Elana - Who I Went To Be - Melanie Ober - E-Book

Elana - Who I Went To Be E-Book

Melanie Ober

5,0

Beschreibung

Nach dem katastrophalen Ende ihres letzten Auftrags ist Elanas Studium endgültig gescheitert – und mit ihm die Beziehung zu Niclas. Zwischen ihnen ist vielleicht etwas für immer zerbrochen. Doch der gefährliche Schatten der GPH und die Bedrohung durch Westenberg lassen ihr keine Wahl: Elana muss weiterhin mit Niclas durch die Zeit reisen, auch wenn jeder einzelne Moment mit ihm mehr an ihr zerrt – vor allem an ihrem Herzen. Als weitere erschütternde Wahrheiten ans Licht kommen, steht Elana plötzlich vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens. Verzeiht sie Niclas, als ihr klar wird, dass sie dem Wahnsinn der Zeitreisen und der Anziehung zu ihm nicht mehr länger standhalten kann? Können sie das Unmögliche wagen – einander wieder vertrauen? Oder geht im Strudel aus Zeit und Lügen alles endgültig verloren?

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Seitenzahl: 472

Veröffentlichungsjahr: 2025

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narcessia

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Rezension: „Elana – Who I Went To Be“ von Melanie Ober Melanie Ober liefert mit „Elana – Who I Went To Be“ einen zweiten Band, der alles sprengt, was ich erwartet habe. Intensiv, emotional und voller überraschender Wendungen knüpft die Geschichte nahtlos an den ersten Band an – und hebt die Reihe auf ein völlig neues Level. Inhalt (ohne Spoiler): Elana steckt tiefer denn je in den Fängen der geheimnisvollen GPH-Organisation, die mit Zeitreisen dunkle Machenschaften verfolgt. Während sie sich zwischen Intrigen, Verrat und Missionen im Zweiten Weltkrieg behaupten muss, gerät sie nicht nur in tödliche Gefahr – sondern wird auch mit ihren eigenen Gefühlen konfrontiert. Besonders die Beziehung zu Niclas steht im Zentrum der Handlung: voller Spannung, Reibung, Wut, Verletzlichkeit und dieser bittersüßen Anziehungskraft, die einen beim Lesen wahnsinnig macht. Doch wem kann Elana wirklich vertrauen – und wer spielt ein falsches Spiel? Meine Leseerfahrung: 1. Schreibstil: Melanie Obe...
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Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält Elemente, die triggern können.Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.

Ich wünsche mir für euch alledas bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Melly

Für Michael & Christopher.Danke, dass ihr meine Liebe für Zeitreisen erweckt habt.

Elana - Who I Went To BePlaylist

Courage To Change - Sia

In the End - Linkin Park

Nothing Else Matters - Metallica

I Love Rock n Roll - Joan Jett & The Blackhearts

Kaiserwalzer - Johann StraußAfrica - Toto

I Got So High That I Saw Jesus - Noah & Miley Cyrus

I Don’t Feel Like Dancing - Scissor Sisters

One More Light - Linkin Park

Hero - Chad Kroeger

Prolog

Elana

»Hören Sie zu. Bitte, verschieben Sie den Prüfungstermin auf heute Nachmittag. Ich bin… noch verhindert und schaffe es nicht pünktlich in der Uni zu sein«, krächzte ich ins Telefon.

»Elana, die Regeln waren doch klar«, antwortete mein Dozent.

»Ich weiß. Ich… Was ist, wenn ich ihnen die Präsentation vorab schicke?« Ich biss mir auf die Unterlippe um meine Tränen zu unterdrücken.

»Das darf ich nicht werten, es tut mir leid. Entweder, Sie tauchen in fünfzig Minuten hier auf oder ich muss Sie durchfallen lassen. Und ich hoffe wirklich, wir sehen uns, Elana. Bis dann.«

Ich hielt mein Handy noch einen Moment an mein Ohr, weil mein Körper völlig erstarrt war. Bei mir war nur noch das Tuten der aufgelegten Leitung, sonst nichts… Eine Schlinge legte sich um meinen Hals und ich konnte meine Wut nicht mehr zurückhalten. Ich griff nach dem steinernen Dekoelement, das auf dem Waschbecken lag und warf es mit voller Wucht gegen den Spiegel. Ich ging vage in Deckung, als er zerbrach und von der Wand fiel. Aber eigentlich war es mir scheißegal. Der Schmerz aufgeschnittener Haut hätte mir zumindest das Gefühl der Realität zurückgegeben.

Ich schlug mir beide Hände vors Gesicht und wusste, dass ich nur noch die eine Möglichkeit hatte. Zu spät kommen und alles versuchen, die Jury doch noch irgendwie davon zu überzeugen, dass es die richtige Entscheidung war, mir eine zweite Chance zu geben.

Ich riss die Tür auf und stockte einen Moment, als ich hörte wie Niclas telefonierte. »Manchmal ist es echt anstrengend mit ihr. Ich meine, wie schnell kann ein Mensch so durchdrehen?«

Langsam schlich ich die Wand entlang und versuchte keine Laute von mir zu geben.

»Ich hab das Gefühl, sie ist einfach viel zu sensibel für das alles hier.« Als ich Niclas Worte hörte hielt ich die Luft an. Sprach er da etwa von mir?

»Ich erinnere dich nur an deine eigenen Aussagen, Niclas. Hier warte, ich hab sie noch im Chat. Schwarz auf weiß.«

Die Stimme am Telefon kannte ich nicht. Der Kerl lachte auf und las dann vor. »Hier. »Meine neue Partnerin ist die absolute Katastrophe. Ich gebe ihr keine Woche, dann ist die tot oder Westenberg hat die volle Kontrolle über sie.« Und was ist jetzt? Fast tot, sie geht Westenberg an die Gurgel und denkt sie würde mit ihrem Gequatsche irgendetwas in der Vergangenheit ändern können.«

»Ich habe noch nie erlebt, dass jemand so naiv mit einem beschissenen SS-Kommandanten gesprochen hat. Der hätte sie beinahe abgeknallt und mich mit dazu. Sie denkt überhaupt nicht darüber nach, was sie tut, geschweige denn-« Niclas drehte sich zu mir um und erstarrte, als er mich ansah.

Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Dann holte ich tief Luft und rang mit meinen Tränen. »Fick dich, Niclas.«

1

Elana

»Kaum zu glauben, was für ein Mistkerl du bist«, sagte ich gefährlich ruhig und klang dabei erschreckend gelassen.

Niclas legte sofort auf und warf sein Handy aufs Bett. »So hab ich das nicht gemeint, Elana, ehrlich. Ich wollte dich damit nicht verletzen.«

Ich atmete scharf ein. »Ach so?«, entfuhr es mir wimmernd. Meine Sicht verschwamm hinter den Tränen, die heiß und brennend in meinen Augen standen. »Ich glaub dir kein Wort.«

»Wieso nicht?«, schnaubte er verzweifelt.

»Weil du, verdammt nochmal, ein Kerl bist. Ihr meint alles so, wie ihr es sagt. Also hör auf, mir hier irgendetwas vorzumachen.« Meine Stimme gewann nur langsam wieder an Festigkeit, während in mir lodernde Wut aufstieg.

Niclas zog die Brauen zusammen, sein Blick füllte sich mit Unverständnis. »Das, was ich Danny geschrieben habe, ist Ewigkeiten her. Das war an dem Tag, als ich dich in der Wäscherei gefunden habe.«

Na und?

Ich schluckte schwer. Plötzlich stand Moritz im Zimmer und sah verwirrt zwischen uns hin und her. »Wieso erzählst du anderen so eine Scheiße über sie?«, fragte er enttäuscht.

»Fällst du mir jetzt etwa auch noch in den Rücken, oder was?«, fauchte Niclas und fuchtelte mit den Händen.

»Oh, du armer Kerl. Kratzt das etwa an deinem Ego?«, spottete ich, ohne darüber auch nur eine Sekunde nachzudenken.

Niclas eiskalter Blick traf mich mit voller Wucht. Ich wagte es kaum zu atmen. Doch das spielte keine Rolle mehr. »Wisst ihr was? Ist mir scheißegal. Ich hab gerade wirklich andere Probleme, als mich mit dir zu beschäftigen.« Mein Herz wurde schwer, und innerlich war ich schockiert und gelähmt von meinen eigenen Worten. Das klang überhaupt nicht mehr nach mir selbst. Immerhin war Niclas doch…

»Was meinst du?«, fragte Mo vorsichtig. Seine Schultern wirkten angespannt, als würde er jeden Moment in Deckung gehen. Keiner von beiden traute sich näher heran.

»Meine beschissene Prüfung ist in fünfundvierzig Minuten - und ich sitze in Österreich, Mann! Gebt mir sofort die Autoschlüssel, damit ich wenigstens die Chance hab diese Jury davon zu überzeugen, dass ich nicht drei Jahre meines Lebens vergeudet habe!«

»Elana«, flüsterte Niclas ernst und presste dann die Zähne so fest aufeinander, dass seine Kieferknochen deutlich hervorstanden.

