französische Romane interessieren. Deswegen hatte Olga als junges Mädchen bereits tausend Romane von Émile Zola, Honoré de Balzac, Guy de Maupassant, Prosper Mérimée, Alphonse Daudet und Victor Hugo studiert. Letzteren konnte sie besonders wenig leiden. Dieser französische Strudel von Notre Dame, ein geschmolzenes Liebesfünfeck aus Behinderten, Zigeunern, Offizieren, Predigern und Banditen, die ständig übereinander herfielen, irritierte sie sehr. Und doch, wenn jemand käme und sie fragen würde: »Wie hieß die Ziege von Esmeralda?«, hätte sie sofort den richtigen Namen gewusst.

Mit sechzehn Jahren war Olga nach St. Petersburg gereist und hatte die vornehme Gesellschaft dort schnell gefunden. Sie verkehrte in Clubs und Salons und freundete sich mit Malern, Musikern, Dichtern und Theatermachern an. Doch niemand fragte sie nach dem Namen von Esmeraldas Ziege. Die meisten interessierten sich dagegen für Sachalin. Sie wollten wissen, ob es tatsächlich dort das ganze Jahr über so kalt und dunkel sei, dass die Menschen wie Bären in den Winterschlaf fielen und deswegen alle drei Stunden von Sirenen geweckt werden müssten. Ob es stimme, dass jene Bären, die zu früh aufwachten, als Frühaufsteher beschimpft wurden. Ob es wirklich den Fluch gäbe, »Der Frühaufsteher soll dich holen«, und ob man wirklich bei guter Sicht die Felsen von Japan sehen könne.

Einige Jahre später beschloss Olga, mit ihrem damaligen Freund Russland zu verlassen und nach Deutschland zu ziehen. Sie hatte große Hoffnungen, was Deutschland betraf. In ihrer Vorstellung sollte dieses Land die Heimat der europäischen Kultur sein, bevölkert von Dichtern, Denkern und Menschen, die die schönen Künste über alles schätzten. Jeder Bürger würde Schiller und Goethe auswendig aufsagen können, vor dem Schlafengehen Kleist lesen und an Feiertagen Brecht vom Balkon deklamieren. So ungefähr stellte sich Olga Deutschland vor. Bevor sie auf die Reise ging, beschäftigte sie sich ausführlich mit deutscher Literatur, Geschichte und Musik. Sie wollte sich schließlich nicht blamieren. Olga fand Brecht sehr oberflächlich, Nietzsche bezeichnete sie als einen Teenager-Philosophen, Thomas Mann entpuppte sich in ihren Augen als unglaublicher Langweiler. Nicht umsonst hatte der russische Dichter Pasternak über ihn gesagt: »Wo man ein Wort von zehn wählen und aufschreiben soll, schreibt Mann alle zehn auf und kaut sie auch noch nach.«

Doch Olga wollte auf die deutsche Kulturgesellschaft vorbereitet sein. Sie hatte sich alle Opern von Wagner reingezogen, den gesamten Nibelungenring, dazu die deutschen Sagen gelesen und sämtliche Götter des germanischen Himmels studiert. Für alle Fälle. In diesem germanischen Himmel jagten gefallene Krieger fette Wildscheine durch die Wolken, versammelten sich abends in der Kneipe und bekamen von Gottvater Odin persönlich ihre Getränke und Heldenplätze zugewiesen. Wer sich schlecht benahm, wurde von den Walküren, den weiblichen Türsteherinnen dieser göttlichen Schänke, aus dem Himmel verbannt. Olga fühlte sich auf den deutschen Himmel und die Erde gut vorbereitet. In jeder Kneipe konnte einer zu ihr kommen und fragen: »Wie hießen die Raben von Odin?« Sie hätte sofort Bescheid gewusst.

