Einspruch! - Mag. Ingrid Brodnig - E-Book

Einspruch! E-Book

Mag. Ingrid Brodnig

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Beschreibung

Was tun, wenn Freunde, Verwandte oder Bekannte mit Aussagen kommen, die ins Reich der Verschwörungsmythen und Fake News gehören? Wie mit bizarren oder gar gefährlichen Theorien in sozialen Medien umgehen? In Diskussionen über das Coronavirus, die Klimakrise oder Migration verzweifeln wir über Spekulationen und Falschmeldungen. Das Gefühl der Überforderung wächst: Wieso glauben die mir nicht einmal dann, wenn ich dem Unsinn im WhatsApp-Chat mit Fakten kontern kann? Ingrid Brodnig zeigt, wie wir in hitzigen Debatten ruhig bleiben und unseren Standpunkt verdeutlichen. Wann ist Diskutieren überhaupt sinnvoll? Warum sind unseriöse Stimmen sichtbarer, und welche rhetorischen Tricks sollte man kennen? Welche Rolle spielen digitale Kanäle, und wie kommen wir gegen die Macht der Aufmerksamkeitsökonomie an? Dieses Buch liefert die Strategien für eine kluge Diskussionsführung und Tipps für Formulierungen, die auch in emotionalisierten Diskussionen wirken.

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„Falschmeldungen und auch Verschwörungserzählungen sind davon abhängig, dass sie von möglichst vielen Menschen geglaubt und weitererzählt werden, daher können wir alle versuchen, diese Verbreitung zu erschweren.“

INGRIDBRODNIG

EINSPRUCH!

Verschwörungsmythenund Fake News kontern –in der Familie, imFreundeskreis und online

ILLUSTRATIONEN VON MARIE-PASCALE GAFINEN

Einleitung

1Niemand ist zu hundert Prozent rational – und daraus können wir einiges fürs Diskutieren lernen

Strategie wechseln: Berücksichtigen Sie beim Diskutieren nicht nur Fakten

Warum es so schwierig ist, gelassen zu bleiben

Der emotionale Wert von Gerüchten und Verschwörungserzählungen

2Vorsicht vor Wundermitteln und rhetorischen Ablenkungsmanövern!

Erkennen Sie die Macht von Fragen

Hier kommt die Impfung gegen unsinnige Argumente

3Wie erkennt man, wer tatsächlich Expertise hat?

Achtung bei spektakulären Studien – und weitere Warnsignale

Wie man Falsches erfolgreicher richtigstellt

4Empfehlungen für strategisches Diskutieren

Quellen und Anmerkungen

Einleitung

Einige Erlebnisse in den vergangenen Monaten bewegten mich dazu, dieses Buch zu schreiben: Als die Corona-Pandemie ausbrach, schrieben mir Menschen, dass Familienmitglieder oder Bekannte auf Falschmeldungen hineingefallen waren oder nun sogar an Verschwörungsmythen glaubten. Ein Mann erzählte mir beispielsweise von seinem Bruder, der plötzlich solche Erzählungen vehement wiedergab – und er schrieb, dass er regelrecht Angst davor habe, ihn das nächste Mal zu treffen, „da dieses Thema zwischen uns großes Konfliktpotenzial birgt“. Immer wieder fragten mich Angehörige wie dieser Mann: Wie kann man überzeugender in solchen Diskussionen auftreten? Wie lässt sich die Chance erhöhen, dass das Gegenüber derartige Mythen zu hinterfragen beginnt?

Ich beschäftige mich seit Jahren mit Phänomenen wie Irreführung und Desinformation im Netz, halte Vorträge und Workshops zu diesen Themen. Trotzdem hat auch mich überrascht, wie viele Menschen nun in ihrem eigenen Bekanntenkreis und der Familie mit unbelegten Behauptungen oder glatten Verschwörungsmythen konfrontiert sind – und auch wie belastend das für viele Beziehungen ist, wenn jemand, den oder die man wertschätzt oder liebt, sich gedanklich so weit von einem weg und auch vom Boden der Tatsachen entfernt.