»Halt die Klappe«, keifte ich.

Er atmete hörbar aus, als müsste er sich selbst davon abhalten, nicht die Fassung zu verlieren. »Du stehst völlig neben dir. Dein Körper packt das nach dieser Extremsituation überhaupt nicht.«

»Sag mir, verdammt nochmal, nicht, was ich kann und was ich nicht kann, von Hagen.«

Ich sah, wie es ihn traf - vollkommen unvorbereitet. Dass ich ihn ausgerechnet jetzt so nannte, war längst nicht mehr freundschaftlich gemeint, sondern schaffte einfach nur eine enorme Distanz zwischen uns, die verdammt schmerzhaft war.

»Okay, alles klar.« Niclas nickte gekränkt. »Elana, lass uns einfach in Ruhe darüber reden, okay? Du wirst ohnehin zu spät kommen. Deshalb musst du dich nicht auch noch in Gefahr bringen.«

Ich schnaubte und verdrehte die Augen, aus denen plötzlich zwei Tränen flossen. »Ich will aber nicht mit dir reden!«

»Hör zu, wir können sofort losfahren wenn du willst, aber ich lasse dich in diesem Zustand nicht ans Steuer. Verstanden?«

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich auch nur noch ein einziges Mal mit dir in ein Auto setze, oder?«, fauchte ich zurück.

»Was ist dein scheiß Problem, Elana?«, keuchte er mit zusammengezogen Augenbrauen zurück.

»Was mein Problem ist? Das hast du gerade nicht wirklich gefragt, oder?« Mein Blick schweifte zu Mo der völlig anteilnahmslos noch immer an Ort und Stelle verharrte.

»Doch, und ich will jetzt eine Antwort von dir!« Seine Augen loderten vor Wut.

Ich hasste es ihn so zu sehen. Genauso sehr wie ich diese Situation hier hasste. Und mich selbst.

Einen Moment lang hielt ich inne. Dann schlug ich mir die Hand gegen die Stirn. »Wenn ich durch diese Prüfung falle, habe ich drei ganze Jahre meines Lebens in ein Studium gesteckt, das mir gar nichts bringt. Ich musste zusehen, wie mein Urgroßvater von den Nazis erschossen wurde, kam wegen dieser dreckigen GPH beinahe zu spät ans Sterbebett meiner Großmutter und diese verfickte Organisation hatte mich gestern so weit, dass ich einfach nur tot umfallen wollte weil ich vor Schmerzen kaum noch atmen konnte… Und du fragst mich, was mein Problem ist? Ehrlich Niclas?«

Jetzt flossen vollkommen unkontrolliert die Tränen aus meinen Augen. Ich wollte das alles nicht. Nie.

Warum musste er nur so ein verdammtes Arschloch sein?

Niclas trat einen Schritt auf mich zu.

Geistesgegenwärtig wich ich zurück und griff in die Tasche neben dem Bett. Ich hatte etwas gesehen, das mir den Weg nach Hause erleichtern würde. Auch wenn es das Ende zwischen uns bedeutete.

»Elana, hey.« Seine Fingerspitzen streiften meine Wange und in mir brannte eine Sicherung durch.

»Mann, Niclas! Ich habe keine Kraft mehr, kapierst du das nicht?«, schrie ich und meine Kehle schnürte sich unerträglich schmerzhaft zu. Dann riss ich meine Pistole aus der Tasche - und zielte direkt auf sein Herz.

Ich erschrak so sehr vor mir selbst, dass ich nicht mehr anders konnte, als viel zu laut zu schluchzen.

Meine Hände zitterten unkontrollierbar, doch ich hielt die Waffe fest umklammert. »Gib mir sofort die Autoschlüssel.«

Niclas hielt die Luft an. »Nein.«

Seine Stimme war plötzlich wieder so ruhig, dass es mich rasend machte.

Ich schielte zu Moritz, der mich wie erstarrt anstarrte. »Gib ihr die scheiß Schlüssel, Mann!«, krächzte er seinem Bruder entgegen.

»Halt dich da raus und geh!«, fauchte Niclas.

Auch ich wich schwer atmend zurück und realisierte, was ich gerade getan hatte. Mein Blick heftete sich auf den Lauf der Pistole, bevor er dann nur ganz langsam wieder Niclas’ Augen fand. »Drei Jahre, Niclas. Drei verdammte Jahre. Und so kurz vorm Ziel lässt du mich eiskalt auflaufen.«

»Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt. Ich fahr dich dorthin und du machst deine Prüfung, okay? Wir werden sie schon irgendwie überzeugen. Ich bin mir sicher.«

Ich schnaubte. »Fick dich. Ich brauch deine Hilfe nicht.« Ich hielt den Atem an, sah ein letztes Mal zwischen ihnen hin und her. Dann griff ich nach meiner Tasche und hängte sie mir um die Schulter. »Lass mich in Ruhe und sprich mich einfach nie wieder an.«

2

Niclas

Vier Tage. Vier beschissen lange Tage, in denen ich nichts von ihr hörte. Kein Lebenszeichen, kein wütender Anruf, keine herablassende SMS - nichts. Es war mir egal, ob es wehtun würde. Ich wollte nur wissen, dass sie wieder in Sicherheit war. Dass sie zu Hause war.

Mittlerweile war Montagmorgen, und ich hatte ein höllisches Wochenende hinter mir. Wir waren direkt nach Elanas spurlosem Verschwinden nach München zurückgekehrt - wo ein gewaltiges Donnerwetter auf mich wartete. Ich hatte Westenbergs Assistenten angeschossen, den Auftrag am Donnerstag mit Elana völlig aus dem Ruder laufen lassen und ein beschissen großes Risiko auf mich genommen.

»Nur ein kleiner Fehltritt, und Sie sind dran.« Westenbergs Worte brannten immer wieder in meinem Kopf. Und dieses Mal hatte ich es auf die Spitze getrieben. Ich wollte Elana beschützen - und hatte doch alles nur schlimmer gemacht. Seine Geduld war am Ende, und das ließ er mich schneller spüren, als mir lieb war.

Als Elana am Freitag nicht auftauchte, schickte er mich allein los. Kein Backup, keine Unterstützung - ich sollte die Drecksarbeit bei Hofer selbst erledigen. Ein Scheißjob, aber wenigstens hatte ich ihn nicht wirklich erschossen. Solange der Scanner unsere Fingerabdrücke nicht erfasste, war all das, was wir hier taten, im Grunde nicht real.

Ein lautes Klatschen vor meinem Gesicht riss mich aus meinen Gedanken.

»Hey, Alter!«, lachte Danny neben mir. »Pennst du noch oder was?«

»Lass mich in Ruhe, Mann«, antwortete ich gedämpft und rieb mir über das Gesicht. Es war kurz vor sieben Uhr morgens, wie jeden Tag, an dem wir hier arbeiteten. Aber seit Elana verschwunden war, ließ mir mein Körper nicht mal mehr eine volle Stunde Schlaf pro Nacht. Ich war kurz vorm Durchdrehen.

Die Sonne knallte bereits auf den Asphalt, während um uns herum immer mehr Mitglieder der GPH eintrafen und ins Gebäude strömten. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass Elana vielleicht nie wieder hier auftauchen würde.

»Die Kleine wird schon wiederkommen«, meinte Danny mit einem Schmunzeln.

Ich verzog das Gesicht. Allein sein Tonfall machte mich aggressiv. »Nenn sie nicht so. Die ganze Scheiße ist doch nur eskaliert, weil du es nicht lassen kannst ständig alle gegeneinander aufzustacheln.«

Danny schnaubte. »Ach so, und jetzt bin ich also daran Schuld, dass sie einfach die Falsche für den Job ist? Alter, Niclas. Welche Worte du aus deinem Mund rauslässt, liegt nicht in meiner Verantwortung, okay?«

Ich tat eine vage Handbewegung um die Sache unter den Tisch zu kehren. Doch plötzlich durchbrach ein lautes Motorengeräusch den Lärm des Münchner Berufsverkehrs. Es dauerte nicht lange, bis ein schwarzes, verdammt edles Motorrad vor uns auf den Platz fuhr.

Danny stieß einen ungläubigen Laut aus und schlug mir auf die Schulter. »Heilige Scheiße! Der Spinner hat’s mal wieder ordentlich krachen lassen.«

Doch mein Blick blieb auf dem Fahrer haften, und ein seltsames Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. »Das ist nicht Mick.«

Danny prustete. »Wer sonst aus der GPH gönnt sich ständig ‘nen neuen Schlitten?«

»Und seit wann hat Mick so eine schmale Taille, du Vollpfosten?«

Der Fahrer stieg vom Motorrad, schloss ab und zog sich in einer fließenden Bewegung den Helm vom Kopf. Und dann sah ich - blond?