In Deutschland konnten die Eltern auf Sachalin nicht mehr helfen, Olga musste selbst für den eigenen Unterhalt sorgen. Sie arbeitete zuerst bei einer türkischen Gebäudereinigung, später in einem italienischen Restaurant, dann in einem russischen Import-Export-Geschäft und schließlich in einer Disko. Es dauerte eine Weile, bis sie die richtigen Kulturmenschen fand, die Dichter und Denker. Doch die interessierten sich weder für die Raben von Odin noch für Thomas Mann. Stattdessen fragten sie Olga über Sachalin aus. Die zeigte ihnen, wie groß die Preiselbeeren und Blaubeeren auf Sachalin wurden, nämlich so groß wie Hühnereier; sie erzählte, dass sie als Kind eine Eule namens Natalia als Haustier hatte und dass auf dem japanischen Friedhof von Sachalin keine Kreuze, sondern weiße Stöcke standen, auf denen in japanischen Schriftzeichen die Namen und Inschriften von längst Verstorbenen zu sehen waren.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Irgendwo auf der Welt musste doch diese belesene Gesellschaft leben, die mich Wichtiges fragt – vielleicht in Übersee?, dachte Olga. Sie bereitete sich gründlich auf ihre erste Reise nach Amerika vor. Als Kind hatte sie mit großer Freude amerikanische Autoren gelesen, die ins Russische übersetzt worden waren: John Updike, Kurt Vonnegut und die »Trilogie der Begierde« von Theodore Dreiser: Der Finanzier, Der Titan, Der Stoiker. Vor allem aber hatten es ihr amerikanische Bücher angetan, in denen irgendwelche kleinen und großen Fische die Menschen in den Wahnsinn und den Tod trieben: der kleine Suizidfisch von Salinger, der hinterhältige Beutefisch von Hemingway und der vom Teufel besessene Wal von Melville. Viele Amerikaner, die Olga kennenlernte, erwiesen sich prompt als begeisterte Angler. Es interessierte sie vor allem, ob es stimme, dass man auf Sachalin, um einen Fisch zu fangen, ein metertiefes Loch ins Eis bohren müsse; sie wollten wissen, wie breit das Loch sein sollte, welche Köder die Sachaliner Fische bevorzugten und wie man sie richtig präparierte.

Später war ich mit Olga zusammen in Japan, in Singapur und in Mexiko-City. Überall auf der Welt klärte meine Frau Menschen über die Insel Sachalin auf, über die dortigen Bären und Beeren, über die Fische und Fischer. Doch irgendwo in der hinteren Ecke ihres Unterbewusstseins wartet noch das kleine Mädchen von der Insel auf die vornehme Gesellschaft, die alles gelesen hat und das Mädchen auf den Prüfstand stellen will. Für diesen Fall hütet das Mädchen und pflegt in seinem Kopf den ganzen Zoo der Weltliteratur: die Ziege von Esmeralda, die Raben von Odin, Salingers Bananafisch und den großen Moby Dick. Die Eule Natalia käme dann zum Dessert.

Einige Dinge, die sie liebt

Meine Frau kann den Winter überhaupt nicht leiden. Schnee ist in ihren Augen Faschismus der Natur. Olga will die Wohnung nicht verlassen, wenn es draußen weiß ist. Noch schlimmer als der Winter ist für sie aber der Herbst in Berlin. Es regnet manchmal wochenlang, und die Kastanienbäume verlieren ihre schwarz-rot-gelbe Pracht, die sich in den Pfützen der Stadt schnell in eine farblose glitschige Masse verwandelt. An solchen Tagen fühlt sich meine Frau krank. Sie fängt an zu husten, zu niesen und nachdenklich aus dem Fenster zu schauen. Im Laufe der Jahre habe ich herausgefunden, was am besten gegen die Herbstdepressionen, gegen Husten und Niesen hilft. Nicht der Knoblauch mit Zitrone, nicht die Hustenbonbons und nicht Vitamin C aus der Apotheke. Sondern ein neues Kleid, neue Schuhe und eine neue Handtasche. Auch ein neuer Schal kann heilende Wirkung entfalten. Kauft meine Frau eine neue Handtasche, die ihr wirklich gut gefällt, hat sie mehrere Wochen danach gute Laune. Mit drei Handtaschen, einem Paar Schuhe und einem Kleid kommen wir gut durch den ganzen Winter und überstehen die ungünstige Jahreszeit ohne große gesundheitliche Schäden.

Ob die Handtaschen tatsächlich gebraucht werden, ist dabei nebensächlich. Nur unter uns kann ich verraten: Sie werden natürlich gebraucht. Um alle Taschen zu tragen, die meine Frau sich während der vielen Winter besorgt hat, müsste sie zwar mehr Hände haben als Kali, die indische Göttin der Zerstörung, die nebenbei bemerkt auf vielen Abbildungen allerlei Waffen und Schmuck, aber keine einzige Handtasche mit sich schleppt. Doch Olga geht es gar nicht um den Nutzen der Dinge. Es geht um Liebe, um das unwiderstehliche Verlangen, diese schönen Sachen zu besitzen. Andere können darüber lästern, doch für mich steht fest: Schöne Frauen und schöne Dinge ziehen sich an.