Der zweite wesentliche Ausgangspunkt für dieses Buch waren die Corona-Demos in Deutschland: Ich war selbst auch vor Ort. Einige Szenen, die ich beobachtet habe, sind mir stark in Erinnerung geblieben. Etwa jener Protestierende, der ein T-Shirt mit aufgedrucktem „Judenstern“ trug – und behauptete, die deutsche Demokratie sei „an Corona verstorben“. Es ist nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der solche Ansichten teilt oder solche Demos besucht. Aber man erkennt daran: Die Desinformation und die extremen Ansichten, die über digitale Kanäle verbreitet werden, die enden nicht dort. Menschen gehen sogar auf die Straße und wiederholen dort das, was sie zuerst in wütenden Onlinegruppen gelesen haben. Viele falsche oder spekulative Behauptungen schüren das Misstrauen in die Demokratie oder in die Wissenschaft. Und viele haltlose Gerüchte, Desinformationen bis hin zu Verschwörungserzählungen sind auch deshalb ernst zu nehmen, weil sie es uns erschweren, sowohl als Gesellschaft als auch im persönlichen Umfeld in ein sachliches Gespräch miteinander zu kommen; weil sie die Bruchlinien zwischen uns vergrößern.

Ich gehe auf den kommenden Seiten vor allem einer Frage nach: Was können Sie als Einzelne oder Einzelner tun, wenn Sie sachlich diskutieren möchten – wenn Sie zur Aufklärung bei einzelnen Themen beitragen oder auch Menschen erreichen wollen, die Ihnen wichtig sind?

Das Buch ist inmitten der Corona-Pandemie entstanden, aber ich glaube, es beinhaltet Beobachtungen, die ebenso bei der Diskussion über andere wichtige Fragen unserer Zeit behilflich sein können: Auch zu Themen wie der Klimakrise, der Migrationsdebatte oder der Frage des Impfens kursiert viel Falsches. Jede und jeder von uns ist manchmal in solche Diskussionen verwickelt – und da kann es helfen, ein paar der Mechanismen der Irreführung und auch ein paar Empfehlungen zu kennen, wie man selbst darauf reagieren kann.

1

Niemand ist zu hundert Prozent rational – und daraus können wir einiges fürs Diskutieren lernen

Anja Sanchez Mengeler ist Mitte vierzig, lebt im Norden Deutschlands und sagt über sich selbst: „Ich war eine Zeit lang Verschwörungsgläubige.“ Sie glaubte, die Welt würde von einer im Verborgenen bleibenden Elite geleitet; alle Medien würden gesteuert; wer eine andere Meinung vertrat, den oder die verdächtigte sie, dafür bezahlt zu werden. Aber Anja Sanchez Mengeler gelang es, ihre erdrückende Weltsicht einem grundlegenden Wandel zu unterziehen und nach und nach wieder für überprüfbare Fakten erreichbar zu werden. Sie erklärte mir: „Das ist ein langer Weg zurück, den man laufen muss.“ Es hat zwei, drei Jahre gedauert, bis sie wieder bereit dazu war, differenziert zu denken – die Welt nicht in Schwarzweiß, sondern in Graustufen zu sehen.

Die Geschichte von Anja Sanchez Mengeler macht Mut. Weil sie zeigt, dass es in einzelnen Fällen doch funktionieren kann, Menschen, die sich rationalen Argumenten verschlossen haben, argumentativ zu erreichen. Dies wird nicht immer gelingen – und wenn es gelingt, kann der Weg zurück unterschiedliche Formen annehmen. Im Fall von Frau Sanchez Mengeler war dies kein einfacher Prozess. Gerade Verschwörungsmythen bieten ein trügerisches Gefühl von Gewissheit, das den daran Glaubenden den Eindruck vermittelt, sie hätten ganz viel durchschaut. Will man solche Verschwörungserzählungen oder auch andere Formen falscher oder unbelegter Behauptungen kontern, ist es wichtig, nicht nur auf Ebene der Fakten anzusetzen, sondern vor allem die emotionalen und kognitiven Mechanismen zu verstehen, wieso Falsches oder Spekulatives so große Resonanz erzeugen.

Im Verlauf dieses Buches werde ich den konkreten Reiz von Falschmeldungen analysieren und ich werde dabei auch auf das Feld der Verschwörungserzählungen eingehen. Denn gerade aus diesem Verständnis heraus lassen sich Gegenstrategien ableiten, mit denen man beim Diskutieren und Dagegenhalten effizienter wird. Wichtig ist: Diskutieren ist hart – ein Wundermittel, das garantiert, dass Ihnen zugehört oder gar geglaubt wird, gibt es nicht. Aber zumindest kann es sinnvoll sein, wenn möglichst viele Menschen Erkenntnisse aus der Wissenschaft oder Erfahrungen aus der Praxis kennen und wissen, welche Diskussionsformen man vermeiden sollte und welche eher dazu geeignet sind, Gesprächsbereitschaft bei ihrem Gegenüber zu fördern.