Es war tatsächlich Elana, die völlig entspannt auf uns zukam. Sie strich sich lässig die schulterlangen, hellen Strähnen aus dem Gesicht und ich erstarrte regelrecht unter ihrem Blick. Er war tough, eiskalt und auf eine beunruhigende Art verdammt anziehend.

»Scheiße, was ist denn mit ihr passiert?« Danny keuchte, und dabei flog ihm beinahe die Zigarette aus dem Mund, die er sich gerade angesteckt hatte.

»Wieso, was ist denn mit mir passiert?«, fragte Elana interessiert und klemmte sich lässig den Helm in die Armbeuge.

»Du, ähm…« Dannys Stimme erstickte als Elana provokant eine Augenbraue nach oben zog. »Du warst scheinbar beim Friseur, was? Und einen fahrbaren Untersatz hast du dir auch zugelegt.«

»Hm. Happy Birthday to me«, brummte sie belustigt und sah dann zu mir. »Was ist los, Niclas? Du bist so still.«

Ich hielt den Atem an und wusste nicht, was ich antworten sollte. Meine Kehle wurde staubtrocken. Ich wünschte mir das ganze Wochenende über nichts mehr, als von ihr zu hören. Und jetzt, wo sie endlich vor mir stand, brachte ich keinen Ton mehr heraus.

Sie setzte ein zuckersüßes Lächeln auf und ich sah es gefährlich in ihren Augen blitzen. »Gefällt es dir etwa nicht?« Ich blinzelte perplex und etwas zog sich in meinem Magen zusammen, als ihr Blick plötzlich wieder eiskalt wurde. »Dann bleibt es auf jeden Fall so«, fauchte sie mir selbstbewusst entgegen und ein Schauer jagte meinen Rücken hinab.

Sie wandte sich Danny zu und ließ unbeeindruckt ihre Augen über seinen Körper wandern bis sie schließlich wieder an seinem Gesicht hängen blieb. »Und du bist?«

»Danny. Ich-«

»Ach, du bist also Danny?«, schnaubte sie und riss dabei ihre Augen auf. »Schön. Was ein großartiger Start in den Tag. Gleich zwei Arschlöcher auf einen Streich sprachlos gemacht.«

»Das hast du letzte Woche in den falschen Hals gekriegt. Ehrlich-«, begann er, doch Elana schnitt ihn mit einer desinteressierten Geste das Wort ab.

»Weißt du was, Danny?« Es gefiel mir überhaupt nicht wie arrogant ihre Stimme war. »Vielleicht solltest du das nächste Mal einfach besser aufpassen, was du so von dir gibst. Und du…« Sie drehte sich wieder zu mir. »Wen du besser nicht unterschätzen solltest.«

Elana nahm Danny die Zigarette ab, zog daran und drängte sich zwischen uns durch. Ich sah ihr nach und bekam rücklings ihren Mittelfinger entgegengestreckt, gefolgt von einem frechen Grinsen.

Fuck. Sie war ein völlig anderer Mensch.

Elana

Gott wie grässlich.

Ich fluchte in Gedanken, als ich den Rest der Zigarette wegschnippte und versuchte den ekligen Geschmack des Rauchs loszuwerden. Die Szene draußen war ein voller Erfolg gewesen. Ich hatte auch nur einige Stunden lang darüber gegrübelt und sie auswendig gelernt. Natürlich mit allmöglichen, eventuell auftretenden anderen Abläufen.

Ich wollte keine Bitch sein. Ich wollte nur, dass er spürt, was passiert, wenn man mich unterschätzt und hintergeht. So einfach würde ich ihn nicht davonkommen lassen. Wenn es eine Sache gab, die ich mir geschworen hatte, dann diese: Niclas von Hagen würde mich nie wieder verletzlich sehen.

Ich lief in den großen Saal, in dem sonst alle Zeitreisen begannen. Um mich herum waren genau einundzwanzig Leute, die ich nicht mal abzählen musste. Neunzehn Vollidioten, die alle denselben Mist unterschrieben hatten wie ich, Westenberg und ein neuer Assistent.

»Herzlich willkommen zum heutigen Leistungstest!« Westenbergs Stimme klang übertrieben enthusiastisch, als stünde er in einer Zirkusmanege.

Ich ließ meinen Blick unauffällig durch die Menge schweifen und traf dabei hauptsächlich auf ironisches Schnauben und Augenrollen. Doch der ein oder andere pfiff auch ziemlich begeistert und klatschte dabei. Westenbergs Lieblinge. Oder besser gesagt, diejenigen, die die besten Aufträge bekamen - ohne Krieg, ohne Nazis, ohne ein gespaltenes Deutschland. Und mein Gefühl verriet mir, dass ich mit dieser Annahme absolut ins Schwarze traf.

Ich stand zwischen mehreren Partnerteams, von denen ich kaum ein Gesicht kannte. Westenberg ließ Niclas und mich immer zu einer festen Zeiten antanzen - vermutlich sorgte auch genau das dafür, dass ich nie jemandem bewusst über den Weg laufen konnte. Aber meine Neutralität ihnen gegenüber, galt ganz offensichtlich nicht umgekehrt. Ich spürte ihre Blicke auf mir. Ich war für sie nur die Zwillingsschwester, die den Skandal auffangen musste.

Mein Blick wanderte weiter - und blieb an Niclas hängen.

Er stand mit Danny und einer Frau ein Stück abseits der Menge und tat doch tatsächlich so, als würde es ihn interessieren, was Westenberg von sich gab.

Wut kochte in mir hoch.

Seine Dreistigkeit, mir noch offen zu zeigen, dass er immer noch zu diesem Kerl hielt, gab mir den Rest. Es bewies, dass all das zwischen uns nur eine Lüge gewesen war. Mit einem Schnauben wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Westenberg zu. Und das, obwohl ich alles auf der Welt lieber getan hätte.

»Also, ihr Lieben«, fuhr er fort. »Auf dem heutigen Plan stehen Koordination, Ausdauer und Schießgenauigkeit. Und um das Ganze etwas spannender zu gestalten, tretet ihr nicht mehr in euren Teams gegeneinander an, sondern im One-on-One - gegen eure Partner.«

Ich hielt die Luft an.

Das kann er nicht ernst meinen.

Unruhiges Geflüster ging durch den Saal, doch es verstummte sofort, als Westenbergs Assistent mit eindringlichem Klatschen für Ruhe sorgte.

»Es ist wichtig, dass Sie lernen, für sich selbst zu kämpfen«, erklärte Westenberg mit gespielter Nachsicht. »Und das geht nur, wenn Sie sich vollends auf sich selbst verlassen - nicht auf Ihren Partner.«

Ich atmete scharf ein. Neben mir schien niemand wirklich begeistert zu sein.

»Und was springt für den Gewinner raus?« Eine tiefe Männerstimme durchbrach die Stille.

Alle Augen richteten sich auf ihn.

Er trat aus der Menge heraus und verschränkte selbstbewusst die Arme vor der Brust. Sein schwarzes Outfit wirkte beinahe angsteinflößend.

»Gute Frage, Jonah«, sagte Westenberg und öffnete den silbernen Koffer hinter sich. Er holte eine transparente Box heraus und hielt sie in die Luft. Dann machte er einen Schritt zur Seite und diesmal war der Jubel durch den Raum beinahe ohrenbetäubend. »Der oder die Beste erhält eine Million in bar«, verkündete Westenberg mit einem triumphierenden Lächeln. »Und eine Individualkapsel. Eine Zeitreise wohin und solange ihr wollt. Na, wie hört sich das an?«

Krank, du blöder Wichser.

Mein Blick schweifte durch die jubelnde Meute bis er hängen blieb - an Niclas hängen blieb. Sein Kiefer war angespannt, seine Augen fest auf mich gerichtet.

Ich ertrug es nicht. Ich wollte ihn nicht ansehen und an all die Wut zurückdenken, die sich das ganze Wochenende in mir aufgestaut hatte.

Verdammt, was tue ich hier eigentlich?

»Hey, ich muss mit dir reden!« Die Stimme hinter mir ließ mich zusammenzucken - es war Niclas.

Er packte mich am Arm und zog mich Abseits der anderen, die sich bereits auf den Weg in den Keller machten.

»Ich wüsste nicht, was ich dir noch zu sagen hätte«, schnaubte ich und wich seinem Blick aus. Ich konnte es nicht riskieren, ihm in seine tiefgrünen Augen zu sehen.

Meine Mauer war das Einzige, was mich noch beschützte.

»Sehr gut, dann rede nämlich ich.« Er atmete tief ein und baute sich vor mir auf. »Elana, verdammt. Wo warst du? Ich hab mir verflucht nochmal Sorgen um dich gemacht!«

Ich wagte einen Blick in sein Gesicht und reckte ihm trotzig das Kinn entgegen. »Mh hm, sicher.«

Seine Augen starrten fassungslos in meine. Ich sah, wie meine Kälte ihn traf, wie sie sich in seine Brust grub. Und für einen kurzen Moment genoss ich meine Rache.