Manche davon erscheinen meiner Frau im Traum, manche traut sie sich gar nicht anzufassen, und manche anderen werden zu Heiligtümern der Familie. Vor vielen Jahren war meine Frau während einer Reise nach Portugal, allein ihrer inneren Stimme folgend, in einem kleinen Dorf in den Bergen auf einen Markt gestoßen, auf dem handgefertigte Tischservietten verkauft wurden. Sie waren schneeweiß mit einem blauen Muster und unglaublich schön, aber sehr teuer. Aber schön. Und doch verdammt teuer. Die Portugiesen wollten über den Preis nicht verhandeln. Die Servietten seien so teuer, weil sie nur zu besonderen Anlässen serviert würden, erklärten sie uns. Wenn Gäste kämen, die dem Gastgeber wirklich wichtig und teuer seien, nur dann sollten die schneeweißen Tücher aus dem Schrank geholt und neben die Teller gelegt werden. Diese Servietten müssten so teuer sein, damit die Gäste wüssten, wie hoch sie vom Gastgeber geschätzt würden, erklärten die Portugiesen stolz.

Meine Frau konnte sich nicht entscheiden. Die Servietten hatten sie hypnotisiert. Sie konnte ihre Augen nicht von diesen Wundern der Handarbeitskunst abwenden, so wunderschön waren sie. Aber teuer. Aber auch wunderschön! Die Sonne ging langsam unter, ich hatte Durst, Hunger, keine Geduld mehr und sagte:

»Kauf bitte endlich diese verfluchten Servietten! Sollen unsere Silvestergäste ihre Freude damit haben.«

Eigentlich brauchen wir keine überteuerten Servietten. Wir feiern zu Hause keine besonderen Anlässe, außer Silvesterpartys. Jedes Jahr am 31.12. kommen viele Gäste zu uns ins Haus, wo dann ausreichend gekocht, getrunken und getanzt, geschrien und gestritten wird. Oft zieht sich die Party in die Länge, und am nächsten und übernächsten Tag sind wir mit der Säuberung und Renovierung der Wohnung beschäftigt. Wir suchen nach verloren gegangenen Gegenständen und von Gästen liegen gelassenen Sachen. Im Januar finden wir jedes Jahr noch Tage nach der Party unbenutzte Silvesterknaller, vergessene Schuhe, Jacken und Handys. Manchmal finden wir sogar liegen gebliebene Gäste. Alexander Iwanowitsch zum Beispiel, der inzwischen bei uns den Spitznamen »Kopfsalat« hat, weil er gerne mit dem Kopf in der Salatschüssel einschläft. Oder der Musiker Dimitri, der uns mit seiner Darstellung von Väterchen Frost unterhält, aber immer nach Mitternacht versucht, mit dem Sack voller Geschenke abzuhauen, und in einer Ecke im Treppenhaus sitzen bleibt. Oder unsere hyperaktive Freundin Katja, die der Meinung ist, keine anständige Party könne ohne Bauchtanz auf dem Tisch auskommen.

»Kauf die Servietten«, sagte ich also zu meiner Frau. »Unsere Gäste werden sich sicher freuen.«

Olga zog sofort das Portemonnaie aus der Tasche und machte eine portugiesische Großfamilie wohlhabend, die auf einen Schlag 22 Servietten loswurde. Jetzt konnten sie sich ein neues Haus bauen.

Olga brachte die Servietten nach Deutschland und legte sie übereinander in den Schrank. Am 31. Dezember holte sie die Servietten heraus, legte sie nebeneinander auf das Bett und schaute sie lange an. Sie waren jungfräulich weiß mit blauem Muster. Nicht auszudenken, wie sie aussehen würden, wenn die Party vorbei wäre. Wenn Väterchen Dimitri sich damit die Nase geputzt, die hyperaktive Katja eine Rotweinflasche darüber gekippt und Alexander Iwanowitsch sich den Salat damit aus den Haaren gerubbelt hätte. Unsere Gäste sind uns selbstverständlich wichtig, lieb und teuer, aber sie benehmen sich manchmal wie Schweine. Dafür ist Silvester ja auch gedacht. Also versteckte meine Frau die Servietten wieder im Schrank. Die Gäste bekamen Papierservietten und wussten nicht einmal, was ihnen entgangen war.