Begonnen hat die Phase des tiefen Misstrauens gegenüber offiziellen Erzählungen bei Anja Sanchez Mengeler in den Jahren 2013, 2014: Es gab dabei nicht das eine Schlüsselereignis, erklärte sie, sondern es sei ein schrittweiser Prozess gewesen, durch den sie allmählich ins Reich der Verschwörungsmythen vordrang. Zuerst hatte sie diese Bekannte, mit der sie sich gut verstand, die Kinder im gleichen Alter hatte, die aber auch überzeugt war, alle würden überwacht werden. Da war Frau Sanchez Mengeler noch skeptisch und meinte: „Warum sollte sich irgendein Geheimdienst für mich interessieren?“ Dann aber deckte Edward Snowden auf, dass US-amerikanische Geheimdienste tatsächlich eine Massenüberwachung gestartet und Internetdaten im großen Stil ausgewertet hatten. Frau Sanchez Mengeler kam ins Grübeln und wurde zusehends verunsichert. Sie informierte sich auf Facebook und stieß dort auf, wie sie es nennt, „alternative Fakten“. Mehr und mehr bekam sie online Erzählungen geliefert, die gar nicht zu den Berichten in der etablierten Presse passten. Zum Beispiel folgte sie einer Seite namens „Anonymous.Kollektiv“. Ihr gefiel, dass dieser Kanal angab, für Freiheitsrechte und gegen die Überwachung der Bevölkerung einzutreten. Was ihr damals aber nicht auffiel: Zunehmend postete diese Seite rechtsextreme Inhalte, wurde immer radikaler in der Tonalität. Und irgendwann hatte sich Frau Sanchez Mengeler selbst im Denken versteift: Überall meinte sie Anzeichen zu erkennen, dass eine kleine Elite ein dunkles Spiel treibe, dass diese Elite die Medien steuere und letztlich eine Versklavung der Menschheit plane. Für Außenstehende mögen sich solche Vorstellungen geradezu bizarr anhören – auch für Anja Sanchez Mengeler klingt das heute nicht mehr nachvollziehbar. Aber in der Szene von Verschwörungsgläubigen ist genau diese Ansicht, dass insgeheim eine „Neue Weltordnung“ – die NWO – geplant würde, sehr populär. Und Frau Sanchez Mengeler steckte damals mitten in dieser Szene. Sie organisierte sogar in ihrem Wohnort eine „Mahnwache für den Frieden“, weil sie Angst hatte, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommen würde. Sie war nicht nur Zaungast in der Szene, sie war Akteurin.

Wie fand sie dann wieder hinaus? Es kam zu Momenten der Irritation, der persönlichen Enttäuschung und des Dazulernens, die in ihr den Keim eines Zweifels säten. „So wie der Einstieg schrittweise geschah, lief auch der Ausstieg schrittweise ab“, erzählte sie mir. Zum Beispiel zerstritt sie sich mit der Bekannten, die überzeugt war, selbst überwacht zu werden. Auch hatte sie Familienmitglieder wie ihren Mann oder ihre Schwester, die längst skeptisch beäugten, woran sie glaubte, die aber gleichzeitig nicht losließen, ihr zeigten, „du bist mir wichtig“. Und drittens gab es dann eben irritierende Momente, in denen Anja Sanchez Mengeler auffiel, wie sehr in ihrer Szene Erzählungen von Rechtsaußen kursierten – Erzählungen, die eigentlich gar nicht zu ihrem Weltbild passten. Zum Beispiel begann in dieser Zeit die Pegida-Bewegung mit ihren Demonstrationen – einigen ihrer Verbündeten gefiel diese Protestbewegung gegen die vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“. Aber Frau Sanchez Mengeler behagte das nicht: „Pegida passte nicht zu meinen Ansichten: Ich bin nicht gegen geflüchtete Menschen. Und auch an diese Verschwörungserzählung, dass Deutschland islamisiert würde, glaubte ich nicht.“ Das waren Situationen, in denen sie eine Ambivalenz spürte – und der Keim des Zweifels heranwuchs. Es gab dann einen Moment, in dem sie begriff, dass sie getäuscht worden war, und zwar als sie einen Faktencheck auf der Webseite Mimikama.at las, also die Überprüfung einer Falschmeldung im Internet.