Ich zog eine Augenbraue nach oben und machte eine auffordernde Handbewegung. »Na los, Niclas. Sprich, wenn du dich traust.«

Er rieb sich entnervt über den Kopf. Ich wartete nur darauf, dass er explodierte. Dass er endlich die Wut zeigte, die ich im ihm sehen wollte.

»Hast du eigentlich eine Ahnung, was hier los war, nachdem du Freitag nicht aufgetaucht bist?«

Ich verzog meine Lippen zu einem schmalen Lächeln und zuckte unschuldig mit den Schultern.

»Westenberg hat mich alleine auf den Auftrag geschickt, und ich wäre dabei fast draufgegangen!«

In meinem Gesicht regte sich nichts. Doch innerlich schrie ich vor Angst. Angst, dass ihm tatsächlich etwas zustoßen hätte können. Angst, dass er wegen mir-

Stop. Ich zwang mich, diese Gedanken sofort wieder ruhen zu lassen. Er war es, der eine ganz klare Meinung über mich hatte und mich die ganze Zeit über anlog. Er war es, der mich zurückhielt, als ich bereits viel zu spät für meine Prüfung war. Und auch er war es, der mir mehr als einmal zu verstehen gegeben hatte, dass er mir nicht genug vertraute, um mit mir über die Geschehnisse zu sprechen, die ihm offensichtlich alles abverlangt hatten.

»Dann hoffe ich, dass du dich heute nicht übernimmst. Herr von Hagen.«

Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und ließ ihn stehen.

3

Elana

»Das hier wird nichts zwischen uns ändern, ich verspreche es dir«, sagte Niclas sanft, als man uns näher zu den Aufbauten brachte, die heute für den Leistungstest bestimmt waren.

Ich schnaubte. »Soll ich das jetzt begrüßen, oder was?«

Sein Blick verdunkelte sich, und ich konnte sehen, wie er den Atem anhielt. Das hier würde ihn auf eine gewaltige Geduldsprobe stellen. Mich allerdings auch.

Niclas kniff die Augen zusammen. »Was ist dein Problem, Elana?«

»Ist die Frage wirklich ernst gemeint?«, fauchte ich zurück.

»Ja, verdammt nochmal! Ich erkenne dich überhaupt nicht wieder.«

»Könnte daran liegen, dass du vorher einfach keine Ahnung hattest, wer ich eigentlich bin.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber da du eh keine Ruhe geben wirst - bitte. Du bist mein Problem!«

Niclas packte mich am Arm und zog mich aus der Menge. Er kam mir so nahe, dass ich plötzlich die Wand im Rücken hatte, als ich instinktiv zurückwich.

»Willst du mir jetzt wirklich vorhalten, dass ich die Wahrheit gesagt habe? Dass uns deine naiven Wutausbrüche beinahe umgebracht haben? Fuck, Elana! Du hast keine Ahnung welche Konsequenzen Westenberg daraus ziehen wird. Ich hab seinem beschissenen Assistenten ins Bein geschossen, damit ich dich hier rausholen kann. Er hätte dich erfrieren lassen! Du bist ihm doch scheißegal.«

»Und dir nicht, oder was?«

»Nein, verdammt!«

Niclas nahm schneller als ich hätte reagieren können mein Gesicht in seine Hände. Seine Berührung war warm, viel zu vertraut, viel zu sanft. Ich schluckte trocken, als ich ihm direkt in die Augen sah.

»Du warst mir nie egal. Und schon gar nicht, wenn es um Leben oder Tod geht.«

Mein Blick wanderte wie automatisch weiter nach unten und blieb an seinen Lippen hängen. Mach es mir doch nicht so schwer und bleib einfach das Arschloch, das du mal warst.

Langsam legte ich meine Finger auf seine und fuhr langsam auf den Knöcheln entlang, bis ich an seinen Handgelenken hängen blieb. Dann festigte sich mein Griff.

»Das hat sich letzte Woche aber noch ganz anders angehört«, antwortete ich ihm ernst und entriss seine Hände meinem Gesicht. »Verkauf mich nicht für dumm, Niclas. Und jetzt mach verdammt nochmal deinen Job.« Ich atmete tief durch. »Ja, ich war Freitag nicht hier. Und es tut mir wirklich leid, verstehst du? Ich wollte dich nicht absichtlich in Gefahr bringen. Aber das zwischen uns… das bleibt besser geschäftlich.«

Niclas wich einen Schritt zurück und atmete scharf ein. »Wie du willst, Elana. Aber das gleich wird ein One-on-One Kampf, das ist dir klar?«

»Ja, ist es. Und weißt du was? Ich freu mich schon darauf.«

Er hatte mich unterschätzt. Und ich konnte es kaum erwarten, sein Gesicht zu sehen, wenn er es realisierte.

Ich hatte das halbe Wochenende im Schießstand der Bundespolizei verbracht. Vince’s Cousin hatte mir Zugang verschafft und mir alles gezeigt, was ich wissen musste. Wir hatten sogar den Sporttest der Ausbildung simuliert.

Immer und immer und immer wieder.

Ich konnte es kaum noch abwarten, mich jetzt mit Niclas zu messen.

Ich löste mich von der Wand und sah der Gruppe hinterher, die sich bereits ein gutes Stück von uns entfernt hatte, als ich plötzlich Niclas‘ Hand an meiner spürte. Ich versuchte mich von ihm zu lösen, doch sein Griff war zu fest.

»Was willst du noch, von Hagen?«, fragte ich entnervt.

»Warum bist du hier?«

Ich rollte mit den Augen. »Was soll das für eine Frage sein? Es geht schließlich auch um mein Leben, das Westenberg am liebsten vollends kontrollieren will.«

»Nach Freitag hätte ich nicht gedacht, dass du nochmal hier auftauchst, Elana. Im Ausland hätte er dich nicht so schnell gefunden.«

»Ja, verdammt. Weil er mir einen scheiß Mikrochip hat einpflanzen lassen, dieser Wichser!« Meine Stimme bebte vor Wut. »Hätte ich ein Leben auf der Flucht führen sollen? Darauf warten, dass er irgendwann das Interesse an mir verliert? Niclas, du weißt genau so gut wie ich, dass wir da gemeinsam drin hängen und man Westenberg nicht bis aufs Äußerste reizen sollte. Wie lange hätte es wohl gedauert, bis er mir Drohvideos geschickt hätte, in denen sie dir eine Knarre an den Kopf halten? Hm, wie lange? Zwei Tage?«

»Es hätte dir egal sein können…«

Ich schnaubte ungläubig. Mein Herz raste. »Ich weiß ja nicht, ob es dir egal gewesen wäre, wenn die Situation andersherum stattgefunden hätte.« Ich trat einen Schritt näher an ihn heran, bohrte meinen Zeigefinger in sein Schlüsselbein und drängte jetzt ihn gegen die Wand. »Aber ich stehe hier vor dir. Jetzt, verdammt. Und bin nicht abgehauen, weil du, blödes Arschloch, mir trotz allem noch etwas bedeutest. Also lass mich einfach in Ruhe, okay?« Meine Stimme begann zu zittern und ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich das tatsächlich laut ausgesprochen hatte.

Niclas‘ Augen weiteten sich. »Ich tue was?«, fragte er ungläubig.

Panik stieg in mir auf. Ich riss mich von ihm los und wollte gehen. Einfach nur weg von ihm. Jetzt. Sofort. Bevor ich tatsächlich noch anfing zu weinen, weil ich mir plötzlich eingestehen musste, dass die Mauern um mich herum längst Risse hatten. Vor allem dann, wenn er nur in meiner Nähe war.

»Vergiss einfach was ich gesagt habe.« Ich machte eine vage, abwertende Handbewegung, als ich zurückwich und dann mit schnellen Schritten versuchte die anderen aufzuholen.

»Elana.«

Niclas war direkt hinter mir. Ich wirbelte herum und lief ein paar Meter rückwärts um ihn ansehen zu können. »Was noch?«, fauchte ich zurück.

Er machte einen großen Schritt nach vorne, packte mich an der Taille und zog mich so dicht an sich, dass mir die Luft wegblieb. Mein Rücken traf wieder die Wand. Seine freie Hand lag sanft an meiner Wange während sein Daumen quälend langsam über meine Haut strich.

Hitze schoss durch meinen Körper. Mein Atem stockte.

Was zum Teufel tut er da?

Dann spürte ich seine Lippen auf meiner Stirn.

Ich presste die Zähne aufeinander, schloss die Augen und versuchte krampfhaft, die Gefühle zu unterdrücken, die in mir hochkochten. Ich wollte nichts weiter als meine Arme um ihn legen, mich an ihn zu klammern so fest ich konnte, ihn zu küssen - und diesen ganzen Mist irgendwie ungeschehen machen.

Aber was passiert war, war passiert.

Omi und Elon waren tot. Und ich hatte beiden beim Sterben zusehen müssen. Am selben Tag.