Am 3. Januar, als der letzte Knaller verbraucht war und der letzte Gast die Wohnung verlassen hatte, holte Olga die wunderschönen Servietten aus dem Schrank und betrachtete sie. Wenn Servietten sprechen könnten, hätten sie sicher »Danke, Olga!« zu meiner Frau gesagt. »Danke, dass du uns vor der Zerstörung bewahrt hast.«

»Nichts zu danken, Serviettchen«, erwiderte Olga und versteckte ihren Schatz im Schrank erneut – bis zum nächsten 31. Dezember.

Seit fünf Jahren wiederholt sich dieses Ritual. Immer am 31. Dezember holt Olga die portugiesischen Tücher aus dem Schrank, schaut sie liebevoll an und legt sie wieder in den Schrank zurück. Unsere Wohnung, unsere Gäste, wir selbst sehen jedes Jahr älter aus, vom vielen Feiern angekratzt. Nur die Servietten im Schrank meiner Frau bleiben genauso jungfräulich, wie sie damals in den Bergen waren.

Und sie blieben nicht allein. Vor drei Jahren kaufte Olga in Griechenland auf der Insel Santorin einen handbemalten Aschenbecher.

»Ich habe schon immer von einem solch lustigen Aschenbecher geträumt«, freute sie sich. Er war tatsächlich lustig verziert, hatte einen Schnurrbart und ein Auge, das dem Raucher aufmunternd zuzwinkerte. Die Griechen malen oft Augen auf Schmuck und Geschirr. Es sind abergläubische Menschen, die denken, das gemalte Auge könne sie vor dem bösen fremden Blick schützen. Der lustige Aschenbecher sollte das hässliche Glas auf dem Balkon ersetzen, das seit einer Ewigkeit voller alten Kippen dort auf dem Tisch stand.

Schon drei Jahre steht der neue lustige Aschenbecher nun neben dem alten und zwinkert den Rauchern mit seinem Auge zu. Olga traut sich nämlich nicht, in dem schönen Ding eine Zigarette auszudrücken. Und alle rauchenden Gäste benutzen aus Solidarität mit ihr weiterhin das hässliche Glas.

Ein Jahr nach dem Einzug des griechischen Aschenbechers auf den Balkon bekamen die portugiesischen Servietten im Schrank Gesellschaft. Meine Frau hatte in Frankreich seidene Bettwäsche mit Rüschen gekauft, unglaublich glatt und schwarz. Es war ebenfalls ein Liebeskauf. Einmal im Schaufenster erspäht, konnte Olga nicht mehr ohne diese Bettwäsche weiterleben. Die Bettwäsche sieht tatsächlich königlich aus, sie hat nur einen Nachteil: Man kann darunter nicht schlafen. Sie rutscht von allein vom Bett, manchmal auch zusammen mit den schlafenden Menschen.

Ich vermute, meine Frau hat sie gar nicht für den eigenen Gebrauch gekauft. Die französische Bettwäsche hat eine ganz andere Aufgabe: Sie soll die Servietten im Schrank unterhalten, damit sie sich nicht langweilen. Sie haben einander sicher viel zu erzählen. Und manchmal, bilde ich mir ein, kommt in unserer Abwesenheit noch der griechische Aschenbecher zu Besuch vorbei. Diese Dinge führen ein glückliches, erfülltes Leben. An ihrem Beispiel kann man gut erkennen, worauf es im Leben ankommt: jemanden zu haben, der einen liebt.

Einige Rezepte aus Olgas Küche

Mehrmals habe ich von feministisch geprägten FreundInnen gehört, Frauen seien Männern in Sachen soziale Kompetenz überlegen, weil Mädchen in der Kindheit mit Puppen, also nachgemachten Menschen, spielen, während Jungs ihre Zeit mit geistlosem Gerät vergeuden – mit Pistolen, Autos, Eimern und Schaufeln. Mädchen schauen ihren Puppen in die Augen, streicheln ihre Haare, sie ziehen sie an und aus, bringen sie ins Bett, waschen sie, kochen für sie Brei und zwingen sie zur Essensaufnahme. Diese Kenntnisse können sie dann später bei realen Menschen erfolgreich anwenden. Deswegen fühlen sie sich in ihren sozialen Rollen als Mutter, Oma oder Ehefrau sicherer und selbstbewusster als das angeblich stärkere Geschlecht, das ängstlich und unvorbereitet ins Leben stürzt und sich ständig fragen muss: Wer bin ich? Es kann gut Schnee schippen und Autos lenken, unter Umständen auch schießen, aber in der Kunst der Kommunikation hat das starke Geschlecht Nachholbedarf.

...Ende der Leseprobe