Online waren Fotos im Umlauf, die angeblich eine große Verschwörung belegen sollten: Darauf abgebildet waren Flugzeuge, in denen zum Beispiel Tanks angebracht waren. Und es hieß, diese Flugzeuge seien „Chemtrails“-Flieger. Zur Erklärung: Die Chemtrails-Erzählung ist ein beliebter Verschwörungsmythos, wonach die Kondensstreifen am Himmel kein harmloses Nebenprodukt des Flugverkehrs seien, sondern ein Indiz, dass Flugzeuge gefährliche Substanzen versprühen. Das ist natürlich Humbug – und der Faktencheck zeigte auf: Die Fotos waren aus dem Kontext gerissen oder überhaupt manipuliert worden.1 Anja Sanchez Mengeler erzählt: „Ich begann nachzudenken: Warum war mir das nicht klar gewesen? Warum hatte ich das nicht in Erwägung gezogen? Und wenn man anfängt, es gedanklich für möglich zu halten, dass die Gegenseite doch recht hat, sieht man, wie logisch manche Argumente sind. Und zunehmend merkte ich: Ich wurde belogen, manipuliert.“

Diese Aussage von Anja Sanchez Mengeler liefert eine wichtige Erkenntnis in Bezug auf die Bedeutung von Faktenchecks: Manchmal wird deren Sinnhaftigkeit oder Durchschlagskraft angezweifelt. Denn wenn jemand partout einer Richtigstellung nicht glauben will, wird selbst der beste Faktencheck an der Person abprallen. Aber das Beispiel von Anja Sanchez Mengeler zeigt: In einigen Fällen sind Faktenchecks sehr wohl wertvoll – denn wenn jemand (wieder) bereit ist, den Fakten zuzuhören, können solche Texte augenöffnend sein.

Es ist frustrierend, dass das Einstreuen nachweisbar richtiger Information nicht in jedem Fall fruchtet. Die einfachste Reaktion wäre oft, einfach aufzuhören, nicht mehr zu diskutieren, nicht mehr auf Fakten zu pochen. Ich glaube jedoch, dass dafür zu viel auf dem Spiel steht: Unsere Demokratie baut darauf auf, dass Menschen möglichst gut informierte Entscheidungen treffen. Für uns als Gesellschaft ist es sehr wohl von Bedeutung, dass ein möglichst großer Teil der Bevölkerung wissenschaftliche Erkenntnisse – zum Beispiel zum Coronavirus oder zur Klimakrise – ernst nimmt und wir basierend auf wissenschaftlicher Evidenz Entscheidungen treffen. Auch können Falschmeldungen bis hin zu Verschwörungserzählungen Schaden anrichten: Etwa, wenn Menschen fragwürdigen Gesundheitstipps folgen und angebliche „Heilmittel“ einnehmen, die in Wahrheit ihre Gesundheit schädigen. Oder wenn Verschwörungsmythen dazu führen, dass einzelne Personen enormes Misstrauen in Institutionen wie Politik, Medien, Wissenschaft entwickeln oder plötzlich sogar Gewalt als adäquates Mittel einstufen, um sich vor der angeblichen Verschwörung zu schützen. Diskutieren und weiterhin das Gespräch suchen, das ist mühsam. Aber es gibt viele gute Gründe, warum man ab und zu Einspruch erheben sollte oder es sich lohnt, auch im eigenen Umfeld immer wieder auf stichhaltige Argumente in Bezug auf Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen hinzuweisen.

In diesem Buch werde ich drei Dinge machen: Zuerst werde ich erklären, wieso es oft schwierig ist, argumentativ zum Gegenüber durchzudringen. Wenn man manche kognitiven Abwehrmechanismen verstanden hat, mit denen unliebsame Fakten beiseitegeschoben werden, dann kann man daraus auch Gegenstrategien ableiten und neue Taktiken ausprobieren, um vielleicht besser gehört zu werden. Zweitens gehe ich auf unfaire rhetorische Methoden ein, mit denen unlogische Argumente, Halbwahrheiten oder glatte Erfindungen so verpackt werden, dass sie plötzlich einleuchtend klingen. Wenn man solche rhetorischen Tricks kennt, kann man diese anderen aufzeigen – und das Durchblicken von Fehl- und Desinformation fördern. Drittens werde ich ein paar konkrete Empfehlungen liefern: Wie kann man zum Beispiel die Korrektur einer Falschmeldung effizienter gestalten und sich beim Diskutieren klarer ausdrücken? Zum Schluss schlage ich einen Zugang des strategischen Diskutierens vor, bei dem man sich genau überlegt: In welchen Situationen ist es überhaupt sinnvoll, das Wort zu ergreifen? Und was können realistische Ziele beim Diskutieren sein?