Meine Prüfung fand ohne mich statt, und ich war damit hochoffiziell exmatrikuliert. Und das nur, weil Niclas mir nicht helfen wollte.

Meine Seele war ein Trümmerhaufen und mein Herz ein Wrack, das ohnehin schon untergegangen war. Ich wollte mir nicht noch mehr zumuten. Ich konnte das nicht mehr.

Niclas senkte den Kopf und sein Atem strich warm über meine Haut.

»Happy Birthday«, hauchte er.

Mein ganzer Körper bekam eine Gänsehaut.

Er löste sich ein Stück von mir und ich nutzte meine Chance mich aus seiner Nähe zu befreien.

Einzig ein trockenes »Danke« verließ meine Lippen, bevor ich versuchte, mich zur Gruppe zurückzukämpfen.

Und in diesem Moment wurde mir etwas klar.

Er würde nicht aufhören zu kämpfen. Nie.

Egal was zwischen uns stand, egal, wie sehr ich versuchte, ihn auf Abstand zu halten - Niclas würde alles tun, uns wieder näherzubringen.

Und dafür hasste ich ihn.

So sehr.

4

Niclas

Verdammt, was zur Hölle tat ich hier eigentlich?

Ich würde immer um sie kämpfen, aber gerade überwog die Angst, einen noch viel größeren Keil zwischen uns zu treiben. Das hier war ein Fehler. Ein verdammt großer Fehler.

Als ich mit Verspätung und als Letzter die Trainingshalle im Keller erreichte, waren die anderen längst mitten in der Einweisung. Es waren zwei identische Zonen aufgebaut, die sich in der Mitte der Halle spiegelten. Von hier aus würde jedes Team gegeneinander antreten - unter den Augen aller anderen.

»Ihr habt genau drei Minuten Zeit euch den Parcours anzusehen - von außen. Die Tafeln auf die ihr schießen werdet, spielen in der angebrachten Reihenfolge keine Rolle. Ihr müsst auf die Lampen achten. Sie leuchten für beide Partner an der gleichen Stelle, damit es fair bleibt. Allerdings laufen diese nach dem Zufallsprinzip. Es ist also möglich, dass die erste kurz vor Schluss aufleuchtet, die nächste dahinter ganz am Anfang. Bleibt aufmerksam, konzentriert und passt auf eure Waffen auf. Ihr macht das Ganze ohne Sicherung«, erklärte einer von Westenbergs Leuten und sofort brach blankes Entsetzen im Raum aus. »Ich weiß, ich weiß. Aber nur so ist es wie unter echten Bedingungen. Jeder von euch hat zehn Schuss, und nach jedem davon leuchtet automatisch die nächste Lampe auf - egal, ob ihr getroffen habt oder nicht. Jonah und Emmy, ihr seid zuerst dran. Der Rest geht nach dem Signal hinter das Sicherheitsglas.«

Ein schriller Ton erklang und auf der großen Tafel am anderen Ende der Halle begann der Timer zu laufen. Die Gruppe teilte sich gleichmäßig um die beiden Zonen auf und ich konnte kaum erwarten zu sehen, welchen kranken Mist sie sich dieses Mal haben einfallen lassen.

»Stacheldraht? Ist das euer Ernst?«, brüllte Danny neben mir. Er hätte genauso gut mit der Wand reden können - alle um ihn herum waren viel zu konzentriert um zu reagieren.

Ich kannte beinahe alle Tests und Schikanen, die Westenberg anordnete, also schockierte mich dieser Anblick nicht besonders. Mein Blick wanderte die Wege entlang. Es tat sich ein klares Muster auf, doch die Winkel, in denen gleich auf die Zielscheiben geschossen werden würde, waren eine echte Herausforderung - selbst für die Besten unter uns.

Plötzlich fiel mein Blick auf Elana. Sie lief mit einigem Abstand zu den anderen um die Strecke herum und nahm Ecken, Höhen und Abstände genau unter die Lupe. Ihre systematische Herangehensweise war beeindruckend. Doch als sich unsere Blicke trafen, wurde ihr Ausdruck verdammt ernst.

Noch dreißig Sekunden.

Elana kam auf mich zu und zuckte nichts aussagend mit den Schultern.

»Ein Glück, dass wir nicht die Ersten sind, oder?« Sie band sich in aller Ruhe ihre kurzen, blonden Haare zurück und zupfte sich die vordere Partie zurecht. Die Strähnen umschmeichelten ihr Gesicht und ich war wie geblendet davon, wie gut ihr die neue Haarfarbe stand. Sie sah aus wie-

»Smalltalk nicht so deins?«, fragte sie plötzlich und lachte künstlich.

»Was?« Ich blinzelte und bemerkte, wie weit weg ich mit meinen Gedanken war. So abwesend war ich schon ewig nicht mehr.

Das Signal ertönte und riss mich damit endgültig aus meiner Starre. Ich benahm mich wie ein verdammter Volltrottel - und verstand nicht mal wieso.

»So, von Hagen.« Jonah drängte sich grinsend an mir vorbei. »Dieses Mal stoße ich dich aber sowas von deinem Thron. Die Million gehört mir.«

Dieser beschissene Angeber. Normalerweise hatte er keine Chance gegen mich, aber heute… heute fühlte sich alles anders an. Und ich war mir mehr als sicher, dass Elana der Grund dafür war.

Jonah stellte sich auf seine Startposition und nahm seine Waffe entgegen, während Emmy sich ihre tiefroten Locken zurückband.

Die beiden waren wie Feuer und Wasser im Kampf gegen politische Grenzgänger der späten DDR. Sie waren gut in dem, was sie taten. Sehr gut sogar. Jeder von ihnen hielt sich klipp und klar an Absprachen, es gab keine Alleingänge - die meiste Zeit über zumindest.

Seit einem halben Jahr wurde ich das Gefühl nicht los, dass Jonah Emmy lieber als hübsches Accessoire in seinem Bett hatte, anstatt professionell mit ihr zusammen zu arbeiten. Auch die beiden waren nicht perfekt, und heftige Auseinandersetzungen standen seit einiger Zeit an der Tagesordnung.

»Also Leute, ab hinter das Sicherheitsglas! Keine Schutzausrüstung, vergesst das bloß nicht«, ermahnte der Mann, der uns die Einweisung gegeben hatte. Ich kannte ihn nicht - ein neues Gesicht in Westenbergs Team war verdammt selten. Ich wollte gar nicht wissen, was mit seinem Vorgänger geschehen war.

Ich sah auf und bemerkte, dass Elana mich mit einer kleinen Kopfbewegung zu sich winkte.

»Alles okay?«, fragte ich aufrichtig.

Sie ignorierte meine Frage. »Was passiert mit den schlechtesten heute?« Ihr Blick war auf Jonah gerichtet, der gerade seine Waffe überprüfte.

»Westenberg schickt sie ins Training.«

»Welches Training?«

»Jedes, das nötig ist, um seine eigenen, kleinen Krieger aufzubauen. Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, dass jeder, der jemals in eines der Trainings kam als völlig anderer Mensch zurückkam.«

Elana zog hörbar die Luft ein, ihre Brauen zogen sich zusammen. Ich schluckte trocken. Mir wurde jetzt erst bewusst, was ich da eigentlich gesagt hatte.

»Elana, das-«

»Lass gut sein, Niclas.«

»Sieh dir erstmal an, was dich erwartet. Dann erkläre ich dir, wo ihre Fehler waren und-«

»Wozu?«, fragte sie mit einem zuckersüßen, falschen Lächeln.

»Naja, weil ich dachte, dass-«

»Weil du dachtest, dass ich das hier sonst nicht packe, was?«

»So ein Quatsch. Ich wollte nur-«

»Ich brauche deine Tipps nicht.« Sie reckte stolz ihr Kinn in die Luft und warf mit einen Seitenblick zu.

»Lässt du mich vielleicht mal ausre-«

»Nein. Lass uns lieber wetten.« Ihre Augen leuchteten auf und ich hielt unwillkürlich den Atem an.

»Wetten? Wieso?«

»Wieso nicht? Du hast doch nichts zu verlieren, oder?« Sie kam mir näher und fixierte mich mit diesem unverschämten Grinsen. Elana hatte mich vollends unter Kontrolle mit ihrem frechen Blick und ihren beschissen schönen, blauen Augen. Ich presste meine Zähne aufeinander und ging nun ebenfalls auf sie zu.

Zeig keine Schwäche. Bloß keine Schwäche.

Sie legte bereits ihren Kopf in den Nacken, um mich weiter ansehen zu können. Wir verfielen in regelrechtes Starren, doch ihr plötzliches, unsicheres Blinzeln verriet sie. Ihr Mund war leicht geöffnet und sie schluckte schwer.

Meine Nähe zu ihr machte sie genauso wahnsinnig wie die ihre zu mir.

Ich war ihr also wirklich nicht egal.

Ich stellte mir vor, wie es in ihrem Kopf unaufhaltsam brodeln musste. Ich sah es ihr ganz genau an und war mir sicher, es sogar zu spüren.

»Gut. Lass uns wetten.« Meine Stimme klang jetzt genauso selbstsicher wie ihre.

»Der Bessere im Gesamtranking hat einen Wunsch frei.«

»Okay. Fairer Kampf?«

Elana schnaubte. »Natürlich. Wir wollen ja nicht, dass es am Ende noch peinlich für dich wird. Und jetzt sieh dir gefälligst diesen Proleten an.«

Ich konnte nicht anders und ein flüchtiges Lachen verließ meine Kehle.

Worauf hast du dich da nur eingelassen, Elana?

Elana

Wir waren als zweites Team dran.

Mein Herz raste. Und das, obwohl ich genau wusste, wie resolut ich mich die letzten Tage auf so eine Situation vorbereitet hatte. Ich atmete tief durch und hielt mein Pokerface aufrecht. Niemand hier sollte hinter meine Fassade blicken können. Niemand.

»Na Süße, hat dir die Show gefallen?«, brummte Jonah, als wir die Positionen wechselten.

Ich lachte ironisch auf. »Hm, sicher. War ganz nett, wie du rumgehampelt bist.«

Er blieb abrupt stehen und warf mir einen bitteren Blick zu. »Ganz schön frech für Frischfleisch. Da hat von Hagen mit dir wohl den absoluten Jackpot gewonnen.« Er musterte mich langsam von oben nach unten, während sein Ausdruck unverändert blieb.

Ich verdrehte die Augen und ließ mich nicht weiter von ihm beirren.

»Lass sie in Ruhe, Jonah«, sagte seine Partnerin und stieß ihn von mir weg. »Hey, ich bin Emmy«

»Elana. Hi.«

Sie räusperte sich. »Die Ecke hinten links ist etwas rutschig. Lauf nicht zu schnell rein.«

Ich nickte ihr dankend zu, und sie zwinkerte mir entgegen. »Na dann, viel Spaß ihr zwei«, hauchte Emmy und ich sah ihr einen Moment nach. Jonah packte sie an ihrer Hüfte und zog sie zu sich. Dann schnappte er mit seinen Zähnen nach ihrem Hals, sie begann lauthals zu lachen und versuchte ihn erfolglos von sich zu schieben.

Die beiden machten irgendwie einen seltsamen Eindruck auf mich. Waren die beiden ein Paar, oder-

»Sind die Regeln klar?«, fragte Westenbergs Handlanger und riss mich aus meinen Gedanken.

Ich nickte und wagte einen Blick zu Niclas. Irgendwie war er nicht so wirklich bei der Sache, doch ich wollte mich davon nicht täuschen lassen.

Ich schälte mich aus meiner neuen Motorradmontur und drückte sie dem Kerl, der uns die Waffen gab, im Tausch in die Hände. Dann zog ich mein Handy und die Hülle meiner Kopfhörer aus der Tasche meiner Jeans und steckte sie mir in die Ohren.

»Ist doch nicht gegen die Regeln oder?«, fragte ich und zog provokant eine Augenbraue nach oben.

»Wenn du denkst, es hilft dir, mach, was du willst«, antwortete Westenbergs Assistent gleichgültig und verschwand wieder hinter das Sicherheitsglas.

Niclas‘ Blick haftete ausdruckslos auf mir und ich spürte, wie mir plötzlich wieder warm wurde.

»Womit willst du mich diesmal überraschen?«, fragte er gespannt.

»Abwarten.«

Ich öffnete die Musik-App und drückte auf Play. Nur ein einziger Song würde mir jetzt genug Mut eintrichtern, das hier genau so zu schaffen, wie ich es mir ausgemalt hatte.

Besser als er.

Niclas sollte endlich verstehen, dass er mir mich maßlos unterschätzt hatte.

»Viel Glück«, hauchte ich ihm zu. Dann drehten wir uns in Richtung Zoneneingang.

Ich hielt die Pistole ruhig, aber fest umschlossen in meinen Händen, entsicherte sie und atmete ein letztes Mal tief durch.

Drei.

Zwei.

Eins.

Das Signal erklang und ich ließ mich vollkommen auf den Rhythmus ein, den mir Chester in die Ohren brüllte.

Die erste Leuchte war mittendrin und von hier aus überhaupt nicht erreichbar. Also rannte ich los und blendete alles um mich herum aus.

One thing, I don't know why.

It doesn't even matter how hard you try.

Keep that in mind, I designed this rhyme,

to remind myself how I tried so hard.

Ich sprang über die Hindernisse, wich endlosen Metern Stacheldrahtzaun aus, legte ein gutes Tempo vor und hielt dann die Luft an, als die erste Zielscheibe in Reichweite war. Ich zielte - und Schuss.

Volltreffer.

Unbeirrt sah ich mich um und erspähte die nächste Lampe. Ich kroch durch Hindernisse, behielt meine Orientierung, atmete.

Nichts war wichtiger, als das hier gut zu machen. Ich hatte keine Lust, nach den viel zu großen Tönen, die ich bereits gespuckt hatte, jetzt auch noch zu versagen.

Schuss.

Schuss.

Schuss.

I tried so hard and got so far,

but in the end, it doesn't even matter.

I had to fall to lose it all,

but in the end, it doesn't even matter.

Es hatte sich tatsächlich gelohnt. Die unerbittlichen Stunden im Schießstand zahlten sich aus.

»Konzentration, Ruhe, atmen.« Vince’s Cousin behielt Recht. Nur das zählte und würde mich nicht verrückt machen in solchen Situationen.

Die letzte Lampe.

Mein Shirt verfing sich beim Zurückkriechen unter dem Stacheldraht und hielt mich zurück. Vor mir sah Niclas - längst wieder auf den Beinen, fast an der Zielscheibe.

Alles oder nichts.

Ich wagte ein Manöver, das so riskant war, dass es eigentlich nur hätte schiefgehen können. Ich fixierte die Zielringe, stützte mich auf die Ellenbogen und hielt die Luft an.

Letzter Schuss.

Der Abzug klickte - und das Signal zum Ende ertönte.

Schwer atmend ließ ich meinen Kopf gegen den Boden fallen und nahm mir den Moment, um meine völlig aufgekratzten Nerven etwas zu beruhigen.

»Hey, alles okay?«, fragte Niclas dicht über mir.

Ich schluckte schwer und drehte mich vorsichtig auf den Rücken. »Klar.«

Ich versuchte mich aus den Stacheln zu befreien, schob mich entkräftet heraus und nahm dann plötzlich ein aufgeregtes Pfeifen und Jubeln der Gruppe wahr.

Niclas streckte mir seine Hand entgegen und half mir beim Aufstehen. Ich drehte mich um und verstand nicht, was vor sich ging. Er stellte sich vor mich, verzog seine Mundwinkel zu einem schmalen Lächeln und ich nahm meine Kopfhörer aus den Ohren. Dann packte er mich an den Schultern und drehte mich so, dass ich die große Tafel sehen konnte.

»Wünsch dir was«, flüsterte Niclas und trat geschlagen einen Schritt zurück.

»Ich hab’s geschafft. Ich war tatsächlich besser als du.« Es klang eher wie eine Frage als eine Tatsache. Ich stand im Gesamtranking tatsächlich über ihm. Mit einer Trefferquote von zweiundneunzig Prozent. Jonah und Emmy waren natürlich trotzdem über mir. Die beiden waren ganze zwei Sekunden schneller, und er schoss noch weitaus besser als wir. Damit war die Million für mich futsch. Doch ehrlich gesagt war sie mir völlig egal.

Es ging mir die ganze Zeit nur um den Wunsch - meinen Wunsch.

»Hey, von Hagen! Du hast dich echt von der Anfängerin schlagen lassen?«, spottete Jonah. Der Rest der Gruppe bewegte sich auf uns zu.

Niclas sagte nichts. Er stand etwas abseits und sah mich nur an. Da war kein Hass, keine Eifersucht und keine Missgunst. Da waren einfach nur er und dieses Funkeln in seinen Augen.

Verdammt. Ich wollte, dass es so läuft. Aber jetzt in dieser Situation zu sein und es tatsächlich geschafft zu haben war verdammt schräg. Er war seit acht Jahren hier. Und ich machte ihm nach nicht mal zwei Wochen seine Position streitig? Oder hat er etwa-

»Hast du mich gewinnen lassen?«, fragte ich entsetzt und spürte wie mein Mund offen stehen blieb.

Seine Augen blieben fest auf mir.

»Das Risiko würde er nicht eingehen, Süße«, mischte sich Danny ein und lachte schmutzig auf. »Ich denke, er war heute ziemlich… neben der Spur.«

Getuschel erfüllte die Halle.

»Was ist dein Problem?«, fragte ich und drehte mich zu ihm um.

»Oh, sprichst du jetzt schon für den armen Niclas, weil es ihm die Sprache verschlagen hat?«, höhnte er.