Wir leben in Zeiten erhitzter Debatten. Wahrscheinlich hat der eine oder die andere schon miterlebt, wie Falsches oder Spekulatives gekonnt verbreitet wird, womöglich hat man selbst Menschen im engsten Umfeld, die solche Erzählungen glauben. Niemand von uns kann das Problem der Fehl- oder Desinformation im Alleingang lösen, das wäre komplett unrealistisch und zu viel verlangt. Aber was ich sehr wohl für möglich halte, ist, dass man auch als Einzelne oder Einzelner einen positiven Beitrag zur Debattenkultur leistet.

WARUM ÜBERZOGENE ERWARTUNGEN SIE BEIM DISKUTIEREN BREMSEN WERDEN

Mein erster Tipp klingt paradox, aber ich meine das ernst: Gerade wenn Ihnen Fakten wichtig sind, haben Sie bitte nicht zu viel Vertrauen, dass Fakten allein ein Umdenken bewirken. Ehrlich gesagt, ist in manchen Fällen bereits ein Erfolg erzielt, wenn Ihr Gegenüber nach einer Diskussion auch nur den Hauch eines Zweifels verspürt. Und selbst das wird man nicht immer erreichen. Nehmen Sie das Beispiel von Anja Sanchez Mengeler: Lange Zeit war sie nicht für Faktenchecks zugänglich. Sie brauchte Ereignisse und eigene Erfahrungen, die in ihr nach und nach Zweifel weckten. Es ist nämlich so: Wenn wir Menschen etwas glauben wollen, dann hat unser Denkapparat eine Fülle von Schutzmechanismen parat, die uns vor widersprüchlicher Information – vor kognitiver Dissonanz – bewahren. Und im Folgenden werde ich einige solcher Mechanismen erklären. Denn meine eigene Erfahrung ist: Kennt man psychologische Mechanismen, mit denen Menschen unliebsame Information gedanklich beiseiteschieben oder umdeuten, dann schützt einen das vor Frustration. Diskutieren wird weniger aufwühlend, wenn man ein sehr klares Bild davon hat, wie faktenresistent Menschen (und zwar wir alle) sind. Zweitens wurden basierend auf solchen wissenschaftlichen Beobachtungen auch schon Gegenstrategien formuliert, mit denen man sich ein Stück weit besser verständlich machen kann. Zum Beispiel werde ich beschreiben, wie man Argumente so verpackt, dass sie eher gehört werden. Ich möchte noch einmal betonen: Ein Wundermittel beim Diskutieren gibt es nicht, sehr wohl aber gibt es ein paar Rezepte, die im besten Fall eine Spur besser funktionieren als der weitverbreitete Zugang, sein Gegenüber so lange mit Fakten zuzuschütten, bis es hoffentlich die Falschheit seiner Weltsicht verstanden hat. Letzteres funktioniert oft nicht: Denn niemand (auch ich nicht) geht in eine Debatte mit der Absicht, danach die Welt völlig anders zu sehen. Und je mehr man verinnerlicht hat, wie schwer wir Menschen uns damit tun, Informationen, die nicht unserem Weltbild entsprechen, aufzunehmen, desto pragmatischer, aber auch geschickter kann man beim Diskutieren sein.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben, wie gekonnt Menschen unliebsame Information vom Tisch wischen. Ich muss oft an ein Telefoninterview zurückdenken, das ich 2017 mit einer Frau aus Bayern führte, eine Kritikerin der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und eine Wählerin der AfD. Sie war auf Facebook auf eine irreführende Meldung über Angela Merkel hereingefallen, wonach die deutsche Bundeskanzlerin auf „12 Millionen Einwanderer“ hoffe – ein Unsinn.3 Diese Aussage wurde Merkel einfach in den Mund gelegt. Bemerkenswert fand ich, dass die Frau aus Bayern durchaus anerkannte, dass die Behauptung falsch gewesen war. Nur schien es sie nicht sonderlich zu stören. Ich hatte vermutet, dass es die Frau ärgern könnte, einer falschen Aussage aufgesessen zu sein. Aber sie widersprach mir. Sie sagte: „Was heißt ärgern? Ärgern tut es mich insofern nicht, weil ich der Meinung bin, es kann passieren. Auch wenn es jetzt momentan nicht gestimmt hat, ist es doch eine Meldung, die passieren kann – wenn nicht heute oder morgen, dann vielleicht in einem halben Jahr.“4