»Halt die Klappe, Danny«, knurrte Niclas.

»Ich hab das Ernst gemeint. Was ist dein Problem? Was hast du davon, immer so herablassend über andere zu sprechen?«

Danny kam mir viel zu nah. »Es verschafft mir den nötigen Respekt der mir durch freches und loses Mundwerk von Neulings-Tussis aberkannt wird. Die Szene vorhin war das letzte Mal, dass du mich für dumm hingehalten hast. Hast du verstanden? Sonst-«

Ich presste die Zähne aufeinander. »Sonst was, Daniel?«, fauchte ich zurück. Ich war vollkommen unbeeindruckt von seinem Auftritt.

»Sonst lernst du mich bereits jetzt von einer völlig anderen Seite kennen!«

Das Getuschel verstummte und alle Augen waren wieder auf uns gerichtet.

»Sicher. Was willst du denn-«

Das Knacken seiner Waffensicherung erstickte meine Worte im Keim. »Ach so. Plötzlich ist Fräulein Ziegler also wieder mundtot.«

Ich hielt den Atem an. »Vergiss es. Lieber lass‘ ich mich von dir erschießen und diesen kranken Mist beenden, bevor ich mir meinen Mund verbieten lasse.« Meine Worte waren tough und völlig überspitzt gewählt. Danny zielte genau auf mein Herz. Es raste so schnell, dass mir eine unerträgliche Hitze und Eiseskälte gleichzeitig durch die Adern schossen. Meine Kehle wurde staubtrocken und doch war ich zu stolz, um jetzt aufzugeben.

»Kannst du gerne haben.« Danny kam noch näher und stemmte die Pistole gegen meinen Brustkorb. So oder so würde ich diesen Moment noch ewig an dieser Stelle spüren.

»Na, dann aber richtig«, forderte ich ihn auf, packte die Hand, in der er die Waffe hielt und drückte sie mir gegen die Schläfe. Ich ließ seine Augen nicht mehr los. Dieser verrückte Kerl ließ sich echt zu allem provozieren.

»Hey! Leute, es reicht, verdammt!«, brüllte Niclas hinter mir und hechtete auf uns zu. Er riss Danny von mir los und nahm ihm die Pistole ab.

Und dann passierte das, was ich unbedingt vermeiden wollte. In mir zerbrach etwas, und ich musste weg von diesen Menschen. Allen diesen Menschen.

»Und so jemanden nennst du Freund? Dieses widerwärtige Arschloch?«, platzte es aus mir heraus und richtete sich direkt an Niclas. Tränen brannten in meinen Augen und ich schnappte verzweifelt nach Luft. »Ihr seid alle so unfassbar krank. Euch macht das hier auch noch Spaß, oder was? Westenberg benebelt euch so mit diesem beschissenen Geld, dass ihr irgendwann noch eure eigenen Partner erschießt.«

Getroffene, aber auch unfassbar dunkle Blicke trafen auf mich. Doch am schlimmsten war Niclas‘. Er verstand meinen Schmerz. Und das ertrug ich nicht.

Getrieben von meinem Fluchtinstinkt schnappte ich meine Sachen und lief einfach nach draußen.

Hätte dieser Tag noch beschissener laufen können?

5

Elana

»Also, wie ich sehe, sind wir alle wieder vollzählig«, brummte Westenbergs Assistent, als ich etwa zwanzig Minuten später wieder den Saal betrat. Den Spruch hätte er sich getrost sparen können. »Jonah, herzlichen Glückwunsch.«

Um mich herum brach Jubel aus. Ich blieb still und sah mir gleichgültig das Szenario an.

Eine beschissene Million Euro.

Faszinierend, dass so viel Geld in so einen kleinen Koffer passte. Jonah ließ sich feiern, während ich mir das Ranking noch einmal ansah. Danny lag dicht hinter Niclas und zwischen mich und Emmys zweiten Platz drängten sich noch zwei weitere. Unfassbar, wie gut einige Schützen hier koordiniert waren.

»Sarah, für dich geht es ab morgen ins Training. Danny, Jonah, Emmy, Elana und Niclas - ihr geht zu Herrn Westenberg. Sonderauftrag. Der Rest, bis morgen.«

Ich runzelte die Stirn und sah in die verwirrten Gesichter der Personen, die er gerade aufgerufen hatte. Als die restlichen Teilnehmer die Halle verließen, kam Emmy mit schnellen Schritten auf mich zu und strich mir aufmunternd über den Arm. »Alles okay? Tut mir echt leid, Danny ist aktuell total drüber, ich weiß gar nicht was mit ihm los ist.«

»Geht schon wieder.«

»Also eins muss ich dir lassen: Von den Jungs hier hat sicher keiner mehr Eier als du«, sagte sie lachend und legte ihren Arm um meine Schultern. Wir liefen in die Richtung Westenbergs Büro.

»Mut oder Leichtsinn?«, fragte ich skeptisch.

»Das, Elana, ist Mut. Grenzenloser Mut. Weil sich noch nie jemand Neues so behaupten konnte wie du. Und ich schätze, Danny hat nur den Konkurrenzkampf im Kopf.«

»Hm, das mit Danny wird sicher noch witzig. Aber mal unter uns...«

Emmy strich sich eine Haarsträhne zurück und spitzte die Ohren.

»Wer ist seine Partnerin?«

Sie zog die Augenbrauen nach oben und atmete scharf ein. Dann löste sie ihren Arm von mir und warf einen Blick zurück. »Im Moment niemand. Es gehen Gerüchte rum, dass er die Letzte, Sophie, selbst… nun ja… ausgeschaltet haben soll. Angeblich hat er sie bei einem Auftrag zurückgelassen. Und das mit purer Absicht um sich selbst zu retten.«

Fuck. Ich hielt den Atem an. Genau das war die ganze Zeit über meine größte Angst gewesen - dass Niclas so etwas mit mir tun würde. Ich schluckte.

»Ist das dein Ernst?«

»Die Wahrheit kennt nur er. Aber seitdem ist er so… gleichgültig. Berechnend, weißt du?«

Ich sagte nichts und ließ meine Gedanken kreisen.

»Und was glaubst du, wird dieser Gruppen-Sonderauftrag sein?«, fragte ich schließlich vorsichtig.

»Keine Ahnung. Das kommt nicht so oft vor, weißt du.« Sie lächelte und band sich ihre Haare zurück. »Und wie ist unser Schnuckelchen von Hagen so als Partner?«

Ich schnaubte und verdrehte die Augen. »Er musste mich schon ein paar Mal vor mir selbst retten. Aber…«

»Ja?«

»Ich weiß nicht wie das in Zukunft zwischen uns funktionieren soll. Letzte Woche Donnerstag, da… da hab ich erfahren, was er wirklich von mir hält. Danny war am Telefon und wenn ich eins gelernt habe, dann, dass Niclas kein Blatt vor den Mund nimmt.«

»Und was hält er von dir?«

»Dass ich schwach bin. Psychisch instabil. Für das alles hier ungeeignet. Ich denke, er hat einfach nur Schiss um sein eigenes Leben, wenn er mit mir zusammenarbeiten muss.«

»Wie bitte?«, fragte sie entsetzt. »Nach dem Auftritt heute sollte er sich mehr als glücklich schätzen, dich an seiner zu haben. Du bist unsere stärkste Frau im Team. Also, gleich nach mir.« Sie grinste. »Oder… Hast du etwa vor ihn zurückzulassen?«

»Ich bin keine Killerbraut, Emmy. Was hätte ich davon, ihn zu töten?«

Sie kam dicht an mein Ohr. »Rache. Zuckersüße Rache, Elana.«

»Verzichte.« Ich lachte auf, verstummte aber schnell wieder.

»Moment mal.« Sie drehte sich um, lief ein paar Schritte rückwärts und musterte mich genau. »Dir liegt ja richtig was an ihm!« Ihr Blick huschte zwischen mir und irgendetwas hinter uns hin und her.

»Shhh!«, zischte ich und zog sie wieder nach vorne.

»Lief da etwa was zwischen euch?«

Ich seufzte. »Das würde ich so nicht sagen.«

»Und warum sieht er dir dann so sehnsüchtig nach?«

»Tut er nicht.«

»Nein, gar nicht.« Ihr Ton tropfte vor Ironie und plötzlich bekam ich den Drang mich umzudrehen, doch ich widerstand. Irgendwie würde ich ihn vergessen müssen. Die Frage war nur, wie lange es dauern würde und wie viele Schmerzen es mich noch kosten würde.

Wir erreichten das Büro und trafen auf Westenberg, der bereits ungeduldig auf uns wartete.

»Hätte ja nicht gedacht, dass du nach diesem Auftritt wieder so schnell zurückkommst, Süße«, brummte Danny plötzlich dicht hinter mir, und zuckte zusammen. Ich wirbelte herum und sah, wie Niclas ihn grob am Arm packte und weiter in den Raum schob. Sein entnervter Blick sprach Bände.

»Lass dich nicht aus der Ruhe bringen«, flüsterte Emmy und stieß beistehend mit ihrer Schulter gegen meine. Ich nickte ihr zu und sah anschließend zurück zu Westenberg.

»Frau Ziegler! Sie sind tatsächlich zurück. Und wir hatten schon Sorge, schon wieder eine neue Partnerin für Herrn von Hagen suchen zu müssen«, lachte er künstlich, und ich sah wie ferngesteuert zu Niclas.

Es tut mir leid.

Meine Gedanken waren so laut, dass ich hoffte, er würde sie hören. Ich räusperte mich. »Herr Westenberg«, sagte ich leise, aber der Satz versickerte bereits wieder in der Luft.

Dann klatschte er in die Hände. »Okay, Sonderauftrag. Sie alle werden morgen gemeinsam zurückreisen. Ingesamt sind Sie zu sechst, es kommt also noch eine Dame hinzu. Zieltag ist der 20. April 1944 gegen acht Uhr abends. Auf einen von Ihnen wartet dort eine besondere Aufgabe, die es zu erledigen gilt. Dem Rest wünsche ich viel Spaß auf dem Geburtstagsball des Führers, gegeben von keinem Geringeren als Heinrich Hofer.« Er lachte viel zu laut, und mein Blick verdunkelte sich. Unter den anderen herrschte blankes Entsetzen, nur Niclas teilte meine Reaktion.

»Tun Sie das mit Absicht? Weil Sie mit mir ein Problem haben?«, fauchte ich und raste auf ihn zu. »Sie sind so ein verlogenes Arschloch, Westenberg.«

Er blieb völlig unbeeindruckt. »Nein, Frau Ziegler. Für Sie lasse ich mir noch etwas Schönes einfallen, das ich als Vertragsstrafe geltend mache. Das hier, hat nichts mit letzter Woche zu tun. Sie haben nämlich bewiesen, dass sie besser unter meinen Leuten bleiben.«

»Das ist mir scheißegal, solange sie Niclas da raushalten. Er hat nichts mit meinen Entscheidungen zu tun. Ist das klar?«

»Ach, Frau Ziegler. Baut der eine Mist, hängt der andere mit drin. Das müsste Ihnen doch langsam klar sein, oder etwa nicht?« Er schmunzelte, und am liebsten wäre ich ihm dafür an die Gurgel gegangen. Ich riss mich dennoch zusammen und baute wieder etwas Abstand zwischen uns auf.

Ich wollte das nicht. Niclas sollte nicht für meine Fehler geradestehen müssen, egal was gerade zwischen uns lief.

»Also, bevor Sie sich hier gleich gegenseitig aufspießen, wollen Sie uns nicht lieber sagen, wer Nummer Sechs ist?«, fragte Emmy und zog mich mit einem sanften Ruck noch ein Stück zurück.

»Sie wartet in Raum acht auf Sie. Gemeinsam mit einem Tanzlehrer für klassischen und Wiener Walzer, damit Sie alle sich nicht blamieren.«

Danny lachte auf. »Das ist ja wohl ein Witz.«

»Natürlich nicht. Und jetzt raus hier.«

»Hi, ich bin Milou«, sagte das Mädchen, das vor uns stand. Sie wirkte noch unglaublich jung und war sicher noch keine achtzehn Jahre alt.

»Schleppt Westenberg jetzt schon Kinder an oder was?«, spottete Jonah und warf achtlos seine Sachen in eine Ecke.

»Nein, nur seine eigene Tochter«, antwortete Milou und reckte stolz das Kinn. Das verschlug selbst diesem Macker die Sprache.

Seine Tochter. Westenberg war wirklich bereit, seine eigene Tochter in den zweiten Weltkrieg schicken.

»Bist du etwa freiwillig hier?«, lachte Danny.

Milou schnaubte. »Das geht dich überhaupt nichts an.«

»Oh, Schlagfertigkeit. Sehr gut«, sagte Emmy und ging auf sie zu. »Emily Harnisch. Aber nenn‘ mich ruhig Emmy. Das sind Jonah und Danny, und das Elana und Niclas. Und wir werden also gemeinsam auf diesen Naziball gehen. Nett.«

»Das ist dann wohl mein Stichwort. Ich bin Jannik, euer Tanzlehrer für heute. Stellt euch bitte mit eurem Partner zusammen. Ihr werdet als Paare zurückgeschickt, so wie es die meisten von euch kennen. Das Ehepaar…« Er sah auf sein Tablet und zog konzentriert die Augenbrauen zusammen, als würde er nach einem Namen suchen. »Kuhn! Ihr werdet den Ball mit einem Wiener Walzer eröffnen, weil es keinen Umtrunk zur Hochzeit gab. Noch fragen?« Er klappte das Tablet zu und sah uns fragend an. Ich seufzte und ließ dann genervt meinen Kopf hängen.

»Gibt es ein Problem?«, fragte Jannik auffordernd.

Ich sah wieder auf und setzte mein falsches Lächeln auf. »Nein, alles super.«

»Wenn ich das richtig interpretiere, bis du also Maria Kuhn.«

»Falsch, Elana Ziegler.«

»Gut, Elana.« Er kam langsam auf mich zu und begann mich mit interessierten Blicken zu mustern. Ich ließ mich darauf ein und erwiderte seinen offensichtlichen Flirtversuch. Mir war alles recht, um Niclas für einen Moment zu vergessen. »Dann zeig mal, was du drauf hast.«

Ich zog eine Augenbraue nach oben und schmunzelte ihm entgegen. »Okay.«

»Na da bin ich jetzt gespannt«, schnaubte Jonah neben uns.

»Wie darf ich das verstehen?«, fragte Jannik neutral.

»Ich glaube nicht, dass Elana der Typ Frau ist, der sich führen lässt.«

»Von den falschen Partnern nicht, nein«, brummte ich Jonah entgegen und traf dabei auf Niclas‘ Blick. Er ließ sich überhaupt nichts anmerken, doch ich war mir sicher, dass es in ihm brodelte.

Jannik lief zur Musikanlage und tippte etwas auf seinem Handy, das daran angeschlossen war.

Gott, wie ich klassische Musik hasste. Vor allem diese abgedroschene Walzermusik.

Er kam zu mir zurück, wir gingen in Position, und dann musste ich die Kontrolle abgeben. Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf die Schritte. Nur auf die Schritte.

»Augen zu mir und Arme locker. Versteif dich nicht«, sagte Jannik und zog mich mit seiner Hand zwischen meinen Schulterblättern noch dichter an sich. Ich tat mein Bestes, seinen Korrekturen gerecht zu werden und mit seinem Tempo mitzuhalten. »Sehr gut«, raunte er dicht vor mir. »Endlich jemand, der Wort hält und nicht nur große Töne spuckt.«

Noch bevor ich auf seine Worte reagieren konnte, drehte er mich aus und wieder ein. Ich fand mich ohne Fehler wieder in meiner Position und hielt den Takt. Glück gehabt.

Jannik kam irgendwann wieder zum stehen und forderte die anderen auf zu tanzen. »Sehen wir mal, ob du deinem Partner genauso vertraust wie mir.«

Hm, ich freu mich schon.

Jannik ging zu Milou um sie ihrem neuen Partner vorzustellen. Danny sah alles andere als begeistert aus und tat nichts dergleichen, sich das Ganze nicht anmerken zu lassen. Aber wovon redete ich eigentlich? Ich hatte selbst keine große Lust, jetzt mit Niclas zu tanzen.

»Alles klar?«, fragte Niclas, sichtlich angestrengt.

»Hm«, brummte ich und ließ Milou nicht aus den Augen. »Dieser Kerl ist so krank. Seine eigene Tochter hier mit rein zu ziehen… Was geht eigentlich in seinem Kopf ab?«

»Ich weiß, ich kenne sie. Zwar nur flüchtig, aber ich weiß, dass sie jünger als Mo und vor allem erst siebzehn ist.«

»Für ihr Alter macht sie aber einen verdammt zähen Eindruck.«

»Ist sie auch. Wobei ich nicht wissen will, wie viel davon Show ist, um ihrem Vater zu imponieren.«

Ich sah zu Niclas zurück und zog die Augenbrauen zusammen. »Was hast du da eigentlich an?«

»Fällt dir das jetzt erst auf? Hätte ich den Leistungstest etwa im zweitausend-Euro-Anzug machen sollen?«

Er trug ein helles, einfaches Shirt und schwarze Jeans, die ihm unglaublich gut standen. Alles in allem wirkten wir nebeneinander aber auch einfach nur langweilig. Mein Outfit bestand nämlich aus ähnlichen Elementen.

»Pack den Bonzen wieder ein, von Hagen.«

»Ich? Wer hat sich gerade ‘ne Maschine für ein paar zehntausend Euro geleistet?«

Damit nahm er mir natürlich den Wind aus den Segeln. Ich schmunzelte und zuckte mit den Schultern.